Fälschungen/Verfälschungen zum Schaden der Post

March 29, 2016 | Author: Pamela Gerhardt | Category: N/A
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Fälschungen/Verfälschungen zum Schaden der Post Die Idee, mit gefälschten Briefmarken die Post um das ihr zustehende Entgelt zu betrügen, ist nicht gerade neu. Genau genommen, ist sie so alt wie die Briefmarke selbst, sogar älter. So sagt man Rowland Hill nach, dass er auf die Idee des im voraus zu entrichtenden Portos erst gekommen sei, als er persönlich miterlebte, wie ein junger Mann seiner Geliebten Briefe schickte, deren Annahme diese verweigerte (und dann auch nicht zu zahlen hatte). Des Rätsels Lösung war ein zwischen den beiden Liebesleuten verabredeter Zeichencode auf der Briefhülle, die die eigentliche Mitteilung in Kurzform enthielt, so dass eine Annahme des Briefes sich erübrigte. Schon hier wurde also die Post um die Bezahlung für die erbrachte Beförderungsleistung betrogen, was dann zur Einführung der im voraus zu entrichtenden Gebühr in Form von „Gebührenzetteln“ führte. Mit dem 6. Mai 1840 schlug in England die Geburtsstunde der Briefmarke – und der Ganzsache, denn neben der berühmten „Penny Black“ erschien am gleichen Tag auch die erste für die Beförderung vorausbezahlte Ganzsache, der vom englischen Zeichner William Mulready entworfene und nach ihm benannte Umschlag/Faltbrief. Es sollte nicht lange dauern, bis clevere Zeitgenossen auch hier die Möglichkeit, die Post um das ihr zustehende Entgelt zu bringen, entdeckten. Dabei hatten viele Postverwaltungen vorgesorgt, zumal sie die Gefahr der Wiederverwendung von Briefmarken durchaus sahen. Angefangen von der Wahl des Papieres bin hin zu kräftigen, teils gar das Markenbild fast zerstörenden Stempeln („Killerstempel“ werden die stummen Stempel vieler Staaten genannt) suchten sie, ihr Monopol und die ihnen zustehenden Einkünfte zu sichern. So war es zwangsläufig, dass sich frühe Fälschungsversuche auf die Reproduktion der Briefmarke selbst, also auf Ganzfälschungen, konzentrieren, wobei deren Anzahl und Auflagen für die beiden ersten Jahrzehnte, eher Einzelfälle blieben1. So gilt als eine oder gar älteste Fälschung zum Schaden der Post (in der Philatelie kürzt man diese mit PFä ab) die spanische 6 Cuartos-Marke aus dem Jahre 1850, von der allerdings nur noch ein Exemplar bekannt ist! Sie blieb kein Einzelfall, denn allein in Spanien wurden bis 1877 mehr als 50 Ausgaben zum Schaden der Post als Ganzfälschungen in Umlauf gebracht2. Auf den Philippinen wurde 1855 eine 5 Cuartos-Marke gefälscht, vom November des gleichen Jahres bis September 1856 waren im Kirchenstaat gefälschte 5 und 8 Baj.-Marken der ersten Ausgabe im Umlauf. Hatten diese Fälschungen in Bologna ihren Ursprung, wurden zwischen Oktober 1859 bis Februar 1861 zahlreiche PFä der Werte 2, 10 und 20 Gr verbreitet, eben bis es der Polizei gelang, der Täter habhaft zu werden.3 Von April 1861 bis August 1862 kursierten in Neapel gefälschte Marken der provisorischen Regierung von Sizilien, solche gab es auch in der Lombardei, Spanisch-Westindien, Großbritannien (1 sh-Marke von 1871, W. Rose), von Puerto Rico (40c von 1882), Griechenland (Ausgaben von 1889), Britisch-Indien (1 Rupie von 1882) und Finnland (1904), um damit die sicherlich nicht vollständige Liste mit Beginn des 20. Jahrhunderts abzuschließen.4 Experten streiten sich bis heute, ob es zur Zeit der altdeutschen Staaten PFä gab. Preußen-Sammler zitieren hier gerne die sog. „Hallenser Fälschung“ der blauen 2-Silbergroschen-Marken (MiNr. 17) der

Jahre 1865 bis 1867, einige schließen aber auch die Möglichkeit nicht aus, dass diese „aus einer weniger gelungenen echten Teilauflage von abgenutzten Platten der Marken stammen“5. Württemberg kann hier ebenfalls angeführt werden, denn dort fälschte A. Wolf in Stuttgart die Werte zu 2 Pf grau, 50 Pf braunlila und 1 M. violett für den amtlichen Verkehr, allerdings so schlecht, dass sie recht bald auffielen und der Urheber überführt und bestraft werden konnte. Sei es, wie es sei: erste wirklich verbreitete und damit auch teils recht spektakuläre Fälle von PFä führen in die Zeit des Deutschen Reiches, zu der nun die gleichen Marken im einheitlichen ganzen Reiche zu verwenden waren, was dem Vorsatz, einerseits die Reichspost zu schädigen, andererseits Fälschungen nahezu grenzenlos weit verbreiten zu können, Auftrieb verlieh. Es war andererseits die Früh-und Pionierzeit der Philatelie, allerdings bestanden zwischen dieser Entwicklung und den PFä keine direkten Zusammenhänge. Diese sollten sich eher bei den Fälschungen zum Schaden der Sammler herauskristallisieren, wie im nächsten Kapitel zu zeigen ist. Folgen wir also den frühen und ersten Spuren des Postbetruges, so wie diese in zahlreichen Fällen heute bestens dokumentiert sind.

Die BARMER Fälschung Diese erste PFä des Deutschen Reiches führt ins Jahr 1882 nach Barmen, damals einer selbständigen Stadt, heute einem der drei großen Ortsteile von Wuppertal.6 Dort lebte zu dieser Zeit der 24 Jahre alte Friedrich Wilhelm Riechers, ein Lithograph aus Buckau/Magdeburg, der mit den zwei Söhnen der allseits angesehenen Textilfabrikantenfamilie von Wilhelm Blankemann, Wilhelm Blankemann jr. (35) und Fritz (24) bekannt war. Es ist heute nicht mehr bekannt, wer von diesen dreien auf die Idee einer Postfälschung kam und was die wirklichen Hintergründe waren (die beiden Unternehmersöhne arbeiteten als Kaufleute im Geschäft ihres Vaters und es dürfte ihnen finanziell eigentlich recht gut gegangen sein, denn die Firma galt als „erste Adresse“. Tatsache ist, dass die Gebrüder Blankemann dem Lithographen die für die Herstellung einer Fälschung notwendige Ausstattung an Maschinen und Geräte finanzierten. Dass das Vorhaben gut eingefädelt war, beweist die „kriminelle Energie“ der Tätergruppe. So bestellte Riechers in Berlin bei einer Maschinenfabrik eine Perforiermaschine, die die exakte Zähnungswiedergabe ermöglichen sollte. Nach Anlieferung des Gerätes stellte sich aber heraus, dass die vorgenommene Zähnung minimal abwich, woraufhin das 275 Mark teure Gerät im Herbst 1882 wieder an den Lieferanten zurückging, der sich keinen Reim auf die höchst unerklärliche Penibilität des Auftraggebers machen konnte. Erst später sollte er wohl die Zusammenhänge näher verstehen lernen! Waren von früheren altdeutschen Fälschungen eher jene normaler Standard-Wertstufen bekannt, so beschritten die wohl recht marketingerfahrenen Brüder Blankemann einen anderen Weg. Sie gaben die Fälschung der damals kursierenden höchsten Wertstufe zu 50 Pf, die meist nur für Wertbriefe und Pakete gebraucht wurde, in Auftrag. Der Grund für diese auf den ersten Blick ungewöhnliche Entscheidung lag wohl darin, dass Briefmarken – damals wie auch später – häufig als Kleingeldersatz in Anspruch genommen wurden, eben für Beträge, für die keine Geldscheine

zur Verfügung standen. So war es im Geschäftsverkehr durchaus üblich, ungerade Rechnungsbeträge auf diese Art und Weise teilzubegleichen, nachdem die „glatten Beträge“ mit Geldscheinen abgedeckt wurden. So wusste man sich im Zeitalter des bargeldlosen Geschäftsverkehres durchaus zu behelfen. Es mag auch die Überlegung eine Rolle gespielt haben, dass es natürlich viel lohnender ist, einen 50 Pf-Wert (damals kostete eine Postkarte 5 Pf Porto, im Ortsverkehr sogar nur 3 Pf!) zu fälschen. 50 Pf von damals entsprechen heute mindestens dem zehnfachen, und der Gewinn wäre dementsprechend gleichlautend, wobei das Risiko aufzufallen insofern gemindert würde, als ja eben diese Marken über den indirekten Zahlungsverkehr von Firma zu Firma abzusetzen wären. Genauso geschah es auch: 300.000 Fälschungen im Nominalwert von 150.000 Mark wurden von Riechers produziert, 140.000 sollen tatsächlich in den Verkehr gebracht worden sein, davon 106.000 alleine über die Firma Blankemann. 34.000 Stück brachte Riechers selbst in Umlauf7. All diese Marken wurden meist auf Paketkarten verbraucht und sollen sogar bei Postämtern unerkannt gegen Bargeld wieder eingetauscht worden sein. Von Riechers ist bekannt, dass er mit diesen Marken seine Druckereirechnungen bezahlte oder sie bei Bekannten gegen Bares eintauschte. Einem Kölner Freund verkaufte er so z.B. 21 Marken gegen 10 Mark, also mit fünf Prozent Rabatt, was den nichts Böses ahnenden Käufer später zu einem Verdächtigen in der Affäre werden ließ. Denn schon wenige Monate später flog der Betrug auf. Ob es nun ein Berliner Postbeamter war, der auf eine solche Fälschung aufmerksam wurde, die ihm ein Schuhmachermeister, bei dem Riechers ein Paar Stiefel bestellt und mit den Marken bezahlt hatte, oder ein Kasseler Kaufmann, bei dem Riechers ebenfalls Kunde war, die Meinungen darüber gehen auseinander. Tatsache ist, dass Riechers am 7. März 1883 und die Gebrüder Blankemann am 15. März verhaftet wurden. Das Urteil des Königlichen Landgerichtes zu Elberfeld am 18. August 1883 fiel drakonisch aus: Die Angeklagten wurden gemäß § 275 Reichs-Strafgesetzbuches von 1871 für schuldig befunden, „zu Barmen in den letzten zwei Jahren auf besonderen Maschinen falsche 50 Pfennig-Marken hergestellt und davon einen beträchtlichen Teil an eine große Anzahl Geschäftsleute in den verschiedensten Städten Deutschlands, von denen sie die Waren bezogen, abgesetzt zu haben, und zwar dadurch, daß sie die falschen Freimarken als Zahlungsmittel gebrauchten“. Das Strafmass für Riechers und Wilhelm Blankemann lautete auf jeweils fünf Jahre Gefängnis und ebenso langen Ehrverlust, Fritz Blankemann kam mit zwei Jahren Gefängnis davon. Vater Wilhelm Blankemann, der ursprünglich auch verhaftet worden war, dem aber eine Mittäterschaft in keiner Weise nachzuweisen war, bezahlte für die Missetat seiner Söhne dennoch einen hohen Preis. Die Post beschlagnahmte für das ihr entgangene Entgelt das Firmenvermögen in Höhe von 25.000 Mark, schon am 21. März 1883 ging die ehemals so angesehene Firma in Liquidation, der Konkurs war nicht aufzuhalten. Schon ein Jahr später war der Name Blankemann in Langerfeld nicht mehr zu finden.

Es mag den Sammler heute verblüffen, dass die „Barmer Fälschung“ trotz der hohen Druckauflage nicht erst seit heute als eine sehr selten anzutreffende Fälschung gilt. Schon das Kohl-Handbuch vermerkte 1925, dass „heute für die Fälschung Liebhaberpreise bezahlt werden“ und notierte einen Katalogpreis von 100 Mark für die ungebrauchte oder gestempelte Erhaltung8. Die Post damals war von der Qualität und Verbreitung der „Barmer Fälschung“ so sehr beeindruckt, dass sie sogar beschloss, die damalige 50 Pf-Marke landesweit zurückzuziehen und durch eine Neuausgabe, zu der es allerdings nicht mehr kam, zu ersetzen. Man mag heute die „Blauäugigkeit“ der damaligen Deutschen Reichspost, die für die frühen Marken des Deutschen Reiches bei der Herstellung eher Kostenaspekte, also z.B. die preiswertere Herstellung im Buchdruck statt im aufwändigeren Kupfertiefdruck, bevorzugte, auf Wasserzeichenpapier verzichtete und sich auf irgendwelche Geheimzeichen im Markenbild beschränkte, kaum noch verstehen, aber die „Barmer Fälschung“ hatte betriebsintern sichtbare Folgen, wie Fritz Steinwasser vor Jahren herausfand9. So setzte die deutsche Postbehörde beim Deutschen Reich besondere Strafbestimmungen durch, die sich auf „Section 7 des Post-Office-Protection Act“ in Großbritannien 1884 erlassen, bezogen und nun die Herstellung, den Besitz oder den Vertrieb von PFä, selbst die dazu erforderlichen Werkzeuge untersagte – was Fälscher aber, wie zu zeigen ist, kaum abschreckte. Postintern wurde bereits am 17. März die Reichsdruckerei mit einer Analyse der Vorfälle und des Status Quo der Postwertzeichenherstellung beauftragt. Dabei musste der damalige Direktor des Hauses, der Geheime Regierungsrat Busse, in seinem am 26. April vorgelegten Bericht über die „Herstellung einer neuen Ausgabe der Portofreimarken“10 die zuvor schon erwähnten Sparmaßnahmen zugeben, damit auch den Zusammenhang des billigeren Buchdruckes auf normalem Papier, womit PFä erleichtert würden. Er empfahl Papier mit Wasserzeichen, zweifarbigen Marken-Kupfertiefdruck. Die sich dabei abzeichnenden Probleme derPassergenauigkeit, der nicht ausreichend vorhandenen Zahl von Kupferpressen mit geringerer Druckkapazität sollte durch neue, leistungsstärkere Maschinen zu beheben sein. Nur für die Postwertzeichen geringerer Wertstufen solle der billige Buchdruck weiterverwendet werden.

So begann die Deutsche Reichspost ab 1883 mit einer Reihe von Experimenten, z.B. mit dem Einsatz unterschiedlicher Papiersorten. Ab dem 20. Februar 1886 wurden die 10 Pf-Marken der Ausgabe von 1880 sogar in einer völlig neu chemisch entwickelten Farbe hergestellt. Diese anilinrote Farbe war nicht nur intensiver, sondern auch lichtstabiler, und die Farbgebung war auch bei Teilauflagen gleichmäßig. Im Gegensatz zu der bis dahin verwendeten Farbe, die aus mehreren Farben jeweils gemischt und neu angerührt werden musste. Die neue Anilinfarbe war resistent gegen Säuren, saure Dämpfe oder andere chemische Einflüsse – und sie war sogar noch billiger! An neuen Kupfertiefdruckmaschinen wurde allerdings weiterhin gespart11, sie sind erst für die Ausgabe der zwei, drei und fünf Mark-Werte der Germania-Marken ab dem 1. April 1900 nachweisbar. Es sei hier schon an Rande erwähnt, dass die Einführung der neuen Anilinfarbe in der „Geschichte der Fälscher“ noch eine bedeutende Rolle spielen sollte, denn ihr verdankt die Philatelie die Überführung eines der namhaftesten Fälscher jener Jahre (Georges Fouré)! Die Barmer Fälschung war also für die Deutsche Reichspost und die Reichsdruckerei ein traumatisches Erlebnis. Man glaubte sich nun gewappnet, aber diese Fälschung sollte nicht die einzige bleiben, die der Post fortan Kopfzerbrechen bereitete.

Die Strassburger Fälschung Die zweite Fälschung dieser Art in Deutschland war die sogenannte „Straßburger Fälschung“. Diese Fälschung der 10 Pf.-Marke, Deutsches Reich (MiNr. 41, Ausgabe ab 1880), gilt als die seltenste deutsche Fälschung zum Schaden der Post. Der „Briefmarkenkönig“ von Ferrari besaß wohl ein ungebrauchtes Exemplar, zwei ungebrauchte Stücke fand Dr. Herbert Munk, der Bearbeiter des Kohl-Handbuches, 1925 in den Beständen einer Berliner Firma, ein Exemplar soll sich noch in amerikanischer Hand befunden haben. Die anderen bekannten Stücke kamen erstmals 1999 bei einer Versteigerung der Firma Heinrich Köhler, des ältesten deutschen Auktionshauses in Wiesbaden, zum Angebot: zwei Briefe und eine Einheit, nämlich ein auf Vorlage aufgeklebter Neunerblock, die sich ursprünglich im Besitz des Straßburger Sammlers H. Bauer befanden12. Er hatte diese Stücke damals Dr. Herbert Munk vorgelegt, woraufhin sie dann ausführliche Darstellung und Katalogisierung fanden. Die Entstehungszeit dieser bemerkenswerten Fälschung führt vom Jahre 1925 in das Jahr 1885 zurück. Damals, Anfang Oktober 1885, kam ein findiger, aber offenbar nicht genügend besoldeter Unteroffizier auf die „kluge“ Idee, seinen Sold aufzubessern, indem er eine Fälschung der

gängigen 10 Pf-Marke herstellen ließ. Er übergab diese an Soldaten in größeren Posten – insgesamt wurden aber wohl nur 3.000 Stück gedruckt – mit der Bitte, ihm diese gegen Geld einzuwechseln, wobei die Soldaten natürlich eine Vermittlungsprovision für sich einbehalten durften. Den abzurechnenden Enderlös sollten sie ihm dann postlagernd wieder zuschicken. So fanden die Postfälschungen leichten Zugang zu kleineren Tabak-und Warengeschäften, eben überall dorthin, wo Kleingeld oder Wechselgeld gefragt war, und es war damals durchaus üblich, solche kleinen Marken-Wertstufen in Ermangelung von Papiergeld niedrigeren Wertes als Zahlungsmittel zu benutzen. Die Idee des Offiziers war also sehr ausgeklügelt, und so fand die Fälschung recht bald in ganz Straßburg Verbreitung. Dabei war sie nicht gerade gut hergestellt. Im Gegensatz zum Original wirkt die Farbe eher blassweißlich, die zwar gut getroffene Markenbildzeichnung hebt sich kaum reliefartig hervor, die leicht lösliche Farbe wirkt eher wie ein Abklatsch. Bei genauerem Hinsehen fallen die abweichenden Buchstaben RE(ICH) und die im Mittelstück plumpe Schwanzfeder des Adlers auf, aber auch die rohe, ungleichmäßige und kleinlochige 14er-Zähnung.

Den „Straßburger Neuesten Nachrichten“ vom 11. April 1923, die die Auflösung des bis zu dieser Zeit wohl bestehenden Archives beim Straßburger Postamt kommentierten, verdankt die philatelistische Welt den Hintergrundbericht zu dieser Fälschung, also auch den zweiten Teil dieser heute wohl eher unterhaltsamen Story. Denn die Fälschung blieb nicht lange unentdeckt: schon Ende Oktober 1885, also nur knapp einen Monat nach den ersten Verteilungen, flog die Fälschung auf, als eine mit diesen Marken frankierte Briefsendung beim „Ausschuss zur Eröffnung unzustellbarer Briefsendungen“ landete. Hier hatte man leichtes Spiel, Original vom Falsifikat zu unterscheiden, polizeiliche Ermittlungen führten bald auf die Spur des Fälschers, dessen

besonderes „Briefmarkenproduktions-Interesse“ wenig später vom Gericht mit einem Jahr und sechs Monaten geahndet wurde. Das unverhoffte und teuer erkaufte Ende einer Karriere! Das Reichspostmuseum in Berlin besaß – trotz einer recht reichhaltigen Sammlungen von Fälschungen aus den frühen Jahrzehnten – keine dieser Fälschungen. Dem späteren Rechtsnachfolger, der heutigen Museumstiftung Post und Telekommunikation, ließ dies wohl keine Ruhe, und so war die Spannung am 28. Mai 1999 recht groß, als diese seltenen Belegstücke erstmals zum Ausruf bei der Auktion in Wiesbaden kamen. Wenig später konnte der Leiter des „Archiv Philatelie“ der Museumsstiftung, Dr. Andreas Hahn, freudig verkünden, dass zwei der drei Stücke künftig ihre Heimat in der Sammlung des Archives gefunden haben. Los 5831, der Brief mit dem Paar, wurde für 13.000 DM (bei 8.000 DM Ausruf) zugeschlagen, um Los 5833 gab es ein heißes Bietergefecht mit einem mitbietenden Händler, der sich erst bei 31.000 DM, also dem gut doppelten Ausrufpreis, geschlagen geben musste. Damit kehrten beide Fälschungen dorthin zurück, wo sie postalisch gestempelt ihren Ausgangsort hatten: zur Post selbst als Institution, die damals vor 115 Jahren geschädigt werden sollte. Nur Spötter werden anmerken, dass man dies auch billiger, nämlich seinerzeit zum Postpreis, hätte haben können! Beide Beispiele, die „Barmer Fälschung“ wie die „Straßburger Fälschung“ machen allerdings auch eines deutlich: Fälschungen zum Schaden der Post sind in der Regel selten, zuweilen sogar sehr selten. Dies hängt in der Natur der Sache, denn häufig wurden sie längere Zeit unerkannt verwendet, nicht von Briefmarkensammlern, sondern von normalen Postkunden. Daraus folgert, dass Sammler ein geradezu hoch gesteigertes Interesse haben, auch solche Belegstücke als Dokumentation in ihre Spezialsammlungen einzufügen, was die teils „horrenden“ Auktionspreise erklärt, die für solche Fälschungen gezahlt werden.

Die Chemnitzer Fälschung Aber auch die ab 1. April 1902 von der Deutschen Reichspost herausgegebenen neuen GermaniaMarken – nunmehr mit der geänderten Beschriftung DEUTSCHES REICH statt wie bisher REICHS-POST – fanden willige Nachahmer. Und die sog. Chemnitzer Fälschung sei hier als letztes Beispiel kurz vorgestellt. Auch hier war eine Gruppe, ähnlich wie bei der Barmer Fälschung, am Werke. Sie bestand aus dem Buchdruckereibesitzer Schulze, dem Klischeefabrikanten Keilbach, dem Setzer Beck und einem Lohnkellner Hoffmann, der den Vertrieb der Fälschungen im Jahre 1902 besorgte. Den Fachleuten gelang eine vergleichsweise gute Fälschung, die nur geringe Unterschiede in der Gestaltung (etwas verschwommener Druck, Farbe eher trüber, kleinere Unterschiede bei der Inschrift,

bläulichweißes Papier, 14er statt 14 ¼-Zähnung) aufwies.13 Die Fälschungen wurden wohl in Bogen zu 20 Marken gedruckt, jeweils mit fünf vertikal angeordneten „Marken“, ringsum mit breiten Rändern. Experten können zumindest zwei verschiedene Druckauflagen aufgrund der unterschiedlichen Abweichungen zum Original und der Auflagen untereinander nachweisen14. Schon im September 1902 fielen die Fälschungen auf, es kam zu Verhaftungen der Täter und man fand – neben noch komplett vorhandenen Druckbögen – auch Aufzeichnungen über die Vertriebszahlen. Insgesamt wurden offenbar 2.238 abgesetzt, davon allerdings später noch 1.434 beschlagnahmt, so dass 804 Exemplare damals nicht mehr nachzuweisen waren. Den Missetätern bekam ihre Tat weniger gut. Auch sie wurden in einem Prozess, der im Dezember 1902 seinen Abschluss fand, zu Strafen von bis zu zwei Jahren verurteilt. Anmerkungen: 1

Bildnachweis: Abbildungs-Tableau zum Vortrag von A.E. Glasewald, abgedruckt: in: Der Philatelist Jg. 1905, S. 274 2 Eine recht ansehnliche Übersicht enthält der Vortrag von A. E. Glasewald, gehalten auf dem XVII. Deutschen Philatelistentag in Regensburg; abgedruckt in: Der Philatelist, Jg. 1905, S. 272ff; hier: S. 273 3 Bildnachweis: Der Philatelist, Jg. 1905, S. 275 4 Die Aufzählung erfolgt nach A.E. Glasewald; siehe vorhergehende Anmerkung. Weitere in diesem Zusammenhang nützliche Quellen: Mitteldeutsche Philatelisten-Zeitung 1901, Nr. 5, 6, 8/9; dito, aber Jg. 1902, Nr. 12; dito, aber Jg. 1903, Nr. 10; Vertrauliches Korrespondenzblatt September 1898; Illustriertes Briefmarken-Journal Jg. 1883, Nr. 112/113; 5 Fischer, Peter: Zum Schaden von Post und Sammlern, in: Briefmarken Spiegel 11/2002, 24 6 Die Bearbeitung folgt der Darstellung, wie sie sich bei Paul Kleeberg: Fälschungen von Marken der Deutschen Reichspost, in: Die Sammler-Woche 1922, S. 27ff.; Bernd Braches: Die Barmer Fälschung von 1883, in: Philatelie und Postgeschichte 210/philatelie 289, März 2001, S. 33ff.; Fritz Steinwasser: Hochkonjunktur für Fälscher, in: Briefmarken Spiegel 12/1994, S. 188ff. findet. 7 Bildnachweis: 300. Auktion der Fa. Heinrich Köhler, Wiesbaden 22.–26.9.1998, Los Nr. 7192 8 Bildnachweis: 300. Auktion der Fa. Heinrich Köhler, Wiesbaden 22.–26.9.1998, Los Nr. 7193 9 Fritz Steinwasser: Hochkonjunktur für Fälscher, in: Briefmarken Spiegel 12/1994, S. 188ff. 10 Bildnachweis: Fritz Steinwasser, a.a.O., S. 188 11 Bildnachweis: Fritz Steinwasser, a.a.O., S. 189 12 Bildnachweise der Straßburger Fälschung: 304. Auktion der Fa. Heinrich Köhler in Wiesbaden, 28. Mai 1999, Lose 5831–5833 13 Bildnachweis: 125. G. Loth-Auktion, 7.–9.3.2002, Los 5270 14 Diese unterschiedlichen Auflagen werden schon im Kohl-Handbuch, S. 944 (Deutsches Reich) detailliert vorgestellt; Quelle: © Wolfgang Maassen: Echt oder falsch?, Schwalmtal 2003, S. 19-29

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