kun.freunde Gesellschaft der Freunde Haus der Kunst

November 6, 2016 | Author: Dennis Hauer | Category: N/A
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kun�.freunde Gesellschaft der Freunde Haus der Kunst

Freunde und Förderer der Gesellschaft der Freunde der Stiftung Haus der Kunst München e.V. Uwe Achterholt u. Dagmar Blessing ADAC Rechtsschutzversicherungs-AG Anjuta Aigner-Dünnwald Allianz Versicherungs-AG Dr. Uta Alt ALLUDE Modedistributions-GmbH Karl Anselmino ARTinvestor Autobus Oberbayern GmbH Automag Buchner + Linse GmbH & Co. KG Dr. Barbara Bagusat Emmarentia Bahlmann Dr. Michaela Barlach Dr. Friedrich M. und Evelyn Barnick Thomas und Alexandra Barthel BASF AG Dr. Johannes Bauer Bayerische Beamten Lebensversicherung a.G. Bayerische Immobilien GmbH & Co. KG Bayerische Landesbank Bayerische Rundfunkwerbung GmbH Kunsthandel Bellinger Dr. Sabine Benze Michael Berger Roland Berger & Partner GmbH Ingeborg Bergmann Dr. Francisca Bernheimer Konrad O. Bernheimer Marlies Biehler Rudolf Biehler Dr. Matthias und Noemie Bimler Edgar und Eva Binnemann Charlotte Bittner-Wirth Friedel Karl und Esther Bloch BMW AG Christoph und Alexandra Böninger Brigitte Böttger Eva Bonacker Horst und Marion Brandhoff Sylvia Braun Curtis Briggs und Dr. Janina Forell-Briggs Leonore Brunner BTU Treuhand-Union München GmbH Hedda B. Bühner und Marian Bielke Hubert Burda Media Holding GmbH & Co. KG Dr. Andreas Busse Carola Cervinka Christie‘s (Deutschland) GmbH Kanzlei Clifford Chance Christina Çobanli Commerzbank AG Prof. Dr. Horst Cotta Curators GmbH D. A. S. Rechtsschutzversicherungs-AG DaimlerChrysler AG Heidi Defforey Delbrück Bethmann Maffei AG Deutsche Bank AG Deutsche Bundesbank Karl Heinz Dietrich GmbH & Co. Franz Josef Doll Dresdner Bank AG Michael und Eva Duhnkrack EADS Deutschland GmbH Arne Ehmann Eins Plus München GmbH & Co. KG Lo Eitle Angelika Engelhardt Anna Engelhorn Prof. Peter W. und Regine Engelmeier Kurt-Friedrich Engländer Dr. Günther Engler E.ON Energie AG Stephan Erfurt Ernst & Young AG Ursula und Katharina Etschel EURO­ HYPO AG Eva Felten Dr. Carl-Peter Fichtmüller Dr. Friedrich Karl Flick Erika Frey Antje Freyth Anneliese Friedmann Bernhard und Sabina Frohwitter Dr. Richard Fuchs Thessa und Günter Funk Peter und Christina Gain Alexander Gedat Andreas Gegner Generali Versicherung AG Dr. Kathrin Giehl Ingvild Goetz Rupert Goetz Gorny & Mosch - Giessener Münzhandlung GmbH Johannes Griesbeck Andreas Grimm Dr. Katrin Grumme Dr. Alfred Gunzenhauser Leopold Hafner Olga Haindl Ernestine Haindl-Hieber Martina Hamberger-Sticken Dr. Dietmar Hantke Dr. Peter und Heidi Hartel Achim und Daniela Hartz Hasenkamp Int. Transporte GmbH & Co. KG Dr. Claus S. und Sylvia Hass Hauck & Aufhäuser Privatbankiers KGaA Hauser & Wirth Zürich London Katharina Hegewisch von Perfall Dr. Ulrike Helkenberg Stefan Hemmerle Herrmann & Schmidt Dienstleistung Regina Hesselberger Dr. Wolfgang Heubisch Hirmer Verlag München Hannes F. Hofer Holbl Ingenieure Jochen und Susi Holy Renate Homberg Sandra Homberg Honert Funke Maute Neumayer, Partnerschaft Dr. Irmgard Huber Heinrich Hugendubel GmbH & Co. KG Arnim Humbert HypoVereinsbank AG Industrie- u. Handelskammer f. München u. Obb. Dr. Barbara Jäger Georg und Gabriele Jahn Carol Johnssen Prof. Dr. Anselm und Ursula Kampik Dr. Achim Kann Alexandra Kapusta Stefan und Sassi Karg Dr. Joachim Kaske Gabriele Kaumanns Rupert Keim Dr. Hans-G. und Friederike Kelber Hildrun Kerkmann Dr. Rudolf C. King Henrik Klagges Caroline Klapp Dr. Stephan und Angela Kleebach Anneliese Klein Senator h.c. Günther Klinge Bernd und Verena Klüser Kornelia Kneissl Jürgen Knoll Knorr Bremse AG Dr. Kohlhase Vermögensverwaltungsges. mbH Dr. Barbara Kolb Hans Stefan Korsch Renate Küchler Kufner Textilwerke GmbH Kuhn & Bülow Versicherungsmakler GmbH Barbara Lambrecht-Schadeberg Anette Lang Hubertus und Sabine Langen Andreas und Uli Langenscheidt Dr. Florian Langenscheidt Dr. Tania Lehmann Carl Gerhard und Anneliese Lenz LfA Förderbank Bayern Dr. Margret Liebhart Dr. Kathrin Lindner Dieter Lissmann Dr. Philippe Litzka Loden-Frey GmbH & Co. KG Dr. Sigrid LöscherLorenz Eva-Marie Lübbert Luitpoldblock Hausverwaltung Andreas E. Mach Sibylle Mackenrodt Prof. Gero und Eva Madelung MAN AG mannesmann plastics machinery GmbH Marlborough International Fine Art Establishment Michael Alexander Matt Hans Mauve Treuhand GmbH Peter G. E. Mayer Margit J. Mayer Hanno Wilhelm Melcher Merkur Produkt GmbH & Co Service KG Mafalda Millies MMM Münchener Medizin Mechanik Sabine Möhle Morgan Stanley Bank AG Dr. Mokka Müller Karin Müller-Wohlfahrt Münchener Rückversicherungs-Gesellschaft Dr. Constanze Neuhann-Lorenz Ernst Chr. und Victoria Neumann Neumeister Münchener Kunstauktionshaus GmbH & Co. KG Prof. Dr. Elisabeth Noelle-Neumann Optische Werke G. Rodenstock Dr. Gerd Orthmann Osram GmbH Anja Ottmann P1 Gaststätten GmbH Peter und Christa Palmers Papierfabrik Scheufelen Karl Pfefferle Philip Morris GmbH Helmut Philipp Phillips, de Pury & Luxembourg Carola Pinckernelle Jörg und Ingrid Pinder Nicola Plaumann Frigga Pohl Ingeborg Pohl Sybille Polack Angela Popp Prof. Susanne Porsche Postbank Vermögensberatung AG Prestel Verlag Heintz Queisser Prof. Dr. Albert und Evelyn Raedler Christiane Rafflenbeul-Schaub Gabriele Rebling Diane R. Redlich Peter Reimpell Friedrich-Carl und Ingrid Rein Dina Renninger Bankhaus Reuschel & Co Christel Reuther Dr. Hans Rinecker Maximilian Ring Dr. Heiner Rinke Benedict Rodenstock Dr. Helmut Röschinger Eva Rommenhöller Norbert Roos Dr. Milan H. Rubinger Jutta Ruppert Monika Sandler Dr. Amelie Sanktjohanser Dr. Eberhard Sasse Isabel Schaefer Dr. Sebastian Schäfer Schauenburg Service GmbH Dr. Robert Scherb Dr. Friedrich-Karl und Marion Schieferdecker Johann-Christian Schiessl Dr. Rainer Schiweck Karl Otto Schlegel Christian Schlitt Prof. Dr. Reiner und Maria Schmidt Philomene Schmidt-Garre Karsten und Tina Schmitz Gerd Schmitz-Morkramer Peter Schmuck Prof. Dr. Robert H. Schmucker Dr. Ulrich und Gudrun Schneider Schneider & Partner GmbH Dr. Oliver Schnell Werner Schniewind Michaela Schnutenhaus Stefan Schörghuber Schörghuber Stiftung & Co. Holding KG Ulrike Schüphaus Robert und Brigitte Schuler-Voith Dr. Dietrich Schulz Peter und Martina Schulz von Siemens Dr. Rolf Schumacher Emil und Eva Schustermann Dr. Kurt und Elestheria Schwarz Dr. Mathias Schwarz und Nena Silbekuhl-Schwarz Drs. Axel und Cornelia Schweighart Erik Schweitzer Dr. Jörg und Sabine Schweitzer Klaus-Werner Sebbel Caspar und Daniela Seemann Ingrid Sele Jürgen Senge Dunja Siegel Siemens AG Annette Skogstad Nancy Smith Martin und Jola Sperb Karin Srb Stadtsparkasse München Christoph Stahl Dr. Martin Steinmeyer Dr. Dolf Stockhausen BeteiligungsGmbH Claudia Strixner Dr. Joachim und Maren Strüngmann Süd-Chemie AG Süddeutscher Verlag GmbH Dr. Philipp Süss Irene Thiele-Mühlhan Karl Thiemig Stiftung Michael und Regine Thiess THÜGA AG Lucia Titgemeyer-Heck Togal Werk AG Triumph International Holding GmbH Trollmann GmbH - Messe- und Ausstellungsbau Burckhardt und Silvia Tross Verlag C. H. Beck oHG Verlag M. DuMont Schauberg Verlag Nürnberger Presse Joachim Vielmetter Kevin Voigt Joachim Graf von Arnim Sigrid von Bodungen Eckbert von Bohlen und Halbach Elisabeth von Dehn Carin von Halem Dr. Oda von Hutten Korinna von Kempski Dr. Heino und Martina von L‘Estocq Dr. Goswin W. von Mallinckrodt Egbert Freiherr von Maltzahn Rüdiger von Michaelis H.-C. und Verena von Mitschke-Collande Guy und Verena von Moy Prof. Dr. Bolko von Oetinger Dr. Cletus von Pichler Thomas von Salis-Samaden Dr. Susanne von Schacky-Gaede Dr. Marita von Schoeler Bettina von Siemens Ferdinand und Nicole von Siemens Nathalie von Siemens Georg und Swantje von Werz Ingrid von Werz Robert von Werz Dr. Georg Vorbrugg Wacker Chemie GmbH Peter und Dorothée Wahl Stefanie Wahl Dr. Karl Wamsler Susanne Wamsler Dr. Barbara Weber Martin Weithofer Gerhard D. Wempe KG Roland O. Westermaier Konstantin Wettig Konstanze Wiedemann Angela Wiegand Prof. Dr. Horst und Lieselotte Wildemann Christian Winter Dr. Wilhelm und Adelhaid Winterstein Wittelsbacher Ausgleichsfonds Adolf Würth GmbH & Co. KG Bettina Zech Albrecht Fürst zu Oettingen-Spielberg Zündapp Wohnungsbau GmbH Stand April 2006

Liebe Freunde der GdF, liebe Freunde des Haus der Kunst, liebe Leser, 50 Jahre Gesellschaft der Freunde Haus der Kunst – das ist Anlass genug für ein besonderes und in der Geschichte unseres Förderkreises bisher einzigartiges Projekt. Das Brainstorming dafür startete bereits im Oktober 2004; in unserer „Jubiläumsrunde“ wurden viele Ideen diskutiert, wie man das Haus der Kunst und das Engagement seines Fördervereins programmatisch, modern und facettenreich darstellen könne. Dank des kreativen Inputs von Markus Rasp, der bereits für die Grafik des SZ-Magazins verantwortlich zeichnete, stand bald fest: Es sollte ein Magazin werden. Im Sommer des letzten Jahres gaben Vorstand und Kuratorium dann ihre Zustimmung. Bald darauf stieß Nan Mellinger für die Bereiche Redaktion und Projektleitung zu unserem kleinen Magazin-Team. Seitdem sind nur wenige Monate vergangen, nicht viel Zeit für ein umfangreiches Magazin, das viele Fragen stellt, um noch mehr Antworten zu bekommen. Was es zum Ausdruck bringen möchte, ist bereits im Titel enthalten: Die Freude an Kunst, die Freundschaft und das Engagement für unser lebendiges Haus der Kunst. Seit über fünf Jahrzehnten begleiten und unterstützen die „Freunde“ das Haus der Kunst und haben umgekehrt die große Chance, Kunst, Künstler und Ausstellungsmacher aus nächster Nähe erleben zu können, immer wieder mit neuen und spannenden Blickwinkeln und Standpunkten konfrontiert zu sein. Wir hoffen, dass unser Magazin dies widerspiegelt, und danken allen Beteiligten, vor allem auch dem Team des Haus der Kunst für die schöne Zusammenarbeit. Liebe Leserinnen und Leser, nun sind Sie dran: Blättern Sie durch dieses Heft, und sprechen Sie darüber mit Freunden, Interessierten und Neugierigen. Teilen Sie uns mit, was Sie über kunst.freunde denken. Unser Wunsch ist, dass das Magazin und seine exklusiven Beiträge zu einem Meinungsaustausch und viel mehr noch zum Verschenken anregen, sodass auch Ihre Freunde zu kunst.freunde(n) werden. Sie alle, liebe Mitglieder unseres Vereins, der Vorstand und das Kuratorium, sollen jeder für sich Vertriebspartner dieses Magazins sein. Reichen Sie es an potenzielle Interessenten unseres Vereins und des Hauses weiter, denn wir haben nur ein Ziel: Unsere Gesellschaft bekannter zu machen, sie noch weiter zu vergrößern, natürlich auch über den Münchner Raum hinaus, und das Haus der Kunst direkt und indirekt zu unterstützen, sowohl in qualitativer als auch in quantitativer Hinsicht. Wir freuen uns nun über Ihr Engagement. Ihre Gabriele Jahn und Karsten Schmitz P.S.: Wenn Sie nähere Informationen zu einer Mitgliedschaft oder auch weitere Exemplare dieses Magazins erhalten möchten, wenden Sie sich bitte an unsere Geschäftsstelle (Tel. 089 22 26 54, [email protected])

Gabriele Jahn und Karsten Schmitz

Inhalt 1 Warum brauchen Sie Kunst zum Leben? Elf Mitglieder des Freundeskreises über ihr Leidenschaft 2 Munich – City of Perfection? Eine Reflektion über Münchner Kultur und Architektur 3 Was lernt mich das? Andreas Langenscheidt im Gespräch mit Peter Raue 4 Was machen wir eigentlich? Programm, Geschichte und Ziele der Gesellschaft der Freunde 5 Blicken Sie zurück! Ein Spaziergang durch die Geschichte des Hauses 6 Schreiben Sie Tagebuch? Mit Chris Dercon in Indien auf den Spuren von Amrita Sher-Gil 7 Shut your eyes and see! Stephanie Rosenthal über das Schwarz in der Malerei 8 Fotografieren erlaubt! Thomas Weski über die Popularisierung der Fotografie im Haus der Kunst 9 Neue Sicht auf Alte Meister! Léon Krempel über seine Brückenschläge zwischen alter und neuer Kunst 10 Everything is connected to everything! Chris Dercon über Netzwerke, Neugier und seine Lust am Ungewöhnlichen

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1. warum brauchen sie kunst zum leben? elf mitglieder des freundeskreises über ihre leidenschaft

Weil ich die Tapete einfach nicht mehr sehen konnte? Weil ich zwischen Essen, Schlafen und Kinderkriegen eine sinnvolle Beschäftigung suchte? Weil ich gerne viel Post bekomme! Eva Felten

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Kunst hilft mir, die Welt zu begreifen. Materie wird mit Geist aufgeladen und beseelt. Der Blick der Kunst hilft mir, zu sehen und zu verstehen. Philomene Magers

Als Kunsthändler ist die Frage einfach zu beantworten: Ich brauche Kunst zum Leben, weil ich davon lebe. Und wenn ich nicht Kunsthändler wäre, bräuchte ich immer noch Kunst zum Leben und würde viele Kunsthändler davon leben lassen. Konrad O. Bernheimer

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Die Erdbahn wandert, und eine Eiszeit kommt oder geht, zwei tektonische Platten reiben sich und erzeugen ein Erdbeben, ein Mensch stirbt durch ein Stück geronnenes Blut in seiner Pumpe: Vieles auf dieser Welt passiert nur einfach, ohne Absicht und Bedeutung. Kunst dagegen, mit ihren frei realisierten Artefakten des menschlichen Geistes, kann Absicht und Bedeutung in voller Wucht entfalten, sie kann damit spielen, sie negieren, kommentieren, schärfen. Die Kunst öffnet dem Willen den Weg zur fassbaren Form, und diese Form will ich sehen. Henrik Klagges

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Kunst in all ihren Erscheinungsformen zu erleben und Künstlern zu begegnen ist für mich ein Lebenselixier. Ich empfinde es deshalb als besonderes Glück, in meinem Beruf daran mitwirken zu können, Werken der bildenden Kunst und der Architektur zu einer erweiterten Wirkung und einem besseren Verständnis zu verhelfen. Jürgen Tesch

Sich mit Kunst zu beschäftigen und damit zu leben bereichert mich. Es regt meine Phantasie und Kreativität an und macht meinen Alltag spannender. Meine Wahrnehmung wird sensibler, und die Auseinandersetzung mit der Ästhetik und den Themen der Gegenwart regt zum Nachdenken an. Ich lerne mich selbst besser kennen. Kunst bewegt und inspiriert mich. Dr. Sigrid Löscher-Lorenz

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Ich lebe mit der Kunst, für die Kunst und von der Kunst. Eine privilegierte Position. Sie öffnet den Weg aus der Realität in eine bessere Realität. Voraussetzung ist der Glaube an die Transformationsfähigkeit der Kunst, das Hässliche des Lebens in sinnliche, aufgeklärte oder absolute Schönheit zu verwandeln. In diesem Spannungsverhältnis zwischen bedingter Wirklichkeit und unbedingter Idee kreativ und selektiv Stellung zu beziehen – durch Ausstellungen, Bücher und die eigene Sammlung – bleibt eine lebenslange Herausforderung. Bernd Klüser

Seit ich denken kann, bin ich von Kunst umgeben. Schon mein Vater war eine feste Größe im internationalen Auktionsgeschäft und ein leidenschaftlicher Sammler. Die Herausforderungen und Überraschungen, die die Branche mit sich bringt, finde ich jeden Tag aufs Neue an- und aufregend. Katrin Stoll

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Kunst – künstlerische Ausdrucksformen finden wir seit ewigen Zeiten im Umfeld des Menschen. Diese Spuren zu verfolgen, darin neue Ideen und Entwicklungen zu finden war und ist für mich immer interessant und aufregend gewesen, befriedigt meine Neugierde und lässt mich Überraschendes erleben. Sicher sind dabei manchmal die Erwartungen zu hoch gesteckt und Enttäuschungen nicht zu vermeiden, aber die Hoffnung auf Entdeckungen und die Freude daran siegt doch immer wieder. Adelhaid Winterstein

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Gegenwartskunst ist für mich eine Abenteuerreise in eine immer wieder unbekannte Welt. Indem ich sie mir erschließe, lerne ich ein ums andere Mal, Toleranz zu üben und auch die fremdesten Positionen und Lebenswelten zu akzeptieren. Deshalb verbindet sie für mich geistiges Wachstum und Genuss. Ingvild Goetz

Banal: Weil ich als Kunsthändler davon lebe. Und, viel mehr noch: Weil Kunst dem Leben Sinn stiftet und das Leben in all seinen Facetten erst erfahrbar macht. Andreas Gegner

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2. munich – city of perfection!? eine reflektion über münchner kultur und architektur

M/M Paris , Utopia of Flows, Poster 2004 Utopia Station Poster Projekt initiiert von Hans Ulrich Obrist, Molly Nesbit und Rirkrit Tiravanija für die Ausstellung Utopia Station – Auf dem Weg nach Porto Alegre, Haus der Kunst, 7.10.2004 – 16.01.2005

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Perfekt ist total imperfekt kunst.freunde sprach mit Chris Dercon über Münchner Erbaulichkeiten, Strategien gegen das „San Gimignano an der Isar“-Gefühl, und den Kunstwert des Allianz-Arena-Signets auf dem Dach des Haus der Kunst.

Europapass von Rem Koolhaas/AMO für Das Bild Europas. AMO/Rem Koolhaas und Foreign Policy Center, Haus der Kunst, 11.10.2004 – 09.01.2005

München wäre nicht München ohne ..? Das würde eine lange Liste ergeben! Auf ihr dürften aber auf keinen Fall Rainer Werner Fassbinder, Alexander Kluge, oder aktuell junge Leute wie Konstantin Grcic, Benjamin Heisenberg, Florian Süssmayr fehlen. Unsere erste Ausstellung hier am Haus war „Grotesk. 130 Jahre Kunst der Frechheit“, eine Übernahme der Frankfurter Schirn, und da haben wir natürlich dafür gesorgt, dass in der Münchner Version der Ausstellung Karl Valentin einen Ehrenplatz bekam. Warum Valentin? Er praktizierte etwas, was ich mit Michel de Certeau als eine Art strategischen kulturellen Missbrauch bezeichnen würde. Er war zum einen unheimlich wichtig für die lokale Kultur, er hat mit tabuisierten Elementen wie der Volkskunst gearbeitet, und etwas unternommen, was mir selbst sehr am Herzen liegt, das ist: local goes global. Zum Beispiel gibt es eine kleine, aber tolle Korrespondenz zwischen ihm und Apollinaire.

Wieviel Chance und wieviel Grabesstimmung liegt in der Diagnose „Munich – City of Perfection“, die Rem Koolhaas für München ausgab? Rem Koolhaas, und Jacques Herzog würde darin sicher zustimmen, meint damit, dass München eine der wenigen Städte ist, die damals die Entscheidung für eine perfekte Rekonstruktion trafen, eine Form von prospective memory. Und ich glaube wie sie, dass das schwierig ist, wenn man sieht, was hier in den 50er, 60er, 70er Jahren errichtet wurde. Das ist ein Grad an Perfektion, der tatsächlich viel mit Grabesstimmung zu tun hat. Jetzt geht es darum, diese Art von Perfektion anders zu sehen, weil diese Art von Perfektion, und das ist auch was Koolhaas und Herzog meinen, die Chance bietet, etwas anderes zu tun. Mit einer ganz minimalen Geste kann man sehr viel in dieser Stadt erreichen. Auch diese Gesten haben in München Geschichte. Was gab den Ausschlag, dass Sie damals von Brüssel an die Isar gezogen sind? Meinen ersten Kontakt mit München im Jahr 1983 verdanke ich der Galerie Bernd Klüser, die damals schon unglaubliche internationale Projekte machte wie Gilbert and George, Cindy Sherman oder Jack Goldstein. Man erinnere sich auch an die fantastischen Editionen von Schellmann und Klüser. Dann habe ich Rüdiger Schöttle kennengelernt, über Künstler wie Ludger Gerdes, Jeff Wall, John Knight, James Coleman, Dan Graham, Glenn Branca, mit denen beide von uns bereits zu tun hatten. Rüdiger war wie ich ein frustrierter Künstler, ich dazu noch ein ganz schlechter, vielleicht der schlechteste Performer Europas in den 70ern! Rüdiger hat sich aber immer als Galerist wie auch als KryptoSammler, Theoretiker, Künstler und Kurator gesehen. Das fand ich interessant, er war in dieser Selbsteinschätzung nicht alleine. Der Düsseldorfer Galerist Konrad Fischer war damals für uns belgische Kunst-Teenager ein ähnlicher Typ. Diese Zeit ist heute längst vorbei.

Blick in die Ausstellung Das Bild Europas. AMO/Rem Koolhaas und Foreign Policy Center, Haus der Kunst 11.10.2004 – 09.01.2005 (links), Fahne für Utopia Station von Leon Golub vor dem Haus der Kunst

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Wandcollage von Rem Koolhaas/AMO für Das Bild Europas. AMO/Rem Koolhaas und Foreign Policy Center, Haus der Kunst, 11.10.2004 – 09.01.2005

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Karl Valentin als Loreley, um 1916, Poster Faschingsball, 1957 (rechts)

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1983 bin ich dann total zusammengebrochen und wollte die Kunstwelt, die ich geprägt sah von einer rein kommerziellen Art neuer Malerei, vergessen und verlassen, da kam das KunstforumHeft Goldener Oktober heraus, kuratiert von Rüdiger Schöttles Kompagnon Jörg Johnen. Was für ein Manifest an interdisziplinärem Kunst-Wissen und Schaffen! Und das hat mir wieder den Mut gegeben, weiter zu machen. So kam ich dann 1987 dazu, zusammen mit Schöttle den „Theatergarten Bestiarum“ zu produzieren. Es wurde in mancherlei Hinsicht ein Shakespearisches Drama, aber mittlerweile ist es auch eine Kultausstellung für junge Künstler wie Dominique Gonzales-Foerster. Rodney Graham, Glenn Branca, James Coleman, Ludger Gerdes, Jeff Wall, Dan Graham, Juan Munoz, Marin Kasimir, C.P. Müller, Hermann Pitz waren Teil dieses Kollektivs zur Realisierung der Utopie des Paradiesgartens von Rüdiger Schöttle. Eine Ausstellung wie ein riesiges Theater, eine Cinema-Plattform, und die Leute saßen auf der Bühne. Darüber gibt es zahllose Bücher. Diese Ausstellung sollte man eigentlich noch einmal rekonstruieren ... Das alles hört sich nicht nach den gängigen Klischees an, die an München haften ... Ich habe diese Stadt nie konservativ erlebt. Aber meine Sicht war beschränkt auf einzelne Positionen. Nach Rüdiger kam Elisabeth Schweeger, die im Marstall produziert hat, u.a experimentelle Performances von Michelangelo Pistoletto. Dirk Snauwaert ging zum Kunstverein, er ist ein guter Freund von mir. Was in München passierte, strahlte wirklich in die Welt. Einflussreiche, radikale Kunstvermittler wie Christian Nagel, kritische Künstler wie Andrea Fraser waren hier, auch die Clubkultur Anfang der 70er Jahre war unheimlich stark: Patti Smith kam erst nach München und ging dann nach Berlin! Das Dandyhafte kombiniert mit einer Anarchoatmosphäre, dazu gehörte natürlich auch Fassbinder. Und nicht zu vergessen: Enno Patalas, damals Leiter des Filmmuseums. München war damals für Cinefile wie uns eine Adresse wegen ihm.

Die Kreise, die ich hier nur anreißen kann, breiteten sich weiter aus. Es kam dann Alexander Kluge mit seinem Fernsehmissbrauch, Lothar Schirmer und seine Fotobücher und Michael Krüger vom Hanser Verlag. Was er für die niederländische und flämische Literatur getan hat ist unermesslich. Man vergesse auch nicht die einflussreiche Männerfreundschaft zwischen ihm, Bazon Brock und Hubert Burda. Ich bin etwas jünger, aber mich interessiert diese Art des intellektuellen Snobismus. Herzog & de Meuron und Rem Koolhaas sind auch dank Ihnen stete Gäste dieser Stadt. Warum sind sie für München so wichtig? Was fasziniert sie an der Stadt? Beide sind fasziniert von einem ausgeprägten Pragmatismus kombiniert mit instinktiver Intelligenz und von Personen mit öffentlichen Ambitionen und privatem Geld. Das ist die Schizophrenie von vielen Architekten. Wenn man für Kunden wie eine Staatsregierung oder Stadt arbeitet, gibt es immer Grenzen, Grenzen des Budgets, aber hier in München gibt es noch richtige Mäzene, ehrgeizige Sammler oder weltläufige Firmen, und das ist sicher, was uns alle fasziniert. Und beide, eher vielleicht noch Koolhaas, haben sich immer mit solchen Dualitäten und Spannungen auseinandergesetzt. Auch für uns gibt es derart produktive Konflikte, aber wie soll man in einer Stadt wie dieser noch reaktionär sein?! Die City of Perfection ist eine Nulloption, und trotzdem erlebe ich jeden Tag in dieser Stadt eine lebendige Kultur. München aus dieser Nulloption zu heben, gegen das „San Gimignano an der Isar“-Gefühl zu arbeiten, dafür mache ich Programm.

An welchem Punkt muss man dafür ansetzen? Vernetzung. Wir versuchen am Haus der Kunst immer, dass Menschen miteinander ins Gespräch kommen, wenn sie auch oft gegeneinander sprechen, das ist gut, das inspiriert. Es geht uns um die Idee eines Kulturzentrums für München. Für solcherart interdisziplinären Wissens- und Kunstaustausch hat München genau die richtige Größe und auch Tradition: Man denke nur an die Sammelleidenschaften von global players avant la lettre wie Elisabeth von Bayern, oder heute Mäzene wie Herzog Franz oder natürlich Hubert Burda und Ingvild Goetz, eine Sammlerin von internationalem Rang und enormem Weitblick. München war bei aller barocken Gefälligkeit immer schon auch eine exotische und kosmopolitische Stadt. Der Schriftzug der Allianz Arena über dem Haus der Kunst – worum geht es Ihnen mit dieser umstrittenen Geste? Es geht um kulturellen Missbrauch à la Karl Valentin oder Michel de Certeau. Wir sind in der Position, eine unglaublich mächtige Institution wie die FIFA an der Nase herum zu führen. Sie sagen, es darf keine Werbung im Umkreis von einem Kilometer um das Stadion geben, der Allianz-Schriftzug soll also eingelagert werden. FIFA will auch nichts in der Stadt haben, das nicht von ihnen genehmigt ist. Und wir machen jetzt diese kritische, paranoische Geste im Sinne von Duchamp, Dalí und Warhol , d.h. wir nehmen etwas, was verboten ist, was sozusagen temporär weggeschmissen wird und bezeichnen es als Kunstwerk. Es ist eine wirtschaftliche, politische, urbanistische und kulturelle Geste, eine Auseinandersetzung mit der Privatisierung des öffentlichen Raumes. Und ein Crashkurs in Kunstgeschichte. Man mag sagen, wie Oberbürgermeister Ude, es könne doch nicht sein, dass etwas, was die Allianz so viel Geld kostete, jetzt so billig vermarktet wird. Aber wir reduzieren hier eine enorme Investition auf fast zero Kosten, und es wird ein Kunstwerk. Plötzlich wird Tauschwert in Gebrauchswert transformiert. Das ist ein alter Trick. Und die Architekturwochen, die zur selben Zeit stattfinden, tragen passender Weise den Titel „Geld – Macht – Schön“. Not macht erfinderisch!

Wir arbeiten an der Ästhetisierung von Werbung, weil es schön aussehen wird. Und, wir radikalisieren die Stadt und Aussicht, was wiederum Rem Koolhaas und auch Herzog & de Meuron so interessiert. Denn München ist perfect und zugleich auch total imperfect, gerade weil es hier so wenig Werbung gibt. Und das ist paradox und interessant. Da bewirken diese kleinen paranoiden Gesten enorm viel, indem sie ungewohnte Ansichten in die Stadt induzieren. Das funktioniert in München viel besser als beispielsweise in Berlin. Zu der Entfaltung einer höheren Kultur gehört auch der schmerzliche Prozess der Entprovinzialisierung. Rem Koolhaas nutzt jede freie Minute in München, um schwimmen zu gehen. Was sind Orte der Erholung, der Inspiration, die Sie in München regelmäßig aufsuchen? Das Alpine Museum, das ist vor allem im Sommer ein schöner Ort. Und ich liebe es, am Wochenende im Haus der Kunst in Ruhe die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung zu lesen. Das Gespräch führte Nan Mellinger

Christoph Schlingensief und Chris Dercon anlässlich der Paul McCarthy-Ausstellung, Haus der Kunst, 9.7.2005 (links) Yoko Ono, Pressekonferenz Utopia Station, 24.9.2004 (rechts) Rem Koolhaas, Pressekonferenz am 10.10.2004 für Das Bild Europas, Haus der Kunst (rechte Seite, links), Patti-Smith-Konzert am 19.12.2003 anlässlich von Strange Messenger: The Work of Patti Smith im Haus der Kunst

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>> yes of course, we are incredibly fascinated by imperfection, we don’t need perfection. but that was really before i came to munich ... where all the decay, all the neglect, all the imperfection, all the chaos seems to be under a kind of control. rem koolhaas > 27

> If you’d asked me whether perfection was possible and whether one of the features of our work was to find a way with imperfection, I would have perhaps stupidly told you: yes of course, we are incredibly fascinated by imperfection, we don’t need perfection. But that was really before I came to Munich. And I really must say, although I have known Munich for a while, that it  is only perhaps because of my ever increasing experiences with other cities and other conditions, such as in Africa and Asia, or for instance in India, or certain conditions in America, that this kind of value of Munich is becoming more evident to me – and it actually almost shocks me. What probably everyone thought to be an ironic comment on the perfection of a city, is actually much more a kind of shocked awareness that there are still places where all the decay, all the neglect, all the imperfection, all the chaos which we take for granted, seems to be under a kind of control. I cannot even remotely claim to understand why it is under control here, whether it is a form of repression or a form of hidden organized civic life. Or a form of systematic moneyflow that enables to sustain and to support what looks like a stage set of perfection. I really do not understand, where it comes from or whether it is a collective decision on an unconscious level of not tolerating anything that is imperfect … maybe it is simply that. It is one of those rare moments when I’ m struggling for words to describe or to interpret a given situation. And that’s also why I was not among those people who said: of course it is ridiculous to limit skyscrapers in Munich to a height of 100 meters. Because I am not yet sure, whether it is ridiculous or not, or whether here it does make some kind of perfect sense. Das Statement von Rem Koolhaas ist der Diskussion im Anschluss an seinen Vortrag „Post Iconic Turn. Advantages of Neglect” entnommen, gehalten am 25.11.2004 im Rahmen der Vorlesungsreihe „Iconic Turn – Das neue Bild der Welt” an der LMU München. Eine Veranstaltung der Burda Akademie zum Dritten Jahrtausend.

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Carsten Recksik, Rem Koolhaas meets Herzog & de Meuron, 2004 (rechts) Rem Koolhaas, Chris Dercon, Hans Ulrich Obrist anlässlich einer Matinee zum Utopia Station Poster Projekt, Haus der Kunst, 21.9.2003

>> frankfurt entschied sich nach dem krieg für eine tabula rasa und eine vertikale stadtsilhouette, währenddem münchen seiner vom königshof importierten bilderwelt verhaftet blieb und auf rekonstruktion und historische simulation setzte. jacques herzog und pierre de meuron > 31

> Es gelingt keiner Stadt, keiner einzigen Stadt, sich von den realen, simulierten und kultivierten Fesseln ihrer lokalen Gebundenheit zu befreien, um sich neu zu erfinden. Nicht einmal nach einer wirklichen und radikalen Katastrophe. Im Gegenteil: Am Beispiel des Wiederaufbaus der deutschen Städte nach dem Krieg kann man beobachten, welch unterschiedliche (Wunsch) Bilder sich die verschiedenen Städte von sich selbst machten und welch unterschiedliche Wiederaufbauszenarien dabei herausschauten. Eine Unterschiedlichkeit, ausgeprägter als in all den vorangehenden Jahrhunderten, bevor die Bomben die Städte in alles gleichmachende Trümmer legten. Eine Unterschiedlichkeit auch, welche sich bis zum heutigen Tag noch verstärkt hat und auch neu entstehende Teile der Städte mittels Simulation überformt. Frankfurt und München im Vergleich: einerseits Frankfurt eine Stadt der Bürger, der Citoyens, die in selbstbewusster Eigeninitiative ihre Stadt seit jeher vorwärtspushten und als Plattform für Handel, Gewerbe und städtische Dienstleistungen benutzten – andererseits München, mit höfischer Tradition, mit einem Königshaus, das die Stadt im 18. und 19. Jh. nach italienischen Vorbildern neu erfand, quasi ein Stück Italien in Deutschland aufbauen ließ. Frankfurt entschied sich nach dem Krieg für eine Tabula rasa und eine vertikale Stadtsilhouette, währenddem München seiner damals vom Königshof importierten Bilderwelt verhaftet blieb und auf Rekonstruktion und historische Simulation setzte.

Herzog & de Meuron wurde 1978 von Jacques Herzog und Pierre de Meuron in Basel gegründet. Als weitere Partner kamen Harry Gugger (1991) und Christine Binswanger (1994), gefolgt von Robert Hösl und Ascan Mergenthaler (beide 2004) und Stefan Marbach (2006) hinzu. Weltweit bekannt wurde das in Europa, Amerika und Asien bauende Büro durch die Tate Modern, London, die 2000 eröffnet wurde. In Peking entsteht derzeit das Stadion für die Olympischen Spiele 2008. In Hamburg soll 2009 die neue Elbphilharmonie eröffnet werden. Jacques Herzog und Pierre de Meuron betreuen Lehrstühle an der Harvard University in Cambridge (1989 und seit 1994) und, seit 1999, am ETH Studio Basel, Institut Stadt der Gegenwart. 1999 hat das ETH Studio Basel begonnen, das urbane Potential der Schweiz auszuloten. Das Ergebnis dieser Forschungsarbeit ist 2005 unter dem Titel „Die Schweiz. Ein städtebauliches Portrait“ publiziert worden.

Frankfurt (Tabula rasa) vs. München (Rekonstruktion, historische Simulation): Ausdruck einer kulturellen und kultivierten Differenz. Fast scheint es, als habe die Bombardierung die spezifische Gestalt der Stadt erst hervorgebracht, die zuvor unerkannt im Verborgenen dahinschlummerte. aus: Jacques Herzog und Pierre de Meuron: „Was die Städte unterscheidet“, einleitender Text zur städtebaulichen Untersuchung über die Städte Neapel – St. Petersburg – San Francisco – Paris am ETH Studio Basel, Institut Stadt der Gegenwart 2003.

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Thomas Ruff, Allianz Arena, 2005

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>> die allianz arena wird als wahrzeichen für die dynamische entwicklung münchens empfunden. der faszination des silbern schimmernden, zuweilen wolkenartig wirkenden gebildes können sich selbst die verächter moderner architektur nicht entziehen. wolfgang jean stock >

Sinnlich, nicht kulinarisch Herzog & de Meuron haben der Münchner Architektur vier Vorbilder beschert Von Wolfgang Jean Stock München ist anders. Die süddeutsche Metropole hat weder die Frivolität von Wien oder den rigiden Ernst von Zürich noch die unbekümmerte Betriebsamkeit von Frankfurt am Main. Mit einem Unterton von Resignation hat der amtierende Oberbürgermeister Christian Ude einmal eingestanden: „Die Münchner lieben auch beim Bauen das Kulinarische.“ Welche Anspielung da mitschwang, war Ude vielleicht gar nicht bewusst. Wer sich aber den dominierenden Postmodernismus zwischen Backstein-Nostalgie und Naturstein-Protz vor Augen führt, dem fallen in Analogie ortstypische Gerichte wie Schweinshaxe in Biersoße ein. So schwer verdaulich das Essen ist, so grobschlächtig ist das geläufige Bauen. Es sei denn, der Münchner will auf den Zug des Zeitgeistes springen: Da entstehen dann exaltierte Gebäude wie der Erweiterungsbau der Kunstakademie von Coop Himmelb(l)au oder banale Hochhäuser, welche die Stadtgestalt beleidigen. Die Traditionslinie einer Architekturmoderne, die Eleganz mit Funktionalität und städtebaulicher Qualität verbindet, ist in München schmal geblieben. Gerade für die Architektur gilt das schon historische Wort von Frank Wedekind, dass in München Neues „trotzdem“ geschehe. In den letzten Jahrzehnten gingen solche Leistungen besonders auf Architekten wie Kurt Ackermann und Peter C. von Seidlein, Uwe Kiessler und Thomas Herzog zurück. An ihnen kann heute eine aktive junge Generation anknüpfen, die sich für mehr Baukultur einsetzt. „München will gar nicht erörtert, München will gelebt und geliebt sein“ – mit diesem Satz traf der Verleger Ernst Heimeran das heimische Selbstverständnis. Die Basler Architekten Jacques Herzog und Pierre de Meuron haben die Stadt aber sehr wohl erörtert. Ihren Einstand gaben sie mit dem 1992 fertiggestellten Galeriehaus für die Sammlung Goetz in Oberföhring. Der strenge, quaderförmige Bau sicherte ihnen sofort die Aufmerksamkeit. Hier zeigte sich bis hin zu den präzisen Details eine Architektursprache, die für München neuartig war. An ganz anderer Stelle, nämlich mitten in der Altstadt, vollendeten Herzog & de Meuron ihren zweiten Beitrag zur Münchner Architektur der Gegenwart. Das im Jahr 2000 bezogene Geschäftshaus an der Herrnstraße fügt sich in seine historische Umgebung ein und setzt zugleich durch seine Glashaut mit den geschwungenen Schienen für den Sonnenschutz ein markantes Zeichen für das moderne Weiterbauen an der Stadt. Der erste große Münchner Auftrag war für Herzog & de Meuron die Umgestaltung des früheren Hypo-Blocks im Zentrum. 1994 gewannen sie den internationalen Wettbewerb, weil sie die örtliche Situation sensibel untersucht hatten. Ihr Entwurf bezog sich zum einen auf die Hofstruktur der nahen Residenz, zum anderen auf einen Vorschlag aus der Nachkriegszeit, den hermetischen Block durch Passagen zu öffnen. Gleichwohl wollten die Münchner keinen völligen Neubau, sondern bestanden auf der Erhaltung der vertrauten Fassaden. Dies führte im Lauf der Jahre zu einer grundlegenden Umplanung nach innen hin, die sich für München als Glücksfall erwiesen hat. Herzog & de Meuron haben mit den Fünf Höfen beispielhaft gezeigt, wie sich der Innenraum eines Blocks zeitgenössisch aktivieren lässt. Als Anfang 2001 der erste Bauabschnitt fertig war, überwog bei den Münchnern wegen der angeblich kalten und abweisenden Materialien noch die Skepsis. Sie schwand jedoch, als wenig später die neue Kunsthalle eröffnet wurde: Hier drängt sich die Architektur nicht eitel in den Vordergrund, sondern bietet neutrale Räume als Bühne für die Kunst. Auch wegen des geschickten Branchen-Mix werden die 2003 vollendeten Fünf Höfe mittlerweile derart frequentiert, dass sie aus dem städtischen Alltag nicht mehr wegzudenken sind.

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Sammlung Goetz, Haus für eine Zeitgenössische Kunstsammlung, München, 1989-1992

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An dieser Stadterneuerung auf höchstem Niveau lässt sich das Selbstverständnis von Herzog & de Meuron exemplarisch ablesen. Sie zählen zu jenen europäischen Architekten, die der Moderne verpflichtet sind, ohne aber die kritischen Anstöße von Seiten der „Postmoderne“ außer Acht zu lassen. Dies drückt sich zum einen in ihrem ungewöhnlichen Umgang mit gewohnten Materialien aus, zum anderen im gesteigerten Interesse an der Formulierung der Gebäudehülle. So überlagern sie ihre oft streng gezeichneten Baukörper mit fein abgestimmten Materialschichten, um das Besondere einer jeden Aufgabe herauszuarbeiten. Darin äußert sich eine gleichsam „romantische“ Position mit dem Ziel, sinnliche Wahrnehmungen auszulösen. Herzog & de Meuron, die 2001 den renommierten Pritzker-Preis für Architektur erhalten haben, sind freilich weit mehr als nur virtuose Gestalter baulicher Oberflächen, worauf sie in der veröffentlichten Meinung manchmal festgelegt werden. Auch für sie liegt die primäre Bedeutung von Architektur in ihrer Räumlichkeit, wie Jacques Herzog mehrfach betont hat: „Raum ist letztlich das Einzige, worin sich Architektur von anderen Medien unterscheiden kann.“

Fünf Höfe, Innenstadtprojekt für München, Perusahof, 1997-2003 Wohn- und Geschäftshaus Herrnstrasse, München, 1996-2000 (links unten)

In den Olymp der Münchner Architektur sind Herzog & de Meuron schließlich mit dem neuen Fußballstadion aufgestiegen. Schon während ihrer Bauzeit wurde die „Allianz Arena“ als Wahrzeichen für die dynamische Entwicklung der Stadt empfunden. Der Faszination des silbern schimmernden, zuweilen wolkenartig wirkenden Gebildes können sich selbst die Verächter moderner Architektur nicht entziehen. Auch hier ist den Architekten eine Gegenposition zum Kulinarischen geglückt: Das Stadion spricht außen und innen alle Sinne an, weil Raumbildung und Gebäudehülle konsequent aus den Potenzen der eigenen Zeit entwickelt wurden. Mit ihren Münchner Bauten haben Herzog & de Meuron vier unterschiedliche Vorbilder geschaffen. Dies sollten vor allem künftige Münchner Bauherren als attraktives Angebot erkennen. Wolfgang Jean Stock, Jahrgang 1948, ist Historiker und Sozialwissenschaftler und übt seit 1976 leitende Tätigkeiten im Kunst- und Verlagsbereich aus. Von 1978 bis 1985 war er Direktor des Kunstvereins München, von 1986 bis 1993 Architekturkritiker der Süddeutschen Zeitung, und von 1994 bis 1998 stv. Chefredakteur der Zeitschrift Baumeister. Seit 2006 ist Wolfgang Jean Stock Geschäftsführer der Deutschen Gesellschaft für christliche Kunst. Letzte Buchveröffentlichung: Christliche Sakralbauten in Europa seit 1950 (Architekturführer).

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3. was lernt mich das? andreas langenscheidt im gespräch mit peter raue 43

Peter Raue, Vorsitzender des Vereins der Freunde der Nationalgalerie in Berlin, und Andreas Langenscheidt, Vorsitzender der Gesellschaft der Freunde Haus der Kunst München trafen sich am 4.4.2006 in der Goldenen Bar zu einem „Gespräch unter Freunden“. Andreas Langenscheidt: Lieber Herr Prof. Raue, ich freue mich sehr, unsere früheren Begegnungen diesmal hier in München fortzusetzen. Wir Münchner schauen alle mit großem Interesse nach Berlin, zum Kunstgeschehen dort, und natürlich auch zur Nationalgalerie mit ihrem großen Programm und den langen Warteschlangen vor den Museen. Wie sind die Freunde der Nationalgalerie und das Museum miteinander verknüpft? Peter Raue: Die Museen in Berlin sind, wie Sie vielleicht wissen, Teil der Stiftung Preußischer Kulturbesitz. Diese Stiftung besteht aus zwei großen Blöcken. Der eine ist der Museumsblock, der andere betrifft die Staatsbibliothek und kleinere Einrichtungen. Der Museumsblock besteht aus 17 Museen, mit einem Generaldirektor, dem wiederum für jedes Museum ein Direktor unterstellt ist. Lediglich die Nationalgalerie bildet eine – allerdings gewichtige – Ausnahme: Schuster ist in Personalunion Generaldirektor und Direktor der Nationalgalerie. Unser Freundesverein ist, wie alle Freundesvereine, ein selbstständiges, ausnahmslos gemeinnütziges Gebilde. Allerdings gibt es eine Verzahnung dadurch, dass der Direktor der Nationalgalerie, Generaldirektor Schuster, geborenes Mitglied in unserem Vorstand ist. Wenn also unser Vorstand tagt, dann tagen fünf Personen, eine davon ist der Generaldirektor und Direktor in einer Person, die anderen vier sind die gewählten Vorstandsmitglieder, zu denen ich gehöre. Bei uns ist dies ganz anders gestaltet: Wir gehören zu den ganz wenigen Häusern oder Institutionen mit einer echten Public Private Partnership, denn die Stiftung Haus der Kunst hat ja vier Gesellschafter: den Freistaat Bayern, die Schörghuber Unternehmensgruppe, unseren Freundeskreis und die Ausstellungsleitung Haus der Kunst e.V. Wir haben uns, das ist wichtig zu wissen, durch einen mehrjährigen Fördervertrag verpflichtet, die Betreibergesellschaft mit einem Mindestbetrag von 300 000 bis 400 000 Euro jährlich zu unterstützen; außerdem fördern wir noch zusätzlich projektbezogen. Das ist bei Ihnen wohl anders. In der Tat: Zunächst einmal geht es bei uns um den Erwerb von Arbeiten. Alle in den letzten 30 Jahren erworbenen Arbeiten, im Wert von heute rund 100 Mio. Euro, sind Eigentum des Vereins. Auch Ausstellungen wie MoMA, Goya, Picasso oder wie jetzt Melancholie werden von uns finanziert, das geht teilweise sogar so weit, dass wir die Bewachung der Ausstellung an die Nationalgalerie bezahlen. Denn in deren Etat gibt es nicht einmal mehr Geld für Bewachungsleute, was niemand laut sagt und öffentlich beklagt. Ja, da haben Sie natürlich ganz andere Verpflichtungen als wir sie haben. Unser Förderkreis erfüllt im Prinzip drei Aufgaben: Erstens unterstützen wir das Haus der Kunst finanziell. Zweitens kümmern wir uns um das Thema Kunstvermittlung: d. h. wir sind bemüht, nicht nur unseren Mitgliedern die Inhalte der Ausstellungen näher zu bringen, sondern darüber hinaus

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auch Nicht-Mitgliedern. Dies tun wir zum Beispiel mit so genannten „Living Labels“, Kunststudenten und Kunsthistorikern, die individuell durch Ausstellungen führen. Und wir unterstützen zusätzlich auch Kinder- und Unterrichtsprogramme, Führungen und Workshops. Der Erwerb von Kunstwerken gehört allerdings nicht mehr zu unseren Aufgaben, wie es in den Jahren zwischen 1954 und Ende der 80er Jahre durchaus Usus war – z. B. anlässlich der großen Kunstausstellungen. Die erworbenen Objekte wurden damals sogar weiter verliehen – meist unentgeltlich an Mitglieder oder auch an Firmen. Eines unserer Themen in den letzten Monaten war es, diese großen Bildbestände endlich wieder ins Haus zurückzuholen – was nicht immer leicht war. Nun sind diese 1300 Werke wieder im Haus. Heute gehört eine solche eigene Sammlung nicht mehr zu unseren Zielen und Visionen, denn wir wollen ja ein Ausstellungshaus unterstützen und nicht ein Museum mit einer ständigen Sammlung. Gabriele Jahn: Professor Raue, wenn Sie die Bewachung einer Ausstellung finanzieren, sind das nicht Verpflichtungen, die Sie eingehen, die nichts mit den Aufgaben Ihres Vereins zu tun haben? Ich finde es auch einen Skandal, dass wir das tun müssen. Ich habe immer gesagt, die Bewachung des Museums sind so genannte „Sowieso-Kosten“. Darauf heißt es, die Museen seien heute so unterfinanziert, dass sie Kosten für die Bewachung des Museums nicht mehr aus dem normalen Etat, sondern aus den so genannten operativen Kosten finanzieren müssen. Die operativen Kosten sind aber eigentlich dafür da, Ausstellungen zu finanzieren und Erwerbungen zu tätigen. Weil aber für die normale Bewachung kein Geld da ist, bezahlt man die Leute aus den operativen Kosten. Das ist eben das alte Thema, dass diese Freundeskreise plötzlich staatliche Aufgaben übernehmen sollen, statt zusätzliche Mittel aufzubringen. Wenn Sie bei Ihren so genannten Blockbuster-Ausstellungen, die es in Berlin gab und gibt, geholfen haben, Zuschüsse zu erwirtschaften, dann wächst ja auch der Einfluss des Freundeskreises zumindest potenziell auf die Planung künftiger Ausstellungen. Wie operieren Sie dort in Berlin? Dazu muss man Zweierlei sagen: Wir haben in den vergangenen 25 Jahren insgesamt 50 Ausstellungen organisiert und finanziert. Wir haben in dieser Zeit für Ausstellungen 39 Mio. Euro ausgegeben und knapp 40 Mio. Euro eingenommen – der MoMAErfolg ist hier nicht eingerechnet. Das heißt, wir finanzieren mit den erfolgreichen die finanziell erfolglosen Ausstellungen.

Professor Dr. Peter Raue, 65, wurde in München geboren und lebt seit 1961 in Berlin, wo er als Rechtsanwalt Künstler wie Botho Strauß, Heiner Müller oder die Berliner Philharmoniker beruflich vertritt und privat fördert. Zu den zahlreichen Ehrenämtern des „heimlichen Kultursenators von Berlin“ gehört der Vorsitz des Vereins der Freunde der Nationalgalerie, der mit einer Vielzahl erfolgreicher Sonderausstellungen und spektakulärer Bildankäufe Maßstäbe für eine erfolgreiche und visionäre Kunstförderung setzt.

Wir werden im nächsten Sommer Brice Marden zeigen, einen der Titanen der amerikanischen Kunstszene, das wird alles, nur kein Publikumserfolg werden. Wir akzeptieren auch, dass das Geld kostet. Wir haben aber in den vergangenen dreißig Jahren fast genauso viel Geld für Ausstellungen eingenommen wie ausgegeben. Ein über Jahrzehnte hin gesehen ausgeglichener Ausstellungsetat. Die Spendenmittel, die dem Verein durch Beiträge und auf sonstige Weise zufließen, gehen also gerade nicht in die Ausstellungsprojekte, diese tragen sich selbst. Die MoMA-Ausstellung nimmt damit eine Sonderstellung ein und ist aus der Betrachtung deshalb ausgeschlossen. Obwohl sie 13 Mio. Euro gekostet hat, hat sie einen spektakulären Gewinn von 6 Mio. Euro gebracht. Und genau aus dem Grund, den Sie nennen, haben wir dieses Geld sofort weggesperrt. Wir haben den gesamten Betrag einer von uns gegründeten selbstständigen Stiftung zugeführt, die berechtigt und verpflichtet ist, aus den jährlich rund 350.000 Euro Zinsen ausschließlich zeitgenössische Kunst für die Nationalgalerie – genauer: den Hamburger Bahnhof – zu erwerben. Hätten wir den MoMA-Erfolg nicht auf diese Weise konzentriert verwendet, so wäre die Gefahr allzu groß, dass wir zu einer Art Zapfsäule für größere und kleinere Bedürfnisse der Nationalgalerie werden. Ja, aber das überrascht mich jetzt, dass Sie das so formulieren. Ich finde, ein bisschen sollten wir schon Zapfsäule sein, das ist natürlich zu negativ formuliert, denn als Gesellschaft sehen wir uns auch als Förderer unseres Ausstellungsprogramms. Unter Zapfsäule verstehe ich, dass man sagt: Pass mal auf, wir wollen hier ein Buch herausgeben, könnt Ihr uns nicht ein bisschen Geld dazu geben? Oder: Wir hätten gerne hier ein bisschen und da ein bisschen – genau dieses Verkleckern möchten wir nicht. Wir wollen ganz grundsätzlich entscheiden. Deshalb finanzieren wir die Picasso-, die Goya-, die Melancholie-Ausstellung – drei Ausstellungen in einem Jahr! Ist das ein Programm der großen Blockbuster? Das sind keine Blockbuster. War Goya nicht einer? MoMA würde ich als einen solchen bezeichnen, nicht Goya. Aber was ist überhaupt ein Blockbuster? Die Goya-Ausstellung lief zwei Monate und war ein Riesenerfolg. Aber nicht jede Ausstellung, die ein großer Erfolg ist, ist gleichzeitig ein Blockbuster. Blockbuster bedeutet für mich: ein großer Publikumserfolg. Und ich habe verstanden, dass es einer war. Na ja, dann könnte man eigentlich sagen: Was ein Blockbuster ist, weiß man erst hinterher. Wir haben nach Goya den privaten

Andreas Langenscheidt, 53, Verleger in vierter Generation und Geschäftsführender Gesellschafter der internationalen Verlagsgruppe Langenscheidt. Seit 2004 ist er Vorsitzender des Vorstands der Gesellschaft der Freunde Haus der Kunst.

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Picasso gezeigt, d. h. die Werke aus dem Musée Picasso. Das war als Blockbuster, wenn Sie so wollen, geplant und ist es jedoch nicht geworden. Das Publikum hat diese Ausstellung – immerhin 150 000 Besucher in zwei Monaten – nämlich nicht so angenommen, wie wir das gehofft hatten. Dann haben wir die Melancholie-Ausstellung gemacht, die wir zurzeit zeigen. Eine grandiose und extrem schwierige Ausstellung, von der ich geglaubt hatte, der Berliner wird da nicht hingehen. Er wird sagen „krank bin ick von allene“ oder „das brauche ich nicht“. Das war ein Irrtum: Die Ausstellung ist ein wahnsinniger Erfolg. Bei dem Wort Blockbuster entsteht so ein bisschen der Eindruck, als sei alles nur auf Erfolg getrimmt. Dazu gehört natürlich die MoMA-, aber auch die Franz Marc-Ausstellung hier in München, wo tout le monde zur Eröffnung kommt – das ist doch etwas anderes als eine normale gute Ausstellung, eben wie die Goya-Ausstellung. Das würde mich jetzt von beiden interessieren: Was ist für Sie eigentlich das Kriterium für eine gute oder eine erfolgreiche Ausstellung? Was macht eine gelungene Ausstellung aus? Sicher nicht nur Superzahlen? Also, da gehen die Begriffe durcheinander: gut, gelungen, erfolgreich. Eine Ausstellung ist dann gut, wenn sie uns etwas Neues, letztlich noch nie Gesehenes, zeigt. Das kann auch eine Picasso-Ausstellung sein, wie damals die Ausstellung „Picasso nach Guernica“, das war wirklich ein neuer Blick auf diese merkwürdige Phase der Nach-Guernica-Zeit. Dagegen ist die Dalí-Retrospektive wie jetzt in Köln für mich keine wirklich gute (aber mit Sicherheit eine erfolgreiche!) Ausstellung, weil sie eigentlich nur die bekannten Déja-vus aneinander reiht. Gut ist eine Ausstellung also dann, wenn sie etwas Neues zeigt, und dazu gehört eben auch, einen Künstler wie Brice Marden, von dem man immer wieder nur beeindruckende Einzelwerke gesehen hat, mal auf den Prüfstein zu stellen – oder das ebenso schwierige wie grandiose skulpturale Werk von Cy Twombly ( jetzt in der Alten Pinakothek) zu zeigen. Es ist ja ein Phänomen, dass Retrospektiven einen Künstler in den Himmel heben oder in die Hölle stürzen lassen können. Man erkennt plötzlich nach 80 Bildern De Chirico oder Magritte, wie gerade in New York, dass der Künstler vielleicht doch nicht die Qualität hat, die wir ihm zubilligen. Man sagt in schlechtem Deutsch: Was lernt uns das? Ich finde, eine gute Ausstellung muss einen „was lernen“. Ja, da muss ich aber jetzt provozierend fragen, was hat mich denn die MoMA-Ausstellung gelernt? Das ist für mich nämlich eine hochinteressante Frage. Ja, die MoMA-Ausstellung, die sprengt natürlich in jeder Hinsicht den Rahmen. Aber ich finde, sie hat uns eine ganze Menge „gelernt“. Sie hat einen kühnen, vielleicht sogar falschen Kanon vorgestellt dessen, was die Kunst des 20. Jahrhunderts ist. Das MoMA steht geradezu symbolträchtig für den Blick auf dieses 20. Jahrhundert.

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Aber nur aus amerikanischer Sicht ... Das New Yorker MoMA ist wahrscheinlich das berühmteste Museum für die Kunst des 20. Jahrhunderts. Das ist das erste. Das zweite ist, es stellt den amerikanischen Blick auf die Kunst des 20 Jahrhunderts dar, mit einem faszinierenden Phänomen, das viele gar nicht begriffen haben. Bis 1945 taucht in der Berliner MoMA-Ausstellung kein einziger Amerikaner auf, mit Ausnahme von Hopper. Nach 1945 gab es kein einziges europäisches Kunstwerk in der Ausstellung – mit Ausnahme des Richter-Zyklus. Das war ja der Grund, warum Werner Spies diesen wütenden Artikel gegen die Ausstellung in der FAZ geschrieben hat. Er sagt, sie sei eine bewusste Geschichtsfälschung, weil weder Max Ernst noch Picasso noch Giacometti nach 45 darin vorkommen. Kein Beuys, kein Francis Bacon, kein Fontana ... Die Ausstellung in Berlin war so erfolgreich, dass sie sozusagen Geschichte schreibt. Insofern behauptet diese Ausstellung einen Kanon. Daher bleibe ich natürlich schon dabei, dass diese Ausstellung uns „etwas gelernt hat“. So umstritten wie der literarische Kanon eines Marcel ReichRanicki, so umstritten mag auch dieser Kanon sein. Aber es ist die Behauptung: So sah die Kunst des 20. Jahrhunderts aus, zunächst ein europäisches, ab 1945 ein in allen wesentlichen Stilrichtungen amerikanisches Phänomen. Es gibt aber noch einen anderen wichtigen Aspekt, den des Kuratierens. Die Ausstellung war nicht kuratiert. Sie hat mir keine Botschaft vermittelt, nicht nur ich, sondern jeder Betrachter möchte eine Botschaft mit nach Hause nehmen. Das haben wir ja vorhin auch schon gesagt. Ich habe sie nicht gespürt. Ich bin mit nichts nach Hause gegangen, außer dass ich überwältigt war von dieser unglaublichen Vielzahl großer Namen. Das war eine Anhäufung von Marken. Wenn man auf die Ausstellungstätigkeit der letzten Jahre hier im Haus der Kunst zurückblickt, was war für Sie die interessantest kuratierte Ausstellung? Eine sehr gut kuratierte Ausstellung ist in der Tat die, die jetzt gerade läuft, nämlich „click doubleclick“: 25 namhafte Fotografen der Gegenwart zu zeigen, wie sie – jeder auf seine Art – mit dem Medium Fotografie analog und digital umgehen, das ist für mich die hervorragende Botschaft, die man aus dieser Ausstellung mitnimmt. Natürlich in dem Mini-Segment der Gegenwartsfotografie. Man kann natürlich immer fragen, was man mit einer Ausstellung eigentlich will. Nehmen Sie die Paul McCarthy-Ausstellung: Die ist sicherlich keine übermäßig intelligent kuratierte Ausstellung gewesen, das hätte wahrscheinlich jeder andere auch so gemacht, der Paul McCarthy zeigen will. Trotzdem war das natürlich eine Ausstellung, die auch informiert hat. Da gibt es einen eigenen Qualitätsmaßstab, Paul McCarthy gehört zu den ganz wichtigen Figuren der amerikanischen Szene, er hat bisher kaum einen europäischen Auftritt gehabt.

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Das war sein erster großer … ... und was bedeutet das? Wir lernen einen Künstler kennen und dann ist es mir nicht so wichtig, wie gut oder schlecht die Ausstellung kuratiert ist. Wenn Sie dagegen jetzt „click doubleclick“ machen oder wenn wir in Berlin „Melancholie“ zeigen, da kommt es entscheidend darauf an, wie die Ausstellung kuratiert ist, denn unter diesem Thema kann man Gutes und Schlechtes, sich Wiederholendes oder sich Widersprechendes zeigen – da kommt es sehr auf die Leistung des Kurators an. Ich denke, man muss die Ausstellung immer vom Besucher aus betrachten. Wir müssen von dem Sockel der Mitwisser und Eingeweihten heruntersteigen und dem Menschen auf der Straße einen Grund geben, zu kommen und so viel Geld wie für einen Kinobesuch auszugeben (wenn nicht noch mehr), um diese Ausstellung zu sehen. Mich bewegt noch eine andere Frage, nämlich das Thema „Mitgliederbindung“ und auch „Mitgliederwachstum“. Wo sehen Sie eine sinnvolle Grenze für Ihre Gesellschaft? Ich nehme jetzt die Extrembeispiele Hamburg mit rund 14000 Mitgliedern oder manche sehr kleinen Vereine mit nur 60 Mitgliedern. Wo ist denn das optimale Plateau? Das kann ich nicht sagen. Als wir unseren Verein vor fast 30 Jahren gegründet haben, waren wir sieben Mitglieder. Unser Traum war, einmal 100 zu sein. Wir sind jetzt bei etwa 1250 Mitgliedern und es geht immer noch. Das hängt sicherlich auch damit zusammen, dass der Mitgliedsbeitrag mit 600 Euro nicht ganz gering ist. Das macht Hamburg ganz anders, zurzeit mit 80 oder noch weniger Euro Jahresbeitrag. Ich weiß nicht, wo die Grenze ist. Wir hatten jetzt unsere Mitgliederversammlung: 500 Leute zu einem gemeinsamen Abendessen in einem großen Saal, das war wunderbar. Ich wäre froh, wenn wir einmal 2000 Mitglieder wären. Man muss eben die Veranstaltungen entsprechend gestalten. Bei dieser Zahl dürfte wohl auch die Grenze liegen, wo man noch sinnvoll handeln kann. Glauben Sie an die Wirksamkeit der Staffelung von Mitgliedschaftsarten wie in den USA? Ich glaube, dass dieses System in Deutschland nicht funktioniert. Ich kenne übrigens auch kein Beispiel, wo es hier wirklich funktioniert. Wir haben jetzt allerdings einen Firmenmitgliedsbeitrag von 3000 Euro statt 600 Euro eingeführt. Das ist etwas, was man einsieht. Der Privatmann und die Firma. Wie haben Sie Ihre Firmenmitgliedschaft gestaltet? Die Firmenmitgliedschaft hat eigentlich wenig konkrete Vorteile – die Firma bekommt fünf Mitgliedskarten, diese Mitgliedskarten berechtigen zum freien Eintritt in die Ausstellungen. Aber das zuzugeben ist geradezu gefährlich, weil da das Finanzamt gleich wach wird. Wir haben gerade eine Verfügung des Bundesministeriums für Finanzen bekommen, die besagt, dass ein Mitgliedsbeitrag dann nicht mehr steuerabzugsfähig ist, wenn eine Gegenleistung versprochen wird, und eine solche Gegenleistung ist der freie Eintritt. Das ist absolut skandalös, denn das WirGefühl, das man in einem solchen Freundeskreis als Basis braucht, liegt gerade in diesen Veranstaltungen und in dem freien Ein-

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tritt. Es geht den Leuten gar nicht darum, die acht oder zwölf Euro, die sie für den Eintritt zahlen müssten, zu sparen, sondern es ist dieses Gefühl „wir gehören dazu, das ist unser Haus“. Noch einmal zum Thema Firmenmitgliedschaften: Wenn man eine „Gegenleistung“ nicht fest definiert, sondern ganz individuell auf Bedürfnisse oder Wünsche eingeht ... Aber diese ewige „Denke“ mit der Gegenleistung ist ja doch furchtbar. Eigentlich sollte ich nicht Mitglied in einem Förderverein sein und versuchen, Leistungen und Gegenleistungen gegeneinander zu verrechnen. Das kann es ja wohl nicht sein. Und bei einem Unternehmen erst recht nicht. Ich meine, wenn ein Unternehmen 1500 oder 3000 Euro Jahresbeitrag zahlt, sollte es sich nicht zu viele Gedanken über den Aspekt der Gegenleistung machen. Den freien Eintritt betrachte ich nicht als Gegenleistung, sondern als einen kleinen Hausschlüssel, der mich berechtigt, die mitfinanzierte Wohnung zu betreten. Aber hier in Deutschland ist das Kosten-/Nutzen-Denken sehr ausgeprägt. Dieses „Was habe ich davon?“ ist selbst bei denen, die diese Vereine unterstützen, immer ein Gesichtspunkt. Ich erhalte immer wieder Austrittserklärungen mit der Begründung „Ich konnte ein ganzes Jahr nicht zu Ihren Veranstaltungen gehen.“ Oder: „Ich bin weggezogen.“ Das ist mit Verlaub gesagt ein schwachsinniges Argument, wenn man wirklich ein mäzenatisches Denkgefühl hat. Ein weiterer Aspekt, der mich interessiert, ist das Thema „Rahmenprogramm“. Sie wissen ja, dass das Haus der Kunst nach Vitali in eine neue Phase ging. Das hat natürlich auch zu Austritten und einer Veränderung der Mitgliedsstruktur geführt. Schließlich ist es uns gelungen, diese Entwicklung zu beenden und sogar wieder umzukehren: Wir haben seit längerem wieder sehr gute Zugänge. Ich bin überzeugt, dass unser umfangreiches Rahmenprogramm ein wichtiges Vehikel für diese Entwicklung und die neuerliche Identifikation mit unserem Verein ist. Mich würde interessieren, inwieweit Ihre Gesellschaft an die Wirkung eines solchen Rahmenprogramms glaubt. Ich bin überzeugt, dass der Erfolg unseres Vereins auch auf diesem Rahmenprogramm basiert. Wir hatten im vergangenen Jahr 19 derartige (keineswegs kostenlose) Veranstaltungen, d. h. im Monat mindestens eine. Sie sind meines Erachtens unerlässlich. Da gibt es ein Thema, das wir noch nicht berührt haben: Welche weiteren Funktionen haben Freundeskreise noch? Sie unterstützen finanziell, auch nicht primär auf Erfolg getrimmte Projekte, welche anderen Aufgaben erfüllt ein Freundeskreis? Ich denke, dass der Multiplikatoreneffekt sehr wichtig ist. Wenn wir 1200 Mitglieder haben, die zu Brice Marden gehen, einem Künstler, dessen Namen viele Mitglieder vorher noch nie gehört haben (was auch gar nicht schlimm ist) und plötzlich sagen alle: „Da musst du unbedingt hin gehen“, dann haben wir ein wichtiges Ziel erreicht.

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Dem stimme ich voll und ganz zu, das ist hier in München auch so und sogar sehr oft. Allerdings sind wir, was unsere Mitgliederzahlen angeht, noch nicht so weit wie Sie. Aber wir wollen dorthin kommen, die magische Zahl 1000 wäre für uns eine interessante Herausforderung. Für eine weitere positive Mitgliederentwicklung sehe ich im Moment große Chancen: Wir haben hier in München eine ausgesprochen harmonische Situation, nicht nur auf Seiten der Gesellschafter, sondern eben auch auf Seiten der Mitglieder der Gesellschaft selbst. Auch das Verhältnis zum Direktor ist optimal. Das Haus der Kunst genießt inzwischen Weltruf und hat mit seiner Nischenpolitik in München eine herausragende Position erobert. Unsere Gesellschaft, unser Verein hat einen ganz erheblichen Beitrag dazu geleistet: ideell, materiell, qualitativ und quantitativ. Ich freue mich, dass Chris Dercon inzwischen unseren Verein, nicht zuletzt auch wegen seiner Multiplikatorfunktion, akzeptiert und unterstützt. Und insofern bin ich auch sehr zuversichtlich, dass wir mit dem Haus der Kunst, obwohl es nicht gerade in einer besonders leichten Position ist, in eine interessante und gute Zukunft gehen. Gar kein Zweifel, das Haus der Kunst gehört nach München so wie vielleicht kein anderes vergleichbares Haus in Deutschland zu einer Stadt gehört, mit ihr identisch ist. Ich habe die ersten 20 Jahre meines Lebens in dieser Stadt verbracht, dieses Haus war meine erste große Begegnungsstätte für diese Art der Wechselausstellungen. Ich erinnere mich, ich habe mit 15 Jahren hier im Haus der Kunst das erste Mal die „Guernica“ von Picasso erlebt – ungeschützt, unbewacht, ohne Panzerglas. Es gibt in Deutschland mehrere Häuser, die von Wechselausstellungen leben. Diese Häuser sind unglaublich stark von ihrem Direktor abhängig. Ist er gut, ist das Haus beachtet; ist er schlecht, fällt das Haus fast in Windeseile in die Bedeutungslosigkeit zurück. Das ist anders bei Museen, die eine Sammlung anzubieten haben, denn auch wenn dort gar nichts geschieht, gibt es immer noch eine grandiose Sammlung. Ich habe nie ein Hehl daraus gemacht, dass ich die Art der Verabschiedung von Christoph Vitali skandalös gefunden habe. Ich finde es aber auch ganz großartig, wie man sich, nachdem das einmal geschehen war, freigeschaufelt und mit dem jetzigen Leiter eine unbequeme Kur genommen hat, von der man ja wusste, dass sie uns in erster Linie nicht mit Dalí- und Chagall-Ausstellungen erfreuen wird – also keine weitere Hypo-Kunsthalle (was deren Bedeutung nicht schmälern soll). Inzwischen ist wieder das Erste, was ich tue, wenn ich nach München komme, zu fragen, was in diesem Hause los ist, was zeigt das „Haus der Kunst“? Das freut uns natürlich sehr zu hören. Lieber Peter Raue, wir bedanken uns herzlich für dieses Gespräch und hoffen, Sie bald wieder in unserem Hause zu begrüßen. Das Gespräch moderierte Gabriele Jahn

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4. was machen wir eigentlich? programm, geschichte und ziele der gesellschaft der freunde

18.-20.11.2005: Paris mit Chris Dercon und 50 Mitgliedern des Freundeskreises

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kunst und mehr! 84 gute gründe für eine mitgliedschaft im freundeskreis: unser programm 2003-2006

Preview „Partners“, die Sammlung Ydessa Hendeles „Strange Messenger: The Work of Patty Smith“ „Die sieben Sakramente. Abigail O’Brien und der ritualisierte Alltag“ „simply droog – 10 + 1 Jahre Avantgarde-Design aus Holland“ „Nic Hess. Guten Morgen Deutschland! Passage 1“ „Aernout Mik: „Dispersionen“/Videoinstallationen – Passage 2“ „Bernd und Hilla Becher – Typologien industrieller Bauten“ „Das Bild Europas. OMA/Rem Koolhaas und Foreign Policy Center“, anschließend Frühstück mit Rem Koolhaas, den Kuratoren, Chris Dercon und Presse „Die Götter Griechenlands. Peter Cornelius (1783 – 1867)“ „Utopia Station. Auf dem Weg nach Porto Alegre“ in Anwesenheit der Künstler und Kuratoren „Schatzhäuser Deutschlands – Kunst in adligem Privatbesitz“ „Florian Süssmayr – Bilder für Deutsche Museen“ zusammen mit dem Künstler und Chris Dercon „Occupying Space. Die Sammlung Generali Foundation“ „Der Körper der Fotografie. Sammlung Herzog“ „Robert Adams. Turning back – Landschaftsfotografien“ „Paul McCarthy. Lala Land Parodie Paradies“ „Poussin, Lorrain, Watteau, Fragonard ... Französische Meisterwerke des 17. und 18. Jahrhunderts“ „Künstlerbrüder. Von den Dürers zu den Duchamps“ „Lee Friedlander. Fotografien 1956-2004“ „click doubleclick. Das dokumentarische Moment“ „Konstantin Grcic Industrial Design. on/off“

Lunch mit Thomas Weski – „Partners“ mit Chris Dercon – „Strange Messenger: The Work of Patty Smith“ mit Abigail O’Brien und Stephanie Rosenthal nach der Vorbesichtigung von „Die sieben Sakramente. Abigail O’Brien und der ritualisierte Alltag“ mit Chris Dercon anlässlich von „simply droog – 10 + 1 Jahre Avantgarde-Design aus Holland“ mit Stephanie Rosenthal und Stephan Urbaschek, Kurator für Film und Video in der Sammlung Goetz anlässlich von „Aernout Mik: Dispersionen Videoinstallationen – Passage 2“, mit Wilfried Rogasch anlässlich von „Schatzhäuser Deutschlands – Kunst in adligem Privatbesitz“ vorweihnachtliches Lunch mit Chris Dercon und allen Kuratoren „New Year’s Kick-off Lunch“ mit Chris Dercon, Thomas Weski, Stephanie Rosenthal, Léon Krempel mit Thomas Weski anlässlich von „click doubleclick. Das dokumentarische Moment“

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Private view „Partners“ mit Nicole Matthiß Führung zusammen mit den Mitgliedern von PIN „Strange Messenger: The Work of Patty Smith“ mit Chris Dercon „Die sieben Sakramente. Abigail O’Brien und der ritualisierte Alltag“ mit Stephanie Rosenthal „Strange Messenger: The Work of Patty Smith“ mit Chris Dercon „Franz Gertsch – Patti Smith”, Einladung des PIN-Vereins, Führung durch die Ausstellung in der Pinakothek der Moderne „simply droog – 10 + 1 Jahre Avantgarde-Design aus Holland“ mit Chris Dercon „Nic Hess. Guten Morgen Deutschland! Passage 1“ mit Stephanie Rosenthal „Bernd und Hilla Becher – Typologien industrieller Bauten“ mit Thomas Weski „Die Götter Griechenlands. Peter Cornelius (1783-1867)“ mit Léon Krempel „Die Götter Griechenlands. Peter Cornelius (1783-1867)“ mit Prof. Dr. Frank Büttner, Professor für Kunstgeschichte am Institut für Kunstgeschichte der LMU unter dem Motto „Romantische Mythologie“ „Schatzhäuser Deutschlands – Kunst in adligem Privatbesitz“ mit Wilfried Rogasch „Occupying Space. Die Sammlung Generali Foundation“ mit Thomas Weski „Der Körper der Fotografie. Sammlung Herzog“ mit Ruth und Peter Herzog

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„Der Körper der Fotografie. Sammlung Herzog“ mit Thomas Weski „Katharsis oder Sensationslust?“ Vortrag von Stephanie Rosenthal exklusiv für die Freunde über die Vorbereitung der Ausstellung „Paul McCarthy. Lala Land Parodie Paradies“ „Robert Adams. Turning back – Landschaftsfotografien“ mit Thomas Weski „Poussin, Lorrain, Watteau, Fragonard... Französische Meisterwerke des 17. und 18. Jahrhunderts“ mit Dr. Helge Siefert, Hauptkonservatorin der Alten Pinakothek, zuständig für französische und spanische Malerei bis Ende des 18. Jahrhunderts wie auch deutsche Malerei des 18. Jahrhunderts und Kuratorin der „Peinture Française“ „Künstlerbrüder. Von den Dürers zu den Duchamps“ mit León Krempel und seiner Assistentin Anthea Niklaus „Das Archiv Haus der Kunst“ mit der Kunsthistorikerin Sabine Brantl „Lee Friedlander. Fotografien 1956-2004“ mit Thomas Weski und Stephan Urbaschek, Kurator für neue Medien in der Sammlung Goetz „click doubleclick. Das dokumentarische Dokument“ mit Thomas Weski „click doubleclick. Das dokumentarische Moment“ mit Prof. Larry Sultan

Outlook „Rudolf Wachter – Holzskulpturen“, Galerie Rieder, Führung mit dem Künstler Patti Smith-Konzert im Theater Haus der Kunst, Einladung ins P1 „Robert Therrien“, Besuch der Galerie Sprüth Magers Lee „Sculptural Sphere“, Führung durch die Sammlung Goetz mit Ingvild Goetz und Rainald Schumacher „Eine neue Kunst? Eine andere Natur! Fotografie und Malerei im 19.Jahrhundert“, Führung durch die Hypo-Kunsthalle „Picasso in München“, Kunstbau Lenbachhaus „Designafairs“ mit Christoph Böninger, Geschäftsführer von Designafairs, der größten europäischen Design-Agentur durch das Designstudio im Rahmen der Ausstellung „ simply droog – 10 + 1 Jahre Avantgarde-Design aus Holland“ Schirmer Showroom: „Die Farben der Leidenschaft – Frida Kahlo & Nicholas Murray“, mit Lothar Schirmer, Verleger und langjährigem Sammler der Fotografien von Bernd und Hilla Becher und ihrer Schüler Atelierbesuch bei Stefan Huber, Künstler und Kurator für die künstlerische Gestaltung des Stadtgartens Petuelpark (Beginn der Reihe von Atelierbesuchen) „Amerikanische Kunst der 90er: Robert Gober – Mike Kelley – Christopher Wool“, Werke aus der Sammlung Udo und Anette Brandhorst und dem Museum moderner Kunst, Stiftung Ludwig Wien, mit Bernhard Schwenk Galerie Bernheimer Fine Old Masters: „Rembrandt. Eine Ausstellung von Gemälden, Zeichnungen und Radierungen von Rembrandt und Rembrandt-Schülern“, mit Konrad O. Bernheimer „Der Mann ohne Eigenschaften“, Live-Audio-Kunsterlebnis in den Räumen des Hörverlags mit Claudia Baumhöver, Geschäftsführerin Hörbuchverlag Atelierbesuch bei Benjamin Bergmann Besuch des Auktionshauses Neumeister: Vorbesichtigung von Gemälden und Skulpturen aus der Sammlung Familie Schäfer und Führung durch das Auktionshaus mit Katrin Stoll

„Ares in irrealem Raum. Bilder von Ben Willikens in der Glyptothek“, mit Ben Willikens, Künstler und ehemaligem Leiter der Akademie der Bildenden Künste, München, anschließend: „Pasta alla Galleria“ bei Carol Johnssen „John Goto“, Galerie f 5.6., Führung mit Nicole Stanner Atelierbesuch bei Dieter Rehm, Fotokünstler und Professor für Fotografie an der Akademie der Bildenden Künste, München „Doug Aitken“ und „Richard Prince“, Sammlung Goetz, Führung mit Ingvild Goetz und Rainald Schumacher Führung durch die Münchener Rück, exklusiver Einblick in die umfangreiche Sammler- und Ausstellungstätigkeit des Unternehmens Führung durch die Werkstätten der Nymphenburger Porzellanmanufaktur mit Egbert Freiherr von Maltzahn, Geschäftsführer der Nymphenburger Porzellanmanufaktur „Franz Marc. Die große Werkschau“, Lenbachhaus, Führung mit der Kunsthistorikerin Julia Höner Galeriebesuch bei Carol Johnssen anlässlich der Ausstellung „Künstlerbrüder. Von den Dürers zu den Duchamps“, anschließend „Pasta alla Galleria“ „Der Tod hält mich wach“ , Führung durch die Ausstellung zum 20. Todestag von Joseph Beuys in der Pinakothek der Moderne ClassiCon-Showroom mit Susanne Holy anlässlich der Ausstellung „Konstantin Grcic Industrial Design. on/off“ „Stephen Shore“, Galeriebesuch bei Sprüth Magers anlässlich der Ausstellung „click doubleclick“ „Imagination becomes Reality“, Führung durch die Sammlung Goetz

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Kunstreisen 31.01. – 2.02.2003 Juniorenreise nach Rotterdam und Amsterdam mit Stephanie Rosenthal zu Chris Dercon: OMA/Rem Koolhaas, Museum Boijmans van Beuningen, Witte de With, Künstlergespräch und Theaterperformance mit Aernout Mik 18. – 20.06.2004 Basel mit Chris Dercon: ART Basel, Schaulager, Fondation Beyerler, Sammlung Peter Herzog 29. – 31.10.2004 Brüssel mit Chris Dercon: „Magritte – Broodthaers“, Museum für Moderne Kunst, Fashion Parcour, Empfang bei Sonja Noel, Stijl, Museum Antoine Wiertz, Museum der Schönen Künste; Museum Victor Horta, Museum van Buuren, Führung mit Prof. Filip de Boeck durch das Musée Royal de l’Afrique in Tervuren 19.02.2005 Salzburg: Museum der Moderne, Kiefer-Haus, Galerie Ropac, anschließend Einladung zum Tee in der Villa Elmslieb bei Thaddaeus Ropac 29.04. – 1.05.2005 Schlösserreise mit Wilfried Rogasch: Besuch der Leihgeber „Schatzhäuser Deutschlands – Kunst in adligem Privatbesitz“: Schloss Weißenstein, Heiligenberg, Salem, Wolfegg, Kirchheim, Burg Hohenzollern – sowie der Sammlung Würth 18. – 20.11.2005 Le Tour du Monde en 3 Jours – Paris-Reise mit Chris Dercon: „Dada“ im Centre Pompidou, „Paris Photo“ und „Frans Post“ im Musée du Louvre, Fondation Cartier, Luc Delahaye in der Privatsammlung Maison Rouge, Galerie Thaddaeus Ropac, Führung mit dem Architekten durch den neuen Louis Vuitton-Flagshipstore

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Die Gesellschaft der Freunde im Überblick Die Gesellschaft der Freunde der Stiftung Haus der Kunst München e.V. (GdF) ist seit 1992 Mitgesellschafter der Stiftung Haus der Kunst München neben dem Freistaat Bayern, der Bayerischen Braustiftung Josef Schörghuber sowie der Ausstellungsleitung Haus der Kunst München e.V. Gründung: 22. Oktober 1954 Initiator und Mitbegründer: Peter A. Ade, Direktor der Ausstellungsleitung Haus der Kunst München e.V. bis 1982, sowie mehrere Künstler, z.B. Franz Mikorey, Günther Grassmann und andere Anerkennung der Gemeinnützigkeit: Februar 1956 Erste aktive Förderung: 1958, Mitfinanzierung der Ausstellung „München 1869 – 1958. Aufbruch zur modernen Kunst“ Jährliche Zuwendung an das Haus der Kunst: Geregelt durch mehrjährigen Konsortialvertrag zwischen 300.000 – 350.000 Euro, zuzüglich weiterer zweckgebundener Zuwendungen Mitglieder der Gesellschaft: 390 Förderer; 230 Club-Mitglieder (Stand Mai 2006) Vorstand: Andreas Langenscheidt, Vorsitzender, Renate Küchler, stellv. Vorsitzende, Dr. Günther Engler, Rüdiger von Michaelis, Michael Roßnagl Kuratorium: Karl Anselmino, Thomas Barthel, Konrad O. Bernheimer, Dr. Günther Engler, Dr. Bernd T. Gans, DaimlerChrysler AG, Richard Gaul, BMW AG, Dr. Georg von Gumppenberg, Allianz AG, Dr. Heiner Hasford, Münchener Rückvers.Ges., Gabriele Jahn, Renate Küchler, Andreas Langenscheidt, Holger Lösch, Schörghuber Stiftung & Co. Holding KG, Franz Graf von Meran, Rüdiger von Michaelis, Professor Dr. Bolko von Oetinger, Dr. Cletus von Pichler, Maximilian Ring, Michael Roßnagl, Siemens AG, Karsten Schmitz, Jürgen Tesch, Prestel Verlag, Susanne Wamsler, Adelhaid Winterstein Beisitzer der Junioren: Dr. Michaela Neumeister, Phillips, de Pury & Luxembourg Ehrenbeirat: Dr. Johannes Bauer, Esther Bloch, Dr. Wolf-Dieter Bopst, Osram GmbH, Dr. Wilfried Guth, Deutsche Bank , Senator h.c. Günther Klinge, Barbara Lambrecht-Schadeberg, Dr. Robert Scherb, Dr. Karl Wamsler Club Haus der Kunst Im Dezember 1994 beschlossen die Mitglieder der Gesellschaft der Freunde, unterstützt von dem damaligen Direktor des Hauses, Christoph Vitali, den Club Haus der Kunst zu gründen. Als Alternativangebot zu einer Fördermitgliedschaft hat der Club keine eigene Rechtsform, sondern ist in der Gesellschaft der Freunde verankert. Mit einem eigenen Veranstaltungsprogramm und einem deutlich niedrigeren Jahresbeitrag wendet sich der Club an ein breites, vor allem auch jüngeres kunstinteressiertes Publikum.

Renate Küchler, Vorsitzende des Vorstands von 2002 bis 2004

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Chronologie der Vorstandsvorsitzenden von 1980 bis heute: 1980 – 1990 Dr. Peter von Siemens hat durch sein umsichtiges und effizientes Wirken als Vorsitzender in der Gesellschaft als auch in der Politik eine positive Resonanz für den Förderkreis und das Haus der Kunst bewirkt und damit zu deren Weiterentwicklung beigetragen. 1990 – 2002 Dr. Karl Wamsler hat zusammen mit seiner Frau Honoré die Vereinstätigkeit der Gesellschaft der Freunde während seiner Amtszeit reaktiviert, eine neue Satzung etabliert und die Stiftungsgründung 1992 begleitet. Heute ist Dr. Wamsler ein großzügiger Förderer der Stiftung Haus der Kunst. 2002 – 2004 Renate Küchler hat vor allem in den Jahren des Umbruchs als Vorsitzende des Vorstandes die Gesellschaft der Freunde mit Diplomatie und Sensibilität in eine neue Ära geführt und die Dynamik des Vereins mit ihrem Engagement sehr befördert. Seit 2004 Andreas Langenscheidt setzt diese Entwicklung fort und engagiert sich insbesondere für den Aufbau und die Umsetzung eines exklusiven und reichhaltigen Veranstaltungsprogramms. Die gestiegene Attraktivität und Außenwirkung des Vereins bewirkte nicht zuletzt einen erheblichen Mitgliederzuwachs.

Kunstwerkesammlung Das Haus der Kunst war ursprünglich eine Anstalt des öffentlichen Rechts und wurde nach dem Krieg dem Bayerischen Staat übergeben. Zur Durchführung der jährlichen „Großen Deutschen Kunstausstellung“ sowie anderer internationaler Ausstellungen berief das Ministerium die Ausstellungsleitung Haus der Kunst München e.V. Da das Haus weder staatliche noch städtische Zuschüsse erhielt, wurde 1954 die Gesellschaft der Freunde der Ausstellungsleitung Haus der Kunst München ins Leben gerufen, getragen von namhaften Unternehmen aus der deutschen Industrie und Wirtschaft. Zweck der Gesellschaft war zum einen, die Ausstellungstätigkeit im Haus der Kunst zu unterstützen, und zum anderen durch den Ankauf von Kunstwerken aus der „Großen Kunstausstellung“, zeitgenössische deutsche Künstler zu fördern. Bis Ende der 80er Jahre hat die Gesellschaft der Freunde einen umfangreichen Bestand an Kunstobjekten erworben. Das Depot mit derzeit ca. 1300 Objekten betreuen die Mitarbeiterinnen unserer Geschäftsstelle, Angelika Lerch und Kerstin Winkler.

Angelika Lerch und Kerstin Winkler im Depot der Kunstwerkesammlung der Gesellschaft der Freunde

Dr. Karl Wamsler, Vorsitzender des Vorstands von 1990 bis 2002

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kunst für kinder! wir wollen kreativität und imaginationskraft von klein auf fördern und stärken.

Kreativität braucht Raum und Zeit Von Anne Leopold Unsere Schulen reduzieren zunehmend den Kunstunterricht, wir aber erfahren von Jahr zu Jahr eine steigende Zahl von an Kunst interessierten Kinder. Chris Dercon widmete 2003 zwei wunderschöne Tageslichtateliers der Arbeit mit Kindern. Hier können erstmals zwei Schulklassen parallel basteln, malen und gestalten und über das in den Ausstellungen Gesehene diskutieren. Die auch privat zu buchenden Workshops von 2.5 Stunden oder die Spielführungen für die Kleineren von 1 Stunde beginnen mit der Betrachtung von Kunst, mit dem spielerischen Entdecken in der Ausstellung, mit der Inspiration. Die große Kreativität und Imaginationskraft, die jedem Kind eigen ist, wollen wir fördern und stärken. Letztlich geht es um die Entwicklung der Gesamtpersönlichkeit des Kindes und um die Steigerung seines Selbstbewusstseins. Kreativität braucht Raum und Zeit. Beides bieten wir an. Für die Schulen möchten wir Türöffner sein, Anstöße geben, Schülern den Kick vermitteln, weiter in Museen zu gehen und sich mit Kunst auseinander zu setzen. Lehrer und Schüler besuchen gemeinsam unsere Ausstellungen und gestalten im Anschluss eigene Werke, die sie mit nach Hause bzw. mit in

die Schule nehmen dürfen. Wir wollen den Kindern Kunst so vermitteln, dass sie wiederum ihren Eltern, Geschwistern und Freunden – nun selbst als „Museumsführer“ – ihre Erkenntnisse und ihre gewonnene Freude an eigenständiger kreativer Arbeit weitergeben können. Dieser Ansatz entspricht dem Auftrag der Schulen, scheitert aber beim Ausflugsziel Museum sehr häufig an den fehlenden Finanzierungsmöglichkeiten. Hier kann sich das Kinder und Jugendprogramm auf eine Förderung durch die Gesellschaft der Freunde stützen, die unter anderem auch Schulprojekte unterstützt. Übrigens: Selbstverständlich wird bei uns auch gefeiert, nicht nur zur Faschingszeit – auch im Rahmen unserer Sommerkunstwochen mit Außenprogramm im Englischen Garten oder bei Geburtstagsfesten mit allen Freunden der Kinder. Eltern und Kinder finden hier in unseren Ateliers einen besonders schönen aktiv betreuten und gestalteten Rahmen. Anne Leopold M.A. leitet die Museumspädagogik am Haus der Kunst Die aktuellen Termine des Kinderprogramms finden Sie unter www.hausderkunst.de, Anfragen bitte an [email protected]

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kunst braucht sponsoren! das haus der kunst steht auf der landkarte der internationalen kunstszene

Warum das Haus der Kunst einem Sponsor Freude macht Unternehmer als Mäzene. Warum tun sie das? Mit der Schörghuber Unternehmensgruppe hat das Haus der Kunst seit nunmehr 14 Jahren einen starken privaten Partner an seiner Seite. kunst.freunde sprach mit Holger Lösch, Leiter Kommunikation & Marketing der Schörghuber Unternehmensgruppe

Wie bereits sein Vater Josef, ist heute Stefan Schörghuber als Person wie auch mit seiner Unternehmensgruppe Mitglied in der Gesellschaft der Freunde.

Das Haus der Kunst hat sich von einem reinen Ausstellungshaus zu einem echten Haus der Kunst gewandelt. Im Spagat zwischen Paul McCarthy und Französischer Malerei des 17. und 18. Jahrhunderts hat sich eine lebendige Kultur des Erlebens von Kunst entwickelt, die aus dem Haus der Kunst ein wichtiges Zentrum von Kultur und Kunst in München macht. Geschickt lotet die künstlerische Leitung ihre Spielräume aus, ohne sich in der puren Lust an der Provokation zu gefallen. Qualität ist der oberste Anspruch an die Ausstellungen. Dies hat dem Haus nationales und internationales Image gebracht. München steht mit dem „neuen“ Haus der Kunst wieder auf der Landkarte der internationalen Kunstszene. Für einen Sponsor wie die Schörghuber Unternehmensgruppe, der dem Haus der Kunst seit nunmehr dreizehn Jahren als größter privater Geldgeber verbunden ist, sind aber nicht nur diese deutlich gestiegenen Imagewerte von Bedeutung. Es ist auch die Professionalität, die Verlässlichkeit und die Aufgeschlossenheit der Führung des Hauses, die dazu geführt hat, dass nicht nur der langjährige Partner Schörghuber Unternehmensgruppe Freude an seinem Engagement hat und es auch vielfältiger als früher nutzt, sondern auch andere Förderer und Partner auf das Haus aufmerksam geworden sind. Die große programmliche Bandbreite, die lebendige Ausstrahlung, die gestiegene mediale Präsenz und die Bereitschaft, sich sowohl auf dem künstlerischen Feld, als auch im Sponsorenbereich mit Partnern einzulassen, ohne sich dabei künstlerisch zu verbiegen, haben die Grundlage für eine dauerhaft positive Entwicklung und einen wachsenden künstlerischen Freiraum geschaffen. Das Haus der Kunst macht es seinen langjährigen Partnern und seinen potentiellen Partnern leicht, individuell geeignete Anknüpfungspunkte zu finden. Denn es kommt nicht darauf an, dass alle Partner sich mit jeder einzelnen Facette des Programms euphorisch identifizieren, sondern darauf, dass die Aufgabe des Hauses, einem möglichst breiten Publikum einen möglichst hochwertigen und breiten Ausschnitt von Kunst nahe zu bringen, erfüllt wird.

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5. blicken sie zurück! ein spaziergang durch die geschichte des hauses

Tischaufsteller für die in den 50er Jahren an der Nordseite des Haus der Kunst eingerichteten Tennisplätze

Terrasse Haus der Kunst, ca. 1937

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Erinnerung „Der Englische Garten wirkte auf uns immer schon wie ein Magnet, um den sich, um im Bild zu bleiben, die verschiedenen Wohnstätten meiner Familie im Laufe der Zeit ordentlich wie die Eisenfeilspäne anordneten. Im Süden lag die große Wohnung in der Prinzregentenstraße, gegenüber begann gleich der Park, und angenehmerweise stand das „Haus der Kunst“ unserem täglichen Spaziergang noch nicht im Weg.“ Annette von Aretin, 1989 Von Sabine Brantl

An der Prinzregentenstraße Altstadtring Nord-Ost, Lärm, öffentliche Gebäude − man ist auf dem Sprung. Die Prinzregentenstraße ist ein ruheloser Ort, nicht unbedingt ein Platz zum Verweilen. Die Prinzregentenstraße „zieht sich am Südrande des englischen Gartens von dessen Eingang in östlicher Richtung zur Luitpoldbrücke in die Großanlage“, ist im Münchner Stadtadressbuch aus dem Jahre 1890, dem Gründungsjahr der Straße, zu lesen. Prinzregent Luitpold, nach dem Tod seines Neffen Ludwig II. Treuhandverwalter des Königreichs Bayern, gab der Straße ihren Namen. Das Areal um Nationalmuseum, Englischer Garten und Hofgarten war ein goldener Boden für Grundstücksmakler und Spekulanten. An solventen Käufern mangelte es nicht. Die Prinzregentenstraße wurde zur bevorzugten Wohngegend eines selbstbewussten Bürgertums. Rechtsanwälte, Privatiers und Kaufmänner ließen sich hier nieder. Die Schriftstellerin Grete Weil und die Moderatorin Annette von Aretin, Töchter aus wohlhabenden Familien, verbrachten in der Prinzregentenstraße ihre Kindheit. Auch die Malerin Tini Rupprecht, bekannt für ihre repräsentativen Damen- und Kinderporträts, wohnte hier mit ihrer Mutter. Heute ist von dieser Atmosphäre bürgerlicher Eleganz fast nichts mehr zu spüren. 1938 setzten die Nationalsozialisten den imposanten, 225 Meter langen Gebäudekomplex des Luftgaukommandos (heute: Wirtschaftsministerium) an die Prinzregentenstraße gegenüber dem Nationalmuseum. Im Gegensatz zu den edlen Wohnhäusern blieb der Bau vom Bombenhagel des Zweiten Weltkriegs verschont. Martialische Fassadenelemente lassen noch heute den ursprünglichen Zweck erkennen. Die nördliche Straßenseite wird vom Haus der Kunst bestimmt: Donaukalkstein, 160 Meter lang, 60 Meter breit.

Geschichte 1 In der Nacht vom 5. auf den 6. Juni 1931 war der Glaspalast am Alten Botanischen Garten, nahezu sieben Jahrzehnte Symbol des traditionellen Münchner Kunstlebens, durch Brandstiftung vollständig zerstört worden. Noch im selben Jahr begannen die Planungen für einen Neubau. Wenige Wochen nach seiner Ernennung zum Reichskanzler bestimmte Adolf Hitler Paul Ludwig Troost zum neuen Architekten und verlegte den Standort des geplanten Ausstellungsgebäudes an die nördliche Seite der Prinzregentenstraße zwischen dem Eisbach und Schwabinger Bach. Der Gedanke, das Gelände des Alten Botanischen Gartens als „grüne Lunge“ inmitten der Innenstadt freizugeben und der Prinzregentenstraße ein drittes Ausstellungsgebäude neben Schackgalerie und Bayerischem Nationalmuseum anzugliedern, spielte nur eine marginale Rolle und wurde für propagandistische Zwecke eingesetzt. Vielmehr hatte Hitler die Vorstellung eines monumentalen Forums, das sich tief in den Englischen Garten erstrecken sollte. Neben dem „Haus der Deutschen Kunst“ waren ein Museum für Zeitgeschichte und ein Palais für den Reichsstatthalter vorgesehen. Der Forumsplan scheiterte aber am Widerstand Paul Ludwig Troosts, der sich für die Erhaltung des Englischen Gartens einsetzte. Im Dezember 1938 ordnete Hitler den Bau des „Hauses der Deutschen Architektur“ an, eines Ausstellungsgebäudes für Architektur- und Kunstgewerbe, das gegenüber dem „Haus der Deutschen Kunst“ an der Prinzregentenstraße situiert werden sollte. Mehrere jüdische Familien wurden aus ihren Wohnungen vertrieben, um „Abbruchmietern“ aus der Prinzregentenstraße einen geeigneten Ersatz anbieten zu können. Bis 1944 wurden Pläne für das „Haus der Deutschen Architektur“ ausgearbeitet, der Bau wurde nicht realisiert.

Am Hofgarten Vom nahegelegenen Odeonsplatz erreicht man das Haus der Kunst über den Hofgarten. Trotz diverser Umgestaltungen und dominanter Architektur gehört er noch immer zu den schönsten Plätzen Münchens. Ein charmanter Ort. Bei wärmeren Temperaturen empfiehlt sich eine Ruhepause auf einem der zahlreichen Bänkchen, von wo man den Boule-Spielern zuschauen kann; wenn das Wetter nicht mitspielt, ein Abstecher zu Schumann‘s oder ein Besuch im Kunstverein. Der Hofgarten ist aber auch ein Ort, der nachdenklich stimmt. Am 19. Juli 1937, einen Tag nach Eröffnung des „Hauses der Deutschen Kunst“, war im benachbarten Galeriegebäude (heute Theatermuseum und Kunstverein), die Femeausstellung „Entartete Kunst“, Hitlers Kampfansage gegen Moderne und Abstraktion, eröffnet worden. In entstellender Aufmachung und von wandgroßen Schmähungen kommentiert, wurden hier Werke der klassischen Moderne und deren Schöpfer an den Pranger gestellt. Alle ausgestellten Gemälde, Plastiken und Zeichnungen waren zuvor aus deutschem Museumsbesitz beschlagnahmt worden. Auch das Prinz-Carl-Palais, Anfang des 19. Jahrhundert von Carl von Fischer erbaut, nutzten die Nationalsozialisten für ihre Zwecke. Im Rahmen der Verbreiterung der Von-der-Tann-Straße zur repräsentativen „Hauptzufahrtsstraße zum Haus der Deutschen Kunst“ und Teil der Ost-West-Hauptachse wurde das Palais auf Anordnung Hitlers umgebaut und aufwändig ausgestattet; 1937 und 1938 diente es Mussolini als Gästehaus.

Grundriss Erdgeschoss mit handschriftlichen Eintragungen der von der amerikanischen Militärregierung belegten Räume, um 1949 Temporärer Anbau an der Nordseite des Haus der Kunst nach Entwürfen von Paolo Nestler, 1972 (rechts) Sabine Brantl, Historikerin mit dem Schwerpunkt Bayerische Geschichte, hat in den vergangenen Jahren das Historische Archiv des Haus der Kunst erstmalig erschlossen und die Bestände geordnet und katalogisiert. 1996 hat sie die erste Dokumentation der Geschichte des Hauses erarbeitet, zu der das Buch „Haus der Kunst 1937 – 1997. Eine historische Dokumentation“ erschienen ist. Die Historische Dokumentation wird in neuer Form im Herbst 2006 in der Mittelhalle präsentiert. Mit Jochen Meister kuratiert sie die Ausstellung „Ein Blick für das Volk. Die Kunst für alle”, zu sehen vom 14. Juni bis 3. September 2006 in der Nordgalerie.

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Resistance Ende 1993 zeigte Christian Boltanski in der Gruppenausstellung „Widerstand − Denkbilder für die Zukunft“ seine Installation „Resistance, 1993“. Eine Arbeit, die der in Paris lebende Künstler eigens für das Haus der Kunst konzipiert hatte und die außerhalb des Gebäudes, an der Fassade stattfand. Hier hatte Christian Boltanski die vergrößerten Augenpaare von Mitgliedern der antifaschistischen Widerstandsgruppe Rote Kapelle montiert. Aus dem Bewusstsein um die Bedeutung des Ausstellungsgebäudes während der NS-Zeit, konfrontierte er die Besucher mit der Erinnerung an Menschen, die auf internationaler und nationaler Ebene Hitlers Kriegspolitik bekämpften und sich dadurch ständiger Lebensgefahr aussetzten. Die neoklassizistische Fassade schien plötzlich aus Hunderten von Augenpaaren zu bestehen, die − als Warnung und Aufforderung zum Nachdenken − auf die vorübergehenden Passanten blickten. Am Englischen Garten Zwischen dem Haus der Kunst und dem Aumeisterhaus im Norden Münchens liegen 370 Hektar Parklandschaft. 1792 eröffnet, hat der Englische Garten bis heute nichts von seiner Anziehungskraft verloren. Man kann ihn in jeder Stimmung und zu fast jedem Zweck aufsuchen. Das Gelände war ursprünglich ein wildes Land aus Weidenlandschaft, Schlingpflanzen und feuchtem Gras. Die Gründung des Englischen Gartens geht auf die Initiative eines Amerikaners in München zurück: Benjamin Thompson, besser bekannt als Graf von Rumford, kam 1784 an den Münchner Hof und entwarf ein umfassendes Reformprogramm, das auch Pläne für einen Militärgarten in München beinhaltete. So diente der Englische Garten anfänglich als eine Art Militärschrebergarten für die Soldaten des Kurfürsten Karl Theodor, um das Heer in Friedenszeiten sinnvoll zu beschäftigen. Doch als im Juli 1789 der Geist der Revolution auch über München lag, erkannte der Kurfürst die Zeichen der Zeit und machte den weitläufigen Park für jedermann zugänglich. Friedrich Ludwig von Sckell, einer der fortschrittlichsten Gartenarchitekten seiner Zeit, gab dem Englischen Garten sein bis heute gültiges Aussehen und verwirklichte damit seine Vision eines Parks, in dem sich die Natur frei entfalten kann.

Geschichte 2 „Wege, die immer in der Sonne führen, werden nicht oft besucht, deswegen müssen an der Sonnenseite hohe Bäume gepflanzt werden, damit Schatten auf sie falle […] Auch sollten zum öftern zwei bis drei Bäume so nahe gepflanzt werden, daß es scheint, als wären sie aus einem Stamm gewachsen.“ Friedrich Ludwig von Sckell, 1818 „Wie Ihnen bekannt, entspricht es einem ausdrücklichen Wunsch des Führers, daß von der rückwärtigen Terrasse des Hauses der Deutschen Kunst aus gesehen mehrere Durchblicke […] geschaffen werden. Wenn das Fällen der in Frage kommenden Bäume aus Zweckmäßigkeitsgründen wohl auch erst im kommenden Winter vorzunehmen sein wird, so muß nach unserer Auffassung die grundsätzliche Festlegung der verschiedenen Durchblicke erfolgen, solange die Bäume noch Laub tragen, demnach in allernächster Zeit.“ Haus der Deutschen Kunst an die Verwaltung der staatlichen Schlösser, Gärten und Seen, München, 9. September 1936 Haus der Kunst, Rückseite Hinter dem Hause der Kunst tut sich eine eigene Welt auf. Am Eisbach, der sich am Rande des Englischen Gartens zu einer halbmeterhohen Welle aufbäumt, haben die Surfer ihr Paradies gefunden. Der Legende nach soll ein amerikanischer Soldat das „Eisbachsurfen“ erfunden haben. Eine Attraktion für die zahlreichen Zuschauer, die sich hier täglich staunend versammeln. Ein weiterer Anziehungspunkt ist das P1. Mit spektakulären Events, einer glamourösen Gästeliste und der „härtesten Tür Münchens“ gehört der Club zu den erfolgreichsten Institutionen im Münchner Nachtleben. Seinen Anfang hatte das P1 in der Nachkriegszeit, als die Amerikaner die Räumlichkeiten des

ehemaligen „Hauses der Deutschen Kunst“ als Offiziersclub nutzten. Da ihnen die Adresse „Prinzregentenstraße 1“ nur schwer von den Lippen ging, wurde daraus kurz und knapp „P one“. Weitaus entspannter geht es auf der Terrasse des Hauses der Kunst zu, − mit Unterbrechungen − seit Gründung des Ausstellungsgebäudes mit einem Café-Restaurant bespielt wird. „Dinners at the Haus der Kunst during the lunch hour enjoy the refreshingly cool and shaded terrace, located at the back of the main club entrance. Quick, efficient service tend to make this a mess of distinction“, berichtete 1950 „The Munich American“. Auch einen Tennisplatz hatten die Amerikaner auf der Rückseite des Hauses eingerichtet. Leider wurde die Anlage 1969 durch einen Parkplatz ersetzt. Weltkulturen Das Teehaus hinter dem Haus der Kunst gibt es erst seit 1972. Ein nobles Geschenk des Oberhaupts der japanischen Uransenke-Teeschule zu den Olympischen Spielen. Der filigrane Bau wurde in Kyoto angefertigt, zerlegt nach München transportiert und von japanischen Handwerkern wieder aufgebaut. Von April bis Oktober kann man hier an einer klassischen Teezeremonie teilnehmen. Die meditative und kunstvolle Zubereitung und das Servieren des grünen Tees dauern an die vier Stunden − eine gute Gelegenheit, einmal die Zeit anzuhalten. Anlässlich der Olympiade zeigte das Haus der Kunst auch die Ausstellung „Weltkulturen und moderne Kunst“ − eine unglaubliche Schau, für die Paolo Nestler eigens einen zweigeschossigen gläsernen Anbau an der Nordseite des Gebäudes entwarf. Mit diesem Glasbau aus Fertigteilen setzte er der überdimensionalen, pompösen Architektur des Hauses der Kunst etwas Improvisiertes, Freches und Liebeswürdiges gegenüber und bot den Besuchern einen überraschenden, völlig neuen Anblick: Das Schwere war plötzlich ganz leicht geworden.

Parody Paradise Im Sommer 2005 zeigte der amerikanische Künstler Paul McCarthy seine bislang umfangreichste Werkschau in Europa − eine Attacke gegen die Werte des American way of life und die von den Medien manipulierte Gesellschaft. Paul McCarthy machte aus dem Haus der Kunst einen Erlebnispark, dessen Bestandteile auch auf die NS-Vergangenheit des Ausstellungsgebäudes Bezug nahmen. Auf dem Dach installierte er ein überdimensionales Blumenbouquet, das den ehemaligen „Tempel der Deutschen Kunst“ zu einem Blumentopf mutieren ließ, aus dem deutsche Geranien sprießen. Im „Western Project“ wurde das Haus der Kunst und seine Umgebung zur Filmkulisse: Fünf mindestens 1,82 Meter große, wohlproportionierte Männer marschierten uniformiert im Stechschritt durch das hölzerne Fort, tanzten nackt an der Prinzregentenstraße und badeten ausgelassen im Eisbach. Das Haus der Kunst ist in der Stadt, im nationalen wie internationalen Kulturleben präsent und ist in den letzten drei Jahren noch präsenter geworden. Für Chris Dercon liegt die Herausforderung des Ortes in seiner Geschichte − und in dem Mut, die Besucher mit dieser Geschichte zu konfrontieren. Dies geschieht auf vielen Ebenen, nicht nur im Inneren des Gebäudes. Anmeldungen für eine Führung durch das Historische Archiv Haus der Kunst sind unter Telefon (089) 27 37 27 99 und [email protected] möglich.

Eröfffungsrede Adolf Hitlers in der ehemaligen Ehrenhalle anlässlich der dritten „Grossen Deutschen Kunstausstellung“, 16.07.1939 Künstlerfeste – P1, Haus der Kunst, 50er Jahre (Mitte) Paul McCarthy Parade im Englischen Garten, 12.6.2005 (rechts)

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Blumenbouquet von Paul McCarthy auf dem Haus der Kunst, 2005

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>> wir begannen mit elan vital eine ausstellung, die das werk von kandisky, klee, arp, miró und calder zusammenfügte, eher der not gehorchend als eigenem bestreben. kurz zuvor war die idee, die meisterwerke der barnes collection zu zeigen, jäh gescheitert. christoph vitali >

Das Haus der Kunst zwischen 1993 und 2003 Ein Rückblick von Christoph Vitali Unser Beginn in München vor gerade 13 Jahren war ebenso schwierig wie schön. Nach acht stürmischen Jahren an der Schirn Kunsthalle in Frankfurt hatten Hubertus Gassner, Bernhart Schwenk und ich unsere Koffer gepackt und waren nach München gekommen, weil in Frankfurt die ohnehin knappen Mittel nicht mehr reichten, um unsere hochgesteckten Ziele zu verfolgen. Mit nach München gekommen waren unsere Sekretärinnen Gerlinde Gumpinger und die unvergessene Antje Longhi und die Organisationsleiterin Margarethe Heck, die ihre Arbeit bald an Tina Köhler übergab, und in München gesellten sich sehr rasch die noch blutjunge Stephanie Rosenthal und die Sekretärinnen Isabelle Kredler und später Margit Eberhard dazu. Wir begannen in München mit „Elan Vital“ eine Ausstellung, die das Werk von Kandisky, Klee, Arp, Miró und Calder zusammenfügte, eher der Not gehorchend als eigenem Bestreben. Kurz zuvor war die Idee, die Meisterwerke der Barnes Collection in München zu zeigen, jäh gescheitert. Der Plan sollte sich erst ein gutes Jahr später verwirklichen lassen und zum grössten Publikumserfolg des Hauses zumindest in seiner jüngeren Geschichte werden. Ich erinnere mich gut wie Hubertus Gassner, dessen Erfinder, uns auf einer unserer Erkundungsfahrten nach München im September 1993 das Projekt „Elan Vital“ vorstellte und erläuterte, das ein knappes dreiviertel Jahr später, nach harter Tagund Nachtarbeit schöne Wirklichkeit wurde und fast 550 Werke der Moderne vereinte. Es folgten die grossen Retrospektiven von Roy Lichtenstein und Frank Stella, Lovis Corinth, Kurt Schwitters und Max Ernst, Francis Bacon, Ellsworth Kelly und Sean Scully, und thematische Ausstellungen wie „Der Glanz der Farnese“, „Ernste Spiele, der Geist der Romantik in der Kunst“, „Pierrot“, „Dinge in der Kunst des 20. Jahrhunderts“, „Beauty Now“ und schliesslich „Die Nacht“, vom Beginn ihrer Abbildung in der Späten Gotik bis hin zur Klassischen Moderne, vielleicht die schönste Ausstellung überhaupt, die mir in meiner ganzen Laufbahn gelungen ist, und vieles und nicht weniger Bedeutendes mehr, in den zehn Münchner Jahren über 100 Ausstellungen. Bald gelang es uns auch, die etwas antiquiert und dünn gewordene Gesellschaft der Freunde des Hauses der Kunst wieder zu verstärken und von anfangs unter 200 Mitgliedern auf über 700 mehr als zu verdreifachen. Damit war auch die ausreichende Finanzierung unserer zahlreichen, hochfliegenden Projekte mit Jahresbeiträgen von gegen einer Million Mark trotz der andauernden Knappheit der öffentlichen Mittel gesichert. Mit festlichen Ausstellungseröffnungen, zu denen meine Mitarbeiter, meine Familie und ich meist selber kochten und zahlreichen Studienreisen nach Sizilien, Moskau und St. Petersburg, nach Norditalien, Georgien, nach Galizien und Kastilien in Spanien und ins Périgord in Frankreich haben wir unsere Freunde verwöhnt und bei guter Laune gehalten. Seither hat sich das Häuflein der Getreuen weitgehend zerstreut. Hubertus Gassner hat nach kurzen, ereignisreichen Jahren im Folkwang Museum in Essen soeben mit der Leitung der Hamburger Kunsthalle begonnen und Bernhart Schwenk ist als Konservator für Gegenwartskunst an die Pinakothek der Moderne gewechselt. Ich selber habe zusammen mit Ulf Küster, in den letzten Jahren nach München gekommen, in der Fondation Beyeler eine schöne neue Wirkungsstätte gefunden. Aus dem fernen Riehen bei Basel grüsse ich das vertraute Haus der Kunst und wünsche ihm und all seinen Freunden eine gute und erfolgreiche Zukunft.

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Christoph Vitali eröffnete seine letzte Ausstellung „Barocke Sammelleidenschaft“ im Haus der Kunst am 3.2.2003. Nach zehn Jahren und mehr als 100 Ausstellungen für das Münchner Publikum wechselte er im April 2003 als neuer Direktor zur Fondation Beyeler nach Riehen/Basel.

Barnes Collection, 1995, Paul Cezanne, Junger Mann mit Totenschädel

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Blick in die Ausstellung Le Corbusier, 1957

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Partners, 2003, Maurizio Cattelan, Him

Francis Bacon, 1996, Tanz-Performance von William Forsythe

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Das Haus der Kunst in Zahlen Das Haus der Kunst ist seit 1992 der gemeinnützigen Stiftung Haus der Kunst GmbH zur Nutzung überlassen. Gesellschafter der Betreibergesellschaft: Freistaat Bayern, Schörghuber Unternehmungsgruppe, Gesellschaft der Freunde der Stiftung Haus der Kunst München e.V., Ausstellungsleitung Haus der Kunst München e.V. Architektur Architekt: Paul Ludwig Troost Bauzeit: 1933 – 1937 Grundfläche: 8.000 qm Ausstellungsfläche: 5.400 qm Bauliche Veränderungen: 1971 Abbruch der Freitreppe an der Prinzregentenstraße wegen Straßentunnelbaus 1972 Temporärer Anbau an der Nordseite nach einem Entwurf von Paolo Nestler für die Ausstellung „Weltkulturen und moderne Kunst“ im Rahmen der Olympischen Spiele 1991 – 1994 Teilsanierung (eingeschränkter Ausstellungsbetrieb) Seit 2003: Kritischer Rückbau der Mittelhalle (ehemalige „Ehrenhalle“)

Leitung 1946 – 1982: Peter A. Ade 1982 – 1986: Hermann Kern 1986 – 1991: Magdalena Huber-Ruppel 1993 – 2003: Christoph Vitali Seit 2003: Chris Dercon Mitarbeiter Anzahl der Mitarbeiter (inkl. Teilzeitkräfte): ca. 80 Anzahl der Staatsbürgerschaften: 17 Finanzen Jährlicher Zuschuss vom Staat: 3,2 Millionen Euro Ausstellungsbetrieb Eröffnung: 18. Juli 1937 mit der „Grossen Deutschen Kunstausstellung“ Erste Ausstellungen nach 1945: „Bayerische Gemälde des 15. und 16. Jahrhunderts“ (Januar bis September 1946), „Das Jugendbuch“ (Juli 1946) Erste Ausstellung der klassischen Moderne: „Der Blaue Reiter. München und die Kunst des 20. Jahrhunderts“ (1949) Ausstellungen 1946 – 2005: 283 Besucher in 2005: 215.000

Elan Vital, 1994, Hans Arp, Mondfrucht (links), Frank Stella, 1996 (unten), Frank Lloyd Wright, 1952, Cover Ausstellungskatalog (rechts)

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40 Ausstellungs-Highlights 1. Kultur und Mode (1950) 2. Frank Lloyd Wright (1952) 3. Pablo Picasso (1955) 4. Vincent van Gogh (1956) 5. Le Corbusier (1957) 6. Internationale Filmausstellung (1958) 7. Henri Toulouse-Lautrec (1961) 8. Entartete Kunst – Bildersturm vor 25 Jahren (1962) 9. Französische Malerei des 19. Jahrhunderts (1964) 10. Carl Spitzweg und sein Freundeskreis (1967) 11. Internationale Plakate (1971) 12. Weltkulturen und moderne Kunst (1972) 13. Nofretete-Echnaton (1976) 14. Simplicissimus – Eine satirische Zeitschrift. München 1896-1944 (1977) 15. Tutanchamun (1980) 16. Amerikanische Malerei 1930-1980 (1981) 17. Shogun – Kunstschätze und Lebensstil eines japanischen Fürsten der Shogun-Zeit (1984) 18. 60 Meisterwerke aus der Sammlung Thyssen-Bornemisza – Wege zur Abstraktion (1988)

19. Elan Vital oder Das Auge des Eros (1994) 20. Der Glanz der Farnese – Kunst und Sammelleidenschaft (1995) 21. Die nie gesehenen Werke der Barnes Collection (1995) 22. Frank Stella – Retrospektive (1996) 23. Francis Bacon, 1909-1992 – Die Retrospektive (1996) 24. Christian Boltanski – Verloren in München (1997) 25. Ellsworth Kelly (1997) 26. Die Nacht (1998) 27. Odysseus: Mythos und Erinnerung (1999) 28. TALK.Show – Die Kunst der Kommunikation in den 90er Jahren (1999) 29. Neo Rauch (2001) 30. Sammlung Dr. Gustav Rau (2001) 31. Grotesk! 130 Jahre Kunst der Frechheit (2003) 32. Partners. Die Sammlung Ydessa Hendeles (2003) 33. Simply Droog: 10 + 1 Jahre Avantgarde-Design aus den Niederlanden (2004) 34. Aernaut Mik: Dispersionen (2004) 35. Das Bild Europas. AMO/Rem Koolhaas und Foreign Policy Center (2004/5) 36. Die Götter Griechenlands: Peter Cornelius, 1783-1867 (2004) 37. Schatzhäuser Deutschlands. Kunst in adligem Privatbesitz (2004) 38. Paul McCarthy – LaLa Land Parodie Paradies (2005) 39. Lee Friedlander. Fotografien 1956-2004 (2005) 40. Click Doubleclick. Das dokumentarische Moment (2006)

Die Nacht, 1998 (links oben), Pablo Picasso, 1955, Guernica (links unten), Simply Droog, 2004, Eibert Draisma, Speaking Coffee Maker 1990 (unten), Der Glanz der Farnese, 1995, Tizian, Bildnis des Ranuccio Farnese (rechts)

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6. schreiben sie tagebuch? mit chris dercon in indien auf den spuren von amrita sher-gil Amrita Sher-Gil, Sleep, 1933

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Zu früh oder zu spät? Auf den Spuren von Amrita Sher-Gil Die ersten Stunden aus dem Tagebuch, das Chris Dercon auf seiner Indienreise im Dezember 2005 führte, um die Ausstellung „Amrita Sher-Gil. Eine indische Künstlerfamilie im 20. Jahrhundert“ für das Haus der Kunst vorzubereiten (2.10.2006 – 7.1.2007). Like all great travellers I have seen more than I remember and I remember more than I have seen. New Delhi, Mittwoch, 14. Dezember 2005 8.00 Uhr – Flughafen Delhi Wie immer warten Heiko Sievers, Programmdirektor für Südasien am „Max Müller Bhavan“-Institut (so heißt die Zweigstelle des Goethe-Instituts in New Delhi) und unser treuer Fahrer Hemendar früh morgens am Flughafen Delhi auf mich. So früh im Dezember gibt es noch keinen dichten Nebel und deswegen auch nicht die ewigen Verspätungen und chaotischen Szenen, die sich bei den dann nötigen, tagelangen Sperrungen des Flughafens ergeben. Andererseits ist es auch etwas ganz Besonderes wegen Nebels am Flughafen Delhi festzusitzen. Ohne Probleme befreundet man sich auf der Stelle sowohl mit amerikanischen Computerexperten als auch mit tibetanischen Mönchen! Wenn man wirklich Glück hat, trifft man sogar einen echten indischen Piloten, der einem versichert, man werde auf jeden Fall wohlauf, wenn auch nicht pünktlich, am eigentlichen Ziel ankommen. Auf dem ruhigen Parkplatz für Diplomaten und Regierungsangestellte ziehe ich tief an meiner ersten Zigarette seit vielen Stunden. Trotz der Gegenwart von vielen – mehr als sonst nach dem letzten tödlichen Terroranschlag auf einen gut besuchten Markt in Delhi – schwer bewaffneten Soldaten ist die Atmosphäre genauso entspannt und freundlich wie sonst auch: „Ich wünsche Ihnen einen guten Tag, Sir.“ Da ich das Gefühl habe, ich müsste mich für mein Rauchen entschuldigen, frage ich den Wächter: „Möchten Sie auch eine Zigarette?“ „Nein, Boss, vielen Dank, Boss.“ Ich werde nie verstehen, wann sich in diesem Land der durchdachten Gesellschaft „Sir“ plötzlich in „Boss“ verwandelt. In Indien raucht außer Bettlern und Arbeitern kaum jemand in der Öffentlichkeit. Deswegen nehme ich an, dass es sich dabei um ein Benehmen der unteren Kasten handeln muss. Aber wer gehört dazu und wer nicht? Die Große Indische Revolution ist voll im Gange, Millionen bewegen sich in alle Richtungen, die Demokratie – so unvollkommen sie auch sein mag – liegt den Indern seit mehr als 55 Jahren im Blut, aber die Unzulänglichkeiten, die sich aus den Rivalitäten zwischen den Kasten ergeben, werden die jemals aufhören? Bei einem Kaffee besprechen Heiko Sievers und ich, was wir in den nächsten Tagen erreichen wollen. Nicht zuletzt müssen wir uns mit einem warnenden Hinweis auseinandersetzen, es säße ein „Mensch aus einer niederen Kaste“ im Kulturerbe-Komitee, der wahrscheinlich dem Projekt, „Amrita Sher-Gil. Eine indische Künstlerfamilie im 20. Jahrhundert“ sehr kritisch gegenüberstehen würden. Nikotin, Kaffee und die angeregte Unterhaltung halten mich wach. In München ist es jetzt erst vier Uhr morgens, in Delhi sind wir schon dreieinhalb Stunden weiter.

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9.00 Uhr – India Gate Durch dichten Morgenverkehr fahren wir zum Park Hotel an der Parliament Street mitten im Herzen New Delhis. Es tut gut, Delhis Verkehrsorchester wieder zu hören. Hier ist lautes Hupen nicht nur erlaubt, sondern sogar vorgeschrieben. Indien ist nicht nur visuell eine unglaubliche Erfahrung, auch die Ohren haben was zu verarbeiten! Trotzdem freue ich mich jetzt auf ein klimatisiertes und, etwas anderes kommt nicht in Frage, ein ruhiges Hotelzimmer. Feiner graubrauner Staub, der sich in der Luft mit den Abgasen tausender Autos und mit verbrannter Kohle vermischt, sorgt für einen dichten Smog, der das Atmen erschwert. Mir gefällt der spezielle süße Duft, der darin mitschwingt. Es ist der Beweis, dass ich weit weg bin von zu Hause. Entlang der Straße erscheinen immer mehr Uniformsilhouetten, in verschiedenen Ocker- und Grüntönen. Sie bewegen sich langsam, so als warteten sie darauf, dass etwas passiert. In der Gegend um das India Gate hat New Delhi etwas von einem Militärstützpunkt – wenn sie sich nicht gerade mit Nuklearwaffenverträgen oder Terrorwarnungen beschäftigt ist, scheint die indische Armee die meiste Zeit damit zu verbringen, sich auf Paraden vorzubereiten. Entlang der Straße wärmen sich Militärs alleine oder in kleinen Gruppen an improvisierten Öfen. Denn um diese Jahreszeit gibt es für die Bewohner Delhis nichts Wichtigeres, als sich warm zu halten. Ich für meinen Teil freue mich besonders darauf, den Lärm bald hinter mir lassen zu können. Genau vor dem Hotel befindet sich eine Bushaltestelle für die täglichen Horden von Verwaltungsangestellten. Ein kreischendes Lautsprechersystem ruft pausenlos die Taxifahrer des Hotels zur Arbeit. Einige davon arbeiten und leben in ihrer Taxikabine, 24 Stunden, 7 Tage die Woche, so dass sie, während sie auf ihren nächsten Kunden warten, leicht einschlafen. Genau wie alle anderen miete auch ich mir ein Taxi für den ganzen Tag, was inklusive Fahrt acht Euro kostet. Als allererstes gilt es jetzt aber, mir ein ruhiges Zimmer am anderen Ende des Hotels zu sichern.

Vivan Sundaram, Re-take of Amrita, 2001 (oben) Amrita Sher-Gil, Brides Toilet, 1937

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9.30 Uhr – Ein indisches Hotel Dem Park Hotel, das der Apeejay-Group gehört, steht Mrs. Priya Paul vor, eine der sogenannten Architektinnen der aktuell zu beobachtenden unternehmerischen und infrastrukturellen Revolution in der Stadt. Vor langer Zeit war Delhi hauptsächlich als Beamtenhochburg bekannt, als Stadt, in der vor sich hin verrottende Beamte vor riesigen Stapeln von Unterlagen saßen, die sich in keine Richtung bewegen wollten. Investition war ein Fremdwort. Jetzt aber hat sich die Große Indische Revolution sogar bis nach Delhi vorgewagt. Priya Paul ist für die Modernisierung vieler großer Hotels in Neu Delhi, Kalkutta, Chennai und Visakhapatnam verantwortlich gewesen. Der Apeejay-Group gehört auch die einzige New-Media-Galerie im Land. In diesem zeitgenössischen indischen Boutiquehotel, das vom Londoner Conran-Team renoviert wurde, ist das Beste an zeitgenössischer indischer Kunst zu sehen, kuratiert von Peter Nagy, dem mit „Nature Morte“ Delhis wichtigste Galerie für moderne Kunst gehört. Ich kenne Peter noch von ganz früher, als seine Galerie Anfang der 80er eine der Hauptattraktionen an der New Yorker Lower East Side war und gefährliche Spielutensilien von Cady Noland und Konsorten zeigte. In den 90ern hat es ihn dann nach Delhi verschlagen, und einige hielten ihn für durchgedreht ... Jetzt allerdings fliegen Künstler wie der spanische Star Santiago Sierra hierher, um ihn zu treffen. Er ist also erfolgreich, hält sich aber ganz an den Geschäftscode während er elegant bestickte Schals aus Kaschmir und traditionelle, vorne offene Sandalen trägt. Bei der letzten Biennale in Venedig mietete Nagy eine alte Schule auf der Giudecca, um seine erfolgreichen, immer noch „experimentell“ genannten indischen Künstler zu präsentieren: Nalini Malani, Anita Dube und Subodh Gupta. Sämtliche Experten konnten es kaum erwarten, die Ausstellung zu sehen. 9.45 Uhr – Mehr Architektur Es ist ein kalter und klarer Morgen in Delhi und noch zu kalt, um im Hotelpool, der passender Weise „Aqua“ heißt, zu schwimmen. Von dort aus hat man einen großartigen Ausblick auf die brutale Betonarchitektur der modernen Regierungsgebäude in der Nähe. Es gibt wirklich eine erstaunliche Linie zwischen den Skateboardhängen der benachbarten Bürohochhäuser und dem traditionellen, minimalistischen Stil der extra-extragroßen astrologischen Instrumente aus dem 18. Jahrhundert auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Dabei wären wir auch schon bei den architektonischen Herausforderungen hier. Wo sonst findet man Blackpool-Gotik im Wettstreit mit Punjabi-Barock genau über der Baustelle für eine neue U-Bahn Strecke? Delhi, mit all seinen schlecht geplanten Wohn- und Geschäftskolonien, seinen abgeschmackten und größenwahnsinnigen Regierungsgebäuden, seinen fußballfeldgroßen Rasen, seiner verfallenen architektonischen Infrastruktur, die manchmal nur bis zu den Asian Games 1982 zurückreicht, und besonders mit seiner grotesken Kolonialarchitektur, die sich am Stil des römischen

Reiches orientiert und Anfang des 20. Jahrhunderts vom britischen Architekten Lutyen – der hindu und islamische Architektur als „zu schwach“ bezeichnete – errichtet wurde, Delhi also hat nun endlich ein neues Designkomitee unter dem Vorsitz des international renommierten Architekten Charles Correa. Mein Freund Charles sitzt unter anderem im Vorsitz der mächtigen Aga-Kahn-Kulturstiftung, die mutige neue Architektur in islamischen Ländern unterstützt. Wenn er es nicht schafft, Delhis chaotischer Stadtlandschaft irgendeine Art von Normalität zu verleihen, dann schafft es keiner. Laut Delhi Times ist es seine Hauptaufgabe, darauf zu achten, dass die Stadt ästhetisch bleibt. Wir werden ihn vielleicht auch dazu brauchen, unserem Kulturprojekt voran zu helfen. 10.00 Uhr – India Today Da man um diese Jahreszeit ungewöhnlich gute Rückblicke auf das vergangene Jahr sowie visionäre Spekulationen auf das nächste bekommt, sammle ich so viele Zeitungen und Illustrierte wie möglich. India Today hat gerade seine Geburtstagsausgabe publiziert „30 Momentous Years 1975-2005“. Unter der Überschrift „Zeitlose Ikonen“ veröffentlicht India Today eine Liste Indiens einflussreichster Persönlichkeiten, unter ihnen Wirtschaftswissenschaftler und Philosoph Amartya Sen und der Großunternehmer und „Big-byte-Guru“ N. R. Narayana Murthy. Sen ist anscheinend einer der Hauptsprecher während eines öffentlichen Events diese Woche, zu dem Ted Turners UnitedNation-Stiftung einlädt. Turner, der mit sich politische Visionäre wie Graca Machel, Menschenrechtsaktivist aus Mosambik, und Finanzgenie Mohammed Yunus von Grameen, der kleinen Kreditbank in Bangladesch, bringt, ist in der Stadt. Bill und Melinda Gates sind gerade abgereist. Viele Zeitungen zitieren Gates mit den Worten: „India, China und die USA: Wenn wir diese drei vereinen können, was hätten wir für ein Wahnsinnsland!“ Und in der Tat ist Europa weder für Gates noch die Inder besonders interessant – sie können einfach mit so etwas Vagem wie der Europäischen Union nichts anfangen. „Europa interessiert Indien nicht allzu sehr“, schrieb Die Welt anlässlich der Konferenz „Kulturen der Globalisierung: Herausforderungen und Visionen aus europäisch-indischer Perspektive“, die vor kurzem von der Bertelsmann-Stiftung und der Radjiv-Gandhi-Stiftung gegeben wurde. Ich frage mich, was Zubin Mehta wohl auf Deutsch sagen wird, wenn er am 28. Dezember hier mit dem Bayerischen Staatsorchester auftritt. Dieses Konzert wird als gesellschaftliches Ereignis ersten Ranges gehandelt; es ist das erste Mal, dass der Maestro aus Mumbai sein Orchester in seinem Geburtsland vorführt. Hemendar, unser Fahrer, freut sich schon darauf, so viele Deutsche rumfahren zu dürfen, denn dann kann er sein Deutsch verbessern, sagt er. Bis jetzt spricht Hemendar allerdings nur Englisch.

Amrita Sher-Gil, Elephants, 1940

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10.15 Uhr – Eurozentrismus Im Gegensatz zu den meisten meiner Kunstkollegen ist es für mich unvorstellbar, gute Arbeit zu leisten, ohne solche und ähnliche Hintergrundgeschichten zu beachten. Ich muss sehen und hören und den gegebenen örtlichen Kontext verstehen. Die vielbeschworene Unabhängigkeit, die „splendid isolation“ des visuellen Ausdrucks wirkt wie eine Augenbinde. Die visuelle Kultur ist eine Form der andauernden Verhandlung mit offenem Ausgang, verschiedene Orte und Zeitpunkte reflektierend. Deswegen macht mir „cultural delay“ – ein Begriff, mit dem nichtwestliche bildende Kunst, wie zum Beispiel Amritas Bilder, oft bedacht werden – nichts aus. Amrita selber schrieb interessanter Weise: „Ich muss einfach mit der Tatsache leben, dass Europa Picasso und Matisse gehört. Indien gehört mir.“ Wenn er überhaupt existiert, dann sehe ich diese „Kulturverzögerung“ in erster Linie als eine Herausforderung für mich ganz persönlich, denn sie lässt mich meine Art, die Welt zu sehen, hinterfragen. Das erinnert mich an eine bekannte deutsche Kunsthändlerin, die sich vor kurzem über die neuen, schnell wachsenden Kunstgrenzen beschwerte. Sie nannte sie ein „Schaufenster für die Dritte Welt“, freute sich aber gleichzeitig ganz wahnsinnig über die neuen Palma-de-Mallorca-Pläne der alten und etwas müden Art Cologne. Die Frage ist also, was bedeutet „cultural delay“ eigentlich anderes, als dass wir unsere alten Privilegien weitergeben? 10.30 Uhr – Schals aus Kaschmir Die Vorhersage für die Nächte ist ungewöhnlich kalt, so um die 6 Grad. Während des Tages steigt die Temperatur leicht auf 23 Grad, nur um bei Sonnenuntergang ganz plötzlich wieder zu fallen. Mein übergroßer brauner Kaschmirschal von der Sorte wie er hier von vielen Männern getragen wird, erfüllt mehrere Aufgaben: Wenn man ihn um den Körper schlingt, ist er eine gemütliche Decke, nachts eine Kapuze, auf der Straße eine Staubmaske, um den Hals einfach schön warm, und wenn man ihn über die Schultern breitet, dann gilt er sogar als eine Art förmlicher Kleidung. Für jemanden, der wie ich von erschwinglichen ethnischen Textilien fasziniert ist, ist New Delhi ein Paradies. Ich freue mich schon darauf, wieder bei „Indian Tribes“ vorbeizuschauen, einem Stoffladen, der von einer Wohltätigkeitsorganisation geführt wird, die sich um die Belange der längst vergessenen indischen Stämme kümmert. Die Stämme Indiens, die über das ganze Land verteilt sind, machen einen ziemlich großen Prozentsatz der Bevölkerung aus, aber ihr Lebensstandard ist fast noch schlechter als der der niedrigsten Kasten. Was ich also mache ist „Shop for a Tribal Cause“, wie das Schild über dem Laden proklamiert, was bedeutet, dass ich unter anderem mit unglaublichen Dupattas aus Rohseide nach Hause komme, die mit komplizierten geometrischen Mustern verziert sind. Dieser Laden verkauft qualitativ viel Besseres als die Läden der Zentral- oder örtlichen Regierungen. Allerdings muss man sagen, dass auch das Himachal Emporium wegen seiner wunderbaren wollenen Produkte in natürlichen Brauntönen einen Besuch wert ist. Wenn es um sogenannte „zeitgenössische“ Textilien, wie Wohntextilien geht, ziehe ich das „Fab

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India“ vor. Außerdem muss ich auf dieser Reise unbedingt ein Paar der neuen Peshwari-Sandalen erstehen, welche von indischen und arabischen Männern gerne mit weißen Socken zu förmlicher Kleidung getragen werden. Zur Nachahmung empfohlen! Zu diesem Thema muss ich auf jeden Fall den bemerkenswerten Ausstellungskatalog Masters of the cloth. Indian textiles traded to distant shores empfehlen, ein atemberaubender Überblick über textile Handelsware vom 13. bis 20. Jahrhundert aus der TapiSammlung, einer der wichtigsten privaten Textilsammlungen, die von den sympathischen Seidenmühlen-Unternehmern Praful und Shilpa Shah aus Baruda zusammengetragen wurde. Zufälligerweise besitzen die beiden auch eine der größten Sammlungen von Bhupen-Khakhar-Bildern und verwalten den Khakhar-Nachlass. Keinerlei Bollywood-Glitzer, sondern sehr ernste Mäzene, von denen Indien dringend mehr bräuchte, um das unglaublich reiche Kulturerbe am Leben zu erhalten und dem Desinteresse der Regierung entgegenzuwirken. Unser Kollege Professor Rajeev Lochan ist verantwortlich für die National Gallery of Modern Art in New Delhi, die 1954 auf der Grundlage einer Teilschenkung der Sher-Gil-Familie von Amritas Bildern gegründet wurde, und die jetzt Zweigstellen in Mumbai und bald auch in Bangalore unterhält. Neben seiner Sekretärin zählt der unternehmungslustige Professor Lochan noch ganze drei Personen zu seiner Besetzung von Kuratoren und Konservatoren. Nicht mehr und nicht weniger. Der neue Flügel der National Gallery of Modern Art soll nächstes Jahr eröffnet werden und wird das bestehende Gebäude um 6000 Quadratmeter erweitern. Lochan, selbst als Künstler mit experimenteller Fotografie beschäftigt, ist optimistisch und ehrgeizig: Er plant große Ausstellungen, unter anderem von Anish Kapoor und Andreas Gursky.

Vivan Sundaram, Re-take of Amrita, 2001, Portrait (links) Amrita Sher-Gil, Hill Scene, 1938

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10.45 Uhr – Amrita, der Markenname Tina Köhler, unsere erfahrene Ausstellungskoordinatorin im Haus der Kunst, die für das German Festival in Indien die Ausstellung zeitgenössischer Kunst organisiert hat, erwartet uns im Frühstücksraum. Sie kennt Indien in- und auswendig und ist deswegen nicht erstaunt, dass sowohl Heiko Sievers als auch ich uns fragen, ob wir es überhaupt schaffen werden, die indischen Bürokraten davon zu überzeugen, die Prozesse, die es dem Kulturerbekomitee erlauben, Amrita Sher-Gils Bilder außer Lande zu bringen zu lassen, etwas zu beschleunigen. Denn das ist unsere große Aufgabe für diese Woche. Falls das nicht klappt, wird es im Haus der Kunst diesen Herbst keine Retrospektive dieser wichtigen indisch-ungarischen Künstlerin und frühen Feministin geben – manche nennen sie die Frida Kahlo Indiens. Außerdem muss diese Ausstellung mit der Frankfurter Buchmesse zusammenfallen, die Indien als Schwerpunkt gewählt hat. Eine Ausstellung von Werken der Tagore- Dynastie, die in Paris für vor zwei Monaten geplant war, musste aus genau solchen Gründen abrupt abgesagt werden. In der Tat gibt es zur Zeit eine gesteigerte Nachfrage von Museen und Auktionshäusern nach indischen Markennamen wie M.F. Hussain, Tyeb Mehta und Bhupen Khakhar. Exilinder in den USA, Kanada und Großbritannien und, nicht zu vergessen, die neuen Reichen in Mumbai, Bangalore und anderen Städten, sammeln ihre Arbeiten, oft en masse. Sie sehen Kunst vor allem nur als eine weitere vom Markt diktierte Investition. Ein Tyeb Mehta beispielsweise verkauft sich für 300.000 US-Dollar und manchmal sogar für rekordverdächtige 1,5 Millionen US-Dollar. Heiko Sievers zeigt mir einen vor kurzem in einer Finanzzeitung erschienenen Artikel des Sammlers Nitin Bhayana. Er schreibt: „Als Sammler fasziniert es mich besonders, dass Shergill das indische Äquivalent zu Vermeer ist. Sie ist selten, und deswegen kann niemand so recht einen Preis für ihre Arbeiten nennen. Interessanterweise hat sie überhaupt nur 175 Bilder produziert, von denen fast alle in der National Gallery of Modern Art hängen. Die restlichen sind bei ihrer Familie in Indien und Ungarn. Tyeb Mehta, dessen Arbeiten für mehr als 1 Million US-Dollar gehandelt werden, hatte 50 seiner Arbeiten in Auktionen, wobei von Shergill nur zwei versteigert worden sind. Tauchte ein wichtiges Shergill-Bild in einer Auktion auf, so wäre es ohne Zweifel das teuerste, jemals in Indien verkaufte Bild.“ Und tatsächlich, im März diesen Jahres wurde Amritas Bild „The Village Scene“ für einen Rekordpreis von umgerechnet 1,3 Millionen Euro von Osian’s in Neu Delhi versteigert. 1992 ging es noch für umgerechnet 21.000 Euro bei Sotheby’s India unter den Hammer.

11.00 Uhr – Amrita, die Legende Mit jedem neu verstreichenden Jahrzehnt wächst die Legende von Amrita Sher-Gil (so die korrekte anglizierte Schreibweise ihres Namens) weiter. Amrita war eine Vertreterin der künstlerischen Moderne in Indien – eine emblematische Figur, die man in der Tat mit Frida Kahlo vergleichen kann. Wie bei Kahlo kamen auch Sher-Gils Eltern aus zwei verschiedenen Ländern, und wie bei Kahlo war auch ihr Vater ein bedeutender Fotograf. Mit ihrem erfundenen mexikanischen/indischen Stil machten sich Kahlo und Sher-Gil zu lebenden Kunstwerken, die danach schrieen, als Fetische herzuhalten. Beide setzten sich mit nationalistischen Überlegungen zur eingeborenen Frau als Genie auseinander. Während Sher-Gil die Bildertraditionen Indiens zusammenführte – von buddhistischen Höhlenmalereien zu Moghul-Miniaturen – betrat sie gleichzeitig neuen Boden, da sie das alltägliche Indien mit der Sprache der Moderne interpretierte. Ihr oftmals verwegener Lebensstil und ihre unerschrockenen Ausflüge in eine männerdominierte Welt haben Sher-Gil in Indien zu einer feministischen Ikone werden lassen. Amrita wuchs in einer künstlerischen und kosmopolitischen Familie auf, die schon im frühen 20. Jahrhundert zwischen Europa und Indien hin- und herreiste. Ihr Vater war ein indischer Aristokrat und Lebemann aus Punjab, ihre Mutter stammte aus Ungarns kultivierter Großbürgerschicht. Zwischen 1929 und 1934 lebte Amrita in Paris, wo sie an der Ecole des Beaux Arts studierte. In der indischen Kunstszene tauchte Amrita Mitte der 30er Jahre auf, als eine Handvoll Künstler grundlegende Entscheidungen hinsichtlich der Unabhängigkeit moderner indischer Kultur trafen. Zu diesem Zeitpunkt war die Entdeckung Indiens Teil einer größeren nationalistischen Bewegung geworden, die in der Unabhängigkeit des Landes gipfelte. Was Sher-Gil betrifft, so wurde ihr Hauptthema der weiblichen Sexualität als integraler

Chris Dercon und Prof. Rajeev Lochan, Direktor der National Gallery of Modern Art in Neu Delhi, bei der Auswahl der Werke von Amrita Sher-Gil.

Teil ihrer Reise auf dem Weg zur Selbsterkenntnis ein Teil des allgemeinen emanzipatorischen Kontexts der indischen Frau, auf den z.B. auch Gandhi großen Wert legte – das Thema Sexualität allerdings ausgenommen. Amrita starb unter tragischen Umständen in Lahore, sie war noch nicht mal 29 Jahre alt. Ihr ganzes Leben lang hat ihr talentierter Vater, Umrao Singh Sher-Gil ihre starke Persönlichkeit auf Hunderten von Fotografien festgehalten. Mit seinen Bildern gilt er als einer der Pioniere moderner indischer Fotografie. Diese Bilder sind von Vivan Sundaram, Umraos Enkel und Amritas Neffe und einer der wichtigsten zeitgenössischen Künstler Indiens, der gleichzeitig politisch aktiv ist, zu einer Serie von faszinierenden Fotomontagen umgearbeitet worden. 11.15 Uhr – Amrita, die Ausstellung Unsere Ausstellung wird eine große Auswahl von Amritas Bildern zeigen sowie Arbeiten ihrer beiden Familienmitglieder, wodurch sie zu einer Rückschau auf drei Generationen einer Künstlerfamilie im Indien des 20. Jahrhunderts wird. Amrita, die in Indien eine Legende ist, ist in Europa kaum bekannt. Deswegen haben wir ihre Nichte, Vivans Schwester Navina Sundaram – einst eine bekannte Journalistin des deutschen Fernsehens, die heute in Hamburg lebt – eingeladen, die außergewöhnliche Geschichte ihrer Tante und ganzen Familie der Öffentlichkeit in Form eines Videos vorzustellen. Unsere Ausstellung wird eine Weltpremiere sein. Viele Kollegen und Institutionen weltweit zeigen bereits Interesse an ihr. Es gibt Gerüchte, nach denen die National Gallery of Modern Art in Delhi ihren brandneuen Flügel mit unserer Ausstellung zu eröffnen plant und auch, dass die Tate Modern eine Auswahl von Amritas Werken zeigen will. (Kurz vor Redaktionsschluss bestätigte die Tate Modern, dass sie Amrita Sher-Gil Anfang 2007 zeigen wird.) Im Zusammenhang mit unserer Ausstellung werden drei Bücher erscheinen, und so werden wir auf der Frankfurter Buchmesse ideal vertreten sein. Außer der Biografie von Yashodhara Dalmia, die von Penguin Books verlegt wird, erscheint bei Tulika Press, Delhi The Letters and Writings by Amrita, herausgegeben von Vivan Sundaram. Ein illustrierter Band mit einem Essay von Deepak Ananth, der letzten Sommer in Paris „Indian Summer“ kuratierte, erscheint ausstellungsbegleitend bei Schirmer und Mosel in München. Lothar Schirmer, der Nicholas Murrays bemerkenswerte Fotos von Frida Kahlo herausgegeben hat, war sofort begeistert, nachdem er Amritas exotisches und beeindruckendes Charisma, wie es in den wunderbaren Fotografien ihres Vaters widergespiegelt wird, gesehen hatte. 11.30 Uhr – Frankfurter Buchmesse Die Abordnung der Frankfurter Buchmesse ist samt des Geschäftsführers Jürgen Boos schon in Delhi. Die Buchmesse ist für uns wichtig, um die Amrita Ausstellung und die begleitenden Bücher zu bewerben. Wir werden auch versuchen, die Welt der indischen Literatur und die vielen Geschichten hinter Amrita SherGil und ihrer Familie mit einzufangen. Einer der klügsten Denker unserer Zeit ist der indische Ingenieur, Wirtschaftswissenschaftler, Psychoanalytiker und Autor

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Sudhir Kakar. Da Sudhir in Deuschland ausgebildet wurde, spricht er fließend Deutsch. Er lebt mit seiner Frau, der Religionswissenschaftlerin Katharina Poggendorf, in einem wunderschönen alten portugiesischen Haus in Goa, nicht weit vom Indischen Ozean. Er hat nicht nur an Ivy League Universitäten unterrichtet, er coacht auch viele von Europas Topmanagern an der European Business School und an der INSEAD in Fontainebleau. Anscheinend hat er auch einige von Münchens großen Geschäftsmännern schon unterrichtet. Hier ist Sudhir Kakar allerdings am bekanntesten durch seine Bücher, die im C. H. Beck Verlag in München erscheinen, wie Kamasutra oder die Kunst des Begehrens oder unlängst Die Frau, die Gandhi liebte. Letzteres beruht auf der wahren Geschichte einer feinen Britin, der jungen Madeleine Slade, die so von Gandhis Lehren fasziniert war, dass sie nach Indien reiste, um Gandhis Aschram beizutreten. Madeleine verliebt sich in den Meister, aber ihr westliches Konzept romantischer Liebe ist weit entfernt von Gandhis Suche nach der spirituellen Überwindung der Lasten, die uns Erdbewohner niederdrücken. Es dauerte nicht lange, bis Kakars Buch von einigen sturen, traditionalistisch gesinnten Indern verrissen wurde: Exemplare wurden öffentlich verbrannt, und sein Name erschien auf Esel gemalt, die in einer Prozession die Straßen entlanggeführt wurden. Dafür hat Kakar nichts als ein Lächeln übrig: „In Indien passiert so was eben“, sagt er, „aber Bilder sind viel gefährlicher als Worte.“ In der Tat wurden vor noch gar nicht so langer Zeit Ausstellungen des verstorbenen, hoch verehrten und offen homosexuell lebenden Malers Bhupen Khakhar von religiösen Fanatikern angegriffen, und einige seiner Kunstwerke zerstört. Das ist auch der Grund warum die vor kurzem angekündigte indische Ausgabe des Playboy ganz ohne nacktes Fleisch auskommen muss, zur Schadenfreude der internationalen Presse. Deswegen müssen Schirmer und ich es uns zweimal überlegen, welches Bild wir für den Umschlag des Amrita Buchs auswählen, damit es in Indien überhaupt verkauft werden darf. Währenddessen machen indische Buchhändler ein großes Geschäft mit Neuausgaben grafischer Kamasutra-Übungen, und Stadtmagazine wie Delhis hervorragendes First City veröffentlichen Kolumnen in denen Stadtbewohner über „richtig richtig“ schlechten Sex schreiben dürfen. Viele indische Intellektuelle stoßen deshalb dreimal auf die indische Demokratie an – und auf die Scheinheiligkeit. Sudhir Kakar wäre ideal dafür geeignet, Amritas Individualität und Einzigartigkeit einer deutschen Öffentlichkeit vorzustellen. Von der Frankfurter Buchmesse wurde er beauftragt, ein Buch mit dem Titel Die Inder. Porträt einer Gesellschaft zu schreiben. Was uns betrifft, geht es jetzt zunächst einmal darum, Amritas Bilder rechtzeitig aus Delhi nach München bringen. Ich bin schon gespannt, welche „bescheidene, aber praktische Lösung“ (ein Lieblingsausdruck der indischen Bürokraten) uns angeboten wird.

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11.50 Uhr – Noch eine Biennale? Große Überraschung im Frühstücksraum des Park Hotels. Der belgisch-mexikanische Künstler Francis Alys und der mexikanische Kurator Cuauhtemoc Medina, einer der Berater der Tate Modern für nicht eurozentrische Kunst, wohnen auch in unserem Hotel. Alys bereitet mit Medina ein Projekt in Indien vor, wozu sie von der Kulturabteilung der mexikanischen Botschaft eingeladen worden sind. Wir versprechen ihnen, dass wir ihren Abend „Until the End of the World: Biennial Interventions and Beyond“ besuchen werden. Eine Gruppe von Künstlern und Gelehrten um Vivan Sundaram und seine Frau, die führende Kunsthistorikerin Geeta Kapur, sind dabei, eine alternative Biennale in Neu Delhi vorzubereiten, für die sie, mit Hilfe von freundlichen Botschaften und ausländischen Kulturinstitutionen, internationale Erfahrungen und Unterstützung sammeln wollen. Vor allem sind sie an einer Art politisch aktiver Kunst interessiert. Für diese Organisatoren und für Kuratoren wie Medina ist die Biennale eine Art neuer Kunstraum: „Anstatt das, was passiert, zu zeigen, bietet die Biennale ein Panorama an. In vieler Hinsicht ist die Biennale eine Transaktion, nicht zuletzt um die Radikalisierung örtlicher Kultur sichtbar zu machen. Die Biennale kann die örtliche Umgebung sehr effizient verändern.“ 12.00 Uhr – Vivan Sundaram ist ein Aktivist Vivan Sundaram ist ein wunderbares Beispiel für „The Argumentative Indian“, wie Amartya Sen seine Landsleute gerne nennt und dazu auch ein gleichnamiges Buch veröffentlicht hat. Vivan Sundaram, der Sohn eines früheren Vorsitzenden des Wahlausschusses der indischen Regierung, verbrachte seine Jugend als Künstler in London. Seine radikalen politischen Freunde, die in Indien geblieben waren, überzeugten ihn, mit der Kunst weiterzumachen und nicht in die Politik oder die politisierte Kunst abzuschweifen. Vielleicht hatten sie Erfolg, vielleicht nicht: Bei einer Ausstellungseröffnung seiner neuen Werke, die er in Zusammenarbeit mit städtischen Abfallrecyclern erarbeitet hatte, sah man Jim Dine mit Prakash Karat, dem Generalsekretär der Kommunistischen (marxistischen) Partei Indiens, Seite an Seite. Ob man Sundaram jetzt einen Konzeptkünstler oder einen Bewahrer des Gewissens nennt ist egal, man kann ihn auf jeden Fall nicht ignorieren. Sundaram ist davon überzeugt, dass, genau wie die Demokratie, auch die zeitgenössische Kunst nicht nur etwas ist, das aus dem Westen kommt. Zur Zeit herrscht aber eine große kulturelle Provinzialität, sagt auch Amartya Sen: „Nehmen Sie zum Beispiel das, was im Irak passiert. Zu viel öffentliche Abstimmungen, aber nicht genug öffentliche ausgewogene Diskussion.“ Deswegen organisieren Sundaram und Kapur so gerne verschiedene Diskussionsforen. Sie hoffen, die zeitgenössische indische Kunstszene auf diese Weise internationaler werden zu lassen, als Alternative zu den Ambitionen der meisten jungen indischen Künstler, die sich nur nach dem Markt richten. Vielleicht haben sie eine Chance, denn „man muss indische Studenten dazu zwingen, das Maul zu halten.“

12.15 Uhr – Künstleraufruf Auf Einladung des Goethe-Instituts ist der deutsche Künstler, Plauderer und Aktivist par excellence Andreas Siekmann hier gewesen und hat anscheinend auch Roger Buergel von der Documenta überzeugt, in Indien Nachforschungen anzustellen. Buergels Ankunft in ein paar Tagen wird hier schon entgegengefiebert. Das gleiche gilt für Nick Serota, Generaldirektor der Tate, und seine Frau, die Kuratorin Teresa Gleadowe. Beide sind seit langem mit Sundaram und Kapur befreundet. Unter den Künstlern der Stadt herrscht also große Aufregung; alle jungen Künstler wollen die VIPs sehen, so auch die populäre Raqs Media Collective und andere im Ausland bereits gefragte indische Künstler wie Sheela Gowda und Nasreen Mohmmadi. Viele werden aufgerufen. Sollte die indische Gegenwartskunst wirklich „the next big thing“ sein, nach China? Oder sollte man sich an Bill Gates Rat halten: „Alle sagen, China gegen Indien. Aber wie wäre es eigentlich mit Indien plus China?“ Und was wird nach China und Indien kommen, der Golf von Arabien? BMW wird bald ungefähr 300 Millionen Euro in Indien investieren und eine riesige Fabrik in Chennai eröffnen. Vergangenen Sommer empfing die National Gallery of Modern Art eine Delegation von BMW, die eine Kooperation anbot. Mehr markenorientierte Kunst-Unterhaltung? In der Tat ist die Globalisierung der Kunstwelt genauso unaufhaltbar wie alles andere. Es waren ja nicht zuletzt wir, die dieses Ungetüm, die Leitkultur der zeitgenössischen Kunst, ins Leben gerufen haben. Es ist wichtig, sich dessen bewusst zu sein und genau zu sehen und zu hören, was all diese neuen Künstler und das Publikum zu sagen haben. Ein schönes indisches Sprichwort lautet: „Nur schlechte Geister gehen nicht in die Knie.“ 12.39 Uhr – Schlaf Mittag ist gerade vorbei, ich bin seit Stunden wach. Jetzt muss ich mich hinlegen. Plötzlich bewegt sich mein Körper wie von selbst auf eine Seite des Bettes, so als sei ich auf dem Rücksitz eines unruhigen Autos. Der Stapel Zeitungen und Illustrierte fällt in ein Zickzackmuster auf den Boden. Bis ich spüre, wo sich meine Füße befinden, scheint eine Ewigkeit zu vergehen. Auf einmal habe ich Kopfweh. Es muss der Jetlag sein, der mir zu schaffen macht, oder es ist einfach zu viel Neues, was ich auf einmal verdauen muss. Ist es eigentlich zu früh oder zu spät? Bevor ich mich weiter mit dem Zustand meines abgeschlagenen Körpers auseinandersetzen kann, falle ich in tiefen Schlaf. Als ich am späten Nachmittag aufwache, verkünden die Fernsehnachrichten, es habe im Norden ein Erdbeben gegeben, 5.2 auf der Richter-Skala, um 12:39 Uhr. Weit weg, aber stark genug, um auch hier, im Herzen Delhis gespürt zu werden. Nichts Ungewöhnliches. Man muss sich nur daran gewöhnen. Chris Dercon, Februar 2006

Amrita Sher-Gil, Sikh Musician, 1940

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7. shut your eyes and see! stephanie rosenthal über das schwarz in der malerei

Das Foto „Die Jähzornigen” zeigt die Künstler der New York School, u.a. Willem de Kooning, Adolph Gottlieb, Ad Reinhardt, Jackson Pollock, Clyfford Still, Robert Motherwell, Jimmy Ernst, Barnett Newman und Mark Rothko. Es erschien gemeinsam mit einem Boykottaufruf gegen die Ausstellung „American Painting Today – 1950“ im Life Magazin 1951.

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Den Wunsch, einen White Cube zu kuratieren, hatte ich nie. kunst.freunde sprach mit Stephanie Rosenthal über ihre Zeit am Haus der Kunst und die Lust an der Gegenwart. Seit 2000 sind Sie Kuratorin mit dem Schwerpunkt Gegenwartskunst, worum geht es Ihnen, wie würden Sie Ihr kuratorisches Anliegen beschreiben? Mein Kuratorium für Gegenwartskunst ist auf das 20. Jahrhundert ausgelegt, weniger ausschließlich auf die zeitgenössische Kunst, weil ich finde, dass man die Wurzeln nicht vergessen sollte. Nach diesem Prinzip der kunsthistorischen Anbindung einerseits und aktuellen, interdisziplinären Bezügen und Entdeckungen andererseits arbeiten auch meine Kollegen Thomas Weski und Léon Krempel. Deshalb in diesem Jahr „Black Paintings“ und „Allan Kaprow“? Beide Ausstellungen haben ihre Wurzeln in den 50er und 60er Jahren des letzten Jahrhunderts, und das ist eigentlich auch meine Basis, das ist, was mich interessiert. Konzeptkunst und Performancekunst markieren den Umbruchpunkt, an dem es nicht mehr nur um das Objekt geht, also um das Kunstwerk an sich, sondern auch um Handlungen oder Konzepte. Ein Bereich, den man als Kuratorin natürlich gut behandeln kann, ohne Rücksicht auf den Kunstmarkt etwa, denn es handelt sich um Positionen und Arbeiten, die man eben nicht wirklich verkaufen kann. „Ein Museum soll kein Kunstfriedhof sein.“ Könnte man dieses Statement von Allan Kaprow und seinen Begriff des Happenings auch programmatisch für das Haus der Kunst verstehen? Das, was das Programm zusammenhält, ist eine gemeinsame Geisteshaltung, die ein Schlaglicht auf spannende Grenzbereiche setzen möchte, ohne dabei in ein Spezialistentum abzudriften. Kaprows Begriff des Happenings auf das Innenleben des Haus der Kunst mit seinen vollen und mitunter tatsächlich ereignishaften Eröffnungsnächten zu übertragen, ist dennoch etwas gewagt. Happening im Sinne Kaprows meint eher, dass man mit einem Q-Tip die Wohnung eines Freundes putzt.

Mark Rothko, No. 6 (?), 1964

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Dr. Stephanie Rosenthal ist seit 1996 am Haus der Kunst tätig. Als Assistenz- und CoKuratorin und seit Herbst 2000 als Kuratorin mit dem Schwerpunkt Gegenwartskunst zeigte sie zahlreiche Ausstellungen, u.a. Haim Steinbach – North East South West (1999), Hand-Arbeit (2000), Abigail O‘Brien – Die Sieben Sakramente (2004), Nic Hess – Guten Morgen Deutschland (2004).

Was soll sich in Ihren Ausstellungen für den Betrachter vermitteln? An erster Stelle steht für mich nicht, das theoretische Konzept meiner Ausstellungen zu erläutern, sondern eine sinnliche Inszenierung, ein Erlebnis zu ermöglichen. Darin stimme ich z.B. mit Christoph Vitali, unter dessen Leitung meine Zeit am Haus der Kunst ja begann, sehr überein. Das Ästhetische ist für mich das Entscheidende an Kunst. Deshalb vielleicht sind auch die meisten meiner Ausstellungen Installationsausstellungen, in denen die künstlerische Auseinandersetzung mit Raum eine wichtige Rolle spielt. Inwieweit ist die Architektur des Haus der Kunst auch entscheidend für das, was hier gezeigt werden kann? Durch die bombastische, vielleicht auch unmenschliche Architektur wird man sozusagen auf einer anderen Ebene mit der Geschichte des Hauses konfrontiert. Dies spielt natürlich bei der Auswahl meiner Ausstellungen und dem Umgang mit den Räumen eine große Rolle. Manche Themen und Künstler scheiden da aus, oder können nur in der Nordgalerie gezeigt werden. Den Wunsch, einen White Cube zu kuratieren, hatte ich deswegen aber noch nie. Nach welchen Kriterien suchen Sie Künstler oder Themen für Ihre Ausstellungen aus? Zunächst geht es für mich darum festzustellen, was Künstler aktuell beschäftigt, und von wo aus wichtige Impulse zu Fragen unserer Zeit ausgehen. Nehmen wir Allan Kaprow, der in den 50er und 60er Jahren für den ganzen Bereich der Performance weitaus wichtiger war als etwa Jasper Johns, Claes Oldenburg, Robert Rauschenberg oder Jim Dine, daher in keinem Kunstgeschichtsbuch fehlt, vielleicht aber wegen seiner rigorosen Ablehnung und Sperrigkeit für den Kunstmarkt heute nur wenigen ein Begriff ist. Performance Kunst ist zugleich aber wieder wichtig geworden, auch als eine Gegenbewegung zur Malerei und dem ganzen kommerziellen Hype. Sie zeigt die starke Opposition vieler Künstler, für die Kunst nicht nur das Objekt meint, das ein Sammler oder eine Institution kauft, sondern eine Geisteshaltung, die auch im Alltag eine wichtige Bedeutung hat. Für sie ist Kaprow eine große Inspiration, und deswegen finde ich, dass man ihn auf einer größeren Ebene präsentieren und wieder ans Licht bringen muss. Die Black Paintings stellen für mich wiederum eine Gegenbewegung zu einer Tendenz in der zeitgenössischen Kunst dar, die ich als schnelllebig, vielfarbig wahrnehme. Hier steht eine ästhetische Funktion gegen Tiefgang und eine ruhigere Betrachterhaltung. Die schwarzen Bilder interessieren mich genau deshalb, weil man sich Ruhe nehmen muss, um sich auf die Bilder einzulassen. In dieser Ausstellung wird man 25 bis 30 Arbeiten wie Kapellen von schwarzen Bildern erleben und feststellen, dass Schwarz nicht

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Frank Stella, Tuxedo Junction, 1960

gleich Schwarz ist, dass Farbauftrag nicht gleich Farbauftrag ist, dass es um die Nacht, das Sublime, die Erhabenheit geht – all diese Aspekte, die in den 60er Jahren wichtig waren. Was ist Malerei? Malerei ist eben auch damals schon Aktion gewesen. Diese Ausstellung stellt auch eine Gegenbewegung zum letzten Sommer dar, als Paul McCarthy das ganze Haus mit Reizen überflutet hat, also gerade den anderen Weg gewählt hat. Inwieweit müssen Sie auf den Ruf nach publikumsstarken Ausstellungen reagieren? Zum einen müssen wir darauf eingehen, weil wir eine staatliche Institution sind, die eben kein Programm für ein kleines Publikum verantworten kann wie das beispielsweise einem Kunstverein eher zusteht. Aber auch mit seinem heutigen, durchaus progressiven Programm liegt das Haus der Kunst in Sachen Besucherzahlen weit über dem, was für Kunsthallen in anderen Städten der Fall ist. Wie hat sich das Haus seit Ihren Anfängen 1996 verändert? Man muss sich fragen, welches Profil für das Haus heute angemessen ist. Vitalis Ära war eine andere. Er hatte etwas weniger Mittel, aber es war auch eine andere Zeit, die Versicherungen, die Transportwerte waren noch nicht so hoch, die Leute haben viel lieber geliehen. Für den Wandel im Programm spielte auch der Generationsunterschied eine Rolle, und Vitali und Dercon sind sehr verschiedene Persönlichkeiten mit unterschiedlichen beruflichen Werdegängen und Visionen. Und, es gab damals in München weder die Pinakothek der Moderne noch die Hypo-Kunsthalle in ihrer jetzigen Form. Auch vor diesem Hintergrund musste sich das Profil des Hauses verändern. Heute sind wir eine Kunsthalle mit einem sehr progressiven Programm, das großes Interesse hat, neue Tendenzen aufzudecken und mit Künstlern, im Team, in einem globalen Netzwerk, aktuelle Positionen zu erarbeiten. Ist München der richtige Ort dafür? Gerade München ist ein Ort, wo man viel bewegen kann und die Möglichkeit hat, den Leuten auch wirklich Fragen zu stellen und sie lassen sich davon anregen. Ich habe auch den Eindruck, hier gehen die Leute viel mehr ins Museum als beispielsweise in Berlin, wo man es auch als Kunstproduzent viel schwerer hat, sich zu positionieren. Wie wichtig ist die Stimme der Gesellschaft der Freunde für Ihre Arbeit? Die Gesellschaft der Freunde ist eine traditionsreiche Instanz am Haus, und die Previews sind als erste exklusive Veröffentlichung einer neuen Ausstellung natürlich ein wichtiges internes Datum. Dass man sich als Kurator sehr über eine positive Resonanz freut, hat natürlich auch mit der Außenwirkung des Freundeskreises zu tun, der unsere Arbeit maßgeblich befördert und damit ein wichtiger Teil im Zusammenspiel aller Kräfte ist, die den Erfolg des Hauses ausmachen.

Shut your eyes and see „Black was a sacred colour for the Abstract Expressionists, it was their lapis lazuli; they made a mystique of it, partly perhaps because of its austerity, partly perhaps because there was something splendidly macho in being able to produce a good strong black.“ (David Sylvester) Von Stephanie Rosenthal Im Herbst 2006 eröffnet das Haus der Kunst die Ausstellung „Black Paintings“, in der ausschließlich in der Farbe Schwarz gemalte Bilder zu sehen sein werden. Die Gemälde sind in ihrer Radikalität einzigartig und kennzeichnen einen Umbruch, einen Neubeginn – nicht nur für die jeweiligen Künstler, sondern für die Entwicklung der Kunst ganz allgemein. Künstler der New York School – Robert Rauschenberg, Ad Reinhardt, Mark Rothko, Frank Stella und Barnett Newman – beschäftigten sich Ende der 1940er Jahre intensiv mit der Farbe Schwarz. Es entstand eine erstaunliche Anzahl von nahezu monochromen schwarzen Bildserien, die in der Ausstellung erstmals vereint gezeigt werden. Robert Rauschenberg (geb. 1925) begann 1951 als Erster eine Serie mit schwarzen Bildern, die ihn 1954 zu seinen „Combine Paintings“ führten. Fünf Jahre später, 1956, entschied Ad Reinhardt (1913-1967), nur noch schwarze Bilder zu malen. 1960 legte er sich zudem auf ein Format und eine Binnenstruktur fest, sodass bis zu seinem Tod im Jahre 1967 ausschließlich schwarze, quadratische Gemälde mit einer Kreuzstruktur entstanden. Frank Stella (geb. 1936) schuf zwischen 1958 und 1960 vierundzwanzig schwarze Gemälde. Er tat dies, ähnlich wie Rauschenberg, zu Beginn seiner Karriere. Ab 1957 wurde die Farbpalette Mark Rothkos (1903-1970) dunkler, bis er schließlich 1964 zu seinen „Black-form Paintings“ gelangte. Seine dunklen Bilder entstanden meist raumbezogen und fanden ihren Höhepunkt in den Werken der Kapelle in Houston, an denen Rothko 1964 zu arbeiten begann. Barnett Newman malte keine abgeschlossene Serie, sondern schuf innerhalb relativ kurzer Zeit (1949-1954) sechs schwarze Bilder. Sein bereits 1949 realisiertes Gemälde „Abraham“ kann dabei als Auftakt zu den später entstandenen schwarzen Serien der New York School gelten. Der Kunstkritiker Harold Rosenberg beschrieb den Einfluss Barnett Newmans bereits 1963 mit den Worten: „Newman schloss die Tür, Rothko zog die Rollläden herunter, und Reinhardt löschte das Licht.“ Die New Yorker Galerie Betty Parsons stellte „Abraham“ 1950 aus. Neben Barnett Newman vertrat Parsons auch Ad Reinhardt und Mark Rothko und richtete 1951 die erste Einzelausstellung für Robert Rauschenberg aus. Man muss also davon ausgehen, dass alle drei Künstler das frühe schwarze Gemälde Newmans kannten. Dies umso mehr, als alle schwarzen Serien in den Jahren zwischen 1951 und 1965 entstanden sind.

Das Gespräch führte Nan Mellinger

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Der Ausstellung liegen Fragen zugrunde wie: Welche Bedeutung nehmen die schwarzen Bilder im gesamten Schaffen der Künstler ein? Welche Wechselwirkung gibt es zwischen der Persönlichkeit eines Künstlers, den geistigen Inhalten, mit denen er sich beschäftigte, und der künstlerischen Phase, in der er sich befand, als er die schwarzen Bilder malte? Die Ausstellung möchte behaupten, dass die schwarzen Gemälde für Durchbrüche und Übergänge im Oeuvre der Künstler stehen. Sie möchte sogar zu dem Schluss (ver-)führen, dass die schwarzen Bilder als eine Art Selbstporträt gelesen werden können. Dass die schwarzen Serien der vier Künstler einen Übergang bzw. einen Wandel kennzeichnen, ermöglichen oder thematisieren ist vielleicht auch die interessanteste Parallele zwischen ihnen. Die schwarzen Bilder hatten für Stella und Rauschenberg eine klärende Funktion, für Rothko waren sie ein Höhepunkt, den er regelrecht angestrebt hatte, und für Reinhardt wurden sie zu Bausteinen seines Manifests der großen Verweigerung. Newman definiert sich in seinem Gemälde „Abraham“ als Künstler. Es dient ihm in diesem für ihn entscheidenden Jahr der Selbstbefragung, Bewusstwerdung und Wesensschau. In seinen schwarzen Gemälden definiert Newman seinen Schöpfungsraum, das schwarze Chaos, aus dem neue Formen, frei von jeder Tradition, entstehen können. Die Farbe Schwarz scheint stets mit einem Prozess der Transformation verbunden zu sein. Sie lässt sich in Anlehnung an die Alchemie als Mittel zur Grenzüberschreitung deuten – als Grenzüberschreitung vom Sichtbaren zum Unsichtbaren, vom Materiellen zum Spirituellen, vom Bewussten zum Unbewussten. Dass ausgerechnet schwarze Bilder Ausdruck eines Wandels sind, könnte damit erklärt werden, dass die Bilder nächtliche Eigenschaften besitzen. Die Nacht steht in der Mystik, Mythologie, der Kunst und Literatur für den Wandel. Das „Sehen“ in der Dunkelheit bewirkt eine veränderte Wahrnehmung. Je länger man sich in der Dunkelheit aufhält, je mehr man sich auf sie einlässt, desto klarer konturiert sich die Umwelt. Der Prozess des Sehens rückt in den Mittelpunkt – ein bewusstes, vielleicht präziseres Sehen tritt ein. Oder aber man geht über den Wunsch

hinaus, die Umwelt erkennen zu wollen. Dann nämlich ermöglicht die Nacht die besondere Qualität des Nicht(s)-Sehens, das die Entstehungsbedingungen für ein Nicht-Wissen schafft. Und dieses Nicht-Wissen als eine Form von Reinigung wiederum ist Voraussetzung für einen Wandel. „Shut your eyes and see“, schreibt James Joyce im ersten Kapitel seines Ulysses. Mit offenen Augen auf ein schwarzes Bild zu blicken, ist mit dem Akt des nächtlichen Sehens vergleichbar. Das Nicht(s)Sehen-Können ermöglicht eine gesteigerte Farbwahrnehmung und eine konzentrierte Schau der Dinge und des Selbst. Dies gilt zunächst für den Betrachter des Bildes, doch kann es auf einer existenziellen Ebene auch für den Künstler gelten. Die gemeinsame Präsentation der schwarzen Gemälde im Haus der Kunst bietet erstmals Gelegenheit, die Unterschiede und Gemeinsamkeiten dieser im New York der Nachkriegszeit entstandenen Werke zu entdecken. Die Ausstellung offenbart die Radikalität der künstlerischen Positionen, die Hand in Hand gingen mit einer ebensolchen Aufbruchstimmung in den anderen künstlerischen Gattungen wie Theater, Musik oder Literatur. Dieses neue Selbstverständnis war Auslöser für eine grundsätzliche Neupositionierung der Kunst, die prägend für das gesamte 20. Jahrhundert sein sollte. Im Licht der Entwicklungsgeschichte des Abstrakten Expressionismus entsteht der Eindruck, dass die amerikanischen Künstler gerade in den Jahren zwischen 1950 und 1965 auch von der Idee getragen wurden, sich von dem prägenden Einfluss der europäischen Tradition loszusagen und mit New York – neben Paris – ein neues Zentrum der Avantgarde zu begründen. Vor diesem Hintergrund wirken die Black Paintings gleichsam wie der Ausdruck eines kollektiven Strebens nach künstlerischer Selbstbehauptung. Die Ausstellung „Black Paintings“ ist zu sehen vom 15. September 2006 bis 14. Januar 2007, und wird gefördert durch die Dr. Karl Wamsler Foundation.

Allan Kaprow, Days Off: A Calendar of Happenings, 1968 (linke Seite) Abigail O‘Brien, Kitchen Pieces VIII, 1998 (links) Nic Hess, o.T., Installation (2004)

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8. fotografieren erlaubt! thomas weski über die popularisierung von fotografie im haus der kunst

Wolfgang Tillmanns, Einzelgänger II, 2003

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Luc Delahaye, 132nd Ordinary Meeting of the Conference, 2004

Thomas Weski ist seit 2003 Hauptkurator am Haus der Kunst. Zwischen 1992 und 2000 realisierte er als Kurator für Fotografie und Medien am Sprengel Museum Hannover über sechzig Ausstellungen. Im gleichen Zeitraum hat er das Siemens Arts Program beim Aufbau seiner fotografischen Sammlung beraten, die 2003 der Pinakothek der Moderne übergeben wurde. Zu seinen anschliessenden Projekten als Hauptkurator am Museum Ludwig gehörte u.a. Cruel and Tender – The Real in the Twentieth-Century Photography die erste Fotografieausstellung der Tate Modern, London.

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Ein Panorama der Fotografie von ihren Anfängen bis heute Von Thomas Weski Mit Chris Dercon als Direktor des Haus der Kunst wurde die Fotografie ein Schwerpunkt im Ausstellungsprogramm. Seit 2003 haben wir viele Ausstellungen durchgeführt, die verschiedene Aspekte und Gebrauchsweisen der Fotografie gezeigt haben: vom dramaturgisch aufgeladenen, inhaltlich verwobenen Einsatz weniger Inkunabeln historischer und zeitgenössischer Fotografie bei der Präsentation „Partners“ der kanadischen Sammlerin Ydessa Hendeles, über die Bedeutung des Archivs der riesigen Sammlung von Peter und Ruth Herzog bis hin zum Gebrauch medial bereits vermittelter Bilder in Form einer Wandcollage zur Geschichte Europas bei Rem Koolhaas. Ausstellungen wie die Retrospektive von Bernd und Hilla Becher, die Weltpremiere der neuesten Serie von Robert Adams oder die MoMA-Werkschau zu Lee Friedlander, die als einzige Station in Deutschland im Haus der Kunst zu sehen war, stehen für umfassende monographische Präsentationen. Gemeinsam mit der thematischen Ausstellung „click doubleclick – das dokumentarische Moment“ ergibt sich ein Panorama der Fotografie von ihren Anfängen bis heute.

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Obwohl die zeitgenössischen deutschen Fotografen den Kunstmarkt dominieren, gibt es in Deutschland paradoxerweise nur wenige Institutionen, die sich kontinuierlich mit Fotografie beschäftigen. Bei den Kunstmuseen betreibt nur eine Handvoll eigene Abteilungen und fotografische Sammlungen, deren Bestände in einen Dialog mit den traditionellen Künsten treten könnten. In München ist die Fotografie in verschiedenen Institutionen vertreten, die jeweils unterschiedliche Aufträge erfüllen. Zum einen gibt es das Fotomuseum im Münchner Stadtmuseum. Das Fotomuseum verfügt über viele private Schenkungen, Archive und Nachlässe. Hier wird das Medium Fotografie in allen Facetten erforscht und präsentiert. Sehr spät hat die Staatsgalerie der Moderne die Fotografie als gleichberechtigtes künstlerisches Ausdrucksmittel akzeptiert. Die Übergabe der Siemens Fotosammlung als Dauerleihgabe hat hier seit 2003 eine gewisse Dynamik entfaltet. Die punktuellen Aktivitäten des Lenbachhauses und der HypoKunsthalle ergänzen das Angebot. Das Haus der Kunst schließlich hat die Räume, um umfangreiche Ausstellungen zu zeigen. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Fotografie in ihren verschiedenen medialen Ausformungen derzeit in kaum einer anderen deutschen Stadt so präsent ist. Robert Adams, Clatsop County, Oregon, o. J.

Thomas Weski, Ydessa Hendeles, Chris Dercon, Pressekonferenz Partners, 6.11.2003 Ydessa Hendeles, The Teddy Bear Project, Blick in die Ausstellung Partners (ganz unten)

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Dieses Münchner Phänomen besteht aber in der Form erst seit kurzem. Natürlich gab es hier immer schon fotografische Ausstellungen, zum Teil legendäre wie die frühe Übersichtsausstellung von Diane Arbus im Lenbachhaus, die Präsentation amerikanischer Landschaftsfotografie in der Neuen Sammlung oder die Ausstellung von Dora Maar im Haus der Kunst. Kontinuität wurde aber letztlich nur im Fotomuseum geboten, das als spezialisierte Institution das Medium umfassend untersucht. Und obwohl Verlage wie Schirmer/Mosel oder Prestel und Galerien wie Rüdiger Schöttle in der Fotografie Pionierarbeit geleistet haben, gab es in München erstaunlicherweise kein breites Publikum für künstlerische Fotografie. Erst langsam baut sich – zumindest gilt das für das Haus der Kunst – ein Publikum auf, das die Bereitschaft mitbringt, sich auf Neues einzulassen und sich dieser mit Unsicherheit verbundenen Erfahrung auszusetzen. Es geht also bei unseren Ausstellungen nicht um die beliebte Affirmation des bereits Bekannten, sondern um eine Popularisierung des Unbekannten. Wenn die künstlerische Fotografie so betrieben wird, dass sie ihre medialen Grenzen anerkennt, konkurriert sie nicht mit anderen Künsten, sondern verfügt über die spezifische Qualität einer Wirklichkeitsbeschreibung, die ihre Faszination aus der Differenz zwischen der Sicht des Fotografen und der Wahrnehmung des Betrachters entwickelt. Fotografien dieser Art sind immer das Resultat einer künstlerischen Auseinandersetzung mit der Welt. Nimmt man die Begriffe der Literatur zur Hand, würde man von einem Tatsachenbericht sprechen, der mit fiktiven Momenten aufgeladen ist. Dieses Programm gerät in München notgedrungen in einen Konflikt mit der hier vorherrschenden, unausgesprochenen Sehnsucht nach Harmonie und Schönheit. Alles soll möglichst so bleiben, wie es ist. Kein Wunder also, dass unsere ersten Ausstellungen für viele Besucher einen Bruch mit ihren Gewohnheiten darstellten. Wir haben aus ihrer Kritik gelernt und vermitteln die ungewöhnlich präsentierten Ausstellungen – inzwischen ein Markenzeichen des Haus der Kunst (die Ausstellung von Robert Adams wurde gerade in London mit dem renommierten Deutsche Börse Photography Prize 2006 ausgezeichnet) – nun auf verschiedenen Ebenen: Führungen, sogenannte Living Labels, Expertenführungen, Spielführungen für Kinder, Audio Guides, Wandtexte, einfach produzierte Ausstellungsbroschüren, Vorträge und Künstlergespräche sowie die Lektüre der Katalogtexte. Im Foyer besteht die Möglichkeit Ausschnitte aus Fernsehsendungen zu sehen und die Kritiken der aktuellen Ausstellungen zu lesen. Die Buchhandlung Walther König bietet über den aktuellen Katalog hinaus weitere Literatur zu den Themen der Ausstellungen an. Durch dieses Bildungsangebot im Rahmen unserer Ausstellungen ist inzwischen die Kenntnis und Akzeptanz unseres Publikums gewachsen – und doch gilt für uns immer wieder die Herausforderung, einzelne Punkte dieses Bereichs neu zu erfinden, um so abwechslungsreich und überraschend zu bleiben.

Tina Barney, The Dirndls, 2004

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Das Haus der Kunst ist kein Museum, auch wenn es immer wieder fälschlicherweise so bezeichnet wird. Als Kunsthalle verfügt es über keine eigene Sammlung, die eine programmatische Ausrichtung der Ausstellungen bestimmen würde. Damit öffnet sich ein breites Spektrum an Möglichkeiten, dem wir mit einem konzeptionell strengen Programm begegnen. Immer wieder bekommen wir von externer Seite Vorschläge für Ausstellungen. Natürlich diskutieren wir diese Anregungen, aber wir stellen doch immer wieder fest, dass wir als Fachleute unsere Vorstellung eines lebendigen und innovativen Haus der Kunst mit unseren eigenen Ideen am stringentesten umsetzen können. Dazu gehört auch, dass wir möglichst wenige Präsentationen übernehmen. Vielmehr produzieren wir die Ausstellungen immer öfter in Kooperation mit internationalen Institutionen. Initiieren wir das Projekt, zeigen wir es in der Regel zuerst und exportieren es dann zu unseren Partnern. So wird zum Beispiel „click doubleclick“ im Anschluss an München im Palais des Beaux Arts in Brüssel gezeigt und wird dort die zentrale Ausstellung eines Sommers der Fotografie sein.

Andreas Gursky, Bahrain I, 2005

Im Februar 2007 werden wir eine große Ausstellung von Andreas Gursky präsentieren. Sie wird im Anschluss an für die westliche Welt ungewöhnliche Orte reisen: Mit Istanbul, Sharjah, New Delhi, Peking sind wir im Gespräch. Wir sind gespannt, wie die ungewöhnlichen Fotografien von Andreas Gursky, die die Effekte der Globalisierung zum Thema haben, in anderen Kulturkreisen, in den rasant wachsenden neuen Wirtschaftszonen der Welt aufgenommen werden. Im Sommer 2007, zwischen der Biennale von Venedig und Art Basel, kommt in erweiterter Form die Ausstellung von Gilbert & George von der Tate Modern aus London zu uns. 2008 folgt eine mit dem Whitney Museum, New York, gemeinsam erarbeitete Retrospektive des amerikanischen Fotografen William Eggleston, der als „Erfinder der Farbfotografie“ gilt und die jüngere Fotografengeneration stark mit seiner Bildauffassung beeinflusst hat. Die fotografische Szene um Jeff Wall wird das Thema einer anderen Präsentation sein, die mit der Vancouver Art Gallery entwickelt wird. Das Haus der Kunst arbeitet durch diese Produktionsweise, die auch auf die anderen Ausstellungsbereiche zutrifft, international, vernetzt, originell.

Thomas Struth, Audience 11, Florenz 2004

Lee Friedlander, Sandra Fisher and R. B. Kitaj. London, England, 1992

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9. neue sicht auf alte meister! léon krempel über seine brückenschläge zwischen alter und neuer kunst

Frans Post, Der Wasserfall von Paulo Afonso, 1647

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Projeto Morrinho 2006 Miniaturstadt gebaut von Jugendlichen einer Favela in Rio de Janeiro

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Blinddates der Kunstgeschichte Die Modernität der Alten Meister hängt davon ab, wie man sie zu sehen bekommt Von Léon Krempel Als „Spezialist“ für Brückenschläge zwischen der alten und neuen Kunst arbeite ich im Haus der Kunst, das als Nachfolger des Glaspalastes von seinen Anfängen im 19. Jahrhundert an in erster Linie lebenden Künstlern ein Podium bieten sollte. Allerdings hat es im Haus der Kunst unter Vitali immer auch Ausstellungen mit Werken Alter Meister gegeben, während unter dem ersten Nachkriegsdirektor Ade das Schwergewicht auf der Rehabilitierung der verfemten Moderne und kulturhistorischen Ausstellungen lag. Vergessen wir auch nicht die Ausstellung mit Werken der deutschen Romantiker, die mit dem Glaspalast dem Raub der Flammen zum Opfer fiel. Der Stellenwert der so genannten alten Kunst ist naturgemäß immer Schwankungen unterworfen. Das Bildungsbürgertum ist auch in München in den Hintergrund getreten. Dem typischen Museumsbesucher fehlen immer häufiger ikonographische Grundkenntnisse, die zum Beispiel den Mann am Kreuz als Christus zu identifizieren erlauben. Eine der Leistungen der Moderne ist ja darin zu erkennen, dass sie gewissermaßen die der alten Kunst zugrunde liegende Grammatik aufgedeckt hat. Erst durch Künstler wie Mondriaan hat man gelernt, die Komposition einer Landschaft von Ruisdael zu würdigen. Alte Kunst ist im Verlauf der letzen zweihundert Jahre immer weiter popularisiert und scheinbar leichter rezipierbar geworden, tatsächlich jedoch beschränkt sich ihre Akzeptanz auf einen zunehmend kleiner werdenden Kreis von Liebhabern, die Historiker verschiedener Disziplinen einmal ausgeklammert.

Léon Krempel ist seit 2003 Kurator am Haus der Kunst. Mit Die Götter Griechenlands. Die Kartons für die Fresken der Glyptothek in München und Schatzhäuser Deutschlands. Kunst in adligem Privatbesitz (2004) sowie Künstlerbrüder. Von den Dürers zu den Duchamps (2005) setzt er seinen interdisziplinären kuratorischen Ansatz fort, den er u. a. mit camera elinga. Pieter Janssens begegnet Jeff Wall 2002 am Städelschen Kunstinstitut Frankfurt erfolgreich gestartet hat.

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Es gibt viele Gemeinplätze, die den Blick in die überlebte Vergangenheit lohnend erscheinen lassen sollen, wie, dass sich von den Alten etwas lernen ließe. Für mich als Kurator zählt vor allem ein Motiv. Das Feld der historischen Kunst ist nicht abgewirtschaftet, sondern hält viel mehr Überraschungen bereit, als man glaubt. Alte Kunst ist bei genauem Hinsehen immer so modern gewesen, wie sich nur denken lässt. Sie wimmelt nur so von Künstlern, die entdeckt und in der Gegenwart abgeholt werden wollen. Zum Beispiel Pieter Janssens Elinga. Dieser wenig bekannte Zeitgenosse von Rembrandt und Vermeer stand im Zentrum einer Studioausstellung, die ich 2002 im Städel in Frankfurt konzipieren durfte. In der Gegenüberstellung traten die abstrakten Qualitäten des Alten Meisters hervor, während zugleich die Großbilddiapositive von Wall ihre malerischen Eigenschaften offenbarten. Aus solchen versuchsartig angelegten Dialogausstellungen oder „Blinddates der Kunstgeschichte“ lernt man die Gestaltungsabsichten der beteiligten Künstler besser kennen, als wenn man diese schulbuchmäßig im Kontext ihrer Epoche betrachtet. Als ich vor drei Jahren im Haus der Kunst einstieg, wandte ich mich sogleich der Realisation eines waghalsigen Projektes zu, das ein vergessenes Kapitel der Kunstgeschichte aufschlug und einen Namen in Erinnerung brachte, der im 19. Jahrhundert europaweite Geltung besaß: Peter Cornelius. Die von Cornelius in den Rang einer selbstständigen Kunstgattung erworbene Kartonzeichnung ist für das 19. Jahrhundert etwa so typisch gewesen wie die Performance für das 20. Jahrhundert. Kaum einer weiß noch davon. Die monumentalen Entwürfe für die nach dem Krieg zugrunde gegangenen Fresken der Glyptothek in München stießen bei einem Teil der Presse auf despektierliche Ablehnung. Dass ein toter Künstler mit der Zeichenkohle noch ein Publikum spalten kann, war für mich ein schöner Erfolg. Mit „Künstlerbrüdern“ habe ich versucht, die Kunstgeschichte einmal anders zu erzählen in einem großen Salto rückwärts von der Gegenwart bis herab in das 8. Jahrhundert, als es in Europa noch einen von Heiden bevölkerten Urwald gab. Seit dem von den Künstlern selbst und ihren Mäzenen betriebenen Geniekult der Renaissance sind wir gewohnt, immer nur auf die Leistungen der herausragenden Persönlichkeiten zu schielen – ein kindliches Verhalten, das schon in der Familie angelegt ist. Die Ausstellung untersuchte den Einfluss des Platzes in der Geschwisterreihe auf die Entwicklung kreativer Persönlichkeit. Sie wies wider Erwarten viel mehr Beispiele funktionierender Arbeitsteilung oder sogar Ateliergemeinschaft als solche unüberbrückbarer Distanz nach. Ach, was war alles in dieser Schau zu entdecken, die durch die Schwestern der Sofonisba Anguissola so glanzvoll gekrönt wurde!

Rosilene Ludovico, Frans Post, 2006 (oben) Frans Post, Mauritsstad und Recife, 1653

Gegenwärtig bereite ich eine Ausstellung über den Maler und Brasilien-Fahrer Frans Post vor, die am 1. Juni wenige Tage vor der Eröffnung der Fußballweltmeisterschaft eröffnet wird. Unter den holländischen Malern des 17. Jahrhunderts nimmt Post einen besonderen Platz ein, da er als der erste voll ausgebildete Maler einen Teil des amerikanischen Doppelkontinents in Gemälden und Zeichnungen dokumentiert hat. Zurückgekehrt nach Haarlem, begann er seine brasilianischen Landschaften in zunehmendem Maße zu komponieren. Der spannende Prozess vom Fotografen avant la lettre zum Romantiker avant la lettre wird in der Ausstellung anhand einer repräsentativen Auswahl von 25 seiner kostbarsten Gemälde mit Leihgaben aus Europa, Nordamerika und Brasilien belegt. Im Programm vom Haus der Kunst nimmt „Frans Post“ Fäden auf, die Thomas Weski mit seinen Fotoausstellungen und das Utopia Station Projekt gelegt haben. Es geht hier um Bilder aus der Frühzeit der Globalisierung, die nolens volens den damals schon weit fortgeschrittenen Raubbau an der Natur des tropischen Urwaldes vor Augen führen. Im Rahmen der Ausstellung zeigen wir auch brandneue Arbeiten von Rosilene Luduvico, die den Spuren von Frans Post in Recife – der Kapitale des Nordostens in Brasilien – gefolgt ist. Und wir gehen über die zeitgenössische Kunst noch hinaus. Jugendliche aus einer Favela in Rio de Janeiro bauen am Ende des Parcours eine Miniaturstadt aus originalen Ziegeln auf, eine brasilianische Kolonie in München. Die Ausstellung „Frans Post (1612 – 1680). Maler des Verlorenen Paradieses“ ist vom 2.6. bis 17.9.2006 zu sehen.

10. everything is connected to everything! chris dercon über netzwerke, neugier und seine lust am ungewöhnlichen

Chris Dercon in seinem Arbeitszimmer im Haus der Kunst

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Everything is connected to everything else Vor drei Jahren wechselte Chris Dercon von dem Boijmans van Beuningen Museum in Rotterdam in die Metropole an der Isar, um die Leitung des Haus der Kunst zu übernehmen. Für kunst.freunde spricht er über sein Programm, seine Vision local goes global, Erinnerung als Wegweiser in die Zukunft und paranoide Gesten in der Kulturproduktion Ihre Vision für das Haus der Kunst richtet sich auf ein interdisziplinäres Kunst- und Kulturprogramm, in dem auch wieder die Säulen Fotografie, Architektur und Design eine tragende Rolle spielen. Ist das die Fortsetzung der Tradition des Hauses mit anderen Mitteln? Ja, wir tun nichts anderes, als die Tradition fortzusetzen. Man denke an Frank Lloyd Wright, Le Corbusier, die in den 50er Jahren am Haus der Kunst gezeigt wurden. 1958 fand hier die erste und einzige Ausstellung kuratiert von Henri Langlois statt. Er war der Begründer der Cinémathèque in Paris in den 60er Jahren, Und es gab Paolo Nestler mit seinem unglaublichen Anbau im Rahmen der Ausstellung „Weltkulturen und moderne Kunst“ 1972 – Vorläufer einer ähnlichen Ausstellung, die man später, von William Rubin kuratiert, am MoMA und auch am Centre Pompidou, hier war Jean Hubert Martin der Kurator, sehen konnte. Oder nehmen wir die Zeit unter Christoph Vitali. Er hatte weniger Budget als wir heute zur Verfügung, kaum eine Infrastruktur, aber er wollte die besten Ausstellungen haben, die besten Leih-

gaben. Unbewusst bewusst hat er das Haus von außen wie eine Ruine belassen, aber innen in den Ausstellungen gab es Theater. Er war ein Theatermacher und hat das Haus in diesem Sinne bespielt. „Die Nacht“, das war wie ein Märchen! Oder die Ausstellungen, die er mit Jazz-Musik oder Ballett von Forsythe bespielt hat. Das hat sehr gut funktioniert und ist auch eine Option. Er war ein „Regisseur“, ich bin vielleicht eher ein „Architekt“. All das sind Bausteine der Geschichte des Haus der Kunst, und wir machen weiter, nur anders, experimenteller vielleicht ... und ausgerichtet auf die Zukunft dieser Stadt. Ich will das Mögliche wahrscheinlich machen, so dass das Wahrscheinliche möglich wird.

Der Wunsch, publikumsstarke Ausstellungen zu produzieren, und Ihre Vision für das Haus der Kunst als Labor und Experimentierfeld, ist das nicht ein unhaltbarer Spagat? Ja, aber ich liebe diese Schizophrenie. Ich habe ein kleines, oder auch großes Ideal, nämlich ganz unterschiedliche Menschen mit sehr unterschiedlichen Wünschen gleichzeitig im Haus zu haben. Das ist eine Art von Offenheit wie Ulrich Beck oder Richard Sennett sie beschreiben, beide sind für mich große Propheten dieser neuen Öffentlichkeit. Es geht nicht um „entweder – oder“, sondern um „und“. Es geht um Nischen. Ich bin kein Utopist, sondern ein Idealist, und ich möchte sperrige Inhalte demokratisieren, popularisieren.

Was ist die Basis dafür? Neugier, Netzwerkdenken und Lust an gemeinsamer und mitunter auch ungewöhnlicher Sache! Das ist die Voraussetzung für unser offenes, interdisziplinär und international denkendes Programm, das ich in einem großartigen Team umsetzen kann. Dass man manchmal das Verständnis dafür erst wecken muss, ist Teil unseres Auftrags. Und natürlich hat das auch mit einigen Gewohnheiten und Traditionen am Haus gebrochen. Aber wir müssen im 21. Jahrhundert ankommen, und das wird sowohl von den Ministerien wie von unseren engagierten Förderern und grosszügigen privaten Geldgebern verstanden und mitgetragen. Auch die wachsende Unterstützung durch nationale und internationale Stiftungen sowie privater Sponsoren zeigt, dass wir mit unserem Programm ankommen und einem inhaltlichen Bedürfnis nach zeitgenössischer Kulturarbeit gerecht werden.

Liegt darin auch eine Absage an Blockbuster-Ausstellungen, wie man sie unlängst mit Franz Marc am Lenbachhaus erleben konnte? Ja und nein. Das Haus der Kunst ist mit seinen verschiedenen Programmlinien und begrüßenswert vielschichtigen Besucherkreisen an sich ein Blockbuster. Doch ich möchte diesen Begriff eigentlich gar nicht verwenden. Entlehnt aus der Filmindustrie meint er eine Form strategischer Vermarktung, die mit einem Produkt alle anderen Programme in den Schatten zu stellen versucht. Im übrigen wurde der gleiche Begriff für die Katastrophen der großflächigen Städtebombardierungen im Zweiten Weltkrieg verwendet. Erwartet man das aber ernsthaft von Kultur? Fotografische Simulation des Allianz-Signets auf dem Dach des Haus der Kunst anlässlich der Ausstellung Herzog & de Meuron Nr. 250, 12.5. – 30.7.2006 (links) Wiedereröffnung der von Konstantin Grcic gestalteten Buchhandlung Walther König im Haus der Kunst, März 2006

Stärkung des Individuums versus Frontalprogramm für die Massen – das ist ein durchaus aufklärerisches Anliegen ... Mir geht es um die Idee einer Civic Society, wo kleine, sehr unterschiedliche Gruppen zusammen wieder eine große Öffentlichkeit bilden, wo man sich untereinander aussetzt, wo die Leute wieder zum Urteilen angeregt werden, zum Ich-Sagen, wenn es um gesellschaftliche Belange geht. – In meiner Pariser Zeit hatte ich viel mit Serge Daney zu tun gehabt, Kritiker bei Libération und wichtiger Hintermann der Cahiers du Cinéma. Von Serge lernte ich, dass Film wie auch moderne Kultur im allgemeinen, immer in dunkle Räume projiziert wird, in sehr viele kleine dunkle Räumen gleichzeitig. Diese Dunkelheit ist eine Basisfigur für Modernität wie das auch Walter Benjamin formuliert. Serge sagte zu mir in einem Interview: Du mit deinen Museen, mit Leuten, die wie Statisten in einem Hollywood-Film funktionieren, TV-Zapper, wo es vor allem um das Gefühl geht, dabei zu sein. Was hat man letztlich gesehen? Nichts. Es stimmt, und man sollte sich in diesem Zusammenhang auch klar werden, dass der starre Blick auf die Einschaltquoten aus dem Fernsehen ein kulturell bedeutungsloses Medium gemacht hat. Gibt es den idealen Besucher für Ihr Programm? Ich schätze alle Urteile, auch die gegen mich. Das einzige, was mich nicht interessiert, sind Diskussionen über Geschmack. Aber wenn es um Verstehen geht, wenn mich jemand fragt, warum man das nun so interessant finden soll, dann ist das für mich ein demokratisches Anliegen, und das finde ich toll. Abgesehen davon kämpfe ich um jeden Besucher. Auch deshalb finde ich die Neugestaltung der Buchhandlung Walther König so wichtig, die jetzt ein bisschen wie eine Bibliothek von Alexandria aussieht, in der Bücher wie Bilder ausgestellt werden, ein System von Facing. Alles kreist um Aktualität – nicht als Terror, sondern als eine Ansammlung von Komplexitäten zu verstehen, die sich auf Vergangenes, Gegenwärtiges und Zukünftiges beziehen. Ist es das, was Koolhaas das Paradox nennt von einem Museum als elitären Ort für die breiten Massen? Ja, genau davon träume ich. Gerade für das Haus der Kunst, diesen morbiden Koloss, ein schwieriges, internationalistisch neoklassizistisches Gebäude, gerade noch nicht wirklich NaziArchitektur, obwohl es eindeutig ein Nazi-Gebäude ist. Natürlich tragen Mauern Schuld, aber genau mit dieser Art von Paradoxen zu arbeiten, das finde ich so interessant. Wir sind Teil einer Google- oder Suchmaschinenkultur, und ich versuche, die Art und Weise unseres Programms wie eine Suchmaschine aufzubauen. Um zu irritieren? Irritationen können Teil davon sein. Mir geht es um einen Prozess des Suchens mit all seinen zufälligen und doch relevanten Funden. Nach diesem Prinzip ist auch in meine eigene Bibliothek angelegt.

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Nach welcher Ordnung funktioniert die persönliche Bibliothek von Chris Dercon? Ich habe ein idiosynkratisches System in meiner Bibliothek, das so funktioniert, dass man immer das findet, was man nicht sucht. Auf den ersten Blick kann sich niemand zurechtfinden. Es ist vielmehr ein geheimnisvolles System von Verweisen.Wenn ich zum Beispiel unterwegs bin, gibt es immer einen CampaignDay, einen Tag, an dem ich etwas suche ohne eine Vorstellung von dem Weg zum Ziel zu haben. Es gibt nur Orientierungspunkte, und zwischen denen liegen all die fantastischen Entdeckungen, die man nie finden würde, wenn man den kürzesten Weg eingeschlagen hätte oder mit GPS navigieren würde. GPS und Google sind tödlich, weil sie dich steuern, nicht anders herum. Mit Erinnerung oder freiem Assoziieren hat das aber nichts zu tun. Aber genau so funktioniert Kultur: Everything is connected to everything else. Und genau das möchte ich auch gerne hier am Haus der Kunst zeigen. Ein Beispiel bitte ... Wir haben gerade eine Perücke des afrikanischen Künstlers Meshac Gaba bekommen, produziert von Frauen aus Togo, und ich dachte, interessant, Togo ... Ex-Deutsche Kolonie, Globalisierung ... weil das Haar aus China kommt, Rassengesetze ... Haus der Kunst. Und ich bat Meshac, eine Perücke für das Haus der Kunst anfertigen zu lassen. Die steht jetzt im Eingangsbereich des Haus der Kunst. Vielleicht wird es mit diesen wunderschönen Frauen aus Togo auch ein gemeinsames Filmprojekt geben – Haus der Kunst goes Togo! Das sind ganz kleine Gesten, die bringen keine Besucherzahlen mit sich, und trotzdem finde ich sie so wichtig, weil sie neue Bilder liefern und zum Denken anregen. Das ist für mich auch ein wesentliches Motiv, das der kommenden Ausstellung über die indische Künstlerin Amrita Sher-Gil zugrunde liegt. Die Frage, ob Multikulturalismus hier zu weit getrieben wird, ist nicht zentral – viel spannender und wichtiger ist doch die, welche Form er annehmen soll, welche und wie viele verschiedene Identitäten das gegenwärtige Individuum prägen und ertragen kann. In diesem Sinn muss sich das Haus der Kunst auch offen zeigen für andere als eurozentrische Kulturpositionen. Amrita Sher-Gil ist eine davon, und Christoph Schlingensief wird zu diesem Thema auf seine Art im Rahmen des für Juni 2007 am Haus der Kunst geplanten Projekts reagieren. Es geht bei all dem nicht um Verluste, sondern um desire. Gute Kunst ist desire. Inwiefern bilden die Geschichte und der Blick zurück auf fast 70 Jahre Ausstellungswesen die Voraussetzung für Ihr Programm und Ihre Vision? Die Leute sollen wissen, dass 1937 in diesem Haus die erste „Große Deutsche Kunstausstellung“ stattfand, dass dieser kunstversessene Blut-und-Boden-Kurator Hitler von hier aus die Welt verstrahlte, in dem Zimmer saß, in dem ich heute mein Büro habe, dass er unheimlich viele Ankaufsmittel für Kunst ausgege-

ben hat, die bis heute verschwunden ist. Das ist eine Kategorie von Erinnerung, die wir lebendig halten möchten. In diesem Geist ist auch das Projekt „Kritischer Rückbau“ angelegt, es soll eine Auseinandersetzung mit der Funktion und Bedeutung von Architektur anregen, indem die historische Substanz der Original-Architektur freigelegt wird. Ein anderes Thema im Kontext dieser Erinnerungsarbeit ist die Reaktion der lokalen Kunstszene in den ersten Jahrzehnten nach 1945, wie sie sich zum Beispiel in den Faschingsfesten ausdrückt – eine Art von Exorzismus, riesige Installationen, von denen man heute schwärmt, aber vielleicht nicht weiß, dass hier Münchner Künstler Idiome einer Kunst benutzten, die es damals nicht mehr gab, Max Beckmann ist nur einer davon. Wir wollten auch daran erinnern, dass gerade hier, an diesem Ort Picassos „Guernica“ zu sehen war oder die Skulptur „Das Ende des XX. Jahrhunderts“ von Joseph Beuys. Diese Geschichte ist unsere Sammlung, eine Sammlung von Erinnerungen, Ausdruck von Reflexion und kultureller Reaktionsfähigkeit, und darin sehen wir unseren Auftrag für die Zukunft. Welchen Aufgaben muss sich das Haus in den nächsten Jahren stellen? Da gibt es einige. Wir wissen zum Beispiel noch nicht, was wir machen, wenn das Bayerische Staatsschauspiel aus dem Haus auszieht. Es fehlt das Geld, um noch größere Ausstellungen zu machen, oder auch, um diesen Teil zu renovieren. Vielleicht wird es Studios für Künstler allerart geben ... 20 riesige Ateliers, das wäre doch wunderbar! Eine von vielen Ideen. Und zum 70. Jahrestag des Haus der Kunst im kommenden Jahr fragen wir zehn lokale wie auch internationale Architekten nach ihrer Vision für das Haus in 2037. Spielt die Positionierung des Haus der Kunst mit Blick auf die anderen Museen in München eine Rolle? Natürlich, wir müssen uns positionieren. Und wir sind jetzt an einem Punkt, wo wir ein klar anders gestaltetes Programm haben als beispielsweise die Hypo-Kunsthalle oder das Lenbachhaus. Wir sind mittlerweile auch sehr anders als die Pinakotheken, weil unser Programm experimenteller ist und sein kann, weil uns die Räume dafür zur Verfügung stehen und weil wir eine GmbH sind. Das Haus der Kunst verfügt über keine Sammlung, das ist schade, denn darauf kann man aufbauen. Hier sind der Bestand die Menschen, die Ideen und die Erinnerung. Und ich denke, dass wir in dieser Hinsicht für München wichtig sind, wir sind eine Branding-Maschine mit einem großen Wissen, Einfluss und Netzwerk. Das ist viel wert für eine lebendige Kultur in dieser Stadt. Das Gespräch führte Nan Mellinger

Perücke Haus der Kunst von Meshac Gaba, 2006

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Impressum kunst.freunde erscheint anlässlich des 50-jährigen Jubiläums der Gesellschaft der Freunde der Stiftung Haus der Kunst München e.V. im Mai 2006. Chefredaktion: Gabriele Jahn, Karsten Schmitz Redaktion, Projektleitung: Nan Mellinger Gestaltung: Markus Rasp, AWR Agentur für Kommunikation Schlussredaktion: Brigitte Hantke Litho: MXM Digital Service Druck: Druckerei Vogl Herausgeber: Gesellschaft der Freunde der Stiftung Haus der Kunst München e.V. Prinzregentenstr. 1, 80538 München Tel +49 89 22 26 54 Fax +49 89 22 28 49 [email protected] Texte: Sabine Brantl, Chris Dercon, Jacques Herzog und Pierre de Meuron, Rem Koolhaas, Léon Krempel, Anne Leopold, Angelika Lerch, Holger Lösch, Nan Mellinger, Stephanie Rosenthal, Wolfgang Jean Stock, Christoph Vitali, Thomas Weski Übersetzung (S. 90-94): Benita Goodman Fotografie: Robert Brembeck (Umschlag, S. 3-15, 43, 45, 46, 49, 50, 59-61, 70, 123, 125, 127) www.brembeck.de Robert Adams (S. 112), Tina Barney (S. 113), Friedrich Bauer (S. 33), Jens Bode (S. 112), Fernando Chaves Fotógrafo, São Paulo (S. 121), Luc Delahaye (S. 110/111), Lee Friedlander (S. 115), Georg Gatsas (S. 32), Georg Goebel (S. 86), Robert Keziere (S. 83, 112), Tina Köhler (S. 96), Jörg Koopmann (S. 63), Andreas Lang (S. 24, 73, 107), Andreas Langenscheidt/Karsten Schmitz (S. 53, 55-58), Sigrid Neubert (S. 71), Wilfried Petzi (S. 28), Carsten Recksik (S. 29), Thomas Ruff (S. 34/35), Matthias Schrader (S. 78) Christoph Seeberger (S. 74/75), Margherita Spiluttini (S. 39, 40, 41), Thomas Struth 2006 (S. 115), Vivan Sundaram (S. 91, 94), Wolfgang Tillmans 2005 (S. 109), Marion Vogel (S. 19, 24, 25) Archiv Ausstellungsleitung Haus der Kunst (S. 23), Bayerische Staatsbibliothek München (S. 72), Collection National Gallery of Modern Art New Delhi (S. 89, 91, 93, 95, 99), Galerie Bugdahn & Kaimer, Düsseldorf (S. 107), Galerie Daniel Buchholz, Köln (S. 109), Gallery Janet Borden NY (S. 113), Galerie Hauser & Wirth Zürich/ München (S. 106), Galerie Michael Zink, München (S. 121), Galerie Sprüth Magers, Köln/München (S. 114) The Barnes Collection 2005 (S. 79), Abigail O’Brien (S. 107), dpa-Bildarchiv (S. 86), dpa-Fotoreport (S. 78), droog 2004 (S. 87), Fondazione Marguerite Arp, Clamart (S. 84), Meshac Gaba 2006 (S. 127), Haus der Kunst München (S.19, 24, 25, 28, 73, 80/81, 82, 84, 85, 86, 103, 107, 110, 112, 120), Ydessa Hendeles (S. 83, 112), Herzog & de Meuron (S. 124), Historisches Archiv Haus der Kunst München (S. 67, 68/69, 71, 73), Rem Koolhaas/AMO 2004 (S. 18, 20/21), Life-Magazine 1951 (S. 101), M/M Paris 2004 (S. 17), MASP, Museu de Arte de São Paulo Assis Chateaubriand, São Paulo, Brasil (S. 117), Nachlass Karl Valentin/Theaterwissenschaftliche Sammlung der Universität zu Köln (S. 22), National Gallery of Art/Samuel Kress Collection, Washington (S. 87), Projeto Morrinho 2006 (S. 118/119), Kate Rothko-Prizel, Christoph Rothko (S. 102), Schörghuber Unternehmensgruppe (S. 65), SV-Bilderdienst (S. 33), VG Bild-Kunst, Bonn 2006 (S. 102, 104, 114) kunst.freunde dankt allen Autoren, Fotografen und Mitwirkenden, sowie dem Team des Haus der Kunst für ihre Beiträge und Anregungen. Einige besonders engagierte Kuratoriumsmitglieder haben kunst.freunde großzügig finanziell unterstützt, Ihnen sei herzlich gedankt.

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Club Haus der Kunst Astrid Adler Dr. Jürgen Adolff Astrid Althammer Dr. Karl-Norbert Angerbauer Dr. Ingrid Armbruster Dr. Hans Arnold Anna-Sophie Auer Dietrich Bächler Heinrich Baier Christa Banhardt Christa Barbara Bauer Dr. Michael Bauer Dr. Udo Beckenbauer Dr. Karen Becker Ursula Benhold Markus Betz Dr. Horst Biller Odile Binding Minu Bockelbrink Antje Bode Dorothea Böhm Dr. Angelika Breitmoser-Bock Dr. Stefan Brenske Barbara Briehl-Rosenthal Jeannette Brinkmann-Ischinger Angelika Brockhausen Doris Broeckl Karl Anton Brucker Michaela Bucher-Kornbichler Silvia Bühling Angelika Büttner Tatjana Busch Dr. Uwe Clausen Max Condula Prof. Dr. Jörg-Engelbrecht Cramer Ernst Denk Dr. Monika Deuerlein Dr. Jutta Döhne Dr. Dietrich Doepner Dr. Ulrike Donhauser Jochen und Brigitte Drexler Claudia Ecker Dr. Anita Eichholz Martina Eisele Sylvia Emler Ruth Engelhard Walter Essler Dr. Cornelia Eulenstein Rupert Feckl Ronald Fiedler Götz Fieseler Susanne Fischer Heidi Frei Ernfried Fuchs Dr. Ulrike Camilla Gärtner Dr. Sebastian Garnreiter Dr. Aletta Georgii Dr. Katherina Giesemann Maria Göttsberger-Wolf Dr. Frank Goldmann Babette Graaf Prof. Dr. Henner Graeff Gertraud Grill Susanne Grote Christa B. Güntermann Marion Gwiazda Helene Häusler Dr. Annette Hahn Vera Hammon Dr. Johannes Hampe Thomas Hartmann Caroline Heintz Monika Hemmer Brigitte Henninger Catherine Hersberger Dr. Ute Herzog Thomas E. Hesse Anja Heyne Ulrike Hiederer Dr. Angelika Hoche Gisela Hochgesand Ursula Hofmann Brigitte Hohmann Hannah Hollinger Jörg Holzhäuer Dr. Monika Hornig-Sutter Joyce Hoven-Hofkirchner Dr. Gottfried Huber Reinald M. Huber Bruno Joas Dr. Isabella JohnenSchuler Andreas Jokisch Joachim Jung Sabine Kaden Ursula Kammer Inge Kemkes Charlotte Kerr-Dürrenmatt Heidi Kiessler Matthias Kindler Cornelia Klein Anneliese Kleißl-Keil Margrit Kluth Sabine Knust Irmgard Koch Alla König Claudia Königsmann Earnie Kollar Hans Kornfeld Ina Krebs-Ammer Prof. Dr. Reinhold Kreile Dr. Dr. Karl J. Krobot Manon Kubern Paula Kubitscheck-Vogel Tanja Küchler Dr. Thomas Kuhmann Hildegard Lackschéwitz Barbara Laminet Dr. Arnica-Verena Langenmaier Johanna Langmantl Liselotte Laufhütte Dr. Barbara Lechner Susanna Leitner Hartwig Linderkamp Sabine Märten Dietmar Martin Dr. Gabriel Mayer Horst G. Mayer Susanne Menner Dr. Peter-Thilo Merkle Hildegard Metz-Feuerberg Jürgen Michal Jutta Mößbauer Ursula Mosebach Karin Mosner Christel Mroz Werner Mühlbauer Prof. Dr. Wolfgang Müller-Holve Stefan Müller-Kölbl Dr. Barbara Naumann Elisabeth Naumann Birgit Nehm Anna Netzer Uta Neusiedl Tatjana Niederreuther Dr. Fedor Nierhaus Veronika Nobbe Ute Julia Noll Cornelia Noppe Dr. Regine Nowack Dr. Arend Oetker Helga Opel Alexander Ortmaier Edeltraut Ortner-Schramm Marion Perraudin Prof. Hans-Walter Pfister Edda Pinto Mathias Plica Dr. Christoph Pöppinghaus Birgit Poppert Jörg Pottrick Ulrich Probst Hela Prosteder Dr. Gudrun Rauter-Burkhardt Dr. Juergen Rebel Dieter Rendel Johanna Reul Hans-Joachim Reuther Uta Römer Gerda Sackmann Marion Samesch Ingrid Samson Maru Sandvoss-Dürr Dr. Elke Sattler Katharina Sattler Horst Sauerbruch Mia Savelbergh Heidrun Scharf Peter Schermuly Axel Schlapka Ellen Schlingloff Dr. Jürgen Schmidt-Garve Petra Schmolz-Fischer Birgit Schrezenmeir Rudolf Schwabe Sabine Seidensticker Dr. Bernhard Serr Brigitte Siebeneichler Dr. Dorothée Siegelin-Berz Dr. Heike Simon Vanessa Staffa-Krüger Karin Stanslowski Dr. Elisabeth Staude Uta Steigenberger-Händle Axel Steinhauser Hildegard Still von Wallis Ingrid Stölzle Hendrik te Neues Prof. Christiane Thalgott Cora tho Rahde Gloria Tinhof Ramona Tivold Christine Tönnies Barbara Ullrich Klaus Utermöhlen Leily Vahabzadeh Irmgard von Gienanth Dr. Dagmar von Kessel Marie-Theres von Lentzke Ebba von Oertzen Eleonore Edle von Poschinger Johanna Waldbröl Tina Waske von Reppert Gabriele Weber Dr. Thomas Weidenbach Renate Weigl Petrus Wesselmann Dr. Ingrid Wiedemann Rudolf G. Wiesmeier Doris Wilhelm Heide Wilhelm-Kreuzer Dr. Wolfgang Wodok Caroline Wöhrl Gregor Wöltje Edith Wolf Dr. Sylvia Wolf Nina Tessa Zahner Dr. Kyriakoula ZieglerSkylakakis Stand April 2006

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