Viel mehr konn te ich hier mo men tan nicht aus rich ten. Aber wie so oft dach te ich an die Grün dung ei ner Dop pel pra xis: Gleich am Ein gang
April 18, 2016 | Author: Pia Meissner | Category: N/A
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te den Napf an, riss die Tagesdecke vom Bett, knurrte den Kleider schrank an und biss zu guter Letzt in die holländischen Pantinen. Ich ging zum Fenster und rief Hans P. zu, doch wieder in die Wohnung zu kommen. Ich suchte nach Worten und begann zu erklä ren, was mir aufgefallen war. Es würde schwierig werden für Hans P., das war mir klar. Ich begann damit, dass ich ihm genau beschrieb, wie ich seinen Hund erlebt hatte. »Also, ganz eindeutig: Karlchen hatte keine Angst, alleine zu blei ben. Ein Hund, der große Angst hat, würde hecheln, hätte vergrößer te Pupillen, würde stark zittern und seine Rute einklemmen. Winseln oder Weinen wäre auch typisch für solch eine Angstsymptomatik. Aber ich habe nichts dergleichen bei Karlchen feststellen können. Was ich gesehen habe, war: Wut! Wut! Wut! »Wütend sein« ist auch ein Symptom, aber für ein ganz anderes Problem!« Hans P. hörte erstaunt zu. Ich versuchte ihm den Unterschied zwischen einer behandlungs bedürftigen Separationsphobie, also einer krankhaften Trennungs angst, und einem Kontroll-Komplex-Verhalten zu erklären. Bei Trennungsangst gibt es unterschiedliche Typen. Es gibt Hun de, die bellen und heulen, andere zerstören; wieder andere setzen unkontrolliert Harn und Kot in der Wohnung ab. Und immer ist Angst bis hin zur Todesangst die Ursache für ein solches Verhalten. Die betroffenen Hunde wollen die Nähe zu ihren Bezugspersonen wieder herstellen, indem sie deren Schuhe annagen, ihre Brillen etuis zerstören, Fernbedienungen oder Handys anknabbern. Alles Dinge, die ihre Besitzer oft in die Hand n ehmen. Und wo liegen die Ursachen für diese Ängste? Der Hund als hochsoziales Rudeltier ist nicht dafür gemacht, alleine gelassen zu werden. So wie wir ihn halten, muss er das aber lernen. Das muss ihm vom Welpenalter an behutsam beigebracht werden. Anders liegt der Fall bei einem Hund mit Kontroll-KomplexZwang. Er zerstört auch, aber einfach nur, weil er wütend darüber 19
ist, dass sich sein Besitzer aus seinem Kontrollbereich entfernt. Solch ein Hund zeigt keinerlei Angstsymptomatik. Er ist einfach bloß außer sich und tobt – so wie Karlchen. Und das sind nur die Symptome! Die eigentliche Ursache ist, dass Karlchen den ganzen Tag ›agiert‹ und Hans P. auf sein Hündchen ›reagiert‹. Immer muss Karlchen sagen, was als Nächstes zu tun ist. Und dann gehorcht Hans P. Er orientiert sich an Karlchen, nicht umgekehrt. Durch dieses Verhal ten werden dem kleinen Kerl eine ganze Menge Jobs aufgetragen. Er muss das Leben eines gestandenen Mannes organisieren – und ist damit natürlich völlig überfordert. Das führt dann auch zu dem chronischen stressbedingten Dickdarmdurchfall. Und wie war das mit den Beißangriffen auf die Füße seines Be sitzers? Beim Telefonieren war alles anders. Wenn Hans P. etwa mit seiner Schwester telefonierte, schenkte er Karlchen nicht mehr 100 Prozent seiner Aufmerksamkeit, und das, obwohl er sich noch in seinem Kontrollbereich befand! Das konnte Karlchen nun über haupt nicht ertragen. Hans P. wusste sich mit den Holzschuhen zu helfen. Wie er mir gestand, telefonierte er schon seit vier Jahren nur noch in Holzschu hen. Ja, mein Wilmersdorfer Kollege hatte recht: Dies war ein Fall für den Veterinär-Seelenklempner. Hans P. und ich besprachen Maß nahmen, die das Weltbild von Bonsai-Terminator Karlchen natürlich gehörig verändern würden. Aber ich hatte leise Zweifel, ob Hans P. wirklich ernsthaft Veränderungen wollte. Konnte er Regeln aufstellen, klare Grenzen setzen, künftig in je der Lebenslage als Erster agieren? Damit Karlchen sich entspannen und auf ihn reagieren konnte? Meine Zweifel verstärkten sich noch, als er mir, schon beim Gehen, an der Tür eingestand: »Ach, Frau Doktor, wenn Sie wüssten, wie viele Jahre ich unter meiner verstor benen Frau zu leiden hatte … Die war ja so dominant!« 20
Viel mehr konnte ich hier momentan nicht ausrichten. Aber wie so oft dachte ich an die Gründung einer Doppelpraxis: Gleich am Eingang sollten zwei Schilder stehen. Auf dem einen stünde ge druckt: »Die Zweibeiner bitte rechts den Gang hinunter, erste Tür links zum Kollegen auf die Couch«; auf dem anderen Schild: »Die Vierbeiner bitte links den Gang hinunter, dritte Tür rechts zum Aus gang und mit Frau Dr. Werner in den Wald.«
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Das gefährliche Wintervirus Als mich der Vorsitzende eines lokalen Schäferhundvereins anrief, war ich wirklich überrascht. Traditionelle Hundesportler haben ei gentlich nie Fragen, weder zur Haltung noch zum Verhalten der Tie re. Sie wissen immer alles besser, und es gilt der Satz: »Das haben wir schon immer so gemacht!« Aber in diesem Fall war der Leidens druck wohl so groß, dass die Vereinsmitglieder über ihren Schat ten gesprungen waren. Sie hatten sich an die Tierärztekammer des Landes Brandenburg gewandt, und diese hatte mich empfohlen. Das erfuhr ich, als mich der Vorsitzende des Vereins anrief. »Guten Tag, Frau Dr. Werner. Wir sind eine kleine Ortsgruppe hier im Süden Brandenburgs, fast schon in Sachsen. Tja, wir haben ein Problem mit unseren Deutschen Schäferhunden. Die führen wir schon seit Jahren erfolgreich auf Ausstellungen und Prüfungen, und wir haben auch Erfolg versprechende Nachzuchten.« Der Stolz in seiner Stimme war nicht zu überhören: »Na ja, wir sind zwar ein kleiner Verein, aber man kennt unsere Hunde! Elf Hundeführer und zwölf gemeldete Hunde sind bei uns im Verein. Wir sind eine kleine Truppe. Wir haben aber nun den Verdacht, dass unsere Hunde immer in den Wintermonaten ein gefährliches Virus bekommen, das die Tiere stark schwächt, sodass sie einen deutlichen Leistungsabfall zeigen. Nur zwei von ihnen lassen kei nen Leistungsabfall erkennen. Die gehören unserem Kassenwart; er führt zwei Rüden. Wir wundern uns alle, dass seine Hunde bei Prüfungen weiter sehr gut abschneiden – aber der Rest schwächelt irgendwie …« 23
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