Geht in alle Welt! Gegen den Weltuntergang Die Kirche muss präsent sein. Aus der Vision heraus leben Die ersten deutschen Franziskaner in Chicago

February 7, 2017 | Author: Erna Steinmann | Category: N/A
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Geht in alle Welt !

Missionsarbeit der deutschen Franziskaner Gegen den Weltuntergang – Die Kirche muss präsent sein Aus der Vision heraus leben – Die ersten deutschen Franziskaner in Chicago »Wilde Tiere, Schlangen und gefährliche Indianer« – Fuldaer Franziskaner im Mato Grosso Brasiliens In Deutschland muss es schön sein – Christsein in Taiwan

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Franziskaner Mission 2 | 2010



Geht in alle Welt!

Inhalt 3 Editorial

20 Der »Chef« Porträt des Franziskanermissionars Pater Heribert Rembecki

von Br. Augustinus Diekmann ofm

von P. Erich Löher ofm

4 Missionarisch Kirche sein Den Weg der Bekehrung gehen

22 Der Mechaniker Bruder Bruno bekam jedes Auto wieder flott

von Dr. Jürgen Lohmayer

6 90 todesmutige Brüder meldeten sich Wie die ersten Franziskaner nach Deutschland kamen »Interview« von Thomas M. Schimmel mit Br. Jordan von Giano

von P. Heribert Rembecki ofm

23 Der Arzt Bruder Klaus heilt Leib und Seele von Helga Berbuir

8 Gegen den Weltuntergang Die Kirche muss präsent sein Interview von P. Leopold Scheifele mit Pfarrer Robert Hof

24 Der Wissenschaftler Pater Theobald übersetzte die Bibel ins Chinesische von P. Hermann Schalück ofm

10 DDR in der Karibik Drei Jahre als Missionar in Kuba

26 In Deutschland muss es schön sein Christsein in Taiwan

von Br. Frank Hartmann ofm

12 Aus der Vision heraus leben Die ersten deutschen Franziskaner in Chicago von Br. Michael Perry ofm

14 Durch Bismarck nach Amerika Franziskaner aus Fulda in New York und Colorado von Anke Chávez

15 Wie Los Angeles zu seinem Namen kam Die Namensgebung in Kalifornien von Br. Natanael Ganter ofm

von P. Herbert Schneider ofm

27 Zwischen Tradition und Moderne Mission in Japan von Anke Chávez

28 Neue Perspektiven für Häftlinge und Prostituierte Franziskanermission in Westafrika von Anke Chávez

29 Wer missioniert eigentlich wen? Mission aus der Sicht einer Missionarin auf Zeit von Sandra Gotzhein

16 Mittelseite Missionare im Ausland Claudia Schmitz

31 Projekt

18 »Wilde Tiere, Schlangen und gefährliche Indianer« Fuldaer Franziskaner im Mato Grosso Brasiliens

31 Impressum

von P. Bernhard Hans Dettling ofm

Personalia Drei Missionare sind Ostern von Brasilien nach Deutschland gekommen, um an dem Abschiedstreffen ihrer Heimatprovinz Saxonia vom 6. bis 9. April 2010 in Haus Ohrbeck, Georgsmarienhütte, teilzunehmen. Es war die letzte Versammlung der Saxonia, die sich Anfang Juli 2010 zusammen mit der Thuringia, der Colonia und der Bavaria zu der gemeinsamen Deutschen Franziskanerprovinz von der Heiligen Elisabeth zusammenschließen wird. Die drei Missionare nutzten die Gelegenheit, mehrere Tage in der Franziskaner Mission in Dortmund zu verbringen und dort von den neuesten Neuigkeiten aus Brasilien zu berichten.

Pater Anton Schauerte (links), der im Januar in die Provinzleitung von Bacabal gewählt wurde, war vom 5. April bis 24. Mai in Deutschland. Als Provinzökonom sorgt er dafür, dass die Spendengelder, die Claudia Schmitz von der Franziskaner Mission, Dortmund, in regelmäßigen Abständen nach Bacabal überweist, in den jeweiligen Projekten der Provinz ankommen. Pater Heribert Rembecki (Mitte) ist seit dem 29. März auf Heimaturlaub und bleibt

noch bis zum 26. Juli. Nachdem auch er lange Zeit in der Provinzleitung tätig war, ist er seit Anfang dieses Jahres Seelsorger in der Pfarrei Nossa Senhora da Gloria in São Luís. Außerdem leitet er dort den Franziskanerkonvent als Hausoberer und Hausökonom. Pater Fritz Zillner (rechts) ist am 4. April in Deutschland angekommen und kehrt am 2. Juli nach Brasilien zurück. Er ist als Hausoberer und Seelsorger in Lago da Pedra tätig.

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Franziskaner Mission 2 | 2010

Editorial Liebe Leserinnen, liebe Leser, liebe Freunde der Franziskaner Mission,

aus vier mach eins – so könnte man salopp die Vereinigung der vier deutschen Franziskanerprovinzen am 1. Juli umschreiben. Neben den 380 Franziskanern in der neuen Deutschen Provinz von der Heiligen Elisabeth gibt es noch 44 Missionare, die sich in neun Ländern auf vier Kontinenten engagieren. Auf der Mittelseite dieser Ausgabe finden Sie ihre Namen und die Orte, an denen sie den biblischen Missionsauftrag »Geht in alle Welt!« erfüllen. Die Franziskaner Mission freut sich über die Horizonterweiterung, die mit der Vereinigung einhergeht. Hatte bisher jede der vier deutschen Provinzen vor allem die Armen in ihren jeweiligen Missionsgebieten im Blick, so kann in

Franziskaner Mission Franziskanerstraße 1, 44143 Dortmund Telefon 02 31/17 63 37 5 Fax 02 31/17 63 37 70 [email protected] www.FranziskanerMission.de

Zukunft die gebündelte missionarische Kraft alle deutschen Franziskaner und ihre Freundeskreise bereichern. Gerne möchten wir Sie an dieser Bereicherung teilhaben lassen. Deshalb stellen wir Ihnen in dieser Ausgabe beispielhaft Leben und Arbeit von Missionaren in verschiedenen Ländern vor. Was sie alle untereinander und mit uns verbindet, ist das missionarische Wesen unserer Weltkirche. Nach dem neuen Verständnis von Mission sind wir Christen eingeladen, in einen weltweiten Dialog zwischen Kulturen und Religionen einzutreten. Das missionarische Engagement der deutschen Franziskaner in Geschichte und Gegenwart kommt uns dabei sehr entgegen. Ehemalige Einbahnstraßen verwandeln sich so in ein lebendiges gegenseitiges Geben und Nehmen. Auch Deutschland war ursprünglich franziskanisches Missionsgebiet. Die ersten Brüder, die Franziskus dorthin ausgesandt hatte, scheiterten, weil sie die Sprache und Kultur jenseits der Alpen nicht verstanden. Aus dieser Erfahrung lernen wir, wie wichtig es ist, sich auf die Begegnung mit Menschen anderer Länder gut vorzubereiten. Nur so sind Dialog und gegenseitiger solidarischer Respekt möglich.

Spenden erbitten wir, unter Angabe des Verwendungszwecks, auf das Konto 5100, Volksbank Hellweg eG (BLZ 414 601 16) oder Konto 34, Sparkasse Werl (BLZ 414 517 50). Dieser Ausgabe liegt eine Zahlkarte bei.

Durch die Nachwuchskrise in den Orden geht auch die Zahl der deutschen Missionare in anderen Ländern zurück. Aber dankbar und hoffnungsvoll blicken wir auf den jeweils einheimischen Ordensnachwuchs. Ehemalige Missionsgebiete wurden und werden zu eigenständigen Ortskirchen. Und Deutschland? Wer missioniert heute eigentlich wen? Eine Antwort gibt der Franziskanische Freiwilligendienst. Immer mehr junge Menschen hierzulande bereiten sich auf ein längeres Mitleben in unseren Partnerprojekten vor. Mit der Freude am Glauben, die sie dort von den Armen lernen, beleben sie nach ihrer Rückkehr die Kirche in Deutschland. Durch einen Dialog auf Augenhöhe gewinnen christliche und franziskanische Werte ein neues Gesicht, das der afrikanisch geprägte Sonnengesang des heiligen Franziskus auf der Rückseite dieser Ausgabe zeigt. Diese Horizonterweiterung, die auch die jungen Freiwilligen in unseren Projekten erleben, wünsche ich der neuen Deutschen Franziskanerprovinz und uns allen. Ihr Br. Augustinus Diekmann ofm Leiter der Franziskaner Mission

Titel: Deutsche Franziskanermissionare sind in vielen Ländern tätig. Fotos v. l. n. r.: Die Taufe als Einführung in das christliche Leben, die Eucharistie als dessen Zentrum und die franziskanische Präsenz unter den Armen.

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Geht in alle Welt!

Missionarisch Kirche sein Den Weg der Bekehrung gehen »Mission« ist gegenwärtig wieder in aller Munde. Jede Firma, die etwas auf sich hält, formuliert ihr »Mission Statement«. Und auch im kirchlichen Bereich hat sich in den letzten Jahren einiges getan. Erwähnt seien hier nur die Texte der Deutschen Bischofskonferenz: »›Zeit zur Aussaat‹. Missionarisch Kirche sein« (2000) und »Allen Völkern Sein Heil. Die Mission der Weltkirche« (2004) sowie die Gründung des Instituts für Weltkirche und Mission im letzten Jahr in St. Georgen. Sowohl im säkularen wie im religiösen Kontext erfährt der Begriff »Mission« eine Renaissance, wobei der Begriff meistens positiv besetzt ist. Trotz dieser scheinbaren Blüte der Rede von Mission bin ich der Meinung, dass ein zeitgemäßer und zukunftsfähiger Begriff von »Mission« derzeit fehlt. Diesem Manko möchte ich durch meine Analyse Abhilfe schaffen.

Mission – neue Perspektiven

Sowohl im säkularen als auch im religiösen Bereich wird der Begriff in einem Sinn verwendet, als ob »Mission« tatsächlich so etwas wie eine Einbahnstraße wäre, so, als ob nur in eine Richtung gesprochen würde; und dass in einer Sprache geredet wird, von der wie selbstverständlich angenommen wird, dass sie allen verständlich ist. Oder etwas salopp gesagt: Auf der einen Seite ist etwas, das auf die andere Seite muss. Die einen haben etwas, was den anderen noch fehlt. Der andere wird von einem Mangel her begriffen. Das Gegenüber wird als Mängelwesen erfasst. Ihr oder ihm fehlt in den Augen der Wirtschaft die richtige Marke – oder aus der Perspektive der Kirche die richtige Religion. Das heißt, die Art der Beziehung ist gekennzeichnet durch ein Ungleichgewicht, ein Wert-Gefälle, ein Oben und Unten, eine Hierarchie in Form einer heiligen Ordnung. »Missionieren« oder »missionierend sein« in diesem Sinne stellt einen einseitigen

Kommunikationsakt dar, einen Monolog, der versucht, den anderen zunächst von seinem Mangel zu überzeugen und anschließend eine Veränderung dieses Mangelzustands herbeizuführen. Demgegenüber verstehe ich »missionarisch sein« als ganzheitliche Haltung, die nicht bei dem Mangel des anderen ansetzt, sondern an dessen Gleichwertigkeit. Der andere ist Ebenbild Gottes, genau wie ich. Mit dieser Einstellung begegne ich dem anderen auf Augenhöhe und kann ihn so trotz seiner Andersheit schätzen. Diese Haltung ermöglicht die Fähigkeit, Differenz nicht aufheben zu wollen, sondern Pluralität als Realität anzuerkennen und auszuhalten. Wo bin ich wer für wen? Es gibt unzählige Beziehungen, denen ich nicht ausweichen kann und ohne die ich meine eigene Identität nicht ausbilden kann. Die Frage lautet nicht länger: »Wer bin ich?«, sondern »Wo bin ich wer für wen?«. Ich bin Vater nicht ohne meine Tochter. Dieses notwendige »Mit-anderen-in-Beziehung-stehen« fasse ich unter den Begriff der »Verortung«. Gefordert ist eine gesamtheitliche Haltung des Subjekts in Bezug auf den anderen. Der andere als ein mir zunächst fremder »Ort« gewinnt für meine Identitätsbildung konstitutive Bedeutung. Missionarisch sein Missionarisch sein meint eine entsprechende Methode oder eine entsprechende methodische Haltung. Sie bedeutet zuallererst eine Bekehrung des eigenen Selbsts. Ohne vielfältige Beziehungen zu anderen Menschen kann ich auch meine religiöse Identität nicht gewinnen. Missionarisch sein heißt, den Weg der eigenen Bekehrung zu gehen, sich vom anderen etwas sagen lassen, von ihm her identifizierbar, das heißt an ihm neu sprachfähig zu werden. Dies gilt für den einzelnen als Kirche wie für die Kirche als Volk Gottes insgesamt.

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Missionsverständnis des Konzils Das Zweite Vatikanische Konzil hat mit seinen zwei Kirchenkonstitutionen Lumen gentium und Gaudium et spes zum einen Kirche als prinzipiell polare Größe verortet: Kirche ist Kirche in der Welt von heute. Zum anderen begreift das Konzil »Kirche« als personale Größe, als Gemeinschaft des Volkes Gottes, als geistliche Gemeinschaft und weltliche Versammlung, zu der alle Menschen berufen sind – jenseits einer Bestimmung rein institutioneller Art. Diese Neuausrichtung bedeutet: Kirche in ihrer Kirchlichkeit, als Leib Christi, bedarf der Verortung in der Welt von heute. In diesem präzisen Sinn gibt es Kirche nicht, ohne Kirche in der Welt von heute zu sein. Dieses Prinzip möchte ich anhand der Frage »Wer sendet wen warum wohin?« weiter verdeutlichen.

das habt ihr mir getan.« (Mt 25, 40). Jünger ist, wer in diesem Sinne, das heißt »missionarisch« handelt. Wer so handelt, der steht in der Nachfolge Jesu und wird zu einem zweiten Christus. Die Tat bringt den neuen Menschen hervor, der beim Gericht als Gerechter anerkannt werden wird. Die Hinwendung zum Nächsten ist die eschatologisch relevante Größe, das was letztlich zählt, das, worauf es ankommt.

Als Hörer sprachlos werden Der Auferstandene selbst, der bis ans Ende der Welt bei uns ist, er zeigt sich als der andere, der Arme, der Fremde. Dieser Christus ist es, den ich den unbekannten Christus nenne. Dieser Christus ist gerade dort, wo man ihn gar nicht vermutet, hier und jetzt; bis zum Ende der Welt ist er gegenwärtig im Armen, im Hungernden, im Gefangenen, im Aids-Kranken, im HomoWer sendet? sexuellen. Man muss sich zu diesem Wer sendet? Wir kennen den »Ort«, an dem man ihm begegnen Missionsauftrag Jesu, mit dem das kann, auf den Weg machen. Der Matthäus-Evangelium endet: »Geht Gesendete muss also zunächst seinen zu allen Völkern und macht sie zu bisherigen »Ort« verlassen, das heißt, meinen Jüngern!« (Mt 28,19). Es ist er muss seine als Sicherheit gebenden der Auferstandene, der dort spricht Verhältnisse, seine Denk- und Handund gleich anschließend die Zusage lungsgewohnheiten verlassen. Mit gibt: »Seid gewiss: Ich bin bei euch anderen Worten: Der Gesendete muss alle Tage bis zum Ende der Welt.« sprachlos und zum Hörer werden. Er (Mt 28,20). Dieser Auferstandene sen- muss bereit werden, sich etwas sagen det. Und genau dieser Auferstandene zu lassen. ist es auch, der in der Weltgerichtsszene als der Menschensohn kommt Ziel von Mission: und darüber befindet, was letztlich Heil des ganzen Menschen zählt, nämlich: den Hungernden zu Mittelpunkt des missionarischen essen und den Durstigen zu trinken Wirkens ist, wie das Zweite Vatikazu geben, die Fremden und Obdachnische Konzil in seiner Pastoralkonlosen aufzunehmen, die Kranken und stitution Gaudium et spes festhält, die Gefangenen zu besuchen und die »der eine und ganze Mensch, mit Armen zu bekleiden (Mt 25, 31-46). Leib und Seele, Herz und Gewissen, Vernunft und Willen.« (Gaudium et Wen sendet Jesus? spes, Art. 3) Es geht also nicht mehr Jesus sendet »seine Jünger«, bzw. bloß um das Heil der Seele, sondern all diejenigen, die als seine Jünger um das Heil des ganzen Menschen, bezeichnet werden. Doch wer ist ein um seine ganzheitliche Befreiung. Jünger oder eine Jüngerin, wodurch Daher ist es notwendig, sich auch zeichnet sich Jüngersein aus, wie am Aufbau einer Gesellschaft zu wird man eine Jüngerin oder ein beteiligen, die ihren Mitgliedern ein Jünger Jesu? Jesus selbst gibt die Ant- Leben in Gerechtigkeit und Frieden wort: Auf die Fragen »Wann haben ermöglicht. Um diesen Dienst leisten wir dich nackt gesehen, besucht, zu können, spricht das Konzil von der getröstet etc.« sagt er: »Was ihr einen Notwendigkeit des Dialogs mit der meiner geringsten Brüder getan habt, Welt. Die Dokumente zur Religions-

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freiheit und zu den nichtchristlichen Religionen sind daher nicht negativ, abgrenzend formuliert, sondern positiv und dialogisch. Kirche bringt sich nicht länger nur als exklusive Größe, als »Religionsgemeinschaft« auf den Begriff, sie bestimmt sich also nicht länger nur von sich selbst her. Wo ein Dienst für die Welt und in der Welt geleistet wird, da muss Kirche präsent sein. Während des Zweiten Vatikanischen Konzils formuliert die Kirche im Dekret über die Missionstätigkeit der Kirche ihr neues Selbst- und Missionsverständnis. Sie leitet ihr Wesen von ihrer Sendung her ab und spricht von sich als der pilgernden Kirche, die ihrer Natur nach missionarisch, das heißt als Gesandte unterwegs ist (Ad Gentes Art. 2). Die Kirche selbst versteht sich also als Gesandte. Aber wohin? Aus »Mission« wird gewissermaßen »Mission und …« Die Leerstelle verkörpert den mir fremden »Ort«, den anderen. Ohne diese Leerstelle geht nun nichts mehr. Der Weg zum anderen, er bedeutet einen Weg der Bekehrung zu gehen – es ist der Weg von der missionierenden Kirche weg zum missionarisch sein der Kirche. Nur wer diesen Weg einschlägt, ist zu einem Dialog der Religionen wirklich fähig. Soll Kirche vor Ort überhaupt entstehen können, bedarf es jener Haltung. Kirche ist missionarisch, oder sie ist nicht Kirche.

Dr. Jürgen Lohmayer Dr. Lohmayer ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Missionswissenschaft in Würzburg.

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90 todesmutige Brüder meldeten sich Wie die ersten Franziskaner nach Deutschland kamen

Franziskanische ITINERANZ = unterwegs zu den Menschen

Heute senden die deutschen Franziskaner Brüder und Freiwillige nach Lateinamerika, Afrika und Asien. Doch wie kamen eigentlich die Franziskaner nach Deutschland? Gespräch mit Bruder Jordan von Giano, der damals dabei war. Lieber Bruder Jordan, wie kommt es, dass Sie 1221 als Italiener zu den ersten Franziskanern gehörten, die nach Deutschland kamen? Bruder Jordan: Wir waren gar nicht die Ersten! Nein? Bruder Jordan: Zwei Jahre vor unserer Mission, im Jahr 1219, war schon mal eine Gruppe von etwa 60 Brüdern in Deutschland. Aber sie sind unverrichteter Dinge zurückgekommen.

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Warum? Bruder Jordan: Sie waren schlecht vorbereitet. Als sie, unkundig der deutschen Sprache, deutsches Gebiet betraten und gefragt wurden, ob sie Unterkunft oder Essen oder sonst etwas wünschten, antworteten sie mit »Ja«; und so wurden sie von einigen freundlich aufgenommen. Da sie merkten, dass man sie wegen dieses Wortes »Ja« freundlich behandelte, nahmen sie sich fest vor, auf alle Fragen mit »Ja« zu antworten. Daher geschah es, dass sie auf die Frage, ob sie etwa Häretiker seien auch mit »Ja« geantwortet haben. Können Sie sich vorstellen, was geschah? Oh, ja! Bruder Jordan: Einige wurden geschlagen, einige eingekerkert, andere entkleidet und nackt vor den Stadtrichter

geführt und dienten den Leuten zum kurzweiligen Schauspiel. Wegen dieses Vorgangs hielten die Brüder Deutschland für so grausam, dass sich nur solche dorthin zurückzugehen wagten, die von der Begierde nach dem Martyrium beseelt waren. Das Projekt Deutschlandmission war damit auf Eis gelegt. Bruder Jordan: So ist es. Beim Generalkapitel zwei Jahre später wurde ein neuer Versuch gestartet. Mit sprachkundigen Brüdern? Bruder Jordan: Ja. Bruder Franziskus lernte auf seiner Nahostreise den deutschen Bruder Caesar von Speyer kennen, den Bruder Elias in Syrien in den Orden aufgenommen hatte. Caesar kam mit nach Assisi und wurde später der Missionsleiter

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und erste Provinzialminister der deutschen Provinz. Franziskus berief gleich nach seiner Rückkehr zu Pfingsten 1221 ein Generalkapitel ein. Das war damals eine Art Kirchentag. Bruder Jordan (lacht): Ja. Alle Brüder und auch die Novizen waren eingeladen, an den wichtigen Entscheidungen für den Orden mitzuwirken. Ein großes Treffen mit über 3.000 Brüdern bei der Portiunkula unterhalb von Assisi. Großartige Stimmung! Und das alles nur, um Brüder nach Deutschland zu schicken? Bruder Jordan: Nein. Erst als das Kapitel schon geschlossen werden sollte, fiel es dem seligen Franziskus ein, dass der Orden noch nicht in Deutschland Boden gefasst habe. Aber Deutschland galt doch als grausam, wie Sie eben sagten. Bruder Jordan: Ja, aber Franziskus hatte inzwischen auch Deutsche getroffen. Er ließ Bruder Elias sagen, dass »Deutschland eine Gegend sei, wo fromme Christenmenschen leben.« Überzeugte das die Brüder? Bruder Jordan: Ja und nein. Franziskus wusste ja von den Misshandlungen, und darum sollte kein Bruder gezwungen werden, nach Deutschland zu gehen. Wie viele haben sich denn dann freiwillig gemeldet? Bruder Jordan: Na, immerhin etwa neunzig Brüder traten todesmutig beiseite und warteten auf die Entscheidung, welche und wie viele, wie und wann sie aufbrechen sollten. Bewarben Sie sich auch für diesen Freiwilligendienst? Bruder Jordan: Nein! Ich wollte auf keinen Fall nach Deutschland. Sie sind aber hierhergekommen! Bruder Jordan: Ja. Eine merkwürdige Geschichte. Ich war der Ansicht, die Brüder würden von den Deutschen gemartert werden und wollte sie unbedingt vorher kennenlernen. Ich dachte, es sei eine große Ehre, im Falle sie würden Märtyrer werden, sagen zu können: »Den hab ich gekannt und jenen hab ich auch gekannt.« Aber als ich in der Gruppe einen Bruder Namens Palmerius traf ergriff er mich an

Bruderschaft in Mission

der Hand und fügte hinzu: »Du selbst gehörst auch zu uns und wirst mit uns gehen«. Das passierte mir, der ich schon vor dem Namen der Deutschen Grauen empfand. Dank Ihrer Gruppe gibt es seit fast 800 Jahren Franziskaner in Deutschland! Bruder Jordan: Ja, das freut mich sehr und dafür ist nicht uns, sondern Gott zu danken. Wie ging es denn dann weiter? Bruder Jordan: Wir waren am Ende im ganzen zwölf Kleriker und 15 Laien. Einige Deutsche waren unter uns – ich erinnere mich nicht an alle Namen: Bruder Barnabas, Bruder Konrad oder Bruder Benedikt aus Soest – und natürlich unser Provinzialminister und Missionsleiter Bruder Caesar. Sprachlich waren wir also bestens gerüstet. Drei Monate nach dem Kapitel brachen wir in kleinen Gruppen auf und kamen unter großen Mühen über Trient, Bozen, Brixen zu unserer ersten Station in Deutschland, nach Augsburg ...

In Augsburg fand dann auch das erste deutsche Provinzkapitel statt? Bruder Jordan: Ja, am 16. Oktober 1221 mit 30 Brüdern. Da wurden die ersten Weichen für die schnelle Ausbreitung des Ordens in Deutschland gestellt … … was eine lange Geschichte ist, die an anderer Stelle erzählt werden soll. Sie haben ja darüber ein Buch geschrieben, dass allen Leserinnen und Lesern der Franziskaner Mission empfohlen werden kann. Danke, lieber Bruder Jordan, für dieses Gespräch. Bruder Jordan: Immer gerne.

Das »Interview« führte unser Redaktionsmitglied Thomas M. Schimmel. Die kursiv gesetzten Passagen sind Originalzitate aus »Die Chronik des Bruders Jordan von Giano« in Hardick, Lothar (Hg.): Nach Deutschland und England – Die Chroniken der Minderbrüder Jordan von Giano und Thomas von Eccleston (Franziskanische Quellenschriften Band 6), Werl 1957

… und trafen dort erstmalig auf die grausamen Deutschen. Bruder Jordan (lacht): Sehr grausam. Der Bischof von Augsburg war von so großer Zuneigung zu uns Brüdern ergriffen, dass er jeden von uns mit einem Friedensgruß empfing und mit einem Kuss auch entließ. Der Domherr aber empfing uns mit solchem Wohlwollen, dass er sein Amtsgebäude verließ und uns dort unterbrachte. Übrigens wurden wir auch vom Klerus und vom Volk freundlich Neue Gesamtausgabe der Franziskanischen Quellenschriften, Butzon & Bercker 2010. aufgenommen und ehrerbietig gegrüßt. 7

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Gegen den Weltuntergang Die Kirche muss präsent sein Seit gut 100 Jahren engagieren sich bayerische Missionare in Bolivien. Mit der Verkündigung des Evangeliums verbinden sie ihren Einsatz zur Verbesserung der Lebensbedingungen der Menschen. Wie dies konkret aussieht, wird in folgendem Interview von Pater Leopold Scheifele mit Pfarrer Robert Hof deutlich, der seit 2007 in Bolivien wirkt. Robert, Du hast als Priester der Erzdiözese München und Freising ein bewegtes Leben hinter Dir. Drei Jahre als Kaplan in den schönen Bergen von Garmisch, fünf Jahre als Jugendpfarrer im Landkreis Fürstenfeldbruck und geistlicher Leiter der Katholischen Jungen Gemeinde KJG – wie kamst Du von alledem auf Bolivien? Pfarrer Robert Hof: Schon in der Pfarrjugend in Dachau, meiner Heimat, haben wir immer für Bolivien gesammelt. Da gab’s Aktionen wie »Rumpelkammer« und Robert Hof tauft ein bolivianisches Kind.

»Minibrot«, und der Erlös dieser Aktionen war oft für Projekte in Bolivien bestimmt. Gelegentlich hat uns auch ein Missionar aus Bolivien in der Jugendstelle besucht. Da hat es mich total fasziniert, diese Berichte zu hören, die Bilder zu sehen; ich habe mich dann weiter mit dem Land beschäftigt. Die Möglichkeit, das Land und seine Leute persönlich kennenzulernen, ergab sich dann während meines Studiums, und zwar im Rahmen des Freijahres nach dem Vordiplom. So kam ich 1991/92 nach Cochabamba, ins Hochland von Bolivien, wo ich zunächst im Seminar der Steyler Missionare gewohnt habe. Dann aber wollte ich mehr das Leben der Bolivianer teilen und bin an den Stadtrand gezogen. Dort habe ich in einer Lehmziegelhütte gelebt, mit Wellblechdach, ohne fließendes Wasser. Es gab nur alle vier Tage frisches Wasser, aus einem öffentlichen Wasserhahn. Mit Kanistern, mit Eimern, mit Kochtöpfen haben wir

es aufgefangen, um unsere Regentonne damit zu füllen. Die Toilette war auf der anderen Straßenseite, mehr oder minder in der Öffentlichkeit. Das Leben in einer Basisgemeinde hat mich sehr geprägt: Tagsüber zu studieren und die Nachmittage und Abende zusammen mit den Leuten dort in den »Favelas« zu verbringen! Ich habe heute noch Kontakt zu meiner Gastfamilie. Das war eine richtige bolivianische Großfamilie, die mich beherbergt hat. Zum Schluss haben sie mich wie ein Familienmitglied behandelt; das hat geprägt. Und jetzt bist Du schon seit drei Jahren fest in unserer Bolivienmission eingesetzt, bei Bischof Antonio Reimann in Concepción. Wie bist du an diesen Einsatz gekommen? Bei dem Priestermangel in Deutschland dürfte das nicht leicht sein. Pfarrer Robert Hof: Ja, Du hast Recht, es ist nicht mehr so leicht. Glücklicherweise habe ich Fürsprecher im Bistum gefunden. Entscheidend war dann die Zustimmung von Erzbischof Reinhard Marx, der damals gerade von Trier nach München kam. Zwischen dem Bistum Trier und Bolivien besteht eine Partnerschaft, und Bischof Marx war selbst schon einige Male in Bolivien gewesen. Er hat mich schließlich zum Gespräch eingeladen und am Ende dieses Gesprächs erteilte er mir die Freistellung für fünf Jahre. Ich war überglücklich. Mittlerweile bist Du schon drei Jahre in Bolivien. Was hast Du in dieser Zeit erlebt? Wie konntest Du schon missionarisch wirken? Pfarrer Robert Hof: Die ersten drei Monate war ich in San Julián, um mich ein bisschen einzuleben – an der Seite meines Landsmanns Pfarrer Josef Schicker. Dann hat mich Bischof Antonio Reimann nach Concepción geholt. Concepción hat als ehemalige Jesuitenreduktion eine ganz eigene Geschichte. Nach den großen Restaurierungsarbeiten unter Bischof Antonio Eduardo Bösl wurde die Kathedrale von Concepción

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Projekt »Häuser ...

... statt Hütten«

zusammen mit vier weiteren Jesuitenkirchen zum Weltkulturerbe der Menschheit erklärt. Damit konnte ich zunächst nichts anfangen, ich wollte doch zu den einfachsten und zu den ärmsten Leuten gehen! Nun aber freue ich mich doch über den kulturellen Reichtum von Architektur, Kunst und Musik, über das Archiv und das Orchester. All das fördert das Selbstbewusstsein der Chiquitanos (Anmerkung der Redaktion: indigene Volksgruppe), was außerordentlich wichtig ist für eine gute wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung. Und wie sieht es auf der anderen Seite aus – bei den Armen? Pfarrer Robert Hof: An den Rändern der Stadt, abseits des touristischen Zentrums, befinden sich die Armenviertel. Dort leben die Menschen in einfachen Bretterverschlägen, mit einem einfachen Strohdach darüber. Da gibt es ganz, ganz einfache Leute, und da muss die Kirche präsent sein und auch ein soziales Handeln an den Tag legen! Wir können den Menschen nicht die Liebe Gottes verkünden, wenn wir sie gleichzeitig in menschenunwürdigen Zuständen leben lassen. Die Kirche muss beides tun: das Evangelium verkünden und soziale Werke schaffen.

Die Menschen brauchen also erst einmal menschenwürdige Wohnbedingungen? Pfarrer Robert Hof: Ja. Genau darum geht es in unserem Projekt »Häuser statt Hütten«! Die Stroh- oder Palmdächer, der gestampfte Erdboden – das alles bringt große Gefährdungen der Gesundheit mit sich. In diesen Dächern, auch im Boden, hausen Insekten, die Krankheiten übertragen; da gibt es Insekten, die unter die Haut kriechen und sich dort einnisten, die sogar die inneren Organe angreifen. Davor sollen die Menschen geschützt werden. Mit dem Projekt »Häuser statt Hütten« wollen wir den Leuten aber auf keinen Fall etwas Fertiges hinstellen, in Form eines Almosens. Die aktive Mitarbeit und der echte Wille einer Familie sind wichtige Voraussetzungen. Die Leute müssen den ernsten Willen zur Mitarbeit haben, selbst Lehmziegel formen, selbst Holz suchen für die Balken – gegebenenfalls unter Anleitung eines Maurers, den die Pfarrei unterhält. Wenn sie mithilfe der Pfarrei schöne Dachziegel bekommen, Fenster, Zement, dann kann man dort sehr schöne einfache Häuser bauen, in denen die Menschen unter hygienisch-vernünftigen Bedingungen leben können. Die Häuschen sind durch und durch im Stile der ChiquitanoKultur gebaut, dazu gehören die weiten Vordächer, die vor Sonne und Regen schützen und sich harmonisch in die Landschaft einfügen. Du hast einmal gesagt: »Erst kommen die Häuser, dann kommt die Kirche.« – Die Einweihung der neuen Kirche ist der krönende Abschluss für eine neue Siedlung. Allerdings gibt es vor dem Kirchbau bereits Versammlungsräume. Können diese auch als Gottesdiensträume dienen? Pfarrer Robert Hof: Auf jeden Fall! Ein einfaches Pfarrzentrum sieht so aus: Es ist ein fest gemauertes, verschließbares Haus mit einem ordentlichen Dach darüber. Darin befindet sich eine Tafel für Bildungsmaßnahmen, darin wird Gottesdienst gefeiert, da treffen sich die Frauen, es ist also ein Vielzweckraum in aller Einfachheit.

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Als zweiten Projektschwerpunkt hast Du soeben den Bereich der Bildung genannt. Kannst Du die Situation etwas genauer schildern? Pfarrer Robert Hof: Generell muss ich sagen, Bolivien ist so ein junges Volk und dieses junge Volk braucht Bildung, und zwar qualitätsvolle Bildung. Es fehlen Lehrer, es fehlen Ausbilder, es fehlen Fachleute. Es geht darum, diesem jungen Volk zur Selbstständigkeit zu verhelfen, indem es eine gute Bildung genießen darf und dann auch selbst gute Lehrer und Ausbilder hervorbringt. Vor allem gilt es, in Bildung zu investieren. Das gilt auch für unsere Pfarreien. Auch unsere Katechisten müssen ausgebildet werden. Wenn wir nicht in gutem Kontakt mit den Katechisten sind, wenn wir sie nicht wenigstens zweimal im Jahr mit gut vorbereiteten Kursen ausbilden, dann können sie nicht die Stellung halten auf den Dörfern draußen. Dann greifen Hunderte von Sekten an und verwirren die Leute. Die Sekten hier predigen den Weltuntergang. Das nehmen unsere Leute an, und dann geht auch in den Projekten nichts mehr voran. Deshalb brauchen unsere Katechisten sehr gute Kurse. Mit anderen Worten: Ihr verkündet mit Euren Projekten den Weltaufgang im Gegenzug zum von den Sekten verkündeten Weltuntergang? Pfarrer Robert Hof: Ja, das kann man wohl sagen! Darin unterscheidet sich die Arbeit der katholischen Kirche ganz fundamental von den vielen evangelikalen Sekten hier! Die stimmen die Leute immer auf das nahe Ende, den Weltuntergang, ein und lähmen sie dadurch. Sicher, jeder Christ muss so leben, als ob heute sein letzter Tag sei. Für die Sekten heißt das: Wir brauchen nichts mehr tun, es löst sich eh alles durch das nahe Ende der Welt. Für uns heißt das: Anpacken bis zuletzt, damit sich die Lebensbedingungen der Menschen verbessern, sodass sie menschenwürdig leben können – einfach, aber in Würde. Lieber Robert, ich danke Dir ganz herzlich für dieses Gespräch. Pfarrer Robert Hof Robert Hof ist seit 2007 Missionar in Santa Cruz, Bolivien. Für fünf Jahre ist er als Pfarrer in Concepción zusammen mit den Franziskanern im Einsatz.

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DDR in der Karibik Drei Jahre als Missionar in Kuba »Wir würden gern das Kuba kennenlernen, das es wohl so in ein paar Jahren nicht mehr geben wird.« So schrieb mir Anfang des Jahres ein befreundetes Ehepaar aus Deutschland, das sich in diesem Jahr »etwas Besonderes« gönnen wollte. Das Kuba, das sie sich für ihre Urlaubsreise auserkoren hatten, ist vermutlich eine Mischung aus den Reiseprospekten mit Bildern von kilometerlangen Traumstränden, von Palmen umsäumt, von kristallklarem, türkisfarbenem Wasser und den Bildern und Klängen des Buena Vista Social Club, dem Filmporträt jener in die Jahre gekommenen Musiker, die sich ihre Leidenschaft für die kubanischen Rhythmen bewahrt haben: Mit dicker Zigarre im Mund fahren sie im Chevrolet aus den 1950er Jahren durch die morbide Altstadt von Havanna, genießen in einer Bar ein Glas Rum, spielen und besingen die Schönheit eines Mädchens vom Land, aus der Provinz Guantánamo, das dem Welthit den Namen gab: »Guantanamera«. Und ebenso fester Bestandteil des Kuba-Bildes: Fidel Castro, der schwerkranke, in der Öffentlichkeit nicht mehr erscheinende, jedoch überall gegenwärtige inzwischen 82-jährige Comandante en jefe, der Oberste Kommandant der Revolution von 1959. Herbst 2007. Bei meiner Ankunft am Flughafen in Havanna erwartet mich eine alles andere als romantische Wirklichkeit. Eine neue, jedoch schon verkommene, dunkle und farblosnüchterne Eingangshalle empfängt die Ankommenden. Es herrscht ein Schweigen, das beklommen macht. Dann Passkontrolle: »Bitte einzeln vortreten, Brille abnehmen!« Eine an der Decke montierte Kamera fotografiert mich. Die ganze Prozedur erinnert mich an den ehemaligen deutsch-deutschen Grenzübergang Marienborn. Dann öffnet ein Summer eine weitere Tür. »Willkommen im tiefsten ›Ostblock‹!« – das war zumindest mein erster Eindruck.

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Wenige Wochen später habe ich die Gelegenheit, den emeritierten Bischof José Siro kennenzulernen, den »Löwen des Bistums Pinar del Rio«. Während des Besuchs von Papst Johannes Paul II prangerte er 1998 offen einige Missstände im Land an. Auf meine Frage, was im Land am meisten fehle, antwortet er lächelnd und in aller Kürze: »Freiheit.« Durch Alltagserlebnisse und Erzählungen der Menschen vor Ort sollte seine Antwort in den kommenden drei Jahren mit Leben gefüllt werden. Beispiel Reisefreiheit: Alle, die in Kuba leben, ob sie auf der Insel geboren sind oder aus dem Ausland stammen, haben ein Recht darauf – zumindest auf dem Papier. Der erforderliche Ausreiseantrag ist kostspielig. Bei den niedrigen Einkommen endet meist schon hier der Traum eines Flugs zum Verwandtenbesuch in die USA. Und »Genossen«, die die nötigen Beträge aufbringen können, werden gleich verdächtigt: Wie kommt er (oder sie) an so viel Geld? Das ruft die »Stasi« auf den Plan. Und selbst mit allen Papieren in der Hand ist ein Abflug noch unsicher. Es gehört zum Prinzip: Der Staat hält seine Bürgerinnen und Bürger ständig in der Schwebe der Unsicherheit. Beispiel Redefreiheit: Zu Beginn machten mir Freunde hier immer wieder mit einer sprechenden Geste deutlich, worauf es ankommt: Sie verschließen mit einem imaginären Schlüssel ihren Mund und legen die Hände an die Ohren: Halte den Mund und höre zu! Es ist eine harte Lektion lernen zu müssen: »Traue Deinem Gesprächspartner nicht, selbst wenn er sich über manche Missstände im Land beklagt. Er könnte von der Staatssicherheit sein, der Dich mit solchen Manövern aus der Reserve zu locken versucht.« Das schürt Misstrauen.

Landarbeiter in Kuba

Beispiel Religionsfreiheit: Kuba gehört zu einem Dutzend Ländern, dem die US-amerikanische Kommission für Internationale Religionsfreiheit (USCIRF) die »Gelbe Karte« zeigt. Die Eingrenzung des Rechts ist an der Oberfläche nur mäßig wahrzunehmen. In den Medien kommt das Thema »Religion« kaum vor, Predigten werden gerne gehört und Prozessionen finden gewöhnlich innerhalb des Kirchenraumes statt. Eher unterschwellig: Die Dominikanerinnen und Dominikaner in Havanna haben zwei Jahre auf die Genehmigung zur Kirchenrenovierung gewartet; Kardinalstaatssekretär Bertone durfte bei seinem Besuch nur an einem relativ beengten Ort Eucharistie feiern, eine Ladung Hilfsgüter der Caritas musste wegen »Unregelmäßigkeiten«

Geht in alle Welt! —

Franziskaner Mission 2 | 2010

Schön in nostalgischen Filmen, aber unpraktisch im täglichen Leben: Kubaner bei Reparaturarbeiten an seinem alten Auto

im Hafen bleiben oder der einzigen kirchlichen Druckerei konnte »bedauerlicherweise« kein Papier geliefert werden. Bedingt durch die jüngere Geschichte nahm die Zahl der Christinnen und Christen, Priester und Ordensleute drastisch ab. Allein in den letzten 20 Jahren sind 100 (!) kubanische Priester ausgewandert. Die Folge drückt der Jesuit und Weihbischof Juan de Dios während eines Inkulturationsseminars so aus: »Die kubanische Ortskirche lebt drei evangelische Werte: den Wert des Kleinen, des Wenigen und des kaum Sichtbaren.« »Klein, wenig« auch die Präsenz der Schwestern und Brüder der heiligen Klara und des heiligen Franziskus: Auf der franziskanischen Landkarte bildet Kuba heute mit der Dominikanischen Republik und Puerto Rico die Kustodie der Karibik Unsere Frau von der Hoffnung. Dazu gehören 30 Brüder. Drei von ihnen leben und arbeiten auf Kuba. Sieben weitere der zurzeit in Kuba tätigen Franziskaner sind »Leiharbeiter« aus anderen Provinzen. Vor rund 50 Jahren lebten im jetzigen Arbeiter- und Bauernstaat mehr als 100 Franziskaner (ofm). Heute

kommen Franziskaner, Konventualen Br. Frank Hartmann ofm Bruder Frank wirkt seit drei Jahren als Missionar und Kapuziner insgesamt auf etwa 30 Brüder, die Franziskanische Gemein- der Sächsischen Franziskanerprovinz auf Kuba. schaft zählt rund 150 Schwestern und Brüder. Die Klarissen haben Anfang der 1960er Jahre das Land verlassen. »Der Wert des Kleinen«: Wenn bei Veranstaltungen von oder für Jugendliche fünf junge Leute teilnehmen, ist das schon viel. An einem Grundkurs »Altes Testament« nahmen ganze vier Jugendliche teil. Doch diese saugten den Kurs regelrecht in sich hinein, fragten nach, diskutierten und bekamen so – neuen oder ersten – Zugang zur Heiligen Schrift, zu Glaubensfragen. Es sind wenige, doch hochmotivierte, suchende junge Leute. Das größte Wunder, das ich hier erleben durfte: Allen Widrigkeiten im Alltag und allen Einschüchterungsversuchen zum Trotz haben Menschen ihre Menschlichkeit bewahrt und Christinnen und Christen ihren Glauben gelebt und weitergegeben. Es ist eine Generation, die an das große Geschenk Gottes glaubt und die die »Hoffnung gegen alle Hoffnung« (Röm 4,18) lebt. Der Reichtum eines Landes sind eben seine Menschen.

Br. Frank Hartmann (rechts) mit einem Gemeindemitglied in Guanabacoa, Kuba

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Aus der Vision heraus leben Die ersten deutschen Franziskaner in Chicago Visionen sind die Quelle von Veränderungen. So war und ist es in der Geschichte der Welt, der Kirche oder auch der franziskanischen Bewegung. Diese Kraft bringt Neues hervor. Und diese Qualität ist es auch, die Bruder Gregor Janknecht in besonderem Maße auszeichnete – einen jungen, intelligenten und von der Idee der Mission begeisterten Franziskaner, der im Laufe seines Lebens insgesamt fünfmal zum Provinzial der Sächsischen Franziskanerprovinz gewählt werden sollte.

Bruder Gregor war sich der Herausforderungen seiner Zeit durchaus bewusst. Die Säkularisation bedrohte nicht nur die Gemeinschaft der Franziskaner, sondern die Kirche in Deutschland insgesamt. Doch anstatt zu resignieren, stellte Janknecht sich mutig und entschlossen diesem Trend entgegen und arbeitete im Vertrauen auf die Hilfe Gottes auf sein Vorankommen im Orden und in der Mission hin. Diese Kombination aus Glaube und Vision öffnete ihm auch dort noch Perspektiven, wo andere die Situation für die Kirche längst als hoffnungslos ansahen. Schlüsselerlebnis: Besuch aus Amerika Im Jahr 1858 erhielt Janknecht Besuch aus Amerika. Bischof Henry Damian Juncker, ein deutschstämmiger Bischof aus Illinois, suchte in Paderborn bei den Franziskanern nach Seelsorgern für die steigende Zahl deutscher Einwanderinnen und Einwanderer in seiner Diözese. Bruder Gregor sagte ihm ohne

Büste von P. Gregor Janknecht vor dem Franziskanerkloster in Dorsten

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zu zögern sofortige Unterstützung zu und schickte noch im selben Jahr die ersten neun Patres aus der Sächsischen Franziskanerprovinz in die Mission nach Amerika. Er selbst wählte diese neun Kandidaten mit aus. Auch später ließ es sich Bruder Gregor nicht nehmen, sich an der Auswahl der Missionare, die nach Amerika geschickt werden sollten, zu beteiligen. Schließlich mussten für diese Aufgabe nicht nur fromme Männer gewonnen werden, sondern Leute, die zugleich auch mit der kulturellen Umstellung zurechtkommen würden. Dreimal besuchte Janknecht seine deutschen Mitbrüder in Amerika: 1860, 1869 und 1876. Dabei würdigte er ihr Werk und ermutigte sie, ihrer Berufung weiter treu zu bleiben. Während seiner zweiten und dritten Reise übertrug er bereits viele Rechte und Pflichten, die eigentlich nur ihm als Provinzial zustanden, an seinen Vertreter in Amerika. Auf diese Weise bereitete er die Unabhängigkeit der amerikanischen Gemeinschaft vor, aus der im Jahr 1879 die eigenständige Province of the Sacred Heart of Jesus hervorging. Zum Zeitpunkt ihrer Gründung gehörten 202 Brüder zu der Provinz. Gerne wäre er selbst gegangen Seine letzte und längste Reise trat Janknecht im Jahr 1876 an. 16 Monate verbrachte er in den Vereinigten Staaten zur Visitation. In diesem Rahmen unterstützte er außerdem Klöster der Armen Klarissen und Säkulare Franziskanergemeinschaften. In seinem Abschiedsbrief, den er im März 1876 geschrieben hat, heißt es: »Gerne würde ich als einfaches Mitglied unseres Ordens nach Amerika zurückkehren und dort die Seelsorge in einer kleinen Gemeinde übernehmen.« Auch in ihm selbst war also inzwischen die Berufung zur Mission in Übersee erwacht. Zurück in der Heimat musste er zu seiner Bestürzung dann aber feststellen, dass das, was er so vielen anderen durch die Entsendung ermöglicht hatte, sich für ihn selbst

Geht in alle Welt! —

nicht realisieren ließ. Denn die Leitung einer Pfarrei in der Mission war mit der Erfüllung seiner Aufgaben in der Provinzleitung nicht vereinbar. Zwei Welten – unterschiedliche Herausforderungen Durch sein Wirken sowohl in Deutschland als auch in Amerika sah Janknecht sich sehr unterschiedlichen Herausforderungen gegenüber. In Deutschland tobte zuerst der deutsch-französische Krieg, dann der Kulturkampf. In Amerika gab es ganz andere Probleme. Einerseits sollten die eingewanderten Brüder an der franziskanischen Regel dort mit derselben Hingabe festhalten wie in Deutschland. Andererseits mussten ihnen angesichts der völlig anderen Lebensumstände besondere Zugeständnisse eingeräumt werden. Nicht nur die einzelnen Brüder, sondern vor allem die Kirche in Chicago profitierte davon, dass Janknecht diese Zugeständnisse machte. Reiten: erlaubt oder nicht? Ein Beispiel hierfür: Die Missionare in Amerika baten Bruder Gregor um die Erlaubnis, aufgrund der großen Entfernungen in ihrem Seelsorgegebiet auf dem Pferd zu ihren Gemeindemitgliedern zu reiten – obwohl Franziskus seinen Gefährten dies seinerzeit ausdrücklich verboten hatte. Janknecht sah, dass die Situation im Assisi des 13. Jahrhunderts eine ganz andere war als die in Chicago 600 Jahre später. Wer zur Zeit des Franziskus ein Pferd hatte, war reich. Wer in Amerika des 19. Jahrhunderts kein Pferd hatte, war von der Umwelt abgeschnitten. Anders gesagt: Pferde waren für die Mission kein Luxus, sondern notwendiges Mittel, um die Menschen zu erreichen. Also gab Janknecht der Bitte seiner amerikanischen Mitbrüder statt.

anderer Nationalitäten, sprich Polen, Franzosen und die Ureinwohner, zu erreichen. Er ermahnte seine Mitbrüder, jeden einzelnen Menschen zu achten und zu schätzen. Dem Bischof und den Diözesanpriestern sollten die Ordensleute Respekt und Unterstützung zukommen lassen, dagegen sollten sie sich nicht in deren Streitigkeiten einmischen. Außerdem sollten sie denjenigen gegenüber, die einen Fehler begangen hatten, demütig und mit Sanftmut begegnen. Seiner Zeit weit voraus In gewisser Weise hat Bruder Gregor durch sein visionäres und kreatives Wirken die großen Missionsdokumente des 20. Jahrhunderts Ad gentes (Vaticanum II), Evangelium Nuntiandi (Papst Paul VI) und Redemptoris Missio (Papst Johannes Paul II) vorweggenommen. Sie alle sprechen von dem missionarischen Charakter, der allen Christinnen und Christen durch ihre Taufe und durch die trinitarische Liebe Gottes zueigen ist. Sie alle sprechen vom Glauben als Gabe und »Auf-Gabe«, einem Glauben, der inkarniert und inkulturiert werden muss, das heißt, der in die Sprache der jeweiligen Zeit und Kultur und damit in das konkrete Leben der Menschen übersetzt werden muss. Und alle diese Dokumente sprechen auch davon, dass die Kirche mit diesem Auftrag nicht alleine ist, sondern dass sie getragen ist vom Heiligen Geist, der durch alle Zeiten hindurch und in allen Völkern der Erde wirkt.

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Und wir? Janknecht bewies seine Treue zu dieser Überzeugung in einer Zeit, die von ganz unterschiedlichen Sorgen zu Hause in Deutschland und in der Mission in Amerika geprägt war. Ganz ähnliche Herausforderungen liegen auch heute wieder vor uns. Die Frage, die sich uns heute stellt, ist dieselbe, die Bruder Gregor sich und seinen Mitbrüdern vor 150 Jahren gestellt hat: Wollen wir uns in uns selbst zurückziehen und weiter »der guten alten Zeit« nachtrauern? Oder sind wir bereit, uns den Herausforderungen der Zukunft zu stellen und mit Visionen und Kreativität darauf zu antworten? Mit anderen Worten: Sind wir bereit, uns dem Ruf Jesu Christi zu öffnen und ihm zu folgen?

Br. Michael Perry ofm Bruder Michael ist Mitglied der amerikanischen Franziskanerprovinz Province of the Sacred Heart of Jesus. Im Juni 2009 wurde er als stellvertretender Leiter des gesamten Franziskanerordens in Rom gewählt.

Übersetzung aus dem Englischen: Anke Chávez

Neue Situationen erfordern neue Antworten Unermüdlich suchte Bruder Gregor nach Antworten auf immer neue Herausforderungen. Er entwickelte neue Methoden, um über die deutsche Gruppe hinaus auch Angehörige

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Durch Bismarck nach Amerika Franziskaner aus Fulda in New York und Colorado Als die ersten Franziskaner aus Fulda in New York an Land gingen, hatten sie keine Ahnung, wo sie die erste Nacht, geschweige denn ihr weiteres Leben, verbringen sollten. Aber sie hatten keine Wahl: Bismarck, der sich über die katholische Zentrumspartei und über den frisch formulierten Unfehlbarkeitsanspruch des Papstes ärgerte, wies im Zuge des Kulturkampfes sämtliche Ordensleute aus Preußen aus. Den Franziskanern vom Frauenberg setzte er im Mai 1875 ein sechsmonatiges Ultimatum: Binnen dieser Zeit mussten sie nicht nur ihr Heimatkloster, sondern auch das Land verlassen. Der Leiter des Klosters, Pater Aloysius Lauer, schickte sie daraufhin nach Amerika, um dort nach Möglichkeiten für die Gemeinschaft zu suchen. Ein halbes Jahr nach ihrer Ankunft ergab sich schließlich die Gelegenheit, eine Gemeinde im abgelegenen Nordwesten des Bundesstaates New York zu übernehmen. Bei Minusgraden, mit einer Flasche Messwein und einem Behälter voll Hostien im spärlichen Gepäck, erreichten zwei Brüder das ihnen zugedachte halb zerfallene Pfarrhaus, um den Auftrag des Ortsbischofs zu erfüllen: »Geht nach Croghan, lest dort die Messe – und bleibt dort.« Ein weiteres halbes Jahr später sollten zwölf ihrer franziskanischen Brüder aus Fulda nachkommen. Neue Perspektiven Doch dann ergaben sich plötzlich neue Perspektiven an der Ostküste. In der Industriestadt Paterson, einem aufstrebenden Ort mit 51.000 Einwohnerinnen und Einwohnern und der ersten Baumwollspinnerei des Landes, hatten Karmeliter aus Regensburg ein Kloster gebaut, weil sie Angst hatten, dass ihnen im Rahmen des Kulturkampfes dasselbe Schicksal drohte wie den Franziskanern aus Fulda. Doch es kam anders. Im katholischen Bayern traute sich Bismarck nicht mit derselben Härte 14

Vetrieb die Franziskaner aus Deutschland: Reichskanzler Otto von Bismarck

Ein Werk der Franziskaner: St. Elizabeth Cathedral in Denver/Colorado

durchzugreifen, sodass die befürchtete Ausweisung nicht eintrat. Die Karmeliter blieben in Bayern und die Franziskaner kauften ihnen das Haus in Paterson ab. Knapp ein Jahr nach ihrer Ausweisung wirkten die Brüder aus Fulda also bereits von zwei Häusern aus in Amerika. Mit der Wahl des neuen Papstes Leo XIII im Jahr 1878 entspannte sich das Verhältnis zwischen Politik und Kirche in Deutschland, sodass einige der Fuldaer Franziskaner an Weihnachten 1879 auf dem Frauenberg wieder die Messe feiern und im Jahr 1887 auch ihr Gemeinschaftsleben im Kloster wieder aufnehmen konnten. Die Mission in Amerika ging trotzdem weiter: zunächst in Croghan/New York und Paterson/ New Jersey, später auch in Denver/ Colorado.

die Schwierigkeit, Talent und Demut miteinander in Einklang zu bringen. Bruder Albert etwa, eine dieser Koryphäen, überschritt mit zunehmendem Erfolg eigenmächtig seine Kompetenzen und hielt sich schließlich nicht mehr an die Anweisungen seiner Vorgesetzten. Als er daraufhin an einen anderen Ort versetzt wurde, verließ er den Orden. Auch Bruder Francis, das zweite herausragende Spendensammler-Talent, geriet wiederholt mit seinem Ortsbischof aneinander. Dieser hegte die Befürchtung, dass der junge Franziskaner im Zuge des Geldeintreibens notfalls auch seine Seele verkaufen würde. Immerhin: Trotz mehrerer Versetzungen hin und her vollbrachte Bruder Francis das Meisterstück, innerhalb von zehn Jahren eine der größten und eindrucksvollsten Kathedralen im amerikanischen Westen zu finanzieren: die St. Elizabeth Cathedral in Denver. Allen Zwistigkeiten in der Bauphase zum Trotz profitierte schließlich auch der Bischof von diesem prachtvollen Gotteshaus: Er nutzte es nach der Fertigstellung selbst für wichtige Amtshandlungen.

Talent und Demut In der neuen Heimat bauten die Franziskaner Schulen, Kirchen, Pilgerstätten und Klöster – all das kostete Geld, viel Geld! Einige der Brüder entwickelten erstaunliche Fähigkeiten, um die nötigen Mittel dafür aufzutreiben. Doch gerade bei den begabtesten Finanzgenies zeigte sich

Anke Chávez Anke Chávez ist Referentin für Öffentlichkeitsarbeit der Franziskaner Mission in Dortmund.

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Wie Los Angeles zu seinem Namen kam Die Namensgebung in Kalifornien

Die Franziskaner nannten die Orte an der kalifornischen Westküste nach den Tagesheiligen, die sie am Tag der Entdeckung feierten.

Als die spanische Krone im Jahr 1768 beschloss, die bis dato unerschlossene amerikanische Westküste zu besiedeln, um durch die Erstbesiedlung die Rechte an dem Land zu erhalten, konnte sie die Franziskanermissionare begeistern, an der Unternehmung teilzunehmen. Ziel der Franziskaner war es, das Evangelium zu den Ureinwohnern, den

Indianerinnen und Indianern, zu bringen. Unter Leitung von Pater Junipero Serra, der die Mission in Mexiko leitete, brachen die Franziskaner mit den spanischen Soldaten nach Norden auf, gründeten einen Hafen, den sie San Diego nannten, und begannen, das Land zu erschließen. Da die Orte und Landschaften, durch die sie kamen, noch keine anerkannten

Mittelseite: Die auf der folgenden Doppelseite präsentierte Weltkarte zeigt die Einsatzorte der 44 Missionare aus den vier deutschen Franziskanerprovinzen, die derzeit weltweit tätig sind: 8 Brüder aus der Bavaria, 16 Brüder aus der Thuringia, 4 Brüder aus der Colonia und 16 Brüder aus der Saxonia. Infolge der Vereinigung dieser vier Provinzen am 1. Juli 2010 werden alle 44 Brüder für die neue Deutsche Franziskanerprovinz von der Heiligen Elisabeth Brückenfunktionen in verschiedenste Ortskirchen und damit in die

Bezeichnungen hatten, nahmen die Franziskaner oft einfach den aktuellen Tagesheiligen aus ihrem Gebetbuch und gaben dem Ort kurzerhand diesen Namen. So ist beispielsweise in der Chronik vom 2. August 1770 am Festtag »Unserer lieben Frau von den Engeln von Portiuncula« vermerkt, dass sie durch ein hügeliges Land in ein von Baumwollbäumen und Pappeln reich bestandenes Tal zogen und dort an einem Fluss lagerten. Den Fluss tauften sie »Rio Portiuncula«. Da der spanische Name des Tals »Nuestra Señora de Los Angeles de Portiuncula« doch etwas lang war, verkürzten die Siedler später den Namen des Tales zu einem griffigeren Namen. Der Ort, an dem sie lagerten, war wahrscheinlich in der heutigen Downey Avenue in der Weltstadt Los Angeles. Den Fluss benannten die Engländer später um in Los Angeles River. Auf ähnliche Weise bekamen auch San Francisco, Santa Barbara, der San Andreas Graben und viele weitere Orte in Kalifornien ihre Namen von den Franziskanermissionaren! Br. Natanael Ganter ofm Bruder Natanael leitet in München das Referat Öffentlichkeitsarbeit und Medien der deutschen Franziskaner. Quelle: Heldemar Heising. Missionierung und Diözesanbildung in Kalifornien. Westfälische geographische Studien. Band 14

Weltkirche hinein übernehmen. Sie sind in Zukunft franziskanische Botschafter der einen neuen deutschen Provinz für einen weltweiten Dialog – im Franziskanerorden und in der Kirche. Darüber hinaus gibt es weitere Franziskaner, die zwar aus Deutschland stammen, aber nicht über eine der bisher vier deutschen Provinzen in anderen Ländern tätig sind. Sie sind direkt in eigene Franziskanerprovinzen der Missionsgebiete eingetreten.

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Die 44 Missionare aus den vier deutschen Franziskanerprovinzen, die derzeit weltweit tätig sind

Litauen Thuringia Severin Holocher

Artikel der rot unterstrichenen Missionare finden Sie auf den angegebenen Seiten.

Brasilien

Kuba

Togo

Saxonia Frank Hartmann (S. 10–11)

Thuringia Richard Dzierzenga

(Maranhão, Piaui) Colonia Klaus Finkam

Israel

Br. Manfred Friedrich in Bibai/Japan

Bavaria Gregor Geiger, Petrus Schüler

Saxonia Adolf Temme, Anton Schauerte, Claudio Krämer, Eduard Albers, Erich Löher (S. 20–21), Ewald Dimon, Fritz Zillner, Gottfried Bauerdick, Heinrich Johannpötter, Heribert Rembecki (S. 22), Johannes Gierse, Lukas Brägelmann, Michael Kleinhans

Colonia Robert Jauch

Br. Frank Hartmann (rechts) in Havanna/Kuba

Japan Bolivien

Saxonia Hubert Nelskamp

Bavaria Georg Redelberger, Martin Sappl, Michael Brems, Reinaldo Brumberger, Diego Löcherer, Walter Neuwirth Br. Augustinus Wehrmeier in Andraikiba/Madagaskar

Thuringia Dominikus Bauer, Hilarius Schmidt, Lothar Poremba, Manfred Friedrich, Urban Sauerbier

Taiwan Brasilien

Ostafrika und Madagaskar

(Mato Grosso, Mato Grosso do Sul) Thuringia Bernhard Dettling (S. 18–19), Erich Renz, Godehard Elsing, Hugo Lang, Matthäus Rothmann, Norbert Rihm, Roland Ernst Wiederholt, Volkmar Löffler

Colonia Alban Mai, Paul Goor

Saxonia Hermann Borg Thuringia Augustinus Wehrmeier P. Ewald Dimon in Piripiri/Brasilien Quelle:

Claudia Schmitz

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»Wilde Tiere, Schlangen und gefährliche Indianer« Fuldaer Franziskaner im Mato Grosso Brasiliens

P. Bernhard Dettling in Mato Grosso

Im September 1965 beantragte ich beim brasilianischen Konsulat in München die notwendigen Dokumente für einen Daueraufenthalt in Brasilien. Die Konsularsekretärin fragte mich, wo ich in Brasilien leben und arbeiten wolle. »Im Bundesstaat Mato Grosso!« – »Pater, gehen Sie nicht in den Mato Grosso (wörtlich: dichtes Gestrüpp, Urwald), bleiben Sie in Rio de Janeiro oder in São Paulo!«, warnte sie. – »Warum?«, wollte ich wissen. »In Mato Grosso gibt es nur Jaguare, Schlangen und gefährliche Indianer«, erklärte mir die junge Frau in gutem Deutsch. Natürlich konnten solche Worte einen angehenden Missionar nicht erschüttern: Schließlich ist die Berufung gottgegeben, wurde dann in der Familie durch ein gesundes, christliches Glaubensleben vertieft und endlich durch gute franziskanische Jugendseelsorger bei den Georgspfadfindern gestärkt.

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Meine Entschlossenheit für den armen Bundesstaat Mato Grosso quittierte die adrette Brasilianerin mit einem mitleidvollen Lächeln: »Sie Ärmster!« – Da ich Brasilien nur aus Büchern, Vorträgen und Erdkundeunterricht kannte, war ich auf alles gefasst. Doch bei meiner Ankunft in der ersten großen Stadt in Mato Grosso wurde ich positiv überrascht: Alles war weitaus zivilisierter und entwickelter, als ich mir das vorgestellt hatte. Die Anfänge der Mato Grosso-Mission der Fuldaer Franziskaner gehen auf die 1930er Jahre zurück. Die Konvente der Provinz waren damals bis unter die Dächer belegt, Begeisterung für die Mission vorhanden, insbesondere bei den jüngeren Brüdern. Die Provinzleitung von Fulda sondierte zunächst Missionsmöglichkeiten im Nordosten Brasiliens (Belém und São Luis), nahm dann aber den von der ImmaculadaProvinz/São Paulo brüderlich und eindringlich empfohlenen Mato Grosso als ihr zukünftiges Missionsgebiet an. Der brasilianische Bundesstaat Mato Grosso, heute zweigeteilt, ist dreieinhalb Mal größer als die heutige Bundesrepublik Deutschland und gehörte zum Territorium der Franziskanerprovinz von São Paulo, die allerdings ursprünglich keinen einzigen Franziskaner in Mato Grosso, der »Grünen Hölle«, hatte: Ihre Brüder waren völlig in Anspruch genommen von der Evangelisierung der aufstrebenden Metropolen Rio de Janeiro, São Paulo, Curitiba und deren Hinterland, mit der Errichtung einer hervorragenden philosophischtheologischen Hochschule, mit dem Ausbau des Vozes-Verlages, vergleichbar mit dem Herder-Verlag in Deutschland. Wie alles begann 1937 kamen die ersten Franziskaner aus Fulda in São Paulo an. Sie erhielten, wie versprochen, von der Provinz Immaculada jede erdenkliche Unterstützung, sodass sie bereits ein Jahr später die ersten Pfarreien

in Mato Grosso übernehmen konnten. Pfarreien? In Wirklichkeit trafen die Missionare – wenn überhaupt – nur zerfallene und verlassene Kapellen an. Die Menschen waren herzlich und gastfreundlich, allerdings bitterarm und in Glaubensfragen völlig unbewandert. Die Franziskaner mieteten in den beiden größeren Städten Campo Grande und Cuiabá ein einfaches Haus an und übernahmen eine Wohnung, die von der Bevölkerung gemieden wurde, weil darin zuletzt ein Lepra-Kranker gelebt hatte. Wegen Nazis nach Brasilien In Deutschland wütete währenddessen das Dritte Reich. Der Franziskanerorden geriet ins Visier der Gestapo. Die Brüder der Provinz São Paulo stellten sich vehement gegen die in den deutschen Kolonien Südbrasiliens aufkommende NaziBewegung. Insgesamt spitzten sich die politischen Verhältnisse in Deutschland derart zu, dass man mit der Ausweisung aller Ordensleute rechnete. Kaum selbst in Brasilien angekommen, sollten die ersten Brüder aus Fulda daher für die erwarteten Mitbrüder aus der Heimatprovinz Platz schaffen. Das hatte zur Folge, dass eine ganze Reihe von Ein-Mann-Stationen errichtet wurden, die zum Teil Tausende Kilometer voneinander entfernt lagen. Die Konsequenz der Naziherrschaft war also, dass die Brüder nicht nur von der Heimat vertrieben wurden, sondern auch untereinander isoliert waren, denn die Verkehrsmöglichkeiten in Mato Grosso waren mehr als prekär, an Telefon war nicht zu denken. Umso mehr integrierten sich die eingewanderten Brüder in die einheimische Bevölkerung: Sie lebten arm mit den Armen, für die Armen, wie die Armen. Nach dem Motto von Paulus »Allen sind sie alles geworden« (1 Kor 9, 21-23) gab es Brüder, die man kaum mehr von einem »Caboclo«, einem Einheimischen Mato Grossos, unterscheiden konnte.

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Vom Esel zum Jeep Nach dem Krieg wurde die Seelsorge, die immer auch Leibsorge war und ist, mit aus der Heimat kommenden jungen Kräften neu organisiert. Auch technisch ging es voran. Benötigten die Brüder anfangs fünf Stunden auf dem Rücken eines Esels, um einen Ort zu erreichen, in dem sie eine einzige Katechese-Stunde erteilten, so kehrte sich dieses Verhältnis von Seelsorge- und Reisezeit dank fortschreitender Motorisierung allmählich um. Motorboot und Jeep waren in dieser Hinsicht segensreiche Erfindungen für die Mission in Mato Grosso. Blühende Bautätigkeit Mit der Zeit setzte auch eine äußerst aktive Bautätigkeit in Mato Grosso ein. Unter den Brüdern waren tüchtige, vielseitig begabte Handwerker und Baumeister wie Walfried Stähle aus Ulm-Waiblingen und Hugo Lang aus Breisach. Von Bruder Walfried wird folgende Begebenheit aus den 1950er Jahren erzählt: Ein Vertreter des städtischen Bauamtes begutachtete die Baustelle des franziskanischen Zentralhauses in Campo Grande: »Wo ist der Bauführer?« Bruder Walfried: »Das bin ich!« – »Und der Ingenieur?« – »Das bin ich auch.« – »Und der Architekt?« – Bruder Walfried: »Bin ich ebenfalls.« Bruder Walfried hatte tatsächlich die technischen Zeichnungen angefertigt, die Berechnungen angestellt und das Werk dann auch selbst in die Tat umgesetzt. Das Gebäude hat bis heute keinen Riss. Aber der Mann vom Bauamt schüttelte den Kopf: »Unmöglich! Der Bau wird eingestellt.« Treppe zum Erfolg In jenen Tagen wurde Bruder Walfried von dem Salesianer Dom Francisco de Aquino Corrêa, Erzbischof von Cuiabá, zu sich gerufen. Er sollte für die bischöfliche Residenz eine Wendeltreppe bauen, die kein Maurer der Landeshauptstadt ausführen konnte. Bruder Walfried soll nach jeder fertiggestellten Stufe den Erzbischof angefleht haben: »Exzellenz, die Baubehörde in Campo Grande will uns den Konventbau einstellen, weil ich nur deutsche Zeugnisse und Diplome vorweisen kann.« – Bei der Übergabe der meisterhaft vollendeten Wendeltreppe erschien der Erzbischof. Er zog einen großen Umschlag hervor und überreichte Bruder Walfried ein Zertifikat der Nationalen Baubehörde von Rio de Janeiro, das ihm erlaubte, in Zukunft in

Indianerkinder aus Mato Grosso

ganz Brasilien Gebäude von bis zu vier Metern Höhe errichten zu dürfen. Die Franziskaner jubelten: Der Konvent sollte nur zwei Stockwerke haben! Übrigens: Bei seinem Besuch in Cuiabá benutzte Papst Johannes Paul II die besagte Treppe. Bruder Walfried wird sich sicher vom Himmel aus darüber gefreut haben. In der zweiten Generation der Missionare aus Fulda war es dann Bruder Hugo Lang, der mit seinem Bautrupp enorme Aktivitäten entwickelte: Zahlreiche Schulen, Kirchen, Seminargebäude und Pfarrhäuser wurden errichtet. Während der Woche arbeitete Bruder Hugo auf der Baustelle, am Wochenende schaffte er das Baumaterial herbei, zum Teil aus dem 1.000 Kilometer entfernten São Paulo. Nicht selten steckte der LKW auf der weiten Strecke bis über die Achsen im Schlamm. Bei allem Stolz über Häuser und Gebäude: Immer ging es vor allem um die Menschen. Die Franziskaner freuten sich über die materiellen Fortschritte beim Aufbau ihrer Mission, an erster Stelle aber standen die Seelsorge für die ihnen anvertrauten Menschen und die Verkündigung des Glaubens.

Bilanz nach 70 Jahren In der mehr als 70-jährigen Tätigkeit der Fuldaer Franziskaner wurden 25 Pfarreien auf- bzw. ausgebaut, alle mit entsprechenden Sozialstationen versehen. 19 von ihnen werden inzwischen von Diözesanpriestern geleitet. 1970 kam Pater Erich Renz als letzter Missionar aus der Heimatprovinz Fulda nach Mato Grosso. Inzwischen ist die Leitung der Mission in junge, einheimische Hände übergegangen – wir sind insgesamt nur noch sieben »Fuldaer« in Mato Grosso. Wohl wissend, dass »einer sät und ein anderer erntet« (Joh 4,37), sind wir dankbar für die gemeinsame franziskanische und missionarische Berufung und für die Hilfe, die uns all die Jahre, insbesondere aus der Heimat, zuteil wurde. P. Bernhard Hans Dettling ofm Pater Bernhard ist seit 45 Jahren als Missionar im brasilianischen Bundesstaat Mato Grosso tätig und hat dort die Mission der Fuldaer Franziskaner mit aufgebaut.

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Der »Chef« Porträt des Franziskanermissionars Pater Heribert Rembecki

P. Heribert Rembecki bei einer Prozession in Bacabal

Schon in der Oberstufe im Kolleg St. Ludwig war Heribert Rembecki Klassensprecher. Seine Klassenkameraden nannten ihn »Chef«. Vater Johann war Bergmann, im Vereinsleben seiner Herz-Jesu-Pfarrei aktiv, seine fromme Mutter Nannchen (Ferdinande) besorgte den Haushalt. In den harten Nachkriegsjahren vier Söhne großzuziehen, bereitete den Eltern viel Kopfzerbrechen. In Herne fehlten Lebensmittel, man lebte karg, man hungerte. Und die Jungen auf die Höhere Schule schicken? Das Zeug dazu hatten sie, aber woher das Geld nehmen? Durch Vermittlung seines Lehrers kam Heribert 1954 nach Abschluss der Volksschule ins Internat der Franziskaner nach Attendorn. Den Anforderungen des Förderkurses waren nur wenige gewachsen, Heribert war einer von ihnen.

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Nach einem begeisternden Vortrag des Franziskaners Ivo Heitkämper, der seit 1956 als Missionar in Maranhão und Piauí tätig war, baten vier junge Fratres, Heribert Rembecki, Adolf Temme, Gereon Bödeker und Friedrich Zillner, ihren Provinzial, Pater Dietmar darum, sie schon zum Studium nach Brasilien gehen zu lassen. Widerstände fehlten nicht, man sprach von »Kinderkreuzzug« … Schließlich legten sie am 28. April 1964 mit den anderen Fratres ihres Kurses die feierliche Profess ab und wurden knapp einen Monat später, am 24. Mai, nach Brasilien ausgesandt. Dort studierten sie Theologie und wurden am 17. Dezember 1966 in der Pfarrund Klosterkirche São Francisco das Chagas in Bacabal zu Priestern geweiht. Eine Sensation im priesterarmen brasilianischen Bundesstaat Maranhão: gleich vier Neupriester!

Heribert blieb in Bacabal, begann in der Stadtseelsorge zu arbeiten, zunächst als Kaplan, dann als Pfarrer. »Nebenbei« widmete er sich mit einigen engagierten Laienlehrerinnen dem Ausbau der Pfarrschule, einer Volksschule für Kinder aus armen Familien im abgelegenen Vorort Ramal. 1970 wurde Heribert zum ersten »Guardian«, das heißt zum Hausvorsteher, des Konvents in Bacabal ernannt. Er war der Jüngste im Haus, wurde aber ob seines brüderlichen Führungsstils und seiner Fähigkeit, mit allen auch über heikle Themen sprechen zu können, gut angenommen. 1973 wurde er mit der Leitung der Pfarrei von Lago da Pedra beauftragt. Zehn Jahre lang war er dort wenig zu Hause und viel unterwegs im ausgedehnten Landesinneren, dem »Interior«. Ob mit dem Jeep,

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auf Pferd oder Maultier oder zu Fuß: Heribert besuchte unermüdlich Basisgemeinden, spendete Sakramente, baute Gemeinden auf, bildete Laien aus und ermutigte sie zu ihrem Dienst. Er sorgte sich mit dem Volk um Trinkwasser, um Landvermessung, um Schulunterricht, Feld und Landbesitz. Und immer wieder setzte er sich für die Rechtlosen ein. Von 1983 bis 1995 und noch einmal von 2001 bis 2007 war er der Obere der Franziskaner von Maranhão und Piauí, zunächst als Kustos und seit 1992 als Provinzial – 18 Jahre lang. Im Bistum Bacabal war er sieben Jahre lang Generalvikar von Bischof Dom Pascásio Rettler; im Jahr 2006 wurde er Diözesanverwalter. Als »Chef« hat er den Führungsstil eines Teamleiters, er ist ein Mann des Dialogs. Sein phänomenales Gedächtnis für Zahlen, Ereignisse und Gesichter erreicht, dass Menschen egal welchen Alters oder welcher Herkunft sich bei ihm angenommen wissen. Auch bei der Wahrnehmung seiner Leitungsaufgaben hat er nie den Kontakt zur Basis und den Kontakt zu den einfachen Menschen verloren, ebenso wenig wie zu seinen Freunden in Deutschland.

Das Lieblingsmotto von Heribert lautet: »Paciência, paciência, no fim dá tudo certo.« – »Geduld, Geduld, am Ende kommt alles hin.« Er hat diesen Satz von seinem Freund und Vorgesetzten, Bischof Dom Pascásio Rettler gelernt. Beide haben dieses Wort in schier ausweglosen Situationen gebraucht, vor allem in Zeiten der schlimmsten Landkonflikte. Sie haben damit Voreilige gebremst, Hoffnungslose ermutigt und Menschen in Not Wege in die Zukunft gewiesen. Anfang 2010 trat Heribert seine jüngste Stelle als Seelsorger der Gemeinde Nossa Senhora de Gloria und als Guardian der Franziskanergemeinschaft von São Luís an. Was wird er dort tun? Das ist nicht schwer zu erraten: als Bruder und Priester weiterhin bei den Menschen sein, ihre Sorgen und Freuden teilen – und sich auch dort von seinem Motto leiten lassen: »Paciência, paciência, no fim dá tudo certo.« P. Erich Löher ofm Pater Erich, langjähriger Mitstreiter von Pater Heribert, ist seit 1968 Missionar in Brasilien und leitet in Bacabal/Maranhão den Schulverband CONASA, Colégio de Nossa Senhora dos Anjos, für Kinder aus den Armenvierteln.

Franziskaner Mission 2 | 2010

Geschäftsgespräch unter Freunden – P. Heribert Rembecki (rechts) mit Provinzial Norbert Plogmann

Wenn Pater Heribert am Anfang seiner missionarischen Tätigkeit auf dem Pferd zu den entlegenen Orten seines Seelsorgegebietes gereist ist, hat er dort innerhalb weniger Stunden die einzige Messe des Jahres gefeiert, Taufen und Erstkommunion gespendet, Hochzeiten gehalten und Beichte gehört, Geburtsurkunden ausgestellt und Kirchenbücher geschrieben. Wie er auf seinen Reisen per Pferd ausgerüstet war, hat Pater Adolf Temme in seinem Tagebuch eines Wanderpredigers festgehalten, das 1978 bei Adveniat erschienen ist. Pater Adolf Temme ist zusammen mit Heribert Rembecki in den Franziskanerorden eingetreten und hat zusammen mit ihm am 28. April 1964 in Brasilien die Feierliche Profess abgelegt. Seitdem wirken beide dort als Missionare: »Das Packen ist eine Kunst. Die Wäsche kommt in eine Plastikhülle und wird in den großen Maultierkoffern verpackt. Heribert hat einen Platz für alles: Kelch und Hostienschale, Kalender und Bücher, Messgewänder und Wäsche, Schuhwichszeug und Regenplanen. Ein anderer Teil der Ausrüstung kommt in das Sattelpolster: das ist eine zottige Decke mit großen Taschen an der Unterseite. Da hinein kommen Hängematte, Laken, Schlafanzug, Handtuch und zwei Stricke, alles genau auf beide Seiten des Tieres verteilt. Nun fehlen nur noch Kleinigkeiten, die unterwegs zur Hand sein müssen, zum Beispiel das Taschenmesser. Dafür ist die Gürteltasche da.«

P. Heribert Rembecki mit seinen franziskanischen Brüdern aus Brasilien

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Geht in alle Welt!

Der Mechaniker Bruder Bruno bekam jedes Auto wieder flott

Der Toyota der Franziskaner in Bacabal

Br. Bruno Sabelek

Die Einsatzbereiche der Franziskaner sind vielseitig. Einige Brüder verrichten ihren Dienst in der Seelsorge, andere engagieren sich im sozialen Bereich. Sie alle sind aber darauf angewiesen, dass sie die Ärmsten der Armen erreichen, diejenigen, für die sie da sein wollen. Mit Bruder Bruno Sabelek ofm an der Seite war dies für die Franziskaner in Bacabal/Nordost-Brasilien nie ein Problem.

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Das ist er, unser lieber Bruder Bruno, mit seinem Blaumann in der Autowerkstatt in Bacabal, die er von 1957 bis zu seinem Lebensende geleitet hat. Er war stets bereit, unsere Jeeps zu reparieren. Doch manchmal schimpfte er auch wie ein Rohrspatz, wenn mal wieder einer mit einem kaputten Jeep zur Werkstatt rollte. »Hast wieder einmal den Ölwechsel nicht eingehalten! Hast den Jeep in eine andere Werkstatt gebracht, wo sie viel gemexert haben.« (Anmerkung: er wollte sagen: »Wo sie viel herumgefummelt und schlecht gearbeitet haben.«) Doch schließlich kam das befreiende Wort: »Lass den Wagen mal hier stehen. Wir werden sehen, was wir machen können.« Und wenn der Jeep dann aus der Werkstatt von Bruder Bruno kam, dann hatte man die Sicherheit, dass alles o.k. war. Wir alle schätzten unseren lieben Bruno sehr, denn immer, wenn ihm mitgeteilt wurde, dass ein Bruder einen Unfall gebaut hatte, war seine erste Frage immer: »Wie geht es dem Bruder? Ist er verletzt? Ist ihm etwas zugestoßen? Den Wagen bekommen wir wieder hin.«

Am 15. Januar dieses Jahres hat ihn der Herrgott in seine große Werkstatt der Herrlichkeit gerufen. Er schenke ihm den verdienten Frieden für die vielen und oft schwierigen Reparaturen an unseren Jeeps. Bruno, denke an uns, wenn wieder mal ein Bruder zu fest aufs Gaspedal drückt! P. Heribert Rembecki ofm Pater Heribert ist seit 1964 als Missionar in Brasilien und hat viele Jahre mit Bruder Bruno im Konvent von Bacabal zusammengelebt.

Geht in alle Welt! —

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Der Arzt Bruder Klaus heilt Leib und Seele Schon bald nachdem Bruder Klaus Finkam begann, als junger Arzt und Franziskaner im armen Nordosten Brasiliens zu arbeiten, berichtete er unserem Dritte-Welt-Laden in Erftstadt-Lechenich ausführlich über die Probleme der Gesundheitsvorsorge in seinem neuen Einsatzgebiet. Hohe Kindersterblichkeit, Arbeitslosigkeit, fehlende Bildung, massive Landprobleme und langanhaltende Dürreperioden: All das waren Themen, die immer wieder in den Briefen von Bruder Klaus auftauchten. Auf einmal wurden für uns Schlagworte wie »Option für die Armen« oder »Theologie der Befreiung« sehr konkret. Wir fingen an darüber nachzudenken, was die Armut der Menschen auf der Südhalbkugel mit dem Reichtum bei uns zu tun hat. Unser Wohlstand auf Kosten der Ärmsten? Das war nur schwer auszuhalten. Wir wollten versuchen an einer gerechteren Welt mitzubauen. So fingen wir an, die Brücke von ErftstadtLechenich nach Bacabal zu errichten, wo Bruder Klaus wirkte. Eine Brücke zu bauen heißt, im Nichts einen festen Punkt zu schaffen. Dieser feste Punkt und Ansprechpartner war und ist für uns über all die Jahre Bruder Klaus. In den vergangenen Jahren richtete er unterschiedliche Unterstützungswünsche an uns: »Wir benötigen Wasserfilter für sauberes und gesundes Wasser, damit die Kleinkinder nicht an der schlechten Qualität des Wassers sterben.« »Es fehlen Waagen, um eine Gewichtskontrolle der Neugeborenen durchzuführen.« »Wir brauchen Spenden, um Frauen zu Gesundheitshelferinnen auszubilden, damit sie als Ansprechpartnerinnen in den Basisgemeinden arbeiten können; außerdem sollen sie in Ernährungslehre geschult werden und dabei zum Beispiel lernen, welche Heilkräuter sie nutzen und welche Arzneien sie daraus selbst herstellen können.«

Frei Klaus Finkam

»Junge Männer sollen zu Agrartechnikern ausgebildet werden, und es müssen Familien-Landwirtschaftsschulen vor Ort gegründet werden.« Durch unsere Spenden trugen wir dazu bei, dass Basisprojekte Wirklichkeit werden konnten, die den Menschen im Nordosten Brasiliens helfen, ihre Grundbedürfnisse zu befriedigen. Das heißt, dass sie unter menschenwürdigen Bedingungen wohnen, dass sie ausreichend und gut zu essen haben, dass sie die nötige medizinische Versorgung erhalten. Wir wurden Zeugen, wie in den Basisgemeinden immer mehr Menschen befähigt wurden, ihre Probleme zu erkennen und selbst in die Hand zu nehmen. Bruder Klaus hat die besondere Gabe, Menschen mit ihren Talenten zu entdecken, diese zu fördern und zu fordern. Er selbst bildete sich im Bereich der Alternativmedizin zum Fastenarzt und zum Experten in Ayurveda weiter.

Bei den Patientenkursen, die Bruder Klaus in Brasilien anbietet, lernen die Menschen nicht nur, Verantwortung für ihren Körper zu übernehmen. Mit der Frage nach dem körperlichen Heil verbindet er auch die Frage nach dem Glauben und dem Seelenheil. Es geht um ganzheitliche Heils-Erfahrung: des Körpers, des Geistes und der Seele. Davon können auch wir in Deutschland noch eine ganze Menge lernen. Vielleicht sollten wir zur Abwechslung einmal eine Anfrage an Bruder Klaus richten: »Wann startet ein Gesundheitskurs für Brasilianer und Deutsche in Teresina?« Wir sind froh und dankbar, dass wir seit über 25 Jahren gemeinsam mit Bruder Klaus an der Brücke des Miteinanders für eine gerechte und gesunde Welt mitarbeiten dürfen. Helga Berbuir Helga Berbuir ist Mitarbeiterin des Arbeitskreises Dritte-Welt-Laden Lechenich.

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Der Wissenschaftler Pater Theobald übersetzte die Bibel ins Chinesische Pater Theobald Diederich wurde am 31. Januar 1911 in Ershausen (Eichsfeld) geboren. Früh verspürte er den Wunsch, Priester und Missionar im Franziskanerorden zu werden. So trat er 1923 in das Missionskolleg »Sankt Ludwig« der Provinz Saxonia in Vlodrop (NL) ein. Die damals siebenjährige Gymnasialzeit beschloss er 1930. Am 30. März 1930 erhielt er im Kloster Warendorf sein Ordensgewand, den Habit. Das Noviziat endete am 31. März 1931. Am 9. August 1936 wurde er in Paderborn zum Priester geweiht. Theobald hatte sich bereits in Sankt Ludwig intensiv mit dem Gedanken beschäftigt, in China zu wirken. Auch während des Studiums bis zur Priesterweihe hält er diesen Wunsch lebendig. Er richtet mehrere Briefe an den Provinzial, in denen er nachdrücklich seine Überzeugung darlegt, er sei zum Missionar im Fernen Osten berufen. So am 4. Juli 1936: »Was mich persönlich angeht, so glaube ich, Ihnen versichern zu können, dass ich mir voll und ganz über meinen Beruf zum Missionar klar bin.« Am 30. August 1936 äußert er die Überzeugung, dass großzügiges missionarisches Engagement der Saxonia – »wie im vorigen Jahrhundert in Nord- und Südamerika bewiesen« – immer eine innere »Kraftquelle« für die Provinz bleiben werde. »Aus diesen Gedanken heraus möchte ich Sie ... nochmals inständig um die Aussendung in die Mission bitten.« Studium in Rom Im September 1937 ist Theobald in Rom: Er soll ein biblisches Fachstudium absolvieren, um in der Priesterausbildung am Regionalseminar in Tsinanfu (Shantung) einen qualifizierten Part zu übernehmen. Der Provinzial ist der Meinung, es käme für die Lehrtätigkeit in der Mission mehr auf ein gutes »theologisches Allgemeinwissen als auf

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P. Theobald Diederich bei seinen Studien

Spezialistentum« an. So studiert Theobald anstatt am Biblicum der Jesuiten an der franziskanischen Ordenshochschule Antonianum mit ihren etwas bescheideneren akademischen Möglichkeiten. Am 12. Juli 1938 legt er das Lizenziatsexamen ab. Das Promotionszeugnis vom 10. Januar 1941 erklärt ihn »summa cum laude« zum »doctor theologiae«. Pater General Bello entsendet ihn umgehend in das Apostolische Vikariat Tsinanfu (13. Januar 1941). Die schriftliche Arbeit wird später in China gedruckt: Theobald Diederich, Das prophetische Berufsbewusstsein des Jeremias. Biblisch-theologische

Erörterung, Tsinanfu (Missionsdruckerei), 1942. VIII, 161 S. (Rom, Univ. Diss. [s. Antonio], 1941. Ankunft in China Über die USA reist Theobald per Schiff nach China. Aus San Francisco kommend trifft er am 31. Mai 1940 in Tsingtau ein. Umgehend beginnt er in Peking ein zweijähriges Sprachstudium. Pater Theobald ist zunächst Seelsorger, dann aber startet sein langjähriger Dienst als Dozent und Erzieher (»Submagister und Lektor«) im Großen Seminar in Hungkialu, dem Zentralkloster der damaligen Mission der Saxonia.

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Flucht vor den Kommunisten 1948, als der Marsch der Kommunisten an die Macht dem Höhepunkt zustrebt, heißt es in einem Bericht des Regionaloberen: »Von unseren drei Konventen ist nur einer unberührt geblieben: Hungkialu.« Durch die Flucht vor den neuen Machthabern wird es unruhig: »Der Konvent ist vollgestopft mit Missionaren, die von allen Seiten zusammengeströmt sind ... Täglich zählen wir rund 70 Mitbrüder zu Tisch ... Bis jetzt hat Gott uns hier treu beschützt, obwohl Gefahren und Ängste mehrfach bis Hungkialu vordrangen.« Im Jahr 1950 wird lakonisch berichtet: »Unsere Ordensherrschaft ist bis auf einen kleinen Teil auch von den Behörden beschlagnahmt, ebenso die beiden Seminare ... Das Große Seminar wird von Tsinan nach Hankow und dann nach Macao verlegt, wo unter der Leitung von Pater Theobald ca. 70 Seminaristen aus drei verschiedenen Zentralseminaren studieren.« Dieser »Marsch quer durch China«, der die Studierenden und damit die Zukunft der franziskanischen Mission in China sichern soll, ist eine bemerkenswerte Leistung von Pater Theobald. Umzug nach Hongkong Das provisorische Seminar in Macao schließt 1954, weil die Ordensleitung die Zukunft der Chinamission fortan in Hongkong und Taiwan sieht. Pater Theobald gliedert sich somit in das »Studium Biblicum Franciscanum« ein, das inzwischen von Peking in die damalige Kronkolonie Hongkong übersiedelte. Während auf dem chinesischen Kontinent die eigentliche Missionsarbeit praktisch zum Erliegen kommt, kann Pater Theobald auf neue Weise für die Kirche in China arbeiten: Von 1953 bis 1978 ist er Mitarbeiter am Studium Biblicum der Franziskaner, das Pater Gabriele Allegra in Peking begründet und dann nach Hongkong verlagert hatte. Dieses Bibelinstitut hat eine Übersetzung der gesamten Bibel ins Chinesische erstellt, die bis heute eine der wichtigsten in Festlandchina ist. Pater Theobald ist glücklich, durch die Arbeit an der chinesischen Bibel weiter Missionar für China sein zu können. Ab 1978 finden wir Pater Theobald nicht

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mehr im Team des Biblicum, sondern in verschiedenen Diensten der Seelsorge, der Mitverantwortung für die Provinz und den Orden, so in Singapur, Taiwan und in Kowloon (Hongkong). Im Laufe des Jahres 1983 kann er dann aber nochmals ins Biblicum zurückkehren. Er wird wieder Erzieher (»Klerikermagister«), da fortan einige Studierendene der Provinz von Taiwan in Hongkong ausgebildet werden. Er macht sich wieder einmal guten Mutes an eine neue Aufgabe. Rückkehr aufs Festland Im Sommer 1988 wagt er eine erste Rückkehr aufs Festland, nach Shantung, ins unvergessene Hungkialu. Dem folgt im Mai/Juni 1989 eine zweite Erkundungsreise in das ehemalige Missionsgebiet der Saxonia, bei der ihn der Missionssekretär Reinhard Kellerhoff und Generaldefinitor Hermann Schalück begleiten. Der glückliche Abschluss dieser Reise, nach sehr unruhigen Tagen in Peking und Shanghai, ist nach Überzeugung von Pater Theobald der Intervention von Bruder Jordan zu verdanken. Letzte Station Deutschland Anfang 1995 kehrt Theobald nach Deutschland zurück. Aber auch auf den letzten drei Stationen seines Lebens – Wiedenbrück, Warendorf und Dortmund – bleibt er immer in Kontakt mit den Entwicklungen in der chinesischen Gesellschaft und Kirche. Mitbrüder aus Taiwan, Hongkong und Festlandchina halten bis zum Ende zu ihm Kontakt, so zum Beispiel der jetzige Erzbischof von Hongkong, John Tong. Die Lebensarbeit und das Lebenszeugnis Theobalds werden fruchtbar bleiben für die Kirche und den Orden in China. Und möge auch seine Überzeugung aus dem Jahr 1936 unter den jetzigen Voraussetzungen wahr bleiben: Mission ist die »Kraftquelle« einer franziskanischen Provinz. P. Hermann Schalück ofm Pater Hermann lebt als Autor im Franziskanerkloster München. Von 1991 bis 1997 stand er dem Franziskanerorden als Generalminister vor. Von 1998 bis 2008 war er Präsident des Internationalen Katholischen Missionswerkes missio in Aachen. Chinesischer Segensspruch

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In Deutschland muss es schön sein Christsein in Taiwan Im Jahr 1953 nahmen die ersten Brüder der Kölnischen Franziskanerprovinz Colonia ihre Mission in Taiwan auf. 1981 besuchte sie der damalige Provinzial ihrer Heimatprovinz, Pater Herbert Schneider. Der folgende Auszug aus seinen Aufzeichnungen hält einige seiner Eindrücke fest. Stets ist es ein Wagnis, über ein Land und seine Menschen zu schreiben, die man nur kurz besucht hat. Ein Mitbruder sagte mir, man müsse sicherlich zehn Jahre unter Chinesen leben, um ein einigermaßen gediegenes Verständnis aufzubringen. Daher gibt mein Bericht auch nur Eindrücke wieder, die vor allem ein wenig Aufschluss geben wollen über die Arbeit unserer Mitbrüder in der Mission auf Formosa (Anmerkung der Redaktion: frühere Bezeichnung Taiwans). Hausgottesdienst in Dungshan Nach dem Abendessen nimmt Pater Alban mich mit zu einem Hausgottesdienst im Dorf Dungshan. Das Haus befindet sich in einer langen Geschäftsstraße, wie es in chinesischen Dörfern und Städten üblich ist. Vor mehreren Jahren richtete ein Erdbeben starke Schäden an. Nun sind die Gebäude, fast alle mit überbautem Bürgersteig, neu aufgebaut. Zimmer hinter dem Zimmer An der Straße werden wir schon von einigen Christen erwartet und freundlich begrüßt. Wir betreten mit ihnen den ersten Raum. Auf der einen Seite befinden sich Säcke mit Reis, auf der anderen Seite steht ein langer Tisch mit Hockern. Wir gehen durch diesen Raum hindurch in ein zweites Zimmer, das offenbar als Küche gedacht ist. Wir durchlaufen einen dritten Bereich, der mit Schränken ausgestattet ist, und gelangen schließlich in einen vierten Raum, in dem mir zunächst ein Holz- und ein Kühlschrank auffallen. In diesem Zimmer, an das sich mindestens noch ein weiteres anschließt, befindet sich ein Wandaltar. Über ihm hängt ein 26

P. Erich Jansen mit Kindern beim Katechismus-Unterricht in Tainanhsien

Bild mit der Darstellung der Heiligen Dreifaltigkeit, die die heilige Familie beschützt. An einem viereckigen Tisch vor dem Wandaltar feiern wir die heilige Messe. Rechts und links von uns stapelt sich eine Unzahl verschiedener Gegenstände. Der Gottesdienst Pater Alban, der sich auf die chinesische Lebensart gut versteht, macht mir um 19 Uhr klar, dass jetzt zwar der Gottesdienst beginnen sollte, wir aber noch warten müssten, bis alle da seien. So unterhalten wir uns weiter zwanglos mit den Leuten, die schon eingetroffen sind. Nach etwa einer Viertelstunde ist es soweit. Rund zehn Christen sind anwesend, alte, »mittelalterliche« und drei größere Kinder. Die Messe kann beginnen.

Mein Gefühl: Hier wird die Situation der Urchristen lebendig. Die wenigen Christen, die es gibt, versammeln sich mit dem Priester um den Herrn. Nach dem Gottesdienst geht die Feier in ein freundschaftliches Abendessen über: Es wird chinesischer Tee gereicht, dazu gibt es Erdnüsse und einen Teller mit einer chinesischen Baumfrucht, die Ähnlichkeit mit Birnen hat. Eine Christin meint, in Deutschland müsse es schön sein: mit so vielen Christen! Ich erwidere ihr, überall sei Gottes Erde, und überall müssten wir uns fest an Christus halten. Das wünsche ich den Menschen in Taiwan: dass sie ihren Glauben bewahren und an die kommenden Generationen weitergeben, auch wenn sie zahlenmäßig eine kleine Minderheit sind. P. Herbert Schneider ofm

Messe und Abendmahl Die Atmosphäre ist sehr freundlich, wohlwollend und unkompliziert. Der Hausherr kommt und begrüßt uns. Er ist, anders als seine Frau, selbst kein Christ. Der Katechist hat die Messe vorbereitet. Pater Alban zieht sich an, während ein Christ Liedtexte verteilt. Die Gläubigen singen und beten so eifrig und lautstark mit, dass der Gottesdienst sicher auch noch gut auf der Straße zu hören ist.

Pater Herbert war von 1980 bis 1989 Provinzial der Kölnischen Ordensprovinz der Franziskaner und von 1986 bis 1989 Vorsitzender der Vereinigung Deutscher Ordensoberen (VDO).

Auszug aus: Heribert Schneider ofm. Eindrücke und Gedanken beim Besuch unserer Mission auf Formosa. In: Rhenania Franciscana. Familienblatt der Kölnischen Franziskanerprovinz von den Heiligen Drei Königen. 34. Jahrgang, Juni 1981.

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Zwischen Tradition und Moderne Mission in Japan Japan ist ein Phänomen: Einerseits blieben Zehntausende japanische Christinnen und Christen ihrem Glauben über 300 Jahre hinweg – in Zeiten blutiger Verfolgung – treu. Andererseits bekennt sich heute, 100 Jahre nachdem die Mission neu einsetzte, weniger als ein Prozent der Bevölkerung zum Christentum. 450 Jahre Christentum in Japan – eine wechselvolle Geschichte. Bereits Mitte des 16. Jahrhunderts trafen spanische Jesuiten als die ersten christlichen Missionare in Japan ein und erzielten anfangs große Erfolge. Nach weniger als 50 Jahren hatten sich bereits mehr als 200.000 Menschen taufen lassen. Dann kam es im Jahr 1596 zu einem folgenschweren Zwischenfall. Ein spanisches Schiff strandete vor der Küste. Der Kapitän befürchtete die Plünderung seiner Ladung und drohte damit, die spanische Armee zu rufen. Aus Angst vor imperialer Vereinnahmung ließ der Shogun daraufhin die ersten 26 Christen hinrichten: sechs spanische Franziskaner, drei japanische Jesuiten, zwölf einheimische Katecheten mit zwei ihrer Mitarbeiter und drei Jugendliche zwischen 12 und 15 Jahren. Kleine Gruppe, große Präsenz 300 Jahre hielt daraufhin die Christenverfolgung in Japan an. Erst im Jahr 1906 nahm die Franziskanerprovinz Thuringia durch Pater Wenzeslaus Kinold die Mission in dem pazifischen Inselstaat wieder auf. Seitdem haben die Franziskaner dort zahlreiche Schulen, Kindergärten, Krankenhäuser und Armenküchen eingerichtet. Sie kümmern sich um arme, alte und behinderte Menschen sowie um die sogenannten »Unberührbaren«. Das soziale Engagement der Franziskaner trägt dazu bei, dass die Christen in Japan im öffentlichen Bewusstsein präsenter sind als die Anzahl der Getauften vermuten ließe. Heute leben in Japan rund 450.000 Katholikinnen und Katholiken, das sind 0,3 Prozent der Bevölkerung. Die meisten von ihnen sind keine

Pater Manfred Friedrich bei der Messe in Japan

Japaner, sondern Fremdarbeiter aus Südamerika, Korea und den Philippinen, die aus wirtschaftlichen Gründen in Japan sind. Zuweilen kommt es in den Gemeinden dadurch zu Spannungen. Während sich viele europäische Ordensleute über die südamerikanische Vitalität und die philippinische Gefühlstiefe freuen, die die neuen Gemeindemitglieder mit in den Gottesdienst einbringen, sehen einheimische Gemeindemitglieder ihre sehr nüchterne Liturgie durch den fremden Einfluss bedroht. Das stellt die Kirche in Japan vor ganz besondere pastorale Herausforderungen.

Quellen: Thüringische Franziskanerprovinz von der heiligen Elisabeth (Hg.): Von Fulda nach Hokkaido. 100 Jahre Japan-Mission der Thüringischen Franziskanerprovinz (1907–2007). meinhardt, Idstein 2007. Zu den Menschen gesandt. Ausstellungskatalog der Thüringischen Franziskanerprovinz zum missionarischen Wirken der Franziskaner, meinhardt, Idstein 2005.

Zukunftsprognosen Wie wird es weitergehen mit dem Christentum in Japan? Pater Helmut Schlegel antwortet auf diese Frage: »Der japanische Katholizismus lebt von Vorbildern. Von starken Persönlichkeiten. An ihrer moralischen Integrität, gläubigen Lebensfreude und solidarischen Nächstenliebe ist der ›Mehrwert‹ des christlichen Glaubens ablesbar. Was zählen wird, ist das überzeugende Lebensmodell derer, die sich für Christus entscheiden. Im postchristlichen Europa wird es nicht anders sein.« Anke Chávez 27

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Neue Perspektiven für Häftlinge und Prostituierte Franziskanermission in Westafrika Die Franziskaner engagieren sich seit 20 Jahren im Staatsgefängnis von Abidjan in der ehemaligen Hauptstadt der Elfenbeinküste. Dort begleiten sie die rund 5.400 Gefangenen, feiern mit ihnen Gottesdienst, begleiten sie seelsorgerisch und bereiten sie auf die Zeit nach ihrer Entlassung vor. Eine Schreinerei, eine Hühnerfarm und eine kleine Schule helfen den Gefangenen, nach ihrer Haft wieder einen Beruf zu finden und in der Gesellschaft Fuß zu fassen.

Übergabe von Nähmaschinen und Trockenhauben für den beruflichen Neustart: Br. Richard Dzierzenga (rechts) und Sr. Pascaline (Mitte) mit Teilnehmerin des Reintegrationsprojektes

Die westafrikanische Franziskanerprovinz umfasst vier Länder: die Elfenbeinküste, Burkina Faso, Togo und Benin. In diesen vier Staaten leben insgesamt rund 41 Millionen Menschen auf einer Fläche, die etwa doppelt so groß ist wie die Bundesrepublik Deutschland. Nach dem UN-Entwicklungsindex zählen sie alle zu den ärmsten und am wenigsten entwickelten Ländern in der Welt. Zwei Projekte stehen für den franziskanischen Dienst in der westafrikanischen Provinz: ein Gefängnisprojekt und ein Projekt für Frauen, die ihren Lebensunterhalt auf der Straße verdienen.

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Das Projekt für Strafgefangene In Westafrika kann es genügen, sich an einer Demonstration gegen den Anstieg der Lebenshaltungskosten zu beteiligen, um im Gefängnis zu landen. Die Haftbedingungen liegen weit unter dem internationalen Standard, sowohl, was die Behandlung der Insassen als auch, was die hygienischen Verhältnisse der Haftanstalten angeht. Auch Kinder und Jugendliche stranden oft wegen Armutsdelikten wie Diebstahl im Gefängnis. Sie werden weder gesondert behandelt noch separat untergebracht. Erwachsene wie Kinder warten oft monate- oder jahrelang auf ihren Prozess. Viele sterben an Krankheiten, die sie sich durch die katastrophalen hygienischen Verhältnisse zuziehen. Gewaltanwendung und Misshandlungen durch die Sicherheitskräfte haben keinerlei strafrechtliche Konsequenzen.

Das Projekt für Prostituierte In Lomé, der Hauptstadt Togos, findet sich dieses Projekt. Lomé ist Hauptziel der jungen Leute, die auf dem Land keine Zukunft sehen und in der Stadt Arbeit suchen – häufig ohne Erfolg. Nicht wenige der jungen Frauen vom Land geraten in die Prostitution. Schwester Pascaline, selbst Togolesin, startete ein Hilfsprogramm für diese Frauen. Der Franziskaner Richard Dzierzenga wurde auf das Projekt aufmerksam. Mit seiner Hilfe entstand ein Team, zu dem auch ein Arzt und ein Rechtsanwalt gehören. In einer gemieteten Wohnung können die jungen Frauen sich jetzt tagsüber treffen und an einem Alphabetisierungs- und Sprachprogramm teilnehmen. Handwerkliche Fortbildungen mit qualifizierten Abschlüssen helfen ihnen, sich später ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Die Frauen können sich zum Beispiel zur Friseuse oder zur Schneiderin weiterbilden. Anke Chávez

Quelle: Zu den Menschen gesandt. Katalog zur Ausstellung der Thüringischen Franziskanerprovinz. Idstein/Taunus 2005, S. 16–17.

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Wer missioniert eigentlich wen? Mission aus der Sicht einer Missionarin auf Zeit Als ich mich entschloss, nach dem Abitur ein Jahr als »Missionarin auf Zeit« zu verbringen, war das eine neue Herausforderung für mich und meinen Glauben, den ich dadurch ganz neu spüren und kennen lernte. Ein Jahr lang wurden wir auf unseren Einsatz vorbereitet: auf die Sprache und auch auf die Kultur, die uns in unserem Gastland erwarten würde. Während dieser Zeit fragten wir auch nach der Bedeutung von »Missionar/in auf Zeit«. Was sollte das heißen? Rückblickend weiß ich: Es geht dabei nicht darum, in fremde Länder zu reisen und dort andere Menschen zu missionieren. Man wird vielmehr selbst missioniert – und das nicht nur auf Zeit! Diese Erfahrungen und diesen Geist brachten wir Missionarinnen und Missionare auf Zeit alle mit zurück nach Hause, und hier missionieren wir nun – unbewusst – weiter. Rückkehrer-Runde Ich möchte an dieser Stelle aber nicht von meinen eigenen Erfahrungen berichten, sondern von einer späteren Seminargruppe, die ich als Leiterin auf ihren Einsatz vorbereitet hatte. Beim Rückkehrerseminar, das nach dem franziskanischen Jahr jeweils in Deutschland stattfindet und das ich ebenfalls geleitet habe, kam ich in den Genuss, mit den neun frisch zurückgekehrten Missionarinnen und Missionaren auf Zeit wieder zusammen an einen Tisch zu kommen. Die einen waren vor Kurzem aus Brasilien oder Bolivien eingetroffen, die anderen aus Indien oder Vietnam. Die Stimmung im Raum war fröhlich, die Lautstärke hoch. Eine Geschichte war spannender, witziger, trauriger, mitreißender als die andere. Situationen, Momente, Anekdoten, Probleme – alle Erinnerungen aus

Fröhliche Rückkehrer-Runde beim Erfahrungsaustausch über den Auslandseinsatz

dieser Zeit kamen in den Rückkehrerinnen und Rückkehrern wieder hoch. Ich kann kaum beschreiben, wie es ist, wenn neun junge Leute aufeinandertreffen, besser: »aufeinanderprallen« und aus einem ganzen Jahr berichten wollen. Jede(r) wollte zuerst erzählen, jede(r) wollte alles von allen erfahren und das am besten gleichzeitig! Kaum hatte eine(r) angefangen zu erzählen, wurde er oder sie auch schon wieder unterbrochen, weil ein anderer mit einer ähnlichen Geschichte den Redefluss aufgenommen und weitergetragen hat. Sie redeten und redeten, es sprudelte nur so aus ihnen heraus, und sie fanden bis in die späten Abendstunden kein Ende. Und mittendrin Gott Das Besondere war, dass sie über Religion und Glaube plötzlich genauso natürlich sprachen wie man über

das Wetter spricht. Ganz normale Abiturientinnen und Abiturienten oder Studierende! Dabei hatten sich viele von ihnen in den Vorbereitungsseminaren noch über das Morgen- oder Tischgebet gewundert. Fragen kamen auf, ob es wirklich nötig sei, Gottesdienste zu feiern. Nach dem Jahr war es für sie nicht nur selbstverständlich, zum Gottesdienst zusammenzukommen, sondern auch von allen gewünscht. Bei den Gebeten zu den Mahlzeiten verhielt es sich ähnlich. Mussten wir in der Vorbereitungszeit noch nach bekannten Liedern suchen, die dann mit zurückhaltender Stimme gesungen wurden, so kannte jetzt jeder Lieder oder Gebete in der Sprache seines Gastlandes. Gerne wollten die jungen Leute sie nun wieder singen, hören oder beten. Teilweise wurden die Lieder sooft wiederholt, dass ich an das dampfende Essen auf dem Tisch erinnern musste! »»

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Hinter diesen Wünschen und neuen Gefühlen stecken für die Rückkehrerinnen und Rückkehrer besondere Momente, individuelle Gesichter, die jede(r) einzelne von ihnen tief im Herzen trägt und die er oder sie nun mit dem christlichen Glauben in Verbindung bringt. Hört man ihnen zu, bekommt man oftmals eine Gänsehaut dabei. Man kann nur ahnen, wie und wo Gott ihnen in der Zeit begegnet ist. Und plötzlich bemerkt man, dass auch Gott bei diesen Erzählungen mitten im Raum ist und bei jeder Geschichte mitredet. Wer dabei wen missioniert oder missioniert hat, bleibt offen. Das Leben als Geschenk Gottes Schnell stellte sich mir die Frage, wo die jungen Erwachsenen geblieben waren, die ich vor der Ausreise angeleitet hatte. Um diese Frage zu beantworten ist das Wort »Missionierung« gut zu gebrauchen. Diese Zeit als Missionar auf Zeit richtet sich nicht nach der Uhr, sie spricht eine andere Sprache, sie ist pures Leben in Gemeinschaft, im Glauben. Man kommt mit anderen Personen in Kontakt, man spricht über neue Themen, man übernimmt völlig ungewohnte Aufgaben – kurz: Man lebt einfach anders. Dieses Jahr bietet die Chance, eine neue Kultur von innen heraus kennenzulernen. Dazu gehört in den

Ländern, in denen die Missionarinnen und Missionare auf Zeit ihr franziskanisches Jahr verbringen, auch der christliche Glaube, der dort als ganz selbstverständlich erlebt wird. Das Zweifeln über die Religion ist dort nicht so wichtig wie bei uns in Westeuropa. Man erkennt, dass Ostern auch ohne Osterhasen und -eier ein Hochfest ist. Zu Weihnachten freut man sich sehr über eine Tube Zahnpasta, da es beim Geschenk nur darum geht, sich gegenseitig eine Freude zu machen. Diese Länder sind wirtschaftlich oft ärmer, doch sie haben die Gabe, das Leben als Geschenk Gottes wahrzunehmen. Die Rückkehrerinnen und Rückkehrer waren nach dem Jahr zwar noch dieselben Personen, aber sie haben sich durch diese vielen kleinen Erkenntnisse im Denken, im Fühlen und im Glauben verändert. Ihre Persönlichkeit hat sich in diesem Jahr weiter entwickelt und verfestigt. Sie tragen den Glauben weiter und versprühen den Geist des Missionars auf Zeit in die Welt hinaus. Das alles vielleicht dadurch, dass sie während des Einsatzes als Missionarinnen und Missionare auf Zeit eine Leichtigkeit des Glaubens erfuhren, die sie sich davor wohl niemals hätten träumen lassen.

Unbefristete Mission Auch wenn mein eigener Einsatz als Missionarin auf Zeit schon einige Jahre her ist, ist er dennoch nicht beendet. Er gewinnt immer wieder eine neue Bedeutung, eine neue Wichtigkeit für mich. »Missionarin auf Zeit« blieb ich nicht auf Zeit, eher fand und findet danach meine eigentliche Zeit der Mission statt, wie zum Beispiel bei den Vorbereitungsseminaren für die nächsten Missionarinnen und Missionare auf Zeit. Bei meinem franziskanischen Einsatz im Ausland wurden mir die Augen geöffnet, zum Sehen gelange ich nun hier in Deutschland! Jetzt kommt es darauf an, dass wir nach dem, was wir gesehen und erlebt haben, aus dieser Erfahrung heraus handeln und dass wir aus diesem Geist heraus und aus unserem Glauben leben. Den Glauben weiter tragen und immer wieder aufs Neue offen für den Glauben zu sein, ist unsere »Mission«. Nach dem oben geschilderten Rückkehrerseminar habe ich voller Bewunderung festgestellt, dass die Missionarinnen und Missionare auf Zeit mich durch ihre gelebte Leichtigkeit an den Glauben erinnert haben und somit auch mich wieder ein Stück weiter missioniert haben. Sandra Gotzhein Sandra Gotzhein war als Missionarin auf Zeit in Indien und Indonesien. Heute arbeitet sie als Sozialarbeiterin in Wien.

Franziskaner »Franziskaner« – Das Magazin für Franziskanische Kultur und Lebensart »Franziskaner« fragt in seiner aktuellen Ausgabe zum 2. Ökumenischen Kirchentag, wie es die Nachfolger des hl. Franziskus mit der Ökumene halten.

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Weitere Themen: Zukunft der Kirche – Kirche der Zukunft; der franziskanische Künstler Laurentius Englisch, Geistlicher Wegbegleiter u.v.m.

Um die kostenlos erhältliche Zeitschrift »Franziskaner« zu beziehen, wenden Sie sich bitte an: Angela Heiner Am Frauenberg 1 36039 Fulda Tel.: 06 61/10 95-36 E-Mail: [email protected] www.zeitschrift.franziskaner.de

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Projekt Schulprojekte geben Zukunft »Als ich meine geliebte Frei-Alberto-Schule nach dem fünften Schuljahr verlassen musste, um meine Ausbildung an einer weiterführenden Schule fortzusetzen, war ich sehr traurig«, erinnert sich die heute 27-jährige Andréa Farias Soeiro. »Wie sehr vermisste ich meine geliebten ›tias‹, meine Lehrerinnen, die uns bis dahin so liebevoll Rechnen, Schreiben und Lesen beigebracht hatten; die uns immer zur Seite standen, wenn wir Probleme hatten; und die uns fachlich, aber auch menschlich auf das Leben vorbereiteten, das noch vor uns lag.« In der weiterführenden Schule ging es dann ganz anders zu. Aber durch das, was sie in der Frei-Alberto-Schule gelernt hatte, gehörte Andréa dort bald zu den Besten. Als sie sämtliche Mitschülerinnen und Mitschüler bei einem Mathematik-Wettbewerb überflügelte, spotteten diese: »Du bist wohl die Tochter von einer Lehrerin!« Andréa Farias lacht. »Aber so war es nicht. Nicht meine Mutter hatte mir all das beigebracht, sondern die Lehrerinnen der Frei-Alberto-Schule.« Andréa stammt wie die meisten Kinder der Frei-Alberto-Schule aus einer Familie von Landarbeitern, die auf der Suche nach Verdienstmöglichkeiten in die Stadt abwanderten – dort aber ohne Startkapital und Ausbildung nicht nur arm, sondern

Franziskanische Nachwuchsförderung: Schülerin der Frei-Alberto-Schule in Brasilien

auch völlig rechtlos sind. Die Kinder dieser Leute existieren nicht für den Staat, folglich sorgt er auch nicht für ihre Ausbildung. Ohne die Frei-Alberto-Schule hätte Andréa vermutlich niemals auch nur in Grundzügen Rechnen, Schreiben und Lesen gelernt. So aber hat sie anschließend zunächst die weiterführende Schule und dann die Universität besucht. An der Hochschule, an der sie studiert hat, arbeitet sie heute.

Ähnlich wie Andréa ergeht es vielen Kindern auf der Welt. Nicht nur in Brasilien, sondern auch im von Aids und Kriegen geschüttelten Afrika und in armen Landesteilen von Vietnam hätten Mädchen und Jungen aus mittellosen Familien ohne die Franziskaner oft nicht die Möglichkeit, zur Schule zu gehen. Bitte helfen Sie mit, dass Kinder armer Eltern eine Ausbildung und dadurch eine Perspektive für ihre Zukunft erhalten.

Impressum Franziskaner Mission wird viermal im Jahr kostenlos den Freunden der franziskanischen Missionsarbeit zugestellt. Franziskaner Mission erscheint im Auftrag der Sächsischen und der Kölnischen Franziskanerprovinz, der Provinz von Bacabal sowie der Missionszentrale der Franziskaner, Bonn. Herausgeber Franziskaner Mission, Dortmund Verantwortlich Augustinus Diekmann ofm Redaktion Anke Chávez, Stefan Federbusch ofm, Natanael Ganter ofm, Thomas M. Schimmel, Alfons Schumacher ofm Fotos Robert Hof: Titelseite li., S. 8, 9. Archiv Thüringische Franziskanerprovinz: Titelseite (Mitte), S. 17 o., 27. Augustinus Diekmann: Titelseite re., S. 2, 7, 16 u., 17 u., 20, 21, 22 o., 23, 29, 30.

FM-Archiv: S. 3, 4, 14 re., 24, 26, 28, Rückseite. Institut für Missionswissenschaft, Würzburg: S. 5. Stefan Federbusch: S. 6. Frank Hartmann: S. 10, 11, 16 o. Franziskanerkloster Dorsten: S. 12. Archiv OFM-Generalkurie, Rom: S. 13 o. Archiv der Sächsischen Franziskanerprovinz Paderborn: S. 13 u. Deutsches Bundesarchiv: S. 14 li. Heldemar Heising: S. 15. Augustinus Wehrmeier: S. 17 li. Bernhard Dettling: S. 18, 19. Archiv Franziskanerprovinz Bacabal: S. 22 u. Archiv Franziskanerprovinz Bavaria: S. 25. Lukas Brägelmann: S. 31 Gestaltung sec GmbH, Osnabrück Druck IVD, Ibbenbüren; gedruckt auf Recycling-Papier

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Afrikanischer Sonnengesang

In Europa wird gefragt, ob und inwieweit es Sinn macht, das Christentum in ein Land zu bringen, das von einer anderen Kultur und von anderen religiösen Werten geprägt ist. Wenn es stimmt, dass der christliche Humanismus von allen Spielarten des Humanismus jenes Bild von Freiheit und Menschenwürde entwirft, das den Menschen am meisten zu seinem wahren Selbst finden lässt, weil er eben auf Jesus zielt, dann sind Christen nicht nur berechtigt, sondern verpflichtet, Christus und das christliche Weltbild »bis an die Grenzen der Welt« zu verkündigen. Mission in diesem Sinn ist weder Indoktrination noch Verachtung anderer Lebensentwürfe, Mission ist aber auch nicht nur Dialog der Religionen. Mission ist die Fortsetzung des Weges Jesu, der kam, um »den Armen« das Evangelium zu bringen. Pater Helmut Schlegel ofm

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