Schwerpunkt: Von den neuen Chancen, Lehrer zu werden

September 26, 2017 | Author: Stephan Wagner | Category: N/A
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Schwerpunkt: Von den neuen Chancen, Lehrer zu werden

Nie mehr Schule? Von wegen!

Illustration: Schaad

Jedes Jahr im Frühsommer: Rund 350.000 Schülerinnen und Schüler gehen ein letztes Mal in die Schule, holen sich ihr Abiturzeugnis und schließen die Schultür hinter sich. Für immer? Nicht unbedingt! Manche unter Ihnen – geschätzt mindestens 25.000 – werden in wenigen Jahren wieder das vertraute Geräusch der Schultüren hören. Und das – bis auf die Ferien – jeden Tag. Sie werden Lehrer und Lehrerinnen. Während sich einige ihrer Mitschüler geschworen haben, nie wieder einen Fuß in ein Klassenzimmer zu setzen, wollen sie ihren Lehrkräften nacheifern oder vieles besser machen.

Warum Lehrer werden? Ist das Idealismus? Einfallslosigkeit? Wird man Lehrer nur, weil man den Beruf schon kennt? Nein, so einfach ist es sicher nicht. Lehrer zu werden und Lehrer zu sein gehört immer noch zu den verantwortungsvollsten und anstren-

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gendsten – vielleicht aber auch interessantesten Aufgaben. Und es gibt noch weitere gute Gründe, sich für den Lehrerberuf zu interessieren: die Ferien und eine derzeit fast sichere Anstellung etwa. Der finanziell ausgepolsterte Beamtenstatus allerdings

ist nicht mehr obligatorisch. Es wird – je nach Bundesland in unterschiedlichem Maße – immer weniger verbeamtet. Die Tendenz geht auch beim Lehrer hin zum Angestelltenverhältnis.

Schwerpunkt: Von den neuen Chancen, Lehrer zu werden ben zu entlasten. Im Grunde dürfte sich je„Rosige Zeiten für Lehrer“ titelt eine ZeiSchon jetzt sollen junge Lehrer viel mehr der Lehrer dankbar zeigen, wenn er sich auf tung und meint damit den „übergroßen Beleisten, als nur den Schülern „etwas beisein eigentliches Metier, das Unterrichten, darf“ an Lehrkräften. „Neue Lehrer braucht bringen“. Beispielsweise – wie vor allem in konzentrieren könnte. das Land“, schreibt eine andere. Mit der beruflichen Schulen – den Kontakt zu InduPisa-Studie ist nicht nur ein gewisser Bilstrie und Wirtschaft herstellen. „InsbesonLöwenbändiger dungsmissstand deutlich geworden, sondere eine berufliche Schule ist kein Elfendern auch, wie wichtig viele gute Lehrer für beinturm“, erklärt Beate Hegemann, stellDer Lehrerjob ist nichts für Menschen die Bildung in unserem Lande sind. Ob letztvertretende Schulleiterin der Hans-Böcklermit schwachen Nerven. Pädagogen sind, lich dem Bedarf in vollem Umfang mit tatSchule, Berufskolleg der Stadt Münster und wie das Institut der deutschen Wirtschaft sächlichen Einstellungen entsprochen wird, Sprecherin des Bundesverbands der LehreKöln attestiert, „eher Löwenbändiger denn darf angesichts der knappen Haushaltskasrinnen und Lehrer an beruflichen Schulen Lehrperson“. Nach den Zahlen einer Lehrersen allerdings bezweifelt werden. befragung der Universität PotsPositive Enwicklung für Lehrer Deshalb empfehlen auch Experdam im Zeitraum von 1995 bis LehramtsLehramtsEinstellungen Arbeitslose ten, sich die derzeit guten Berufs1999 scheint es in der Tat so, dass Erstsemester Absolventen in den Schuldienst Lehrer aussichten für Lehrer etwas geimmer weniger Lehrer mit dem 1992 42.180 12.222 13.930 13.200 nauer anzusehen. schulischen Alltag fertig werden: 1993 43.220 11.433 14.561 14.920 Trotzdem: Nachdem LehramtsEtwa jeder Dritte fühlt sich beruf1994 44.210 12.587 14.870 13.997 1995 42.830 15.274 14.405 14.040 studierenden noch vor rund zehn lich ausgebrannt – das so ge1996 42.410 16.515 14.888 20.354 Jahren „miserable berufliche Ausnannte Burn-Out-Syndrom –, ge1997 38.913 19.963 12.904 24.783 sichten“ attestiert wurden, wird nauso viele vom Job überfordert. 1998 34.774 22.875 16.490 25.457 inzwischen gemeldet, dass beiDazu kommt, dass von Lehrern 1999 34.942 22.332 20.350 24.893 spielsweise Bayern spontan zuneben den so genannten Soft 2000 40.587 22.727 29.109 19.115 sätzlich 500 Junglehrer einstellt. Skills – also der Befähigung zu 2001 49.294 21.583 30.756 17.181 Nordrhein-Westfalen verdreifacht freier Rede, allgemeiner, sozialer Erstsemester: jeweils Sommersemester und folgendes Wintersemester; Absolventen: aus dem Vorbereitungsdienst; Arbeitslose: Stand jeweils 30.9.; die Stellenbudgets, mit denen die Aufmerksamkeit, sicherem AufEinstellungen: ohne Privatschulen Schulleiter selbstständig Personal treten und Teamfähigkeit – mögQuellen: Bundesanstalt für Arbeit, Kultusministerkonferenz, aussuchen können, und Niederlichst auch noch gute ComputerStatistisches Bundesamt sachsen bittet überzählige Lehrer sowie Sprachkenntnisse erwartet aus Thüringen zum bezahlten Umwerden. Ganz zu schweigen von zug. Parallel dazu wird die Kapaden Kompetenzen, die bereits im zität der eigenen Anfängerstudienplätze für Studium bewusst ausgebaut werden solle.V. Berlin. Gerade hier seien berufliche Prodas Lehramt an Grund-, Haupt- und Realten – wie effektives Arbeiten, das Erkennen bleme wie der aktuell bestehende Lehrstelschulen erhöht. Und das Saarland eröffnete und Planen auch komplizierter Abläufe und lenmangel besonders offensichtlich. „Lehderweil den kurz zuvor eliminierten Studiendas Motivieren und Führen anderer. rer zu sein bedeutet eben auch, sich den gang für das Lehramt an berufsbildenden beruflichen Nöten anzunehmen“, sagt sie. Gut informieren Schulen aufs Neue. Gute und vor allem imNicht nur den Schülern etwas mer mehr Lehrer werden eingestellt, und die Informationen über den Lehrerberuf beibringen Lehrerarbeitslosigkeit sinkt. sind also gefragt. Denn nur wer gut über den hohen Anspruch informiert ist, der an Doch zu diesen Aufgaben, die zudem Keine rosarote Brille aufsetzen Lehrer gestellt wird, kann seine „Eignung“ ebenfalls Sonderschulen, Haupt- und Realfür diesen Beruf prüfen. Wer Lehramt ausschulen und Gymnasien betreffen, komGanz so einfach aber ist es nicht, Lehrer schließlich studiert, um die vermeintliche men auch soziale Funktionen. Und das bezu werden und zu sein. Zumindest sollten gesicherte Grundlage für einen späteren deutet – eben weil Lehrer eine hohe Verantdie „rosigen Zeiten für Lehrer“ Abiturienten Beruf zu schaffen, oder wer sich nur von wortung tragen – auch eine hohe Belaund angehende Lehramtsstudierende nicht seinem Interesse für seine potenziellen stung. Von wegen „nachmittags frei“, oder dazu verleiten, eine rosarote Brille aufUnterrichtsfächer leiten lässt, ohne Lust an „Ferien, Ferien, Ferien“. Lehrer jeden Schulzusetzen: „Das hört sich alles so an, als der Erziehung mitzubringen, der hat mit Sityps sollen Konflikte zwischen Jugendbräuchte ich mich nur noch ins gemachte cherheit schon bei der Einschreibung an der lichen oder selbst in der Familie aufspüren Bett zu legen“, meint Kathrin Wege von der Universität eine falsche Wahl getroffen. und möglichst auch lösen. Sie übernehmen Schülermitverwaltung (SMV) an einem hes„Wer Lehrer werden will“, sagt Prof. Dr. Ulzunehmend einen Teil derjenigen Erziesischen Gymnasium. Denn im Vergleich zum rich Herrmann, Leiter des Seminars für Pähungsaufgaben, die traditionell bei den ElStudium werden von Schülern die Anfordedagogik an der Universität Ulm, muss „Vortern liegen und heute vielleicht bei Sozialrungen, die ein Lehrer später zu erfüllen hat, bild werden wollen“. „Lehrer“, so Herrpädagogen und Schulpsychologen liegen häufig unterschätzt. Und diese Anforderunmann, sind „Beziehungsarbeiter“. Das hört sollten. Denn um effektiv gegen den in der gen werden, sobald die Konsequenzen aus sich so einfach an. In Wirklichkeit aber ist Pisa-Studie festgestellten Bildungsnotder Pisa-Studie in die Tat umgesetzt sind, in das ein verdammt harter Job. ■ stand vorzugehen, wäre es notwendig, die der nächsten Zukunft mit Sicherheit nicht Lehrer von diesen oder von den immer umgeringer. fangreicher werdenden Verwaltungsaufga-

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Schwerpunkt: Von den neuen Chancen, Lehrer zu werden ARBEITSMARKT LEHRER

Schon lange standen die Job-Chancen für Lehrer nicht mehr so günstig: Die Zahl der neu eingestellten Lehrer war in den vergangenen Jahren rund eineinhalb mal so groß wie die der Absolventen, berichtet das Institut der Deutschen Wirtschaft. Noch konnten die Stellen mit den bislang nicht untergekommenen Absolventen der vergangenen Jahre besetzt werden. Aber die Situation ist in den Bundesländern unterschiedlich. Im Vergleich zu den alten wurden 2002 in den neuen Bundesländern sehr viel weniger Lehrer in den öffentlichen Schuldienst übernommen, im Grundschulund Primarbereich zum Teil überhaupt keine. Mittlerweile zeichnet sich – insbesondere in Nordrhein-Westfalen, Bayern und Baden-Württemberg – eine Entwicklung ab, bei der die Zahl auch der „auf Halde“ Examinierten die der offenen Stellen bei weitem nicht mehr erreicht: Bundesweit haben sich im Jahr 2001 fast 50.000 Abiturienten für ein Lehramtsstudium eingeschrieben – das sind immerhin 9.000 mehr als im Studienjahr 2000 und 14.000 mehr als im Jahr davor. Geht man nun davon aus, dass durchschnittlich jede oder jeder zweite auch ein Examen ablegt, könnten bis zum Jahr 2008 rund 25.000 neue Lehrer in den Klassenzimmern ihre Arbeit aufnehmen. Eine Zahl, die – so die Prognosen – weder in den alten noch in den neuen Bundesländern ausreichen wird. Die Studie „Teilzeitarbeit Schule in Deutschland bis zum Schuljahr 2015/16“ geht davon aus, dass allein in den alten Bundesländern bis zum Jahr 2010 einem Lehrerbedarf von 544.000 ein Lehrerbestand von 325.000 gegenüberstehen wird. Für das Jahr 2015 werden 494.000 Lehrer benötigt. Ausgebildet sind aber nur 204.000.

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Illustration: Schaad

Gleichung mit vielen Unbekannten

Diese Zahlen bedeuten nicht, dass ab sofort jeder Lehrer zu seiner Anstellung kommen wird. Es ist kaum davon auszugehen, dass die öffentlichen Haushalte dafür über ausreichende finanzielle Mittel verfügen. Deshalb gibt es auch andere Überlegungen, wie man mit diesen Tendenzen fertig werden könnte. So werden Klassen bereits wieder größer. In Hamburg beispielsweise versucht man dem Pädagogenbedarf mit Arbeitszeitmodellen entgegenzuwirken, im Rahmen derer die Arbeitszeit von Lehrern erhöht wird. Hierdurch will die Deputation der Behörde für Bildung und Sport 1.000 neue Arbeitsplätze einsparen. Das Modell soll zum kommenden Schuljahr eingeführt werden und auf Basis der 40-Stunden-Woche ein Jahresarbeitszeitkonto für die rund 16.000 Lehrer anlegen.

Prognosen und Schweinezyklus Jahrelang herrschte Überfluss an Lehrpersonal. Also warnten die Experten: „Studiert! Aber studiert bloß nicht auf Lehramt!“ Die Abiturienten hören auf den Rat – und nun werden Lehrer wieder knapp. Mit ei-

nem deshalb wieder ausgelösten Run auf das Lehramt können in ein paar Jahren wieder zu viele Lehrer die Hochschule verlassen – was wieder zur „Abschreckung“ führt. „Genaue Vorhersagen, die über den groben Bedarf von Lehrern hinausgehen, sind allerdings sehr schwierig“, sagt etwa der Essener Forscher Klaus Klemm, Autor der Studie „Teilarbeitsmarkt Schule in Deutschland bis zum Schuljahr 2015/16“. Das gelte auch für die Frage, welche Fächerkombinationen wann gebraucht würden: „Die Bedarfsrechnungen haben zu viele Unbekannte: die Fächerkombinationen der Studienanfänger, die Kassenlage der Kultusministerien oder neue bildungspolitische Schwerpunkte.“ ■

Wichtiger Hinweis: Eine Prognose der Kultusministerkonferenz (KMK) zum „Lehrereinstellungsbedarf der Zukunft“ für alle Bundesländer lag bei Redaktionsschluss noch nicht vor. Wir werden im abi-Webauftritt auf diese Prognose verweisen.

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Einstellungen in den öffentlichen Schuldienst Eingestellte Bewerber (Personen) nach Lehrämtern 1992 bis 2002 Jahr/ Land

Grundschule Primär/ bereich

Primärbereich/ Sekundärbereich I übergreifend

alle oder einzelne Schularten Sekundärbereich I

Gymnasien, Sekundärbereich II (allg. bild. Fächer)

1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002

1.620 1.454 2.069 2.519 2.744 1.403 2.026 2.255 3.794 4.011 3.072

3.785 4.551 3.357 2.501 2.624 2.103 2.926 3.858 5.218 5.169 4.476

1.676 2.019 3.050 2.340 2.465 2.387 2.830 3.531 5.198 5.594 4.541

3.108 3.230 3.313 3.647 3.488 3.276 4.229 5.751 8.165 8.944 8.015

BW BY BE BB HB HH HE MV NI NW RP SL SN ST SH TH

– 1.277 – 38 44 – 448 1 – 1.111 – – 107 46 – –

1.729 – 66 10 2 114 – 4 1.571 – 559 68 – 353 –

680 1.120 73 28 75 – 443 11 484 990 223 61 43 39 207 64

1.504 1.418 229 24 44 130 724 57 685 2.130 399 135 84 84 306 62

Lehrämter Berufl. Schulen, Sekundärbereich II (berufl. Fächer1)

Sonderschule

Fachlehrer

Lehrer für Fachpraxis

Seiteneinsteiger

Ingesamt

1.598 1.353 1.100 1.1011 1.216 1.530 1.515 1.537 2.292 2.182 2.313

455 328 321 279 343 298 415 510 932 548 494

80 208 23 233 128 185 296 523 487 651 610

– – – – – – – – – 845 1.142

13.930 14.561 14.870 14.405 14.888 12.904 16.490 20.350 29.109 330.584 26.863

190 233 45 18 33 26 252 7 409 743 148 19 80 36 65 9

215 161 1 – – 9 – 23 – 4 – – – 32 18 31

121 60 12 – 3 2 54 10 139 106 37 – – 22 – 44

207 69 62 – 5 16 – 5 67 550 45 4 59 24 5 24

4.991 4.577 568 141 244 351 2.102 135 3.716 6.076 1.567 352 397 305 1.086 255

Deutschland 1.608 1.418 1.637 1.785 1.880 1.722 2.253 2.385 3.023 2.640 2.200 Länder 2002

1

345 239 80 23 38 54 181 17 361 442 156 65 24 22 132 21

) Einschließlich Diplomhandelslehrern. Quelle: Statistische Veröffentlichungen der Kultusministerkonferenz 2003: Einstellung von Lehrkräften 2002

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Woher kommt der Lehrermangel?

„Bildung und Schule haben in Deutschland einen wesentlich geringeren Stellenwert als in anderen Ländern“, sagt Rainer Dahlem, Vorsitzender der Gewerkschaft Erziehung und Wissen Baden-Württemberg.

Zum einen war der Lehrerberuf lange Zeit schlicht unattraktiv. Steigende Anforderungen und die geringe Besoldung der Referendare kratzen am eigentlich positiven Image eines Lehrers. „Bildung und Schule haben in Deutschland einen wesentlich geringeren Stellenwert als in anderen Ländern“, sagt Rainer Dahlem, Vorsitzender der Gewerkschaft Erziehung und Wissen Baden-Württemberg. Und der Deutsche Lehrerverband bringt es in seinem Memorandum aus dem Jahr 2001 „Lehrermangel gefährdet den Bildungsstandort Deutschland“ auf den Punkt: „Der Beruf des Lehrers ist für viele leistungs- und karriereorientierte junge Erwachsene nicht lukrativ. Referendare und Lehramtsanwärter müssen sich im Lebensalter von knapp 30 Jahren am Rande des Existenzminimums mit monat-

lichen Anwärterbezügen von 700 bis 900 Euro begnügen. Junglehrer und Lehramtsassessoren bekommen zum Teil nur befristete und im Beschäftigungsumfang erheblich reduzierte Verträge angeboten.“ Zudem war die berufliche Aussicht für Lehramtsstudierende, später auch in ihrem anvisierten Beruf arbeiten zu können, lange Zeit so düster, dass immer mehr karriereorientierte Abiturienten dem Lehramtsstudium nichts abgewinnen konnten oder nach dem Staatsexamen doch lieber in die damals boomende ITBranche wechselten. Vor allem aber der zurzeit in den Lehrerzimmern stattfindende Generationswechsel führt zu einer immer intensiveren Suche nach Lehrern. Rund 750.000 Lehrer gibt es derzeit in Deutschland, etwa 110.000 Lehrer arbeiten an beruflichen Schulen. In den nächsten zehn bis 15 Jahren werden vermutlich rund 50 Prozent dieser Pädagogen pensioniert.

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P O R T R ÄT 1 : C H R I S T I A N M Ü L L E R

Mädchenfußball an der Grundschule

Vom Mittelalter über den Nationalsozialismus, vom Bau der Mauer bis zum Fall der Mauer reicht der Stoff in Sachkunde an der Grundschule.

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Grundschullehrer zu sein, das macht Christian Müller einfach Spaß. Aber seine Aufgaben lassen ihn auch am Wochenende nicht los.

Foto: Privat

Schwerpunkt: Von den neuen Chancen, Lehrer zu werden

Samstagmorgen: 10.00 Uhr. Christian Müller sitzt schon seit zwei Stunden am Schreibtisch. Seine Frau ist um acht zur Arbeit gegangen. Er will Zeit für sie haben, wenn sie mittags zurückkommt. Dann ist Wochenende und Pärchen-Shoppen angesagt. In der Früh war der Grundschullehrer produktiv und hat 25 Sachkundehefte durchgesehen und korrigiert. „Man kann nicht meckern“, stellt er fest. Seine vierte Klasse macht ihm Spaß – „das sieht alles ganz ordentlich aus“. Vom Mittelalter über den Nationalsozialismus, vom Bau der Mauer bis zum Fall der Mauer reicht der Stoff in diesem Schuljahr in Sachkunde. Das ist nicht anspruchslos für Zehnjährige. Im sozial ausgeglichenen Berliner Süden „geht das“, sagt er. Das Lernniveau ist weniger durchwachsen als in anderen Bezirken. Schüler, die in der vierten Klasse noch mit dem Lesen kämpfen, gibt es an der deutsch-griechischen Athe-

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ne-Grundschule in Lichterfelde-West nicht. Das Telefon klingelt. Ein Kollege ruft an. Er arbeitet an einer anderen Grundschule und hat dort ein Fußballturnier nach dem Vorbild der Europa-Meisterschaft organisiert, mit allem, was dazu gehört. Christian Müller möchte diese Idee an seiner Schule während der anstehenden Projektwoche umsetzen. „Ich muss von ihm wissen, wo man diese Fahnen herbekommt“, sagt er.

Aufgabe eines Grundschullehrers ist die grundlegende Bildung für alle Kinder. Gemeint ist die (Allgemein-)Bildung in allen wesentlichen Kulturbereichen zur allseitigen Persönlichkeitsentfaltung und die (Ausgangs-)Bildung für die differenzierten weiteren Bildungswege.

Alles außer Englisch Mathe und Sport hat er studiert. Heute unterrichtet er aber eigentlich alles außer Englisch, das in Berlin schon ab der dritten Klasse gegeben wird. Früher war Christian Müller selbst Profi-Fußballer bei Tennis Borussia und Blau Weiß 90. Er hat sogar in der zweiten Bundesliga gespielt und sich sein Studium damit finanziert. Das färbt ab, auch auf Mädchen. „Bei mir sind es meistens die Mädchen, die fra-

gen ‚Spielen wir wieder Fußball?‘“, sagt er und fährt fort: „Man muss das richtig machen, mit getrennten Jungen- und Mädchenmannschaften. Außerdem bekommen die Mädchen bei mir immer einen Volleyball. An dem harten Fußball tun sie sich die Füße weh, und der Volleyball fliegt gleich zehn, fünfzehn Meter. Das ist herrlich, wie die sich dann in den Armen liegen, wenn ein Tor fällt!“ ■

Schwerpunkt: Von den neuen Chancen, Lehrer zu werden P O R T R ÄT 2 : P E T E R S C H U L Z

Hauptschullehrer „mit Funktion“ Manche Lehrer unterrichten nicht nur, sie haben auch eine „Funktion“. So wie Peter Schulz. etwas erreichen will, dann komme es auf den Respekt an: „Wenn sie jemand ernst nimmt, das verstehen sie sofort.“

Neue Aufgaben Was eine Funktionsstelle genau ist, wird in den Landesbildungsgesetzen definiert. Es gibt Unterschiede – je nach Bundesland und Schulart. Hier nur das Wichtigste in Kürze: Funktionsstellen bekommt man als Lehrer nach einer Beförderung. An Grund-, Haupt-, Real- und Gesamtschulen gibt es sie nur auf Leitungsebene. Funktionsstellen sind Fachleiter-, Konrektoren- und Rektoren- beziehungsweise Direktorenstellen an Gesamtschulen. An Gymnasien und beruflichen Schulen gibt es mehr Möglichkeiten, Funktionsstellen zu besetzen, etwa im Seminarbereich oder für Koordinationsaufgaben. Funktionsstellen bringen außer Titeln auch neue Aufgaben und zusätzliches Geld. Für jeden, der eine Funktionsstelle übernimmt, fallen mit Sicherheit mehr Verwaltungstätigkeiten an. Die Fachbetreuer oder Fachbereichsleiter beispielsweise beraten und unterstützen Schulleitung und Lehrkräfte in fachlichen, didaktischen und methodischen Fragen. So wirken sie bei der Unterrichtsorganisation mit, teilen die Klassen ein, gestalten Stundenpläne und erstellen Lehr- und Stoffverteilungspläne. ■

P O R T R ÄT 3 : N I C O L E F I S C H B A C H

Nicole Fischbach wollte ganz gezielt Lehrerin an einer Berufsschule werden. Wenn sie recht überlegt, war das der Grund, warum sie nach dem Abitur zunächst eine Ausbildung zur Industriekauffrau gemacht hat, weiteres Schulbankdrücken inklusive. Mit dieser Vorbildung kann sie sich jetzt in ihre Schüler besser hineinversetzen. Man hat eine „gemeinsame Basis“.

Foto: Privat

Peter Schulz ist im letzten Sommer Konrektor einer Haupt- und Realschule geworden. Er hat damit eine Funktion im Gesetzessinn. Als Konrektor ist er für Vertretungs-, Raum- und Stundenpläne verantwortlich. Deswegen muss er schon um 7.15 Uhr in der Schule sein, um auf Krankmeldungen von Kollegen reagieren zu können. Außerdem kontrolliert er einmal im Vierteljahr die Klassenbücher. „Das sind schließlich Dokumente!“ Peter Schulz ist so etwas wie der Innenminister der Schule. Er hält den Betrieb am Schnurren. Mit eigenen Worten beschreibt er das so: „Der Rektor steht auf der Brücke und bestimmt den Kurs. Wer innen schwitzt, das ist sein Stellvertreter.“ Peter Schulz hat vorher schon Einiges gemacht, was ihn für diese Stelle besonders qualifiziert: Er war etwa im Hessischen Kultusministerium zuständig für ein „Förderprogramm für Schulen mit hohem Zuwandereranteil“. In diesem Zusammenhang hat er Türkisch gelernt, auch weil er mitbekommen wollte, was seine Schüler in der Pause reden und warum sie bestimmte Fehler im Deutschen machen. Multinationale Klassen sind gerade in Hauptschulen nicht selten und das Verständnis für Schüler, die anderen Kulturkreisen entstammen, bringt einen entscheidenden Vorteil für die Lehrer. Peter Schulz sagt, wenn er als Lehrer bei Jugendlichen aus den so genannten schwierigen Verhältnissen und ohne geregeltes Leben

Peter Schulz ist im letzten Sommer Konrektor einer Haupt- und Realschule geworden.

Aufgabe eines Hauptschullehrers ist die Befähigung der Schüler zu einer verantwortlichen Gestaltung des Lebens und zur Wahrnehmung von Rechten und Pflichten in der Gesellschaft. Ab der Jahrgangsstufe sieben werden die Schüler schrittweise an die Berufs- und Wirtschaftswelt herangeführt. Im Vordergrund stehen selbstständiges Lernen, Problemlösen, Denken in Zusammenhängen, aber auch Leistungs- und Einsatzbereitschaft, Belastbarkeit, Durchhaltevermögen, Pflichtbewusstsein, Zuverlässigkeit sowie die Bereitschaft und Fähigkeit zur Zusammenarbeit.

Englisch an der Berufsschule

Obwohl sie schon am Gymnasium einen Englisch-Leistungskurs besucht hatte, hat sie an der Berufsschule „Englisch noch mal ganz praxisnah gelernt“. Die Zeit war fruchtbar und hat ihre Ziele geprägt. Inzwischen hat die 28-Jährige Referendarin das Studium hinter sich und arbeitet am Oswald von Nell-Breuning-Berufskolleg im westfälischen Coesfeld. Zwölf Stunden gibt sie in

Englisch und Wirtschaft. Sechs davon gestaltet sie allein, die anderen sechs sozusagen unter Beobachtung eines erfahrenen Lehrers. Lehrproben hat sie auch schon reichlich hinter sich. „Ich habe damit überhaupt kein Problem“, sagt sie. „Die meisten liefen super.“ Eine Stunde lief weniger glatt. „Das muss man händeln können.“ Das zweite

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Examen steht ihr noch bevor, und die Staatsarbeit liegt bereits auf ihrem Schreibtisch. In der Schulzeit kommt sie nur selten dazu, daran zu arbeiten. Das Gerüst steht allerdings schon. Der Titel auch: „Maßnahmen zur Motivations- und Kommunikationsförderung im Englischunterricht am Beispiel einer Mittelstufenklasse.“

Spielerisch Englisch lernen

Ein wichtiger Teil ihres Jobs an der Berufsschule: Schüler zum Englischsprechen bringen.

Illustration: Schaad

Schüler zum Englischsprechen zu bringen ist ein wichtiger Teil ihres Jobs. Angehende Zahnarzthelferinnen beispielsweise lernen im Rollenspiel, wie man einem englischsprachigen Patienten weiterhilft. Außerdem müs-

sen sie im Unterricht zahnmedizinische Lektüre auf Englisch verdauen. Auf einer Fachmesse hat sich die Referendarin solche „authentischen Materialien“ besorgt. Nicole Fischbach unterrichtet auch eine elfte Klasse in der „Gym“. So nennen die Kollegen den gymnasialen Zweig der Schule. Die Richtlinien in Nordrhein-Westfalen schlagen für diese Oberstufenschüler das Thema Jugendkultur, youth culture, vor. So angeregt hat Nicole Fischbach eine Unterrichtsreihe über so genannte school shootings, Schüler-Attentate in Deutschland und den USA, entwickelt. Das bewegt die Schüler. Sie diskutieren intensiv. Und immer auf Englisch. ■

Foto: Privat

Schwerpunkt: Von den neuen Chancen, Lehrer zu werden

Aufgabe eines Berufschullehrers ist es, dem Auszubildenden neben einer vertieften und erweiterten Allgemeinbildung im Zusammenhang mit dem zukünftigen Beruf jene fachtheoretischen Kenntnisse zu vermitteln, die für diese Berufe unmittelbar erforderlich sind, zum anderen auch fachpraktische Fertigkeiten zu vermitteln.

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Marius Gottgetreu: „Irgendwann in der Zehnten hatte ich ein klares Ziel: Ich werde Englisch- und Sportlehrer. Aber davon bin ich abgekommen, wegen der Stresssituation, der man in diesem Beruf ausgesetzt ist, wenn man Tag für Tag mit den ganzen Schülern zu tun hat. Diese Probleme kenne ich zur Genüge von mir selbst: Früher war ich immer der kleine Rebell. Mittlerweile bin ich mit den Lehrern, mit denen ich mich früher gezofft habe, auf einem ganz guten Kommunikationslevel: Lehrer sind halt auch nur Menschen.“ Foto: Stephan Wengenroth / con.Text

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Christoph Fäustle: „Ich habe schon darüber nachgedacht, Lehrer zu werden. Die Ferien, die Möglichkeit, sich den Tag freier einteilen zu können, sind nicht schlecht. Außerdem macht mir die Schule Spaß, immer noch. Ich habe keine schlechten Erfahrungen mit Lehrern gemacht und kann mir gut vorstellen, dass es immer wieder ein kleines Erfolgserlebnis ist, wenn man anderen etwas beibringen kann. Also Lehrer ist ganz klar eine Option für mein Studium. Welche Fächer ich wählen würde, da habe ich allerdings noch keine Ahnung. Aber jetzt ist bei mir erst mal Zivildienst angesagt.“

Ist der Beruf des Lehrers für Sie attraktiv?

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P O R T R ÄT 4 : S I M O N E J E T T E R

Gymnasiallehrerin für den Kapier-Effekt

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Claudia Lauseker: „Wenn, dann überhaupt nur Grundschullehrerin. Da sind die Kinder noch angenehmer, noch interessierter an der Schule. Lieber will ich aber Mediengestalterin werden. Als Lehrerin könnte ich mit den Schülern nicht richtig umgehen, glaube ich. Auch wüsste ich gar nicht, welches Fach ich nehmen sollte. Und dann müsste ich jedes Jahr doch immer wieder dasselbe erzählen. Fachlich kommen zwar immer mal wieder neue Sachen dazu, zum Beispiel die Gentechnik in Bio, aber trotzdem. Ich bin froh, wenn die Schule vorbei ist!“

„Der Groschen soll fallen!“ Verstehen aber braucht Zeit, gerade in Mathe. „Bis der Kapier-Effekt eintritt, das dauert“, sagt Simone Jetter. Und wie erreicht man das? „Indem man die Themen langsam und gemeinsam erarbeitet.“ Sie spricht diesen Satz Wort für Wort und in einem zögernden Bogen. Man merkt dabei ein bisschen, wie sie denkt: In vielen kleinen Schritten, ohne den Faden zu verlieren und auf der Suche nach einem Ziel. Ihre Gymnasiasten können in dieser Beziehung viel von ihr lernen, denn die Mathelehrerin will nicht, dass die Schüler bloß nachahmen, was sie vormacht, und dann stupide üben. Der Groschen soll fallen. „Wenn einer sagt ‚Jetzt hab‘ ich’s‘ – da gehe ich glücklich nach Hause“, sagt sie. ■

Sebastian Pregl: „Lehrer? Nee! Ich verliere leicht die Nerven, bin nicht so der geduldige Mensch. Ich bin nicht der Typ, der Druck ausüben kann auf die Schüler, wenn es einmal zu stressig wird. In den älteren Klassen würde es vielleicht gehen, aber bei den Kleinen. Ich hab schon mal vorgehabt, aufs Konservatorium zu gehen. Ich spiele nämlich zwei Instrumente. Dann würde die Ausbildung doch in Richtung Pädagogik gehen. Das habe ich mir inzwischen wieder anders überlegt. An und für sich ist es nicht dumm, Lehrer zu werden. Die sind schon ganz o.k. Aber das ist nicht mein Ziel!“ Foto: Stephan Wengenroth / con.Text

Die Tasche ist zu schwer. Deswegen fährt Simone Jetter mit dem Auto zur Schule. Chemielehrer sind halt bepackt: Bücher, Kreide, Folien, Stifte, Versuchsmaterialien … Und Frühaufsteher müssen sie auch noch sein, wie alle Lehrer. Um sechs Uhr beginnt der Tag, um 7.30 Uhr der Unterricht. Simone Jetter ist mit einem ganzen Schwung junger Lehrer ans Immanuel-KantGymnasium in Tuttlingen gekommen und unterrichtet dort die Fächer, die ihr schon als Schülerin am meisten lagen: Mathe und Chemie. „Das hätte ich stundenlang machen können“, sagt die 28-Jährige. Ob bewusst oder unbewusst, mit solchen Voraussetzungen ist sie das ideale Vorbild für ihre Schüler.

Im Zentrum: Themen langsam und gemeinsam erarbeiten.

Aufgabe eines Gymnasiallehrers ist es, Schüler zu einer breiten und vertieften Allgemeinbildung zu führen und die allgemeine Studierfähigkeit zu ermöglichen. Er bereitet die Schüler darauf vor, selbstständig über ihre Studien- und Berufswahl zu entscheiden und selbständig und verantwortlich am Arbeits- und Wirtschaftsleben teilzunehmen. Neben der Fähigkeit, theoretische Erkenntnisse nachzuvollziehen, schwierige Sachverhalte und abstrakte Zusammenhänge zu verstehen, zu ordnen und verständlich darzustellen, stellt der Umgang mit der Muttersprache und mit fremden Sprachen in Wort und Schrift ein besonderes Anliegen des Gymnasiums dar. Das Gymnasium fördert die Entfaltung gefühlsmäßiger und schöpferischer Kräfte sowie die Ausbildung sozialer und gesellschaftlicher Wertvorstellungen.

Sabine Kuhn: „Sicherer Arbeitsplatz, sicheres Einkommen als Beamter, das macht den Job eines Lehrers für mich attraktiv. Außerdem kann man sich Fächer aussuchen, die einen interessieren, sich da voll einbringen und andere dafür begeistern. Andererseits gehen Lehrer – und die haben sicher mal mit viel Engagementangefangen – oftauch am Alltag mit den Schülern kaputt. Mich reizt der Umgang mit Menschen, das Weitergeben von eigenem Wissen. Doch das muss nicht in der Schule sein. Als Lehrer für Fortbildungen in Firmen zum Beispiel oder als Dozent an der Uni, das kann ich mir gut vorstellen. Da wissen meine Schüler schon, für was sie das lernen und was sie wollen. Und das Ganze nennt sich dann „Coach“ oder so ähnlich. Klingt doch echt gut, oder?“ Foto: Stephan Wengenroth / con.Text

Lernen lernen und die Dinge verstehen: Eines der zentralen Ziele am Gymnasium. Simone Jetter setzt darauf, dass der „Groschen fällt“.

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Schwerpunkt: Von den neuen Chancen, Lehrer zu werden DAS LEHRAMTSSTUDIUM

Über tausend Ausbildungswege Wie viele Lehramtsstudiengänge hat das Land? Fünf, zehn oder 20? Selbst Fernsehmillionärsanwärter würde diese Frage zum Schwitzen bringen. Denn tatsächlich sind es 1.305 Ausbildungswege, die an deutschen Hochschulen ins Lehramt führen. Sie springen über Tische und Bänke, erzeugen einen Lärmpegel wie bei 38 Grad im Freibad, wackeln hibbelig mit dem Stuhl und sind konzentriert damit beschäftigt, hinter dem Rücken des Lehrers ein spannendes Alternativprogramm zum Unterricht zu entwickeln. Für manchen Referendar ist das ein Schock. Schon oft mussten pädagogische Neuankömmling feststellen: Lehrersein ist aus der Lehrerperspektive etwas völlig anderes als aus der Schülerperspektive. Drum prüfe, wer den vermeintlichen Vorbildern nacheifern möchte: Wenig ratsam ist es, sich aus Mangel an Fantasie „einfach so auf Lehramt” einzuschreiben. Denn die Bewährungsprobe kommt, wenn auch spät. Nach dem Examen muss man unter Real-Bedingungen im Referendariat als Lehrerpersönlichkeit bestehen. Gerald Meise, Studienberater beim Arbeitsamt Berlin-Mitte, gibt einen einfachen Tipp und empfiehlt, bereits vor der Entscheidung fürs Lehramt öfter mal die Klassen-Perspektive zu wechseln und ein Referat zu halten.

Üben, üben, üben … Auch während des Studiums nutzen zu wenige Studierende die bestehenden Chancen, die Rolle des Lehrers zu üben. Mit Kindern und Jugendlichen umgehen und unterrichten ist natürlich auch und vor allem Übungssache. Daher sollten angehende Lehrer mehr freiwillige Hospitationen ableisten und im außerschulischen Bereich zum Beispiel Jugendgruppen leiten, Kurse in Häusern der Jugend übernehmen oder Reisen mit Jugendlichen begleiten. Wer erlebt hat, wie es ist, vor einer solchen Gruppe zu bestehen, weiß, dass Nachhilfe mit einzelnen Schülern nicht ausreicht, um sich für den Beruf des Lehrers vorzubereiten. Spannend ist jetzt natürlich die Frage: Welcher Studiengang von den vielen ist der

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richtige? Die Lehramtsstudiengänge unterscheiden sich zunächst einmal nach den Schultypen. Sie splitten sich also auf in Studiengänge für Grund-, Haupt- und Realschulen sowie Gymnasien, berufliche Schulen und Sonderschulen. Wer nach Abitur und Studium vor die Klasse treten will, muss sich zunächst gründlich schlau machen: Welche Fächerkombinationen kann ich wo für welchen Schultyp studieren? Welche Voraussetzungen gibt es? Wie sind Fachstudium und pädagogische Ausbildung gewichtet? Sind Praktika vorgeschrieben? Welche Schwerpunkte werden in den einzelnen Fächern ausgebildet? Gibt es Kooperationen mit Partner-Universitäten im Ausland? Und so weiter.

Heterogen durch Föderalismus Interessant könnte auch sein, ob Leistungen anerkannt werden, wenn ein Wechsel an eine Universität oder Ausbildungsschule in einem anderen Bundesland geplant ist. Denn grundsätzlich gilt: Alles ist überall anders. „Die Ausbildungen sind sehr heterogen strukturiert”, sagt Gerald Meise. Das liegt am deutschen Föderalismus. „Nicht zwei Bildungsgesetze gleichen einander. Und überall gibt es Besonderheiten”, so der Mann beim Arbeitsamt. „Unverzichtbar sind für Studienanfänger daher die aktuellen Informationen des Ministeriums und der Hochschulen des jeweiligen Bundeslandes”, sagt Sabine Kimmler-Schad vom Landesinstitut für Erziehung und Unterricht in Stuttgart. Sie bieten die Arbeitsbasis. Diese Unterlagen besorgt man sich bei den Studienberatungen der Universitäten oder bei den Pädagogischen Hochschulen. Letztere gibt es – das ist auch so eine Besonderheit – nur noch in Baden-Württemberg. Die meisten Prüfungsordnungen sind auch im Internet zu finden. Der bunte deutsche Bildungsgarten hat für Lehramtler unter Umständen weitreichende Folgen. So muss man sich gut über-

legen, in welchem Land man sein Examen macht. Denn dort hat man später die besten Chancen auf einen Referendariatsplatz. Die Bildungsministerien sehen sich in der Pflicht für „ihren” Nachwuchs. Außerdem kann, wer an Universitäten in verschiedenen Bundesländern studieren möchte, leicht Probleme mit der Anerkennung der Leistungen bekommen. „Ein Wechsel von einem Bundesland in ein anderes ist sowohl nach dem Ersten als auch nach dem Zweiten Staatsexamen bei Erfüllung bestimmter Voraussetzungen grundsätzlich möglich”, sagt Sabine KimmlerSchad. „Es wird aber empfohlen, das Studium in dem Bundesland zu absolvieren, in dem die spätere Lehrertätigkeit angestrebt wird.”

Geographische Einschränkung Eine geographische Einschränkung in der Ausübung des Berufs ist also mehr oder weniger programmiert. Und da es nicht für alle neuen Lehrer Jobs in den beliebten UniStädten wie Hamburg, Köln oder Freiburg gibt, ist eine spätere Tätigkeit in Radevormwald oder Lippstadt-Wadersloh statistisch gesehen nicht unwahrscheinlich. So werden mit der Einschreibung an einer bestimmen Uni nicht nur Studien-, sondern möglicherweise auch zentrale Lebensweichen gestellt. Dabei richtet sich die jeweilige Gemengelage immer ein bisschen nach der Konjunktur. Aktuell sei es angesichts des Lehrermangels relativ leicht, „von einem xbeliebigen Bundesland in ein anderes zu wechseln”, sagt Dr. Lutz Baumann, Akademischer Direktor am Fachbereich Philosophie in Mainz. Der Erfolg hängt hier jedoch auch von der persönlichen Fächer-Kombination ab, die im Zielbundesland „gesucht” sein muss. Baumann ist Initiator des ersten deutschfranzösischen Lehramtsstudiengangs an der Johannes- Gutenberg-Universität Mainz, der auch ein Referendariat in Frankreich ermöglicht.

Schwerpunkt: Von den neuen Chancen, Lehrer zu werden

Die Qual der Wahl: Welche Lehrämter gibt es? Kleine Kinder, große Kinder, Jugendliche oder junge Erwachsene? Das Spektrum der Lehrämter splittet sich in Altersgruppen und Leistungsniveaus. Eine Ausnahme bilden die beruflichen Schulen. Hier gibt es eine Vielfalt von Schulformen. Lehramt an Grundschulen Studium: an Universitäten oder Pädagogischen Hochschulen (Baden-Württemberg). Referendariat: in der Regel 24 Monate (Baden-Württemberg 3 Schulhalbjahre).

Lehramt an Sonderschulen bzw. für Sonderpädagogik An Sonderschulen bzw. Förderschulen werden sinnesgeschädigte, sprachbehinderte, geistig behinderte, körperbehinderte, lernbehinderte und verhaltensauffällige Kinder und Jugendliche unterrichtet. In den meisten Ländern können Kinder mit Behinderungen an allgemein bildenden Schulen unterrichtet werden – mit sonderpädagogischer Unterstützung. Studium: in der Regel mindestens achtsemestriges grundständiges Studium, das in den meisten Ländern der Bundesrepublik Deutschland angeboten wird; in einigen Ländern wird die Ausbildung als Zusatz- oder Aufbaustudium im Anschluss an die Ausbildung für das Lehramt an Grund- oder Hauptschulen beziehungsweise Primarstufe oder Sekundarstufe möglich (Brandenburg: nur als Ergänzungsstudium). Referendariat: in der Regel 24 Monate (Baden-Württemberg drei Schulhalbjahre, Rheinland-Pfalz 18 Monate); nach einem Aufbau- bzw. Zusatzstudium kann in bestimmten Fällen im Anschluss an eine bereits abgeschlossene Lehrerausbildung das Referendariat entfallen.

Lehramt an Hauptschulen Studium: findet an Universitäten oder an Pädagogischen Hochschulen statt. Referendariat: in der Regel 24 Monate (Baden-Württemberg drei Schulhalbjahre, Niedersachsen 18 Monate, Rheinland-Pfalz 18 Monate, Schleswig-Holstein vier Schulhalbjahre).

Lehramt an Realschulen (Sekundarstufe I) und an entsprechenden Schulformen Studium: findet, soweit es nicht mit dem Studium für das Lehramt an Grund- und Hauptschulen verschmolzen ist, an Pädagogischen Hochschulen oder Universitäten statt; für musisch-künstlerische Fächer auch an Kunstund Musikhochschulen. Daneben besteht auch noch die Möglichkeit, nach beendeter Ausbildung für das Lehramt an Grund- und Hauptschulen durch ein Aufbaustudium die Lehrbefähigung an Realschulen zu erlangen (nicht in Baden-Württemberg, Bayern, Hessen, Saarland und Thüringen; in Rheinland-Pfalz „Realschullehrerprüfung" nur für beamtete Grund- und Hauptschullehrer). Referendariat: in der Regel 24 Monate (Baden-Württemberg drei Schulhalbjahre, Rheinland-Pfalz und Niedersachsen 18 Monate, Schleswig-Holstein vier Schulhalbjahre).

Lehramt an Gymnasien (Sekundarstufe I und II) Studium: an Universitäten, für die künstlerischen Fächer auch an Hochschulen für Musik oder bildende

Praxisschock Referendariat Schule, das kennt man doch! Oder doch nicht?! Wer als Lehramtler im Referendariat erstmals vor einer Klasse steht, macht oft eine ernüchternde Erfahrung: LehrerSein aus Lehrer-Perspektive ist etwas ganz anderes als Lehrer-Sein aus Schüler-Perspektive. Wie bereite ich den Stoff auf, damit die Schüler mitziehen? In welchen Schritten lassen sich Lehrinhalte am besten vermitteln? Und nicht zuletzt: Wie komme ich persönlich überhaupt bei den Schülern an? All das sind Fragen, die die Anfangszeit der Referendare prägen. Und dabei sind es nicht nur die Schüler, die die Referendare auf Herz und Nieren prüfen. Regelmäßig muss der Lehramtskandidat so genannte Lehrproben abhalten, die zunächst schriftlich ausgearbeitet und dann „live“ vor und mit der Klasse abgehalten werden. In der letzten Reihe sitzen dann der Mentor, also der betreu-

Künste (Aufnahmeprüfung!), für das Fach Sport auch an der Sporthochschule Köln. Referendariat: in der Regel 24 Monate (in Baden-Württemberg für Studienanfänger seit dem Sommersemester 2001 drei Halbjahre; in Sachsen und Schleswig-Holstein vier Schulhalbjahre).

Lehramt an beruflichen Schulen (Sekundarstufe II) Im beruflichen Schulwesen gibt es eine Vielfalt von Schulformen, die teilweise in den Ländern unterschiedliche Bezeichnungen tragen: Berufsschule einschließlich Berufsgrundschuljahr, Berufsgrundbildungsjahr bzw. Berufsvorbereitungsjahr, Berufsfachschule, Berufsaufbauschule, Fachschule, Fachakademie, Fachoberschule, Berufsoberschule, Fachgymnasium und berufliches Gymnasium (Fachgymnasium); diese wiederum gliedern sich in eine Vielzahl von Bildungsgängen innerhalb der verschiedenen Berufsfelder. Studium: achtsemestriges Studium, zum Teil mit anschließendem Prüfungssemester, einer einjährigen betriebspraktischen Tätigkeit und einem zweijährigen Vorbereitungsdienst (Referendariat). Der Studiengang zum Diplom-Handelslehrer umfasst ein achtsemestriges Studium der Wirtschaftspädagogik (Voraussetzung für die Einstellung in den Vorbereitungsdienst/das Referendariat ist in der Regel eine Gleichsetzung dieser Prüfung mit einer Ersten Staatsprüfung. Ein früher häufiger Weg über ein achtsemestriges Fachstudium und eine zusätzliche pädagogische Ausbildung während des Vorbereitungsdienstes (Referendariats) ist nur noch in wenigen beruflichen Fachrichtungen möglich, dann nämlich, wenn Bewerber mit Lehramtsstudium nicht in ausreichender Zahl zur Verfügung stehen. Referendariat: in der Regel 24 Monate (in Sachsen und Schleswig-Holstein vier Unterrichtshalbjahre, in BadenWürttemberg für Studienanfänger/innen seit dem Sommersemester 2001 drei Halbjahre).

Bachelor- und Masterstudiengänge fürs Lehramt? Derzeit werden in einigen Bundesländern neue Lehrerausbildungskonzepte entwickelt. Einzelne Hochschulen, beispielsweise die Universität Greifswald, haben bereits mit der Erprobung „gestufter Lehramtsstudiengänge" begonnen. In Nordrhein-Westfalen startet zum Wintersemester 2002/2003 ein Modellversuch mit gestuften (konsekutiven) Studiengängen in der Lehrerausbildung. Beteiligt sind die Universitäten Bielefeld und Bochum. Zugangsbedingung ist die allgemeine oder fachgebundene Hochschulreife. Das Studium gliedert sich hier in eine dreijährige Bachelor-Phase, die außer den Fachstudien (zwei Fächer) Studienelemente enthält, die auf eine künftige Tätigkeit im Berufsfeld Vermittlungs-/Lehrberufe vorbereiten, sowie in eine darauf aufbauende ein- oder zweijährige MasterPhase, die auf die Tätigkeit als Lehrer/in an bestimmten Schulformen vorbereitet. Die Anerkennung der MasterAbschlüsse im Modellversuch als Erste Staatsprüfung ist durch die Kultusministerkonferenz zugesagt worden.

ende Lehrer an der jeweiligen Schule und der Fachleiter. Der Fachleiter ist der Ausbilder am „Seminar“, das der Referendar parallel zur Ausbildung an seiner Unterrichtsschule besuchen muss. Hier werden in den meist wöchentlichen Seminar-Sitzungen insbesondere Fragen der Unterrichtsmethodik behandelt. Insgesamt hat die praktische Ausbildungsphase vor allem ein Ziel: Der Referendar muss zeigen und beweisen, dass er das an der Universität erworbene Fachwissen in den realen Anforderungen einer alltäglichen Schulsituation adäquat umsetzen kann. Diese Fähigkeit wird bei den Lehrproben getestet und benotet. Da die Berufspraxis für den Lehramtskandidaten neu ist und viel für seinen weiteren Berufsweg vom Erfolg der Referendarszeit abhängt, schlägt sich manch einer bei der Vorbereitung die Nächte um die Ohren. Auf jeden Fall dauert die Vorbereitung einer Unterrichtsstunde wesentlich länger als die Stunde selbst.

!nfo Bundesverband der Lehrerinnen und Lehrer an beruflichen Schulen e.V. http://www.blbs.de Gewerkschaft Erziehung und Wissen http://www.gew.de Verband Erziehung und Bildung http://www.vbe.de Deutscher Lehrerverband http://www.lehrerverband.de Kultusministerkonferenz http://www.kmk.org BERUFEnet Datenbank für Ausbildungs- und Tätigkeitsbeschreibungen der Bundesanstalt für Arbeit http://berufenet.arbeitsamt.de Studienvorbereitung online Unerlässlich zur Orientierung über die bundesweit unterschiedlich strukturierten Studiengänge: KURS Datenbank für Aus- und Weiterbildung der Bundesanstalt für Arbeit http://www.arbeitsamt.de/cgi-bin/aoWebCGI?kurs Studien- und Berufswahl Online-Dienst der Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung und Forschungsförderung und der Bundesanstalt für Arbeit mit Informationen zu Studium und Beruf http://www.studienwahl.de Hochschulkompass der Hochschulrektorenkonferenz mit Informationen zu grundständigen und weiterführenden Studiengängen http://www.hochschulkompass.de Zentrale Studienberatung der Ruhr-Universität Bochum Informationen zur reformierten Lehrerausbildung http://www.ruhr-unibochum.de/studienbuero/lehramt.htm Hilfe für Lehramtsstudierende der Bergischen Universität Wuppertal Informationen zum Lehrerberuf und zur Ausbildung http://www.lehramt-hilfe.uniwuppertal.de/index.html

Am Schluss der Referendariatsausbildung, die – je nach Bundesland – zwischen 18 und 24 Monaten dauert, steht dann noch das zweite Staatsexamen – der didaktische Ritterschlag. Wieder gibt es Noten. Neben der Bewertung des Unterrichts fließt das Ergebnis dieser Arbeit in die Endnote ein. In der zweiten Staatsarbeit stellt der Referendar in der Regel eine Unterrichtsreihe in einer bestimmten Klasse oder Stufe dar. Er beschreibt und begründet deren didaktischen Aufbau und wertet die Ergebnisse aus. Sein Thema darf er selbst wählen. Denn trotz allem Druck und aller Belastungen sind die eigene Persönlichkeit und die eigenen Ideen in der Referendariatszeit gefragt. Übrigens: Auch darauf muss man sich gefasst machen. Es kann durchaus passieren, dass man erst wenige Tage vor Unterrichtsbeginn erfährt, an welcher Schule man eingesetzt wird.

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