REPORT. Pfade. Verschlungene. MARKETING Viele Unternehmenforcieren die lokaleaussteuerung ihrer Kampagnen

November 22, 2017 | Author: Dirk Kirchner | Category: N/A
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1 29 HORIZONT 36/ September 2015 REPORT MEDIASTRATEGIE2016 FOTO:COLOURBOX MARKETING Viele Unternehmenforcieren die loka...

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REPORT HORIZONT 36/2015

29

3. September 2015

www.horizont.net/report

MEDIASTRATEGIE 2016

FOTO: COLOURBOX

MARKETING Viele Unternehmen forcieren die lokale Aussteuerung ihrer Kampagnen SEITE 34

AGENTUREN Vizeum-Chefin Katja Brandt im Interview über Transparenz und Google SEITE 38

MEDIEN Experten bewerten im HORIZONT-Mediacheck Zeitschriften-Relaunches SEITE 42

Verschlungene M E D I A A G E N T U R E N Z W I S C H E N T R A N S PA R E N Z FORDERUNGEN UND UNDURCHSICHTIGEN GESCHÄFTSPRAKTIKEN SEITE 32

Pfade

30 REPORT MEDIASTRATEGIE 2016

HORIZONT 36/2015

„Es gibt keine Alternative zur digitalen Transformation. Als Unternehmen befinden Sie sich heute entweder in einem TurnaroundProzess oder Sie sind ein Start-up“

ZUM THEMA

Schneller

Eine regionale Tageszeitung wollen längst nicht mehr so viele Menschen lesen wie früher – regionale Informationen aber haben bis heute nichts von ihrer Relevanz eingebüßt. Das weiß kaum jemand besser als die Analysten der Suchmaschine Google. Mehr als ein Fünftel der Suchanfragen, die dort getätigt werden, haben einen lokalen Bezug. Und wie in anderen Bereichen auch hat der Internetkonzern längst darauf reagiert. Er bietet Werbungtreibenden verschiedene, teils kostenlose, teils kostenpflichtige Möglichkeiten an, dort präsent zu sein, wo potenzielle Kunden Ausschau nach ihnen halten. Daran wird der Unterschied zwischen digitalen Playern und alteingesessenen Verlagshäusern deutlich: Die einen reagieren, und zwar schnell. Die anderen warten ab, erhöhen den Copypreis und gestehen sich erst nach langer Zeit ein, dass das auch nicht zum gewünschten Ausgleich führt. Dabei mangelt es ja nicht an kreativen Ideen in den Medienhäusern. Sie werden nur oft so langsam und spät umgesetzt, dass wertvolle Zeit verrinnt. Nicht nur das Netz verlangt Geschwindigkeit. Auch von Print wird in digitalen Zeiten schnelles Handeln erwartet.

Bettina Sonnenschein Ressort Specials

3. September 2015

INHALT Agenturen: Wie krank ist das deutsche Mediasystem? 32 Marketing: Werbekunden steuern Kampagnen zunehmend regional aus. 34 Print: Zeitungen müssen gezielt digitale Brücken bauen. 36 Medien: Objektleiter Ulrich Toholt über das Erfolgsrezept von „Landlust“. 37 Interview: Vizeum-Chefin Katja Brandt spricht über Google und Transparenz. 38 Mediawährungen: In der Nutzungsrealität hinkt Online noch hinterher. 40 Umfrage: Was bringt endlich den weitreichenden Durchbruch für Mobile? 41 Mediacheck: Experten bewerten den Relaunch von Zeitschriften. 42 Know-how: Zeitung wird immer öfter digital gelesen. 44 Fernsehen: Adressable TV spricht exakt gewählte Zielgruppen an. 44

HORIZONTREPORT ist ein Sonderteil von HORIZONT, Zeitung für Marketing, Werbung und Medien

Chefredaktion: Dr. Uwe Vorkötter (V.i.S.d.P.), FOTO: ER ICH DU

Volker Schütz, Jürgen Scharrer Ressortleitung: Dr. Jochen Zimmer Telefon 069/7595-2695 E-Mail: [email protected] Redaktion: Bettina Sonnenschein, Anna Lisa Lüft, Giuseppe Rondinella

Katja Brandt, CEO Vizeum Deutschland, über das Mediabusiness und Transparenz Seite 38

Im Fokus: Freizeitbeschäftigungen Die liebste Freizeitbeschäftigung der Deutschen ist und bleibt das Fernsehen – und das seit 25 Jahren. Zu diesem Ergebnis kommt der „Freizeit-Monitor 2015“. Für die jährlich stattfindende Untersuchung befragte die BAT-Stiftung für Zukunftsfragen 2000 Personen ab 14 Jahren in persönlichen Interviews zu ihrem Freizeitverhalten. Nicht nur an der Spitzenposition hat sich seit 1990 nichts verändert, auch auf den Plätzen 2 und 3 landen mit Radio hören und Telefonieren echte Dauerbrenner, die in den vergangenen Jahrzehnten ebenfalls weit vorne lagen. Und die Dominanz der Medien setzt sich fort: Das Internet spielt eine immer wichtigere Rolle im Leben der Deutschen. Mittlerweile sind fast Dreiviertel der Deutschen regelmäßig im Netz. Im Vergleich zur Befragung im Jahr 2010 verbessert sich Online im Ranking um 25 Prozent und liegt nun auf dem 4. Platz der beliebtesten Freizeitbeschäftigungen. Damit überholte es zum ersten Mal Zeitung lesen, das im Fünfjahresvergleich deutlich verliert. Auch DVD schauen büßt ein – beides verlagert sich zunehmend auf internetfähige Endgeräte.

Internet legt deutlich zu

Der Bildschirm ist die Nummer 1 Die beliebtesten Freizeitbeschäftigungen der Deutschen

Angaben in Prozent

Fernsehen

97

Gewinner im Fünfjahresvergleich / Veränderung 2015 zu 2010

25

Internet 15

Radio hören

90

CD/MP3 hören

Telefonieren (von zuhause)

89

Gartenarbeit

6

Telefonieren von unterwegs

6

Internet

73

Zeitungen/Zeitschriften lesen

72

Gedanken nachgehen

71

Telefonieren (von unterwegs)

71

Zeit mit dem Partner verbringen

65

Über wichtige Dinge reden

64

Computer

61

Sich in Ruhe pflegen

61

CD/MP3 hören Kaffeetrinken/Kuchen essen

4

Computer

4 Basis: 2000 Personen ab 14 Jahre

HORIZONT 36/2015

Lust auf Print lässt nach Verlierer im Fünfjahresvergleich

Shopping/Einkaufsbummel

−9 −8

54 52

HORIZONT 36/2015

Angaben in Prozent Kaffee trinken/Kuchen essen

−12

Basis: 2000 Personen ab 14 Jahre Quelle: Stiftung für Zukunftsfragen

Sich in Ruhe pflegen

Quelle: Stiftung für Zukunftsfragen

68

Ausschlafen

Angaben in Prozent

Freunde/Bekannte zuhause treffen

−7

Video-/DVD-Filme sehen

−7

mit Kindern spielen

−7

Zeitungen/Zeitschriften lesen

Quelle: Stiftung für Zukunftsfragen

Basis: 2000 Personen ab 14 Jahre

HORIZONT 36/2015

32 REPORT MEDIASTRATEGIE 2016

HORIZONT 36/2015

I

Von Jürgen Scharrer

n einer idealen Welt wäre es so: Die Mediaagenturen sind die besten Freunde der Werbungtreibenden, als Berater sorgen sie dafür, dass die Marketinggelder in die richtigen Kanäle fließen, als Einkäufer dafür, dass die Preise nicht aus dem Ruder laufen. Vor allem Punkt 1 gewinnt rasant an Bedeutung: Je größer die Intransparenz in den unendlichen Weiten der digitalen Welt, desto dringlicher der Bedarf an kompetenter und objektiver Beratung. Und wie ist die Realität? Genau so, sagen die Chefs der Mediaagenturen. Die Networks investieren enorme Summen in Technologie und lassen sich von Auditoren, Wirtschaftsprüfern und Kunden durchleuchten wie kaum eine andere Zunft. Das nimmt bisweilen groteske Züge an. Da Mediaagenturen unter Generalverdacht stehen, vornehmlich in die eigene Tasche zu wirtschaften, sehen sie sich in der Praxis mit Forderungskatalogen und Regularien konfrontiert, die immer voluminöser werden und zum Teil schon schikanös anmuten. Auch öffentlich hagelt es Kritik: Von Thomas Strerath (Jung von Matt) über Paul Vogler (ex Mindshare) über Helmut Thoma (ex RTL) und dem omnipräsenten Publizisten und Berater Thomas Koch haben alle etwas beizutragen, warum es mit dem „parasitären Geschäftsmodell“ (Thoma) der Mediaagenturen dem Ende zugeht. Ist das noch fair oder sehen sich die Agenturchefs zu Recht als Opfer einer Kampagne, die von interessierter Seite geschürt und von den Medien dankbar aufgenommen wird? Im Einzelfall ist schwer zu entscheiden, wie gut die Medianetworks wirklich arbeiten. Viel spricht dafür, dass sie (operativ) besser sind als ihr Ruf. Was aber eben auch stimmt: Die Mediaagenturen leiden an internen Widersprüchen, die sie irgendwann zu zerreißen drohen. Die Mutter aller Probleme sind die hohen Renditeerwartungen internationaler Werbe-Multis wie WPP. Es ist kein großes Geheimnis, dass Group M und Co die Cashcows in ihren Konzernen sind. Mit Renditen jenseits der 30 oder gar 40 Prozent tragen sie dramatisch mehr zum Profit bei als etwa die Kreativagenturen. Nun ist das erst einmal nicht zu beklagen, im Gegenteil: Hohe Margen sind in der Wirtschaft kein Makel, sondern Ausweis für ein funktionierendes Geschäftsmodell. Nur, und genau da liegt der Hase im Pfeffer: In ihrer idealen Form, also als Berater und Einkaufsorganisation, sind Mediaagenturen überhaupt kein profitables Geschäftsmodell! Dafür sind die Honorare, die die Werbungtreibenden zu zahlen bereit sind, viel zu gering. Im Klartext bedeutet das: Ein Großteil der erzielten Gewinne stammt nicht aus Leistungen, für die Mediaagenturen eigentlich da sind, sondern aus Deals mit Medien. Wie genau sich das in der Praxis verhält, kann niemand verlässlich sagen. Die Mediaagenturen, sonst peinlich darauf bedacht, sich als Musterschüler in Sachen Transparenz zu inszenieren, hüllen sich in Schweigen, wenn es um die Höhe ihrer

ILLUSTRATION: COLOURBOX

Gute Agenturen, böse Agenturen

Wie krank ist das deutsche Mediasystem? Anmerkungen zur TransparenzDebatte

Gewinne geht und die Frage, wie die sich im Einzelnen zusammensetzen. Rechtlich ist das natürlich in Ordnung, niemand muss seine Bücher weiter öffnen, als der Gesetzgeber das von ihm fordert. Nur darf man sich dann eben auch nicht wundern, wenn sich in der Branche hartnäckig Gerüchte halten über das angebliche oder tatsächliche Geschäftsgebaren der großen Mediaagenturen, deren Macht ja tatsächlich enorm ist. Kein Verlag, Sender oder Onlinevermarkter kann es sich leisten, es sich mit den Networks zu verderben – die wirtschaftlichen Folgen wären fatal.

I

n der aktuellen Debatte über die Rolle der Mediaagenturen steht häufig das Thema Trading im Zentrum – und das sehr zu Recht. Trading ist eine der lukrativsten Geschäftsideen, die sich Me-

diamanager jemals haben einfallen lassen. Die Idee dahinter ist einfach: Statt im Namen des Kunden Werbeinventar einzukaufen (und alle Rabatte vertragsgemäß weiterzuleiten), kaufen die Agenturen beim Trading auf eigene Rechnung ein, „veredeln“ die Werbeplätze (Targeting, Big Data) und reichen sie mit hohen Margen an die Werbungtreibenden weiter. Vom Mediavolumen her ist dieser Teil nach wie vor viel kleiner als die „Klassik“ – trägt aber einen immer größeren Teil zum Profit bei. Dadurch kommt eine Spirale in Gang: Um die Renditevorgaben aus den internationalen Headquartern erfüllen zu können, muss das Tradingeschäft immer weiter ausgebaut werden. Das muss nicht zum Schaden der Kunden sein – kann aber. Zumindest ist die Logik gefährlich: Umso größer das Tradinggeschäft, desto besser die Rendite.

Das Thema hat noch einen zweiten Aspekt. Eine der zentralen Entwicklungen im Mediageschäft besteht heute darin, dass sich Google und Facebook immer mehr als Berater der Werbungtreibenden etablieren. Sie haben Zugang zu den höchsten Führungsebenen, veranstalten Workshops (die alle immer ganz faszinierend finden) und sitzen auf einem unglaublichen Datenschatz. Für die Mediaagenturen ist das eine immense Gefahr. Freilich eine, die sich mit guten Argumenten entschärfen ließe. Google und Facebook sind in erster Linie Vermarkter und können daher eines ganz gewiss nicht sein: neutrale Berater. Die aber sind heute mehr vonnöten denn je. Prädestiniert für diese Rolle sind eigentlich die Mediaagenturen. Nur, und das ist das Problem: In dem Moment, wo auch sie eigenes Werbeinventar verkaufen (und

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davon ihr Erfolg abhängt), verlieren sie in ihrer Rolle als neutrale Berater empfindlich an Glaubwürdigkeit. Insofern ist Trading ein zweischneidiges Schwert: einerseits geniales Geschäftsmodell, gleichzeitig aber auch eine Belastung für die Akzeptanz ihrer Rolle im Mediabusiness. Und es geht ja noch weiter. Eines der zentralen Themen der Werbewirtschaft ist der Kampf der Mediengattungen. Tatsächlich ist ja völlig unklar, wie der ideale Mediamix heute und in den kommenden Jahren aussieht. Idealtypisch kann man die unterschiedlichen Sichtweisen in zwei Radikal-Positionen zusammenfassen. Die eine geht in etwa so: Die Zeit der großen, klassischen Medien geht unwiderruflich zu Ende. Vor allem junge Zielgruppen und die einkommensstarken Schichten wenden sich im großen Stil ab von linearem Fernsehen und Print. Das Smartphone wird das alles in den Schatten stellende Kommunikationsgerät, die zentrale Aufgabe für die Unternehmen lautet daher, sich über eine völlig neue Art des Marketings Gedanken zu machen. Die andere Fraktion verweist darauf, dass sich Print und Fernsehen in der Mediennutzung als sehr viel robuster erweisen, als die digitale Avantgarde seit 15 Jahren unermüdlich predigt. Wer seine Reichweiten verlässlich planen will (und das ist nach wie vor zentral für das Marketing), kommt an den klassischen Medien nicht vorbei. Schlimmer noch: Das Netz hat sich zwar im Performance-Marketing bewährt (du suchst einen Wanderschuh und bekommst Angebote/Werbung für Wanderschuhe), was seine Kraft als imagebildendes Medium betrifft, steht der Beweis aber noch aus. In dieser unübersichtlichen Gemengelage sind die Mediaagenturen als neutrale Instanz gefragt wie nie zuvor. Doch auch hier gilt: Wenn der Gewinn einer Mediaagentur signifikant davon abhängt, welche Deals man mit Medien abschließt, stellt sich die Frage nach der Objektivität quasi systemimmanent.

A

ngesichts all dieser Interessenkonflikte und Ungereimtheiten ist es bemerkenswert, wie gut das Mediageschäft in Deutschland dann ja doch funktioniert. Man kann den Mediaagenturen nicht ernsthaft vorwerfen, ihr eigentliches Geschäft – also Beratung, Einkauf und die Entwicklung von Mediastrategien – nicht zu beherrschen und keinen guten Job zu machen. Zumindest in den oberen Führungsebenen ist viel Know-how vorhanden. Auch die großen Werbungtreibenden, die in den Genuss günstiger Einkaufspreise kommen und den Agenturen vergleichsweise bescheidende Honorare bezahlen, haben sich mit dem System weitgehend arrangiert – denken aber gleichzeitig darüber nach, sich im digitalen Geschäft zunehmend von den Mediaagenturen zu emanzipieren. Und die Medien? Die sind potenziell die großen Verlierer in dem Spiel. Andererseits: Bei allen Krisengeschichten, die es natürlich gibt, geben die Bilanzen der meisten Fernsehsender und Verlage keinen Anlass zu allzu großer Sorge. RTL, Pro Sieben Sat 1, Axel Springer und viele regionale Tageszeitungen befinden sich nicht eben im Krisenmodus.

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Coca-Cola, Mercedes und Trentino sprechen die Zielgruppe regional an

Kleine Räume, große Umsätze Kampagnen werden zunehmend regional ausgesteuert. Örtliche Medien konkurrieren mit TV-Sendern und Web-Giganten

Von Guido Schneider

N

och nie war die Marketingund Mediaplanung so schwierig wie heute. Denn während die Zahl der Werbeträger unaufhörlich wächst und das Publikum sich immer stärker zersplittert, müssen sich die Werbeverantwortlichen in Unternehmen mit stagnierenden oder nur leicht steigenden Budgets begnügen. Weil das so ist, bewerten viele ihre Mediaaktivitäten neu und schichten Etats um. Dabei rücken nicht nur digitale Medien stärker in den Fokus, viele Unternehmen forcieren auch die lokale und regionale Aussteuerung ihrer bundesweit angelegten Kampagnen. Sie wollen damit entweder Streuverluste nationaler Werbeflights reduzieren, die dadurch entstehen, dass ein Unternehmen nicht in allen Regionen gleichermaßen stark vertreten ist. Oder sie wollen näher an die Lebens- und Konsumwelten ihrer Zielgruppen heranrücken und Umsatzpotenziale besser ausschöpfen. Menschen dort werblich anzusprechen, wo sie zu Hause sind und sich wohlfühlen, ist für Cornelia Lamberty ein „Mega-Trend“, der aus keiner Strategie ihrer Agentur Moccamedia mehr wegzudenken ist. Die Vorstandsfrau des Trierer Dienstleisters beobachtet, wie immer mehr Branchen und Unternehmen versuchen, potenzielle Käufer in der Region möglichst effizient anzusprechen und zu aktivieren. Daher hält sie es für sinnvoll, wenn Werbungtreibende versuchen, potenzielle Kunden über den gesamten Entscheidungsprozess zu begleiten: „Die Verzahnung von nationaler und regionaler Mediaperformance erzeugt signifikante Leistungswerte und verstärkt den Werbedruck ganz gezielt in den Verkaufsgebieten.“ Beispiel Coca-Cola: Ab Ende November 2014 ließ der Brause-Gigant wieder seinen Weihnachtstruck mit werblicher Unterstützung („Mach anderen eine Freude“) durch die Lande rollen. Diesmal

schaltete Coca-Cola zum Abschluss der Kampagnen auch Plakatwerbung in zahlreichen Städten und wünschte den Bewohnern quasi persönlich ein frohes Fest. Auch große Filialisten wie Ikea ergänzen ihren nationalen Werbeauftritt durch lokale Werbung für einzelne Outlets. Steffen Müller will diese Budgets für seine beiden Sender Radio 21 und Rockland Radio nutzen, die sich seit drei Jahren im sogenannten Städtenetwork vermarkten. „Seither haben sich unsere regionalen Umsätze vervierfacht, weil die Nachfrage von nationalen Filialisten gestiegen ist“, sagt Müller. Die schalten nicht mehr allein in bundesweiten Kombis, sondern belegen einzelne Frequenzen auf Radio 21 und Rockland, um damit einzelne Outlets hervorzuheben. Das reduziert Streuverluste, spart Geld und aktiviert die Kunden im jeweiligen Einzugsgebiet. Auch die Konkurrenz Radio FFN will etwas von der Dynamik abbekommen. „Grundsätzlich haben wir in der regionalen Vermarktung sehr gute Chancen“, ist Geschäftsführer Harald Gehrung überzeugt.

D

er Vermarkter NBRZ Deutsche Zeitungsallianz erhofft sich ebenfalls Schwung durch regionalisierte Kampagnen. Laut Geschäftsführer Sven Holsten wollen Unternehmen ihre Zielgruppen vermehrt über seine Kombi in der Region ansprechen, was sich in leicht steigenden Nettoumsätzen niederschlage. Als Beispiel nennt Holsten die Automarke Mercedes-Benz, die im Sommer mit Motivsplits auf Händlerebene in seinen Zeitungen geworben hat: „Ohne die lokale Aktivierung der Botschaft hätte die Kampagne nicht den maßgeblichen Impuls und Erfolg gehabt“, behauptet er. Trotz sinkender Reichweite hält Holsten die Zeitung für einen vielseitigen Werbeträger, der auch überregionale Kunden beim Abverkauf

und bei der Imagebildung unterstützen kann. Doch seit Jahresbeginn muss er sich nun auch gegen bundesweite TV-Sender behaupten, die regionale Werbekunden anbaggern. Grund ist die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts von Dezember 2014, die es dem TV-Konzern Pro Sieben Sat 1 erlaubt, in seinen nationalen Programmen auch regionale Werbung auszustrahlen. So war die Kampagne des Filialisten Uni-Polster & Trösser unlängst in Nordrhein-Westfalen regional bei Sat 1 und Kabel Eins zu sehen; und der italienische Tourismusverband von Trentino hat das Regionalfenster von Sat 1 Bayern genutzt, um die Region im Freistaat bekannt zu machen. Vermarkter Seven One-Media (SOM) bemüht sich darum, die neuen Kunden zu binden. „Im Anschluss an die Kampagne erhält der Kunde eine Zusammenstellung darüber, was sie geleistet hat, wie viele Zuschauer in der Region erreicht wurden und wie oft die Zielgruppe den Spot gesehen hat“, erläutert Sabine Eckhardt, Geschäftsführerin New Business bei SOM. Doch die Expansion der bundesweiten TV-Sender in den regionalen Markt hat im Juni einen Dämpfer erhalten. Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer sprach sich auf Druck der Zeitungsverleger schließlich für ein faktisches Verbot regionaler TV-Werbung aus, das nun wohl im nächsten Rundfunkstaatsvertrag, der am 1. Januar in Kraft treten soll, verankert wird. „Es ist sehr schade, dass sich die Legislative dieser Option verschließt“, kritisiert Agenturchefin Lamberty das Manöver der Politik. Den Trend zu regionalisierten Mediastrategien werde das aber nicht verhindern, bekräftigt sie. „Die Verlierer sind aber die TV-Sender, da sie an dieser äußerst dynamischen Entwicklung nicht partizipieren können.“ Doch die wollen sich nicht geschlagen geben. „Zunächst werden wir regionalisierte TV-Werbung solange es geht vermarkten“, kündigt SOM-Managerin Eckhardt an. Und falls die erwartete Beschränkung in Kraft tritt, wird SOM die

Werbung von regional agierenden Unternehmen eben bundesweit ausstrahlen, so Eckhardt. Dafür müsste der Konzern dann aber wohl hohe Rabatte gewähren, was die Sache nicht gerade attraktiv macht. Und noch ein Schlupfloch bleibt den Fernsehsendern. Sie können regionale Werbung über HbbTV Adserver-basiert an Zuschauer ausspielen. Die Nutzerzahlen dieses sogenannten Adressable TV sind zwar noch überschaubar, dennoch bietet die Verzahnung von TV und Online für Lamberty viel Potenzial.

A

propos Verzahnung: Neben TV und den regionalen Medien drängen auch große Online-Plattformen wie Facebook und Google in den regionalen Markt. Ihr Vorteil: Sie lassen sich dank Targeting granular aussteuern und erreichen immer mehr Nutzer. Für Lamberty sind digitale Kanäle längst Pflicht in der regionalen Mediaplanung, weil sie eine positive Wechselwirkung mit den traditionellen Medien schaffen. Letztere sorgen immer noch dafür, dass Kampagnen am Ort sichtbar sind und Aufmerksamkeit erzielen. Google will in diesem Prozess schon deshalb nicht außen vor bleiben, weil mehr als ein Fünftel seiner Suchanfragen einen lokalen Bezug aufweisen. „Diese große Bedeutung lokaler Informationen wird häufig unterschätzt“, glaubt Sprecher Klaas Flechsig. Dabei bieten sie sowohl national agierenden Werbekunden mit regionalem Schwerpunkt als auch den örtlichen Unternehmen beim Search-Giganten gute Chancen der Selbstdarstellung. Das Angebot Google My Business können sie sogar kostenlos nutzen und Öffnungszeiten, Anfahrtswege oder Fotos ihres Geschäfts einstellen und das Ganze lokal aussteuern. Die sogenannten Anzeigen für lokale Produktverfügbarkeit kosten dagegen, können aber auch zusätzlichen Umsatz und mehr Frequenz bringen.

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HORIZONT 36/2015

Frisch

kombinieren

Print muss seine Qualitäten besser ausspielen, mehr auf Details achten – und gezielt digitale Brücken bauen

„Guter Wein ist wie ein Qualitätsmedium. Der Inhalt muss stimmen, etwas Besonderes sein“ Karl-Heinz Behrens, Medienberater

Von Roland Karle

V

erlage stehen vor der Herausforderung, die Idee ihrer Kernprodukte Zeitung und Zeitschrift weiterzudrehen, auszubauen und frisch zu kombinieren. Ein aktuelles Beispiel liefert Schwäbisch Media. Mitte Juni startete der Verlag der „Schwäbischen Zeitung“ die Website Startbahnsued.de. Auf der neuartigen Ausbildungsplattform können Unternehmen emotional und in bewegten Bildern ihre Lehrstellen anbieten. Das lief bislang über klassische Anzeigen, Advertorials und PR-Texte in Beilagen. Doch junge Leute bewegen sich bekanntlich immer öfter im Digitalen. Also sollten angestammte Printmarken ihre Angebote medien- und zielgruppengerecht gestalten. Startbahnsued.de setzt dabei auf altersgemäße Ansprache, indem Auszubildende und Studenten aus den Unternehmen die wichtigsten Informationen präsentiert. Der Auftakt mit 60 Videos auf der Website und zunehmendem User-Aufkommen ermutigt. Kurt Sabathil, Geschäftsführer von Schwäbisch Media, ist überzeugt: „Diese Plattform ist ein Vorreiter für Verlage, solche Projekte werden die Zukunft unserer Branche bestimmen.“ Mit mehreren Verlagen, die sich für die Neuentwicklung interessieren, sei man im Gespräch. Zeitungen stehen unter Druck, weil Auflagen und Anzeigenumsatz sinken. Die Zahlen für 2014, die der Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger (BDZV) bei seiner Jahrespressekonferenz kürzlich vorgelegt hat, sprechen eine deutliche Sprache. Die Anzeigenerlöse der Tageszeitungen sind um knapp 3 Prozent zurückgegangen, jene der Wochen- und Sonntagszeitungen sogar um 15 Prozent. Der Gesamtumsatz ist jedoch nahezu stabil geblieben, vor allem weil durch höhere Copypreise die Vertriebseinnahmen gestiegen sind (siehe Tabelle). Mit weniger Abonnenten mehr Geld zu verdienen, gehört zu beliebten Strategien in reifen Märkten und hat auch in Großbritannien und den USA funktioniert. Allerdings ist hier ein Ende der Preiselastizität in Sicht – ohne Kompensation im Digitalen. „Die Umsatzeinbußen im Print-Anzeigengeschäft werden wohl nicht so bald durch Online-Werbeeinnahmen ausgeglichen“, so Mira Milosevic, Chefanalystin der World Press Trends, die der Weltverband der Zeitungen und Nachrichtenmedien jährlich vorlegt. Daraus geht hervor, dass 51 Prozent der 2014 weltweit erzielten Einnahmen aus dem Verkauf von Print- und OnlineAusgaben stammen – weniger als die Hälfte aus dem Werbemarkt. In Deutschland ist der Abstand noch deutlicher, hier machen die Vertriebserlöse bereits gut 61 Prozent aus. Innerhalb von rund 15 Jahren haben sich die Gewichte verkehrt: Bis zur Jahrtausendwende machten das Anzeigengeschäft in einigen Märkten bis zu 80 Prozent der Erlöse aus, hierzulande waren es rund zwei Drittel. Die Verlage stehen vor einer kniffligen Aufgabe: Print bringt häufig immer noch

den Großteil der Einnahmen, während die Mediennutzung sich weiter hin ins Digitale verschiebt. Die Reichweiten der Medienmarken profitieren davon. „In vielen Ländern zeigen kombinierte Zahlen für Digital- und Print-Leserschaft, dass mehr als 80 Prozent der Erwachsenen mindestens einmal im Monat Zeitung lesen“, erklärt Marktanalytikerin Milosevic. Zahlen aus der aktuellen Leseranalyse Entscheidungsträger (LAE) belegen, dass manche Titel dank ihrer Onlinepräsenz ihre Gesamtreichweite im Vergleich zu „Print only“ erheblich steigern, allen voran „Die Welt“, „FAZ“ und „Süddeutsche Zeitung“ (siehe Chart „Crossmediale Reichweiten“).

D

ie Zeitungs Marketing Gesellschaft (ZMG) hat gerade auf Basis der neuen Agof-Studie „Digital Facts“ darauf hingewiesen, dass die Nettoreichweite aller digitalen Zeitungsangebote – hier wird jeder Nutzer ungeachtet des Endgerät-Zugangs erfasst – über alle Altersgruppen hinweg bei 51,3 Prozent liegt. Das heißt: Mehr als die Hälfte der deutschsprachigen Bevölkerung liest digital Zeitung. Besonders bemerkenswert: Bei den 14- bis 29-Jährigen sind es sogar drei Viertel (76,4 Prozent). „Die hohe Jugendreichweite der digitalen Zeitungsangebote ist ein starkes Signal für die Zukunft der Zeitung“, folgert daraus ZMG-Geschäftsführer Markus Ruppe.

Crossmediale Reichweiten Überregionale Zeitungen und ihre Print-Digital-Präsenz bei Entscheidern Crossmedia-Reichweite* Leser/Nutzer in Mio.

Medienangebot

Print-Reichweite in Mio.

Digitaler ReichweitenZuwachs** in Prozent

Süddeutsche Zeitung LpA + Süddeutsche.de NpW + App(s) NpW

0,72

0,42

70,0

Die Welt Gesamt LpA + welt.de NpW + App(s) NpW

0,64

0,31

108,1

FAZ LpA + faz.net NpW + App(s) NpW

0,56

0,31

79,7

Die Zeit LpA + zeit.de NpW + App(s) NpW

0,55

0,33

67,4

Handelsblatt LpA + handelsblatt.com NpW + App(s) NpW

0,46

0,29

59,7

Quelle: LAE 2015

HORIZONT 36/2015

Vertriebserlöse sind stärkstes Standbein Umsatzsituation der deutschen Zeitungen 2014 Medienangebot

Anzeigenumsatz* in Mio. Euro

Tageszeitungen

2840,20

4553,10

154,20

511,10

-7,80

2994,40

4764,20

-0,60

38,60

61,40

Wochen- und Sonntagszeitungen Summe Anteil am Gesamtumsatz in Prozent

Vertriebsumsatz in Mio. Euro

Veränderung zum Vorjahr in Prozent -0,20

* inkl. Beilagen Quelle: BDZV

HORIZONT 36/2015

Papier punktet Längere Texte lese ich lieber … Altersgruppe

Angaben in Prozent

... auf Papier

… am Bildschirm

Gesamtbevölkerung*

86

14- bis 29-Jährige

12 27 8

52

30- bis 44-Jährige

30

2 4

69

45- bis 59-Jährige

keine Präferenz

6

64

ab 60-Jährige

40 13

37

50

* deutschsprachig, ab 14 Jahre HORIZONT 36/2015

Quelle: AWA 2015

Junge Zeitungsleser: Lieber klicken statt blättern Reichweite in Prozent (in Mio.)*

Kombinationseffekte im Vergleich Gesamtbevölkerung**

51,3 (35,5)

14- bis 29-Jährige

76,4 (10,9)

30- bis 49-Jährige 50 Jahre und älter

68,0 (14,7) 29,8 (9,9)

* bezogen auf durchschnittlichen Monat (April bis Juni 2015) ** deutschsprachig, ab 14 Jahre Quelle: Agof Digital Facts 2015-6

„Hochwertiger Hochglanz hat seine Heimat auf Papier und das wird auch so bleiben“ Barbara Friedrich, „Architektur & Wohnen“

Doch eine steigende Medienreichweite lässt sich nicht automatisch in erforderlichem Maße monetarisieren. Daher muss Print seine speziellen Qualitäten entfalten. „Landlust“, das im Herbst seinen10. Geburtstag feiert, gilt als der Mutmacher für die Zeitschriftenbranche (siehe Seite 37). Zu den wichtigsten Lektionen gehört laut Objektleiter Toholt, die Stärken des Gedruckten zu betonen. „Landlust“ sei ganz bewusst als analoges Medium positioniert. „Es bietet den Gegenentwurf zur digitalen Hektik. Das Lesen einer Zeitschrift vermittelt ein Wohlgefühl. Das darf man nicht unterschätzen“, so Toholt. Eine Aussage, die Barbara Friedrich sofort unterschreiben wird. Nach 17 Jahren als Chefredakteurin fungiert sie seit Dienstag als Herausgeberin von „Architektur & Wohnen“ (A&W). Den digitalen Wandel der Medienbranche hat sich in voller Ausprägung miterlebt. Der Vorteil eines Magazins wie „A&W“ bestehe darin, dass es nicht newsgetrieben ist, sondern zur vertiefenden und ausgeruhten Lektüre genutzt wird. „Hochwertiger Hochglanz hat seine Heimat auf Papier, und das wird noch eine ganze Weile so bleiben“, erklärt Friedrich.

D

* Reichweite besteht aus: Print (Leser pro Ausgabe) + Online (Nutzer pro Woche) + App (Nutzer pro Woche) ** Um wie viel höher liegt die Crossmedia-Reichweite gegenüber der Print-Reichweite?

HORIZONT 36/2015

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ie digitalen Flanken müssen dennoch besetzt werden. „A&W“ nutzt dazu die eigene Website und hat beispielsweise eine Seite für den Design-Nachwuchs aufgebaut. Dort haben sich bislang mehr als 400 Talente registriert und rund 700 Entwürfe hochgeladen. Alle zwei Monate werden die drei besten Beiträge von einer Jury ausgewählt und in der Zeitschrift veröffentlicht, zudem drei Jahressieger ermittelt. Bei allem digitalen Sturm und Drang des Nachwuchses seien „die jungen Leute ganz erpicht darauf, mit ihren Arbeiten ins Heft zu kommen. Print ist auch für sie noch immer etwas Besonderes.“ Das macht Interessierte und Leser aber noch lange nicht zu dauerhaften Abonnenten. „Die Scheu vor Bindungsfristen ist ausgeprägt“, sagt Medienberater KarlHeinz Behrens. Der Begriff „Abonnement“ sei negativ besetzt. „Und das haben leider Verleger zu verantworten, die ihren Vertriebskohorten und Drückerkolonnen freie Hand im Kampf gegen den Rückgang der verkauften Auflage gegeben haben.“ Der Medienkenner ist zugleich Weinliebhaber – und hat darum vor einem halben Jahr den Shop Weinkiste.com gestartet. Kern des Angebots ist ebenfalls ein Abonnement: Vierteljährlich erhalten Bezieher ausgewählte Weine aus einer limitierten Edition. Allerdings ist der Bezug jederzeit kündbar, was sich als vorteilhaft erwiesen hat. Inzwischen hat Behrens das „Wein-Kiste-Jahresabonnement“ umbenannt zur „Mitgliedschaft im Wein-Kiste-Club“. Allein durch die Wortwahl sei das Angebot „deutlich attraktiver und nachgefragter“, hat er festgestellt. Daraus leitet sich sein Rat für Verleger ab: „Guter Wein ist wie ein Qualitätsmedium. Der Inhalt muss stimmen, etwas Besonderes sein. Dann gelingt es eher, dass Leser zu Freunden oder Fans werden.“

HORIZONT 36/2015

REPORT MEDIASTRATEGIE 2016 37

3. September 2015

Kurz vor dem 10. Geburtstag: „Landlust“-Objektleiter Ulrich Toholt erläutert das Erfolgsrezept

Das Magazin

Erstmals erschien „Landlust“ im Oktober 2005. Rund vier Jahre nach dem Start kletterte die verkaufte Auflage mit der 3. Ausgabe 2009 erstmals über eine halbe Million Exemplare (559469). Seit 2012 bewegt sie sich fast durchgängig in siebenstelliger Höhe, zuletzt bei 1,04 Millionen (IVW, II/2015). Der Anteil des Einzelverkaufs macht dabei rund 60 Prozent aus.

F

Von Roland Karle

ür die Zeitschriftenbranche ist „Landlust“ ein Mutmacher. Der lebende Beweis dafür, dass Print funktioniert: Das zweimonatlich erscheinende Magazin aus dem Landwirtschaftsverlag in Münster hat sich zum Millionenseller entwickelt. Zum Aufstieg gehört auch Verzicht: auf mehr Anzeigenraum und auf höhere Frequenz. Objektleiter Ulrich Toholt, vom Start weg dabei, erklärt, warum es sich lohnt, ganz aufmerksam auf den Leser zu achten. Herr Toholt, „Landlust“ hat sich zu einem Bestseller mit Millionenauflage entwickelt. Reiben Sie sich manchmal noch verwundert die Augen? Heute nicht mehr. Wirklich überrascht waren wir, als nach zwei Jahren jeweils mehr als 200000 Exemplare verkauft wurden. Wir hatten im Business-Plan mit der Hälfte kalkuliert – nach vier Jahren. Seit 2012 lag „Landlust“ mit einer Ausnahme in jedem Quartal über einer

FOTO: LANDLUST

„Zu viele Anzeigen können schaden“

Unsere Leser haben das Gefühl: Dieses Magazin ist genau für mich gemacht, wie Studien von Rheingold bestätigt haben.

Million verkaufter Hefte. Und das, obwohl gut ein halbes Dutzend Wettbewerber nachgezogen sind. Die Konkurrenz hat unser Geschäft zusätzlich belebt. Zeitschriften wie „Landidee“ und „Mein schönes Land“, die nach uns gestartet sind, haben offensiv geworben und dadurch auch Segment-Werbung betrieben. Davon hat „Landlust“ profitiert, denn am Kiosk entscheiden sich die Leser für das, was ihnen am besten gefällt. Sie betonen gern, dass bei „Landlust“ der Leser konsequent im Mittelpunkt stehe. Das behaupten auch andere Verlage von ihren Zeitschriften. Was macht den Unterschied? Dass wir wirklich umsetzen, was wir behaupten. Ich beobachte, dass es immer noch etliche Titel gibt, denen man ihre Werbemarkt-Orientierung ansieht. Und in vielen Verlagen hat die Anzeigenmarktforschung mehr Bedeutung erlangt als die Leserforschung. Das ist ganz und gar nicht unser Ansatz. Die „Landlust“Redaktion geht mit enormer Leidenschaft und Liebe zum Detail ans Werk.

Der Anzeigenanteil ist überschaubar. Wie kann „Landlust“ als Werbeträger noch zulegen? Das ist gar nicht unser Ziel. Im Gegenteil: Wir haben die Anzeigenquote im redaktionellen Teil auf 15 Prozent limitiert. Hinzu kommen hinten die rubrizierten Fließtext- und Schaufensteranzeigen. Als 2009 die Frühjahrs-Ausgabe mit erheblich mehr Anzeigen erschien, haben viele Leser ihren Unmut darüber geäußert. Es hat sich herausgestellt, dass hier eine gefühlte Grenze erreicht war und zudem bestimmte Produktanzeigen als unpassend empfunden wurden. Haben Sie auch schon Anzeigen abgelehnt? Das ist in Ausnahmefällen schon vorgekommen, auch wenn uns das nicht leichtfiel. Zum Beispiel bei Pharma-Anzeigen mit negativer Indikation in der Headline wie Blasenentzündung, Magendruck oder Sodbrennen. Aber auch preisaggressive, grelle Werbung. So etwas passt nicht zur Anmutung und es wirkt störend bei der Lektüre und dem Hefterleben von „Landlust“. Wir schützen dadurch auch Anzeigenkunden vor möglicher Werbereaktanz. Haben Sie dafür weiträumig Verständnis geerntet? Na ja, in der Blütezeit von Advertorials, anzeigenorientierter Themengestaltung und allen möglichen Sonderwerbeformen war die strikt eingehaltene Trennung von Redaktion und Werbung manchmal schon erklärungsbedürftig. Gerade in den ersten zwei, drei Jahren war diese Haltung für das Anzeigengeschäft nicht

gerade förderlich. Aber heute können wir sagen: Es war und ist genau richtig so. Viele fragen sich, warum „Landlust“ nicht öfter als zweimonatlich erscheint. Was ist der Grund? Auch da hat sich ausgezahlt, dass wir nah bei unseren Lesern sind und auch Erkenntnisse aus Rheingold-Studien ernst nehmen. Es gab ein klares Votum der Leser für den Zweimonatsrhythmus. „Landlust“ ist ein Magazin, das über einen längeren Zeitraum genutzt wird, zwar saisonale Themen behandelt, aber nicht von Wochen- oder Monatsaktualität abhängt. Und: Die Vorfreude auf ein Heft ist höher, wenn es nur alle zwei Monate erscheint. Den „Landlust“-Erfolg zu kopieren, ist nicht einfach. Das hat sich auch bei Ihnen im Haus gezeigt: Sie haben das Reisemagazin „Himmelblau“ eingestellt. „Landlust“ ist einzigartig und hat ein ganz neues Segment begründet. Hingegen gibt es schon etliche Reisezeitschriften, da waren die Ausgangsbedingungen anders. „Himmelblau“ war für uns ein Testballon, der leider nicht so hoch gestiegen ist wie erhofft. Hingegen läuft „Einfach hausgemacht“ richtig gut, da sind wir näher an unserem angestammten Thema. Wird es weitere „Landlust“-Ableger geben? Wir sind da sehr behutsam und haben unsere ganze Kraft ins Stammheft gesteckt, ohne über Print- oder digitale Ableger nachzudenken. Im vergangenen Jahr erschien erstmals das Sonderheft „Weihnachten“, das 288000 Mal verkauft wurde. Das werden wir in diesem Jahr wiederholen, ansonsten bleibt es dabei: Weniger kann auch mehr sein. Anzeige

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3. September 2015

„Bitte keine German Angst“ Vizeum-Chefin Katja Brandt über Transparenz, die Rolle von Google, den Siegeszug von Programmatic und die Wachstumspläne ihrer Agentur

Die Managerin

Katja Brandt studierte an der European Business School in Oestrich Winkel und startete ihre berufliche Karriere im Product Management bei Benckiser. Danach ging sie zu Europcar, wo sie es bis in die Geschäftsführung schaffte. 2001 wechselte Brandt in die Agenturbranche, wo sie zunächst für Optimedia arbeitete. Seit 2005 steht die Mutter von vier Kindern an der Spitze von Vizeum Deutschland.

Das Network

Vizeum ist Teil des Dentsu Aegis Networks (DNA), zu dem auch die Agenturen Carat, iProspect, Isobar und Posterscope gehören. Die Gruppe verfolgt ein „Operating Model“ und rühmt sich, integrierter als andere Networks zu arbeiten. Chef von DNA Deutschland ist Zoja Paskaljevic, der vor einem halben Jahr die Nachfolge von Andreas Bölte antrat. Vizeum setzt stark auf Neuromarketing und den Beratungsansatz „Motivations to Connect“.

Von Jürgen Scharrer

K

atja Brandt steht seit zehn Jahren an der Spitze von Vizeum Deutschland, pflegt aber nach wie vor den Gestus der frischen Angreiferin. Die „German Angst“ vor der Digitalisierung hält sie für „absolut falsch“, die Diskussion über intransparente Geschäftsmodelle der Networks für „fehlgeleitet“. Die eigene Agentur sieht sie auf radikalem Digital-Kurs: „Unsere Vision lautet 100 Prozent Digital.“

Frau Brandt, wenn man heute mit der Chefin einer Mediaagentur spricht, muss man erst einmal über die allgemeine Stimmungslage sprechen. Und die ist schlecht wie nie – die Mediaagenturen stehen massiv in der Kritik. Ich kann dieses medial überzeichnete Bild der angeblich so schlechten Stimmungslage nicht bestätigen. Ich bin seit 13 Jahren in der Mediabranche, habe davor lange auf Kundenseite gearbeitet und kann guten Gewissens sagen, dass wir heute mehr Transparenz bieten als jemals zuvor. Ich kenne keine Branche, die von Auditoren und Wirtschaftsprüfern dermaßen durchleuchtet wird wie unsere. Erstaunlich ist vielmehr, dass die Debatte vor allem von ehemaligen Protagonisten befeuert wird, deren Verhalten so etwas wie einen Code of Conduct ja erst notwendig gemacht hat. Das finde ich bemerkenswert. Alles ein Problem der alten Generation und heute ist alles besser? Zumindest ist in den vergangenen zehn Jahren viel passiert, um das recht komplexe Mediageschäft transparenter zu machen. Vorgehensweisen, die früher üblich waren, sind heute völlig undenkbar. Auch das Geschäftsmodell hat sich grundlegend verändert. Wir entwickeln uns immer mehr zu einem ganzheitlichen Kommunikationsberater. In den Gesprächen mit unseren Kunden geht es an erster Stelle um die Erreichung konkreter

Business-Ziele und nicht um Konditionen. Auch wenn die natürlich weiterhin eine wichtige Rolle spielen. Jeder weiß, dass die Mediaagenturen ihre Gewinne vor allem Trading-Deals und Vereinbarungen mit Medien verdanken. Auch die OWM betont, dass Transparenz wichtig bleibt. Ganz so easy going ist es dann doch nicht. Eine vertrauensvolle Zusammenarbeit von Werbungtreibenden und Agenturen war noch nie so wichtig wie heute. Das kann in einem so dynamischen Markt, in dem sich Geschäftsmodelle ständig weiterentwickeln, auch gar nicht anders sein. Was mich stört, ist nicht die Diskussion an sich, sondern die Polemik, die interessierte Kreise betreiben. Und was Trading betrifft: Warum sind diese Modelle denn Bestandteil des Angebotes? Weil es eine klare Nachfrage von Kunden gibt. Auch wenn die Trading-Mediavolumina im Vergleich zum Gesamtumsatz nach wie vor im deutlich einstelligen Prozentbereich liegen. Sie können davon ausgehen, dass jede Vereinbarung vertraglich mit den Kunden geregelt ist und kontinuierlich überprüft wird. Es geht in der Diskussion ja nicht in erster Linie um rechtliche Fragen, sondern darum, ob Mediaagenturen wirklich objektiv beraten – was angesichts der Komplexität in der digitalen Welt immer schwieriger zu beurteilen ist. In diesem Punkt bin ich völlig bei Ihnen. Ich sehe heute eine der wichtigsten Aufgaben einer Mediaagentur darin, für mehr Transparenz im digitalen Werbegeschäft zu sorgen. Das beginnt schon bei so elementaren Themen wie Visibility. Wir haben beim Dentsu Aegis Network mit „Scale“ eine eigene Lösung entwickelt, mit der Onlinekampagnen während ihrer Laufzeit auf individuell definierte KPIs optimiert werden. Wenn Sie nicht aufpassen, machen Google und Facebook mit ihren Ökosystemen Mediaagenturen überflüssig.

Wenn ich mir die fehlgeleiteten Debatten über die angeblich so intransparenten Mediaagenturen ansehe und dann gleichzeitig höre, Google und Facebook könnten uns die Rolle des neutralen Beraters streitig machen, muss ich wirklich schmunzeln. Wir sagen ja nicht, dass die das wirklich können, sondern dass Marketing- und Mediachefs ganz begeistert sind, wie toll man mit den Amerikanern über Strategien sprechen kann. Das halten Sie nicht für gefährlich für Ihre Zunft? Ich sehe das vielmehr als Challenge und als Chance. Diese typische „German Angst" halte ich für absolut falsch. Wir sollten den Veränderungen lieber mit einer gewissen Leichtigkeit begegnen. Google und Facebook bringen einen unglaublichen Spirit in unseren Markt, und wenn es hier und da rumpelt, ist das für mich kein Drama. Wir leben heute in einer schnelllebigen Welt, die sich so schön durch VUCA beschreiben lässt. VUCA steht für Volatility, Uncertainty, Complexity und Ambiguity. Genau. Und diese Vielschichtigkeit und ständigen Veränderung sind etwas, was uns bei Vizeum keine Angst macht, sondern begeistert. Es würde mich auch persönlich tödlich langweilen, wenn wir als Mediaagentur noch so aufgestellt wären wie vor zehn Jahren. Wir haben heute sicher eines der zukunftsweisendsten Modelle der Branche. Die jüngsten Zahlen belegen eindrucksvoll, dass unser Konzept auch in der Praxis aufgeht. Weltweit sind wir 2014 als Gruppe ungefähr zweieinhalbmal so schnell gewachsen wie der Durchschnitt der anderen großen Medianetzwerke. Der Anteil unserer digitalen Revenues liegt inzwischen weltweit bei 43 Prozent. Klassischer Mediaeinkauf ist nach wie vor ein wichtiger Bestandteil unseres Geschäfts, aber wollen wir künftig darauf aufbauen? Nein. Unser Modell ist ein anderes. Es geht darum, die Kommunikations-Schnittstellen zu beherrschen und echten Geschäftserfolg für un-

sere Kunden zu liefern. Das ist unsere Zielsetzung. Mediaagenturen wollen ihren Kunden helfen, neue Geschäftsmodelle zu entwickeln – das klingt wie eine alte Geschichte von Amir Kassaei und nach ziemlicher Selbstüberschätzung. Alles andere als das. Denn so weit weg ist das gar nicht von dem, was wir heute schon tun. Wir helfen bei dem Aufbau von E-Commerce-Plattformen, verstehen immer besser den Zusammenhang zwischen Media und direkten Abverkäufen, wir arbeiten mit neuesten Technologien und verfügen über viel Erfahrung, was Kooperationen mit Medien und Start-ups betrifft. In der Praxis setzen wir auf eine 70-20-10-Innovations-Agenda. 70 Prozent des Mediabudgets fließen in erprobte Maßnahmen, die wir immer besser und smarter umsetzen. 20 Prozent gehen in Innovationen, von denen wir wissen, dass sie funktionieren. Und 10 Prozent wollen wir für wirklich komplett neue Lösungen nutzen, die uns helfen, die nächste Entwicklungsstufe zu erreichen. Auf welche Kampagnen sind Sie aktuell besonders stolz? Es gibt eine ganze Reihe. Es ist aber jetzt schon klar, dass die Kampagne für Eckes mit Yoko und Klaas eine der erfolgreichsten des Jahres 2015 ist. Dieser Case ist auch ein Beispiel für eine wirklich gute Zusammenarbeit von Kunde, Kreativund Mediaagentur. Und natürlich sind wir stolz darauf, Burger King als Kunden gewonnen zu haben. Auch da fahren wir eine sehr konsequente Strategie. Burger King kann es sich nicht leisten, nur auf Image zu setzen, jede Kampagne muss immer auch eine klare Absatz-Implikation haben. Wenn Sie Kampagnen so genau tracken, können Sie uns ja sagen, welche Mechanik am meisten Erfolg verspricht. Lautet das Modell der Stunde: Reichweitenaufbau über TV und Verlängerung der Kampagne über Social Media?

REPORT MEDIASTRATEGIE 2016 39 FOTO: ER ICH DU

Es gibt einen Leitspruch, der mir sehr gefällt: „Content is King, Distribution is King Kong". Selbst die sehr berühmten Evian-Spots mit den Babys, die ich sehr liebe, mussten alle medial angeschoben werden. Wenn eine Kampagne wirklich groß werden soll, braucht sie nach wie vor klassische Medien. Was aber nicht heißt, dass die TV-Kampagne am Anfang stehen muss. Ist es nicht enttäuschend, dass reine Social-Media-Kampagnen nur in den seltensten Fällen funktionieren? Die Garantie, dass eine Kampagne funktioniert, haben Sie bei einem TV-Spot auch nicht. Im Mediageschäft gehört es zum Arbeitsalltag, auch klassische Kampagnen zu stoppen, wenn sie nicht richtig performen. Zumindest sind in TV Reichweiten planbar. Bei Social Media fehlen dagegen skalierbare Modelle. Für mich ist der Eckes-Case wirklich wegweisend. Am Anfang stand eine tolle Idee, die wir über Twitter, Facebook und Youtube sehr genau ausgesteuert haben. Erst danach kamen klassische Medien hinzu. Das ist schon deutlich komplexer, als einfach eine TV-, Radio- oder Printkampagne aufzusetzen. Ist Kreation oder Media wichtiger? Beides ist wichtig, im besten Fall lösungsorientiert und in enger Zusammenarbeit. Durch unseren Ansatz „Motivations to Connect", der auf Erkenntnissen des Neuromarketings basiert, haben wir ein sehr stark ausgeprägtes Verständnis von einer konsequenten Markenführung über alle Kanäle hinweg. Die Werbungtreibenden verlangen zunehmend einen zentralen Ansprechpartner, der die unterschiedlichen Disziplinen zusammenhält und die Führung übernimmt. Dafür sehen wir uns sehr gut aufgestellt und erhalten immer häufiger das Mandat, eine übergreifende zentrale Koordinationsrolle zu übernehmen.

Wie eng arbeiten Sie mit Andreas Böltes Nachfolger Zoja Paskaljevic als CEO und den anderen Geschäftsführern in der Gruppe zusammen? Sehr eng. Wir verstehen uns als ein Unternehmen, alle Agenturen arbeiten hier in einem „Operating Model" integriert zusammen. Das macht im Übrigen auch den Unterschied zu allen anderen Agenturen aus. Ich werde als Geschäftsführerin auch nicht an den Zahlen von Vizeum gemessen, sondern am Gesamtergebnis der Gruppe. Das fördert die Ambition des lösungsorientierten Arbeitens für den Kunden und wirklich integriertes Agieren, weil wir uns dadurch von Silodenken nach Agenturen und Disziplinen verabschiedet haben. Aber mit Vizeum in Deutschland zu wachsen, ist auch noch ein Ziel? Ja, natürlich. Wir übernehmen innerhalb des weltweiten Vizeum Networks eine Schlüsselfunktion als wichtiger Werbemarkt und als ein zentrales internationales Hub. Laut Recma haben wir unsere Billings 2014 um 7 Prozent in Deutschland gesteigert, in diesem Jahr wollen wir noch mal zweistellig zulegen. Unser Ziel ist, in den nächsten Jahren ein BillingVolumen von eine Milliarde Euro zu erreichen. Und wir wollen bis 2020 zu 100 Prozent Digital sein.

Das ist dann ja ein echter Alptraum für die Verlage. 100 Prozent ist die Vision. Wenn es 90 Prozent werden, ist das heftig genug. Print wird sicherlich weiter deutlich verlieren, aber wenn die Verlage die digitale Transformation konsequenter als bisher angehen, können sie von dieser Entwicklung auch profitieren. Journalistische Inhalte behalten auch in der digitalen Welt eine überragende Bedeutung. Sie sagen das so nett und freundlich, aber in Wirklichkeit ist das doch eine brutale Botschaft an die Verlage: Setzt

weiter auf Journalismus, aber vergesst endlich das blöde Print! Es gibt keine Alternative zur digitalen Transformation. Als Unternehmen befinden Sie sich heute entweder in einem Turnaround-Prozess oder Sie sind ein Start-up oder sie sind beides. Das gilt auch für das klassische Fernsehen. Ich bin sicher, dass der große Bildschirm wichtig bleibt. Nur: Muss darauf immer TV laufen? Angebote wie Netflix und Amazon Prime sind aus meiner Sicht eine ernsthafte Konkurrenz für die TVSender. Auf der anderen Seite betreiben die Sender große Investitionen und Engagement, sich im Digitalen zukunftsweisend aufzustellen. Was sind aus Ihrer Sicht die wichtigsten Mediatrends in den kommenden Jahren? Zum einen sicherlich Brand Commerce, also das Zusammenwachsen von Media und Transaktionen. Außerdem Intelligent Data, Eins-zu-Eins-Kommunikation und Programmatic. Wobei Letzteres nicht nur digitale Medien betrifft. Fragt sich, ob zum Beispiel die TV-Vermarkter wirklich Lust auf Programmatic haben. Bisher hat Programmatic in Deutschland teilweise ein Imageproblem und wird häufig gleichgesetzt mit Tiefstpreisen und Ramschware. Aber darum geht es überhaupt nicht, sondern um effizientere Prozesse und eine optimale Aussteuerung von Werbung nach vorgegebenen KPI´s. Es ist der Einkauf der Zukunft für alle Medien. Wir sind in der Gruppe dazu sehr gut aufgestellt und investieren deutlich in weitere Entwicklungen. Wir haben gerade unser „Motivational Targeting“ aufgesetzt, wo wir Menschen im Netz nach ihrer Motivation „targeten“. Damit können wir die Werbewirkung signifikant verstärken. Und das ist nur der erste Schritt. Das, was wir heute sehen, ist noch lange nicht das Endprodukt von Programmatic. Wir befinden uns mitten in der Entwicklung.

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HORIZONT 36/2015

3. September 2015

Messlatten für

Online

Mediawährungen müssen die Balance halten zwischen Tempo und Gründlichkeit. Damit hinkt Online in der Nutzungsrealität zwangsläufig hinterher

E Währungen

AGF: Die Fernsehforscher arbeiten an einer Bewegtbildwährung aus linarem und Web-basiertem TV. Comscore: Das US-Marktforschungsunternehmen veröffentlicht weltweite Nutzungsdaten für Online und Mobile, Video, Search und Social Media. Digital Facts: Agof-Studie, die stationäre und mobile Internetnutzung erfasst. MA Audio: Konvergenzdatei aus Web- und UKW-basierter Radionutzung MA Intermedia Plus: Datensatz aus den MAErhebungstranchen und des AGF/GfK-Fernsehpanels MA Internet: gleicher Datensatz wie die Digital Facts, ergänzt durch Befragungsteil

Von Vera Günther

in Euro entspricht 1,13 US-Dollar, ein US-Dollar wiederum 119,92 japanischen Yen (Stand Ende August). Wie diese Wechselkurse zustande kommen, ist für Laien schwer durchschaubar. Doch noch komplizierter scheint zu sein, Währungen für Medien zu bestimmen. Bestes Beispiel: die MA Intermedia Plus, mit der die Arbeitsgemeinschaft Media-Analyse (Agma), oberste Hüterin aller werberelevanten Reichweiten, die Überschneidungen bei der Mediennutzung abbildet. In der Markt-Media-Studie, die im Herbst 2014 in völlig neuer Konzeption veröffentlicht wurde, waren erstmals Online-Reichweiten integriert. Im November nun kommt die mit Spannung erwartete zweite Auflage. Die Premiere vor einem Jahr hatte viel Kritik seitens der Agenturen hervorgerufen. Zu grob für die taktische Planung sei sie, zu alt die Daten des nur einmal im Jahr erscheinenden Werks. Alles richtig, aber Agma-Geschäftsführer Olaf Lassalle setzt entgegen: „Man darf die MA Intermedia Plus nicht nur als einmalig veröffentlichte statische Datei betrachten. Die Daten gehen in zahlreiche Markt-Media-Studien und viele weiterführende Agenturstudien ein.“ Unbewusst greifen viele Mediaplaner damit auf die Daten zu. Die Ausgabe 2015 könnte aber tatsächlich enttäuschen. Präsentierten die Ende August publizierten Digital Facts schon Reichweiten aus mobiler und stationärer Nutzung (HORIZONT 35/2015), beschränkt sich die Intermedia-Studie weiterhin auf die stationären Daten. Das war allerdings anders beabsichtigt, so Lassalle: „Die Vorlaufzeit für eine Fusion mit einer neuartigen Studie beträgt mehrere Monate. Nachdem die Digital Facts Ende August erschienen sind, reicht die Zeit für eine Integration in die kommende MA Intermedia Plus nicht aus.“ Die Mitte September veröffentlichte MA Internet wird hingegen stationäre und mobile Internetnutzung abbilden. Der mangelnden Vorlaufzeit geschuldet enthält die MA Intermedia zudem nur die klassische Radionutzung, obwohl Anfang November die erste Ausgabe der

MA Audio geplant ist, die die Daten aus UKW-Nutzung und Webradio zusammenführt. Mit der Radio-Konvergenzdatei bringt die Agma immerhin vergleichsweise schnell Ergebnisse auf den Markt. Die erste Erhebung von Webradio erfolgte im Frühjahr 2014. Für eine gezwungenermaßen langsame Institution wie die Agma, die die Interessen von Vermarktern, Publishern und Werbungtreibenden unter einen Hut bringen muss, ist die schnelle Vereinigung mit der klassischen Radionutzung nun fast schon ein Geschwindigkeitsrekord. „Die Herausforderung ist, den Pegel zwischen Qualität und Geschwindigkeit zu halten. Qualität mit Währungscharakter braucht Zeit“, erklärt Lassalle. Die Agma sei sich jedoch des heutzutage erforderlichen Tempos bewusst, um weiterhin die Währungshoheit gegenüber anderen Marktpartnern und deren Standards zu besitzen.

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inen solchen Standard hatte Google bereits gesetzt. Das von der Suchmaschine finanzierte Cross Media Link Panel (GXL-Panel) der GfK weist die Reichweiten von Google-Tochter Youtube aus. Im April kam es zur Einigung mit der Arbeitsgemeinschaft Fernsehforschung (AGF). Diese will Ende des Jahres ihre crossmediale BewegtbildReichweite einführen. Nun soll auch Youtube einfließen. Ziel ist eine Nettoreichweite für TV und Onlinevideo, die Überschneidungen beider Plattformen abbildet. (HORIZONT 22/2015). „Eine längst überfällige Alternative zu den proprietären, wenig untereinander vergleichbaren Einzellösungen der Agenturen, die einen transparenten Standard für alle Marktteilnehmer schafft“, so das Urteil von Sebastian Schichtel, Unitdirektor bei Crossmedia. Er verspricht sich einen einfacheren Planungsprozess. Es fehlen jedoch immer noch bedeutende Anbieter, bemängelt Pilot-Geschäftsführerin Martina Vollbehr: „Die AGF betrachtet aktuell nur den Onlinecontent der Gesellschafter-Sender, Google folgt mit den Youtube-Zahlen. Das deckt zwar einen relevanten, trotzdem aber nur speziellen Teil des gesamten Bewegtbild-Angebotes ab.“ Nicht enthalten sind etwa

Spartensender, oder aber Twitter und Facebook.

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ie Mediaexperten erhoffen sich durch Googles Schritt deshalb eine Sogwirkung auf andere Anbieter. „Über unseren eigenen Planungsansatz Doubleplay sehen wir bereits die inkrementelle oder überschneidende Reichweite von Facebook-Videos zu unseren TV-Plänen – und diese kann sehr relevant sein“, umreißt Pilot-Chefin Vollbehr die Planungslücke. Zumindest Facebook aber, so glaubt CrossmediaMann Schichtel, wird sich von den neuen Allianzen kaum irritieren lassen. „Die Zukunft des Video-Inventars von Facebook wird im programmatischen Verkauf liegen – dort spielen die AGF-Planungssysteme eine nachgelagerte Rolle.“ Auch die Arbeitsgemeinschaft Onlineforschung (Agof) bastelt an einem Ansatz, um Bewegtbilddaten in die Digital Facts zu integrieren. Um diese Aktivitäten ist es allerdings still geworden. Hat die Agof aufgegeben? „Mitnichten!“ betont Agof-Vorstandvorsitzender Björn Kaspring. „Sowohl der Agof als auch der AGF-Ansatz haben ihre jeweils eigene Berechtigung – je nachdem, aus welcher Planungssicht Sie die Daten benötigen.“ Beide Erhebungen folgen der Planungslogik ihres Mediums: Bei Online steht der Kontakt und die Nutzungszeit pro Kontakt und bei TV die Sehbeteiligung der einzelnen Formate im Zentrum. Grundsätzlich kann sich Kaspring auch eine Zusammenarbeit mit der AGF und damit einen gemeinsamen Ansatz auch mit Partnern wie Google vorstellen. Ein Ergebnis ist hier vorerst nicht zu erwarten, Vollzug kann die Agof dafür endlich in Sachen Digital Facts vermelden. Im Gegensatz zum Prototyp wird die Mediennutzung nun in einer gemeinsamen Erhebung erfasst. Neues verkündet die Agof auch zu den Control Facts. Der bei der letzten Dmexco vorgestellte Standard soll Kampagnen auf der gleichen Datengrundlage bewertbar machen, nach der sie auch und gebucht wurden. Aufbauend auf den Planungsdaten der Digital Facts will die Agof künftig für Kampagnen Ex-Post-Daten zur Verfügung stellen, anhand derer Werbungtrei-

bende kontrollieren können, ob die Mediavorgaben erreicht wurden. Dazu gehören Nettowerte in Form von Unique Usern, inklusive soziodemographischen Merkmalen. Die Agof will für die ExPost-Betrachtung aber auch Bruttowerte wie Ad Impressions anbieten. Dass auch hier Plattformen wie Google, Facebook und Amazon außen vor bleiben, ist ein unvermeidlicher Wermutstropfen. Das gilt umso mehr, wenn es um eine internationale Planung geht. Eine Planung und Analyse der Zielgruppen über Landesgrenzen hinweg ermöglicht stattdessen Comscore. Eine Prüfung der Validität zu den deutschen Währungsdaten ist dabei aber laut Christian Leipacher, Managing Director bei Maxus Global, unabdingbar: „Die Ergänzung der Agof mit internationalen Daten stellt Mediaplaner vor Herausforderungen, die insbesondere in den unterschiedlichen Panelgrößen begründet sind.“ Die AgofDaten aber durch eines der internationales Panel zu ersetzen, kommt für Leipacher nicht infrage: „Bei der Nutzung landesspezifischer Daten ist die Agof Comscore klar überlegen. Hier verfügt Comscore über ein noch verhältnismäßig kleines Panel.“

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uch Mindshare-CDO Timucin Guezey bricht eine Lanze für die Währungshüter. In der Erfassungsmethodik oder in der Kompatibilität mit Vermarkter-Kombinationen sei Comscore der deutschen Markt-MediaStudie weit unterlegen. Den allseits beklagten langsamen Erhebungsrhythmus der Digital Facts, der der tatsächlichen Nutzung sechs Wochen hinterherhinkt, empfindet er nicht wirklich als Problem: „Dramatische Sprünge von Angeboten, die in der Agof bereits bestehen, finden in den seltensten Fällen in kurzen Zeiträumen statt.“ Doch Kaspring kennt den Handlungsbedarf. „Wenn man es verstärkt mit Echtzeithandel zu tun hat, passt ein Währungsmodell, das mit circa sechs Wochen Zeitverzug auf den Markt kommt, natürlich nicht mehr dazu. Wir brauchen dringend tagesaktuelle Daten.“ Hier wird er der gleichen Herausforderung begegnen wie die Agma: den Pegel zwischen Tempo und Qualität halten.

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REPORT MEDIASTRATEGIE 2016 41

Das Mikro-Momentum

Mobile Dienste und Kampagnen sollen die Konsumenten nachhaltig erreichen, doch der kleine Screen findet nicht immer die gewünschte Akzeptanz. HORIZONT fragt Agenturen und Vermarkter, wie das zu ändern ist

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as müssen eine mobile Kampagne, ein mobiler Dienst oder ein mobiles Angebot leisten, um endlich den weitreichenden Durchbruch für die Gattung Mobile zu erwirken?

Stefan Schumacher, Executive Director Digital bei G+J EMS

Adrian Kielich, Head of Mobext Deutschland, Havas

Stefanie Krebs, Geschäftsführerin Plan.Net Technology

Andre Krämer, IQ Digital

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on mangelnder Akzeptanz kann nach unseren Erfahrungen keine Rede sein – im Gegenteil. Unsere Kampagnenergebnisse zeigen vielmehr, dass die Performance mobiler Kampagnen oftmals deutlich oberhalb derer in Online liegt. Und auch unsere Werbewirkungsstudien belegen, dass der Mobile-Kanal in Bezug auf die maßgeblichen Brandingfaktoren und die Kampagnen-Awareness deutlich besser wirkt als andere Kanäle. Dies widerlegt gleichzeitig die immer wieder monierte, angeblich nicht ausreichende Größe der mobilen Werbeformen. Mobile ist definitiv auf dem Weg zum festen Bestandteil im Mediamix – denn mittlerweile entfällt ein signifikanter Teil der täglichen Mediennutzung auf Mobile und die Spendings folgen den Verbrauchern in diesen Kanal. So hat inzwischen nahezu jede digitale Kampagne mobile Bestandteile, das heißt Mobilewerbung ist hocheffizient und längst auf Augenhöhe mit Onlinewerbung. Entscheidend ist, wirklich „mobile“ zu denken und die Besonderheiten des Kanals bei der Entwicklung eines mobilen Angebots oder der Kampagnenplanung zu berücksichtigen. Es geht vor allem darum, mit intelligenten Konzeptionen auf die jeweilige Nutzungssituation und -verfassung des Konsumenten einzugehen und die Inhalte adäquat und innovativ für die mobile Nutzung aufzubereiten. Dann kann man auch eine überdurchschnittliche Aufmerksamkeit und Nutzer-Aktivierung erreichen. Und schon heute gibt es Marken, die mehr mobile als stationäre Internetnutzung haben – der Durchbruch der Gattung Mobile ist also längst da!

rstens sollten wir Mobile nicht einfach als einen weiteren Kanal im Marketingmix sehen. Mobile sollte voll in die gesamte Kommunikationsstrategie integriert werden, die berücksichtigen muss, dass das Smartphone das persönlichste aller Devices ist. Wir verbringen mehr Zeit mit dem Smartphone als mit TV oder Desktop-Computer. Um den Kampf um die Aufmerksamkeit der Nutzer zu gewinnen, müssen Marken strategisch über Mobile nachdenken, ihre Perspektive einnehmen und ihre Standort berücksichtigen, um einen Wert für den User zu schaffen. Das kann eine sinnvolle Lösung für ein Problem oder eine personalisierte Unterhaltung des Nutzers sein, je nach Situation und Kontext. Marken müssen ihr Geschäft transformieren, um mit den Konsumenten Schritt zu halten, die sofortige Antworten auf ihre Fragen und umgehende Befriedigung ihrer Bedürfnisse durch ihr mobile Devices erwarten. Nur diejenigen Marken werden hier erfolgreich sein, die lernen, in den Mikro-Momenten die richtigen Antworten zu liefern.

ie aktuellen Zahlen der Agof zeigen: Die Nutzer für mobile Services sind da und die Angebote werden auch schon fleißig genutzt. Was fehlt? Vielen Unternehmen fehlt bislang eine mobile Strategie und ein Konzept für die neue mobile Welt. Aus unserer Sicht haben sich viele noch keine Gedanken darüber gemacht, wie sie ihre Dienstleistung in die mobile Welt transformieren und welche Auswirkungen dies auf ihre Strategie, ihr Unternehmen und ihre Unternehmensprozesse hat. Denn klar ist: Es reicht einfach nicht aus, die Website „responsive“ zu machen oder die vorhandenen Services in eine App zu packen. Der Nutzer verlangt mehr! Was ist zu tun? Unternehmen müssen sich die Frage stellen: „Welchen Mehrwert kann ein Service von mir für Nutzer auf dem Smartphone haben?“ Und hier ist Umdenken gefragt. Denn es genügt nicht, vorhandene Services oder etablierte Prozesse zu adaptieren, sondern Unternehmen müssen endlich außerhalb der eigenen Grenzen denken. Sie müssen für ihre mobile Strategie überlegen, welche Angebote oder Services im mobilen Zusammenhang wirklich relevant sind. Der beste neue Service ist im Idealfall eine Erweiterung oder Neudefinition des vorhandenen Geschäftes. Ist das geschehen, ist es unabdingbar, bei der Umsetzung einen „Mobile first“-Design-Ansatz zu wählen. Dies stellt sicher, dass an allen Punkten der Entwicklung die mobile Nutzung im Vordergrund steht. Außerdem versteht sich von selbst: Diese mobile Nutzung sollte schnell und einfach möglich sein.

ie jüngst veröffentlichten Agof Digital Facts verdeutlichen nochmals, dass Mobile als Touchpoint im Rahmen der Markenkommunikation unverzichtbar geworden ist. Damit sich die mobilen Werbespendings weiter der Nutzung angleichen, bedarf es Anstrengungen innerhalb verschiedener Bereiche. Mobile Kampagnen und besonders der Einsatz von HTML5 bieten ganz aktuell die Möglichkeit, mit innovativen Kreationen – speziell in Bezug auf Branding-Kampagnen – herauszustechen. Hier können wir uns in den nächsten Monaten auf spannende und innovative Umsetzungen freuen. Vermarkter stehen in diesem Zusammenhang in der Pflicht, die Rahmenbedingungen für mobile Werbung zu setzen, damit deren Akzeptanz nicht zum Beispiel durch Formate, die große Datenvolumina binden oder das Nutzungserlebnis auf MEWs und Apps erheblich beeinflussen, geschädigt wird. Vor allem aufgrund der nicht nur räumlichen Nähe mobiler Endgeräte zum Nutzer gilt es, besonderes Fingerspitzengefühl zu beweisen. Wir schaffen diese Rahmenbedingungen beziehungsweise entwickeln sie kontinuierlich weiter. Sie werden aktuell insbesondere seitens innovationsfreudiger Kunden, die bereits über entsprechende mobile Strategien verfügen, genutzt.

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42 REPORT MEDIASTRATEGIE 2016

Kein Primus G in Sicht

Von Roland Karle

Experten bewerten im HORIZONT-Mediencheck den Relaunch von Zeitschriften

leich drei Printklassiker haben in diesem Jahr ihren Erscheinungstag vorgezogen. „Der Spiegel“ und „Focus“ kommen nun samstags, die „Wirtschaftswoche“ freitags. Auch sonst stehen die Zeichen bei zahlreichen Zeitschriften auf Veränderung: frisches Layout, neue Rubriken, andere Heftstruktur. Manchmal kommt es gar zum kräftigen Relaunch wie vor zweieinhalb Jahren bei „Capital“. HORIZONT hat neun Titel ausgewählt, die eine Renovierung hinter sich haben, und 13 Experten zur Begutachtung gebeten. Bewertet wurden – nach Schulnoten – zwei Kriterien. Erstens: Attraktivität, also die Frage, wie besonders ein Ma-

gazin ist und wie stark es sich vom Wettbewerb abhebt. Zweitens: Fortschritt, an dem zu erkennen ist, ob und wie sich ein Titel durch die Veränderung verbessert hat. Ergebnis: Vier Magazine erhalten die Zeugnisnote „gut“, schlechter als „befriedigend“ ist keines, bei zweien steht jedoch eine 3 vor dem Komma. Primus ist der „Spiegel“, der es auf eine Gesamtnote von 2,27 bringt. Drei Verfolger sind dicht dahinter: „Capital“ (2,33), „Auto Bild“ (2,36) und „Stern“ (2,43). „Capital“ ist das auf beeindruckende Weise gelungen, was Wolfgang Schuldlos fordert. „Zeitschriften müssen sich aufgrund der digitalen Konkurrenz thematisch vollkommen neu positionieren“, so der Inhaber des Instituts für Werbeerfolgs-Messung. Mit dieser Einschätzung

HORIZONT 36/2015

steht Schuldlos nicht allein. Dem Wirtschaftsmagazin, an dem in den vergangenen 15 Jahren kräftig herumgedoktert wurde, schreiben die Wertungsrichter die höchste Innovationskraft aller ausgewählten Titel zu. Mit 2,33 – der besten Note im Fach „Fortschritt“ – erweist sich der im Mai 2013 erfolgte Relaunch als der erhoffte große Wurf, auch wenn die Auflagenzahlen das noch nicht bestätigen.

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ie beiden anderen Wirtschaftsmagazine schneiden schlechter ab. Dabei liegen „Manager Magazin“ (Note 2,67) und „Wirtschaftswoche“ (2,75) auf den Plätzen 5 und 6 fast gleichauf. „MM“ gilt im direkten Vergleich als attraktiver, während der „Wiwo“-Relaunch als fortschrittlicher betrachtet wird.

3. September 2015

Applaus erhält Bauer für die Entscheidung, „Bravo“ zum Social Magazine umzubauen. Allerdings sind die Medienund Mediakenner skeptisch, ob die einst millionenfach verkaufte Jugendzeitschrift eine echte Wende schaffen kann. Arg kritisch betrachten die Juroren die Entwicklung von „Focus“: Mit der Gesamtnote 3,43 reicht es gerade noch für „befriedigend“, in der Kategorie „Fortschritt“ liegt der Wochentitel jedoch ganz hinten (Note 3,54). Dank digitaler Verbreitung habe die Reichweite der Medienmarke „Focus“ stark zugelegt, stellt JOM-Geschäftsführer Roland Köster fest. Doch durch den schwachen Heftverkauf, so Kirsten Lübke, VizeChefin der Agentur Crossmedia, „sinkt die Relevanz als Nachrichtenmagazin weiter“.

CHAN Verlag: Gruner + Jahr Frequenz: wöchentlich Chefredakteur: Christian Krug (seit

Oktober 2014)

Verkaufte Auflage: 736325 (II/2015) Relaunch: Neues Heftkonzept bereits seit

Die Juroren

MARTINA AHLENSTIEL, Group Head Planning Print Carat Deutschland ANNE-KATHRIN BIDA, Leiterin Beratung Media Pilot Hamburg BERTHOLD DÖRRICH, Geschäftsführer Köckritz Dörrich MICHAEL FIEDLER, Geschäftsleitung Redaktionsbüro Wipperfürth / Köln Sport Verlag BARBARA FRIEDRICH, Chefredakteurin „Architektur & Wohnen“ ROLAND KÖSTER, Geschäftsführer JOM Jäschke Operational Media KIRSTEN LÜBKE, stellvertretende Geschäftsführerin Crossmedia BEATE RYBARZ, Gruppenleiterin Print Competence Center Zenith Optimedia BETTINA SCHELL, Head of Planning Universal McCann, Standort Nürnberg MICHAELA SCHIRRMANN, Geschäftsführerin DuMont Media WOLFGANG SCHULDLOS, Inhaber Institut für Werbeerfolgs-Messung BERNHARD WILLER, Inhaber Willkom Beratung für Medien MICHAEL ZIMPER, Geschäftsführer Zimper Media

Verlag: Gruner + Jahr Frequenz: monatlich Chefredakteur: Horst von Buttlar Verkaufte Auflage: 140687 (II/2015) Relaunch: Team neu aufgestellt und

Platz 1: Der Spiegel

Verlag: Spiegel-Verlag Frequenz: wöchentlich Chefredakteur: Klaus Brinkbäumer Verkaufte Auflage: 822761 (II/2015) Relaunch: Erscheint seit Januar samstags

statt montags

Neuer Markenclaim: „Keine Angst vor

der Wahrheit“, frisches Layout seit Mai 2014 Noten: 2,00 (Attraktivität) / 2,54 (Fortschritt) Gesamtnote: 2,27 Kommentare: Nahbarer, teils leichter konsumierbar, ohne an Relevanz im Politischen zu verlieren (Ahlenstiel). Imponiert wieder mit politischer und gesellschaftlicher Haltung, gerade auch beim Thema Flüchtlinge (Friedrich). Immer noch die Referenzklasse unter den Magazinen. Spannend, wirklich angstfrei, bewusst polarisierend. Die Titelbilder sind kreativer denn je – die Splitcover mit den Flüchtlichen: super! (Willer). Grundlegender Charakter wurde nicht verändert – und das ist gut so (Rybarz). Mit Claim, relevanten Titeln und Themensetzung wird ganz modern auf alte Stärken gesetzt. Toll! (Dörrich). Der Fokus liegt auf politischer und gesellschaftlicher Berichterstattung – fast ein Alleinstellungsmerkmal in der deutschen Medienlandschaft (Fiedler). Auch die Umstellungen können den Verkaufsrückgang am Kiosk nicht aufhalten (Köster). Auflagenplus durch EVTUmstellung wieder abgeebbt (Bida).

komplett verändertes Heftkonzept (seit Mai 2013) Noten: 2,33 / 2,33 Gesamtnote: 2,33. Kommentare: „Capital“ hat es geschafft, Wirtschaft anders zu erzählen, und das verlorene Vertrauen an Wirtschaftsmagazine zurückgewonnen. Modernes, opulentes, aber auch von Nutzwert geprägtes Design (Fiedler). Mut, der sich gelohnt hat. Macht Lust aufs Lesen! (Dörrich). Umstellung geglückt (Schirrmann). Man hat klar erkannt, dass sich Zeitschriften aufgrund der digitalen Konkurrenz thematisch vollkommen neu positionieren müssen (Schuldlos). Massiver Umbau des Titels. Die ThemenRange ist breiter, die Schreibe auch für Wirtschaftseinsteiger verständlich. Daher sowohl für Kunden als auch Leser leichter zugänglich (Ahlenstiel). Mehr Differenzierung durch „back to the roots“, dadurch nah dran an den Menschen und Geschichten (Bida). Das neue Konzept scheint aufzugehen. Digital noch Nachholbedarf (Köster). Tut sich nach wie vor schwer, wenn nur noch 40 Prozent der Auflage aktiv gekauft werden, ist das schon ein Zeichen (Lübke). „Wirtschaft anders erzählen“ und ein stylisches Layout reichen nicht aus, um sich zwischen den anderen starken Wirtschaftsmagazinen zu behaupten (Schell).

Platz 3: Auto Bild

Verlag: Axel Springer Frequenz: wöchentlich Chefredakteun: Bernd Wieland Verkaufte Auflage: 424560 (II/2015): Relaunch: Umfassender Relaunch von

Cover, Heftstruktur, zusätzliche Rubriken (Mai 2014) Noten: 2,29 / 2,43 Gesamtnote: 2,36 Kommentare: Optisch gelungen mit guten Fotos und Information rund um Autos (Zimper). Modernere Optik nach dem Relaunch, sich aber trotzdem treu geblieben. Abwechslungsreichere Inhalte durch zusätzliche Rubriken (Rybarz). Ist mir trotzdem noch zu unübersichtlich, was das Layout anbetrifft (Schuldlos). Trotz der Auflagenverluste eine der führenden Autozeitschriften (Lübke). Bleibt das Maß der Dinge, wenn es gilt, Deutschlands breite Masse von Autointeressierten auf den aktuellen Stand zu bringen (Fiedler). Optik und Inhalte wirken viel moderner. Angenehm: die klar sortierten Rubriken. Zusammen mit den vielen crossmedialen Inhalten ein überzeugendes Leseerlebnis (Dörrich). Die Leser honorieren die neue Heftstruktur nicht, trotzdem immer noch ein attraktives Umfeld für die Automobilindustrie, insbesondere wenn man sich die Entwicklung der MultichannelReichweiten ansieht: Die Web-Reichweite hat sich in den vergangenen fünf Jahren gut verdreifacht (Köster).

März 2013, entwickelt unter Krugs Vorgänger Dominik Wichmann Noten: 2,23 / 2,62 Gesamtnote: 2,43 Kommentare: Angepasst an neue Lesegewohnheiten mit Luft und Überraschung. Der Weg stimmt (Dörrich). Nach wie vor eine planbare relevante Größe, die für bestimmte Zielgruppen und Kampagnen gut eingesetzt werden kann (Schell). Hat zur alten Stärke zurückgefunden, bildgewaltig und gute Storys (Lübke). Ja, das könnte was werden. Sehr kurzweilig zu lesen und anzusehen. Fast zu schade fürs Wartezimmer (Willer). Durch den Relaunch ernsthafter positioniert (Schuldlos). Interessante Geschichten, gute Perspektiven (Friedrich). Beibehalten der „Stern“-typischen Optik, aufgeräumtere Struktur, lifestyligere Themenauswahl (Ahlenstiel). Wichtig, dass der „Stern“ auch im digitalen Bereich vorangeht. Mit monatlich gut 5 Millionen Personen Reichweite über Twitter beispielsweise führend unter den aktuellen Magazinen (Köster). Inhaltliche Umsetzung wie angekündigt – schärfer, entschlossener, mutiger – kommt nicht an (Rybarz). Mehr Kontinuität zum guten Konzept – wäre mein Wunsch (Schirrmann). Auflagenhöhenflug Anfang 2013 durch neues Heftkonzept und Discountpreis nur kurzfristiger Effekt (Bida).

Platz 4: Stern

Platz 2: Capital

HORIZONT 36/2015

3. September 2015

REPORT MEDIASTRATEGIE 2016 43

Verlag: Verlagsgruppe Handelsblatt Frequenz: wöchentlich Chefredakteurin: Miriam Meckel (seit

Oktober 2014

Verkaufte Auflage: 135234 (II/2015) Relaunch: Erstverkaufstag-Umstellung

von Montag auf Freitag; Layout und Heftstruktur verändert (Mai 2015) Noten: 2,67 / 2,83 Gesamtnote: 2,75 Kommentare: Nach dem Relaunch übersichtlicher, moderner, jünger, weniger nüchtern. Neue Rubriken, zum Beispiel „Innovation & Digitales“, durchaus sinnvoll, sprechen neue Leser an (Rybarz). Titel mit dem neuen Logo wirkt viel aufgeräumter, drinnen konkurriert gelegentlich Design mit Seriosität (Dörrich). Themenmix teils breiter, für einen größeren Leserkreis potenziell interessant (Ahlenstiel). Spannend erzählt, ohne in eine Allerweltspolemik abzurutschen (Fiedler). Die Reichweite der Medienmarke stieg in den vergangenen fünf Jahren um 60 Prozent (Köster). Ist sich treu geblieben: Informationslieferant im konservativen Gewand, der einordnet und bewertet. Weiblichere Handschrift durch die neue Frau an der Redaktionsspitze (Bida). Das neue Konzept greift noch nicht ganz – vielleicht ist die Zeit aber auch vorbei, ein wöchentlich gedrucktes Wirtschaftsmagazin zu publizieren: Online ist schneller und Monatstitel bieten mehr Hintergründe. Trotz allem: „Wirtschaftswoche“ ist eines der wichtigsten Sprachorgane der Wirtschaft (Lübke). Wirtschaft sexy aufbereiten geht anders (Schirrmann).

Verlag: Bauer Media Group Frequenz: zweiwöchentlich Chefredakteur: Volker Koerdt Verkaufte Auflage: 157782 (II/2015) Relaunch: Seit September 2014 mit „neu-

ANGE Platz 5: Manager Magazin

Verlag: Manager Magazin Verlag (Spiegel

Gruppe)

Frequenz: monatlich Chefredakteur: Steffen Klusmann Verkaufte Auflage: 107142 (II/2015) Relaunch: Optisch überarbeitet, neue

Rubriken, zum Beispiel „Business Rebel“ und „In der Umkleide mit...“ (seit Ausgabe 3/2015) Noten: 2,42 / 2,92 Gesamtnote: 2,67 Kommentare: Da wurde nicht zu viel versprochen (Dörrich). So macht Wirtschaft Spaß! Besser geht’s nicht. Super Schreibe, siehe BMW-Titelgeschichte und Bayern München, optisch sehr ansprechend, überzeugendes Titelbildkonzept (Willer). Wirtschaft wird erzählt und nicht in Zahlenreihen verkleidet (Fiedler). Hohe Relevanz in der Entscheider-Zielgruppe – verlässliche Größe (Lübke). Verstärkt Themen aus der Digital- und Technologiewirtschaft, regelmäßiger Luxusbeileger für die Premium-Zielgruppe – spannende Ansätze zur Planung. Jedoch sollte der Titel nicht sein Profil verwässern (Schell). Kleine, aber feine Leserschaft. Verhält sich stabil und wächst digital rasant (Köster). Optische Überarbeitung des Titels fällt kaum auf, Gelegenheitsleser werden den Unterschied wahrscheinlich nicht bemerken (Rybarz). Wirkt inhaltlich nicht eleganter, nur strenger und optisch eingezwängter. Guter Ausbau zur Multimediamarke: mit Abstand stärkste Onlinepräsenz im Segment (Bida). Layout mutet an wie Todesanzeigen, alles bekommt sofort einen negativen Touch (Schirrmann).

Platz 6: Wirtschaftswoche

Platz 7: Bravo

Verlag: Bauer Media Group Frequenz: zweiwöchentlich Chefredakteurin: Nadine Nordmann Verkaufte Auflage: 157 709 (II/2015) Relaunch: Print- und Online-Relaunch,

Umbau zum „Social Magazine“, Printausgabe erscheint nur noch halb so oft Noten: 2,90 / 2,60 Gesamtnote: 2,75 Kommentare: Konsequent social – und das aufgeräumte Kinderzimmer im Netz lädt jetzt viel verlockender zum Mitspielen ein (Dörrich). Bleibt zu wünschen, dass die „Bravo“ den Turnaround auch langfristig schafft. Die Aufgabe, als Print-Jugendmagazin der jungen Zielgruppe begehrten Content zu liefern, der nicht rein digital konsumiert werden kann, ist anspruchsvoll (Schell). Näher an und relevanter für die Zielgruppe, da stärkere Integration der neuen Stars, der Youtuber (Rybarz). Layout ist mir trotzdem noch zu unübersichtlich (Schuldlos). Die Umstellung auf zweiwöchentlich rettet kurzfristig die Auflagen (Köster). Online-Relevanz ist hoch – und Print ist eigentlich tot. Auch wenn die Auflage sich etwas besser entwickelt, das Niveau ist zu gering (Lübke).

en Inhalten, mehr Emotionen und frischem Layout“ Noten: 3,14 / 3,00. Gesamtnote: 3,07 Kommentare: Der Relaunch hat der Auto-Zeitung gutgetan. Durch ein aufgeräumtes Layout jetzt wesentlich übersichtlicher, ohne dabei den hohen Nutzwert-Charakter zu verlieren. Als Generalist auf Augenhöhe mit „Auto Bild“ (Fiedler). Neue Rubriken wie Connectivity begleiten den rasanten Wandel in der Branche. Und sonst? Der Spannungsbogen zwischen Facts und opulenten Strecken sitzt (Dörrich). Eine Reform, keine Revolution (Schuldlos). Modernere Optik nach dem Relaunch, sich aber trotzdem treu geblieben. Abwechslungsreichere Inhalte durch zusätzliche Rubriken (Rybarz). Im Print-Bereich war der „Durchstart“ eher ein stotterndes Weiterfahren. In der digitalen Welt zeigt auch die „Auto Zeitung“ deutliches Wachstum. Eine Verzehnfachung der Web-Reichweite in den vergangenen fünf Jahren spricht für sich (Köster). Nach wie vor hohe Verluste, nur jedes zweite Exemplar wird tatsächlich verkauft, das heißt, die Relevanz schwindet weiter (Lübke).

Platz 9: Focus Verlag: Hubert Burda Media

Frequenz: wöchentlich Chefredakteur: Ulrich Reitz Verkaufte Auflage: 501504 (II/2015) Relaunch: Erstverkaufstag-Umstellung

von Montag auf Samstag, längere Geschichten bei Politik, Wirtschaft, Technologie, mehr zum Thema „Leben & Genießen“ Noten: 3,31 / 3,54 Gesamtnote: 3,43 Kommentare: Inhaltlich ist ein Neustart gelungen, insgesamt wirkt alles strukturierter (Rybarz). Wochenende plus Genuss-Schwerpunkt – sicher eine gute Entscheidung. Optisch wird aber mehr versprochen als inhaltlich gehalten (Dörrich). Nur geringfügige Änderungen, für den Leser nicht deutlich spürbar (Ahlenstiel). Man hätte „Focus“ nicht nur aufhübschen, sondern revolutionieren müssen (Schuldlos). Attraktivität am Kiosk sehr gering, Relevanz als Nachrichtenmagazin sinkt weiter (Lübke). Die Qualität lässt in dem selbsternannten „Qualitätsmedium“ oft zu wünschen übrig (Fiedler). Nur noch die Hälfte der verkauften Auflage wird tatsächlich vom Leser bezahlt. Allerdings: Die Medienmarke „Focus“ konnte ihre Reichweite in den vergangenen Jahren auf knapp 14 Millionen monatlich ausbauen und ist über Twitter ein minutenaktuelles NewsMedium (Köster). EV-Auflagen-Uplift durch EVT-Wechsel aufgebraucht, im 2. Quartal wieder auf Vorjahresniveau gesunken. Verwässerung des Profils durch noch mehr Themen zu „Leben & Genießen“. Gut: Täglicher Newsletter des Chefredakteurs zeigt Haltung (Bida). Ich langweile mich von der ersten bis zur letzten Seite. Das rettet auch der Kommentar von Herausgeber-Übervater Markwort nicht (Willer).

Platz 8: Auto Zeitung

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44 REPORT MEDIASTRATEGIE 2016

Junge lesen mehr digital

Zeitung lesen im Netz kommt an Top 15 Reichweiten Gesamtangebote (Unique User in Millionen)

Angaben in Prozent

28,1

Regionale Abozeitungen Gesamtangbot

Ebay.de

22,2

Überregionale Zeitungen Gesamtangbot

22,0

Kaufzeitungen Gesamtangbot

29,8 (9,9)

21,4

Gutefrage.net

20,8

Web.de

19,3

Bild.de

19,3

Focus Online

gesamt

16,8

Chip

15,8

Chefkoch

15,6

Basis: deutschsprachige Bevölkerung ab 14 Jahren (69,24 Millionen); durchschnittlicher Monat (April bis Juni 2015)

Quelle: ZMG / Agof Digital Facts 2015/6

HORIZONT 36/2015

Wie viele Serien verfolgen Sie regelmäßig?

Angaben in Prozent

Wie regelmäßig ist die Serie, die Sie verfolgen, in Ihren Tagesablauf eingebunden? 51,0 44,0

21

2 Serien 16

33,0

35,0

16,0

3

6 Serien

16,0 8,0

1

mehr als 7 Serien

Ich plane so, dass ich die Serie immer in Ruhe gucken kann

6

Basis: n = 1128 HORIZONT 36/2015

Quelle: Goldmedia Analyse 2015

Kein Tag ohne Serien: 73 Prozent der Deutschen haben mindestens eine Lieblingsserie im Fernsehen oder Web, die einen wichtigen Platz im Alltag einnimmt. Während Dreiviertel der Befragten mindestens eine Serie regelmäßig schauen, verfolgen 38 Prozent zwei bis drei Serien und 23 Prozent sogar vier und mehr. Die Jüngeren favorisieren

Addressable TV spricht exakt gewählte, kleinste Zielgruppen an. Dass dabei die Masse wegfällt, muss nicht nur gut sein Von Bettina Sonnenschein

FOTO: GUIDO ENGELS

s ist nicht so, dass Matthias Dang, Geschäftsführer von IP Deutschland, grundsätzlich etwas gegen Addressable TV hätte. Zu Jahresanfang erläuterte er im HORIZONT-Interview (3/2015) den Zeitplan, mit dem der RTL-Vermarkter an das Thema individualisierte Werbung im TV herangeht: Erste Tests, bei denen lineare Werbung im Livestream durch Adserver-basierte Werbung ersetzt wird, laufen gerade. In zwei bis vier Jahren, so schätzt Dang, könnten erste getargetete Spots ausgespielt werden – und zwar so, dass wirklich alle ausgewählten Zuschauer etwas davon haben. Denn noch ist nicht flächendeckend gewährleistet, dass die Werbebotschaft auch

Ich sehe die Serie, wann immer sie in meinen Tagesablauf passt

Ich sehe die Serie selten, aber regelmäßig

Basis: n = 1128

Quelle: Goldmedia Analyse 2015

Breit gewinnen, gezielt verlieren

Matthias Dang, IP Deutschland

18 bis 29 Jahre 30 bis 49 Jahre ab 50 Jahre

48,0

6

5 Serien

E

48,0

in Prozent

7

4 Serien

7 Serien

Mehr als die Hälfte der Bevölkerung nutzt die digitalen Angebote der deutschen Zeitungen. Das gilt insbesondere für junge Leser: Dreiviertel der Befragten zwischen 14 und 29 Jahren lesen Zeitung online, das bedeutet 10,9 Millionen Leser in dieser Altersklasse. Auch die Gruppe der 30- bis 49-Jährigen nutzt die digitalen Zeitungsseiten überdurchschnittlich oft.

15

3 Serien

HORIZONT 36/2015

Ältere planen eher vor

Zwei sollten es schon sein 1 Serie

ab 50 Jahre

30 bis 49 Jahre

Quelle: ZMG / Agof Digital Facts 2015/6

16,8

Wetter.com

14 bis 29 Jahre

Basis: deutschsprachige Bevölkerung ab 14 Jahren (69,24 Millionen); durchschnittlicher Monat (April bis Juni 2015)

17,9

Spiegel Online

M

in Prozent (in Millionen)

68,0 (14,7)

51,3 (35,5)

26,6

OMS Zeitungen

edien nehmen bekannterweise einen großen Teil unseres Lebens ein. Zwei aktuelle Erhebungen zum Konsum von Zeitungen und Fernsehserien zeigen nun, wie groß dieser Teil tatsächlich ist: Anhand der Agof Digital Facts 2015-6 weist die ZMG Zeitungs Marketing Gesellschaft erstmals die digitale Nettoreichweite der deutschen Zeitungsangebote aus. Danach nutzen im durchschnittlichen Monat 35,5 Millionen Leser die digitalen Angebote der deutschen Zeitungen. Das Gesamtangebot der Verlage liegt damit sogar vor den beliebten Onlineportalen T-Online, Ebay und Gutefrage.net. Auch Serien sind im Alltag fest verankert. Einer Befragung der Mediaberatung Goldmedia zufolge schauen Dreiviertel der Deutschen regelmäßig mindestens eine Serie im Fernsehen oder Online. Die beliebtesten Serienanbieter sind RTL, ARD und Pro Sieben. Unter den Top 10 finden sich mit Amazon und Netflix außerdem zwei reine Video-on-Demand-Channels. Während besonders jüngere Zuschauer die Flexibilität Letztgenannter zu schätzen wissen, planen Ältere ihren Tagesablauf häufig so, dass sie ihre Serie in Ruhe schauen können.

76,4 (10,9)

31,8

T-Online

Von Anna Lisa Lüft

Reichweiten der digitalen Zeitungsangebote

35,5

Zeitungen Gesamtangebot

Ein starkes Signal für die Zukunft: Jeder Zweite liest Zeitung digital. Auch Serien werden immer häufiger online geschaut

3. September 2015

FOTO: COLOURBOX

Hauptsache auf dem Screen

HORIZONT 36/2015

dort ankommt, wo sie hin soll. Nur Dienstleister wie Smartclip, die mit ihrer Technik in die jeweilige HbbTV-Senderlogik eingebaut sind, können garantieren, dass die über Adserver ausgespielten Kampagnen richtig platziert werden. Schließlich darf kein linear gebuchter Spot eines Kunden von einem Addressable eines anderen Kunden überblendet sein. Auch der sehr unterschiedliche Standard der bislang im Markt befindlichen Smart-TV-Geräte spielt eine Rolle: Ist die technische Abstimmung nicht gesichtert, wird bei manchen Zuschauern der Bildschirm schwarz, sobald der individuell ausgewählte Spot eingespielt wird. Während IP Deutschland daran arbeitet, die Technik aufzurüsten, beschäftigt Manager Dang aber auch die Frage, ob Adressable TV wirklich so optimal für die

HORIZONT 36/2015

US-amerikanische Serien, das beliebteste Genre ist Comedy. Mit zunehmendem Alter werden Serien aus Deutschland beziehungsweise der EU beliebter. 40 Prozent der über 50-Jährigen schauen besonders gerne Doku-Soaps, dicht gefolgt von Krimis.

Fernsehvermarktung ist. Denn: Was ist mit all denen, die eine Werbebotschaft gar nicht mehr zu sehen bekommen, weil sie nicht zur Zielgruppe gehören? „In Zeiten, in denen Massenmedien auch nur für Massenkommunikation eingesetzt wurden, sprach man von Streuverlusten, wenn es um spitzere Zielgruppen ging“, sagt Dang. „Heute sind auch die klassischen Massenmedien sehr viel näher an unterschiedliche Zielgruppen gerückt – also sind die Zuschauer oder Nutzer, die noch nicht zur Käuferzielgruppe gehören, die Streugewinne.“

A

nders gefragt: Was ist so schlecht am Streuen? Sicherlich erhöht jeder Kontakt, der nicht zur definierten Zielgruppe gehört, die Kosten einer Kampagne. Dennoch ist nicht auszuschließen, dass der ungeplante Kontakt trotzdem überzeugt wird. Insbesondere Werbungtreibende aus dem FMCG-Bereich müssten Interesse daran haben, auch Konsumenten zu erreichen, die noch nicht zu ihren Kunden gehören: „Auch wenn die Käuferzielgruppe als Männer zwischen 19 und 39 Jahren definiert ist, freut sich der Markenartikler über Frauen zwischen 24 und 34, die das Produkt kaufen“, sagt Dang. Zudem liegt der Wert einer Kampagne schließlich nicht nur im Return on Investment, sondern auch darin, wie er sich

auf das Image auswirkt. „Aus meiner Sicht wird das Markenbild ganz entscheidend auch durch Nicht-Verwender geprägt“, unterstreicht Dang. „Nicht alle, die Porsche kennen und mit der Marke ein Image verbinden, fahren Porsche. Dennoch trägt gerade die enorme Bekanntheit zum Wert dieser Marke bei.“ Als Vertreter der reichweitenstärksten Gattung ist es natürlich nachvollziehbar, dass der IP-Manager gewissse Zweifel daran hat, dass sich ein so breit aufgestelltes Medium auf enger gefasste Zielgruppen fokussieren sollte. Auf der anderen Seite steigt die Nachfrage vonseiten der Werbungtreibenden. Der jüngste Case von Procter & Gamble, das für Gillette im Juni seine erste Adressable-Kampagne gestartet hat, wird sicher weitere Begehrlichkeiten wecken. Dennoch ist sich Dang sicher: „Am Ende ist ein intelligenter Mix aus Massenund gezielter Kommunikation das Erfolgsrezept.“ Um ein Produkt bekannt zu machen, wird die breite Kommunikation plus spezieller Zielgruppen unumgänglich sein. Die Herausforderung für die Mediaplanung wird dabei sein, dass via HbbTV und Addressable TV die Interaktion mit dem Konsumenten möglich wird: „Wer in den Dialog treten kann und will, muss sehr genau definieren, wer seine Zielgruppe ist und wie und wozu er sie aktivieren will“, so Dang.

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