Investitionen in die Gesundheit, Humankapitalakkumulation und langfristiges Wirtschaftswachstum

April 4, 2016 | Author: Jörn Schwarz | Category: N/A
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Universität Bayreuth Rechts- und Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät Wirtschaftswissenschaftliche Diskussionspapiere

Investitionen in die Gesundheit, Humankapitalakkumulation und langfristiges Wirtschaftswachstum

Brit S. Albers Diskussionspapier 01-03 April 2003

ISSN 1611-3837

Adresse: Dipl.-Kffr. Brit S. Albers Universität Bayreuth Lehrstuhl für VWL III, insb. Finanzwissenschaft 95440 Bayreuth Telefon: Fax: e-Mail:

+49-921-55 28 96 +49-921-55 58 21 [email protected]

Abstract Health Investment, Human Capital Accumulation and Long Term Economic Growth The Human Capital Theory explains economic development and sustainable growth focussing on the contribution of schooling on factor productivity. This point of view neglects differences in human capital accumulation through private investment activities in health as another reason for economic inequality. This article analyses the influence of a good health status on labour productivity. It is shown that at a high health capital stock less resources have to be spent on curing but can instead be used in production activities in the market sector. The purpose of this paper is to show in which way private workforce and aggregate labour supply are directly influenced through health. The main result is that investment in health through the demand for health care and health services is a basic factor to generate long term economic growth.

JEL-Classification: I 12, J 24, O 40 Keywords: Gesundheit, Bildung, Wirtschaftswachstum, Externe Effekte

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Einleitung

Die Bedeutung der Bildung für das Wirtschaftswachstum ist bereits in zahlreichen theoretischen und empirischen Arbeiten im Rahmen der Humankapitaltheorie untersucht worden (vgl. u. a. Lucas (1988), Mankiw et al. (1992) und Becker (1993)). Die Frage ist jedoch, ob die Bildung allein ausschlaggebend sein kann für Unterschiede in den Wachstumsraten einzelner Länder, oder ob nicht der Gesundheit eine wachstumsunterstützende Funktion zuzuschreiben ist. Zunächst stellt der Gesundheitssektor aufgrund der steigenden Beschäftigtenzahlen und der immer weiter steigenden Nachfrage einen Wachstumsmarkt per se dar (vgl. Sachverständigenrat für die Konzertierte Aktion im Gesundheitswesen (SVRKAiG) 1996, Nr. 333). Für das Wirtschaftswachstum vor allem relevant ist jedoch die Erweiterung des Produktionsfaktors Humankapital um die Gesundheitskomponente. Während der Gesundheitskapitalstock eines Individuums auf der Mikroebene dessen Produktivität erhöht und damit das Einkommen sowie die Zeitallokation nachhaltig beeinflußt, ist das aggregierte Gesundheitskapital auf Makroebene ein bedeutender Wachstumsfaktor, da nicht nur das Arbeitsangebot in Qualität und Quantität beeinflußt wird, sondern da sich auch die Produktivität der Investitionen in die Bildung erhöht. Um den Einfluß der Gesundheit auf das Wachstum eingehend darstellen zu können, wird zunächst in Kapitel 2 das Individuum als Produzent seiner Gesundheit beschrieben. In diesem Abschnitt wird erläutert, welchen Einflußfaktoren und Restriktionen ein Individuum bei der Wahl seines Gesundheitskapitalstocks unterliegt und wie sich hieraus der individuell optimale Gesundheitszustand ableiten läßt. Dieses Kapitel bildet die Grundlage für die in Kapitel 3 folgenden wachstumstheoretischen Überlegungen und deren Implikationen. In diesem Rahmen wird zunächst die Bedeutung des Humankapitals für die volkswirtschaftlichen Wachstumsraten dargelegt. In einem zweiten Schritt folgt eine wachstumstheoretische Darstellung der Gesundheit als zweite Komponente des Produktionsfaktors Humankapital. Eine Zusammenfassung in Kapitel 4 beschließt diese Arbeit.

2 2.1

Das Individuum als Produzent seiner Gesundheit Die Nachfrage nach Gesundheit

Jedes Individuum verfügt über die Möglichkeit, in seine Gesundheit zu investieren und damit den persönlichen Gesundheitszustand sowie die Länge des eigenen Lebens zu beeinflussen. Hierfür relevante Einflußfaktoren sind unter anderem die Ernährung und der Lebensstil sowie -1-

die Inanspruchnahme von Gesundheitsleistungen. Zu den konsumierbaren Gesundheitsleistungen zählen jedoch nicht nur kurative Maßnahmen, d.h. Arztbesuche und Medikation im Rahmen einer bereits bestehenden Krankheit, sondern auch präventive Maßnahmen, die die Gesundheit ex ante erhöhen und damit einer hohen Erkrankungswahrscheinlichkeit entgegenwirken.1 Aufgrund der zu treffenden Investitionsentscheidungen entspricht die Gesundheit eines Individuums in diesem Kontext einem Kapitalstock, der ebenso Abschreibungen unterliegt wie physisches Kapital.2 Derartige Abschreibungen ergeben sich als eine Verschlechterung des Gesundheitszustandes, die neben den Folgen des Alterungsprozesses auch auf eine ungesunde Lebensweise sowie auf schlechte Umweltbedingungen zurückzuführen ist. Betrachtet man nun das Individuum als Produzent seiner Gesundheit und abstrahiert von exogenen Einflußfaktoren, so dient die Nachfrage nach Gesundheitsleistungen der Produktion eines optimalen Gesundheitszustands. Somit entspricht die Nachfrage nach Gesundheitsleistungen einer abgeleiteten Nachfrage (vgl. McGuire et al. 1997, S. 129), da sie nicht auf die Gesundheitsleistungen per se, sondern auf die Gesundheit selbst ausgerichtet ist. Die Gesundheit wird aufgrund der Beeinflussungsmöglichkeiten zu einer endogenen Variablen (vgl. Leu und Gerfin 1992, S. 62). Das im folgenden beschriebene Modell von Grossman (1972) liefert eine Darstellung der Nachfrage nach der Gesundheit selbst.3 Grundlegender Gedanke dieses Modells ist die Tatsache, daß die Gesundheit sowohl konsumptive als auch investive Funktionen erfüllt. Zunächst entspricht der Gesundheitszustand eines Individuums einem Konsumgut, das direkt in die Nutzenfunktion eingeht. Darüber hinaus führen Investitionen in die eigene Gesundheit zu einer Steigerung des Gesundheitskapitalstocks, über den die für sämtliche Aktivitäten verfügbare Zeit beeinflußt wird. Jedes Individuum entscheidet im Rahmen eines Optimierungsproblems über die Allokation der Zeit im Hinblick auf die folgenden Verwendungszwecke: Auf der einen Seite kann die durch eine verbesserte Gesundheit hinzugewonnene verfügbare Zeit durch eine Erhöhung des Arbeitsangebots für die Produktion von Einkommen verwendet werden, woraus sich der investive Charakter der Gesundheit ableitet. Auf der anderen Seite kann diese zusätzliche Zeit in die Haushaltsproduktion investiert werden, die unter anderem auch von dem Einsatz von Marktgütern

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Wird das Individuum als Produzent seiner eigenen Gesundheit bezeichnet, so stimmt dies jedoch nur bedingt, da weiterhin externen Faktoren wie Vererbung oder Umwelteinflüssen erhebliche Bedeutung beigemessen werden muß. Von diesen Faktoren wird im folgenden jedoch abstrahiert. 2 An dieser Stelle ist als Unterscheidung zu beachten, daß die Gesundheit ein nicht handelbares Gut darstellt und damit nicht vollständig mit physischem Kapital gleichgesetzt werden kann. 3 Für eine formale Darstellung dieses Modells siehe Grossman (1972).

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abhängt.4 Als Beispiele hierfür sind ein Großteil der möglichen sportlichen Aktivitäten anzuführen, die nur mit Hilfe von Sportgeräten durchgeführt werden können. Während privater Konsum direkte Nutzenstiftung zur Folge hat, entspricht die Nachfrage nach den dafür notwendigen Gütern und Dienstleistungen lediglich einer abgeleiteten Nachfrage auf Basis der Konsumentscheidungen, ebenso wie die Nachfrage nach Gesundheitsleistungen einer abgeleiteten Nachfrage entspricht. Aufbauend auf diesen Grundlagen verfügt jedes Individuum zu Beginn des Lebens über einen ex ante festgelegten Gesundheitskapitalstock, der einer konstanten Abschreibungsrate unterliegt, jedoch über Investitionen erhöht werden kann. Diese Annahme impliziert, daß der Tod genau dann eintritt, wenn der individuelle Gesundheitskapitalbestand aufgrund der Abschreibungen unter einen bestimmten Mindestwert sinkt. Die Individuen treten somit als Produzenten ihrer Gesundheit auf, indem sie über ihre Investitionsentscheidungen die Länge des Lebens bestimmen können. Die Bruttoinvestitionen in das Gesundheitskapital erfolgen über die Produktionsfunktion der Haushalte, in die neben der Zeit der Konsumenten auch Marktgüter wie medizinische Leistungen, Erholung oder Wohnen als Inputgüter eingehen (vgl. Grossman 1972, S. 225). Der intertemporale Nutzen eines einzelnen Individuums bestimmt sich über den jeweiligen Gesundheitskapitalstock sowie über die Menge konsumierter Marktgüter. Die Abschreibungsrate, um die sich der Gesundheitskapitalstock c. p. vermindert, ist vom Alter sowie von der Intensität der Nutzung des Gesundheitskapitals abhängig und wird somit z.B. durch den Lebensstil, Umwelteinflüsse oder das Bildungsniveau des Individuums beeinflußt. Werden diese Faktoren exogen gehalten, wie es im Grossman-Modell der Fall ist, so ist auch die Abschreibungsrate konstant mit der Konsequenz, daß die Veränderung des Gesundheitszustandes ausschließlich von den Investitionen in die Gesundheit abhängt (vgl. Leu und Gerfin 1992, S. 62). In dem Modell Grossmans bestimmt sich die Höhe der Investitionen aus der Inanspruchnahme medizinischer Leistungen und der hierfür verwendeten Zeit.5 Zusätzlich werden die Investitionen durch den Bildungskapitalstock determiniert, ebenso wie die Produktion der Konsumgüter. Die Begründung hierfür liegt in der Annahme, daß eine Veränderung des Bil-

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Vgl. hierzu Erbsland et al. 1995, S. 170. Alle übrigen, die Investitionen beeinflussenden Faktoren (Umwelt, Lebensstil) neben den medizinischen Leistungen werden nicht weiter betrachtet, da diese nicht direkt in die Nutzenfunktion eingehen (vgl. Grossman 1972, S. 226).

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dungskapitalstocks die Effizienz der Produktionsprozesse im privaten Sektor in ähnlicher Weise beeinflußt wie der technische Fortschritt die Produktionsprozesse am Markt (vgl. Grossman 1972, S. 226). Neben den Gesundheitsleistungen und der dem Individuum für die verschiedenen Aktivitäten zur Verfügung stehenden Zeit stellen auch die für die Produktion der privaten Konsumgüter benötigten Marktgüter knappe Ressourcen dar. Die optimale Allokation der knappen Ressourcen ist in entscheidendem Maße von der intertemporalen Budgetrestriktion des Individuums abhängig. Die Summe aller auf den Gegenwartszeitpunkt abgezinsten Ausgaben für Marktgüter und medizinische Leistungen muß im Optimum dem insgesamt verfügbaren Budget entsprechen, das durch die Summe aller abgezinsten Arbeitseinkommen sowie durch die übrige Kapitalausstattung charakterisiert wird.6 Neben der Budgetrestriktion unterliegen die Individuen einer Zeitrestriktion. Die den Individuen insgesamt zur Verfügung stehende Zeit kann für folgende Zwecke eingesetzt werden: Ein Teil der Zeit wird für Arbeit und damit für die Erzielung von Einkommen aufgewendet. Die übrige Zeit wird auf die Produktion von Konsumgütern und auf die Inanspruchnahme medizinischer Leistungen aufgeteilt. Liegt jedoch eine Krankheit oder eine Verletzung vor, so steht keine Zeit mehr für die einzelnen Produktionsprozesse zur Verfügung. Bei einer konstanten Abschreibungsrate auf das Gesundheitskapital erhöht eine Zunahme der Zeit, die für die Inanspruchnahme medizinischer Leistungen aufgewendet wird, nicht nur die Höhe der Investitionen per se, sondern auch den Gesundheitskapitalstock. Wird ein größerer Zeitanteil für Investitionszwecke aufgewendet, so ergeben sich hieraus zwei gegenläufige Einkommenseffekte: Auf der einen Seite führt eine Verbesserung der Gesundheit zu einer Verringerung der krank verbrachten Zeit, wodurch eine Einkommenssteigerung erzielt wird. Auf der Gegenseite führt ein Anstieg der Zeit, die in das Gesundheitskapital investiert wird, zu Einkommenseinbußen, da gleichzeitig die verfügbare Arbeitszeit verringert wird. Folglich kann die hinzugewonnene Zeit, die sich aus einer Minderung der Erkrankungswahrscheinlichkeit ergibt, nicht vollständig in Arbeitszeit umgewandelt werden, so daß sich der verbesserte Gesundheitszustand nicht in voller Höhe positiv auf das Einkommen auswirkt.

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In dem hier dargestellten Modell wird sowohl von einem möglichen Vererbungsmotiv als auch von altruistischen Überlegungen abstrahiert. Zusätzlich existiert keine Krankenversicherung, die bei Krankheit ein Mindesteinkommen garantieren würde.

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2.2

Der optimale Gesundheitskapitalstock

Neben den Erträgen aus den Investitionen in die Gesundheit sind die Kosten für die optimale Höhe der Investitionen entscheidend. Beschreibt der Grenzertrag des Gesundheitskapitalstocks in diesem Kontext einen Anstieg der Zahl gesund verbrachter Tage aufgrund eines marginalen Anstiegs des Gesundheitskapitalbestandes, so ist die optimale Investitionshöhe dann erreicht, wenn das auf den Gegenwartswert abgezinste Wertgrenzprodukt der Investitionen gleich den abgezinsten Grenzkosten ist. Dementsprechend muß die Rendite in Form des Grenzertrags des Gesundheitskapitalstocks im Optimum zu jedem beliebigen Zeitpunkt genau dem Preis bzw. den Nutzungskosten des Gesundheitskapitals entsprechen.7 In Abbildung 1 wird der optimale Gesundheitskapitalstock für jeden beliebigen Zeitpunkt dargestellt. Auf der Abszisse ist der jeweilige Gesundheitskapitalbestand abgetragen, γi auf der Ordinate entspricht dem marginalen monetären Ertrag der Investition in die Gesundheit. Die Nachfragekurve MEC8, die den Grenzertrag der Investition beschreibt, gibt Aufschluß über die Beziehung zwischen diesem Ertrag und dem Gesundheitskapitalstock, während die Angebotskurve S die Kapitalkosten beschreibt, die neben dem Zinssatz im wesentlichen von den Abschreibungen abhängen. Da die Kosten des Gesundheitskapitals im Basismodell vom Gesundheitskapitalbestand unabhängig sind, wird diese Kurve von einer Veränderung des Gesundheitskapitalstocks zunächst nicht beeinflußt, so daß die Gesundheitskapitalkosten zu jedem möglichen Gesundheitskapitalbestand Hi jeweils γi* betragen. Für die Nachfragekurve ergibt sich unter Annahme eines sinkenden Grenzprodukts des Kapitals ein fallender Verlauf mit steigendem Bestand an Gesundheitskapital. Für den gleichgewichtigen Gesundheitskapitalstock Hi* gilt, daß die Grenzerträge aus der Gesundheit den Grenzkosten γi* entsprechen müssen. Diese Bedingung ist im Schnittpunkt der beiden Kurven erfüllt.

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Die monetäre Bewertung der hinzugewonnenen Zeit erfolgt im Modell einerseits über die Höhe des zusätzlich erzielbaren Einkommens, andererseits über ein geldwertes Äquivalent des Nutzenzuwachses (vgl. Grossman 1972, S. 228f.). 8 MEC = marginal efficiency of health capital.

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Abbildung 1: Der optimale Gesundheitskapitalstock

γi MEC

γi’

S’

γi*

S

Hi Hmin

Hi*

Quelle: Vgl. Grossman 1972, S. 237. In der bisherigen Darstellung waren die wesentlichen Faktoren der Kostenseite des Modells, d.h. der Zinssatz und die Abschreibungsrate, konstant, so daß sich ein Optimum jenseits der kritischen Grenze Hmin eingestellt hat. Eine Veränderung des Optimums ergibt sich jedoch dann, wenn die Abschreibungsrate auf die Gesundheit nicht mehr konstant ist, sondern mit dem Alter variiert. In diesem Zusammenhang wird angenommen, daß die Höhe der Abschreibungen mit zunehmendem Alter ansteigt, da sowohl die physische Leistungskraft als auch die Denkfähigkeit abnehmen.9 Je höher c. p. die Abschreibungsrate ist, desto weiter verschiebt sich die Angebotskurve nach oben, bis das maximale Niveau γi’ erreicht ist. Da eine Erhöhung der Abschreibungsrate die Angebotskurve aus Abbildung 1 zwar erhöht, die Nachfragekurve jedoch unbeeinflußt bleibt, verschiebt sich der Schnittpunkt dieser beiden Kurven in Form von Hi* nach links, bis in Hmin der minimale Humankapitalstock und damit der Todeszeitpunkt erreicht ist.

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Diese Annahme wird ebenfalls aus Vereinfachungsgründen getroffen, da Schwankungen in der Abschreibungsrate ausgeblendet werden sollen. Somit werden auch die erhöhte Krankheitsgefahr im Kindesalter sowie Streßfaktoren an dieser Stelle nicht berücksichtigt.

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Aus der Annahme der altersabhängigen Abschreibungsrate folgt, daß mit zunehmendem Alter der durchschnittliche Gesundheitszustand sinkt und dementsprechend über die Nachfrage nach medizinischen Leistungen mehr in die Gesundheit investiert werden muß. Bei einer Nachfrageelastizität nach Gesundheit kleiner Eins wird die Höhe der Abschreibungen jedoch nicht vollständig über die Investitionen in das Gesundheitskapital kompensiert, so daß nur so lange investiert wird, bis die Opportunitätskosten der Investition den Ertrag übersteigen und der Todeszeitpunkt gewählt wird. Für eine Untersuchung des Einflusses übriger Faktoren, z. B. des Lohnsatzes oder der Bildung, auf die Nachfrage nach Gesundheit sowie Gesundheitsleistungen werden im folgenden sowohl die Opportunitätskosten als auch die Elastizität der Nachfrage auf konstantem Niveau gehalten. Für den Lohnsatz gilt, daß dieser Ausdruck der Grenzproduktivität eines Individuums ist und somit derjenigen Rate entspricht, mit der Arbeitszeit in Einkommen umgewandelt werden kann. Hieraus folgt, daß der Wert eines Anstiegs in der gesund verbrachten Zeit um so höher ist, je höher der Lohnsatz ist, da Krankheit in diesem Fall zu höheren Einkommenseinbußen führt.10 Wird der Lohnsatz erhöht, ist es individuell rational, vermehrt Zeit in die Produktion am Markt zu investieren, auch wenn hierdurch weniger Zeit für privaten Konsum zur Verfügung steht, bis im Gleichgewicht das Wertgrenzprodukt der für den Konsum benötigten Zeit den Opportunitätskosten in Form des Lohnsatzes entspricht. Da eine Erhöhung des Lohnsatzes zu einer Rechtsverschiebung der Nachfragekurve führt, wird hierdurch auch der gleichgewichtige Gesundheitskapitalstock erhöht, was wiederum zu einer erhöhten Nachfrage nach medizinischen Leistungen führt. Je mehr Zeit jedoch in den Arbeitsmarkt investiert wird, desto weniger Zeit steht für die Investition in die Gesundheit, z.B. in Form des Konsums medizinischer Leistungen, zur Verfügung, so daß als Konsequenz die Kosten der Investitionen ansteigen müssen (vgl. McGuire et al. 1997, S. 140). Aus diesem Grund sinkt die Nachfrage nach Gesundheit, bis erneut ein Gleichgewicht erreicht ist. Eine Erhöhung des Lohnsatzes übt somit sowohl einen positiven als auch einen negativen Effekt auf die Inanspruchnahme medizinischer Leistungen aus. Der Bildung wird in dem Modell von Grossman eine produktivitätssteigernde Funktion zugeschrieben. Ein Anstieg des Bildungskapitalstocks führt dazu, daß die Grenzprodukte der Inputgüter erhöht werden, so daß der Bedarf an diesen Inputgütern bei gegebenen Bruttoin-

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Den Zusammenhang zwischen der Nachfrage nach Gesundheit und dem Lohnsatz beschreiben unter anderem auch Andrén und Palmer (2001).

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vestitionen gesenkt wird. Unterstellt man, daß sich eine Veränderung des Bildungskapitals faktorneutral verhält, so führt ein Anstieg des Bildungsstandes unter konstanten Preisen zu einer Minderung der Grenzkosten der Bruttoinvestitionen. Hieraus folgt, daß eine Senkung der Grenzkosten zu einer Erhöhung der Investitionstätigkeit der Individuen führt. Grossman zeigt, daß der Einfluß der Bildung auf die Nachfrage nach medizinischen Leistungen sowie auf die dafür verwendete Zeit davon abhängig ist, ob eine Erhöhung des Bildungskapitals um eine Einheit die Nachfrage nach Gesundheit sowie die Bruttoinvestitionen in gleicher Weise beeinflußt. Sind die Veränderungsraten der Grenzkosten sowie –erträge gleich, führt eine Erhöhung der Bildung nicht zu einer Veränderung in der Nachfrage nach medizinischen Leistungen. Für eine Elastizität der Nachfrage nach Gesundheit kleiner als Eins gilt, daß Bildung zwar die Nachfrage nach Gesundheit erhöht, die Inanspruchnahme von Gesundheitsleistungen jedoch abnimmt, da zum einen aufgrund der erhöhten Effizienz der Gesundheitsproduktion weniger medizinische Leistungen nachgefragt sowie weniger Zeit aufgewendet werden, zum anderen eine Verbesserung der Gesundheit per se eine geringere Nachfrage nach Gesundheitsleistungen mit sich bringt (vgl. McGuire et al. 1997, S. 140). 2.3

Kritische Würdigung des Grossman-Modells und empirische Evidenz

Grossman zeigt, daß jedes Individuum über einen optimalen Gesundheitskapitalbestand verfügt und daß die Nachfrage nach medizinischen Leistungen von diesem Optimum abhängig ist. Während die Abschreibungen und damit die Inanspruchnahme der Leistungen mit zunehmendem Alter ansteigen und auch die Korrelation zwischen einer Erhöhung des Lohnsatzes und der Nachfrage positiv ist, führt eine Zunahme des Bildungskapitals dazu, daß die Gesundheitsproduktion eine höhere Effizienz aufweist, wodurch die Gesundheitsausgaben gesenkt werden. Grossman betont, daß das Modell aufgrund der zugrundeliegenden vollkommenen Information hinsichtlich des Todeszeitpunkts eine geringere Nachfrage nach medizinischen Leistungen vorhersagt, als dies tatsächlich der Fall ist, da sämtliche Investitionen in die Gesundheit, die aufgrund von Unsicherheit getätigt werden, nicht berücksichtigt sind (vgl. Grossman 1972, S. 247). Neben der restriktiven Annahme der vollständigen Sicherheit sind drei weitere grundlegende Merkmale des Grossman-Modells zu kritisieren (vgl. zu den folgenden Ausführungen Muurinen (1982)). Ein zentraler Kritikpunkt besteht in der Vorgehensweise, den investiven sowie konsumptiven Charakter der Investition in die Gesundheit darzustellen, indem der jeweils andere Effekt aus der Analyse ausgeklammert wird. Diese Vorgehensweise erscheint Muurinen zwar aus modelltheoretischer Sicht sinnvoll, in konzeptioneller Hinsicht sollten die -8-

Erträge jedoch aus folgenden Gründen nicht isoliert voneinander betrachtet werden: Zum einen dient die Nachfrage nach Gesundheit der direkten Nutzenstiftung, beispielsweise durch Linderung bzw. Verhinderung von Schmerzen. Zum anderen sind Gesundheitsinvestitionen aus Kapazitätserwägungen für das Individuum wichtig, da eine gute Gesundheit nicht nur ein hohes Maß an verfügbarer Zeit, sondern auch eine erhöhte Produktivität zur Folge hat. Im Modell von Muurinen sind diese Erträge somit nicht mehr isoliert voneinander dargestellt, vielmehr entsprechen sie Komplementen. Ein zweiter wesentlicher Kritikpunkt besteht darin, daß die positive Korrelation zwischen Bildung und Gesundheit im Modell Grossmans nicht ausreichend dargestellt wird. Während Grossman die Bildung explizit als Produktionsfaktor in die Produktionsfunktion der Haushalte einbezieht, stellt Muurinen die Bedeutung der Bildung dar, ohne daß diese auf die Gesundheitsproduktion der Haushalte beschränkt ist. In diesem Zusammenhang wird der Humankapitalstock eines Individuums nicht mehr nur durch das Gesundheitskapital bestimmt, sondern darüber hinaus durch das Bildungskapital, das sich in Wissen und Fähigkeiten des Individuums ausdrückt. Darüber hinaus wird externes Kapital, also das Vermögen, mit in das Modell einbezogen. Je ein Teil dieser drei Kapitalkomponenten Gesundheit, Bildung und physisches Kapital wird für die direkte sowie für die indirekte Nutzenstiftung verwendet, wobei die einzelnen Komponenten als enge Substitute angesehen werden können (vgl. Muurinen, S. 8). Während direkte Nutzenstiftung hauptsächlich durch Konsum erzielt wird, beeinflußt die Arbeit das Einkommen und bringt somit indirekten Nutzen. Die Bildung steigert jedoch nicht nur die Produktivität im Hinblick auf die Konsumgüterproduktion, vielmehr übt sie darüber hinaus einen positiven Einfluß auf die Produktion von Gesundheit aus: Einerseits wird die Wahl des Lebensstils, der Ernährung etc. positiv beeinflußt, andererseits steht vermehrt medizinisches Wissen und Wissen über alternative Ressourcen zur Verfügung, so daß die Inanspruchnahme medizinischer Leistungen zielgerichteter und aufgrund des gesteigerten kooperativen Verhaltens der Patienten effektiver erfolgen kann. Hieraus folgt, daß Bildung nicht nur die Produktivität positiv beeinflußt, sondern auch die Abschreibungsrate des Gesundheitskapitals mindert. Als dritter elementarer Kritikpunkt am Grossman-Modell ist anzuführen, daß der Preis der Zeit, die neben den medizinischen Leistungen für die Investition in die Gesundheit benötigt wird, genau dem Lohnsatz entspricht. Der Lohnsatz ist jedoch dann kein geeignetes Maß für den Preis der Zeit, sobald Arbeitszeit über das Einkommen hinaus nutzenstiftend ist bzw. für

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Investitionen in einen der drei Kapitalbestände verwendet werden kann.11 Darüber hinaus wird kritisiert, daß der Zeit sowie den medizinischen Leistungen eine identische Produktivität zugeschrieben wird. Diese Annahme stellt eine starke Vereinfachung dar, da Fahrt- sowie Wartezeiten nicht berücksichtigt werden, die Inanspruchnahme medizinischer Leistungen jedoch selbst mit einem wesentlichen Zeitaufwand verbunden sein kann. In diesem Fall wären die investierte Zeit und der Konsum von Gesundheitsgütern nicht mehr substitutiven Charakters, sondern komplementärer Natur. Aus diesem Grund sollte die Zeit daher eher als indirekter Produktionsfaktor in die Analyse eingehen. Im Rahmen einer komparativ statischen Analyse des erweiterten Grossman-Modells kommt Muurinen ebenfalls zu dem Schluß, daß der angestrebte Gesundheitskapitalstock mit zunehmendem Alter absinkt, auch wenn diesem modifizierten Modell nicht mehr konstante, sondern variable Grenzkosten unterliegen, wodurch die Geschwindigkeit der Abnahme des Gesundheitskapitals bestimmt wird.12 Auch im Hinblick auf die positive Korrelation zwischen Bildung und Gesundheit wird das Modell Grossmans bestätigt, wobei zwei gegenläufige Effekte im Hinblick auf die Nachfrage nach Gesundheit existieren: Zunächst führt eine Steigerung der Produktivität der Individuen in ihrer Gesundheitsproduktion aufgrund der höheren Bildung zu einer Senkung der Gesundheitsausgaben. Ein höherer Bildungsstand hingegen führt zu höheren Opportunitätskosten aufgrund eines steigenden Lohnsatzes, so daß die Höhe der drohenden Einkommensverluste im Falle einer Krankheit die Nachfrage nach Gesundheitsleistungen ansteigen läßt.13 Wagstaff (1986) überprüft das theoretische Modell Grossmans anhand dänischer Daten empirisch unter der Annahme, daß das Gesundheitskapital einer latenten Variablen14 entspricht. Den dort gezeigten Ergebnissen des reinen Investitionsmodells liegt ein Strukturgleichungsmodell zugrunde, dessen Gleichungen mit Hilfe des Maximum Likelihood-Verfahrens ge-

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So wird durch ein gesteigertes Engagement am Arbeitsmarkt beispielsweise das jobspezifische Wissen vermehrt. Ebenso kann ‚Learning by doing’ zu einer gesteigerten Produktionseffizienz führen, wodurch ein steigendes Einkommen zu erwarten ist, da der Lohnsatz Ausdruck der Grenzproduktivität ist. 12 Zu diesem Ergebnis kommen auch Leu und Doppmann (1986), die die Nachfrage nach Gesundheit und Gesundheitsleistungen anhand von Daten aus der Schweiz empirisch untersuchen. Die Autoren kommen darüber hinaus zu dem Ergebnis, daß auch der Lebensstil einen negativen Einfluß auf die Gesundheit ausübt. 13 Ein derartiger Zusammenhang ist jedoch nicht uneingeschränkt für alle Individuen gleichermaßen gültig, da zum einen die Einkommensverluste unterschiedlich stark ausfallen, zum anderen körperliche Versehrtheiten nur bedingt Arbeitsunfähigkeit bedeuten. 14 Unter latenten Variablen versteht man Variablen, die nicht direkt beobachtbar und damit meßbar sind, die jedoch durch andere Variablen, Ursachen oder Indikatoren hinreichend umschrieben werden können (vgl. Kmenta 1986, S. 581). Zu einer genauen Spezifikation der Indikatoren sowie weiterer Variablen siehe Wagstaff 1986, S. 205-212.

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schätzt werden. Während die Inanspruchnahme medizinischer Leistungen gemäß der Hypothese der abgeleiteten Nachfrage im Modell Grossmans zunimmt, je niedriger der tatsächliche und je höher der gewünschte Gesundheitszustand ist, ist der von Wagstaff geschätzte Koeffizient signifikant negativ. Dieser Unterschied läßt sich darüber erklären, „daß in der Realität der gewünschte und der effektive Gesundheitszustand auseinanderklaffen können, während sie in Grossmans Modell per Annahme identisch sind“ (Leu und Gerfin 1992, S. 76). Diese Aussage begründet sich in der Tatsache, daß im Modell Grossmans die Grenzkosten der Investition in die Gesundheit von den Investitionen selbst unabhängig sind, so daß sich eine sofortige Anpassung des aktuellen Gesundheitszustandes an den optimalen Gesundheitszustand ergibt. Liegen jedoch physische Restriktionen hinsichtlich der Investition vor oder lassen mögliche Anpassungskosten eine sofortige Anpassung suboptimal werden, dann erfolgt die Anpassung nicht oder zeitlich verzögert (vgl. Wagstaff 1986, S. 228). Folglich ist für den gewünschten Gesundheitszustand ein positiver, für den tatsächlichen Zustand jedoch ein negativer Zusammenhang zwischen Gesundheit und der Inanspruchnahme medizinischer Leistungen zu erwarten.15 Die zweite von Wagstaff untersuchte Hypothese postuliert einen negativen Zusammenhang zwischen der Bildung und der Nachfrage nach medizinischen Leistungen. Dieser Hypothese liegt die Vermutung zugrunde, daß besser gebildete Individuen über eine erhöhte Produktivität verfügen und daher für den gleichen Zuwachs an Gesundheitskapital weniger medizinische Leistungen sowie Zeit benötigen als schlechter gebildete Individuen. Der tatsächlich geschätzte Koeffizient unterliegt jedoch einem positiven Vorzeichen, so daß besser gebildete Individuen nicht nur mehr Gesundheit, sondern auch vermehrt Gesundheitsleistungen nachfragen, was darauf zurückgeführt werden kann, daß Gebildete das Grenzprodukt der Inanspruchnahme medizinischer Leistungen als geringer wahrnehmen als weniger gebildete Individuen mit der Konsequenz, daß Gebildete für eine identische Erhöhung des Gesundheitskapitalstocks mehr Leistungen nachfragen (vgl. Wagstaff 1986, S. 229).16

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Grossman (2000) kritisiert an der Arbeit Wagstaffs, daß die Inanspruchnahme medizinischer Leistungen nicht mehr als Input in die Produktionsfunktion eingeht, sondern selbst durch Größen wie die Gesundheit sowie die Preise für die Inputfaktoren determiniert wird. Führt eine Steigerung der Nachfrage nach Gesundheit zu einer Steigerung der Nachfrage nach Inputgütern, so ergibt sich hieraus für den Zusammenhang zwischen Gesundheit und Gesundheitsleistungen ein positives Vorzeichen (vgl. Grossman 2000, S. 385f.). 16 Zu einem grundsätzlich gleichen Ergebnis wie Wagstaff kommen auch Leu und Gerfin (1992). Bei Leu und Gerfin ist das reine Investitionsmodell jedoch nicht mit den verwendeten Daten kompatibel. Darüber hinaus liefert das verwendete Modell keine konsistenten Schätzwerte für das reine Konsummodell, was auf die Verteilung der Störterme zurückzuführen ist.

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Leu und Doppmann (1986), Erbsland et al. (1998) sowie Nocera und Zweifel (1998) kommen jeweils zu dem Ergebnis, daß nicht nur das Bildungsniveau in einem positiven Zusammenhang mit der individuellen Gesundheit steht, sondern daß darüber hinaus das Erwerbseinkommen die Gesundheit positiv beeinflußt, während ein hohes Transfereinkommen einen negativen Effekt hinsichtlich der Gesundheitskapitalbildung aufweist. Gerdtham und Johannesson (1999) schätzen ein an das Grossman-Modell angelehntes Modell der Nachfrage nach Gesundheit mit schwedischen Mikrodaten. Als Maß für das Gesundheitskapital dient dabei die selbst eingeschätzte Gesundheit in Form einer kategorischen Variablen. Als Hauptresultat der Schätzung folgt ebenfalls, daß die Nachfrage nach Gesundheit mit dem Einkommen und der Bildung zunimmt, jedoch mit dem Alter sinkt. Letzter Effekt resultiert daraus, daß die Gesundheitsproduktion mit zunehmendem Alter teurer und daher in die jüngeren Jahre verlagert wird.17

3 3.1

Wachstumstheoretische Implikationen Grundüberlegungen

Während in der Neoklassik die Produktivität exogen gegeben ist, jedoch kein stimulierender Faktor die Wachstumsgeschwindigkeit dauerhaft zu steigern vermag, geht die Neue Wachstumstheorie davon aus, daß eine langfristige Erhöhung der Geschwindigkeit aus der Ökonomie selbst heraus erzielt werden kann. Unter der Annahme vollständiger Faktorimmobilität und unter der Annahme, daß sich einzelne Länder hinsichtlich ihrer Präferenzen sowie ihrer Faktorausstattungen und Technologien nicht unterscheiden, ist nach der neoklassischen Wachstumstheorie zu erwarten, daß diese zum gleichen Steady State konvergieren. Diese theoretischen Überlegungen lassen sich dergestalt jedoch nicht beobachten. Hingegen unterscheiden sich das Bevölkerungswachstum sowie der Anteil der Arbeitskraft am Output zwar stark zwischen einzelnen Ländern, ein Land mit hohem Bevölkerungswachstum ist bei identischem Technologieniveau jedoch nicht unbedingt ärmer als ein Land mit geringerem Bevölkerungswachstum. Vielmehr sind Unterschiede dort festzustellen, wo unterschiedliche Voraussetzungen in der Grundausstattung, z.B. in der Gesundheitsversorgung, zu finden sind, da eine gute medizinische Versorgung zu einer geringeren Säuglingssterblichkeit und damit längerfristig zu geringeren Geburtenraten führt.

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Zu weiteren empirischen Studien auf Basis des Grossman-Modells siehe u. a. Ried (1996 und 1998a), Zweifel und Breyer (1997), Gerdtham et al. (1999) sowie Eisenring (2000).

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Grundsätzlich sind jedoch auch Unterschiede in den Technologien kein hinreichender Erklärungsgrund für die Ursachen langfristigen ökonomischen Wachstums, da technologisches Wissen im Allgemeinen frei verfügbar ist, gleiche Wachstumsraten folglich über Technologietransfer erzielt werden könnten. Eine derartige Vermutung setzt jedoch voraus, daß es in jeder Volkswirtschaft eine ausreichende Anzahl an Individuen gibt, die entsprechend über technisches Wissen verfügen, da dieses für die Bedienung technischer Geräte sowie für Innovationen unabdingbar ist. Somit erscheinen das individuell verfügbare Wissen sowie die an einzelne Personen gebundenen Fähigkeiten für das Wachstum entscheidend. 3.2

Die Bedeutung der Bildung für das Wirtschaftswachstum

In zahlreichen theoretischen und empirischen Untersuchungen (vgl. bspw. Gemmell (1996), Bils (2000) und Barro (2001)) wird der positive Einfluß der Bildung auf das Wirtschaftswachstum dargelegt. Je höher die Bildung ist, desto höher ist die Produktivität der Individuen, und desto mehr Output kann mit einer identischen Menge an Inputgütern erzielt werden. Darüber hinaus führt ein höherer Bildungsstand im Vergleich zu einem niedrigen Bildungskapitalstock zu einem gesteigerten individuellen Gesundheitskapital und damit auch zu einer Erhöhung des für die gesamtwirtschaftliche Produktion zur Verfügung stehenden aggregierten Gesundheitskapitals. Betrachtet man die Bildung in einer vereinfachenden Annahme als einzigen Bestandteil des Faktors Humankapital, so werden die Wachstumsraten hauptsächlich über die Fähigkeiten der Individuen, neue Technologien anzuwenden, bestimmt. Je höher folglich der Humankapitalbestand in einer Ökonomie ist, desto höher ist der Grad der Effizienz, mit der Forschung betrieben und Entwicklungen durchgeführt werden können (vgl. Blackburn et al. 2000, S. 189). Dieser Zusammenhang impliziert, daß Forschung und Entwicklung zwar analog zum Humankapital als Wachstumsmotor zu verstehen ist, jedoch direkt vom Humankapital abhängt. Somit erscheint es sinnvoll, endogenes Wachstum über den verfügbaren Humankapitalstock sowie die Rate der Humankapitalakkumulation zu beschreiben.18 Diese Überlegungen bilden die Grundlage des Wachstumsmodells von Lucas (1988), in dem die Wachstumsraten endogen durch das Humankapital bestimmt sind. Dieser Ansatz beruht auf der Annahme, daß die Individuen über Entscheidungen hinsichtlich ihrer Zeitallokation

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Eine Modelldarstellung endogenen Wachstums auf Basis technologischen Fortschritts liefert Romer (1990). Grossman und Helpman (1994) begründen endogenes Wachstum ebenfalls über die Innovationstätigkeiten, berücksichtigen jedoch auch die Bedeutung des Humankapitals für Forschung und Entwicklung.

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die Akkumulation des Humankapitals und damit die Produktivität im Produktionsprozeß beeinflussen. Zusätzlich wird die Höhe der Humankapitalbildung durch den gegenwärtigen Bestand an Humankapital beeinflußt.19 Lucas zeigt, daß eine dauerhafte Zunahme des aggregierten Humankapitalstocks einer Volkswirtschaft zu dauerhaftem Wachstum führt, wenn das Humankapital in Form von Bildung direkt in die Produktionsfunktion integriert wird. Für die gleichgewichtige Wachstumsrate des Humankapitalstocks gilt, daß diese ansteigt, wenn die Effektivität der Investitionen in das Humankapital ebenfalls ansteigt. Eine Erhöhung der Diskontierungsrate führt ebenso zu einer Minderung der Humankapitalakkumulation wie eine stark ausgeprägte Risikoaversion, da das Konsumverhalten in beiden Fällen gegenwartsorientiert ist. Aufgrund der Tatsache, daß Konsum direkt von der Outputproduktion abhängt, führen eine hohe Diskontierungsrate sowie Risikoaversion dazu, daß mehr Zeit in die Produktion und weniger Zeit in die Humankapitalakkumulation investiert wird. Diesem Einfluß wirkt ein positives Bevölkerungswachstum entgegen, da sich hieraus eine schnellere Verbreitung des Humankapitals ergibt. 3.3

Gesundheit und endogenes Wachstum

Die Überlegung, daß neben der Bildung die Gesundheit ein wesentlicher Bestandteil des Humankapitals ist, geht auf Schultz (1961) und Mushkin (1962) zurück, ohne daß diese die Gesundheit jedoch in ein Wachstumsmodell integrierten. Je höher der Gesundheitskapitalstock ist, desto höher ist c. p. auch das Arbeitsangebot, da die Zahl krank verbrachter Tage reduziert wird und somit mehr Zeit für Produktionsaktivitäten sowie weitere Investitionen in die Gesundheit zur Verfügung steht. Folglich ist ein positiver Zusammenhang ist zwischen der Gesundheit und dem Wirtschaftswachstum zu postulieren: „However, the big difference between knowledge generation and health generation is that, in the end, health generation can not logically be a ‘motor’ of growth, since health can only continue to grow until a state of perfect health has been attained. But since a good health is a prerequisite to being able to supply labour services, it still has ‘motor-like’ features, in the sense that a permanent change in the average health-status of the population could alter growth performance in a permanent way” (van Zon und Muysken 1997, S. 5).

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Solow (2000) integriert in das Modell von Lucas zusätzlich den Faktor Freizeit, so daß die verfügbare Zeit auf die drei Verwendungszwecke Produktion, Humankapitalakkumulation sowie Freizeit aufgeteilt werden muß. Aus diesem Ansatz ergibt sich die Konsequenz, daß lediglich ein geringerer Anteil der Zeit für die Humankapitalakkumulation zur Verfügung steht.

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Während Lucas (1988) der Bildung einen positiven Einfluß auf die Produktivität und damit auf das Wirtschaftswachstum zuschreibt, integrieren van Zon und Muysken (2001) zusätzlich die Gesundheit in das Wachstumsmodell von Lucas vor dem Hintergrund, daß eine gute Gesundheit nicht nur die verfügbare Arbeitszeit, sondern auch die Arbeitsproduktivität erhöht. In diesem Zusammenhang wird zunächst die Bedeutung der Langlebigkeit und damit einer steigenden Lebenserwartung auf das Wachstum dargestellt. Zu diesem Zweck wird die Bevölkerung aufgeteilt in einen aktiven Teil, der zur Produktion von Gütern, medizinischen Leistungen sowie Humankapital beiträgt, also vornehmlich junge Menschen, sowie in einen inaktiven Teil, der aufgrund von Krankheit und damit Arbeitsunfähigkeit oder aufgrund fortgeschrittenen Alters nicht oder nicht mehr am Produktionsprozeß teilnimmt, darüber hinaus medizinische Leistungen jedoch ausschließlich konsumiert. Eine reine Erhöhung der Lebenserwartung führt in diesem Zusammenhang aufgrund des zahlenmäßigen Anstiegs der Bevölkerung zu einer Zunahme der Zahl inaktiver Personen und damit zu einer erhöhten Nachfrage nach medizinischen Leistungen. Die Darstellung der Bedeutung von Gesundheit und Wachstum in einem endogenen Modell erfolgt zunächst über den Gesundheitssektor. Da die Gesundheit im Steady State keinen Veränderungen unterliegt, kann die Gesundheitsproduktionsfunktion als Beziehung zwischen medizinischen Leistungen und der Gesundheit dargestellt werden. Darüber hinaus führen Spezialisierungen im Gesundheitssektor zu einer verbesserten Versorgung unter der Annahme, daß die Behandlungseffizienz gesteigert wird. Weiterhin besteht ein direkter Zusammenhang zwischen dem durchschnittlichen Gesundheitskapitalbestand und der Akkumulation von Bildungskapital, da eine gute Gesundheit die Konzentrations- und Leistungsfähigkeit erhöht und somit die Generierung neuen Wissens erleichtert. Spezialisierungen und technischer Fortschritt haben jedoch nicht nur positive Auswirkungen auf die Gesundheit zur Folge. Vielmehr ergibt sich aufgrund eines höheren Leistungsdrucks ein negativer Gesundheitseffekt in Form von erhöhtem Streß, der als Abschreibungen auf das Gesundheitskapital interpretiert werden kann, so daß eine Erhöhung des medizinischen Standards zusätzlich eine gesteigerte Nachfrage nach Gesundheitsleistungen zur Folge hat (vgl. van Zon und Muysken 2001, S. 175). Derartige Abschreibungen äußern sich in einem prozentualen Verlust an Arbeitszeit. Hieraus folgt, daß die Gesundheit das effektive Arbeitsangebot mitbestimmt. Sinkt der durchschnittliche Gesundheitszustand, so nimmt auch das Arbeitsangebot ab, da den Individuen weniger Zeit für Produktionszwecke zur Verfügung steht. Darüber hinaus werden für die Produktion der Gesundheit die knappen Ressourcen Einkom- 15 -

men und Zeit eingesetzt, die anderen Verwendungen, beispielsweise dem Konsum oder Investitionen in den Humankapitalstock, entzogen werden. Van Zon und Muysken (2001) kommen in ihrem Modell zu dem Ergebnis, daß die einzelnen Wachstumsraten positiv von den Produktivitäten der Gesundheitsproduktion sowie der Akkumulation von Bildungskapital abhängen. Analog zu dem Wachstumsmodell von Lucas (1988) ist der Einfluß der Diskontierungsrate auf die einzelnen Wachstumsraten negativ, da eine hohe Gegenwartspräferenz dem heutigen Konsum eine hohe Bedeutung beimißt, d.h. wenig gespart und damit investiert wird. Gleichzeitig wird weniger Zeit in die Humankapitalakkumulation investiert, so daß die Wachstumsrate des Humankapitals ebenfalls geringer ausfällt. Die Konsequenz hieraus ist eine geringere gleichgewichtige Wachstumsrate des Einkommens im Vergleich zu einem Steady State mit einer niedrigen Diskontierungsrate. Die Wachstumsraten des Humankapitals und damit des Einkommens sind jedoch dann um so höher, je höher der gleichgewichtige Gesundheitskapitalstock ist, d.h. je mehr in die Gesundheit investiert wird. Dieser positive Einfluß der Gesundheit auf das Wirtschaftswachstum ist um so größer, je höher die Produktivität der Individuen hinsichtlich ihrer Humankapitalakkumulation ist. Ein entscheidender Faktor für die Generierung von Humankapital ist der Anteil der im Gesundheitssektor Beschäftigten: Da diese Arbeitskraft für den Erhalt des Gesundheitszustandes im Steady State verwendet wird, steht sie nicht weiter für die Outputproduktion sowie für die Akkumulation von Bildungskapital zur Verfügung. Hieraus ergibt sich ein Trade-Off zwischen der Gesundheit einerseits und dem Bildungskapital andererseits. Die Rate des Wirtschaftswachstums ist somit nicht nur von der Gesundheit per se, sondern auch in zweierlei Hinsicht von der Beschäftigung im Gesundheitssektor abhängig. Zunächst führt eine hohe Beschäftigtenzahl im Gesundheitswesen zu einem hohen durchschnittlichen Gesundheitszustand im Gleichgewicht und damit zu einer Steigerung der Wachstumsraten. Dieser Effekt wird jedoch durch die Tatsache gemindert, daß weniger Arbeitskraft für die Outputproduktion zur Verfügung steht, wodurch die Wachstumsraten negativ beeinflußt werden. Abbildung 2 stellt einen Überblick über die Zusammenhänge zwischen der Gesundheit und endogenem Wachstum noch einmal graphisch dar. Diese Grafik zeigt, daß die Gesundheit als Bestandteil des Humankapitals wirtschaftliches Wachstum auf verschiedene Weise determiniert, jedoch auch indirekt durch das Wachstum selbst beeinflußt wird. Entscheidender Faktor für das Wachstum ist die Tatsache, daß die Gesundheit die Produktivität der Arbeitskräfte erhöht. Dies führt zum einen dazu, daß schneller und mit höherer Effizienz produziert werden

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kann, zum anderen ist ein höherer Grad an Aus- und Weiterbildung erreichbar, so daß die gesamte Humankapitalakkumulation gesteigert wird, was wiederum die Generierung von Innovationen und damit das Wachstum positiv beeinflußt. Über die Bedeutung der Gesundheit für das Arbeitsangebot hinaus ergeben sich zusätzlich positive Effekte im Hinblick auf die Lernfähigkeit von Kindern, wodurch Voraussetzungen für das zukünftige Bildungskapital sowie die daraus resultierende Produktivität geschaffen werden. Abbildung 2: Schematische Darstellung der Zusammenhänge zwischen Gesundheitsökonomie und Wachstumstheorie Angebot medizinischer Leistungen

Nachfrage nach medizinischen Leistungen

Gesundheit Investitionen in die Gesundheit

Humankapital

Innovationen Produktivität

Bildung

BIPWachstum

Kapital

Des weiteren wird das Wirtschaftswachstum indirekt über das Angebot sowie die Inanspruchnahme medizinischer Leistungen bestimmt. Zunächst führt die Entscheidung der Individuen hinsichtlich ihres optimalen Gesundheitskapitalstocks zu Investitionen in die Gesundheit, wodurch die Nachfrage nach Gesundheitsleistungen determiniert wird. Derartige Investitionen erhöhen den individuellen Gesundheitszustand und führen somit zu wirtschaftlichem Wachstum. Über diese Nachfrage nach medizinischen Leistungen wird deren Angebot bestimmt. Je höher also der gewünschte durchschnittliche Gesundheitszustand ist, desto mehr medizinische Leistungen werden angeboten.20 Hieraus folgt zum einen positives Wachstum

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Durch die Beschaffenheit des Gesundheitsmarktes ist es jedoch auch möglich, daß aufgrund der vorherrschenden unvollständigen Information im Gesundheitswesen das Angebot die Nachfrage bestimmt, diese

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aufgrund der Wertschöpfung des Gesundheitssektors, zum anderen werden Einkommens- und Produktionsverluste, die aufgrund von Krankheiten entstehen, gesenkt sowie die Zahl der verfügbaren Arbeitskräfte erhöht. Diesen positiven Konsequenzen einer umfassenden Gesundheitsversorgung steht jedoch die Tatsache entgegen, daß die im Gesundheitssektor gebundene Arbeitskraft sowie deren Humankapitalbestand nicht alternativ in den Produktionsprozeß eingesetzt sowie für die Akkumulation von physischem sowie Humankapital verwendet werden können (vgl. Rivera und Currais 1999, S. 761). 3.4

Die Bedeutung externer Effekte für das Gesundheitskapital

In der in Kapitel 3.3 erfolgten Darstellung des Einflusses der Gesundheit auf die gleichgewichtigen Wachstumsraten wurde der Einfluß möglicher externer Effekte auf die Gesundheit nicht berücksichtigt. Externe Effekte liegen dann vor, wenn die Handlungen von Individuum i den Nutzen eines anderen Individuums j beeinflussen, das individuelle Nutzenoptimum aufgrund nicht kalkulierbarer Einwirkungen von außen also nicht erreicht werden kann. Folglich ist der Konsum medizinischer Leistungen durch Individuum i als ein positiver externer Effekt zu verstehen, wenn sich hieraus positive Nutzenwirkungen bei Individuum j ergeben (vgl. Breyer und Zweifel 1999, S. 153). Negative Externalitäten hingegen liegen dann vor, wenn das Individuum j entsprechend einen Disnutzen erfährt. Als negativer externer Effekt zu verstehen sind beispielsweise ansteckende Krankheiten, da diese nicht nur die verfügbare gesund verbrachte Zeit eines Einzelnen beeinflussen, sondern da zusätzlich andere Personen durch die Krankheit betroffen sein können mit der Konsequenz, daß auch hier weniger ‚gesunde’ Zeit zur Verfügung steht. Somit wirkt der externe Effekt einer ansteckenden Krankheit direkt auf den Gesundheitszustand anderer Individuen. Als Konsequenz hieraus wird nicht nur der aktuelle Gesundheitszustand negativ beeinflußt, vielmehr führen negative externe Effekte zu vermehrten Investitionen in das Gesundheitskapital mit der Intention, den Gesundheitszustand wiederherzustellen, der vor der Beeinflussung durch den externen Effekt Bestand hatte. Unter bestimmten Voraussetzungen können selbst nicht ansteckende Krankheiten sowie Verletzungen als negative externe Effekte interpretiert werden, solange diese zu Arbeitsunfähigkeit führen. Liegt Vollbeschäftigung21 vor, können keine weiteren Arbeitskräfte mehr einge-

also über das optimale Maß hinaus geht. Zu der These der angebotsinduzierten Nachfrage siehe Breyer und Zweifel (1999). 21 In diesem Zusammenhang kann Vollbeschäftigung auch dann vorherrschen, wenn die Arbeitskräfte in hohem Maße immobil sind, also keine Aushilfskräfte mit identischer Qualifikation kurzfristig zur Verfügung stehen.

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stellt werden, so daß konstante Produktionsmengen nur dann erreicht werden können, wenn die Arbeitszeit ausgedehnt wird. Gleiches ergibt sich dann, wenn der Unternehmenssektor unabhängig vom Arbeitsangebot keine weiteren Arbeitskräfte nachfragt, sondern lediglich den Arbeitsumfang der bisher beschäftigten Individuen ausweitet. Führt also schlechte Gesundheit nicht nur zu einer Minderung der Produktivität, sondern darüber hinaus zu einer zeitweisen Verringerung des Arbeitsangebots (vgl. Strauss und Thomas 1998, S. 812), so muß die fehlende Arbeitszeit durch die übrigen Individuen kompensiert werden, so daß die optimale Zeitallokation, die sich aus der intertemporalen Nutzenmaximierung ergeben würde, nicht mehr erreicht werden kann. Die gesunden Individuen können nicht mehr den für sie optimalen Zeitbetrag für Investitionen in den Gesundheitskapitalstock aufwenden. Führt eine Ausweitung der Arbeitszeit c. p. zu einer Senkung der Investitionen in dem Maße, daß diese dauerhaft unter den Abschreibungen liegen, so ergibt sich hieraus eine dauerhafte Senkung des Gesundheitskapitalstocks, bis der minimale Gesundheitszustand erreicht ist bzw. unterschritten wird. Langfristig ist ein derartiges Verhalten somit nicht rational. In der kurzen Frist können die Investitionen in die Gesundheit jedoch die Abschreibungen unterschreiten, wenn die Investitionen in den Folgeperioden entsprechend die Abschreibungen übersteigen, so daß das Ausgangsniveau erneut erreicht wird. Neben den angeführten Auswirkungen auf den durchschnittlichen Gesundheitszustand und damit auf die Wachstumsraten führen positive Externalitäten zu Unterkonsum des Gesundheitsgutes auf dem Markt, da nicht nur ein Einzelner Vorteile aus der Gesundheitsvorsorge zieht, sondern da die Allgemeinheit positiv betroffen ist durch eine allgemeine Senkung des Krankheitsrisikos. In diesem Sinne verfügen Externalitäten über den Charakter eines öffentlichen Gutes, da zum einen der Konsum nicht rival ist, d.h. die Vorteile der Allgemeinheit mindern nicht den Nutzen des einzelnen, zum anderen ist kein Ausschluß anderer von den positiven Effekten möglich. Somit ist die Bereitschaft einer Beteiligung an der Bereitstellung von Gesundheitsleistungen, welche ihrerseits positive Externalitäten fördern, sehr gering, was wiederum zu dem bereits angesprochenen Minderkonsum führt (vgl. Breyer und Zweifel 1999, S. 153f.). Für die Gesundheitsversorgung ergeben sich aus diesen Überlegungen folgende Implikationen: Zum einen ist es notwendig, negative externe Effekte über ein umfassendes Angebot an medizinischen Leistungen einzudämmen, um die Auswirkungen auf den gleichgewichtigen Gesundheitszustand möglichst gering zu halten, zum anderen sind positive externe Effekte im

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Sinne von präventiven Maßnahmen zu fördern, da diese zwar nicht als Wachstumsmotor fungieren, jedoch das Wachstum positiv unterstützen (vgl. SVRKAiG 1996, Nr. 271-278). Durch Prävention können Krankheiten und damit Schäden in der ökonomischen Ressource Humankapital vermieden werden. Ein entscheidendes Problem hinsichtlich der praktischen Umsetzung einer Ausweitung präventiver Gesundheitsleistungen liegt jedoch in der mangelnden ökonomischen Bewertbarkeit der Erträge und in der Finanzierbarkeit. Aus den hier angeführten Gründen ist es notwendig, Maßnahmen, die die Gesundheit aller betreffen, staatlich anzubieten und zu finanzieren.22 Impfungen und Schutz gegen Seuchen sind hierfür sinnvolle Beispiele. Aufgrund der positiven Wirkungen derartiger Maßnahmen auf die Wachstumsrate erscheint es zudem sinnvoll, private Maßnahmen durch Anreizsysteme und Förderungsmaßnahmen zu unterstützen bzw. Unterlassungen dementsprechend zu sanktionieren.

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Zusammenfassung und Ausblick

Die vorliegende Arbeit analysiert im wesentlichen die Auswirkungen der Gesundheit sowie der Nachfrage nach Gesundheitsleistungen auf das wirtschaftliche Wachstum. Je höher die Zuwachsraten des Einkommens sind, desto mehr finanzielle Mittel stehen für die Gesundheitsleistungen zur Verfügung, durch die wiederum das durchschnittliche Gesundheitsniveau der Bevölkerung positiv beeinflußt werden kann (vgl. hierzu Parkin et al. (1987) sowie Hitiris und Posnett (1991)). Es ist zu erwarten, daß ein Anstieg des Einkommens die Gesundheit sowohl in physischer als auch in psychischer Hinsicht signifikant erhöht (vgl. Ettner (1996)). Neben den in dieser Arbeit angeführten Zusammenhängen zwischen Gesundheit und wirtschaftlichem Wachstum ergeben sich weitere Fragestellungen, die an dieser Stelle nicht näher betrachtet werden können. Auch wenn die Höhe der Gesundheitsausgaben bereits als Determinante des Wirtschaftswachstums dargestellt wurde, so bleibt die Frage unbeantwortet, wie sich die demographische Entwicklung und das damit verbundene double aging-Problem auf die einzelnen Wachtumsraten auswirkt. Je höher der Anteil der im Rentenalter befindlichen Bevölkerung ist, desto weniger Ausgaben werden für die individuelle Gesundheitsproduktion und damit für eine Erhöhung der Produktivität der Arbeitskräfte aufgewendet und desto höher ist derjenige Anteil der Ausgaben, der ohne Auswirkungen auf das Arbeitsangebot und damit

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Eine generelle Finanzierung durch den Staat ist jedoch nicht angebracht, wenn nur bestimmte Gruppen aufgrund ihres Risikoverhaltens gefährdet sind und leicht Vorsichtsmaßnahmen durch den Einzelnen wie im Fall von AIDS getroffen werden können (vgl. Breyer und Zweifel 1999, S. 154).

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auf die Wachstumsraten bleibt. Auch hinsichtlich der Bemühungen im deutschen Gesundheitswesen, die Ausgaben durch Reformen zu senken oder zumindest auf konstantem Niveau zu halten, können sich negative Auswirkungen auf das Wachstum ergeben, werden diese nicht über eine Steigerung der Effizienz, sondern über eine Beschränkung des Angebots medizinischer Leistungen erreicht, da hierdurch auch der durchschnittliche Gesundheitskapitalbestand negativ beeinflußt werden kann (vgl. Crémieux et al. 1999, S. 628). Dem technischen Fortschritt wird in den wachstumstheoretischen Modellen zumeist eine wachstumsunterstützende, wenn auch nicht –induzierende Funktion zugeschrieben. Es bleibt daher zu untersuchen, inwiefern sich Innovationen im Gesundheitswesen auf die Gesundheitsproduktion sowie die Bildung und damit auf den Produktionsfaktor Humankapital auswirken, inwieweit die Bildung die Gesundheitsproduktion auf einzelwirtschaftlicher Ebene beeinflußt und welche Implikationen sich hieraus für eine Betrachtung der Humankapitalakkumulation auf aggregierter Ebene sowie für die damit verbundenen Wachstumsraten ergeben.

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