Fakultät Versorgungstechnik und Umwelttechnik (VU) Ausgabe 25 / 2010

February 28, 2017 | Author: Holger Friedrich | Category: N/A
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VU-BERICHTE Hochschule Esslingen

Fakultät Versorgungstechnik und Umwelttechnik (VU) Ausgabe 25 / 2010

Aus dem Inhalt: Studium: Gut gelaufen S. 3 Absolventen im WS 2009/10 S. 4 Klimaschutz nach Kopenhagen S. 13 Beiträge erneuerbarer Energien S. 18 Deutsche Sprache wagen S. 20 Bologna-Prozess: “Umsteuern!” S. 24 “Proteste wegen Überforderung” S. 28 Imtech-Tag in der Fakultät VU S. 31 VU-Kolloquium im WS 2009/10 S. 35 VU-Kolloquium im SS 2010 S. 44

Wärme aus Altbrot:

Sinnvolle Energieverwertung in Bäckereien Das Thema "Energie" hat viele Facetten. In diesem Zukunftsbereich eröffnen sich mit guten Ideen oft überraschende neue Wege. Auf einem dieser Wege ist BA (Eng.) Christian Alber unterwegs: Zum Abschluss seines Studiums der Versorgungstechnik und Umwelttechnik an der Hochschule Esslingen untersuchte er die Möglichkeiten, Altbrot aus Bäckereien sinnvoll zu verwerten.

Aus Altbackenem wird ein nutzbarer Energieträger Die Fakten dazu: Jedes Jahr fallen allein in Südwürttemberg rund 10.000 Tonnen Altbrot an; in Deutschland dürften es nach Schätzungen insgesamt jährlich etwa 300.000 Tonnen sein. Im Mittel gehen rund 7,5 Prozent der Bäckereiwaren nicht über die Ladentheken, weil die Kunden eben frisches Brot bevorzugen und - ein wenig geschmäcklerisch - einige Tage alte Ware nicht mehr schätzen. Und über die Tafelläden, mit denen Hilfsbedürftige versorgt werden, kann nur ein begrenzter Teil des Altbrots weitergegeben werden. Also landet heute der größte Teil der Altwaren als kostenpflichtiger Abfall in den Müllverbrennungsanlagen. "Die Entsorgung bereitet den Bäckereien zunehmende Probleme", meint Joost Nicolai Bremer, der Geschäftsführer der Bäko Südwürttemberg eG, eines genossenschaftlich organisierten Fachgroßhandels für Bäckereien.

Deshalb untersuchte Christan Alber die Möglichkeiten, Altbrot energetisch gleich "vor Ort" - und damit ohne den kostenaufwendigen Umweg über Müll-Heizkraftwerke - energetisch zu nutzen. Seine Erkenntnis: "Ja, das ist machbar: Die wirtschaftlichen und ökologischen Voraussetzungen dazu sind nicht schlecht!" Christian Alber kennt die Bedingungen, unter denen moderne Bäckereien heute wirtschaften: Er arbeitete neben dem Studium immer wieder in der Bäckerei seines Großonkels in Filderstadt-Bernhausen. Die Idee, Altbrot auf seine energetische Verwertbarkeit zu untersuchen und eine Abschlussarbeit zu diesem Thema zu erstellen, entstand aus der Zusammenarbeit der Bäko und der Firma Visiofacto GmbH, die Konzepte für die Energieversorgung von Bäckereien erarbeitet. Als Student der Versorgungstechnik und Umwelttechnik an der Hochschule Esslingen brachte Christian Alber das notwendige wissenschaftliche Rüstzeug mit, sich diesem spannenden Thema zu widmen. Sein Betreuer der Abschlussarbeit, Prof. Dr.-Ing. Markus Tritschler, lobte die 160 Seiten dicke Arbeit, die im Sommer 2009 fertig wurde: "Christian Alber hat sich mit seiner hervorragenden Leistung die Note 1,0 verdient."

Heizwert: Ähnlich wie bei Holzpellets Im Rahmen von Verbrennungsversuchen habe sich gezeigt, so Alber, dass

trockenes Altbrot mit etwa 17 bis 18 Megajoule je Kilogramm einen ähnlich guten Heizwert wie Holzpellets habe. In etwa 15 Prozent der deutschen Bäckereien würden die Backöfen über Thermalöl indirekt wärmeversorgt; die Kessel zur Thermalölerwärmung seien heute meist öl- oder erdgasbefeuert. Diese Kessel könnten durch Kessel für eine Holzpellets- und Altbrotverfeuerung ersetzt werden. Damit ließen sich in den Betrieben nennenswerte Mengen der nunmehr teuer gewordenen - fossilen Endenergien einsparen. Dies schone nicht nur die fossilen Energieressourcen, sondern auch die Geldbeutel der Bäcker. Durch Wirtschaftlichkeitsbetrachtungen lasse sich nämlich nachweisen, dass sich in größeren Bäckereien die nötigen Zusatzinvestitionen für eine Altbrotverfeuerung schon nach wenigen Jahren amortisieren könnten. Christian Alber zeigte sich zuversichtlich, dass es gelinge, eine geeignete Bäckerei und einen Investor für den Bau und Betrieb einer Pilotanlage zu finden. Erste Kontakte mit Herstellern von Holzpellet-Kesseln hätten ergeben, dass zerkleinertes Altbrot genauso gut zu verfeuern sei wie Holzpellets. Eine Fragestellung sei jedoch noch näher zu untersuchen: Da Brot aus geschmacklichen Gründen Salz (NaCl) zugegeben werde, komme es bei der Verbrennung darauf an, dass die Verbrennungstemperaturen innerhalb eines umwelttechnisch optimalen Bereiches lägen: So sei zum einen eine Temperatur von mehr als 850 0C nötig, um unerwünschte Kohlenwasserstoffverbindungen und weitere Schadstoffe in kleinere Bestandteile aufzuspalten und vollständig aufzuoxidieren. Zum anderen sei der Verbrennungsvorgang 1

Verbrennungsversuche mit zerkleinertem Altbrot so zu führen, dass das - im Brot nicht mit Kohlenstoff C verbundene - Chlor Cl nicht zur Dioxin- und Furanbildung neige. Stäube ließen sich aus dem Verbrennungsgas gut herausfiltern.

Altbrot: Auch als Beigabe in Biogasanlagen geeignet Eine weitere Verwertungsmöglichkeit sieht Christian Alber für Altbrot als Beigabe in Biogasanlagen: Es eigne sich z. B. als Koferment zum Hauptfermentat Gülle. Damit könne die im Altbrot enthaltene Energie zur Biogaserzeugung genutzt werden. In Deutschland seien Biogasanlagen inzwischen stark verbreitet, da die Stromerzeugung aus Biogas in Kraft-Wärme-Kopplungs-Anlagen erheblich subventioniert werde. Nunmehr gebe es auch einen Markt für die Veredlung von Biogas zu Bioerdgas, das sich ins Erdgasnetz einspeisen lasse. Allerdings werde bisher für Altbrot weder wie etwa für Mais, Weizen o. ä. der so genannte NawaRo-Bonus als zusätzlicher Förderbonus gewährt, noch könne Altbrot als Koferment in bestehende Biogasanlagen zugegeben werden, ohne dass diese den NaWaRo-Bonus für das

Hauptferment verlieren würden. Hier bestehe politischerseits ein entsprechender Nachbesserungsbedarf bei der Subventionspraxis für erneuerbare Energien. Deshalb sei ein Besprechungstermin mit dem Umweltministerium in Stuttgart vereinbart worden, um die gesetzliche Problematik bei der Fermentation von Altbrot und die erforderlichen Änderungen darzulegen. Vorausgesetzt, die gesetzliche Lage ändere sich, wäre für Bäckereien der logistische Aufbau einer Altbrot-Entsorgungsdienstleistung durch die BÄKO ebenfalls denkbar. Auch ethische Fragen wurden von Christian Alber in seine Untersuchungen mit einbezogen: Brot habe gerade im christlichen Kulturkreis eine hohe Symbolkraft - etwa im Hinblick auf das christliche Abendmahl. Dies sei selbstverständlich zu respektieren. Daneben werde Brot natürlicherweise als Lebensmittel und nicht als Brennstoff gesehen. Andererseits zeige die Erfahrung, dass Altbrot als Lebensmittel von den Menschen nicht mehr akzeptiert werde; weshalb sollten die Kirchen dann Bedenken gegen eine direkte thermische Verwertung von Altbackwaren in den Bäckereien haben, da das Altbrot ja bisher letztlich in den Müllverbrennungsanlagen lande? Schließlich sei nicht zu vergessen, dass die Bauern in vorindustrieller Zeit im Mittel rund 10 bis 15 Prozent ihrer Ackerfläche für den Anbau von Futtermitteln für ihre Zugtiere genutzt hätten - also für die Energieversorgung ihres landwirtschaftlichen Betriebs. Warum sollte es dann ethisch nicht auch vertretbar sein, dass sich Bäckereien künftig mit - nicht weiter verwertbaren - Reststoffen aus ihrem Produktionszyklus energetisch ein Stück unabhängiger machten? M. Dehli

Christian Alber zusammen mit seinem Großonkel (rechts) und Prof. Dr.-Ing. Markus Tritschler (Mitte) am Thermalölkessel zur Wärmeversorgung der Bäckerei und Konditorei in Filderstadt-Bernhausen 2

Mit dem SHK-Preis ausgezeichnet: BA (Eng.) Thorsten Kraus (Mitte)

Exzellente Abschlussarbeit zur Kostenkalkulation Thorsten Kraus aus Seitingen-Oberflacht im Landkreis Tuttlingen hatte im November 2009 allen Grund zur Freude: Seine Abschlussarbeit im Studiengang Versorgungstechnik und Umwelttechnik (VU) der Hochschule Esslingen brachte ihm nicht nur die Note 1,1 und den akademischen Abschlussgrad "Bachelor der Ingenieurwissenschaften", sondern auch eine Auszeichnung des Fachverbandes Sanitär-Heizung-Klima Baden-Württemberg. Beim traditionellen SHK-Abendgespräch mit Vertretern aus Politik, Wirtschaft und Handwerk in Stuttgart überreichte der Stellvertretende Vorsitzende des Fachverbandes, Volker Werling, die Auszeichnung an den 28-Jährigen. In seiner Abschlussarbeit befasste sich Thorsten Kraus mit der "Kostenberechnung in der technischen Gebäudeausrüstung". Betreut von Prof. Dr.-Ing. Hans Messerschmid sowie Dipl.-Ing. (FH) Holger Sack, dem Leiter der Abteilung Haustechnik der Firma Ed. Züblin, untersuchte Kraus, welche Verfahrensweisen dabei angewandt werden. "Es ist Ihnen hervorragend gelungen, die Problematiken bei der Kalkulation von Angeboten darzulegen", lobte Werling die Arbeit in seiner Laudatio. Am Beispiel von Angeboten im Bereich Gebäudetechnik habe Kraus anhand verschiedener Verfahren die Prozesse der betrieblichen Kalkulation sowie deren Probleme, Risiken und Gefahren herausgearbeitet. Thorsten Kraus entwickelte außerdem einen anwendungsorientierten Leitfaden für den Kalkulationsablauf. "Die Kalkulation “nach Gefühl”, nach dem viele SHKHandwerksunternehmen bisher - meist erfolgreich - kalkulieren, lässt sich so objektivieren, unterstützen und untermauern. So sind exaktere Entscheidungen möglich", freute sich Volker Werling. O

Rektor Schwarz hob die enge Vernetzung der Hochschule mit Industrie und Wirtschaft hervor, die sich über Lehrbeauftragte, Praxissemesterplätze und die Möglichkeit zu Abschlussarbeiten in den Firmen der Region, aber auch in der Arbeit des “Vereins der Freunde der Hochschule Esslingen” (VdF) dokumentiere.

Studium: Gut gelaufen

Erfolgreicher Abschluss: Zufriedenheit und Erleichterung bei den Absolventen und Absolventinnen der Versorgungstechnik und Umwelttechnik (VU) 52 Absolventen und Absolventinnen der Versorgungstechnik und Umwelttechnik der Hochschule Esslingen (HE) starteten am 19. Februar 2010 in einen neuen Lebensabschnitt: Sie nahmen ihre Urkunden und Zeugnisse entgegen, die ihnen ihre akademische Würde und Berufsbefähigung als Diplom-Ingenieur, als Bachelor bzw. als Master der Ingenieurwissenschaften bescheinigen. Sie gehörten zur Schar von insgesamt 530 Absolventen und Absolventinnen, die zum Abschluss des Wintersemesters 2009/10 im Esslinger “Neckarforum” gemeinsam in gehobener Stimmung das erfolgreiche Ende ihres Studiums feierten. Zahlreiche Angehörige der frisch gebackenen Akademiker und Akademikerinnen waren mit dabei, um an der freudigen Atmosphäre

HE-Rektor Prof. Dr.-Ing. Bernhard Schwarz zog eine positive Bilanz

Anteil zu nehmen. Von den 530 Bachelor-, Diplom- und Master-Abschlüssen gingen 334 an männliche und 196 an weibliche Absolventen, wobei neben 491 deutschen auch 39 ausländische Absolventen aus 22 Staaten vertreten waren.

Hochschule Esslingen: Ein Fels in der Brandung der Hochschulreform Die Feier wurde vom Hochschulorchester unter der Leitung von Steffi BadeBräuning musikalisch eröffnet. Danach beglückwünschte der Rektor der Hochschule Esslingen, Prof. Dr.-Ing. Bernhard Schwarz, in seiner Rede die Absolventen, denen ein donnernder Applaus der Zuhörer zuteil wurde. Er zitierte einen Satz des chinesischen Philosophen Lao Tse: “Lernen ist wie das Rudern gegen den Strom: Wenn man aufhört, treibt man zurück.” Rektor Schwarz betonte, die Hochschule Esslingen habe sich den Herausforderungen der Hochschulreform gestellt. Man habe erkannt, dass der “BolognaProzess” nicht aufzuhalten sei; deshalb habe man die Spielräume in dessen vorgegebenem Rahmen aktiv genutzt. Der “Bachelor” sei nunmehr der Regelabschluss. Letztlich sei die Bezeichnung des Abschlussgrades unwichtig - wichtig sei aber die Qualität, die das Studium kennzeichne. An der Qualität des Studiums habe sich in Esslingen nichts geändert; diese Feststellung sei angesichts der Verunsicherung, die die Hochschulreform in der Öffentlichkeit sowie bei Studierenden und in der Wirtschaft ausgelöst habe, besonders wichtig.

Im Anschluss beglückwünschte Dipl.Ing. (FH) Heinz Illi, der frühere Vorstand des Vereins der Freunde der Hochschule Esslingen (VdF), die Absolventen zu ihrem Studienerfolg. Gerade in Zeiten eines schwierigen wirtschaftlichen Umfeldes sei die Innovationskraft von Ingenieuren das beste Mittel, um zu neuen Zielen zu kommen. Jenseits von persönlichen Eitelkeiten gelte es, durch Flexibilität und Offenheit Neues zu wagen. Er rief den Absolventen zu: “Setzen Sie sich in die Lokomotive, nicht ins Bremserhäuschen!” Für die Stadt Esslingen zeigte sich Oberbürgermeister Dr. Jürgen Zieger überzeugt, dass die Absolventen nicht nur in der Zeit ihres Studiums, sondern auch in Zukunft Esslingen mit seiner reichen Tradition und wirtschaftlichen Stärke gerne aufsuchen würden. Für die Stadt Göppingen richtete Bürgermeister Jürgen Lämmle Grußworte an die Absolventen.

Energieeffizienz und Wirtschaftlichkeit gehören zusammen Im Anschluss hieran überreichte im Hauptgebäude der Hochschule Esslingen der Dekan der Fakultät Versorgungstechnik und Umwelttechnik, Prof. Dipl.-Ing. Gerhard Fetzer, den frischgebackenen Versorgungs- und Umweltingenieuren ihre Zeugnisse. Darunter waren 9 Diplom-, 37 Bachelor- und 6 Master-Abschlusszeugnisse. Prof. Fetzer lobte die Absolventen und Absolventinnen

Ba (Eng.) Arno Fuchs erhielt den Preis des Industrieverbandes ITGA 3

Volle Kraft voraus: Abschlussarbeiten fertiggestellt! Auch im Wintersemester 2009/10 zeigten sich die Studierenden im Abschlusssemester des grundständigen Studiengangs Versorgungstechnik und Umwelttechnik sowie des Masterstudiengangs Energie- und Gebäudetechnik einer großen Themenvielfalt gewachsen: Das galt für die Arbeiten in den Instituten für Versorgungstechnik, Regelungstechnik und Brennstoffzellentechnik sowie für die von Industrie und Planungsbüros betreuten Arbeiten. Neben Diplomarbeiten wurden auch Bachelor- und Master-Abschlussarbeiten erstellt. Das waren die Themen: Diplomarbeiten: Mit dem Preis der Firma Cofely ausgezeichnet: BA (Eng.) Jörg Gamperling

und hob deren Fleiß und Ausdauer beim Studium hervor: “Sie haben sich Ihre Ingenieurskenntnisse in aller Breite und Tiefe erworben. Dabei haben Sie auch schwierige Klippen umschifft. Ihr Studium ist nun zu Ende - nun steht die Arbeit an Ihrer beruflichen Zukunft von Ihnen!” Prof. Fetzer wies auf die zahlreichen herausfordernden beruflichen Aufgaben hin, mit denen es die Ingenieure der Versorgungstechnik und Umwelttechnik zu tun hätten: Der Markt brauche energieeffiziente und umweltverträgliche Techniken. Klar sei aber auch, dass Energieeffizienz und Wirtschaftlichkeit zusammengehörten: Denn zukunftsfähige Techniken müssten auch bezahlbar bleiben. Eine weitere Art der Anerkennung waren die Preise, die an herausragende Absolventen verliehen wurden: Der Preis der Firma Cofely (früher Axima) ging an BA (Eng.) Jörg Gamperling, der diese Auszeichnung aus den Händen von Dipl.-Ing. (FH) Olaf Wolf aus dem Contracting-Bereich von Cofely entgegennahm. BA (Eng.) Arno Fuchs wurde mit dem Preis des Industrieverbandes Technische Gebäudeausrüstung Baden-Württemberg (ITGA) geehrt, dem der Preis von ITGA-Geschäftsführer Rechtsanwalt Jürgen Meyer überreicht wurde. Und als weitere Auszeichnung erhielt BA (Eng.) Jörg Gamperling den Preis der Firma Ed. Züblin AG aus den Händen von Dipl.-Ing (FH) Markus Genswein. Weitere Preisträger waren BA (Eng.) Markus Kohn sowie BA (Eng.) Irina Vetter, denen der Preis des SteinbeisTransferzentrums “Gebäudeautomation” von Prof. Dr.-Ing. Markus Tritschler übergeben wurde. M. Dehli 4

- Gunthard Gaude: Brennstoffzellenanlagen als “Range Extender” im KfzBereich sowie als Klein-BHKW im Hausbereich - Gerhard Grasso: Reinigungssystem für eine portable Photovoltaik-Reinigungsanlage - Gertrud Helfrich: Energetische Betrachtung von unterschiedlichen regenerativen Energiesystemen in Passivhausschulen - Steffen Mauch: Erarbeitung eines Gesamtkonzeptes zur Oberflächenwasseraufbereitung im Katastrophenfall - Patrick Merkl: Wirtschaftlichkeitsbetrachtung von Wärmepumpensystemen für die Versorgung moderner Bürogebäude - Konstantin Miroschnikov: Regelung von VVS-Klimaanlagen - Aufbau eines Emulators zur Untersuchung von Regelvorgängen in Anlagen - Elvis Wache Metchehe: Konzeption und Planung der Fernüberwachung und Visualisierung einer Brennstoffzellenanlage und des darüber versorgten Klimagerätes - Axel Weiß: Optimierung einer Anlage zur Aufbereitung von Abwasser mit Enteisungsmitteln - Matthias Zeresselassie: Integration und Inbetriebnahme des Raumklimagerätes im IBZ-Container Bachelorarbeiten: - Ruslan Abasidze: Bestandsaufnahme, Erfassung und Erarbeitung von Einsparpotenzialen beim Wasser- und Energieverbrauch in den Gebäuden und Freianlagen der neun städtischen Friedhöfe der Stadt Esslingen - Elena Algaier: Verfahren zur Berechnung, Auswertung und Dokumentation von Wärmetauschermessungen an raumlufttechnischen Anlagen

Dipl.-Ing. (FH) Holger Sack (rechts) und Dipl-Ing. (FH) Markus Genswein (links) von der Firma Ed. Züblin betreuten die erfolgreiche Abschlussarbeit von BA (Eng.) Jörg Gamperling - Julia Anstett: Energiestudie zur ökologischen und ökonomischen Optimierung eines Wärmeverbundsystems in einem deutschen Industrieunternehmen - Jochen Attinger: Sole-/Wasser-Wärmepumpenanlagen - Untersuchung des Betriebsverhaltens einer Erdsondenwärmepumpe mit kondensatorseitig variablem Volumenstrom - Zoran Baljak: Staubemissionsprognose für die Fertigung von Rohkarosserien in der Automobilindustrie - Ingmar Barsch: Leitfaden zur Konzeption einer Holzfeuerungsanlage für den alternativen Betrieb mit TrockenholzHackgut und Holzpellets - Sven-Alexander Baum: Verifizierung des FTIR-Messverfahrens als Alternativmethode zur Formaldehydbestimmung - Patrick Bezner: Solare Meerwasserentsalzung - Konzeptentwicklung sowie energetische und wirtschaftliche Betrachtung thermischer Meerwasserentsalzungssysteme auf Basis solarer Wärmeerzeuger - Michaela Brecht: Auswirkungen des Zertifizierungssystems “Deutsches Gütesiegel Nachhaltiges Bauen” auf den Planungsprozess unter besonderer Berücksichtigung der Fachplanung für Technische Gebäudeausrüstung - Daniel Bury und Johannes Uhrich: Optimierung der Instandhaltungsstrategie für raumlufttechnische Anlagen am Flughafen “Vienna International Airport” - Axel Fink: Beurteilung vertikaler Schachtsysteme aus brandschutztechnischer Sicht - Felix Fischer: Untersuchung zur Wärme- und Kälteversorgung eines Verwaltungsgebäudes unter wirtschaftlichen, technischen und ökologischen Gesichtspunkten - Tobias Frosch: Nationale und europä-

BA (Eng.) Irina Vetter und BA (Eng.) Matthias Kohn erhielten aus den Händen von Prof. Dr.-Ing. Markus Tritschler den Preis des Steinbeis-Transferzentrums “Gebäudeautomation” ische Brandprüfverfahren von Leitungsdurchführungen durch bauaufsichtlich benannte Bauteile - Arno Fuchs: Brandschutztechnische Analyse des Produktionsstandortes Zuffenhausen der Dr.-Ing. h. c. F. Porsche AG im Hinblick auf privat- und öffentlichrechtliche Anforderungen

Die Versorgungstechnik und Umwelttechnik - interessant auch für Frauen. Das bewies BA (Eng.) Michaela Brecht

- Jörg Gamperling: Anwendung von Tageslicht/Kunstlichtsimulationsprogrammen zur Optimierung der elektrischen Energieeffizienz von Büro- und Verwaltungsgebäuden - Joachim Häuser: Abwasserbehandlung für den mobilen Einsatz - Swen Hensler: Erarbeitung eines energetischen Sanierungskonzeptes für ein Verwaltungsgebäude mit Lagerhallen - Christoph Hezel: Untersuchung der Wirkungsweise von Vollstrahldüsen in einem chemischen Prozess und Erarbeiten/Bewerten von alternativen Düsenkonzepten - Andreas Hirsmüller: Wasserstoffseparation aus wasserstoffreichen Gasmischungen

- Philipp Hölz: Untersuchung der Gasnetze und -anlagen auf wirtschaftliche Einsatzgebiete von Gasentspannungsanlagen zur Erzeugung von Strom - Sertac Kirden: Energiebericht der städtischen Gebäude und Einrichtungen im Rahmen des kommunalen Energiemanagements der Stadt Kirchheim-Teck - Peter Klausmann: Modellversuch und Konzeption einer bedarfsgeführten Einrohrheizungsanlage - Markus Kohn und Irina Vetter: Strategien zur Einführung eines Umweltmanagementsystems nach EMAS II an der Hochschule Esslingen - Lissy Li: Entwicklung eines optimierten Grundlastkonzeptes für einen Industriestandort: Blockheizkraftwerk versus Wärmepumpe hinsichtlich Wirtschaftlichkeit und CO2-Einsparpotential - Tobias Mack: Konzeptentwicklung einer gleichzeitigen freien Kühlung und Kühlwasserwärmerückgewinnung einer Fabrik zur Produktion von PhotovoltaikZellen - Marco Munz: Energiekonzept für kommunale Liegenschaften in Nürtingen - Tobias Potz: Entwicklung einer Oberfläche zur Mediensteuerung von Versuchsständen der Gebäudetechnik am Beispiel des Abwasserturms der Hochschule Esslingen zur Wissensvermittlung mittels E-Learning - Simon Reich: Solare Kühlung - Wirtschaftlichkeitsbetrachtung und Machbarkeitsstudie solarer Kältebereitstellung mittels Absorptionskältetechnik auf Basis solarer Wärmeerzeuger - Tobias Schock: Energiekonzepte zur Wärmeversorgung eines kleinen Nahwärmenetzes - Matthias Spies: Erstellung eines Energieversorgungskonzeptes für eine Berghütte mittels thermischer Gebäudesimulation für die Nachrüstung mit erneuerbaren Energien

- Oliver Bernd Steinmetz: Geothermische Wärmepumpen zum Kühlen und Heizen - Auswertung der Energieeffizienz umschaltbarer Wärmepumpen mit Vorschlägen zur Optimierung - Kathrin Stolz: Technische Sanierung eines Mehrfamilienhauses unter Einsatz regenerativer Energien: Vergleich verschiedener Varianten der Wärmeerzeugungsanlage - Daniel Veremeitchik: Aufbau und Inbetriebnahme eines Prüfstandes zur schnellen Leistungsprüfung von Solarkollektoren - Konrad Wangart: Mittel- und Hochtemperaturwärmespeicher für Solarthermiekraftwerke - Technologievergleich, Konzeption und wirtschaftliche Betrachtung - Alexander Wiederkehr: Energieoptimierte Prozessabluftführung unter Berücksichtigung von Mindestströmungsgeschwindigkeiten sowie sicherheitsrelevanten und wirtschaftlichen Aspekten Masterarbeiten: - Michael Blodig: Einfluss der Zuluftführung auf die Rauchschichtung im Brandfall - Davor Kristic: Optimierung der Innenraumströmung eines Passiv-Wohngebäudes mittels der CFD-Simuation - Yang Liu: Implementierung eines durchgängigen Engineering-Workflows von Gebäudeplanung, Lastberechnung und Energieverbrauchsberechnung bzw. -simulation auf der Basis üblicher Werkzeuge und Standardschnittstellen - Yu Wang: Erstellung eines einfachen Berechnungsmodells zur Ermittlung bzw. Abschätzung des Jahresenergieverbrauchs von Immobilien am Beispiel von Bürogebäuden - Zhiyu Wang: Innovative Energieversorgung für Verwaltungsgebäude mit Einbindung regenerativer Energiesysteme - Xiaomin You: Optimierung einer Verbrennungsluftanlage für einen Großmotorenprüfstand M. Dehli

Erfolgreicher Master-Abschluss: Xiaomin You aus China wird von VUDekan Prof. Fetzer beglückwünscht 5

Ungewöhnliche künstlerische Interpretationen des gewohnten Hochschul-Umfeldes:

Interferenzen zwischen Kunst und Technik

Martin Dehli Widerspiele des Himmels mit Blättern und Blumen im Fluss der Stadt: Glasbilder von Karina Stängle Die Hochschule Esslingen einmal nicht durch die Brillen der Ingenieure, sondern aus dem Blickwinkel von heimischen Künstlerinnen und Künstlern zu sehen das war die Idee der Ausstellung "Interferenzen", die im September und Oktober 2009 drei Wochen lang in den Gebäuden des Hochschulstandortes Esslingen-Stadtmitte zu sehen war. Die Ausstellung war Teil des Kulturfestes "Stadt im Fluss" der Stadt Esslingen am Neckar.

Heizkörper in neuer Sicht Dass dabei oft auch überraschende neue Einsichten möglich waren, ließ zum Beispiel die Installation von Regine Schaupp am rechten Eingang des neoklassizistisch gestalteten Hauptgebäudes 1 erkennen: Dort werden seit Jahrzehnten im Vorraum zwei schlicht-funktionelle Heizkörper von klassisch-griechischen Säulen flankiert. Die Künstlerin

lenkte mit einer witzigen Geräuschinstallation die Aufmerksamkeit der Hochschulangehörigen auf diese gelungene Verbindung von Architektur und Technik: Da war immer wieder ein sanftes Gluckern, Glucksen und Gurgeln zu hören als ob das Heizungswasser gerade aus den Heizkörpern ausströmen würde. Aus Sicht der Künstlerin schienen mit der Installation - unterstrichen durch die Einbeziehung eines künstlichen Rasenfeldes in diesen tempelartigen Vorraum prägende Geister des Gebäudes zum Leben zu erwachen und sich hörbar zu manifestieren - als ob vorgefundene und mitgebrachte Schwingungen miteinander in Berührung kämen. Dieses Beispiel machte - wie auch die anderen Kunstwerke - die Bezeichnung "Interferenzen" für die Kunstausstellung anschaulich: Mit dem der Physik entlehnten Begriff "Interferenzen" sollte die Wechselwirkung von Technik und Kunst beschrieben werden, die in den Gebäuden der Hochschule aufeinander trafen und sich - wie etwa Lichtwellen - gegenseitig durchdrangen und überlagerten.

nischen Rationalität entlastetes Flair in die Räume und eröffnete neue Einsichten und gedankliche Freiräume, um im Gewohnten Neues zu entdecken. Die künstlerische Gruppierung, die sich mit viel Einfühlungsvermögen auf den "genius loci" der Hochschule einließ, war der "Verein artgerechte Haltung Bildende Künstler Esslingen e.V.". Diese Künstlervereinigung bringt bereits durch ihren satirisch-mehrdeutigen Namen ein befreiendes Maß an Selbstironie und Heiterkeit zum Ausdruck. Deren 22 Bildende Künstlerinnen und Künstler integrierten ihre Kunstobjekte jeweils in die unterschiedlichen örtlichen Voraussetzungen der Gebäude am Hochschulstandort Esslingen-Stadtmitte.

Hinterfragt: Technische Eindeutigkeiten Damit eröffneten sie an einem Ort von langer ingenieurtechnischer Tradition ein Spannungsfeld zwischen unterschiedlichen Paradigmen und hinterfragten gleichzeitig technische Eindeutigkeiten, die dadurch einen neuen Kontext erhielten. In einer Reihe von Fenstern rund um den Hochschulcampus waren Bilder von Rosemarie Beißer, Sophie Rakette und Agnes Riske ausgestellt. In der Eingangshalle und im ersten Obergeschoss des - den Geist technischer Moderne atmenden - Gebäudes 10 brachten eine Installation von Bertl Zagst, Leuchtkästen von Albrecht Weckmann, Bilder von Jürgen Niederer und Karina Stängle sowie eine Installation mit Typographien von Winfried Schlöffel den Betrachtern neue, künstlerische Interpretationen des gewohnten Arbeitsumfeldes nahe.

Wildwechsel zwischen den Gebäuden 9 und 10 Im Übergang zwischen den Gebäuden 9 und 10 wurden Arbeiten von Tim Stefan Heger gezeigt. Verstreut im Gebäude 9

Die Welt der Ingenieure - das ist technische Präzision, nüchterne Rationalität und zweckbezogenes, auf Funktionalität ausgerichtetes Denken und Handeln: Dies prägt den Alltag der Professoren, Mitarbeiter und Studierenden in den Gebäuden, und damit ist gewissermaßen der "Spiritus loci" - also der Geist des Hochschulortes - gekennzeichnet.

Esslinger Bildende Künstler in artgerechter Haltung Heizkörper, von klassischen Säulen umrahmt: Ort der akustischen Installation von Regine Schaupp 6

Durch die Kunstausstellung kam ein von der Strenge der Funktionalität und tech-

"Transit" zwischen den Gebäuden 9 und 10 von Tim Stefan Heger

In den Ausstellungsvitrinen im 1. Obergeschoss des Hauptgebäudes 1 reagierte Ragan Arnold mit Glasobjekten auf die Atmosphäre der dort ausgestellten technischen Exponate, Fachbücher und Fachaufsätze, in den Fluren waren die Modelle und Pläne von Wolfgang Scherieble, Architekturbilder von Bodo Nassal und auf der Freiterrasse neben den Räumen des Rektoramtes eine Objektinstallation von Helga Kellerer zu sehen.

Verändern sich mit dem Licht und dem Betrachterstandpunkt: Vibrierende Farbstrukturen von Ade Weeth waren es Bilder von Angela Hildebrandt, in den Vitrinen Grafiken von Margit Schranner, im Eingangsbereich Fotographien von Yves Noir und großformatige Bildabstraktionen von Heidrun Füssenhäuser, mit denen die technische Stringenz und Schärfe technischen Denkens und Handelns interpretiert und anders gedeutet wurden. Das Hauptgebäude 1 erhielt im Glasvorbau des Treppenhauses gegenüber der Menseria durch die Installation mit Papierobjekten von Simone Leister und durch farbig leuchtende Gitterbilder von Ade Weeth eine lebendige und gleichsam geistige Leichtigkeit.

Auch die neue Menseria auf dem Campus wurde in die Interpretationen der Künstlergruppe mit einbezogen: Hier war die Akustik- und Objektinstallation "Oase" von Claudia Bohnenstengel ausgestellt, und im Vorbereich kommunizierten die atmend-leichten Balloninstallationen von Petra Pfirrmann mit der Umgebung des Hochschulcampus. Heidrun Füssenhäuser, eine der ausstellenden Künstlerinnen, berichtete, dass bei der vorbereitenden Begehung der Hochschulgebäude jede der 22 teilnehmenden Künstlerinnen und Künstler sich von den einzelnen Orten der Hochschule angezogen gefühlt habe und aus jeweils persönlicher Sicht denjenigen Bereich ausgewählt habe, an dem dann die Objekte der Ausstellung präsentiert wurden. Heidrun Füssenhäuser hatte sich den Eingangsbereich des Gebäudes 9 ausgesucht, der durch seine kargen Sichtbetonwände eine klare und fast abstrakte Architektursprache signalisiere. Dieser Bereich habe ihre Bilder kongenial zur Geltung bringen können, da sie in ihren Arbeiten - ausgehend von Architektur-

Stadtansichten, Dachlandschaft, Architekturstücke: Die Künstlerin Heidrun Füssenhäuser präsentierte ihre Arbeiten als abstrakte bildnerische Äquivalente zu optisch wahrgenommener Architektur

Tüten, gefüllt mit Atem: Objekte im Außenbereich der neuen Menseria von Petra Pfirrmann skizzen - geometrische Formen und Flächen präzise an- und ineinander füge. Auch die Farben - monochrom in lasierenden Schichten aufgetragen - seien streng kalkuliert: Sie erzeugten durch modulative Schwingungen ein leichtes Vibrieren der Bildfläche. Die Künstlerin fasste zusammen: "Durch bewusste Organisation entstehen abstrakte bildnerische Äquivalente zu optisch wahrgenommener Architektur."

Unverhoffte Begegnungen Zu einer lebendigen und äußerst anregenden Interpretation aller Werke kam es am 1. Oktober 2009 im Rahmen einer Führung mit Andreas Baur, dem Leiter der Städtischen Galerien in Esslingen, an der zahlreiche Kunstfreunde teilnahmen. Er gratulierte am Ende der Führung dem Künstlerverein, der mit den Ausstellungsobjekten die Bereiche der Hochschule Esslingen nicht nur für die Hochschulangehörigen aus neuen Blickwinkeln sichtbar, sondern auch für Außenstehende erlebbar gemacht habe. Prorektorin Prof. Dr. Stefani Maier zeigte sich beeindruckt von den vielen positiven Reaktionen auf die Ausstellung, zu deren Gelingen HE-Pressereferentin Cornelia Mack wesentlich beigetragen hatte: "Es ist ein Luxus, wenn die Kunst in die Hochschule kommt und man Gelegenheit hat, diesen Ort aus einer neuen Perspektive zu entdecken. Über die Kunst kommen die Menschen ins Gespräch. Und wir öffnen die Hochschule auch nach außen und zeigen, dass wir uns als Teil der Stadt Esslingen empfinden." 7

Hochschule Esslingen gründet mit weiteren fünf Hochschulen eine Hochschulallianz

Rosemarie Beißers Bilder “vom Sofa dieser Tage oder wunderlichschön” Tim Stefan Heger, Vorstand des Künstlervereins, benannte als Ziel des Vereins, die Vernetzung und Vertretung der lokalen Kunstschaffenden voranzubringen und dadurch ihre Arbeitssituation zu verbessern.

Fließende Bilder von männlichen und weiblichen Bewegungsstrukturen: Leuchtkasten von Albrecht Weckmann

Mit der Ausstellung sei es gelungen, die professionelle Gegenwartskunst aus dem regionalen Umfeld sichtbar zu machen. Er meinte mit Blick auf die Esslinger Hochschule: "Wir hätten nichts dagegen, regelmäßig etwas auf den Weg zu bringen." O

Glasverkleidung des Treppenhauses im Gebäude 1: Geschützter Ort für zarte, filigrane und leichte Gebilde aus Papier von Simone Leister 8

Sechs deutsche Fachhochschulen haben im Dezember 2009 die bundesweite "HochschulAllianz für Angewandte Wissenschaften" (HAWtech) gegründet. Die beteiligten Hochschulen wollen in Lehre, Forschung, Technologietransfer, Weiterbildung und Hochschulmanagement eng zusammen arbeiten, gemeinsam in der Öffentlichkeit auftreten und sich gemeinsam strategisch positionieren.

Schwarz: Stärkung durch vielschichtige Zusammenarbeit Der Allianz HAWtech gehören die FH Aachen, die Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin, die Hochschule Darmstadt, die Hochschule für Technik und Wirtschaft Dresden, die Hochschule Esslingen und die Hochschule Karlsruhe an. Gemeinsam ist ihnen ein technischer Schwerpunkt, eine starke Praxisorientierung sowie ein guter Ruf in der Wirtschaft und bei den Studierenden. Insgesamt sind 47.000 Studierende eingeschrieben. "Deutschlands Wirtschaft droht ein Fachkräftemangel. Die Anforderungen an Hochschulabsolventen steigen immer mehr. Da gilt es für die ausbildenden Hochschulen die richtigen Schwerpunkte zu setzen, gemeinsam strategisch zu denken und bei wichtigen gesellschaftlichen Entscheidungen ein Wort mitzureden. Die HAWtech soll daher ein kompetenter Ansprechpartner für Politik, Wirtschaft und Medien sein - z. B. zu den “MINT”-Themen in Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik." Die Allianz wird durch einen zweiköpfigen Vorstand vertreten. Zu dessen Sprecher wurde der Rektor der Hochschule Esslingen, Prof. Dr. Bernhard Schwarz, gewählt. Die HAWtech strebt die Förderung der Studierendenmobilität über Austauschsemester, gemeinsame Auslandsinitiativen und einen hochschulübergreifenden Studiengang an. Prof. Schwarz: "Die an der HAWtech beteiligten Hochschulen, welche in bundesweiten Rankings Spitzenplätze belegen, wollen durch vielschichtige Zusammenarbeit u. a. zur Stärkung ihrer Marken beitragen. Die Hochschule Esslingen sieht im länderübergreifenden Zusammenwirken enormes Potenzial für den Ausbau vorhandener Stärken und für die gemeinsame Erschließung neuer Felder." Prof. Dr. Marcus Baumann, Rektor der FH Aachen: "Für die technische Spitzen-

stellung der deutschen Wirtschaft sind qualifizierte Ingenieurinnen und Ingenieure von großer Bedeutung. Energieumwandlungstechniken, Energieeffizienz und die erneuerbaren Energien werden in Zukunft zu den wichtigsten Themen zählen. Entsprechend ausgebildete Ingenieure können in diesem Bereich die Welt mitgestalten und einen Beitrag zur Verringerung von CO2-Emissionen und Umweltschäden leisten." O

Prof. Dr.-Ing. Ulrich Eser neu in der Fakultät VU Ab dem Sommersemester 2010 verstärkt Prof. Dr.-Ing. Ulrich Eser die Fakultät Versorgungstechnik und Umwelttechnik (VU) der Hochschule Esslingen: Er wurde als Nachfolger von Prof. Dipl.Ing. Walter Stäbler für das Lehrgebiet Klimatechnik und für verwandte Bereiche berufen. Die Schwerpunkte von Prof. Dr.Ing. Eser liegen in der Lüftung sowie im Entwurf von Technikkonzepten der Technischen Gebäudeausrüstung. 1961 in Stuttgart geboren, studierte Ulrich Eser nach dem Abitur Maschinenbau sowie Energie- und Verfahrenstechnik an der Universitäten Stuttgart und Essen. Nach Diplom und Promotion war er von 1990 bis 1993 Mitarbeiter der Firma Meissner + Wurst in der Projektabwicklung sowie im Bereich F+E und dann bis 1994 Fachprojektleiter RLT im Büro EDNP. Ab 1995 war er als Gesellschafter und Geschäftsführer im Ingenieurunternehmen EDNP GmbH tätig. Ulrich Eser ist u. a. Mitglied des Normenausschusses DIN 1946 T4. O

Renaissance der Industrie

Werner Schnappauf Deutschlands wirtschaftliches Geschick wurde auch im Krisenjahr 2009 vor allem durch die Industrie geprägt. Diese erfährt in der Finanzkrise eine Renaissance und wird als Anker der Stabilität und als Produzent echter Werte hoch geschätzt. Kein weit entwickeltes Land der Erde hat einen so hohen lndustrieanteil wie Deutschland. Unsere Volkswirtschaft mit ihrem starken industriellen Mittelstand, mit ihren in sich geschlossenen Wertschöpfungsketten und ihrer hohen Wettbewerbsfähigkeit ist vielfach der Maßstab für einen modernen Wirtschaftsstandort. So wollen z. B. Frankreich und Großbritannien ihre Standorte stärken und nehmen Maß an Deutschland. Unsere Produzenten können Lösungen für globale Herausforderungen bereitstellen - etwa im Klimaschutz. Anbieter aus Deutschland stehen mit grünen Technologien an erster Stelle: In der Energieerzeugung haben sie einen Anteil von 30 Prozent auf den Weltmärkten, in der Kreislaufwirtschaft 25 Prozent, in der nachhaltigen Mobilität 25 Prozent und in der Energieeffizienz 10 Prozent. Dabei spielen die klassischen Industrien die Hauptrolle. Sie produzieren Stahl, Metalle und Zement für den Bau von Windkraftanlagen. Maschinenbau und Elektroindustrie fertigen Turbinen, und die Chemieindustrie liefert die Materialien zur Isolierung und Wärmedämmung. Dies ist keine Nebenbeschäftigung einzelner Branchen, sondern in der gesamten Breite der produzierenden Wirtschaft verankert: In der Kernindustrie wie in den industrienahen Dienstleistungen, in kleinen wie großen Unternehmen, in Familienbetrieben wie Kapitalgesellschaften, in heimischen wie ausländischen Fabriken. Das ist weltweit einzigartig.

Mit demselben Einsatz von Ressourcen entsteht mehr als zuvor. Auf diese Weise wachsen echte Werte: eine Maschine, die schneller produziert; eine Software, die sicherer arbeitet; ein Auto, das komfortabler und spritsparender fährt. In der Industrie löst sich kein Produkt in Luft auf: Jedes ist auch morgen noch werthaltig - anders als bei so manchem virtuellen Produkt aus der Finanzbranche.

Industrie schafft echtes Wachstum Im produzierenden Gewerbe stecken große Wachstumsmöglichkeiten: Denn Wachstum entsteht nicht nur durch staatlichen und privaten Konsum, sondern indem Unternehmer Waren und Dienstleistungen entwickeln, herstellen und vermarkten. Das Ergebnis ist höhere Produktivität: der Schlüssel für neues Wachstum. Die Investitionen der produzierenden Unternehmen in Forschung und Entwicklung führen zu einem "Mehr", aber vor allem auch zu einem "Besser". Etwa zu besseren Produkten: Ein neuer Kühlschrank braucht heute 40 Prozent weniger Strom als noch vor zehn Jahren, bei der Energiesparlampe sind es gar 80 Prozent weniger. Das sind Beispiele für qualitatives, für nachhaltiges Wachstum. Innovative Produkte schaffen neue, zukunftsfeste Arbeitsplätze. Die Industrie bezahlt die Beschäftigten überdurchschnittlich gut. Ihre Arbeitnehmer verdienen im Schnitt rund 40 Prozent mehr Lohn und Gehalt als der wirtschaftliche Durchschnitt. So entstehen Chancen für mehr Konsum, höhere Lebensqualität sowie mehr Staatseinnahmen und mehr Sozialabgaben - für mehr Wohlstand. Die Produktivität stieg in Deutschland in den vergangenen 15 Jahren um 1,6 Pro-

zent im Jahr - in der Industrie stieg sie um jährlich 3,5 Prozent. Mit einem Prozent der Weltbevölkerung erwirtschaftet Deutschland heute 10 Prozent des Welthandels. Die Industrie schafft fast 90 Prozent des deutschen Exports. Dadurch ist Deutschland einer der Hauptgewinner der Globalisierung, und deutsche Unternehmen erwirtschaften jeden zweiten Euro im Ausland. Jeder vierte deutsche Arbeitsplatz hängt von Ausfuhren ab. Für das international eng verflochtene Industrieland Deutschland gibt es keine Alternative zur Einbindung in die Weltwirtschaft. Deutsche Unternehmen verkaufen ihre innovativen Produkte rund um den Globus, weil sie international wettbewerbsfähig sind. Sie erkennen die weltweite Nachfrage richtig, bedienen sie und haben zufriedene Kunden.

Aufschwung durch Innovationen Insgesamt sind die globalen Wachstumsperspektiven gut. Umso wichtiger, dass Deutschland sich für den Aufschwung mit Innovationen rüstet. Sie entstehen in Unternehmen, vor allem in Unternehmen der Industrie. Der aktuelle Innovationsindikator von BDI und Deutscher-TelekomStiftung beweist: Deutsche Unternehmen haben im internationalen Vergleich besonders großen Erfolg mit innovativen Produkten und Dienstleistungen. Unter 17 Volkswirtschaften rangiert Deutschland auf Rang drei - hinter der Schweiz und Irland, jedoch vor den USA, Japan, Großbritannien und Frankreich.

Liquidität wichtig Umso wichtiger ist es, die Realwirtschaft in der gegenwärtigen Konjunkturlage zu schützen vor einer mangelnden Kreditversorgung. Keineswegs dürfen gesunde Unternehmen aus der industriellen Wertschöpfungskette herausfallen, weil Banken Ihnen keine Liquidität liefern. Gerade im langsam beginnenden Aufschwung nimmt der Finanzierungsbedarf der Unternehmen zu. Vielen wirtschaftlichen Prognosen und Projektionen zum Trotz bleibt die Industrie das zentrale Fundament der deutschen Wirtschaft - mit einem deutlich überdurchschnittlichen Anteil am Wirtschaftswachstum. Auch in Zukunft muss Deutschland alles dafür tun, ein Industrieland zu bleiben. Eine starke deutsche Industrie ist die Basis für Innovationen und nachhaltiges Wachstum, mehr Lebensqualität und neuen Wohlstand. O Werner Schnappauf ist Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI). 9

Technische Gebäudeausrüstung:

Unternehmen gut aufgestellt Roland Gaiser, Präsident des ITGA Mit gemischten Gefühlen zogen die Teilnehmer am Neujahrsempfang des Industrieverbands Technische Gebäudeausrüstung Baden-Württemberg (ITGA) in Stuttgart ihre Bilanz zum Jahr 2009: “Wir sind froh, dass das Jahr 2009 vorüber ist!”, brachte dies der Präsident des ITGA, Dipl.-Volkswirt Roland Gaiser, auf den Punkt.

Wertschöpfung im TGA-Bereich Doch es gab auch Grund zum Optimismus unter den zahlreich anwesenden Repräsentanten der Unternehmen der Technischen Gebäudeausrüstung: Man erwarte für 2010 einen Zuwachs von rund 10 %, so Roland Gaiser: Die marktbestimmenden Themen Energieeinsparung, Gebäudesanierung und die Konjunkturprogramme der öffentlichen Hand gäben Anlass zur Zuversicht. Zudem seien die Firmen strukturell gut aufgestellt und könnten den Herausforderungen des Marktes bestens entsprechen.

der Schutz des Mittelstands vor der Kreditklemme?” Er signalisierte, dass die Risikobereitschaft der Banken bei der Kreditvergabe inzwischen erheblich abgenommen habe: Die Erfahrungen in der Finanzmarktkrise sowie insbesondere mit US-amerikanischen faulen Krediten hätten zu einer vorsichtigen Einschätzung der Märkte geführt. Man könne zum jetzigen Zeitpunkt nicht mit Gewissheit sagen, dass die Finanzmarktkrise schon zu Ende sei. Friedrich Stähler riet deshalb den Unternehmen, bei der Beurteilung der kommenden Geschäftsentwicklungen zurückhaltend zu sein.

Achillesferse: Eigenkapitalquote

Friedrich Stähler, Vorsitzender des Bankenverbandes Baden-Württemberg

Er warb um Verständnis dafür, dass es bei Kreditvergabegesprächen zwischen Banken und Unternehmen inzwischen vorsichtiger und bürokratischer zugehe. Denn wenn Banken ungeprüft Risiken eingingen, müssten sie mit einer Zurückstufung durch die Ratingagenturen rechnen. Die Banken versuchten deshalb, sich durch eigene Marktanalysen einen Überblick über die absehbaren Tendenzen in den verschiedenen Branchen der Wirtschaft zu verschaffen. Zudem sei das Bankengeschäft durch eine hohe Komplexität geprägt, die Außenstehenden den Firmen, der Politik und der Öffentlichkeit - kaum mehr zu vermitteln sei. Da Deutschland als “reife Volkswirtschaft” gelte, die im Land selbst kaum mehr wachse, sei man auf die Wachstumsimpulse aus dem Exportgeschäft angewiesen: “Der Export ist der Treiber:”

Stähler bezeichnete die geringe Eigenkapitalquote von rund 10 bis 14 % als die “Achillesferse” der deutschen mittelständischen Unternehmen. Eine ausreichende Profitabilität sei auch in Zeiten der Finanzmarktkrise wichtig: Die mittelständischen Firmen seien traditionell zu wenig profitorientiert. Deshalb sei vor Aufträgen mit Verlust bzw. vor Geschäften mit Liquiditäts-Unterdeckung zu warnen. Der Geschäftsführer des ITGA, Rechtsanwalt Jürgen Meyer, gab zum Schluss der Veranstaltung einen Überblick über die kommende Arbeit des ITGA. Schwerpunkte lägen im Bereich der Normung sowie auf dem Feld der Nachwuchssicherung: Die Branche sei mehr denn je auf gut ausgebildete Ingenieure sowie gewerbliche und kaufmännische Mitarbeiter angewiesen. M. Dehli

In den letzten Jahren habe sich bei Neubauten die Wertschöpfung immer stärker weg von der reinen Bausubstanz hin zum technischen Ausbau - dem Hauptarbeitsgebiet der im ITGA organisierten Unternehmen - entwickelt: An den Gesamtinvestitionen habe die Technische Gebäudeausrüstung nunmehr einen Anteil von rund 55 % und übertreffe damit den Anteil des Ingenieurbaus, der bei etwa 45 % liege. Als Gastreferent der Veranstaltung berichtete Friedrich Stähler, Vorsitzender des Bankenverbandes Baden-Württemberg und zugleich Vorsitzender der Geschäftsleitung Region Württemberg der Deutschen Bank, zum Thema “Gelingt 10

Viele Wege führen zum Studium und in den Beruf: Der Berufsbildungsausschuss des ITGA kümmert sich um den Nachwuchs in der Versorgungstechnik

Berufsbildungsausschuss des ITGA: Nachwuchssicherung im Blickpunkt In vielen Unternehmen der deutschen Wirtschaft setzt sich die Einsicht durch, dass der langfristigen Nachwuchssicherung besonderes Augenmerk gelten muss: Die Vorstellung, dass Firmen durch immer weitergehendes “Outsourcing” von Aufgaben und durch den massiven Einkauf von Personal und Dienstleistungen aus dem Ausland wachsen können, hat sich oft nicht als tragfähig erwiesen - denn dies kann zu Lasten der Qualität gehen. Gut ausgebildete heimische Mitarbeiter sind eben doch nicht einfach zu ersetzen: Die über Generationen gewachsene Arbeitskultur, technisches Verständnis, Eigenverantwortlichkeit und Gewissenhaftigkeit, der Mut zu neuen Lösungen und die Firmentreue der Mitarbeiter stellen einen echten Vorteil des Standortes Deutschland dar.

Mitglieder des Berufsbildungsausschusses des ITGA Den vielfältigen Aufgaben der Nachwuchssicherung widmet sich der Berufsbildungsausschuss des Industrieverbandes Technische Gebäudeausrüstung Baden-Württemberg (ITGA). Dort tauschen sich Mitarbeiter der ITGA-Mitgliedsfirmen, Vertreter von Hochschulen - so auch der Hochschule Esslingen - sowie von gewerblichen und kaufmännischen Schulen des Landes über Fragen des Ausbildungswesens aus. Im Oktober 2009 wurde der langjährige Ausschussvorsitzende Dipl.-Ing. (FH) Harry Maier, Leitender Angestellter des Ingenieurunternehmens RCI, anlässlich seines 40-jährigen Dienstjubiläums und des zeitgleichen Abschieds aus dem Berufsleben im Oktober 2009 für seine Aktivitäten im ITGA geehrt. Zugleich übernahm sein Nachfolger als Vorsitzender des ITGA-Berufsbildungsausschusses, Dipl.-Ing. (FH) Ludwig Beck, Ausbildungsleiter der Firma Daldrop und Dr.-Ing. Huber, die Ausschussarbeit auf. M. Dehli

Studium in Esslingen und in Shanghai

Für Esslinger Studierende: Doppelabschluss in China

Chinesisch-Deutsche Hochschule für Angewandte Wissenschaften (CDHAW): Studium auf dem neuen Campus vor den Toren Shanghais Die Fakultät Versorgungstechnik und Umwelttechnik (VU) ist seit mehreren Jahren in ein erfolgreiches bildungspolitisches Modellprojekt zwischen Deutschland und China eingebunden: Sie arbeitet - wie inzwischen 26 weitere deutsche Fachhochschulen - mit der ChinesischDeutschen Hochschule für Angewandte Wissenschaften (CDHAW) zusammen. Die CDHAW ist Teil der angesehenen Tongji-Universität in Shanghai. Mehrere VU-Professoren nehmen Lehraufträge an der CDHAW wahr. Jedes Jahr kommen 5 chinesische Studierende der Versorgungstechnik für zwei Semester nach Esslingen, um sich mit den deutschen Sichtweisen zu Fragen der Gebäudetechnik, der Energieversorgung und der Umwelttechnik vertraut zu machen. Sie erhalten bei erfolgreichen Studienleistungen einen Doppelabschluss: ein Zeugnis der CDHAW sowie jeweils einen Bachelor-Abschlussgrad der CDHAW und der Hochschule Esslingen. Und mehrere chinesische Absolventen haben die Möglichkeit ergriffen, sich in einem Masterstudiengang weiterzuqualifizieren: die Lehrfach an der CDHAW in Shanghai

meisten von ihnen im Esslinger Masterstudiengang “Energie- und Gebäudetechnik” der Fakultät VU.

Doppelabschluss jetzt auch für Esslinger Studierende möglich Nun sind die Voraussetzungen dafür geschaffen, dass umgekehrt auch deutsche Studierende an die CDHAW nach Shanghai gehen und ihrerseits die Chance zu einem Doppelabschluss nutzen können: In ihrem sechsten und siebten Studiensemester können sie dort Vorlesungen in englischer und deutscher Sprache belegen und anschließend ihre Bachelorarbeit an der CDHAW oder in einem dortigen Industrieunternehmen durchführen. Die Chinesisch-Deutsche Hochschule für Angewandte Wissenschaften (CDHAW) ist ein bildungspolitisches Modellprojekt des chinesischen Bildungsministeriums und des deutschen Bundesministeriums für Bildung und Forschung, der TongjiUniversität sowie der beteiligten deutschen Fachhochschulen. Die CDHAW ist CDHAW-Kreditpunkte Sprache

Sprache und Kultur - Leben in China Control Technology in HVAC Systems District Energy and Environmental Planning Facility Management Building Simulation Project Electronic Commerce Local Selection and Factors

2 4 2 4 6 4 4

Engl./Deutsch Englisch Englisch Englisch Englisch Englisch Englisch Englisch

Seminar

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Englisch

30

Engl./Deutsch

Bachelor-Arbeit und eventuell zusätzliches praktisches Studien-Teilsemester

Studienprogramm für Esslinger VU-Studierende an der CDHAW in Shanghai 11

Fakultät VU auf der Messe “CEP Umweltenergie”

Chinesische Studierende der Versorgungstechnik an der CDHAW eine Bildungseinrichtung der Tongji-Universität. Mit dem Projekt wird das Ziel verfolgt, das deutsche Fachhochschulmodell in die chinesische Hochschullandschaft einzuführen. Damit sollen die Voraussetzungen geschaffen werden, dass die künftigen Ingenieure und Ingenieurinnen praxisnah ausgebildet werden sowie internationale Kompetenzen und Problemlösungsfähigkeiten zur Unterstützung der Industrie und Wirtschaft beider Länder erlangen können. Im Jahre 2003 fanden die ersten zweiseitigen Gespräche auf politischer Ebene statt. Und unter der Leitung der damaligen Fachhochschule für Technik Esslingen (FHTE) wurde ein Hochschulkonsortium gebildet, in dem unter Einbindung von interessierten Industrieunternehmen und Vertretern der Tongji-Universität die Einführung von drei Studiengängen beschlossen wurde: Fahrzeugtechnik, Mechatronik sowie Versorgungstechnik. Auf der Grundlage bewährter und gut eingeführter deutscher FachhochschulStudiengänge wurden die Lehrpläne

Die Mensa auf dem neuen Campus der Tongji-Universität 12

ausgearbeitet. Der Lehrbetrieb wurde im Wintersemester 2004/2005 aufgenommen. Die für das 3. Studienjahr wichtigen Labore wurden überwiegend von den deutschen Partnerhochschulen konzipiert und zu Ende 2006 in Shanghai auf dem neuen Jiading-Campus in Betrieb genommen. Alle drei Studiengänge wurden im Jahr 2008 erfolgreich akkreditiert.

Die Gebäudetechnik mit ihren vielen innovativen Facetten stand im Mittelpunkt der Ausstellung “CEP Umweltenergie und Passivhaus” (Clean Energy and Passivehouse), einer Fachmesse mit umfangreichem Kongressprogramm, die Ende Februar 2010 in den Hallen der Landesmesse Stuttgart stattfand. Die Besucher erhielten einen Überblick über energieeffiziente und umweltverträgliche Techniken für Heizung, Trinkwassererwärmung und Kühlung sowie für die Gebäudewärmedämmung. Bei den Ausstellern mit dabei war auch die Hochschule Esslingen: Die Fakultät VU informierte interessierte Besucher über zahlreiche fachliche Aspekte - und über die Möglichkeiten, sich für dieses Gebiet durch ein breit angelegtes Hochschulstudium zu qualifizieren. O

Im Januar 2010 waren bereits etwa 1000 Studierende an der CDHAW in nunmehr vier Studiengängen eingeschrieben: - Fahrzeugtechnik mit dem Schwerpunkt Fahrzeug-Service - Mechatronik in der Ausprägung Automatisierungstechnik - Versorgungstechnik / Gebäudetechnik - Wirtschaftsingenieurwesen In der Versorgungstechnik nehmen jedes Jahr etwa 55 bis 60 Studienanfänger ihr Studium auf. Im zweijährigen Grundstudium werden den Studierenden nicht nur die entsprechenden fachlichen Grundlagen, sondern auch sehr ausführlich und intensiv die deutsche Sprache vermittelt. Deutsch hat an der Tongi-Universität eine lange Tradition: Die Tongji-Universität wurde im Jahre 1907 vom deutschen Arzt Erich Paulun gegründet, und seit über 30 Jahren gibt es das Deutschkolleg an der Hochschule. Hier lernen die Studierenden im Rahmen von etwa 1200 Stunden die deutsche Sprache. Die meisten Studierenden streben deshalb an, das letzte Studienjahr an einer der deutschen Partnerhochschulen zu verbringen, um sich dort in die laufenden deutschsprachigen Bachelorprogramme zu integrieren und den Doppelabschluss zu erlangen. Wer sein Studium ohne Aufenthalt in Deutschland erfolgreich beendet, erhält den üblichen Bachelorabschluss der Tongji-Universität. M. Dehli

Die Fakultät VU auf der Messe CEP

Studienbewerberzahlen stark gestiegen Die Zahl der Bewerbungen auf einen Studienplatz an der Hochschule Esslingen ist in den letzten neun Jahren auf das Viereinhalbfache gestiegen: von rund 2000 im Wintersemester 2001/2002 auf über 9000 im Wintersemester 2009/2010. Dem standen etwa 1240 Studienanfängerplätze im Jahr gegenüber. Nach Überzeugung der Hochschulleitung spiegelt sich hierin das große Ansehen und die hohe Akzeptanz der Hochschule in der Öffentlichkeit und bei den Studieninteressenten wider. O

Steigende Tendenz bei den Studienbewerberzahlen in Esslingen

Klimaschutz nach Kopenhagen: Wie Wie geht es weiter?

3. Das Strategie-Dilemma

Klimaschutz nach Kopenhagen: Wie geht es weiter? Dr. Eike Roth (Aus einem Beitrag in der Internet-Plattform “Energie-Fakten” vom Februar 2010)

Im Dezember 2009 fand in Kopenhagen die lange erwartete Welt-Klimakonferenz der UNO statt. Sie sollte ein weltweit verbindliches Abkommen zur Vermeidung drohender Klimagefahren beschließen als dringend benötigte Fortentwicklung des Kyoto-Protokolls, das 2012 ausläuft und nur unzureichende und nur für einen Teil der Welt verbindliche Vorschriften zum Klimaschutz enthält.

1. Das magere Ergebnis von Kopenhagen Die Delegierten aus 192 Ländern konnten sich jedoch nicht auf konkrete Maßnahmen einigen - auch nicht darauf, weiterhin ein völkerrechtlich bindendes Vertragswerk anzustreben. Das drei Seiten starke Abschlussdokument definiert als übergeordnetes Ziel, die Temperatur nicht um mehr als 2 °C ansteigen zu lassen, und enthält darüber hinaus außer einigen Geldzusagen für die ärmsten Länder keine Maßnahmen, keine Grenzwerte, keine Verpflichtungen, keine Sanktionen. Es wurde nicht zur Abstimmung vorgelegt, sondern nur "zur Kenntnis genommen". Nichts könnte das Ergebnis der Konferenz besser beleuchten als der extreme Kälteeinbruch am Konferenzende. "Sie sind gekommen, die Erwärmung zu stoppen, und sind im Eis stecken geblieben", könnte man es sarkastisch beschreiben. Nach Kopenhagen herrscht Uneinigkeit, Betroffenheit und Ratlosigkeit. Das internationale Echo auf die Konferenz ist ebenso unterschiedlich wie die Positionen zum Klimaschutz in verschiedenen Teilen der Welt. In Deutschland, das sich als Vorreiter des Klimaschutzes

versteht, wurde das Ergebnis überwiegend als Scheitern bewertet. Doch wiesen Wissenschaftler auch darauf hin, dass die Verständigung auf das übergeordnete Ziel, die Erwärmung auf 2 °C zu begrenzen, einen Fortschritt darstelle, der für künftige internationale Übereinkommen voraussichtlich eine unverrückbare Grundlage sein werde.

2. Lehren aus Kopenhagen Aus Vorbereitung, Verlauf und Ergebnis der Kopenhagen-Konferenz lassen sich vor allem drei Erkenntnisse ableiten: 1. UNO-Konferenzen erfordern Einstimmigkeit. Eine solche ist bei 192 Ländern mit stark unterschiedlichen Interessen nur schwer zu erreichen. 2. Solange niemand genau sagen kann, welcher Weg zum angestrebten Klimaschutzziel wie viel Geld kostet, sind alle Entscheidungen schwierig - mitten in einer Finanzkrise sogar besonders schwierig. 3. Die Zweifel am dominierenden anthropogenen - vom Menschen verursachten Einfluss auf das Klima sind eher gewachsen. 10 Jahre Erwärmungsstopp sowie Manipulationsvorwürfe gegen einige führende Klimawissenschaftler fordern dringende Aufklärung. Bevor dies geleistet ist, sind weitreichende Beschlüsse fraglich. Nach Kopenhagen stecken wir in einem mehrfachen Dilemma, und wir haben noch keine Vorstellungen, wie es weitergehen soll: Einerseits wissen wir, dass wir das Klimaproblem nicht einfach abtun können, denn die Physik weist eine Erwärmung als Folge zunehmender Treibhausgaskonzentration in der Atmosphäre aus. Andererseits wissen wir nicht, wie gravierend das Problem wirklich ist, und was wir am Besten dagegen tun sollen.

Um die anthropogene (vom Menschen gemachte) Erwärmung der Erde zu stoppen, muss vor allem die Freisetzung von Treibhausgasen - insbesondere von CO2 - in die Atmosphäre reduziert werden. Im großen Maßstab kann dies nur gelingen, wenn eine solche Verringerung von Emissionen für die Marktteilnehmer betriebswirtschaftlich attraktiv ist: Dann machen sie auch mit. Prinzipiell kann dies mit zwei Strategien erreicht werden: - eine so starke Verteuerung der Verfahren, die viel CO2 frei setzen, dass diese teurer als CO2-arme oder CO2-freie Verfahren sind, oder - eine so starke Verbilligung CO2-armer oder CO2-freier Verfahren, dass diese billiger als CO2-intensive Verfahren sind. Verteuerung Die Verteuerung kann auf administrativem Weg erreicht werden: durch Steuern oder durch direkte Mengenbegrenzungen. Steuern sind allgemein unbeliebt, und es ist vorab nur schwer einzuschätzen, welche Emissionsverminderung durch eine bestimmte Steuerhöhe tatsächlich erreicht wird. Verordnete Mengenbegrenzungen führen demgegenüber (zumindest theoretisch) exakt zu der vorgegebenen Höhe, doch können die durch sie verursachten Kosten nur schwer vorab ermittelt werden. Werden für die erlaubten Freisetzungen handelbare Zertifikate ausgegeben ("Verschmutzungsrechte", die verkauft und gekauft werden können), soll der Handel mit diesen den billigsten Weg zum Erreichen des vorgegebenen Zieles weisen.

CO2-freie Wasserkraft: Bei geeigneten Projekten kostenneutraler Beitrag zum Klimaschutz 13

Klimaschutz nach Kopenhagen: Wie Wie geht es weiter?

wirtschaftlichen Anlagen investiert worden wäre. Der Nachteil des Weges "Verbilligung" besteht vor allem darin, dass nicht vorab erkennbar ist, mit welchem Aufwand wann wie viel Erfolg erreicht werden kann.

Fehlerhaft: IPCC-Bericht zur Frage, wann Himalaya-Gletscher schmelzen Wegen der allgemeinen Abneigung gegenüber Steuern und wegen der wesentlich besseren "Zielgenauigkeit" der Zertifikatelösung wird diese in der Politik eher favorisiert. Die CO2-Freisetzungsmenge wird durch die Zahl der vergebenen Zertifikate geregelt ("Deckelung"; im Englischen wird das Verfahren als "Cap and Trade" bezeichnet). Die Kosten entstehen entweder durch den Kauf von Zertifikaten oder durch den Bau und Betrieb von - aus volkswirtschaftlicher Sicht - unwirtschaftlichen Anlagen, die aber für die Marktteilnehmer immer noch billiger sind als die Zertifikate. Verbilligung Die Verbilligung anderer Verfahren kann grundsätzlich durch Forschung und Entwicklung erreicht werden. Die Befürworter führen an, dass sich die Menschheit auf diesem Weg entwickelt habe, dass er für die Volkswirtschaft wesentlich kosteneffektiver sei als der "Verteuerungsweg", und dass er eine viel höhere Erfolgswahrscheinlichkeit mit sich bringe. Solange keine tatsächlich konkurrenzfähige - auch volkswirtschaftlich konkurrenzfähige - technische Lösung vorhanden ist, würde sich der Weg der künstlichen Verteuerung nicht im großen Maßstab und auf Dauer durchhalten lassen. Ist die Verbilligung aber erreicht, ergäbe sich der Erfolg gewissermaßen "von selbst". Wird dieser Weg eingeschlagen, und sollte er sich eines Tages doch als nicht erfolgreich herausstellen, blieben alle bis dahin erreichten Fortschritte erhalten, und das anschließende Beschreiten des Weges "Verteuerung" wäre entsprechend billiger. Wird umgekehrt zunächst der "Verteuerungsweg" ausgewählt und erweist sich dieser als nicht mehr durchhaltbar, wäre das ganze hierfür ausgegebene Geld verschwendetes Geld, weil es in den Bau und Betrieb von an sich un14

Vermutlich wegen der vermeintlich deutlich größeren Zielgenauigkeit hat sich die Politik weitgehend für die Zertifikatelösung und gegen die Verbilligungsvariante entschieden. Dieser Weg wurde im Kyoto-Protokoll von 1997 grundsätzlich festgeschrieben, und in der EU wurde er 2005 verpflichtend eingeführt. Die Hoffnung, ihn entscheidend auf andere Länder auszuweiten, hat sich in Kopenhagen - zumindest vorerst - zerschlagen. Bisherige Erfahrungen mit dem Zertifikatehandel Aus den bisher gesammelten Erfahrungen lassen sich insbesondere folgende Erkenntnisse ableiten: - Der Prozess ist bürokratisch sehr aufwändig. Festlegungen, wer wann wie viel freisetzen darf, müssen ausgewogen und im Konsens erfolgen. Das Gleiche gilt auch für die unerlässlichen, technisch wie organisatorisch schwierigen Kontrollmaßnahmen. Da es stets um viel Geld geht, sind entsprechende Abstimmungen sehr mühsam. Werden diese in Mammutkonferenzen mit Einstimmigkeitserfordernis angestrebt, ist ein Erfolg unwahrscheinlich, werden sie "im kleinen Kreis" versucht, fühlen sich die Anderen übergangen. - Alle Regelungen bezüglich Sanktionen und zur gegenseitigen Verrechnung von Erfolgen oder von Misserfolgen laden zur "kreativen Buchführung" bis hin zum Betrug ein. Diese "kreative Buchführung" ist keine Randerscheinung, sondern eher die Regel. Die Marktteilnehmer wenden mehr Energie dafür auf, wie sie formale Verpflichtungen "mit geringstem Aufwand" erfüllen können, als dafür, wie sie die eigentlichen Ziele erreichen können. - Wenn nicht alle Länder der Erde mitmachen, führt der Prozess unweigerlich zu Verlagerungen von Freisetzungen in Länder ohne oder mit geringeren Verpflichtungen. Dies hilft dem Klima nicht. Es werden nur Arbeitsplätze in nicht teilnehmende Länder verlagert, und es entwertet die Erfolgsmeldungen der teilnehmenden Länder. - Alle überlagerten Regelungen, wie z. B. Quotenregelungen für regenerative Energien oder Einspeisevergütungen ge-

mäß dem deutschen Gesetz zur Förderung Erneuerbarer Energien (EEG), bewirken keinerlei Verringerung der Freisetzungen, sondern verteuern nur das Erreichen der über die Zertifikatemenge vorgegebenen Grenze der gesamten Freisetzungen. Jedes durch solche Zusatzregelungen eingesparte Zertifikat führt über den Handel zu einer entsprechenden Freisetzung an anderer Stelle. Übrig bleiben nur die Mehrkosten. Ausufernde Bürokratie und "kreative Buchhaltung" lassen sich vielleicht noch als unangenehme Begleiterscheinungen abtun, die man eines Tages überwinden könnte. Doch hat gerade das Scheitern von Kopenhagen gezeigt, dass bürokratisch komplizierte Abläufe zu unüberwindbaren Hindernissen werden können. Wenn es nicht gelingt, effektivere Entscheidungsabläufe zu finden, könnte allein dies auch weiterhin alle Klimabemühungen zum Scheitern verurteilen. Vielleicht noch wichtiger sind die letzten beiden Punkte. Um erfolgreich sein zu können, erfordert eine Zertifikateregelung (Cap and Trade) zwingend die Teilnahme aller (oder zumindest aller wesentlichen) Länder. Nur in einem elitären Kreis praktiziert, ist wahrscheinlich jede Zertifikateregelung durch die Ausweichmöglichkeiten in andere Länder zum Scheitern verurteilt. Die Erwartung “Wenn Einer vorangeht, werden die Anderen schon folgen.” hat sich in Kopenhagen als Wunschdenken entpuppt. Und jede Zertifikateregelung erfordert den Verzicht auf Zusatzregelungen der beschriebenen Art. Eine Zertifikateregelung ist ein Marktinstrument; Zusatzreglungen hebeln den Markt jedoch aus. Da sie zu wirtschaftlich suboptimalen Lösungen führen, wird mit ihnen der Erfolg insgesamt kleiner als ohne sie. Vergleicht man die Wege "Verbilligung" und "Verteuerung" miteinander, so zeigt die erstere Strategie eindeutige Vorteile in allen folgenden vier Punkten: 1. Dieser Weg funktioniert auch ohne viel Bürokratie. 2 Er ist weniger anfällig für "Auswege" und Schummeleien. 3. Es müssen nicht alle Länder teilnehmen. 4. Zusatzregelungen sind weniger schädlich wenn auch nicht unbedingt nützlich, weil sie auch bei dieser Strategie Geld auf weniger effektive Maßnahmen leiten.

4. Das wissenschaftliche Dilemma Zum Scheitern von Kopenhagen hat wahrscheinlich auch beigetragen, dass die internationale Völkergemeinschaft nicht wirklich und vorbehaltlos überzeugt

Zehn Jahre Erwärmungsstopp Zweifel an den wissenschaftlichen Erklärungen zum Klimawandel hat es schon lange gegeben. Dass es - global gesehen - seit 10 Jahren nicht mehr wärmer geworden ist, hat diese Zweifel massiv gefördert. 1998 war das bisher wärmste Jahr; seither hat sich die Erde eher leicht abgekühlt. Diesen Erwärmungsstopp bei weiter steigender CO2-Konzentration hatte kein Klimamodell vorausgesagt. Nachträgliche Erklärungen - z. B. mit mehrjährigen Oszillationen von Meeresströmungen - können zutreffen, müssen es aber nicht. Aber auch wenn sie zutreffen, werden doch zwei Dinge klar: Erstens sind die Klimamodelle noch nicht so genau wie gedacht, und zweitens ist der anthropogene Treibhauseffekt vielleicht doch nicht so dominant wie gedacht. Trotzdem: Wenn die bisherigen wissenschaftlichen Erklärungen zum Klimawandel richtig sind, sollte die Erwärmung bald wieder weitergehen. Andere Wissenschaftler sehen den Grund des Erwärmungsstopps in der Sonne: Die Zahl der Sonnenflecken ist in den letzten Jahren stark zurückgegangen. Parallel dazu sind die Aktivität der Meinung der Bevölkerung zum Klimawandel (ZDF-Politbarometer vom 11. Dezember 2009): Klimawandel: - Großes / sehr großes Problem - Weniger großes Problem

78 % 17 %

Maßnahmen zum Klimaschutz: - Es wird zu wenig getan - Gerade richtig

51 % 39 %

Klimaschutzmaßnahmen der Industrie: - Es wird zu wenig getan - Gerade richtig

69 % 23 %

Klimaschutzmaßnahmen der Privathaushalte: - Es wird zu wenig getan - Gerade richtig

58 % 34 %

Klimaschutzmaßnahmen der Politik: - Es wird zu wenig getan - Gerade richtig

52 % 35 %

Weltklimakonferenz in Kopenhagen: - Da wird viel erreicht werden - Da wird wenig erreicht werden - Da wird nichts erreicht werden

19 % 68 % 10 %

Grad Celsius

ist, dass die Klima-Katastrophenprophezeihungen auf einer soliden wissenschaftlichen Basis beruhen.

0,8

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ppm

Klimaschutz nach Kopenhagen: Wie Wie geht es weiter?

330 1979 1981 1983 1985 1987 1989 1991 1993 1995 1997 1999 2001 2003 2005 2007 2009 Temperaturabweichung vom langjährigen globalen Mittel

CO2-Gehalt der Atmosphäre in ppm

Temperaturabweichung vom langjährigen globalen Mittel in 0C und CO2-Gehalt der Atmosphäre in ppm (Erhebungen: UAH / NOAA) Sonne (Strahlungsstärke) und die Stärke des Sonnenwindes (von der Sonne ausgehender Strom geladener Teilchen) zurückgegangen. Die Abschwächung der Sonnenaktivität ist allerdings so klein, dass sie keinen dominierenden Einfluss auf das Klima der Erde haben kann. Die Abschwächung des Sonnenwindes bewirkt seinerseits jedoch eine Schwächung des Magnetfeldes der Erde, und dies bewirkt wieder eine Zunahme der auf die Erde auftreffenden kosmischen Strahlung (infolge einer geringeren Ablenkung durch das Erdmagnetfeld). Soweit ist alles unumstritten, aber höchstens marginal klimawirksam. Sehr umstritten ist jedoch das Folgende: Mehr kosmische Strahlung führt zu mehr Wolkenbildung, damit zu stärkerer Reflexion von Sonnenlicht und so zu einer Abkühlung. Manche Wissenschaftler meinen, dass die derart verstärkte Wirkung der Sonnenflecken die wichtigste Ursache der Erwärmung im 20. Jahrhundert war (als die Zahl der Sonnenflecken stieg) und hauptverantwortlich für die Stagnation seit etwa 10 Jahren ist (bei stark abnehmender Zahl der Sonnenflecken). Sonnenexperten erwarten überwiegend, dass die Zahl der Sonnenflecken auch in den nächsten Jahren bis Jahrzehnten stark unterdurchschnittlich bleiben wird. Wenn dies und die Theorie der Klimabeeinflussung durch die Sonnenflecken (mit dem genannten Verstärkungsmechanismus) stimmen, muss die Temperatur auf der Erde in den nächsten Jahren deutlich zurückgehen. Die Zeit wird dies zeigen. Außerdem wird zur Zeit am europäischen Forschungszentrum Cern ein groß angelegtes Experiment zur praktischen Überprüfung dieser Theorie. durchgeführt. Auch da sind in einigen Jahren Ergebnisse zu erwarten. Zwei Theorien also, die die stagnierende Temperatur der letzten 10 Jahre erklären

können, die in ihren Prognosen aber diametral auseinander laufen. Das Gute daran ist, dass wir gerade deswegen in einigen Jahren vermutlich wissen werden, welche richtig ist. “Climategate-Affäre” Kurz vor Kopenhagen sind die Zweifel an der wissenschaftlichen Grundlage einer erwartbaren Klima-Katastrophe durch das Auffliegen der "Climategate-Affäre" erheblich verstärkt worden. Worum geht es dabei? Seit etwa 1850 ist es eindeutig wärmer geworden. Aber dies ist nicht notwendigerweise etwas Besonderes, denn das Klima hat sich immer schon geändert. Hierfür waren früher ausschließlich natürliche Ursachen bestimmend, denn die wenigen Menschen mit ihren begrenzten Mitteln waren dazu keinesfalls in der Lage. Aber jetzt leben viel mehr Menschen, und diese greifen viel stärker in die Natur ein. Daher könnten sie diesmal selbst die Ursache - oder zumindest eine wesentliche Ursache - der Klimaänderung sein. Immerhin hat der Mensch die Konzentration der Treibhausgase in der Atmosphäre seit Beginn der industriellen Revolution um gut ein Drittel erhöht, und nach den Gesetzen der Physik muss dies eine Erwärmung bewirken. Nur: Wie groß diese ist, kann heute niemand genau sagen. Die verfügbaren Klimamodelle sind ja gerade erst als noch nicht so zuverlässig wie erhofft erkannt worden. Erhärtet wird der Verdacht auf anthropogene Verursachung, wenn sich zeigen lässt, dass die Erwärmung der letzten 150 Jahre außergewöhnlich ist. Dann dürfte auch die Ursache eine außergewöhnliche sein - eben eine, die es früher nicht gegeben hat. Und dann ist auch die Wahrscheinlichkeit höher, dass diese Klimaänderung weiter geht als die "normalen" Schwankungen. 15

Klimaschutz nach Kopenhagen: Wie Wie geht es weiter?

Genau diese Einmaligkeit der jüngsten Erwärmung wird von vielen Klimawissenschaftlern behauptet. 1999 legten sie eine Kurve vor, derzufolge die Temperatur in den letzten 1000 Jahren relativ konstant war, um dann im 20. Jahrhundert plötzlich steil anzusteigen. Ihrer Form wegen wurde sie "Hockeyschläger-Kurve" genannt (langer, gerader Schaft, dann ein plötzlicher, steiler Anstieg). Im offiziellen Bericht des Weltklimarats IPCC (Intergovernmental Panel on Climate Change, dem von der UNO eingesetzten Gremium zur Beurteilung des Klimaproblems) von 2001 wurde diese Kurve als wesentliches Argument für die anthropogene Verursachung der laufenden Erwärmung prominent herausgestellt. Das "mittelalterliche Optimum" um das Jahr 1000 herum (Besiedlung von Island und Grönland, Weinanbau in England, Gletscher kleiner als heute) und die "kleine Eiszeit", etwa von 1400 bis 1850, (zugefrorene Themse, markante Gletschervorstöße, häufige Missernten) fehlten in dieser Kurve, und die letzten beiden Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts waren gemäß dieser Kurve die wärmsten seit mindestens 1000 Jahren. Diese Kurve wurde in den letzten Jahren mehrfach angezweifelt. Gegnern zufolge war es im mittelalterlichen Optimum wärmer als heute, die kleine Eiszeit war eine Realität, und der Anstieg zu Ende des letzten Jahrhunderts war nichts Außergewöhnliches - jedenfalls nicht schneller und auch nicht stärker als in früheren Erwärmungsphasen. Den Autoren der Kurve und ihren Verteidigern wurden einseitige Datenauswahl, statistische Fehler, Datenmanipulation und Vernichtung von Ursprungsdaten zur Verhinderung von Nachprüfungen vorgeworfen. Nur dadurch seien sie zum Ergebnis eines "außergewöhnlichen Anstiegs" gekommen, real gäbe es nur eine Klimaschwankung wie schon viele davor. Kurz vor Kopenhagen tauchten dann im Internet über 1000 von Hackern gestohlene (oder von Insidern gezielt lancierte?) e-Mails zwischen befürwortenden Wissenschaftlern auf, die diese Vorwürfe (und noch einige mehr) zu bestätigen scheinen. Die Echtheit der e-Mails wurde mittlerweile bestätigt, der Inhalt aber als "schlacksige Ausdrucksweise unter Kollegen" bezeichnet und die Vorwürfe zurückgewiesen. Dieser Vorgang ist unter dem Namen "Climategate" bekannt geworden und wird besonders in englischsprachigen Ländern heftig diskutiert. Offizielle Überprüfungen des Sachverhal16

tes laufen; ihr Ergebnis ist abzuwarten. In Kopenhagen hat diese Affäre offiziell keine Rolle gespielt, wurde jedoch hinter den Kulissen sehr intensiv diskutiert. In letzter Zeit wurde die Glaubwürdigkeitsdiskussion vor allem durch drei weitere Punkte weiter aufgeheizt: Erstens hat der Weltklimarat IPCC seine Prognose, bis 2035 würden die Himalaya-Gletscher "sehr wahrscheinlich" fast vollkommen abschmelzen, auf eine wissenschaftlich nicht haltbare Grundlage gestützt. Zweitens hat der Weltklimarat IPCC auch seine Aussage, Extremwetter wie Wirbelstürme usw. hätten klimabedingt bereits zugenommen, angeblich auf nicht gesicherten Aussagen aufgebaut. Drittens haben die nordamerikanischen Institutionen National Oceanic and Atmospheric Administration (NOAA) und NASA Goddard Institute for Space Studies (GISS) angeblich bei ihrer Berechnung der global gemittelten Lufttemperaturen durch gezielte Auswahl von Messstationen und einseitige Korrekturrechnungen systematisch eine zu hohe Erwärmung ermittelt (die wiederum die Basis für viele weitere Betrachtungen ist). Den ersten Fall hat IPCC bereits als bedauerlichen Einzelfehler mit Versagen der Qualitätssicherung zugegeben (und seine Prognose zurückgenommen), zu den anderen beiden Fällen gibt es noch keine offiziellen Aussagen. Hier muss die weitere Aufklärung abgewartet werden. Wichtig für die wissenschaftliche Kontroverse ist auch, dass bisherige Warmphasen stets positiv für die Menschheit waren, und dass diese immer natürliche Ursachen hatten: So war es - neben dem mittelalterlichen Optimum - es auch zu Zeiten der Römer wärmer als jetzt, denn sonst wäre Hannibal nicht mit seinen Elefanten über die Alpen gezogen. Ebenso war es in der Jungsteinzeit wärmer, als die neolithische Revolution mit dem Übergang des Menschen vom Jäger und Sammler zum Ackerbauern und Vieh-

züchter gelang. Dies schließt selbstverständlich nicht aus, dass die jetzige Erwärmung vom Menschen verursacht ist und im Ausmaß über frühere Warmphasen hinausgeht, aber die noch vor wenigen Jahren hierfür ins Feld geführten Beweise sind in den letzten Jahren wie ausgeführt - unsicherer geworden. Kosten Auch die Kosten des Klimaschutzes sind massiv umstritten. Bei dem üblicherweise favorisierten Weg, die Lösung im Wesentlichen über einen administrativ geregelten Einsatz regenerativer Energien anzustreben, werden es aber auf jeden Fall viele Billionen € (1012 €) sein, falls der Weg denn überhaupt erfolgreich beschritten werden kann und nicht vorher als unbezahlbar abgebrochen wird. Allein in Deutschland betragen die Mehrkosten für regenative Energien bereits heute mehr als 10 Milliarden € (109 €) pro Jahr (dies sind über 120 € je Einwohner), und vom notwendigen Beitrag Deutschlands zur Lösung des Klimaproblems sind wir noch weit entfernt. Der Weg "regenerative Energien" wurde favorisiert, ohne seine Kosteneffizienz sorgfältig zu prüfen. Untersuchungen, ob andere Wege nicht viel billiger sind, wurden in der öffentlichen Diskussion kaum oder nicht gewürdigt. Sind schon die Kosten für unser Tun kaum bekannt, so sind die Kosten, die unsere Kinder und Enkelkinder im Falle unseres Nichtstuns zu tragen haben, noch viel weniger bekannt. Hier gibt es nur wenige Untersuchungen, denen allen eine eklatante Einseitigkeit vorgeworfen wird. Seriöse Angaben sind zurzeit nicht möglich. Hier wirken sich die unterschiedlichen Annahmen über die Stärke des anthropogenen Treibhauseffektes voll aus. Bevor darüber wenigstens einigermaßen Klarheit besteht, stehen alle Entscheidungen auf äußerst wackligen Beinen.

Temperaturabweichung vom langjährigen globalen Mittel in 0C zwischen 1850 und 2005 nach Erhebungen des Weltklimarats IPCC 2007

Klimaschutz nach Kopenhagen: Wie Wie geht es weiter?

Grenzen Bisher sind stets zwei Grenzen für "zulässige" Klimaänderungen angegeben worden: Diese sollen nicht schneller als 0,1 °C pro Dekade sein und insgesamt nicht mehr als 2 °C betragen. Die erste Grenze wurde mit der Anpassungsfähigkeit von Biosystemen begründet: Diese können langsame Klimaänderungen aushalten, bei zu schnellen Klimaänderungen werden sie jedoch überfordert. Für eine Temperaturerhöhung um insgesamt 2 °C sind keine so klaren Begründungen bekannt. Möglicherweise soll diese Grenze zum Ausdruck bringen, dass ein Anstieg von 0,1 °C pro Dekade zwar an sich zulässig ist, nur nicht über einen zu großen Temperaturhub hinweg. Sie könnte aber auch den Wert angeben, ab dem (unabhängig vom Gradienten) ein Abschmelzen der Polkappen zu befürchten ist. Dafür scheint der Wert 2 °C jedoch eher willkürlich festgelegt zu sein. In Kopenhagen war nurmehr von der Gesamtgrenze von 2 °C die Rede. Ist diese isolierte Sicht sinnvoll? - Wenn der Temperaturanstieg langsam vonstatten geht, passen sich Biosysteme an. Und für viele Länder ist ein um 2 °C wärmeres Klima wahrscheinlich ein klarer Vorteil, denn für die Menschheit waren warme Zeiten stets vorteilhafter als kalte. Auch heute sterben im Winter regelmäßig mehr Menschen als im Sommer. Warum dürfen es nicht 2,5 oder 3 °C Erwärmung werden, wenn dadurch viel Geld eingespart wird?

5. Das ethische Dilemma Bei aller Unsicherheit: Klimaschutz kostet Geld - wenn wir nicht den wirtschaftlich optimalen Weg wählen, sogar viel Geld. Den wirtschaftlich optimalen Weg zu wählen, sollte ein ethisches Gebot sein. Diesem Gebot werden wir bisher aber kaum gerecht. Viele Menschen meinen, dass wir auch beim Klima künftigen Generationen keine Lasten hinterlassen dürfen. Dies ist zweifellos gut gemeint. Dabei sollte jedoch Folgendes gesehen werden: Ein späterer Nutzen aus den jetzt zu ergreifenden Maßnahmen ist nicht gesichert, weil wir noch nicht wissen, wie groß der anthropogene Treibhauseffekt wirklich ist. Auch wird es allen Erfahrungen nach künftigen Generationen wirtschaftlich besser gehen als uns heute (zumindest im globalen Durchschnitt). Deshalb ist die Frage eines fairen Lastenausgleichs zwischen den Generationen vielleicht doch nochmals neu zu überdenken.

Außerdem gibt es ja nicht nur das Klimaproblem. Die Freisetzung von Treibhausgasen schafft zwar später vielleicht (also unsicher) großes Leid, aber auf der Erde ist großes Leid schon jetzt eindeutig (also sicher) vorhanden. Hunger und Elend sind ein mit menschlicher Würde und Gerechtigkeit unvereinbares Massenphänomen. Ist das Recht der Armen auf Entwicklung nicht ein höherwertiges Recht als das der künftigen Generationen auf ein unverändertes Klima? Oder sollen wir das Geld lieber für ein groß angelegtes Programm gegen Krebs verwenden? Denn immerhin stirbt jeder Vierte an Krebs - also wahrscheinlich mehr Menschen, als an Klimafolgen sterben werden. Dies sind Fragen, die bisher noch wenig durchdacht worden sind.

6. Zusammenfassung und Schlussfolgerungen Unsere Situation ist die folgende: - Wir wissen, dass wir ein Problem haben: Die Physik zeigt, dass mehr Treibhausgase eine Erwärmung bewirken. - Wir wissen nicht, wie groß das Problem ist: Wie groß ist die anthropogene Erwärmung wirklich? Sind nicht doch natürliche Phänomene - z. B. die Sonnenflecken - die dominierende Ursache auch der jetzigen Klimaänderung? - Wir wissen nicht, wie dringend das Problem ist: Der eingetretene Erwärmungsstopp gibt uns möglicherweise Zeit, aber dies ist unsicher, und Gegenmaßnahmen dauern sehr lange, bis sie greifen. - Wir wissen nicht, welche Lösungsstrategie tatsächlich die beste, d. h. die effektivste ist: Sollen wir den Weg der Verteuerung oder der Verbilligung wählen? Sollen wir auf Marktinstrumente oder auf Vorschriften und Eingriffe setzen? - Wir wissen nicht, was die verschiedenen Handlungsmöglichkeiten kosten; üblicherweise ist Kostentransparenz die Voraussetzung für Entscheidungen. - Wir wissen nicht, ob das Klimaproblem das wichtigste unserer Probleme ist, und wir wissen nicht, wie wir unsere Leistungsfähigkeit auf die verschiedenen Probleme aufteilen sollen. - Wir haben kein politisches Verfahren zur Einigung auf geeignete Maßnahmen: Brauchen wir Mammutkonferenzen wie Kopenhagen, oder reicht eine Absprache nur unter den wichtigsten Verursachern? - Wir haben jedoch gute Chancen, in ein paar Jahren alle offenen Fragen wesentlich besser als heute beantworten zu können: Möglicherweise sind die “Klima-

Skandale” geklärt, neue Forschungsvorhaben führen zu belastbaren Ergebnissen, und aus der Beobachtung der weiteren Klimaentwicklung kann auf die Stichhaltigkeit verschiedener Theorien geschlossen werden. Auch könnte das Klimaexperiment am Cern weiterhelfen. In dieser Situation sollten wir zunächst nur Maßnahmen ergreifen, die auch aus anderen Gründen sinnvoll sind, und die nicht zu viel Geld kosten (so genannte "No-Regret-Maßnahmen" wie z. B. die Nutzung von Heizungsystemen, die sich über die Energieeinsparung rechnen). Bisher haben wir uns oft auf die Entscheidung über teure Maßnahmen konzentriert - und keine Entscheidung erreicht. Jetzt sollten wir uns auf die Umsetzung der "No-Regret-Maßnahmen" konzentrieren. Greifen diese Maßnahmen wie erwartet, kostet uns dies wenig oder sogar nichts, und wir können in einigen Jahren auf besserer Basis über weitergehende Maßnahmen entscheiden. Und wenn diese Maßnahmen nicht greifen? Zur Zeit beträgt die CO2-Konzentration in der Atmosphäre etwa 390 ppm (Millionstel Volumenanteile, also 0,039 %), und sie steigt jährlich um etwa 2 ppm. Bleibt es dabei, steigt sie in z. B. 5 Jahren um 10 ppm auf dann 400 ppm. Unterstellt man eine völlige Wirkungslosigkeit der "No-Regret-Maßnahmen" und auch keinen technischen Fortschritt in der Wirksamkeit teurer Maßnahmen, wenn man diese erst in 5 Jahren ergreift (was pessimistisch ist), so wird die CO2Konzentration in erster Näherung immer um diese 10 ppm über dem Wert bleiben, den wir bei sofortigem Start der teuren Gegenmaßnahmen erreichen könnten. Der Weltklimarat IPCC rechnet bei einer Verdoppelung der CO2-Konzentration mit einer Temperaturzunahme um 3 °C (beste Schätzung). Eine Verschiebung wirksamer Klimamaßnahmen um 5 Jahre würde dann (bei vereinfachter linearer Umrechnung) die sich irgendwann ergebende Maximaltemperatur um knapp 0,1 °C steigen lassen. Das ist ein absolut oberer Wert; realistisch ist eher ein Wert von Null oder sehr nahe an Null. Sollten wir dies nicht auf uns nehmen und die schwierige Entscheidung über teure Maßnahmen verschieben, bis wir bessere Grundlagen hierfür haben? O Der Österreicher Dr. Eike Roth, Jahrgang 1941, ist Physiker. Nach einem Berufsleben u. a. in verschiedenen leitenden Funktionen in der Energiewirtschaft arbeitet er nun an der Internet-Plattform “Energie-Fakten” ehrenamtlich mit. 17

Erneuerbare Energien in Deutschland Deutschland

Struktur des Primärenergieverbrauchs in Deutschland 2008 Gesamt: 14.003 PJ

1)

Mineralöl 35 %

Wasser; 0,5 % Wind; 1,0 %

Erdgas 22 %

Anteile EE 7,0 %

2)

Biomasse; 5,2 %

Beiträge erneuerbarer Energien in Deutschland

restl. EE; 0,3 %

Braunkohle 11 %

Steinkohle 13 %

3)

Kernenergie 12 %

1)

2)

PEV 2008, nach AGEB Stand: Februar 2009; berechnet nach Wirkungsgradmethode; nach Substitutionsmethode: 9,2 %; 3) feste, flüssige, gasförmige Biomasse, biogener Anteil des Abfalls, Biokraftstoffe, Deponie- und Klärgas; EE: Erneuerbare Energien; Quelle: Quelle: BMU Publikation "Erneuerbare Energien in Zahlen – nationale und internationale Entwicklung", KI III 1; Stand: Juni 2009; Angaben vorläufig

Erneuerbare Energien trugen 2008 zu rund 7 % zur Primärenergieversorgung Deutschlands bei Wo stehen wir in Deutschland bei der Nutzung erneuerbarer Energien? - Hierzu haben nicht alle Bürger klare Vorstellungen: Oft werden deren bisher erreichte Beiträge überschätzt, und meist wird die Solarenergie überbewertet. Einen guten Überblick gibt die vom Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit herausgegebene Darstellung “Entwicklung der erneuerbaren Energien in Deutschland im Jahr 2008” (Daten der Arbeitsgruppe Erneuerbare Energien - Statistik (AGEEStat)):

Danach betrug im Jahr 2008 der Anteil erneuerbarer Energien am Primärenergieverbrauch in Deutschland 7,0 %. (Zum Vergleich: Mineralöl trug zu 35 %, Erdgas zu 22 %, Kernenergie zu 12 %, Steinkohle zu 12 % und Braunkohle zu 11 % bei). Am Anteil von 7,0 % der erneuerbaren Energien leistete die Biomasse mit 5,2 % den weitaus wichtigsten Beitrag, dann folgten Wind mit 1,0 %, Wasser mit 0,5 % und die restlichen erneuerbaren Energien (darunter Solarthermie, Photovoltaik und Geothermie) mit 0,3 %.

Struktur der Endenergiebereitstellung aus erneuerbaren Energien in Deutschland im Jahr 2008

Betrachtet man die Struktur der Endenergiebereitstellung aus erneuerbaren Energien in Deutschland im Jahr 2008, ergibt sich das folgende Bild: Die Biomasse hat mit insgesamt 68,9 % am stärksten beigetragen, wobei auf biogene Brennstoffe für die Wärmeerzeugung 41, 6 %, auf biogene Brennstoffe für die Stromerzeugung 11,6 % und auf biogene Kraftstoffe für den Verkehr 15,7 % entfielen. Die Windenergie trug zu 17,3 % und die Wasserkraft zu 9,1 % bei. Mit weitem Abstand folgten die Solarthermie mit 1,8 %, die Photovoltaik mit 1,7 % und die Geothermie mit 1,1 %.

Struktur der Wärmebereitstellung aus erneuerbaren Energien in Deutschland im Jahr 2008

Gesamt: 233,2 TWh biogene Brennstoffe, Wärme 41,6 %

biogene Kraftstoffe 15,7 %

Wasserkraft 9,1 % Geothermie 1,1 %

1,8 %

biogene Brennstoffe, Strom 11,6 %

Gesamt: 103,8 TWh

oberflächennahe Geothermie 2,3 %

,

Photovoltaik Solarthermie 1,7 %

biogene Festbrennstoffe (Haushalte) 55,7 %

Windenergie 17,3 %

gesamte Biomasse*, einschl. biogene Kraftstoffe: 69 %

* feste, flüssige, gasfö rmige B io masse, bio gener A nteil des A bfalls, Depo nie- und Klärgas; Quelle: B M U P ublikatio n "Erneuerbare Energien in Zahlen – natio nale und internatio nale Entwicklung", KI III 1; Stand: Juni 2009; A ngaben vo rläufig

tiefe Geothermie 0,2 % Solarthermie 4,0 %

biogener Anteil biogene flüssige des Abfalls Brennstoffe 4,8 % 6,0 % biogene gasförmige Brennstoffe 4,9 %

biogene Festbrennstoffe (Heizkraft- und Heizwerke) 6,0 %

Quelle: BMU Publikation "Erneuerbare Energien in Zahlen – nationale und internationale Entwicklung", KI III 1; Stand: Juni 2009; Angabe

Die Biomasse war im Jahr 2008 die weitaus wichtigste erneuerbare Energie in Deutschland 18

biogene Festbrennstoffe (Industrie) 16,2 %

Erneuerbare Energien in Deutschland Deutschland Struktur der Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien in Deutschland im Jahr 2008

Struktur der biogenen Kraftstoffe in Deutschland 2008

Gesamt: 92,8 TWh

Gesamt: 36,7 TWh

Wasserkraft 23,0 %

Windenergie 43,5 %

Biodiesel 75,8 % biogener Anteil des Abfalls 4,9 %

Deponiegas 1,1 % Klärgas 1,1 %

Biogas 8,7 %

biogene flüssige Brennstoffe 1,6 %

Photovoltaik 4,3 % biogene Festbrennstoffe 11,8 %

Bioethanol 12,8 %

Biomasseanteil *: rd. 29 %

* feste, flüssige, gasförmige Biomasse, biogener Anteil des Abfalls, Deponie- und Klärgas Quelle: BMU Publikation "Erneuerbare Energien in Zahlen – nationale und internationale Entw icklung", KI III 1; Stand: Juni 2009; Angaben vorläufig

Pflanzenöl 11,4 %

Quelle: BMU Publikation "Erneuerbare Energien in Zahlen – nationale und internationale Entwicklung", KI III 1; Stand: Juni 2009; Angaben vorläufig

Jede sechste Kilowattstunde Strom kam 2008 aus erneuerbaren Energien, jede vierte Kilowattstunde aus Kernenergie

Wärmemarkt Im Wärmemarkt kam im Jahr 2008 etwa jede sechste Kilowattstunde Wärme aus erneuerbaren Energien. Setzt man dies zu 100 %, zeigt sich, dass die Biomasse mit insgesamt 93,6 % stark überwog: Dabei trugen biogene Festbrennstoffe in Haushalten 55,7 %, biogene Festbrennstoffe in der Industrie 16,2 %, biogene Festbrennstoffe für Heizkraft- und Heizwerke 6,0 %, biogene Flüssigbrennstoffe 6,0 %, biogene gasförmige Brennstoffe 4,9 % und der biogene Anteil des Abfalls 4,8 % bei. Kleinere Beiträge leisteten die Solarthermie (4,0 %), die oberflächennahe Geothermie - also Wärmepumpen (2,3 %) und die tiefe Geothermie (0,2 %).

Stromerzeugung Zur Stromerzeugung steuerten erneuerbare Energien im Jahr 2008 zu etwa einem Sechstel bei. Wird dies zu 100 % gesetzt, so stellen sich die bedeutenden Beiträge von Windenergie, Wasserkraft und Biomasse wie folgt dar: Die Windenergie hatte 2008 einen Anteil von 43,5 %, die Wasserkraft 23,0 % und die Biomasse zusammengenommen 29,2 %. Bei der Biomasse entfielen auf biogene Festbrennstoffe 11,8 %, auf biogene flüssige Brennstoffe 1,6 %, auf biogene gasförmige Brennstoffe (Biogas, Klärgas und Deponiegas) zusammen 10,9 % und auf den biogenen Anteil im Abfall 4,9 %. Der Beitrag der Photovoltaik war mit 4,3 % eher begrenzt

Verkehr Im Kraftstoffbereich kam im Jahr 2008 etwa jede zwanzigste Kilowattstunde aus erneuerbaren Energien. Setzt man dies zu 100 %, so hatte Biodiesel einen Anteil von 75,8 %, Pflanzenöl von 11,4 % und Bioethanol von 12,8 %.

Umsätze mit erneuerbaren Energien Bei der Förderung der verschiedenen Formen erneuerbarer Energien werden sehr unterschiedliche Subventionspraktiken angewandt, die in den letzten Jahren zu intensiven Diskussionen geführt haben. Allgemein fließen die höchsten Subventionen in die Stromerzeugung; diese Subventionen tragen im Wesentlichen die Stromkunden. In der Regel weniger gefördert werden die erneuerbaren Energien im Wärmemarkt; Kraftstoffe aus erneuerbaren Energien werden vor allem durch verminderte Sätze bei der Kraftstoffbesteuerung gewährt.

der Photovoltaik bis zum Jahr 2010 kumulierte Lasten von rund 53,3 Mrd. € ergeben.” Dieser Wert ergibt sich u. a. aus dem Sachverhalt, dass die hohe Vergütung für Photovoltaikstrom 20 Jahre lang festgeschrieben ist. Die Umsätze mit Biomasse lagen mit einem Anteil von 37,5 % in etwa derselben Größe wie im Sektor Solarenergie. Dies ist insofern erstaunlich, als die Biomasse im Vergleich zur Solarenergie fast den zwanzigfachen Beitrag zur Versorgung mit erneuerbaren Energien leistete. Mit einem Anteil von 4,8 % fiel der Anteil der Wasserkraft an den Umsätzen eher mäßig aus. Dies ist vor allem damit zu erklären, dass die Wasserkraft eine “traditionelle” erneuerbare Energie ist, die in Deutschland bereits im vergangenen Jahrhundert weitgehend ausgebaut war. Mit einem Anteil von 20,1 % lag der Anteil der - mengenmäßig sehr erfolgreichen - Windenergie an den Umsätzen deutlich niedriger als der Anteil der Solarenergie. Die Geothermie hatte im Jahr 2008 einen Anteil von 3,8 % an den Umsätzen. Prof. Dr.-Ing. Martin Dehli

Aus dem Gesamtumsatz mit erneuerbaren Energien lassen sich im Sinne eines groben Anhalts erste Rückschlüsse darauf ziehen, im welchem Umfang die jeweiligen Subventionierungen zur Verbreitung erneuerbarer Energien beitrugen. Im Jahr 2008 lag in Deutschland der Anteil des Sektors Solarenergie (Photovoltaik und Solarthermie) am Gesamtumsatz bei 33,8 % , obwohl deren Beiträge zur Energieversorgung Gesamtumsatz mit erneuerbaren Energien in Deutschland 2008 recht gering waren. Offen(Investitionen und Betrieb) Wasserkraft bar haben die Subventio1.370 Mio. €; 4,8 % nen bei der Photovoltaik wenig bewirkt - und dies 5.800Windenergie Mio. €; 20,1 % Biomasse trotz der Tatsache, dass 10.800 Mio. €; 37,5 % mit der Entwicklung diegesamt: ser Technik bereits in den rd. 28,8 Mrd. Euro sechziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts Geothermie** 1.103 Mio. €; 3,8 % begonnen wurde. In einer 2009 veröffentlichten StuUmsätze die des Rheinisch-WestInvestitionen: rd. 13,1 Mrd. Euro Solarenergie* Betrieb: rd. 15,7 Mrd. Euro fälischen Wirtschaftsfor9.750 Mio. €; 33,8 % schungsinstituts (RWI) heißt es: “In Summe könnten sich - bei einer Teure Photovoltaik: Über ein Drittel des Umsatzes unveränderten Förderung mit erneuerbaren Energien floss in die Solarenergie * Photovoltaik und Solarthermie, ** Großanlagen und Wärmepumpen; vorläufige Angaben Quelle: BMU-KI III 1 nach Zentrum für Sonnenenergie-und Wasserstoff-Forschung Baden-Württemberg (ZSW), Stand: Juni 2009

19

Pflegebedürftig: Pflegebedürftig: Die deutsche deutsche Sprache Sprache

Kultur in ihrem ganzen Wesen verstanden und sie für die heutige Zeit wieder zugänglich gemacht hat. Seine Leistung verschafft unserer deutschen Sprache dort großen Zulauf. Das heißt: Der Zugang zu einem Land läuft über die Kultur.

In Sachen Deutsch: Umdenken in Unternehmen

Deutsche Sprache wagen!

(Auszug aus einem Interview mit Dr. Klaus-Dieter Lehmann, seit 2008 Präsident des Goethe-Instituts, in “bild der wissenschaft” 2/2010. Das Goethe-Institut nimmt zentrale Aufgaben der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik im Auftrag der Bundesrepublik Deutschland wahr. Das Goethe-Institut unterhält 136 Institute und 10 Verbindungsbüros in 91 Staaten der Erde.) ? - Welche globale Entwicklung wird die deutsche Sprache in den kommenden Jahren nehmen? ! - Entscheidend ist, wie wir selbst unsere Sprache behandeln. Wenn sie uns gleichgültig ist, lässt sich eine rückläufige Entwicklung nicht vermeiden. Wenn wir dagegen mehr Leidenschaft entfachen, hat unsere Sprache gute Chancen. Wir sehen das daran, dass die Zahl derer, die Deutsch lernen, gegenwärtig wieder steigt. Während 2006 an den GoetheInstituten des Auslandes 165.000 Menschen Deutsch lernten, waren es 2008 fast 185.000 Menschen - Tendenz steigend. Noch wesentlich stärker ist der

Anstieg durch die Sprachoffensive des Goethe-Instituts, bei der Deutschlehrer für einheimische Schulen ausgebildet, werden. Ziel ist, das bisherige Programm deutscher Auslandsschulen durch die Einrichtung deutschsprachiger Abteilungen in einheimischen Schulsystemen so aufzustocken, dass Ende 2010 rund 1500 Schulen Deutsch bis zur Hochschulreife anbieten. So wecken wir bei jungen Menschen Interesse und Begeisterung für das moderne Deutschland und seine Gesellschaft. In Indien haben wir damit beispiellosen Erfolg, aber auch in China, Brasilien und im arabischen Raum. In Europa ist die Zunahme in Schweden und Frankreich auffallend. Das stärkste Anwachsen verzeichnen die Schulen in der Türkei. Selbst in Deutschland hat unsere Sprache aufgrund der modernen deutschen Literatur wieder an Profil gewonnen. Autoren wie Daniel Kehlmann, Herta Müller, Uwe Tellkamp und viele mehr stehen dafür. Wenn eine Sprache attraktiv ist wegen ihrer Inhalte - also lebendig ist in der Dichtung, in der Philosophie, in der Wissenschaft - oder Sympathieträger ist, hat sie gute Chancen, international verstärkt wahrgenommen zu werden. Wenn eine Sprache dagegen nur auf ein Werkzeug reduziert wird - auf eine schwer oder leichter erlernbare Sprache -‚ kann man nicht viel erreichen. ? - Was macht Deutsch für Inder attraktiv? Sie sprechen doch mit Englisch bereits die Weltsprache Nummer eins.

SMS-Sprachkultur 20

! - Ursache ist ein Kulturphänomen. In Indien heißen unsere Niederlassungen nicht Goethe-Institute, sondern "Max Mueller Bhavan". Max Müller war ein deutscher Indologe, der während der britischen Kolonialherrschaft die indische

? - Wieso sollen Inder, die wirtschaftlich mit deutschstämmigen Unternehmen zu tun haben, Deutsch lernen? ! - Weil sie dadurch beste Chancen haben, in deutschen Unternehmen beschäftigt zu werden. Hier verzeichnen wir eine neue Entwicklung. In den vergangenen Jahren dachten unsere Unternehmen, Englisch reiche. Doch jetzt gibt es eine Trendwende: Die Unternehmen legen Wert darauf, dass auch ihre wichtigen Mitarbeiter in den Gastländern deutsch sprechen, damit sie die Unternehmensphilosophie besser verstehen, die ja nicht selten auf den viel zitierten deutschen Primärtugenden - Pünktlichkeit, Redlichkeit, Fleiß - beruhen. ? - Wer sich Ladengeschäfte in Deutschland anschaut, liest dort Begriffe wie "closed” oder "sale” ... ! - Was mich beschäftigt, ist die Tatsache, dass wir unsere Sprache oft ohne Not preisgeben. Die Deutsche Bahn ist da ein ungutes Vorzeigeobjekt mit ihren "Mobility Centern" oder "Service Points". Das sind anglizistisch klingende Begriffe, die noch nicht einmal im Englischen benutzt werden und gänzlich überflüssig sind - auch deshalb, weil die Bahn in erster Linie deutsches Publikum befördert. ? - Sollten wir uns mehr an unserem Nachbarland Frankreich orientieren, das die Landessprache weitaus stärker nach außen abschirmt? ! - Frankreich hat sprachgeschichtlich eine andere Entwicklung genommen als Deutschland. Zu Zeiten der französischen Revolution wurden die Dialekte eliminiert. Zugelassen war nur noch die Hochsprache, durch die sich jeder der Republik verpflichtet fühlen sollte. Die Deutschen haben diesen Schritt nie vollzogen. Bei uns gibt es bis heute alle Dialekte - trotz der gewaltigen Bevölkerungsverschiebung nach dem Zweiten Weltkrieg. Die Dialekte sind für mich ein Zuwachs an Sprachfärbung, an Begriffen. Frankreich als Vorbild zu nehmen, wäre falsch. Eine Sprache muss wachsen. Die deutsche Sprache ist von der Anzahl der Begriffe so umfangreich wie keine ande-

Pflegebedürftig: Pflegebedürftig: Die deutsche deutsche Sprache Sprache

? - Wer als Wissenschaftler nach Deutschland wechselt, kommt mit Englisch überall weiter. Er braucht unsere Sprache doch gar nicht mehr.

re Sprache auf der Welt. Sie ist vielfältiger, aber auch vieldeutiger. Sie benötigt keine Regulierungsbehörde. ? - Ist der Dialekt nicht von vorgestern? ! - Im Gegenteil. Einige Zeit schien er abgedrängt zu sein. Wenn Sie die heimische Popmusik-Szene anschauen, realisieren Sie einen starken Zustrom. Oder denken Sie an Ulla Hahns Roman "Der Aufbruch". Auch Bildungspolitiker früherer Epochen - ich nenne nur Wilhelm von Humboldt - haben die Liebe zur sprachlichen Vielfalt im Deutschen gepflegt.

Mehr Selbstbewusstsein statt Sprachscham ? - Viele Deutsche finden Englisch sehr sympathisch ... ! - In den 1950er- und 1960er-Jahren hatte Deutsch international kaum noch Ansehen: Hitlerdeutschland hat die Sprache verhunzt. Viele international agierende Deutsche sind deshalb aus Sprachscham aufs Englische umgestiegen. Allmählich gewinnen wir wieder unser Selbstbewusstsein und können dadurch einen unverkrampfteren Umgang mit unserer Sprache pflegen. ? - Deutsch scheint im Vergleich zu Englisch schwieriger erlernbar zu sein. ! - Das mag sein, weil wir einige grammatikalische Finessen haben, die nicht einfach zu beherrschen sind. Aber ich glaube: Die Entscheidung, eine Sprache zu erlernen, hat nichts damit zu tun, ob sie schwer oder leicht ist, sondern stets mit Dingen, die für einen selbst wichtig sind. Etwa im Beruf oder weil man in ein Land gehen will, dessen Dichter und Philosophen man liebt. Chinesisch 1113 Englisch 372 Hindi / Urdu 316 Spanisch 304 Arabisch 201

Portugiesisch Russisch Bengali Japanisch Deutsch

165 155 125 123 102

1995 sprachen 102 Millionen Menschen Deutsch als Muttersprache.

! - Im Labor mag dies stimmen. Doch wer ein Land erleben will und Lebensqualität bei seinem Aufenthalt als Gastwissenschaftler sucht, muss Deutsch können. Sonst versteht er vieles an unserer Kultur nicht und schließt keine Freundschaften zur Bevölkerung. Und wer keine Kontakte knüpfen kann, verlässt eines Tages Deutschland, ohne das Land wirklich verstanden zu haben. Das wäre gerade für Wissenschaftler ein Armutszeugnis. ? - Wie wirkt sich die Globalisirung auf die Zahl der Deutschsprechenden aus? ! - Wer erfolgreich sein will in der Globalisierung, benötigt eine Lingua franca, eine Sprache, in der sich die Welt verständigt. Das ist Englisch - daran ist nicht zu rütteln. In der Folge heißt das aber, dass Länder, in denen Deutsch traditionell als erste Fremdsprache gelernt wurde, nun auf Englisch wechseln. Russland ist ein typisches Beispiel. Da in Russland normalerweise keine zweite Fremdsprache unterrichtet wird, kann es uns passieren, dass dort Deutsch massiv untergeht. Wenn wir es nicht schaffen, dort Deutsch als zweite Fremdsprache zu etablieren, würde das den Beziehungen unserer beiden Länder schaden.

Integration und Teilhabe: Über die deutsche Sprache ? - Nun leben seit Jahrzehnten Millionen türkischer Staatsbürger bei uns, ohne dass deren Sprache Eingang ins Deutsche gefunden hätte.

Deutsch breiteren Raum zu geben oder zu überprüfen, ob Gesetze und Rechtsvorschriften allgemein verständlich formuliert sind. Weiterhin bin ich der Auffassung, dass international geschlossene Verträge in einer deutschsprachigen Version vorliegen sollten. ? - Wie viele Menschen sprechen denn nach Ihren Schätzungen Deutsch? ! - 100 Millionen als Muttersprache und weitere 100 Millionen als Fremdsprache. Statistisch gesehen gibt es weltweit nur sechs Sprachen, die von mehr Menschen gesprochen werden. Klar ist: Wir haben an Zahl verloren. Nach dem Zweiten Weltkrieg haben wir sehr zögerlich für die deutsche Sprache geworben. Auch nach dem Zusammenbruch des Ostblocks wurden Fehler gemacht. Denn eigentlich war die Deutschausbildung dort weit verbreitet. Dass man dieses Potenzial nach der Wende nicht aufgegriffen hat, ist ein großes Versäumnis.

Mehr Beachtung für Deutsch als Amtssprache in der EU nötig ? - Wo sollte Deutsch in der internationalen Sprachengemeinschaft 2020 stehen? ! - Wir sollten alles dransetzen, Deutsch als zweite europäische Fremdsprache nach dem Englischen zu platzieren. Wir müssen unsere Sprache deshalb attraktiv vermarkten. Und wir müssen darauf drängen, dass sie als Amtssprache in der EU stärker beachtet wird und dass die dortigen Beamten besser Deutsch können, als das gegenwärtig der Fall ist. (Interview: Wolfgang Hess)

! - Das liegt an dem multikulturellen Leitbild, das die Politik bei uns lange gepflegt hat. Dieses Leitbild führte zu Parallelwelten: Man ist sich nicht offen begegnet, und das beförderte die Ignoranz. Erst langsam verstehen wir, dass wir ein Einwanderungsland sind, und versuchen, die Menschen zu integrieren. Dadurch kommt es zu einer Emanzipation, mehr noch, zu einer Teilhabe. Interessant ist, dass es immer mehr erfolgreiche Schriftsteller mit Migrationshintergrund gibt, die selbstverständlich Beiträge zur deutschen Gegenwartsliteratur liefern. ? - Einige Politiker fordern, die Pflege der deutschen Sprache im Grundgesetz zu verankern. Was halten Sie davon? ! - Wenig! Wichtiger als eine solch populistische Aktion wäre, in Lehrplänen

Eine offene Frage: Was wird aus unserer Sprache? 21

Pflegebedürftig: Pflegebedürftig: Die deutsche deutsche Sprache Sprache

“Hysterisches Englischlernen führt zu einer Kaste der Anderssprachigen” (Aus: “bild der wissenschaft” 2/2010) Prof. Jürgen Trabant, der als Professor für Europäische Mehrsprachigkeit an der Bremer “Jacobs University” zum täglichen Englisch verdonnert ist, spürt einen Widerstand in sich, wenn er sieht, wie speziell in Wirtschaft und Wissenschaft das englische Vokabular Einzug hält. "Häufig werden gar keine deutschen Wörter mehr gesucht und ausprobiert", beklagt Trabant. "Das ist besonders ungünstig, wenn man versucht, Kindern die Wissenschaft näher zu bringen", so Trabant. Galileo Galilei habe extra vom Lateinischen zum Italienischen gewechselt, um volksnäher zu sein. "Bei uns führt das zum hysterischen Englischlernen in den Kindergärten. Ehrgeizige Eltern plagt die Sorge, ihr Kind werde später nicht im Aufsichtsrat sitzen, wenn es nicht rechtzeitig Englisch lernt." Trabant befürchtet, dass sich auf diese Weise eine "Kaste der Anderssprachigen" bildet und die Oberschicht sprachlich auswandert - während viele Migranten gar nicht erst einwandern.

“Isch masch disch Messa!” Wie das klingt, machen Kreuzberger Jugendliche vor, die eine körperliche Attacke mit den Worten androhen: "Isch mach disch Messa!" Wer denkt, die Jugend könne es nicht besser, der irrt, behauptet Heike Wiese. Die Leiterin des Instituts für Germanistik an der Universität Potsdam ist Spezialistin für "Kanaksprach" oder auch "Kiezdeutsch", einen neuen Dialekt des Deutschen, der ein paar Fremdwörter aus dem Türkischen übernommen hat. "Kiezdeutsch ist Teil der Jugendsprache und wird nur unter Freunden gesprochen, nicht mit Lehrern und Eltern", erklärt Wiese. Der Slang, den durchaus auch deutschstämmige Jugendliche mit multiethnischem Umfeld benutzen, werde irgendwann wieder abgelegt. Insofern schätzt Wiese den Einfluss auf die Majoritätssprache als gering ein. Wenn überhaupt, werden einzelne Begriffe übernommen, etwa das türkische "Lan" für "junger Mann" oder das arabische ‚Wallah", was soviel heißt wie "bei Gott". Das hat ebenso wenig religiöse Bedeutung wie das deutsche "Gott sei Dank" und wird so ähnlich wie "echt, wirklich" verwendet. 22

Solche Anleihen stellen keine Bedrohung für die deutsche Sprache dar, meint sie. Auch Trabant glaubt nicht, dass Türkisch oder Arabisch das Deutsche wesentlich beeinflussen werden. "Diese Sprachen haben für die meisten keinen Appeal." Prof. Jürgen Trabant wünscht sich unabhängig von Reformen mehr Sprachpflege: "Ich rede nicht von einer Sprachpolizei. Aber eine staatliche Institution, die über das Deutsche reflektiert und Vorschläge macht, wäre gut." Die Arbeit der französischen Sprachbehörde, die hierzulande oft belächelt wird, findet er vorbildhaft. O

Nun steuert die Bundesbahn gegen: In Zukunft spricht und schreibt sie Deutsch, soweit das geht. Der ICE wird bleiben, die englischen Ansagen auch, aber “Counter”, “Service Point” und “Kiss & Ride” sollen verschwinden. Wenn das Schule macht, werden die besser Angepassten umsatteln müssen. Vielleicht lernen sie dann sogar Deutsch. Aus Angst, damit niemand lacht. Bundesbahn, mach weiter so! Oder: Go, Eisenbahn, go! O Hans-Joachim Neubauer

Ramsauer schafft englische Begriffe ab (Aus: ZDF-Text Nr. 130 vom 30.1.2010) Verkehrsminister Peter Ramsauer sagt englischen Begriffen in seinem Haus den Kampf an. Statt “Travel Management” heißt es im Ministerium künftig wieder “Reisestelle”, statt “Meeting” Besprechung. “Ich will, dass im Haus wieder mehr Deutsch gesprochen wird”, sagte Ramsauer, der selbst mit hörbarem bayerischem Akzent spricht. “Task Forces” heißen nun wieder “Projektgruppen”. Die Verfassung von Schriftstücken folgt nicht mehr der “Deadline”, sondern einem Abgabetermin. O

Günther Oettinger ist seit 2010 Energiekommissar in Brüssel. Unvergessen sind seine früheren Worte als Ministerpräsident von Baden-Württemberg: “Ich glaube, dass jeder Englisch verstehen und Englisch sprechen können muss, egal, ob er Facharbeiter an der Werksmaschine ist, ob er Geschäftsführer ist oder ob er Zahlen oder Anleitungen lesen muss. Deutsch bleibt die Sprache der Familie, der Freizeit, die Sprache, in der man Privates liest, aber Englisch wird die Arbeitssprache. Deshalb haben wir an der Grundschule ab der ersten Klasse Englisch eingeführt.”

Lernen die besser Angepassten vielleicht sogar Deutsch? (Aus: “Rheinischer Merkur” 7/2010 S.1) Happy Germany: Über EU-Energiekommissar Günther Oettingers Verhältnis zur englischen Sprache amüsierte sich die Nation. Selbst der biedere Johannes Kerner verspottete den Politiker. Der ist selber schuld, schließlich legt er Wert darauf, dass modern und mobil nur sei, wer gut Englisch könne. Im Land der verspäteten Moderne ist happy, wer den anderen ihre Modernisierungsverspätung vorhalten kann. Der Schadenfrohe weiß: Er ist besser dran als der Verlachte.

Bewältigung im Wort (Aus: Heinz Otto Burger: Die Gedankenwelt der großen Schwaben) Das Betroffensein von einer heiligmächtigen, “numinosen” Wirklichkeit wird bei Friedrich Hölderlin im Wort bewältigt: Fast könnte man sagen, dass es die Sprache selbst sei, welche die jeweilige Wirklichkeit als eine Ganzheit und Einheit bewältigt. Freilich geschieht es allein durch das Medium des Dichters, aber es ist doch nicht so, als ob der Dichter beliebig sprechen kann und also über die Sprache verfügt, viel eher verfügt die Sprache mit ihren Möglichkeiten über den Dichter. Nach Bettina von Arnim soll der späte Hölderlin erklärt haben, “die Sprache bilde alles Denken, denn sie sei größer als der Menschengeist, der sei ein Sklave nur der Sprache ... sie werfe ein Netz über den Geist, in dem gefangen er das Göttliche aussprechen müsse”. Jedenfalls bedeutet Dichten bei Hölderlin zuletzt einen eigenen Akt des Umgangs mit dem Sein. Auch Hölderlin bleibt seinem Schwabentum verhaftet. “Ein Zeichen sind wir, deutungslos. Schmerzlos sind wir und haben fast die Sprache in der Fremde verloren.”

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Hochschulreform im Spiegel Spiegel der Meinungen: Aufsätze, Beiträge und Stellungnahmen Stellungnahmen

“Wir wollen keinen europäischen Superstaat, der alles gleich macht. Im Gegenteil: Was Europa so einzigartig macht, ist sein kultureller Reichtum und seine große Vielfalt.” Günter Verheugen, bis Anfang 2010 deutscher EU-Kommissar und zugleich Vizepräsident der EU O

Bildungspolitik und EU: Bundesverfassungsgericht zeigte auch hierzu Grenzen auf Die - rigid umgesetzte - Hochschulreform in Deutschland wurde oft mit der Notwendigkeit zur “Europäisierung des Hochschulraums” begründet. Viele Bildungspolitiker sowie exponierte Vertreter einiger international tätiger deutscher Großunternehmen erweckten den Anschein, als sei es unvermeidlich, dass - angesichts des Zusammenwachsens europäischer Staaten - auch die deutschen Hochschulen zu “harmonisieren” - d. h. europagerecht zu vereinheitlichen seien. So wurden z. B. bei der Umsetzung der Hochschulreform viele Beschlussvorlagen in den Hochschulgremien mit der schlichten Formulierung “Es ist politischer Wille, dass ... “ begründet. Allerdings zeigte im Sommer 2009 das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe in seinem Urteil zum “Lissabon-Vertrag” auf, dass die Europäische Union noch massive Demokratiedefizite aufweist. Möglicherweise wäre der seit 1999 betriebene Prozess der Hochschulreform anders verlaufen, hätte das Bundesverfassungsgericht schon früher Recht gesprochen. Kritiker der Hochschulreform meinen, dass das deutsche Hochschulwesen dabei zur Preisgabe eines Stücks seiner Identität gezwungen worden sei. Die Richter des Bundesverfassungsgerichts verlangten, dass die Parlamente “Aufgaben von substanziellem Gewicht” behalten, die damit weitgehend tabu für Europa sind. Dazu gehören unter anderem die Entscheidungen über die Einnahmen und Ausgaben des Staatshaushalts, das Gewaltmonopol der Polizei und des Militärs, weite Teile des Strafrechts, die Gestaltung des Familienrechts und des Rechts auf Bildung, der Umgang mit den Religionen, die Pressefreiheit und das Versammlungsrecht. Die Verfassungsrichter billigten den Vertrag nur, weil sie argumentierten, Europa sei auch nach Lissabon eben kein Bun-

desstaat, sondern ein Bündnis, in dem die Nationalstaaten ihre Kompetenzen Stück für Stück im Rahmen von Einzelermächtigungen auf Europa übertragen. Demokratisch legitimiert sei dies nur, wenn die Parlamente - und nicht die Regierungen - dies so beschließen. Ohne diese demokratische Rückbindung in den Mitgliedsstaaten fehle Europa eine “hinreichende Legitimationsgrundlage”. Die Verfassungsrichter betonten, dass sie bei allen Streitfällen in Sachen Europa für sich weiterhin das letzte Wort die “Kompetenzen-Kompetenz” in Anspruch nehmen werden: Die Richter prüfen, ob die europäischen Regeln noch “den unantastbaren Kerngehalt der Verfassungsidentität des Grundgesetzes” respektieren. Sie nehmen für sich in Anspruch, Regeln des EU-Rechts künftig für in Deutschland nicht anwendbar zu erklären. Anders könnten “die grundlegenden politischen und verfassungsmäßigen Strukturen souveräner Mitgliedstaaten bei fortschreitender Integration nicht gewahrt werden”. Auf gut Deutsch: Ohne das Bundesverfassungsgericht würde Deutschland auf Dauer unter die Räder der Brüsseler Bürokratie kommen. Der Lissabon-Vertrag habe noch mehr Zuständigkeiten auf die EU übertragen und lasse zu, dass sich Entscheidungsverfahren “verselbständigen”. De

“Die EU - im Konflikt mit der Freiheit?” Der Ministerpräsident von Tschechien, Vaclav Klaus, gehört zu den deutlichsten Kritikern der Art und Weise des europäischen Einigungsprozesses und des Lissabon-Vertrags. In einem Gespräch mit dem Herausgeber des “Rheinischen Merkur”, Michael Rutz, (RM 42/2009, S. 42) begründete er seine Zweifel: “Ich bin auch Europäer. ... Aber das ist nicht meine wichtigste Identität.” Europa sei keine Entität, kein Ganzes, habe kein Volk, keine ethnische Einheit, keine gesamtkontinentale Gesellschaft, kein kulturell homogenes Gebiet. Es gebe keine gemeinsame europäische Geschichte. Es gebe die Geschichte Frankreichs, Spaniens, Deutschlands, der Tschechischen Republik oder die Bayerns. Aber die Bemühungen, “gemeinsame Geschichte Europas zu präsentieren, nur um politisch korrekt zu sein und damit eine künstliche Realität zu schaffen, ist gefährlich, nicht nur für uns heute, sondern auch für die nächsten Generationen.” Alle Versuche, heute Lehrbücher der europäischen Geschichte zusammenzustellen, “können nur zur Falsifizierung der Geschichte führen; die Geschichte Europas wird durch die Autoren dieser Bücher nur ex post konstruiert.” “Ich bin mir nicht sicher, ob die Europäische Union, ob dieser Versuch in seiner heutigen Variante nicht im Konflikt zu dem seit Jahrhunderten andauernden Kampf um die Freiheit steht.” O

Aus der Urteilsbegründung des Bundesverfassungsgerichts: “Integration in eine freiheitliche Gemeinschaft verlangt weder eine der verfassungsrechtlichen Begrenzung und Kontrolle entzogene Unterwerfung noch den Verzicht auf die eigene Identität.” “Die Europäische Union ist eine intransparente Mammutinstitution, die eine immer stärkere Zentralisierung der Zuständigkeiten betreibt.” Roman Herzog, ehemaliger deutscher Bundespräsident

Kritiker des europäischen Einigungsverfahrens: Präsident Vaclav Klaus 23

Hochschulreform im Spiegel Spiegel der Meinungen: Aufsätze, Beiträge und Stellungnahmen Stellungnahmen

ten unmittelbar nach dem Studium einen fachnahen Arbeitsplatz erhalten haben. Damit der Bologna-Zug an Fahrt gewinnt, hat der Deutsche Hochschulverband die eklatanten Schwächen der Reform benannt. Seine Verbesserungsvorschläge liegen auf dem Tisch. Die Hochschulpolitik muss unverzüglich handeln, wenn der Bologna-Zug nicht bald in einem Sackbahnhof stehen bleiben soll: Mit Beschwichtigung und betulicher "Nachbesserungsrhetorik" dürfen wir uns nicht länger aufhalten. Die Losung heißt: Jetzt umsteuern! O

Bologna-Prozess:

”Jetzt umsteuern!”

Professor Dr. Bernhard Kempen ist Präsident des Deutschen Hochschulverbandes, Bonn.

Prof. Dr. Bernhard Kempen

(Aus: Spektrum der Wissenschaft, Juni 2009, S. 22) Zehn Jahre nach der "Bologna-Erklärung", in der sich 30 europäische Staaten im Jahr 1999 zum Ziel eines einheitlichen europäischen Hochschulraums bekannten, hat sich an deutschen Hochschulen statt Euphorie Ernüchterung breitgemacht. Selbst vehemente Befürworter der Hochschulreformen müssen eingestehen, dass Kernziele des Bologna-Prozesses bisher nicht erreicht wurden. So ist mit der Einführung von Bachelor- und Masterstudiengängen ein Studienortwechsel im In- wie Ausland deutlich erschwert worden. Der erhoffte Automatismus bei der Anerkennung von Studienleistungen blieb aus. Und die Zahl der Studienabbrecher hat sich insbesondere in den Ingenieur- und Wirtschaftswissenschaften erhöht statt verringert.

Bologna-Reform mit eklatanten Schwächen

Trägern weltweit Zugang zum Arbeitsmarkt eröffnete. Diese Marke jetzt aufzugeben war kein Gebot der Bologna-Vereinbarungen, sondern eine mehr als unvernünftige Forderung deutscher Kulturpolitik. Ebenso wenig ist den Konferenzdokumenten zu entnehmen, dass der Master nur einer Hand voll Auserlesener vorbehalten bleiben sollte. Doch darauf läuft es in Deutschland hinaus: Die Hochschulen werden per Zielvereinbarung dazu gebracht, beim Masterstudium zu knausern und die Mittel bis zu 80 % im Bachelorstudium einzusetzen: In vielen Studienfächern können sich nur 20 % in einem Masterstudiengang weiterbilden. Viele der Bacheloren, die von der Wirtschaft allen Werbekampagnen zum Trotz eben doch nicht immer mit Kusshand genommen werden, klopfen vergeblich an die Tür zum Masterstudium. Dagegen wird für Handwerksmeister der Zugang zum Bachelorstudium geöffnet.

Abgeschafft: Das Diplom “made in Germany”

Das unerfüllte Versprechen, den erhöhten Prüfungs- und Lehraufwand der modularisierten Studiengänge mit mehr Personal aufzufangen und zusätzliche Masterstudienplätze zu schaffen, droht im Zuge der Finanz- und Wirtschaftskrise in Vergessenheit zu geraten. Wer in Krisenzeiten in die Zukunft investieren will, darf bei der Bildung nicht sparen. Volkswirtschaftlich ergibt es wenig Sinn, dass eine große Wissenschaftsnation diejenigen, die ihr altes Auto entsorgen, mit einer Abwrackprämie ködert, aber denjenigen, die mit ihren Köpfen etwas aufbauen wollen, den Berufszugang versperrt.

Nicht jedes Fach lässt sich in ein sechssemestriges Korsett pressen. Und gerade in den Ingenieurwissenschaften war das Diplom made in Germany eine international anerkannte Marke, die ihren

Kostenneutral werden sich die BolognaReformen nicht umsetzen lassen. Auch praxisnahe Studiengänge gilt es längerfristig mit Geld zu fördern - durch Belohnung von Hochschulen, deren Absolven-

Verantwortlich für diese Fehlentwicklungen ist die bürokratische Umsetzung der Reformen in Deutschland, bei der die angestrebte Vereinheitlichung mit Gleichmacherei verwechselt wurde. Die unterschiedlichen Wissenschafts- und Ausbildungstraditionen der nunmehr 46 Bologna-Signatarstaaten lassen sich jedoch nicht über einen Kamm scheren. Sachund fachangemessen muss entschieden werden, ob die neuen Abschlüsse für die jeweilige Disziplin taugen oder nicht.

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Bildung: Vollverzweckt Von Christiane Florin (Aus: Rheinischer Merkur 25/2009, S. 1) Die Protestplakate der Studenten listen die Mogelpackungen auf, die Politiker aller Couleur - vorzugsweise mit der Biografie Kreißsaal, Hörsaal, Plenarsaal der jungen Generation angedreht haben: Studiengebühren, Bologna-Prozess, Turbo-Abitur. Schulen und Hochschulen sind offenbar nicht systemrelevant genug, um angemessen ausgestattet zu werden. Es regnet in die Hörsäle, obwohl das Hören mehrere Hundert Euro im Semester kostet. Trotz aller Bekenntnisse zur “Bildungsrepublik Deutschland” ist mit Bildung kein Druck zu machen. Und Staat erst recht nicht. Bildung wird, obwohl sie den Kern der Res Publica betrifft, nicht mehr als öffentliche Angelegenheit wahrgenommen. Sie ist Privatsache. Zermürbt von den ideologischen Streitereien haben die Eltern ihre eigenen Schlüsse gezogen: Jene, die es sich leisten können, ziehen in problemschulfreie Viertel, zahlen für Nachhilfe und klagen die Gymnasialempfehlung für den Filius ein. Die öffentlichen Schulen - das sind die Anstalten der Anderen. Wer zu denen gehört, ist eben selbst schuld. Wer heute an einer Hochschule lehrt, spricht zu Einzelkämpfern. “Was müssen wir lernen, um die Klausur zu bestehen”, fragen sie. Erwartet wird die Antwort: “Die Seiten 22 bis 134 im Lehrbuch X.” Der Dozent kann sicher sein, dass allenfalls 2 von 30 Studenten auch die Seiten 21 und 135 anschauen und höchstens einer noch ein anderes Buch zur Hand nimmt. Der Denker Carlo Schmid bezeichnete Bildung als “Widerstand gegen die Verzweckung des Lebens”. Der aktuelle Bildungsbetrieb ist vollverzweckt. O

Hochschulreform im Spiegel Spiegel der Meinungen: Aufsätze, Beiträge und Stellungnahmen Stellungnahmen

Die Akkreditierung: Kontraproduktiv? von Prof. Dr. Walter Krämer (Aus: Forschung und Lehre, Nov. 2009) Die Akkreditierung der Bachelor- und Masterstudiengänge durch Agenturen soll nach dem Willen der Hochschulpolitik die Qualität der Studiengänge sichern. Nach Ansicht der Kritiker befördert das aktuelle deutsche Akkreditierungswesen allerdings das Gegenteil. Es sei zielwidrig und teuer. Es unterstütze Schablonendenken und widerspreche dem Geist einer echten Hochschule. Letztens kam einer meiner Kollegen von einem Besuch aus Oxford zurück. Er berichtete von einem Gespräch uber neue Studiengange dort. “Wo lasst Ihr euch denn akkreditieren?”, hatte er gefragt. Der Brite sah den Deutschen an, als käme der vom Mond: "But we are Oxford!” war die einzige Replik. Damit haben wir Punkt 1: Nur zweitklassige Institutionen lassen sich akkreditieren. Erstklassige haben es nicht nötig, und drittklassige fürchten sich davor. Akkreditierung steht für die Regression zum Mittelwert. Oder wie das der große Literat Gilbert Keith Chesterton in seiner Ansprache zur Hundertjahrfeier des lmperial College London im Jahr 1927 formulierte: Die große Gefahr für die westliche Zivilisation, für die Kultur des Abendlandes, für den Fortbestand unserer freiheitlichen Lebens- und Gesellschaftsordnung ist weder der Bolschewismus noch der Faschismus, auch nicht die Gier der Banker oder die Reizüberflutung durch moderne Medien (damals nur Kino und Radio), es ist die allgegenwärtige Standardisierung auf niedrigem Niveau. Standards in der Wissenschaft (nicht bei Schrauben oder Briefumschlägen) sind das Gegenteil von Exzellenz. Exzellenz fällt immer aus dem Rahmen - in der Forschung, aber in der Lehre ebenso. Punkt 2: "Aber wir garantieren doch nur Qualität!" - Dieses Argument für Lizenzen aller Art ist Unfug. Fest steht, Akkreditierung garantiert vor allem Gleichbehandlung und Einheitsbrei, aber keine Qualität. lnnovation und Fortschritt, also auch zukunftsweisende Studiengänge und Organisationsformen an Hochschulen wie auch anderswo, entstehen durch das Spiel von Versuch und Irrtum, durch das Aussortieren schlechter und das Überleben der besseren Modelle. Autobauer und EDV-Erfinder wissen das. Wer

Die Stadt Bologna hat Klage gegen uns eingereicht: wegen Rufschädigung und missbräuchlicher Verwendung ihres Namens in unserem Begriff “Bologna-Prozess”.

Na und? - Dann lassen wir uns eben was Neues einfallen. Wie wär´s mit “Gütersloh-Prozess”? Dort hat doch die Bertelsmann-Stiftung ihren Sitz, und die gehört ja - neben einigen globalen Großfirmen - zu den Haupttreibern der Hochschulreform!

Neues aus dem Ministerium: Namensprobleme bei der Hochschulreform

sich dem entgegenstellt, zementiert den Status quo und bremst Innovation. Denn die ist nur mit dem Risiko des Scheiterns zu erkaufen. Wer dieses Risiko ausschaltet, schaltet den Fortschritt aus.

Bologna-Prozess: Bürokratisches Scheusal

Punkt 3: "Aber dann ist doch dem Missbrauch Tür und Tor geöffnet." - Akkreditierung verhindert nur den Schaden, der bei der Akkreditierung schon abzusehen ist bzw. von den Akkreditierern tatsächlich auch erkannt wird. Aber das ist nur ein kleiner Teil. Ob die Vorlesung X von Professor Y oder Professor Z gehalten wird, ist für den Erfolg der Lehre meist von größerer Bedeutung, als ob dafür drei oder sieben Wochenstunden vorgesehen sind. Wie kann man glauben, die Qualität und der Erfolg einer Lehrveranstaitung sei durch das Modulhandbuch garantiert? Abgesehen von den hohen Gebühren für die Akkreditierungsagenturen fällt für die betroffenen Hochschulen und Hochschullehrer ein enormer, bisher selten quantifizierter Arbeitsaufwand an. Dies summiert sich auf zusätzliche jährliche Kosten von ... zig Millionen Euro.

Besetzte Hörsäle, blockierte Seminarräume: Deutschlands Studierende protestieren gegen Studiengebühren, gegen die Überlastung der Professoren, gegen überfüllte Unis und verschulte Curricula. Vor allem aber stehen sie auf gegen jenes bürokratische Scheusal, das einst in Bologna aus dem Ei kroch und seither das universitäre Leben beherrscht.

Fazit: Das aktuelle deutsche Akkreditierungswesen ist zielwidrig und teuer; das darin institutionalisierte Schablonendenken steht so sehr im Gegensatz zum Wesen einer Hochschule, dass man sich fragen darf, wieso die Klasse der Hochschullehrer versagt und sich trotz besseren Wissens ohne großen Widerstand von allen möglichen selbsternannten Reformern wie ein Tanzbär am Nasenring durch die Manege ziehen lässt. O Walter Krämer lehrt Statistik und Empirische Wirtschaftsforschung an der TU Dortmund. Er ist Träger des Deutschen Sprachpreises 1999 sowie Gründer und Vorsitzender des Vereins Deutsche Sprache e.V.

Von Hans-Joachim Neubauer (Aus: Rheinischer Merkur 47/2009, S. 4)

Alles sollte klarer werden, wurde versprochen, endlich würde es möglich, von einer europäischen Hochschule auf die andere zu wechseln. Sogar ein Job sollte finden, so hieß es, wer den Bachelor oder gar den Master erringe. Vielleicht war ja nicht alles davon gelogen, und sicher war vieles sogar gut gemeint, aber was sich heute an den Hochschulen des Dichter- und Denkerlandes abspielt, gibt denen recht, die von Beginn an gegen “Bologna” stänkerten: Es ist schwerer geworden, die Hochschule zu wechseln - sogar innerhalb eines Bundeslandes. Und schwerer, ein oder zwei Semester im Ausland zu studieren. Zudem laugt der Mehraufwand an Regulierung die Professoren und den Mittelbau systematisch aus. Man muss es so harsch sagen: Bürokratie ist der Feind der Bildung. Bildungsministerin Annette Schavan, der weitgehend die Hände gebunden sind, hat Besserung angekündigt. Vielleicht sollten die Studierenden nicht Hörsäle besetzen, sondern die Kultus- und Wissenschaftsministerien ihrer Länder belagern: gegen die deutsche Bildungs-Kleinstaaterei. O 25

Hochschulreform im Spiegel Spiegel der Meinungen: Aufsätze, Beiträge und Stellungnahmen Stellungnahmen

D´ Angela hot gsagt, i soll ab nach Brissl. Also dann Ade, on mach´s guat mit dera verzwiggta Hochschualpolitik em Ländle!

Der Erfolg der Studienreform setze gute Studienbedingungen für die Studierenden voraus, hieß es in einer gemeinsamen Erklärung von HRK und KMK. Die Probleme bei der Umsetzung der Reform müssten behoben werden. An vorderster Stelle stehe dabei die “Studierbarkeit” der Studiengänge. Länder und Hochschulen wollen die Prüfungsbelastungen verringern und die Arbeitsbelastung der Studenten überprüfen. Kultus- und Wissenschaftsminister sowie Hochschulrektoren hoben zudem hervor, sie hätten die Kritikpunkte aufgenommen und Entscheidungen getroffen. Sie seien deshalb auch der Auffassung, dass es an der Zeit sei, “wieder zu einem geregelten Studienbetrieb überzugehen.” O

Jetzetle guat Nacht om Sechse! - Dann lesch du mi also alloi en dem Durchanandor, en des ons dia Großkopfete von de Banka, vom Daimler, vom Bosch ond vom Siemens naig´schubbst hen!

“Der Bologna-Prozess braucht mehr Geld” Zum Studentenprotest gegen die Hochschulreform nahm im Deutschlandradio Kultur am 17.6.2009 der Professor für Soziologie Georg Vobruba von der Universität Leipzig Stellung:

Du, Schtefan, pass mor fei uff dor Peter uff! Des hot mor domols saumäßig guat g´falla, wia der denne Professora mit ihr´m elenda Krattl g´waltig dor Roscht rondordoa hott!

I verschprech euch: I mach no grad so weiter. Wegga dor Zukunft, wegga de Studenta, dem Leba, dem Universum ond allem andera!

Wia goht´s weiter mit dera Hochschualpolitik? - Dor Günther ond dor Peter saget “Ade!” zua anander, ond dor Schtefan schafft sich scho amol ai.

Rektoren: Länder haben Schuld an Studenten-Protesten

Politik und Hochschulen reagieren auf Studentenproteste

(ZDF text: Nachrichten vom 25.11.2009)

(Aus: Stuttgarter Zeitung Nr. 287, 11.12.2009, S. 4)

Die Hochschulrektoren haben angesichts der seit drei Wochen anhaltenden Studentenproteste den Ländern schwere Vorwürfe bei der Einführung der Bachelor-Studiengänge gemacht. Die neuen Studiengänge seien unterfinanziert und zum Teil überreguliert, heißt es in einer auf der Hochschulrektorenkonferenz in Leipzig einstimmig angenommenen Resolution. Auch hätten es die Länder versäumt, für Hochschulen wie für Studierende in wesentlichen Punkten für “Rechtssicherheit und Verlässlichkeit” zu sorgen. Am Rande der Konferenz protestierten etwa 4000 Studenten. O 26

Die Kultusminister haben eine Reform des umstrittenen Studiums beschlossen. Für die Betroffenen ist das nur ein Schritt. Länder und Hochschulen wollen bei der Reform der umstrittenen Bachelor- und Masterstudiengänge an einem Strang ziehen. Die Spitzen der Kultusministerkonferenz (KMK) und der Hochschulrektorenkonferenz (HRK) kündigten nach einem Treffen in Bonn an, künftig gemeinsam handeln zu wollen. Vor dem Tagungsort in Bonn demonstrierten nach Polizeiangaben knapp 4500 Schüler und Studenten für eine bessere Bildung.

“Das ist ein Riesenchaos. Wenn für die Hochschulen vor der Reform mehr Geld ausgegeben worden wäre, hätte es für den Reformschub gar keinen Vorwand gegeben, weil dann viele Missstände nicht alle, aber viele - einfach nicht dagewesen wären. Man kann bei gleicher Ausstattung auch durch eine Studienreform nicht viel verändern. Es wird der Versuch gemacht, durch das BachelorKurzstudium die Akademikerquote auf einen international herzeigbaren Stand zu heben, aber der Substanz nach ändert sich nicht viel. Die Hochschulen können erstens versuchen, das Schlimmste, was mit der Umstellung auf Bachelor und Master passiert ist, rückgängig zu machen. Zweitens müssen sie vehement mehr Geld verlangen. Aber am Bachelor ist nicht alles falsch. Was am Bachelor richtig ist, ist die Idee, dass für gewisse Gruppen von Studierenden ein kurzes Studium vielleicht ganz gut ist.” Auf die Frage, was die Hochschulen nun bräuchten - mehr Autonomie oder mehr Kontrolle - antwortete Prof. Georg Vobruba: “Na, für die Kontrolle herzlichen Dank - das ist das Einzige, was wirklich expandiert. Die Hochschulen brauchen mehr Autonomie - aber die Hochschulpolitik braucht mehr Zentralismus.” O

Hochschulreform im Spiegel Spiegel der Meinungen: Aufsätze, Beiträge und Stellungnahmen Stellungnahmen

Geld, mehr Ressourcen in die Hand zu nehmen, dann lässt das daran zweifeln, ob den Worten wirklich Taten folgen.

Gegenwart und Zukunft unserer Hochschulen Horst Köhler

Das gilt für Bund und Länder. Aber die Länder sind - zumal nach der Föderalismusreform - die Hauptzuständigen für die Hochschulen. Vor allem sie müssen das Thema zur Chefsache machen und können die Verantwortung nicht einfach weiterreichen an die Hochschulen, denen sie zwar mehr Freiheit gewährt haben, ohne das aber wirklich mit einem neuen Aufbruchimpuls und mit den nötigen Ressourcen zu unterlegen.

Zu wenig Freiraum im Studium Aus dem Grußwort von Bundespräsident Horst Köhler zum 600-jährigen Bestehen der Universität Leipzig am 2. Dezember 2009 in Leipzig Können wir guter Dinge sein, was Gegenwart und Zukunft unserer Hochschulen in Deutschland betrifft? Das deutsche Hochschulsystem befindet sich im Umbau. Die Notwendigkeit dieses Umbaus ist unbestritten: zu lange Studienzeiten, zu viele Abbrecher, zu schlechte Studienbedingungen, zu wenig Unterstützungsangebote, zu wenig Chancengerechtigkeit: So konnte es nicht weitergehen. Die größte Baustelle im deutschen Hochschulwesen - daran haben uns die Studierendenproteste gerade wieder erinnert - heißt derzeit zweifellos "Bologna". Ehrgeizige Ziele verbinden sich damit: die Schaffung eines europäischen Hochschulraums, in dem Studierende problemlos von Ort zu Ort, von Land zu Land wechseln und Absolventen vergleichbare Abschlüsse vorzeigen können, kürzere Studienzeiten, höhere Erfolgsquoten, bessere Arbeitsmarktchancen. In Deutschland soll Bologna nicht zuletzt eine Antwort auf die Frage geben, wie sich möglichst viele junge Menschen aus allen gesellschaftlichen Schichten bilden und auf die anspruchsvoIIen Berufe der Zukunft vorbereiten können.

Chronische Unterfinanzierung Das klingt gut, aber mit der Umsetzung sind wir nach zehn Jahren längst nicht da, wo wir sein sollten. Sicher: Reformen brauchen Zeit, aber sie brauchen vor allem auch Ernsthaftigkeit, den Willen, als richtig erkannte Ziele auch konsequent umzusetzen. Die Frage, wie wir unsere Hochschulen weiter entwickeln, ist auch ein Lackmustest dafür, wie ernst wir es wirklich meinen mit dem Ziel: der Zukunftsfähigkeit unseres Landes.

Fangen wir bei den Finanzen an. Wer im Bund und vor allem in den Ländern geglaubt hat, man könnte das Hochschulwesen kostenneutral umbauen, ja vielleicht sogar durch die Einführung der Bachelor-Studiengänge Geld sparen, der sei daran erinnert: Deutschlands Aufwendungen für den Hochschulbereich sind seit Jahren unterdurchschnittlich, die chronische Unterfinanzierung wird in schlechten Betreuungsquoten, maroden Gebäuden und mangelnder Infrastruktur für Forschung und Lehre sichtbar.

Qualität der Lehre verbessern Wenn die Hochschulen mehr jungen Menschen offenstehen sollen - auch solchen, die nicht auf dem klassischen Weg über das Abitur kommen -‚ wenn die Betreuung in den Hochschulen insgesamt wirklich besser werden soll, dann brauchen wir mehr engagiert Lehrende. Es muss doch zu denken geben, dass die Zahl der Professoren in den vergangenen Jahren keineswegs im gleichen Verhältnis wie die der Studierenden gewachsen ist. Eine gute Betreuung und eine aktive Teilhabe der Studierenden an der Forschung sind so nicht möglich. Wir müssen endlich mehr tun für die Qualität der Lehre. Ich wünsche mir, dass über die Exzellenz von Hochschulen auch anhand der Qualität ihrer Lehre geurteilt wird. Ich wünsche mir Hochschulen, für deren Selbstbild exzellente Studienbedingungen denselben Rang haben wie exzellente Forschungsergebnisse. Erst wer beides zusammen erreicht, kann wirklich Vorbild sein. Bund und Länder haben sich darauf verständigt, 10 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Bildung und Forschung zu investieren. Gut so! Wenn nun aber so lange gerechnet wird, bis das Ziel nominal erreicht scheint, ohne wirklich mehr

Da muss einen dann die Klage der Studierenden nicht wundern, dass das enge Korsett mancher Studien- und Prüfungsordnungen ihnen zu wenig Freiraum gibt, ja ihnen bisweilen die Luft abschnürt; dass Leistungen, die sie andernorts erbracht haben, nicht oder nur mühevoll anerkannt werden, dass hochspezialisierte Studiengänge kaum anschlussfähig sind. Da haben an vielen Stellen immer wieder viele auf andere gesetzt. Und deshalb ist jetzt auch wechselseitiges Fingerzeigen aufeinander wenig hilfreich. Aber mir ist auch wichtig festzuhalten: Es gibt Fakultäten und Hochschulen, die Reformen ernsthaft angepackt und sehr gute Erfahrungen damit gemacht haben. Davon kann man lernen. Ich bin erstaunt, wie wenig voneinander gelernt wird gerade auch in der Bildungspolitik. Man sollte sich - wie das an vielen Hochschulen schon geschieht - mit den Beteiligten an einen Tisch setzen und offen und gemeinsam Verbesserungen besprechen. Ich finde z. B. das Memorandum interessant, das im November 2009 die Rektorinnen und Rektoren der nordrheinwestfälischen Universitäten zur weiteren Umsetzung des Bologna-Prozesses verabredet haben. Sie sagen darin: Es ist bei der Reform viel Gutes gelungen, aber es gibt auch Probleme und mögliche Fehlentwicklungen. Also muss der Stand der Reformen überprüft werden, und es gehören alle an einen Tisch, auch Vertreter der Studierenden, um eine umfassende Bestandsaufnahme zu erarbeiten und zu verabreden, wie die nötigen Verbesserungen erreicht werden können. So verstehe ich auch den Beschluss der Kultusministerkonferenz zur Weiterentwicklung des BolognaProzesses. Und ich kann nur alle dazu auffordern, genau hinzusehen, was dabei am Ende herauskommt. O 27

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? - Es ging ja nicht nur ums Geld …

Internationalisierung, sondern auch darum, dass wir heute nicht mehr eine Hochschule für 6 %, sondern für 40 % eines Jahrgangs haben. Das erfordert kürzere Studiengänge mit Berufsorientierung. Im Bildungs- und Wissenschaftssystem ist die Globalisierung angekommen. Also muss die Wissenschaftspolitik der 16 Länder vergleichbar werden, da muss der Bund koordinieren und helfen. Und: Wir müssen Mobilität ermöglichen. Das haben die Fachhochschulen am besten geschafft. Die Mobilität unter Fachhochschul-Studierenden ist um 13 % gestiegen, weil sie viele internationale Vereinbarungen haben, sodass das Auslandsstudium gut möglich wird. Da können sich viele Unis ein Beispiel nehmen.

! - Nein: Stofffülle muss abgebaut werden, ungewöhnliche Verdichtungen von Prüfungen müssen zurückgefahren werden, man muss wieder Mobilität ermöglichen. Das ist Handwerk, da sind jetzt die Hochschulen gefragt.

? - Die Bologna-Reform sollte den Studierenden mehr Überblick geben, sie weniger in Details verstricken. Die Wirklichkeit ist, dass die Bachelor-Angebote immer spezialisierter wurden. Wie kann das korrigiert werden?

? - Aber ist eine Reform denn sinnvoll, die zu kleinkariertem, modularem Studium mit ständigen Prüfungen zwingt?

! - Ja, es ging auch um den alten humboldtschen Bildungsgedanken. Manche Hochschulen haben das auch mit Freiräumen umgesetzt. Die Struktur muss so sein, dass die Humboldtsche Grundidee "Bildung durch Wissenschaft" auch in dieser neuen Struktur möglich ist.

Annette Schavan:

"Proteste signalisieren Überforderung" Auszüge aus einem Gespräch mit der Bundesministerin für Bildung und Forschung, Annette Schavan. Das Gespräch führten Michael Rutz und HansJoachim Neubauer. (Aus: Rheinischer Merkur Nr.48, 26.11.2009) ? - Der Bologna-Prozess muss reformiert werden. Was soll jetzt geschehen? ! - Die Proteste signalisieren Überforderung und Verunsicherung bei der Umsetzung der Bologna-Reform und die alte Klage über die Unterfinanzierung der Hochschulen seit 40 Jahren. Zehn Punkte für Korrekturen hat die Kultusministerkonferenz verabschiedet, diese müssen jetzt zügig von den Hochschulen umgesetzt werden. ? - Wenn die Probleme so alt sind, warum mussten die Studenten auf die Straße gehen? Warum demonstrierten nicht zuvor die Politiker für die Hochschulen? ! - Nun wollen wir die Bologna-Reform nicht schlechter reden, als sie ist. Es gibt auch viele zufriedene Studierende, denen die Reform ein Studien- oder Mentorenangebot nach Maß gebracht hat. Und auch die Unterfinanzierung trifft nicht alle: Bei den Germanisten kommt ein Professor auf 146 Studierende, bei den Physikern einer auf 24 Studenten. ? - Also wurde die Reform unseriös begonnen? ! - Vor der Umsetzung der Reform hätte mehr Verständigung über die dahinterstehende Grundidee erreicht werden müssen. Verständigung auch über die Finanzierung. Das ist nicht ausreichend erfolgt und hat deshalb auch zu Überforderung und Verunsicherung geführt. Wenn wir jetzt zwölf Milliarden Euro zusätzlich vom Bund in Bildung und Forschung investieren, so ist das ein starkes Signal, auch an die Hochschulen. 28

! - Unentwegte Prüfungen sind kein zwingender Teil der Reform, da ist übertrieben worden. ? - Aber von wem? Wer macht so was? ! - Das ist keine politische Vorgabe, das ist Sache der Hochschulen. Deshalb muss es da korrigiert werden. ? - Als Bundesministerin haben Sie auf diese Dinge wenig Einfluss, Bildung ist Ländersache. Ein dritter Spieler sind die Hochschulen. Ist eine solche Kompetenz-Konkurrenz im zusammenwachsenden Europa nicht anachronistisch? Muss man nicht erkennen, dass der Bildungsföderalismus mehr schadet als nutzt?

? - Das heißt, die anderen Universitäten haben es nicht verstanden? ! - Entweder hatten sie vor Ort keinen Konsens über die Grundidee, oder es gab Skepsis gegenüber der Reform. ? - Humboldt wollte die Einheit von Forschung und Lehre. Das ist weit auseinandergefallen im Bologna-Prozess. Die Professoren machen sich in die For-

! - 46 Länder haben den Bologna-Prozess unterschrieben, aber sie setzen die Reform ja nicht um, sondern die Hochschulen. Das gilt auch für die Länder. Sie sollen das Herzstück ihrer Landespolitik ja nicht aufgeben, aber die Öffentlichkeit erwartet zu Recht, dass das, was in einem Land und an seinen Hochschulen geschieht, vergleichbar ist mit den 45 anderen Ländern, die bei Bologna beteiligt sind. Das ist bislang nicht gelungen. Damit droht dem Föderalismus, in der Öffentlichkeit abgelehnt zu werden. ? - Was tun? ! - Sich den Geist der Bologna-Reform klarmachen. Da geht es nicht nur um

Hochschulen: Nur Handwerker bei der Bologna-Reform?

Hochschulreform im Spiegel Spiegel der Meinungen: Aufsätze, Beiträge und Stellungnahmen Stellungnahmen

des dreigliedrigen Schulsystems. Ihre Apologie für Bologna haben wir notiert. Würden Sie die Verkürzung auf zwölf Gymnasialjahre nochmals machen?

Der Bachelor an Fachhochschulen: Ein Erfolgsmodell

! - Ja. Es ist mein Plädoyer, jetzt endlich statt über Strukturen über Inhalte und Substanz zu reden, an den Schulen wie an den Hochschulen. Trotz vereinzelter Proteste: In Esslingen lief der Lehrbetrieb normal weiter schung davon und überlassen die Lehre dem akademischen Mittelbau. Von Humboldt ist da nicht mehr viel zu spüren. ! - Flucht aus der Lehre hat nichts mit Bologna zu tun. Wer fliehen wollte, ist auch schon vorher geflohen. Im Übrigen wird Humboldt vor allem dann zitiert, wenn es um die Ablehnung einer Veränderung geht. Es geht darum, Humboldts Bildungsidee attraktiv und überzeugend ins 21. Jahrhundert zu übersetzen, in den konkreten Bologna-Prozess hinein. ? - Humboldts Bildungshauptsatz lautete: "Der wahre Zweck des Menschen ist die höchste und proportionierlichste Bildung seiner Kräfte zu einem Ganzen." Davon ist in der vernützlichten Schule und Hochschule wenig übrig. Wie ist Ihr Bildungsbegriff? ! - Der erste Satz meines Bildungsverständnisses heißt: Bildung heißt, sich zu bilden. Das beginnt nicht in Institutionen, übrigens auch nicht in der Schule. Würde ein Abitur nach zwölf Jahren Bildung verhindern, wäre außerhalb Deutschlands der Rest der Welt ungebildet. Würde eine neue Studienstruktur Bildung verhindern, wären ganze Kontinente ungebildet. Ein Studium soll auch zu einem Beruf führen; auch eine frühere Berufseinstiegsphase trägt zur Bildung bei. ? - Das ist Nützlichkeitsbildung. ! - Das ist Bildung, die auch nützlich ist.

? - Die Debatte um Bologna klingt oft so, als seien die meisten Unis schlechte Organisatoren einer großen Idee. Sind die Professoren zu blöde, um Bologna richtig umzusetzen? ! - Blödheit war nicht im Spiel. Ich kann die Professoren gut verstehen, die sagen, ich breche unter der Last zusammen, weil die Reform zwar eingeführt, aber damit verbundene Konsequenzen, speziell für die Geistes- und Kulturwissenschaften, nicht gezogen wurden. Das holen wir jetzt nach mit dem Hochschulpakt über die Finanzierung. Was die Akkreditierungsagenturen und die Evaluationsprozesse betrifft, so sind das Ergebnisse des gewünschten wissenschaftlichen Wettbewerbs. Aber es nutzt nichts, die Schuld von einem zum anderen zu schieben. Ich werde dafür sorgen, dass nun alle an einen Tisch kommen und dass das, was an Strukturdaten korrigiert werden muss, auch korrigiert wird. ? - Wenn die Länder bei der Bildung eine Vergleichbarkeit offenbar nicht herstellen können - braucht der Bund dann mehr Bildungskompetenz?

Wenn es um die Bologna-Reform geht, kann sich Bernhard Schwarz ganz schön aufregen - über die Kritiker. "Ich mag es nicht mehr hören, dass der Bachelor kaputt geredet wird", sagt der Rektor der Hochschule Esslingen. Der neue Abschluss sei ein "Erfolgsmodell", zumindest an Fachhochschulen wie der seinen. Das Niveau des Bachelors? "Entspricht mindestens unserem früheren Diplom." Die Akzeptanz bei Arbeitgebern? "Hunderte unserer Bachelorabsolventen arbeiten bereits in Unternehmen." Sein Rektorenkollege Winfried Lieber, dessen Hochschule Offenburg die Umstellung auf die neuen Abschlüsse bereits 2005 abgeschlossen hat, kann sich einen Seitenhieb in Richtung Universitäten nicht verkneifen: "Fehler in der Umsetzung öffentlich dem Bologna-Prozess zuzuschreiben, hilft den betroffenen Studierenden nicht weiter."

? - Alle Bildungspolitiker träumen davon, einen Bildungsgesamtplan zu entwerfen, nach dem sich alle richten müssen. Aber der Föderalismus ist so schlecht nicht. Städte und Gemeinden sind an der Bildungsrepublik Deutschland genauso beteiligt wie die Länder und der Bund. Föderalismus gut gemacht ist eine freiheitlichere Ordnung als Zentralismus. Zentralismus ist auch kein Garant für Erfolg. O

Der Bachelor: Ein wissenschaftlicher Abschluss

Moderater Aufruf zum Bildungsstreik: Flugblatt an der Hochschule Esslingen

Haben die Fachhochschulen die Reform tatsächlich besser umgesetzt als die

? - Und die Studiendauer? ! - Die Fixierung auf sechs Semester ist falsch. Die Strukturvorgaben der Länder sprechen von zehn Semestern für Bachelor und Master; daraus wurde sechs plus vier gemacht, es könnte auch acht plus zwei heißen. Das kann und muss man reformieren. Aber der Streik sollte nicht benutzt werden, um die gesamte Bologna-Reform in die Tonne zu hauen. ? - Nun kamen aber drei Entwicklungen zusammen: die Bologna-Studienzeitverkürzung, die Verkürzung der Gymnasialzeit und mancherorts die Abschaffung

(Aus: Die Zeit Nr. 45, 29.10.2009)

Es ist ein bemerkenswertes Schauspiel: Während im Umfeld der Universitäten zehn Jahre nach dem Start der BolognaReform weiter Unmut schwelt, loben Fachhochschulrektoren den Bachelor in höchsten Tönen. Auf Kritik an Bologna reagieren sie regelrecht empört. Als etwa Hamburgs Wissenschaftssenatorin an der Wissenschaftlichkeit des Bachelors zweifelte und erklärte, die Bachelor- und Masterstudiengänge müssten "von Grund auf überarbeitet" werden, entgegnete Michael Stawicki, Präsident der Hamburger Hochschule für Angewandte Wissenschaften (HAW), in einem offenen Brief: Die neuen HAW-Studiengänge brauchten bestenfalls "Feintuning, um die letzten Windwiderstände zu glätten". Und der Bachelor sei sehr wohl ein wissenschaftlicher Abschluss.

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Hochschulreform im Spiegel Spiegel der Meinungen: Aufsätze, Beiträge und Stellungnahmen Stellungnahmen

Universitäten? Eher schon hatten sie es leichter, sagt Christoph Heine, Leiter der Studierendenforschung beim Hochschul-Informations-System (HIS): "Die Fachhochschulen waren schon immer verschulter und zugleich näher an der Praxis, insofern kamen ihnen die Vorgaben der Bologna-Reform sehr gelegen."

Was macht eigentlich Jürgen Schrempp?

Das baden-württembergische Wissenschaftsministerium und die Landeshochschulen wollen den “Bologna-Prozess” in gemeinsamer Verantwortung weiterentwickeln und optimieren. Erste Maßnahmen sollen bereits vom Wintersemester 2010/11 an wirksam werden.

Fachhochschulvertreter wie HAW-Präsident Stawicki verweisen gern darauf, die Bachelorstudiengänge "weitsichtig" mit einer Regelstudienzeit von sieben Semestern geplant zu haben. Tatsächlich weisen laut Hochschulrektorenkonferenz 43 % der FH-Bachelorstudiengänge eine Regelstudienzeit von sieben Semestern auf. An den Universitäten sind 95 % sechssemestrig konzipiert. Zu besseren Studienbedingungen haben aber auch die siebensemestrigen Studiengänge noch nicht geführt: FH-Studenten halten den Bachelor in diesem Punkt für schlechter als das Diplom, ergab der HIS-Studienqualitätsmonitor 2008. Auch in puncto nationaler und internationaler Mobilität bescheinigt die Statistik den Fachhochschulen allenfalls geringe Fortschritte: 13 % der FH-Studenten absolvieren ein Studium im Ausland, 4 % mehr als 2007 – aber immer noch weniger als die 15 % Uni-Studenten.

Abbrecherquoten: “Ein ernst zu nehmendes Thema" Deutlich über dem Uni-Niveau liegt dagegen die Zahl der Studienabbrecher: 39 % der FH-Bachelorstudenten bleiben auf der Strecke, gegenüber 25 % an den Unis. Schlecht schneiden vor allem Studiengänge in den Ingenieur- und Wirtschaftswissenschaften ab, die den größten Teil der Bachelorstudenten an Fachhochschulen stellen. Zwar beziehen sich die HIS-Zahlen auf den Absolventenjahrgang 2006, sodass die Zahlen vermutlich zum Teil den Kinderkrankheiten der neuen Studiengänge geschuldet sind. Dennoch räumen selbst FH-Rektoren ein, die Abbrecherquoten seien "ein ernst zu nehmendes Thema". Im ersten Offenburger Bachelor-Absolventenjahrgang liegt die Abbrecherquote zwischen 20 und 30 %. An der Hochschule Esslingen will man keine Statistiken nennen. Rektor Schwarz sagt nur: "Die Zahl der Abbrecher ist seit der Einführung des Bachelor nicht gestiegen". Und: Bologna sei nicht schuld an den hohen Quoten, die Defizite bestünden bei Beratung und Betreuung der Studenten. O 30

Memorandum zum “Bologna-Prozess” verabschiedet

Grundlage dafür ist ein gemeinsames Memorandum, auf das sich Wissenschaftsminister Prof. Dr. Peter Frankenberg im Dezember 2009 mit den Vorständen der Rektorenkonferenzen des Landes verständigt hat. Das Memorandum zeigt Verbesserungen in den Bereichen Studium, Qualitätssicherung und Studienförderung auf. Das Ziel: bessere Studierbarkeit, geringere Prüfungsdichte und mehr Raum für kritische Reflexion der Studieninhalte. Erprobt werden sollen auch Modelle zur Qualifizierung und Orientierung in der ersten Studienphase. Es ist schon einige Jahre her: Damals nahmen Unternehmenslenker wie Ron Sommer, von Pierer, Zumwinckel, Kopper, Middelhoff und Schrempp die Mühsal der Globalisierung auf sich und führten deutsche Arbeitnehmer aus ihrer Provinzialität hinaus in die große weite Welt. Was wurde aus diesen Wagemutigen, die in ihrem Beruf über lange Zeiten die sprachliche Fremde - ohne ihr geliebtes Deutsch - ertragen mussten?

Grundlegend neu aufgebaut werden muss laut dem Memorandum außerdem das Akkreditierungssystem. O

Studieren bis zur Erschöpfung (Aus: Süddeutsche Zeitung, 18.1.2010)

Von Jürgen Schrempp weiß man es: Er gönnt sich jetzt - nachdem er seinerzeit dem Staat eine DaimlerChrysler-eigene “University” angedroht hatte - einen kräftigen Schub Heimat. Kitzbühel im deutschsprachigen Raum sowie urige Trachten haben es ihm und seiner Frau Lydia angetan. Bei ihnen sind dabei - da es um gelebte Authentizität geht - Dirndl, Lederhose, Janker und Hut mit Gamsbart megamäßig angesagt.

Die meisten Studentenwerke bieten psychologische Beratungsstellen an den Hochschulstandorten an. Die Nachfrage nach einer solchen Beratung ist in den vergangenen Jahren gestiegen: 2007 suchten deutschlandweit 66.000 Studierende psychologischen Rat, ein Jahr später waren es etwa 20 % mehr. Der Druck auf die Studenten habe zugenommen, berichtet der Generalsekretär des Deutschen Studentenwerks, Achim Meyer auf der Heyde. Versagensängste und Finanznöte führten zu steigendem Beratungsbedarf.

Schrempp ist frischgebackener Eigentümer des dortigen Landgasthofs “Herz´l”, seine Frau Lydia managt in Kitzbühel den Feinschmeckertempel “Gabriele”. Die Liebe zum Einfachen und Echten zeigte Schrempp schon früher in der Konzernzentrale in Stuttgart-Möhringen: Dort hatte er sich statt Gourmet-Spezialitäten häufig eine frische Schinkenwurst servieren lassen, deren Haut er dann als bekennender Fachhochschul-Ingenieur - vor dem Essen mit dem Taschenmesser geschickt entfernte. O

Bei manchen Studenten löst der Stress Schlafstörungen und Magenkrämpfe aus, sagt Wilfried Schumann, der Leiter der psychosozialen Beratungsstelle des Studentenwerks Oldenburg. In schwren Fällen komme es zu Depressionen und Angstattacken. Seit einigen Jahren bemerkt er eine zunehmende Verunsicherung bei Studenten. Als mögliche Auslöser sieht Schumann das neue Bachelorund Master-System, Studiengebühren und die beschleunigte Schulzeit vor dem Studium. O

Imtech-Tag Imtech-Tag in Esslingen

Identitätsstiftend sei für Imtech die Offenheit gegenüber Innovationen: Dies erstrecke sich auf die Konzeption der Anlagen, auf die Entwicklung von Verarbeitungsmethoden, auf die Entwicklung von Schlüsselkomponenten sowie auf die Entwicklung von Softwarelösungen.

Martin Dehli

Innovativ und kompetent - nicht allein bei Projekten der Großgebäudetechnik Das Unternehmen Imtech stellte sich den VU-Studierenden vor Am 29. Oktober 2009 konnte die Fakultät VU die Firma Imtech in den Räumlichkeiten der Hochschule Esslingen begrüßen. Einen Nachmittag lang eröffnete sich damit für interessierte Studierende die Möglichkeit, sich umfassend und aus erster Hand über aktuelle Entwicklungen in der Technischen Gebäudeausrüstung und in anderen technisch verwandten Gebieten informieren zu können. Zahlreiche VU-Studierende nahmen diese Chance zur Information durch die Experten des Hauses Imtech wahr.

Breite und innovative Arbeitsfelder des Unternehmens Nach der Begrüßung der Imtech-Mitarbeiter und der Zuhörer durch VU-Dekan Prof. Dipl.-Ing. Gerhard Fetzer stellte Dipl.-Ing. (FH) Jürgen Sautter, Direktor der Region Südwest von Imtech, in seiner Präsentation des Unternehmens die Firma Imtech mit ihren verschiedenen Facetten vor: Imtech sei Marktführer in der technischen Gebäudeausrüstung und im Anlagenbau in Deutschland. Hauptsitz des Unternehmens sei Hamburg, der wichtigste Regionalbereich - die Region Südwest - befinde sich in Stuttgart. Über 4.200 Mitarbeiter seien bei der Planung, dem Bau und dem Betrieb von Anlagen der Gebäude-, Energie-, Klima-, Kommunikations- und Sicherheitstechnik tätig: für Industrieanlagen, Stadien, Flughäfen, Verwaltungsgebäude u. a. Der Jahresumsatz habe im Jahr 2008 über 1 Mrd. Euro betragen; der Marktanteil in Deutschland betrage rund 20 %. Imtech biete seinen Marktpartnern in über 60 Niederlassungen in Deutschland sowie in einigen Ländern Osteuropas

Dienstleistungen in der Technischen Gebäudeausrüstung (TGA), Kraftwerksund Energietechnik, Contracting, Reinraumtechnik, Daten-, Kommunikationsund Sicherheitstechnik, Umweltsimulation und Prüfstandstechnik sowie Schiffbau- und Dockbautechnik an. Kernkompetenz von Imtech Deutschland sei der TGA-Bereich. Forschung und Entwicklung sowie die Projektentwicklung gehörten dabei zu den besonderen Stärken. Die Imtech-Deutschland-Gruppe sei Teil des europaweit tätigen Imtech-N.V.-Konzerns mit Sitz im niederländischen Gouda. Imtech N.V. beschäftige insgesamt 22.500 Mitarbeiter, habe im Jahr 2008 einen Umsatz von fast 3,9 Mrd. Euro erwirtschaftet und sei an der Amsterdamer Börse notiert. Imtech Deutschland blicke auf eine Geschichte von über 150 Jahren zurück, da man aus der Traditionsfirma Rudolf Otto Meyer (RuD) hervorgegangen sei. Seit Anfang 2002 firmiere man unter dem Namen Imtech.

Teil der Firmenkultur sei, flexibel auf die sich ändernden Herausforderungen von Märkten und Techniken zu reagieren und die Fähigkeit zum adaptiven Wandel stets aufs Neue unter Beweis zu stellen. Dabei gehe es um die Veränderung von Abläufen, die Anwendung von neuen Werkzeugen (Tools), den Wandel in der Projektabwicklung, innovative Vertragsmodelle sowie die ganzheitliche Betrachtung der erforderlichen Aufgaben. Direktor Dipl.-Ing. (FH) Sautter verdeutlichte die Leistungen des Unternehmens durch anschauliche Beispiele ausgeführter Anlagen und Gebäude - etwa von Forschungs-, Entwicklungs-, Fertigungsund Verwaltungsgebäuden in verschiedensten Industriebereichen, von Reinräumen in Fabrikationsanlagen der Halbleiterindustrie und der Pharmazeutik sowie von Messen, Hotels und Gebäuden der öffentlichen Verwaltung.

Lüftungstechnik für Operationssäle In seinem zweiten Vortrag “Imtech-OPSysteme” stellte Direktor Dipl.-Ing. (FH) Sautter neue Lösungen für Operationssäle in Krankenhäusern vor. Mit entscheidend für den Operationserfolg sei, dass Kontaminationen - etwa durch Keime oder toxische Stoffe - auf ein Minimum begrenzt werden könnten; hierzu trügen neu entwickelte Lüftungssysteme wesentlich bei. Die turbulenzarme Verdrängungsströmung (TAV) sei hier bisher als günstige Lösung betrachtet worden. Anhand eines

Innerhalb der Technischen Gebäudeausrüstung stünden vor allem die Wärmeund Kältetechnik, die Luft- und Klimatechnik, die Elektrotechnik, die Gebäudeautomation und MSR-Systeme, die Sanitärtechnik, die Brandschutztechnik, die Daten- und Kommunikationstechnik sowie das Gebäudemanagement und technische Dienstleistungen im Mittelpunkt. Man erbringe Dienstleistungsangebote auf den Gebieten Beratung, Konzeption und Planung, Forschung und Entwicklung, Engineering, Projektsteuerung, Finanzierung, Betrieb und Management, Schulung und Training sowie Wartung und Service.

Dir. Dipl.-Ing. (FH) Jürgen Sautter 31

Imtech-Tag Imtech-Tag in Esslingen

chen Gase und Gerüche im OP über die Fortluft abgeführt - insbesondere auch die im Rahmen der Operation mit dem so genannten elektrischen Messer erzeugten toxischen Gase, die beim TAV-System über die Umluft wieder dem Raum zugeführt würden. Der bei Variante 1 für den Betrieb der Umluftgeräte benötigte Energiebedarf an Kälte und Strom entfalle. Umluftgeräte seien beim ImtechOP-System nicht erforderlich. Somit ergebe sich eine wesentliche Einsparung an Kälteenergie, Strom sowie Instandhaltungskosten.

Operationssaal mit Belüftung nach Variante 2: Zuluft- und Abluftöffnungen Muster-Operationssaals zeigte der Referent als Variante 1 ein solches TAV-System auf: Die Zuluft werde im Umfang von Vzu = 8700 m³/h über einen TAV-Lufteinlass zugeführt. Die Umluft werde über die Umluftöffnungen in der Decke im Umfang von VUmluft = 6000 m³/h abgesaugt, während über die unteren Abluftöffnungen der Abluftstrom von VAbluft = 2700 m³/h abgesaugt und durch Außenluft von 2700 m³/h ersetzt werde. Der zugeführte Wärmestrom betrage Q = 2500 W. Durch lufttechnische Versuche und Simulationen werde sichtbar, dass innerhalb des Schutzbereiches Rückströmungen und aufwärts gerichtete, durch Wärmeeintrag hervorgerufene Strömungen aufträten. Teile der turbulenzarmen Verdrängungsströmung würden frühzeitig umgelenkt und von den Umluft-Öffnungen erfasst. Weiter seien hohe Strömungsgeschwindigkeiten in bodennahen Bereichen sowie ausgeprägte Raumwalzen und Rückströmungen in unmittelbarer Nähe der Operationsfläche und der Instrumententische festzustellen. Dieser Lösung stellte der Referent als Variante 2 das neue Imtech-OP-System gegenüber. Dabei sei die Anordnung der Menschen und der Einrichtungsgegenstände gleich wie bei Variante 1 angenommen. Doch werde die Zuluft über großflächige, bodennahe Lufteinlässe mit Tzu = 20°C und Vzu = 2700 m³/h mit einer Geschwindigkeit von vzu = 0,13 m/s zugeführt; der Zuluftvolumenstrom entspreche etwa dem Außenluftvolumenstrom der Variante 1. Die Abluft werde über den Deckenbereich abgezogen. Bei Variante 2 von Imtech seien im Bereich unterhalb der Lampen keine Rückströmungen zu erkennen. Kontaminationen würden mit dem steigenden Luftstrom abgeführt. Es seien geringe Strö32

mungsgeschwindigkeiten im gesamten Raum zu beobachten. Der Zuluftvolumenstrom sei gleich dem Außenluftvolumenstrom und auf 1.800 m³/h je Operationssaal festgelegt. Ein größerer Zuluft-

Wegen nicht benötigter Umluftgeräte einschließlich des lufttechnischen Anschlusses, hydraulischer Anschlussleitungen der Umluftkühler, des elektrischen Anschlusses der Umluftgeräte und kompletter MSR-Leistungen für die Umluftgeräte ergebe sich auch eine Reduzierung der Investitionskosten.

Operationssaal mit Belüftung nach Variante 2: Niedrige Luftgeschwindigkeiten volumenstrom bis max. 2700 m³/h sei möglich, aber nicht erforderlich. Die Zuluft werde über 4 großflächige Luftauslässe, die ca. 400 mm über dem Fußboden jeweils in den Ecken des Raumes angeordnet seien, zugeführt. Die Abluft werde im Wesentlichen über dem OP-Tisch über ein bzw. zwei Einlauftrichter abgeführt. Ein kleiner Anteil werde im Fußbodenbereich abgeführt. Die Position der OP-Leuchten, Röntgenbild-Betrachter oder sonstiger Monitore hätten keinen negativen Einfluss auf die Raumströmung. Die Wärmequellen - dazu gehöre auch das OP-Team - saugten die Luft an und stabilisierten die Luftströmung. Ohne Sekundärströmung werde die Luft über die Abluftöffnung abgeführt. Weitere Vorteile des neuen Imtech-OPLüftungssystems seien: Durch den Außen-/Fortluftbetrieb würden alle schädli-

Forschung und Entwicklung: Simulation von Gebäuden und Anlagen Im dritten Vortrag mit dem Titel “F & E bei Imtech” berichtete Dipl.-Ing. Thomas Winkler aus dem Hamburger Bereich Forschung und Entwicklung über die Bedeutung der Simulationstechnik auf den Gebieten von Heizung, Klimatisierung und Energieeinsatz. Imtech lege dabei Schwerpunkte auf die energetische Gebäudesimulation, auf die Anlagensimulation, auf Energieuntersuchungen und auf strömungstechnische Simulationen. Bei der Gebäudesimulation gehe es um die Einbeziehung von Fragen der Wärmedämmung, des Speichervermögens, des Glasanteils von Fassade und Dach, des Einsatzes von Sondergläsern, der Verschattungseinrichtungen und der Bauteilkühlung in die Berechnungen.

Imtech-Tag Imtech-Tag in Esslingen

Beispielhaft zeigte er die Energiebilanzierung eines Raums in der Gebäudesimulation auf. Bei Neubauten stehe neben der Wärmeversorgung in steigendem Ausmaß auch die Kühlung im Blickpunkt. Hierzu stellte der Referent anhand eines Verwaltungsgebäudes Ergebnisse aus der Analyse der Überhitzungsneigung für verschiedene Varianten des Baukörpers und der TGA-Ausrüstung vor; dabei sei eine fünftägige heiße Periode simuliert worden. Weiter ging er auf Möglichkeiten der RLT-Anlagensimulation mit dem h,x-Modul der Software “HKSim” ein, wobei zahlreiche Arten von Klimaanlagen einbezogen werden könnten. Als Randbedingungen der RLT-Anlagensimulation benannte er Wetterdaten, Testreferenzjahre, Messdaten, Bauteilparameter usw., Heiz- und Kühllasten (dargestellt durch ein internes bzw. ein externes Gebäudemodell mit den Programmen Blast oder Trnsys) sowie Zeitpläne für die Steuerung von Sollwerten; weiter würden die spezifischen Kosten für Wärme, Kälte, Strom und Wasser einbezogen. Thomas Winkler beschrieb sodann die Anwendung der Simulationssoftware HKSim bei der Anlagensimulation für Energieerzeugungs- und Energieverbundsysteme. Am Beispiel einer Pharmafabrik stellte er die Möglichkeiten zur Optimierung der Energieversorgung sowie der Klimatisierungstechnik vor. Hierbei seien Wärmeerzeugung und -verteilung, Lüftung und Klimatisierung, die energetischen Anforderungen der Produktionslinien sowie die Abwärmeabfuhr aus Anlagen zur Sterilisation und zur Drucklufterzeugung sowie aus Kältemaschinen mit einbezogen worden, wobei auch Spielräume der freien Kühlung genutzt worden seien. Man habe durch Optimierungsrechnungen die Möglichkeit ausweisen können, den Jahresenergieverbrauch auf etwa ein Fünftel zu verringern. Ein weiteres Aufgabenfeld sei die Strömungssimulation über CFD-Rechenprogramme, mit denen interessante Aussagen zu Lüftungs- und Klimatisierungsaufgaben ermittelt werden könnten. Den Simulationen würden umfassende Versuche im Raumströmungslabor von Imtech an die Seite gestellt. Als Beispiele für Raumströmungsuntersuchungen benannte er u. a. Untersuchungen für Anlagen der industriellen Lufttechnik - etwa für die Abluftabfuhr in Gießereianlagen und bei eingehausten Fertigungsautomaten in der Produktion.

Auch für die Erfassung und Verbesserung von Entrauchungsvorgängen bei Bränden sowie für die Komponentenentwicklung in der Lüftungstechnik könnten wichtige Ergebnisse gewonnen werden.

Künstlicher Wirbelsturm hilft beim Brandschutz Danach ging Dipl.-Ing. Thomas Winkler im vierten Vortrag mit dem Titel “Brandschutztechniken bei Imtech” auf Ergebnisse von Simulationsrechnungen mit Hilfe von Berechnungsgittern für das wichtige Gebiet des Brandschutzes in Großgebäuden ein. Er schilderte anhand von graphischen Darstellungen den Verlauf der Brandentwicklung und Rauchausbreitung in einer Messehalle. Bei Ausbruch des Brandes sei noch von geschlossenen RWA-Klappen sowie geschlossenen Türen und Toren auszugehen. Nach 3 Minuten könne angenommen werden, dass über die Rauchwarnanlage die RWA-Klappen und Torsegmente im Bereich des Brandherds geöffnet seien. Nach 4 Minuten sei das Entrauchungssystem aktiv und sorge für die Abfuhr des Rauchs über Dach aus der Halle. Als weiteres Beispiel zeigte der Referent das Konzept der Wirbelentrauchung im Mercedes-Benz-Museum in Stuttgart auf. Er beschrieb die Techniken, mit denen im Atrium des Museums mit Hilfe tangential eingebrachter Treibstrahlen ein Entrauchungswirbel aufgebaut werden könne. Dabei werde quasi ein kleiner Wirbelsturm (Tornado) erzeugt. Wirbelstürme wiesen eine starke Rotationsströmung auf, in deren Zentrum sich ein ausgeprägter Unterdruck bilde; so entstehe eine stabile Strömung mit entsprechend großem Einzugsbereich. Mit einer solchen Rotations- oder Drallströmung könne schadstoffhaltige Luft bzw. Brandrauch wirksam abgeführt werden.

Brandsimulation für eine Messehalle

Hochentwickelte Technk in Kraftfahrzeug-Prüfständen Der fünfte Vortrag “Umweltsimulation und Prüfstandstechnik” wurde von Dipl.-Ing. Olaf Milbradt, dem Technischen Leiter des Unternehmensbereichs Umweltsimulation/Prüfstandstechnik bei Imtech, gehalten. Das Kompetenzzentrum Umweltsimulation/Prüfstandstechnik habe in Deutschland etwa 90 und weltweit rund 120 Mitarbeiter - u. a. in China und Indien. Man plane, entwickle und fertige Prüfstände für unterschiedliche Anwendungen: Hauptkundenkreis seien Automobilindustrie und AutomobilZulieferindustrie. Dabei gehe es um Anlagen überwiegend für Forschung und Entwicklung (F&E), aber auch innerhalb der Produktion. Im Rahmen des Prüfstandsbetriebs würden u. a. auch die Umweltbedingungen beim Betrieb vom Kraftfahrzeugen simuliert. Bei Prüfständen für die Forschung und Entwicklung (F&E) stünden die Entwicklung von Produkten, die Optimierung von Bauteilen und Produkten, die Verbesserung der Haltbarkeit, die Reduzierung des Kraftstoffverbrauchs und die Verringerung der Abgasemissionen im Fokus. Beispielhaft skizzierte der Referent die Anforderungen, die an die Abgas-Emissionen von Personenkraftfahrzeugen gestellt würden: Hier sähen künftig geltende EU-Normen (bis hin zur Euro-6-Vorschrift ab 2014) niedrigere Grenzwerte vor, die sich bei Ottomotoren auf Kohlenmonoxid (CO) sowie Stickoxide (NOx) und Kohlenwasserstoffe (HC), bei Dieselmotoren auf CO, NOx und HC sowie Partikel bezögen. Die Emissionswerte seien anhand eines EU-Fahrzyklus auf dem Prüfstand zu erfassen. Bei einem Motorenprüfstand zur Umweltsimulation werde der Motor mit Hilfe eines Motortransportsystems auf ein Schwingfundament innerhalb einer Umhausung gefahren und über eine Welle mit einer Belastungsmaschine verbunden. Als Baugruppen des Prüfstandes zählte Olaf Milbradt das Abgassystem, das Verbrennungsluftsystem, das Kühlwassersystem, das Kaltwassersystem, die Fortluftanlage, die Zuluftanlage, das Druckluftsystem, das Feuerlöschsystem, die Gaswarnanlage, die Prüfstandssteuerung und -automatisierung, die Stromversorgung sowie die Mess-, Steuer- und Regeltechnik auf. Weiter seien das Kraftstoffsystem, das Motorölsystem und die Leckageabfuhr einzubeziehen. Beim Betrieb seien die Kraftstoffkonditionierung, 33

Imtech-Tag Imtech-Tag in Esslingen

die Motorölkonditionierung, die Kühlung der Belastungsmaschine, das Kraftstoffmess-System, die Abgas-Messanlage, die Motormesstechnik, die Ladeluftkonditionierung und die Motorkühlwasserkonditionierung sicherzustellen. Der Referent zeigte die Bandbreite von Prüfständen - von Kleinmotoren für Motorsägen über Kraftfahrzeugmotoren bis hin zu Schiffsdieselmotoren - auf. Bei der Auslegung - etwa bei Fragen der Kühlluftführung in der Umhausung - werde auf Modellversuche wie auch auf Simulationsrechnungen zurückgegriffen. - Imtech plane auch Klimakammern für Kraftfahrzeuge. Eine weitere Spezialität seien Schwenkprüfstände, Akustikprüfstände und Höhenkammern. In der Produktion seien Prüfstände für Band-Ende-Prüfungen, die Funktionsprüfung, die Qualitätskontrolle und die Prüfung von Leistungsdaten ausgelegt. Auf sie könne bei der Sicherstellung der Produktenqualität - etwa von Kraftfahrzeugmotoren - nicht verzichtet werden. Damit entfalle die “warme Prüfung” eines Motors. Anhand einer Reihe ausgeführter Anlagen in der Kraftfahrzeugfertigung wurde die Bedeutung von Prüfständen sichtbar, wobei insbesondere auch die großen Dimensionen einzelner BandEnde-Prüfstände aufgezeigt wurden.

Hohe Energieeffizienz wichtig für den Klimaschutz Im sechsten Vortrag des Imtech-Tags referierte Dipl.-Ing. (FH) Olaf Iglesias in seiner Funktion als Geschäftsbereichsleiter Dienstleistungen über das Thema “Energieeffizienz - der nachhaltige Beitrag zum Umweltschutz”. Zunächst wies er auf die Klimaschutzziele hin, die mit dem Blick auf weiter steigende globale Temperaturen angestrebt würden. Im Folgenden bewertete der Vortragende die Möglichkeiten, diese Ziele zu er-

Moderne Prüfstandstechnik 34

reichen. Er machte auf die - möglicherweise nur begrenzt durchsetzbaren weltweiten Ausbaupläne zur verstärkten Nutzung der Kernenergie aufmerksam, wies auf die Klimarelevanz beim Zubau neuer Stein- und Braunkohlekraftwerke hin und hob die begrenzten CO2-Emissionen von erdgasbefeuerten GuD-Kraftwerken hervor, die jedoch zu weiterer Importenergie-Abhängigkeit führen würden. Unter den erneuerbaren Energien seien nicht alle nachhaltig klimafreundlich. Daher sei es angesichts der eingeschränkten Verwirklichungsaussichten der genannten Optionen umso wichtiger, den Themen “Energieeinsparung” und “Energieeffizienz” hohe Aufmerksamkeit zu widmen. Dies sehe das integrierte Energie- und Klimaprogramm der Bundesregierung vor, in dem z. B. hocheffiziente Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen, eine weitere Verschärfung der Energieeinsparverordnung für Gebäude, Förderprogramme zur energetischen Gebäudesanierung, eine zielgerichtete Verwendung von Erlösen aus dem CO2-Emissionszertifikatehandel und weitere Ausbauziele für erneuerbare Energien im Stromund Wärmemarkt thematisiert würden. Der Referent zeigte sich überzeugt, dass angesichts dauerhaft hoher Energiepreise effiziente Energieeinspar-Techniken und -Konzepte günstige wirtschaftliche Voraussetzungen hätten, um hohen Energieverbräuchen entgegenwirken zu können. Der intelligente Umgang mit Energie sei die Voraussetzung dafür, dass aus dem Energie-Problem eine gemeinsame Chance werden könne. Der Referent verglich darauf die CO2Vermeidungskosten verschiedener technischer Optionen, wobei bekanntermaßen die photovoltaische Stromerzeugung schlecht abschneide. Er stellte verschiedene, von Imtech verwirklichte Energieeinsparprojekte vor, bei denen bestehende Anlagen saniert worden seien; hier hätten sich keine Kosten bei der CO2-Vermeidung ergeben, sondern im Gegenteil Kosteneinsparungen. Allgemein sowie anhand des Einsparcontracting mit der Klinik Bayreuth erläuterte er die bedeutenden Wirkungen einer Verbesserung der Energieeffizienz durch Gebäudewärmedämmung, Sanierung der Wärmeerzeugung und -verteilung bei Heizungsanlagen, Absenkung der Vorlauftemperatur bei Nahwärmenetzen, dezentrale Kraft-Wärme-Kopplung und weitere energetische Maßnahmen. Imtech biete hierzu das Integrale Energiecontracting-Angebot “IntEC” an.

Energiecontracting Merkmale seien eine bedarfsgerechte Energieerzeugung und -bereitstellung unabhängig vom Energieträger, die Errichtung und der Betrieb entsprechender Anlagen, ein flexibler Energieträgereinsatz (z. B. von Erdgas, Heizöl und Biomasse), flexible Vertragslaufzeiten von 1 bis 15 Jahren, die Fremdfinanzierung über die vereinbarte Vertragslaufzeit, ein “Off-balance” für den Eigentümer der Liegenschaft, langfristig garantierte Jahreskosten und eine dezentrale Energiebereitstellung, optimiert für die Bedürfnisse der jeweiligen Liegenschaft. Dem inzwischen installierten CO2-Zertifikatehandel werde das Angebot des Imtech-Energie-Effizienz-Programms (IEEP) gerecht: Imtech bündle die jährlich durch die Projektteilnehmer eingesparten CO2-Emissionen. Für die kumulierte Einsparung beantrage Imtech handelbare Emissionszertifikate. Der Erlös aus dem Verkauf der Zertifikate abzüglich einer Bearbeitungsgebühr werde den Teilnehmern jährlich rückwirkend gutgeschrieben. Die Projektlaufzeit zur Umsetzung der Effizienzmaßnahme erstrecke sich bis maximal Ende 2012. Optional könnten IEEP-Projekte auch als Energie-Einspar-Contracting (EEC) umgesetzt werden. Die Vorteile eines Energie-Einspar-Contracting lägen darin, dass der Kunde nicht selbst investiere, damit sein Budget entlaste und so mehr Kapital für Investitionen in die eigenen Kernkompetenzen habe. Imtech investiere in die Umsetzung der Effizienzmaßnahme. Die Refinanzierung der Maßnahme erfolge durch vermiedene Energieund Betriebskosten sowie IEEP-Erlöse.

Spannende Aufgaben für Versorgungsingenieure Den siebten Vortrag des Imtech-Tags steuerte Ole Hesse, Personalleiter der Hamburger Zentrale des Unternehmens Imtech, bei. Er berichtete zum Thema “Karriere bei Imtech Deutschland”.

Imtech-Tag Imtech-Tag in Esslingen

Zu Beginn wies er auf den “Megatrend Energie und Energieeffizienz” hin, der die Zukunft speziell der Versorgungsingenieure bestimme. Weiter erläuterte er, dass bei der Umsetzung dieses Megatrends die Projektarbeit ein wichtiger Schwerpunkt sei - z. B. bei der Planung, dem Bau und dem Betrieb von Großgebäuden. Hier biete sich den Ingenieuren die Möglichkeit, im Projektteam zu arbeiten, selbst Projektleiteraufgaben zu übernehmen, im Controlling tätig zu werden und in spezialisierten Arbeitsfeldern den verschiedensten Projekten zuzuarbeiten. Die Projektarbeit sei ein abwechslungsreiches Arbeitsfeld, lasse Raum für Eigeninitiative, sichere eine leistungsgerechte Bezahlung und sei mit konsequenten Weiterbildungsmaßnahmen verbunden. Die Projektarbeit eröffne längerfristig auch die Perspektive, Leitungsfunktionen - etwa in den Niederlassungen - zu übernehmen. Während des praktischen Studiensemesters und der Diplom- bzw. Bachelorarbeit könnten Studierende früh mit Imtech in Verbindung kommen. Im Unternehmen würden fähige Mitarbeiter mit einem Personalprogramm gefördert und auf höherwertige Aufgaben vorbereitet. Danach berichteten im Programmpunkt “Arbeitsalltag bei Imtech” mehrere Jungingenieure über ihre beruflichen Erfahrungen in den vergangenen Jahren. Dipl.-Ing. (FH) Miltiadis Foustanis und Dipl.-Ing. (FH) Cornelia Scheel - beide Esslinger VU-Absolventen - veranschaulichten die Herausforderungen und Spielräume, die den Arbeitsalltag motivierend und abwechslungsreich machten. Im Anschluss wurden die VU-Studierenden Anastasia Archipov, Martin Gauß und Axel Mühlich für hervorragende Leistungen mit Preisen des Hauses Imtech ausgezeichntet. Und als harmonischer Ausklang des “Imtech-Tags” ging es zu einem gemütlichen Beisammensein in ein nahegelegenes Gasthaus. O

Interessierter studentischer Nachwuchs bei Personalleiter Ole Hesse

Versorgungstechnik- und Umwelttechnik-Kolloquium im Wintersemester Wintersemester 2009/2010

VU-Kolloquium im Wintersemester 2009/2010:

Wirtschaft braucht Innovationen der Ingenieure Martin Dehli Forschungsanlage zur CO2-Abscheidung in Kohlekraftwerken

Die Finanzmarktkrise hat gezeigt: Volkswirtschaften leben nicht von virtuellen Finanzprodukten, sondern von realen Wirtschaftsleistungen. Dazu braucht es die schöpferischen Kräfte von Ingenieuren: Für die Lösung wichtiger Fragen der sich abzeichnenden Ölverknappung, der Bewahrung unserer Umwelt und der Begrenzung von Klimaveränderungen sind Ingenieure gefordert. Auch im Versorgungstechnik- und UmwelttechnikKolloquium an der Hochschule Esslingen im Wintersemester 2009/2010 standen diese Aspekte im Blickpunkt.

Ziel: Klimaschutz bei der Kohleverstromung Für den Auftakt der Veranstaltungsreihe am 14. Oktober 2009 sorgte das Thema ”Auf dem Weg zum CO2-freien Kohlekraftwerk”, das von Dipl.-Ing. Daniel Kosel von Vattenfall Europe Generation AG, einer Tochtergesellschaft des Energieversorgungsunternehmens Vattenfall, behandelt wurde. Am Anfang seines Vortrags machte der Referent sichtbar, dass der fossile Energieträger Kohle für die Weltenergieversorgung aufgrund seiner reichlichen Verfügbarkeit und seiner ausgewogenen geographischen Verteilung von wesentlicher Bedeutung sei; für die Kohle spreche auch ihr niedriges und stabiles Preisniveau. In den letzten sechs Jahren sei der Kohleverbrauch um etwa 30 % gestiegen. Dabei stehe die Stromerzeugung in Kohlekraftwerken im Mittelpunkt: z. B. in den USA, China, Indien, Indonesien, Südafrika, Russland, Deutschland, den Niederlanden, Dänemark sowie einer Reihe osteuropäischer Staaten. Im Jahr 2030 sei von einem Beitrag der fossilen Energieträger von rund 70 % zur weltweiten Stromerzeugung auszuge-

hen; dabei werde Kohle die beherrschende Rolle einnehmen. Der Referent wies auf den hohen Ersatzsowie Zusatzbedarf an Kraftwerksleistung in den Staaten der EU hin, der bis zum Jahr 2020 auf 300.000 MW geschätzt werde. Davon entfalle ein erheblicher Teil auf Kohlekraftwerke. In Deutschland seien 2008 rund 45 % der elektrischen Energie aus Stein- und Braunkohle gewonnen worden. Von Vorteil seien die hohe erreichbare jährliche Nutzungsdauer und die bedarfsgerechte Einsetzbarkeit von Kohlekraftwerken; diesen Vorzug wiesen Wind- und Solaranlagen zur Stromerzeugung nicht auf. Für den Umweltschutz seien in Deutschland seit mehreren Jahrzehnten hochwirksame Rauchgasreinigungstechniken - Entstaubungs-, Entschwefelungs- und Stickoxidminderungsanlagen - Stand der Technik. Nachteilig seien freilich hohe Emissionen an Kohlendioxid (CO2), das als klimawirksames Spurengas eingestuft werde: Während bei modernen Erdgaskraftwerken nur 0,350 kg CO2/kWhel erreicht würden, lägen die Werte für Steinkohlekraftwerke bei 700 bis 850 kg CO2/kWhel und für Braunkohlekraftwerke bei 900 bis 1200 kg CO2/kWhel. Deshalb bemühe man sich seit einigen Jahren, Techniken zur CO2-Abscheidung in Kohlekraftwerken und zur dauerhaft sicheren Lagerung von CO2 zu entwickeln (angelsächsisch: Carbon Capture and Storage: CCS). Da diese Verfahren mit erheblichen Wirkungsgradverlusten verbunden seien, müssten parallel dazu die Wirkungsgrade konventioneller Kohlekraftwerke weiter verbessert werden, um mit beiden Maßnahmen zusammengenommen eine weitgehend CO2-freie Stromerzeugung aus Kohle bei vertret35

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Dipl.-Ing. Daniel Kosel bar guten Wirkungsgraden zu erreichen. Die deutschen Stromversorgungsunternehmen sowie Kraftwerkshersteller seien zuversichtlich, dabei in den nächsten Jahren gut voranzukommen. Durch verbesserte Frischdampfzustände (600 0C und 285 bar) habe der Wirkungsgrad von neuen Steinkohlekraftwerken inzwischen rund 45 bis 46 % und der von Braunkohlekraftwerken etwa 43 bis 44 % erreicht. In den nächsten Jahren werde es gelingen, mit Frischdampfzuständen von 700 0C und 350 bar einen Wirkungsgrad von über 50 % zu erzielen. Weitere Verbesserungen bei der Braunkohleverstromung seien durch eine weiterentwickelte Braunkohletrocknung zu erreichen. Diese Verbesserungen führten zu einer deutlichen Senkung der CO2-Emissionen zunächst auch ohne die Anwendung von CCS-Techniken. Wolle man - darüber hinausgehend - die CO2-Emissionen fast vollständig vermeiden, seien entsprechende CCS-Techniken erforderlich. Die laufenden Entwicklungen hierzu konzentrierten sich auf drei Verfahren, die als Post Combustion-, Pre Combustion- und Oxy Fuel-Verfahren bezeichnet werden würden. Da diese Verfahren vergleichsweise aufwendig seien, rechne man mit Wirkungsgradeinbußen zwischen etwa 8 und 14 %. Das Post Combustion-Verfahren eigne sich für die Nachrüstung bestehender Kraftwerke, bei denen die staubförmige Kohle bei Umgebungsdruck mit Luft verbrannt werde; es sei jedoch wegen der begrenzten Integrationseignung in die vorhandenen Kraftwerkskomponenten durch die höchsten Wirkungsgradeinbußen gekennzeichnet. Aus dem zuvor gereinigten Rauchgas werde das CO2 durch eine Aminwäsche entfernt. Danach werde die Waschflüssigkeit mit Hilfe von Niedertemperaturwärme wieder von CO2 befreit. Technisch interessanter sei das Pre Combustion-Verfahren: Hier werde die 36

Kohle unter Druck mit Hilfe von Sauerstoff und Wasserdampf in ein Wasserstoff (H2) und Kohlenmonoxid (CO) enthaltendes Kohlegas umgewandelt, wonach das CO mit Hilfe weiteren Wasserdampfs unter H2-Bildung in CO2 umgewandelt werde. Hiernach werde CO2 absorptiv abgetrennt und das im Wesentlichen aus H2 bestehende Brenngas in einem Gas- und Dampfturbinenprozess zur effizienten Stromerzeugung genutzt. Dieses Verfahren habe eher den Charakter einer Chemieanlage als den eines klassischen Kraftwerks. Von Vorteil sei, dass sich der erzeugte Wasserstoff nicht nur zur Stromerzeugung, sondern auch zur Gewinnung chemischer Produkte oder als Brenngas für die Wärmeerzeugung nutzen lasse. Man rechne mit deutlich höheren Gesamtwirkungsgraden als beim Post Combustion-Verfahren. Das Unternehmen Vattenfall konzentriere sich auf das Oxy Fuel-Verfahren, bei dem möglicherweise der beste Gesamtwirkungsgrad aller drei Verfahren zu erwarten sei. Dabei werde die staubförmige Kohle bei Umgebungsdruck mit Sauerstoff (O2) verbrannt. Im Hinblick auf technisch beherrschbare, nicht zu hohe Verbrennungstemperaturen sei es nötig, den Sauerstoff zu verdünnen; dabei werde statt des Stickstoffs der Luft rezirkuliertes Rauchgas genutzt, um im Dampferzeuger ähnliche Werte des Sauerstoffgehalts wie normalerweise in der Luft zu erreichen. Auf diese Weise erreiche man ein Verbrennungsgas, das aus Kohlendioxid (CO2) und Wasserdampf (H2O) bestehe; hieraus lasse sich das Wasser durch Kondensation abtrennen. Beim Pre Combustion- und beim Oxy Fuel-Verfahren würden die Wirkungsgradeinbußen vor allem durch die dem Kraftwerksprozess vorgeschaltete Luftzerlegungsanlage für die Sauerstofferzeugung verursacht; hiermit seien Wirkungsgradeinbußen von 4 bis 6 % verbunden. Dabei werde durch eine Tieftemperaturzerlegung bei etwa -182 oC flüssiger Sauerstoff von gasförmigem Stickstoff getrennt. Er sei offen, wie weit hier durch kältetechnische Optimierungen Wirkungsgradverbesserungen erreicht werden könnten; denkbare alternative Optionen seien die Luftzerlegung bei Umgebungstemperatur durch ein adsorptives oder ein Membranverfahren. Dipl.-Ing. Kosel berichtete im Weiteren über den zeitlichen Verlauf der Aktivitäten von Vattenfall zur Entwicklung und Anwendung des Oxy Fuel-Verfahrens: Im Jahr 2001 seien Konzeptstudien er-

stellt worden, die zum Betrieb mehrerer Testanlagen ab 2004 mit thermischen Leistungen von 0,1 bis 0,5 MWth geführt hätten. Mit den dabei gesammelten Erfahrungen seien der Bau und die Inbetriebnahme einer Pilotanlage im Jahr 2008 möglich gewesen, die eine thermische Leistung von 30 MWth aufweise. Weiter sei 2014/2015 die Inbetriebnahme einer Demonstrationsanlage mit einer elektrischen Leistung von 375 MWel geplant, der die Inbetriebnahme eines kommerziellen Kraftwerks im Jahr 2020 mit einer elektrischen Leistung von 1000 MWel folgen solle. Im Jahr 2020 werde ein Kraftwerkswirkungsgrad der Gesamtanlage von 42 %, im Jahr 2030 mit weiterentwickelten Nachfolgeanlagen ein Wirkungsgrad von 45 % angestrebt. In der Pilotanlage am Standort Schwarze Pumpe in der Lausitz werde die komplette technische Prozesskette technisch demonstriert und das Zusammenspiel der Komponenten erprobt; weiter würden die Ergebnisse aus den Testanlagen validiert und die Möglichkeiten der Maßstabsvergrößerung auf die Größe der geplanten Demonstrationsanlage untersucht. Die jetzigen Erfahrungen seien positiv: Die Verbrennungsvorgänge im Dampferzeuger mit einem O2-, CO2- und H2Ohaltigen Gasgemisch seien - ähnlich wie eine Verbrennung mit Luft - technisch beherrschbar, wenngleich hierzu noch Erfahrungen zu sammeln seien. Erste Ergebnisse lägen zum Teil auch in anderen Bereichen vor: Dies betreffe z. B. die Material- und Korrosionsuntersuchungen, die Ermittlung von Abscheideraten der Rauchgasreinigungsanlagen, die Interaktion und das Betriebsverhalten aller Anlagenteile sowie die Überprüfung von Ver- und Entsorgungsströmen - etwa hinsichtlich der erforderlichen O2-Reinheit, der Aschequalität, der Gipsqualität und der Kondensataufbereitung.

Geplante CCS-Demonstrationsanlage im Kraftwerk Jänschwalde (vorn)

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Darauf sprach der Referent technische Gesichtspunkte der geplanten Demonstrationsanlage am Standort Jänschwalde an, die eine elektrische Leistung von 375 MWel aufweisen werde. Weiter ging er auf Fragen des Transports und der Speicherung von CO2 ein: Zunächst werde im Rahmen des Pilotbetriebs der Anlage am Standort Schwarze Pumpe das abgetrennte CO2 wegen der begrenzten Mengen verflüssigt und tiefkalt in Tankwagen zur Einlagerungsstätte (dem Aquiferspeicher Ketzin bei Berlin) transportiert. Langfristig werde der gasförmige Transport von verdichtetem CO2 in Gas-Ferntransportleitungen geplant. Die dauerhaft sichere Lagerung sei z. B. in unterirdischen ausgebeuteten Öl- und Erdgaslagerstätten oder auch in unterirdischen salinen Aquiferen vorgesehen. Eine weitere Möglichkeit bestehe darin, CO2 zur verbesserten Ausbeute von nicht vollständig genutzten Öl- und Erdgaslagerstätten einzusetzen. Der Referent machte abschließend auch auf umfassende geologische Untersuchungen aufmerksam, mit denen inzwischen die CO2-Speicherpotenziale in Deutschland ermittelt worden seien.

Persönliches Öko-Profil: Oft überraschend Der zweite Vortrag im Rahmen des VUKolloquiums wurde am 4. November 2009 von Dipl.-Ing. (FH) Hans Hertle vom IFEU-Institut für Energie- und Umweltforschung in Heidelberg beigetragen. Er berichtete über das Thema "Klimaschutz konkret: Handlungsoptionen für Kommunen und Bürger”. Der Referent stellte zunächst das Heidelberger Institut für Energie- und Umweltforschung (IFEU) vor, beschrieb den dortigen, von ihm geleiteten Fachbereich Energie und benannte als dessen Arbeitsfelder Energieeffizienz, Stromeffizienz, Wärmeschutz bei Gebäuden, zukünftige Energiesysteme, erneuerbare

Dipl.-Ing. (FH) Hans Hertle

Städtische Einrichtungen in Heidelberg: Zwischen 1982 und 2006 fast 40 % CO2–Minderung durch Energiemanagement Energien, Kraft-Wärme-Kopplung, Umweltbildung, Öffentlichkeitsarbeit und Evaluationen. Dabei würden je Jahr zwischen ein und drei Energiekonzepte für Kommunen erarbeitet. Im Übersichtsteil seines Vortrags sprach Dipl.-Ing. (FH) Hertle statistische Zusammenhänge bezüglich der Emissionen klimawirksamer Gase wie z. B. CO2 an; dabei verwies er darauf, dass ein großer Teil der in Deutschland erreichten CO2Minderungen der Wiedervereinigung geschuldet sei, bei der ineffiziente Anlagen in den Neuen Bundesländern stillgelegt und teilweise durch verbesserte Anlagen ersetzt worden seien. Ein Vergleich der Pro-Kopf-CO2-Emissionen wichtiger Industriestaaten zeige, dass Deutschland zwar gegenüber den USA deutlich besser abschneide, jedoch gegenüber Japan Nachholbedarf habe. Beziehe man Entwicklungs- und Schwellenländer wie z. B. afrikanische und südamerikanische Staaten sowie Indien und China mit ein, werde sichtbar, dass dort die CO2-Emissionen je Einwohner deutlich niedriger seien als in den Industriestaaten. In der Beratungsarbeit des IFEU-Instituts für Kommunen müssten ggfs. zunächst politische Fehleinschätzungen korrigiert werden: So würden die Beiträge einzelner erneuerbarer Energien zu CO2-Minderungskonzepten immer wieder überschätzt; dies betreffe etwa die photovoltaische Stromerzeugung. Dagegen würden vorhandene Spielräume bei der Effizienzsteigerung unterschätzt. Deshalb gelte es, vorrangig die wirtschaftlichen Potenziale der Effizienzsteigerung auszuschöpfen - etwa durch Umsetzung von Passivhaus-Gebäudestandards bei Neubauten, durch heizungs- und gebäudetechnische Sanierungsmaßnahmen im Gebäudebestand und durch Nutzung von Wärmepumpen- und BHKW-Techniken. Insgesamt gesehen sei die Akzeptanz von Vorschlägen zur Verbesserung der

Energieversorgungs- und -anwendungsstrukturen in Städten und Gemeinden in den vergangenen zwei Jahrzehnten gewachsen. Auch werde in den politischen Gremien, die nach wie vor teilweise auch von ideologischen Vorurteilen geprägt seien, zunehmend sachlicher diskutiert. Der ingenieurtechnische Sachverstand gewinne hierbei an Bedeutung. Während früher umfassende Grundsatzstudien gefragt gewesen seien, könne man sich inzwischen mehr und mehr auf praxisbezogene Empfehlungen im Rahmen von Maßnahmenkatalogen konzentrieren. Auch könne z. B. durch Datenblätter zu einzelnen Vorhaben der spezifische Stellenwert einzelner Maßnahmen, die Methodik der Umsetzung durch verschiedene beteiligte Bereiche sowie deren Überprüfung transparent gemacht werden. Ohne eine regelmäßige Überprüfung im Rahmen von ControllingMaßnahmen könne es oft nicht gelingen, eine Optimierung von Maßnahmen und Vorgängen zu erreichen. Es habe sich bewährt, neben Energieund CO2-Bilanzen für Kommunen auch deren "Steckbrief", Aktivitätsprofil sowie Indikatorenprofil zu erarbeiten. Der Vortragende zeigte hierzu eine Reihe interessanter und aussagekräftiger Schaubilder und verdeutlichte, dass in der Zuarbeit zu Kommunen technisches Fachwissen allein nicht ausreiche, sondern z. B. auch organisatorische Konzepte von Belang seien. Im zweiten Teil seines Vortrages ging Dipl.-Ing. (FH) Hertle auf die Frage "Was kann der Bürger tun?" ein. Hierzu stellte er Spielräume in den Bereichen "Wohnen", "Mobilität", "Ernährung" und "Konsum" vor. Beispielsweise könne mit einem vom IFEU-Institut in Zusammenarbeit mit dem Umweltbundesamt (UBA) entwickelten "Bürger-Tool" - einem rechnergestützten Programm - das persönli37

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Luftbefeuchtung Teil der Gesundheitsvorsorge Im dritten Vortrag im Rahmen des VUKolloquiums berichtete am 25. November 2009 Dipl.-Ing. Andreas Maisch vom Regionalcenter Südwest der Firma Walter Meier GmbH über das Thema "Hygiene und Luftbefeuchtung - Aufgaben in der Klimatechnik”.

Im mittleren deutschen Vier-PersonenHaushalt betragen die CO2-Emissionen 10,88 Tonnen je Kopf und Jahr

che bzw. das familienbezogene Energieund CO2-Profil erstellt werden. Dabei werde z. B. sichtbar, dass für einen mittleren deutschen Vier-Personen-Haushalt die CO2-Emissionen je Kopf und Jahr 10,88 Tonnen betrügen. Dies sei im Vergleich mit einem mittleren Single-Haushalt nur etwa die Hälfte, denn dort erreiche dieser Wert 18,82 Tonnen. Eine ambitioniert auf CO2-Einsparung "optimierte" Durchschnittsfamilie könne die CO2Emissionen je Kopf und Jahr sogar auf 5,56 Tonnen senken. Zum Schluss seines Vortrags machte Dipl.-Ing. (FH) Hertle sichtbar, dass der einzelne Bürger eine Reihe von kurz-, mittel- und langfristigen Handlungsansätzen habe, mit denen auf sinnvolle Weise die CO2-Emissionen je Kopf und Jahr verringert werden könnten. Daraus sei abzuleiten, dass es ohne Zweifel möglich sei, energieeffizient zu handeln und trotzdem Spaß am Leben zu haben.

Dipl.-Ing. Andreas Maisch 38

Im ersten Teil seines Vortrags wies Dipl.Ing. Maisch auf das Erfordernis der Luftbefeuchtung in verschiedenen Anwendungsfeldern hin: Diese sei beispielsweise bei der Lagerhaltung von Holzerzeugnissen, Nahrungsmitteln, Textilien oder Zigarren, bei speziellen industriellen Fertigungsprozessen - etwa in der Papierund der Textilproduktion - und in menschlichen Aufenthaltsbereichen - in trockenen Räumen - nötig. So sei im Winter die Gefahr von Grippeinfektionen und Erkältungen deshalb erhöht, weil die Luft trocken sei und damit der Transport von Staub, Keimen und Erregern aus den Atemwegen über die Flimmerhärchen eingeschränkt sei. Befeuchte man die Luft, so unterstütze dies die natürliche Funktion der Flimmerhärchen. Es sei nachgewiesen, dass bei einer relativen Luftfeuchte von 20 bis 35 % das Risiko, sich mit einem Influenza-A-Virus anzustecken, etwa dreimal so hoch sei wie bei einer Raumluftfeuchte von 50 %. Die Gründe dafür könnten auf drei Untersuchungsergebnisse zurückgeführt werden: Erstens sei die Selbstreinigungskraft der Schleimhäute bei einer relativen Luftfeuchtigkeit von 45 % am größten. Zweitens sei die Lebensdauer von Viren in den Ausatmungströpfchen abhängig von der relativen Luftfeuchte: Die kürzeste Lebensdauer sei bei einer Luftfeuchte um 50 % zu beobachten. Dagegen sei bei einer Luftfeuchte von 20 bis 40 % der Virus am stabilsten und weise die längste Lebensdauer auf. Drittens sei die Luftübertragung (Reichweite und Verbleibdauer) der Ausatmungströpfchen abhängig von der relativen Luftfeuchte. Bei geringer Luftfeuchte verdunsteten die Aerosole der Ausatmungströpfchen schneller; der "Tropfenkern" werde schneller freigelegt und verbleibe durch seine kleinere Dimension länger in der Luft. Bei höherer relativer Luftfeuchte nähmen die Ausatmungströpfchen zusätzlich Wasser auf und erhöhten dadurch ihre Masse. Die Tröpfchen fielen deshalb schneller zu Boden und verblieben kürzer in der Luft. Damit sinke das Übertragungsrisiko.

Für die fachlich richtige Luftbefeuchtung seien die folgenden fünf Planungskriterien zu beachten: - Befeuchtungsstrecken richtig dimensionieren - Bildung von Biofilmen unterbinden - Eintrag von Wasser-Aerosolen verhindern - Systemgerechte Feuchteregelung vorsehen - Hygienenachweis aller hygienerelevanten Eigenschaften Erstens seien im Hinblick auf die richtige Dimensionierung der Befeuchtungsstrecken zwei Verfahren - nämlich zum einen die Dampf-Luftbefeuchtung und zum anderen die adiabate Luftbefeuchtung zu unterscheiden. Als Einflussfaktoren auf die Hygiene seien die Lufttemperatur, die Eintrittsfeuchte, die Feuchteerhöhung, die Homogenität in der Anströmung und das jeweils vorhandene nachgeschaltete Hindernis zu nennen. Zweitens sei die Bildung von Biofilmen zu vermeiden. Zum besseren Verständnis seien hierzu zunächst einige Informationen hilfreich: Ein Biofilm bestehe aus einer dünnen Schleimschicht, in der Mikroorganismen (z. B. Bakterien, Algen oder Pilze) eingebettet seien. Sie entstünden dann, wenn Mikroorganismen sich an Grenzflächen ansiedelten. Durch die Kontamination von Befeuchtungswasser und Atemluft sei ein nennenswertes Gefährdungspotenzial gegeben. Biofilme könnten in Wasserzulaufleitungen, in Wasserleitungen innerhalb des Befeuchtungssystems, in Verdunstungskörpern, in Tropfenabscheidern, in Wasserwannen und in Befeuchtungskammern auftreten. Da sich Mikroorganismen exponenziell - also letztlich sehr rasch - vermehren könnten, seien präventive Hygienemaßnahmen sinnvoll. Hierzu gehöre z. B. die Silberionisierung. Die Bildung von Biofilmen lasse sich durch folgende Maßnahmen verhindern: durch hygienisches Befeuchtungswasser, durch die Vermeidung von stehendem Wasser (Stagnation in den Wasserleitungen), durch Hygienemaßnahmen zur Keimminderung und durch eine regelmäßige Reinigung mit Desinfektion. Für adiabate Luftbefeuchter sollte Wasser bester Qualität verwendet werden. Hierzu gehörten voll entsalztes Wasser (VE-Wasser) und Osmosewasser (Permeat mit einer Leitfähigkeit von 0,5 bis 15 μS). Allerdings seien VE-Wasser und Osmosewasser nicht keimfrei. Wichtig sei, keine gegen die Atmosphäre offenen Speicher zu verwenden und den Stand-

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Fünftens sei die regelmäßige Wartung von Befeuchtungssystemen wichtig. Folgende Hygienenachweise seien hierzu von Belang: - die Einhaltung technischer Richtlinien, insbesondere der DIN 1946 und der VDI 6022 - die Umsetzung von Hygienemaßnahmen zur Keimminderung während des Betriebes - die regelmäßige Reinigung mit Desinfektion im Zuge der Befeuchterwartung - die Einhaltung der Aerosolfreiheit

Flimmerhärchen transportieren Staub, Keime und Erreger aus den Atemwegen. Trockene Luft schränkt diese Funktion der Flimmerhärchen ein

ort der Osmoseanlage richtig zu wählen. Die Firma Walter Meier biete beim Hybrid-Befeuchter Condair Dual eine Silberionisierung an. Deren Vorzüge seien eine exakte Dosierung entsprechend der Befeuchterleistung, eine hohe Wirksamkeit, da die vorbeugende Wirkung im gesamten Nassbereich vorhanden sei, lange Betriebszeiten zwischen den Wartungen und ein gefahrloser Umgang, der keine Schutzmaßnahmen nötig mache. Drittens sei der Eintrag von Wasser-Aerosolen zu verhindern. Wasser-Aerosole seien kleinste, in der Luft schwebefähige Wassertröpfchen. Diese verdunsteten schlecht und könnten von Tropfenabscheidern nur unvollständig bzw. überhaupt nicht abgeschieden werden. Die potenziell gefährdende Wirkung von Wasser-Aerosolen hänge damit zusammen, dass Keime mit Aerosolen tief in die Atemwege eindringen könnten. Klinische Untersuchungen belegten Fälle exogen allergischer Alveolitis und Lungenerkrankungen durch das Einatmen von mikrobiologisch belasteten WasserAerosolen.

Aussagekräftige Hygienezertifikate seien insbesondere die Zertifikate unabhängiger bzw. öffentlicher Institutionen (z. B. der Berufsgenossenschaften). Es sei die Untersuchung aller hygienerelevanten Merkmale sinnvoll; auch seien die Langzeituntersuchung an realen Anlagen und die Umsetzung eines Wartungskonzepts nach hygienischen Erfordernissen von Bedeutung. Anlagen könnten z. B. das GS-Zeichen zur Übereinstimmung mit dem gültigen Geräte- und Produktsicherheitsgesetz tragen. Weiter seien berufsgenossenschaftliche Zertifikate wie das BG-Prüfzert "Optimierte Luftbefeuchtung" zur Einhaltung der nationalen berufsgenossenschaftlichen Sicherheitsund Gesundheitsanforderungen oder das Euro-Test-Zertifikat "Optimierte Luftbefeuchtung" zur Einhaltung der

Bei Nichtbeachtung der Vorgaben bei Planung, Montage und Wartung seien als Folgen nicht auszuschließen: Mineralienablagerungen (Nährboden für Mikroorganismen), Feuchtflächen im Kanalsystem, Korrosion, Keimwachstum sowie eine Kontamination der Anlagenluft. Im zweiten Teil seines Vortrags berichtete Dipl.-Ing Maisch über die Verbesserung der Energieeffizienz von Klimaanlagen mit Hilfe einer adiabaten Abluftkühlung im Sommerfall. Dabei könne der Abluft, soweit diese nicht feuchtigkeitsgesättigt sei, Wasser zugesetzt werden. Bei deren Verdunstung werde der Abluft die nötige Verdampfungsenthalpie entzogen, wobei die Abluft abgekühlt werde. Die erreichte Temperaturabsenkung gestatte es, über einen Wärmerückgewinner die warme Außenluft zu kühlen, um die Zulufttemperatur abzusenken. Dies erlaube, die konventionelle Kältemaschine kleiner auszulegen, und senke zugleich die für die Kühlung notwendige elektrische Arbeit. Die vom Unternehmen Walter Meier dazu entwickelten Befeuchterboxen zeichneten sich durch eine hohe Verdunstungswirkung, durch langlebiges und beständiges synthetisches Polyester-Basismaterial (geeignet für den Einsatz von VE-Wasser) sowie durch einen einfachen Ein- und Ausbau aus. Beim Kostenvergleich zwischen einer adiabaten Verdunstungskühlung und einer konventionellen Kältemaschine seien variable Faktoren wie die Raumkonditionen, der Wasserverbrauch abhängig von der Arbeitsweise, der Wirkungsgrad der Wärmerückgewinnung, der Druckverlust, die Wasser- und Abwasserkosten und die Stromkosten zu berücksichtigen. Dabei gebe es zahlreiche Fälle, bei denen sich die adiabate Verdunstungskühlung als wirtschaftlich erweise.

Viertens sei eine systemgerechte Befeuchtungsregelung zu wählen. Die Regelstrategie solle nach der Befeuchtungsart ausgewählt werden, da der thermodynamisch unterschiedliche Verlauf verschiedener Befeuchtungsarten entsprechend angepasste Regelstrategien erfordere. Hier seien die folgenden Befeuchtungsarten zu unterscheiden: - die Raum- bzw. Abluft-Feuchteregelung - die Raum- bzw. Abluft-Feuchteregelung mit stetiger Zuluft-Feuchtebegrenzung - die Zuluft-Feuchtereglung mit stetiger Leistungsvorgabe - die Taupunkt-Feuchteregelung - die Enthalpie-Feuchteregelung

europäischen berufsgenossenschaftlichen Sicherheits- und Gesundheitsanforderungen aussagefähig.

Zunehmende Komplexität in der Energiewirtschaft

Luftbefeuchter

Der vierte Beitrag zum VU-Kolloquium wurde am 2. Dezember 2009 von Dipl.Ing. (FH) Jens Gehrt, dem Leiter Kommunen, Netzkunden und Dienstleistungen des Regionalzentrums Alb-Neckar der EnBW Regional AG, beigetragen. Er berichtete über die "Liberalisierung der Energiewirtschaft: Konsequenzen für Vertrieb, Erzeugung sowie Strom- und Gasnetze”. 39

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Die EnBW habe im Jahr 2007 etwa 11,7 % ihres Stroms aus erneuerbaren Energien (vor allem aus Wasserkraft) erzeugt. 2020 werde dieser Anteil bei rund 20 % liegen; hierzu würden neben Wasserkraft vor allem seegestützte Windkraftanlagen beitragen können.

Dipl.-Ing. (FH) Jens Gehrt Im ersten Teil seines Vortrags wies er zunächst auf die weltweiten Entwicklungen beim Wachstum der Weltbevölkerung, beim Primärenergieverbrauch und bei den CO2-Emissionen hin. Er verdeutlichte dabei, dass die Energieversorgung und der Klimaschutz globale Themen seien. Deutschlands Anstrengungen beim Klimaschutz seien zwar von quantitativ eher begrenzter Auswirkung, jedoch könnten von einem hoch industrialisierten Land wichtige Impulse für die umwelttechnische Entwicklung ausgehen. Weiter machte er darauf aufmerksam, dass in Deutschland wie auch in der Europäischen Union insgesamt bis zum Jahr 2020 ein großer Bedarf an neuer Kraftwerksleistung bestehe, mit der Altanlagen ersetzt und der wachsende Strombedarf gedeckt werden müsse. Als Beispiele nannte er die im Bau befindlichen Steinkohlekraftwerke Block 8 des Rheinhafenkraftwerks Karlsruhe und Block 9 des Großkraftwerks Mannheim; beide Anlagen besäßen Stromerzeugungswirkungsgrade von etwa 46 %. Er wies u. a. auf die spezifischen Durchschnittswerte an CO2-Emissionen je erzeugter kWh Strom hin: Während der Wert im Jahr 2008 z. B. in Polen bei rund 960 g CO2/kWhel gelegen habe, habe er in Deutschland etwa 500 g CO2/kWhel und in Baden-Württemberg ungefähr 300 g CO2/kWhel betragen.

Im Netz der EnBW befänden sich inzwischen etwa 90.000 private Stromeinspeiseanlagen mit überwiegend kleiner Leistung (meist Photovoltaik-Anlagen); insgesamt verfügten diese über eine elektrische Leistung von rund 1300 MWel. Hierauf seien die Netze der EnBW inzwischen eingestellt. Er machte in diesem Zusammenhang auf die volkswirtschaftlichen Mehraufwendungen aufmerksam, die durch die Förderung erneuerbarer Energien zur Stromerzeugung zu tragen seien, und die sich allein im Jahr 2009 auf weit über 10 Mrd. € belaufen würden. Die Mehrkosten für Haushaltstrom rührten jedoch nicht allein davon her, sondern hätten auch in stark erhöhten steuerlichen Belastungen des Strompreises ihre Ursache; demgegenüber seien die Mehrkosten im Rahmen der konventionellen Strombereitstellung eher maßvoll. Der Strommarkt sei 1998 und der Gasmarkt einige Jahre später liberalisiert worden; demgemäß hätten die Versorgungsunternehmen die Erzeugung, den Handel, den Transport, die Verteilung und den Verkauf dieser leitungsgebundenen Energien in getrennten Gesellschaften durchzuführen. Strom werde z. B. an der EEX - der europäischen Stromhandelsbörse in Leipzig - gehandelt. Es werde viermal so viel Strom gehandelt, wie verbraucht werde. Wegen stark schwankender börslicher Strompreise sei für die Versorgungsunternehmen nunmehr ein preisliches Risikomanagement wichtig. Im Strom- und Gasbereich könnten nicht nur Großkunden, sondern auch Tarifkunden unter vielen Anbietern wählen. Inzwischen gebe es im Umfeld von Stuttgart

Schema des im Bau befindlichen Blocks 8 am Kraftwerksstandort Karlsruhe 40

Thema Netzsicherheit: Ausfall des Stromnetzes in Italien im Jahr 2003 etwa 60 Anbieter. Dabei würden auch neue Produkte - bei der EnBW z. B. Bioerdgas 10 oder Erdgas für Kraftfahrzeuge - angeboten. Die möglichen Rechtsbeziehungen - zwischen Stromlieferanten, Transport- und Verteilungsnetzbetreibern, Gebäudenetzbetreibern, Messstellenbetreibern und Kunden - erforderten zum Teil sehr erhebliche mess- und verwaltungstechnische Aufwendungen. Bei den Netzen gebe es infolge der Regulierungsmaßnahmen der Bundesnetzagentur nur noch geringe Spielräume für die auskömmliche Netzbewirtschaftung. Z. B. habe das größte deutsche Energieversorgungsunternehmen - die Eon AG - ihr Höchstspannungsnetz in Deutschland inzwischen an ein niederländisches Unternehmen veräußert; weiter habe Eon auch ihre Tochtergesellschaft Thüga, die durch zahlreiche Beteiligungen an kommunalen Versorgungsunternehmen mittelbar sehr stark im Verteilungsnetzbereich tätig sei, verkauft. Auch die Vattenfall AG sehe den Verkauf ihres Höchstspannungsnetzes vor. Für die EnBW Regional AG ergebe sich aus den veränderten Rahmenbedingungen in den Verteilnetzen zwingend, dass durch weit gehende Rationalisierungsmaßnahmen, Umorganisationen, Stellenabbau und Fremdvergabe von Aufträgen die Kosten zu senken seien. Dipl.Ing. (FH) Gehrt nannte hierzu Beispiele etwa den Einsatz von mobilem Wartungs- und Instandhaltungspersonal, das über ein Auftragszentrum eingesetzt werde, sowie die Nutzung eines entsprechenden Dispatching-Systems. Die Regulierungsmaßnahmen der Bundesnetzagentur wirkten sich auch nennenswert auf zu erwägende Neuinvestitionen aus. So gebe es nur noch geringe Anreize, bei der Errichtung von neuen Wohngebieten in Gasnetze zu investieren, weil - zusätzlich zu den niedrigen

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Energieverbräuchen von hoch wärmegedämmten Neubauten - ungünstige Erlösvoraussetzungen in der Gasverteilung vorlägen. Aus betriebswirtschaftlicher Sicht wenig realistisch seien deshalb auch die Diskussionen über eine Rekommunalisierung von städtischen Energieversorgungsstrukturen, wie sie z. B. in Stuttgart und Esslingen geführt würden. Die EnBW entwickle eine ganze Reihe von Initiativen, mit denen das Ziel einer weiteren Senkung von Leistungs- und Energiebedarf sowie von CO2-Emissionen verwirklicht werden könne. Ein Beispiel hierfür sei das Vorhaben "Meregio", mit dem eine Vernetzung von dezentraler Erzeugung, Speicherung und Verbrauch umgesetzt werden solle. Auch habe die EnBW ein kommunikatives Netzwerk aufgebaut, das zum Austausch von Erfahrungen und Lösungsmöglichkeiten zur Senkung des Energieverbrauchs bei industriellen Fertigungsverfahren diene. Weiter machte der Referent auf die EnBW-Initiative "Wir machen BadenWürttemberg zum Energie-Musterland" aufmerksam. Auch berichtete er über das Engagement der EnBW zur Gründung von Bürgerschafts-Genossenschaften und Energieagenturen, die den Bau und Betrieb von bürgerschaftlichen Anlagen zur Energiegewinnung und -verwendung zum Ziel hätten. Daneben machte er auf - von der EnBW unterstützte - Konzepte aufmerksam, Energieeinsparmöglichkeiten bei der öffentlichen Straßenbeleuchtung zu nutzen.

Die Erdgaswirtschaft: Vor großen Herausforderungen Im fünften Vortrag des VU-Kolloquiums berichtete am 16. Dezember 2009 Prof. Dr.-Ing. Martin Dehli von der Fakultät Versorgungstechnik und Umwelttechnik (VU) der Hochschule Esslingen über das Thema "Künftige Entwicklungen in der weltweiten Erdgasversorgung”.

Prof. Dr.-Ing. Martin Dehli

Erdgasförderung und -verflüssigung zu LNG mit einem „Floating Production, Storage and Offloading(FPSO)“-Schiff (geplant) Zu Beginn seines Vortrags wies der Referent auf den "Gasstreit" zwischen Russland und der Ukraine hin, der im Winter 2008/2009 zeitweilig eine Verringerung von Erdgaslieferungen nach Europa zur Folge hatte. Deshalb stellten sich viele Bürger, Firmen und Politiker die Frage, wie sicher die Erdgasversorgung in Deutschland und Europa sei. Erdgas, das ganz überwiegend aus Methan (CH4) bestehe, sei ein begehrter Energieträger, weil es kaum Schadstoffe enthalte und deshalb umweltverträglich verbrannt werden könne. Außerdem lasse sich Erdgas bequem nutzen: Man könne es zeitlich und örtlich bedarfsgerecht einsetzen sowie genau regeln und benötige nur einen begrenzten technischen Aufwand für seine Verwendung. Diese Vorzüge hätten dazu geführt, dass Erdgas inzwischen mit einem Anteil von etwa 24 % am Welt-Primärenergieverbrauch nach Erdöl und Kohle der drittwichtigste Primärenergieträger geworden sei. In Deutschland habe Erdgas im Jahr 2008 zu rund 22 % zum Primärenergieverbrauch beigetragen. Dort sei Erdgas in den Bereichen Industrie, Gewerbe, Handel und Dienstleistungen sowie Haushalte der wichtigste Energieträger; bei der Stromerzeugung liege Erdgas - nach Braunkohle, Kernenergie und Steinkohle - an vierter Stelle. Weltweit gebe es vier große Erdgasmärkte, in denen sich Produzenten und Abnehmer durch langfristige Lieferverträge aneinander gebunden hätten: Dies sei der europäische Markt mit den Hauptexporteuren Russland, Nord-Afrika, Norwegen und den Niederlanden, der nordamerikanische Markt (NAFTAStaaten), der asiatische Markt, der durch große Entfernungen der Hauptverbraucher Japan, Südkorea und Taiwan zu den Lieferländern (vor allem Indonesien,

Malaysia, Brunei und die arabischen Golfstaaten) gekennzeichnet sei, sowie der südamerikanische Markt. Der Welt-Erdgasverbrauch habe im Jahr 2007 bei etwa 3.400 Milliarden Normkubikmetern (Nm3) - entsprechend der Energie von 2,1 Milliarden Tonnen Rohöl betragen. Größte Erdgasverbraucher seien 2007 mit Abstand die USA und Russland gewesen, gefolgt von Iran, Kanada, Japan, Großbritannien, Deutschland, Italien, Saudi-Arabien und China. Der Aufschwung der Erdgasversorgung gehe auf die erste Ölpreiskrise 1973/74 zurück: Die Verteuerung von Öl habe damals der Gaswirtschaft den Spielraum ermöglicht, in die finanziell aufwändige Förderung, den Ferntransport und die Verteilung von Erdgas zu investieren und es als Wettbewerbsenergie im Wärmemarkt zu platzieren. Auch die Techniken seien weit genug entwickelt gewesen, um Erdgas effizient fördern, transportieren und anwenden zu können. Angesichts des Markterfolgs des Erdgases wachse freilich die Sorge, ob Erdgas nicht auch - wie Öl - mittel- und langfristig knapp werden könnte; auch gebe es Befürchtungen, ob sich die Erdgas verbrauchenden Länder nicht bereits von den Erdgas liefernden Ländern zu sehr abhängig gemacht haben könnten. Vergleiche man die weltweiten Reserven - also die heute nachgewiesenen, technisch und wirtschaftlich gewinnbaren Mengen - an Öl und Erdgas, so zeige sich, dass, jeweils gemessen am heutigen Verbrauch, Erdgas noch wesentlich länger zur Verfügung stehe. Berücksichtige man auch die Ressourcen - also die zusätzlichen nachgewiesenen bzw. vermuteten, technisch und/oder wirtschaftlich noch nicht gewinnbaren Mengen dann falle der Vergleich noch deutlicher 41

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zugunsten des Erdgases aus. Nach heutigem Kenntnisstand seien bereits 36 bis 40 % des Gesamtpotenzials an konventionell gewinnbarem Erdöl gefördert worden; bei konventionell gewinnbarem Erdgas ergebe sich ein Anteil von etwa 17 bis 20 %. Das weltweite Gesamtpotenzial an konventionellem Erdgas werde auf etwa 461.000 Mrd. Nm3 geschätzt; dies entspreche knapp 350 Mrd. Tonnen Rohöl. Weltweit gesehen stehe Erdgas also noch länger zur Verfügung. Doch habe in Europa der Markterfolg des Erdgases dazu geführt, dass z. B. die Niederlande, Frankreich, Italien und Großbritannien mehrere Jahrzehnte lang in erheblichem Umfang auf ihr eigenes Erdgas zurückgegriffen hätten; dies sei inzwischen nur noch begrenzt möglich und werde sich in absehbarer Zeit weiter verschlechtern, so dass diese Länder mehr und mehr auf Importe angewiesen sein würden. Auch bei der deutschen Erdgasversorgung sei der Eigenanteil von 25 % zu Anfang der neunziger Jahre auf 17 % im Jahr 2007 zurückgegangen. Damit stelle sich die Frage, aus welchen Weltregionen künftig die wachsende Erdgasnachfrage Europas gedeckt werden könne. Vor ähnlichen Überlegungen stünden auch Länder wie Japan, Südkorea, die USA und China. Immerhin habe der europäische Markt - wegen der in Reichweite liegenden Erdgasfelder von Russland und Nordafrika - Zugang zu etwa 45 % des Gesamt-Erdgaspotenzials. Rechne man noch den Nahen Osten als Liefergebiet hinzu, ergebe sich ein Zugang zu rund 69 % des Welt-Gesamtpotenzials für konventionelles Erdgas. Allerdings versuchten die wichtigen Erdgas-Exportländer inzwischen, ihre Interessen zu bündeln: Russland, der Iran und Katar, die über etwa 60 % der konventionellen Erdgasreserven verfügten, hätten eine Interessengemeinschaft gegründet, in der gemeinsame Strategien abgestimmt werden würden. Zur deutschen Erdgasversorgung hätten im Jahr 2007 zu rund 35 % Russland, zu etwa 25 % Norwegen und zu etwa 18 % die Niederlande beigetragen. Bis zum Jahr 2030 werde wegen des erwartbaren Förderrückgangs in den Niederlanden und in Norwegen die Abhängigkeit von russischem Erdgas weiter zunehmen. Um nicht von möglichen Streitigkeiten bei der Durchleitung russischen Erdgases durch Transitländer wie die Ukraine, Weißrussland, Polen oder Tschechien abhängig zu sein, werde eine weitere Erdgasleitung - die "Nordstream"-Lei42

tung - von Wiborg bei Sankt Petersburg durch die Ostsee unmittelbar zur deutschen Küste gebaut. Weiter solle künftig Erdgas von Aserbeidschan, Iran und Kasachien auch von Südosten her nach Mitteleuropa gelangen: über die "Nabucco"-Ferntransportleitung. Eine zusätzliche Entlastung werde von einem weltweit starken Ausbau der Transportkapazitäten von Flüssigerdgas erwartet: Erdgas könne, wenn es bei Umgebungsdruck auf -161 oC abgekühlt werde, verflüssigt werden; damit verringere sich sein Rauminhalt je Energieinhalt auf fast ein Sechshundertstel gegenüber seinem gasförmigen Zustand bei Umgebungsdruck und 0 oC und könne somit platzsparend in Tankschiffen transportiert werden. Dieses Flüssigerdgas (englisch "Liquefied Natural Gas" - LNG) habe heute einen Anteil von etwa 25 % am weltweiten, grenzüberschreitenden Erdgashandel, der bis zum Jahr 2030 auf etwa 50 % erhöht werden solle. Deutsche Erdgasunternehmen planten, einen LNG-Anlandehafen mit Wiederverdampfungstechnik in Wilhelmshafen zu bauen bzw. sich an entsprechenden Kapazitäten in Rotterdam zu beteiligen. Die wachsenden LNG-Kapazitäten würden zu einer Entspannung des Erdgasmarktes beitragen, da auf diese Weise auch infrastrukturferne Erdgaslagerstätten für den Weltmarkt erschlossen würden. Seit Längerem nutze die deutsche Erdgaswirtschaft u. a. große unterirdische Speicher, um Erdgas saisonal unter hohem Druck zu lagern: überwiegend Kavernenspeicher - also ausgesolte große Salzstöcke - in Nordwestdeutschland, aber auch Aquiferspeicher, bei denen man das Wasser in porösen Schichten durch das Einpressen von Erdgas verdränge. Heute könne in den deutschen Speichern Erdgas für eine Verbrauchszeit von etwa 70 Tagen gespeichert werden. Zurzeit würden die Speicherkapazi-

täten in Deutschland stark ausgebaut, um die Auswirkungen von möglichen Lieferunterbrechungen gering zu halten. Neben dem konventionellen Erdgas gebe es auch Vorkommen an "nicht-konventionellem" Erdgas: Hierzu gehörten Erdgas in dichten Speichergesteinen, in Kohleflözen und in Aquiferen sowie Gashydrate am Meeresgrund in größeren Tiefen. Allerdings seien Abschätzungen der daraus gewinnbaren Erdgasmengen mit großen Unsicherheiten behaftet. Bisher seien nur Techniken für eine Gewinnung von Erdgas aus Kohleflözen und dichten Speichergesteinen vorhanden. Schätzungen gingen von zusätzlichen Ressourcen (ohne Gashydrate und Aquifergas) von etwa 220.000 Mrd. Nm3 (entsprechend rund 165 Mrd. Tonnen Rohöl) aus; dies entspreche etwa der Hälfte des Gesamtpotenzials an konventionellem Erdgas. Sehr ungenaue Abschätzungen lägen über die in Gashydraten und Aquiferen enthaltenen Erdgasmengen vor. Eine kommerzielle Förderung sei in absehbarer Zukunft nicht wahrscheinlich trotz der riesigen Mengen, die im Bereich von 500.000 bzw. 800.000 Mrd. Nm3 (entsprechend rund 380 bis 600 Milliarden Tonnen Rohöl) liegen könnten und damit höher als das Gesamtpotenzial an konventionellem Erdgas sein könnten. Bezogen auf die weltweite Situation der Erdgasversorgung ließen sich die folgenden Schlussfolgerungen ziehen: - Die nachgewiesenen Welt-Erdgasreserven würden - gleich bleibende Förderung vorausgesetzt - bis über die Mitte dieses Jahrhunderts hinaus reichen. Es sei zu erwarten, dass in diesem Zeitraum ein Teil der konventionellen Ressourcen erschlossen und auch die Techniken zur Gewinnung von Erdgas aus Kohleflözen und dichten Speichergesteinen weiter verbessert würden, so dass auch ein steigender Bedarf bis über das Jahr 2050 hinaus gedeckt werden könne. - Erdgas sei nach geologischen Maßstäben in genügenden Mengen vorhanden, um noch über Jahrzehnte die Versorgung der Verbraucher zu gewährleisten. - Aus heutiger Sicht könne ein "normal" steigender Erdgasbedarf für die meisten Erdgasmärkte durch zusätzliche Lieferungen aus klassischen und aus neuen Exportländern gedeckt werden.

Erdgasspeicherkapazitäten in Europa (insgesamt: 62,6 Mrd. Nm3)

- Wegen der zum Teil großen Entfernungen werde der Erdgaspreis durch die im Vergleich zu Erdöl und Kohle deutlich höheren - Transportkosten maßgeblich beeinflusst. Der Transport werde auch

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künftig in großem Umfang in Ferntransportleitungen erfolgen. Jedoch sei mit einem starken Anstieg des Flüssigerdgas(LNG)-Transports zu rechnen.

perelektrolyt-Sensorelementen zu vermeiden, die fest installiert werden könnten und eine zeitgleiche Messung und Signalverarbeitung ermöglichten.

- Der Aufbau neuer Kapazitäten für die Förderung und den Transport von Erdgas erfordere hohe Finanzmittel. Um die großen Investitionen sicherzustellen, sei ein entsprechendes Erdgas-Preisniveau notwendig. Erdgas werde also in Zukunft keine "Billig-Energie" sein können.

Sensortechnik für optimale Verbrennung und geringe Kesselwandkorrosion Der sechste Beitrag im VU-Kolloquium wurde am 13. Januar 2010 von Dipl.Ing. Ulli Kunstfeld vom Institut für Raumfahrtsysteme (IRS) der Universität Stuttgart über das Thema "Einsatz von CO- und O2-Sensoren aus der Raumfahrt zur Kesselwandüberwachung in Kraftwerken” gehalten. Im ersten Teil seines Vortrags wies der Referent auf die Tätigkeitsfelder des Instituts für Raumfahrtsysteme (IRS) der Universität Stuttgart hin. Dort würden u. a. Aufgaben der Flugzeugastronomie, der Raumtransporttechnik, der Raumfahrtsysteme und der Kleinsatelliten, der Astronautik und der Raumstationen bearbeitet. Als Beispiele benannte er Teilgebiete wie etwa Lebenserhaltungssysteme für Raumstationen, zu der z. B. die Abwasseraufbereitung zur Gewinnung von Trinkwasser gehöre. Auch die In-situ-Gassensorik sei ein Aufgabenfeld am IRS. Damit sei es z. B. möglich, Plasmazustände zu erfassen, die bei der Simulation des Wiedereintritts von Raumflugkörpern in die Erdatmosphäre von Interesse seien. Mit solchen neu entwickelten Lambda-Sonden könne man "vor Ort" auch zahlreiche andere messtechnische Aufgaben lösen. Gegenüber herkömmlichen Lambda-Sonden könne man das Gewicht und den Leistungsbedarf stark verringern und messtechnisch ohne Referenzluft auskommen. Einsatzfelder von In-Situ-Gassensoren seien z. B. Brennstoffzellen und Leckortungsgeräte ("Schnüffelgeräte"). Ein weiteres Einsatzgebiet könne sich der In-situ-Gassensorik bei der Regelung von Feuerungsanlagen hinsichtlich der Verminderung von Abgasverlusten und Schadstoffemissionen durch eine nah stöchiometrische vollständige Verbrennung eröffnen (bei einem Luftverhältnis Lambda von nur wenig größer als 1). Nunmehr lägen hiermit erste Erfahrun-

Dipl.-Ing. Ulli Kunstfeld gen bei Öl- und Gasfeuerungen, bei Holzpellets- und Holzhackschnitzel-Kesseln und bei steinkohlebefeuerten Kraftwerkskesseln vor. Bei Großkraftwerkskesseln konnte Dipl.-Ing. Kunstfeld nunmehr mit seinen Untersuchungen positive Ergebnisse hinsichtlich der Detektion von Betriebszuständen nachweisen, die es dem Betreiber ermöglichen, Maßnahmen zur Erhöhung des feuerungstechnischen Wirkungsgrads, zur Verminderung der Ballastluft und zur Vermeidung korrosiver Vorgänge zu ergreifen. Aus technischer und wirtschaftlicher Sicht sei auch die Vermeidung der Hochtemperaturkorrosion an den Innenwänden von Kraftwerkskesseln wichtig: Werkstofftechnisch erwünscht sei die Ausbildung und die Erhaltung einer stabilen Oxidschicht an der Oberfläche der Kesselrohrwandungen, die bei den dortigen hohen Temperaturen das Material schütze. Wenn jedoch bei der Verbrennung eine reduzierende Atmosphäre entstehe - also das Abgas infolge unvollständiger Verbrennung auch nennenswerte Mengen an Kohlenmonoxid (CO) enthalte und der Anteil an Sauerstoff (O2) im Abgas gering sei - , entziehe das CO der gewünschten Oxidschicht auf der Kesselrohrwandung den Sauerstoff, der Stahl liege blank, und es komme zu starken Korrosionen. Als werkstofftechnisch kritisch gälten Volumenanteile von CO > 0,5 % und von O2 < 1 %. Beim heutigen Betrieb von Kraftwerkskesseln würden an den gefährdeten Stellen Stichproben der Abgase genommen, über eine Vielzahl von Schläuchen abgeführt und analysiert. Dabei sei ein deutlicher Zeitverzug hinsichtlich der Auswertung und Umsetzung in geeignete Signale zur Korrektur des Feuerungsbetriebs in Kauf zu nehmen; auch müsse die Probennahme an wechselnden Stellen durchgeführt werden. Das Ziel sei, diese Nachteile mit Hilfe der nun verfügbaren In-situ-Tauchsonden mit Festkör-

Der Referent ging im Folgenden auf diese Sensoren ein und beschrieb deren Aufbau, Wirkungsweise und Herstellung. Festkörperelektrolyten - z. B. aus Zirkondioxid (ZrO2) - ermöglichten einen Transport elektrischer Ladungen über Kristallgitterdefekte; hierzu seien die Kristallgitter zu dotieren (also mit Fremdatomen wie etwa Ytttrium zu "verschmutzen"), um damit gewünschte Fehlstellen zu erzeugen. In Festkörperelektrolyten entstehe eine merkliche elektrische Leitfähigkeit erst bei höheren Temperaturen; deshalb seien die Sensoren ständig mit kleinen elektrischen Strömen zu beheizen. Der Festkörperelektrolyt befinde sich zwischen zwei Elektroden (Kathode und Anode), die z. B. aus Platin bestehen könnten. Komme ein Sensor z. B. mit 450 0C heißem Sauerstoff in Berührung, gebe der Sauerstoff elektrische Ladung an die Kathode ab, und es fließe ein Strom. Die entstehende Spannung könne gemessen und als Messsignal verwendet werden. Ein anderer Sensor-Typ gestatte eine Messung des Stroms (amperometrische Messung). Bei der Beschreibung von Sensoreigenschaften gehe es z. B. auch um die Erfassung der vorhandenen Diffusionsbarrieren für den Fluss elektrischer Ladungen mit Hilfe des Fick´schen Diffusionsgesetzes. Im Folgenden machte Dipl.-Ing. Kunstfeld auf die Fertigungstechnik aufmerksam, die zur Herstellung von Sensoren eingesetzt werde. So würden die für den Sensor notwendigen Werkstoffe und Geometrien im Siebdruck auf ein geeignetes keramisches Trägermaterial aufgebracht und dotiert; nach einer Wärmebehandlung und Versiegelung mit einer Schutzschicht würden die - wegen ihrer kleinen Baugröße in großer Stückzahl auf der Keramikplatte angeordneten - Sensoren über ein vorgeritztes Gitternetz auf dem Substrat vereinzelt bzw. herausgebrochen und dann nachbehandelt.

Rohre eines Kraftwerkskessels

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selwandungen montiert. Die Messrohre schützten die Sensoren vor Wärmestrahlung und erlaubten es, die Sensoren in einer Entfernung von nur rund 20 cm von den Abgasen im Feuerungsraum anzuordnen, so dass eine praktisch zeitgleiche Messung der CO- und O2-Konzentrationen im Abgas möglich sei.

Sensorelement KombiSen COe und O2

Er stellte Diagramme vor, mit denen sich das Ansprechverhalten von Sensoren auf variable O2- und CO-Konzentrationen erfassen lasse; als Ausgangsgrößen seien Spannung oder Strom geeignet. Im letzten Teil seines Vortrags schilderte der Referent die Erfahrungen, die er im Steinkohlekraftwerk Zolling bei München sammeln konnte. Dieses - vor etwa 25 Jahren in Betrieb gegangene - Kraftwerk verfüge über eine elektrische Leistung von 450 MW. Im Kessel seien 20 Drallbrenner auf 4 Ebenen angeordnet. Es werde ganz überwiegend Steinkohle, zusätzlich aber auch Petrolkoks und Klärschlamm verfeuert. Unter Höchstlast würden etwa 30 kg Steinkohle je Sekunde verbrannt. Die Verbrennungstemperaturen erreichten etwa 1300 0C. Weiter beschrieb er die von ihm durchgeführten mehrjährigen Versuche zur Feuerungsüberwachung mit Hilfe zahlreicher In-situ-Tauchsonden mit Festkörperelektrolyt-Sensorelementen und die dabei gesammelten Erfahrungen. Die Sensoren könnten einer Betriebstemperatur von etwa 450 oC ausgesetzt werden und wiesen dabei eine Standzeit von deutlich über 24 Monaten auf. Ein Hauptaugenmerk sei auf die Konstruktion von speziellen, hochtemperaturfesten Messrohren gelegt worden; diese seien in den Kes-

Zur Auswertung der Messsignale sei eine Elektronik entwickelt worden. Dipl.Ing. Kunstfeld beschrieb zudem die optische Umsetzung der Messergebnisse für das Personal in der Kraftwerks-Leitwarte und die Zuordnung zu drei Zuständen: grün (erwünschter guter FeuerungsBetriebszustand), gelb (Übergang in einen unerwünschten Betriebszustand) und rot (unerwünschter Betriebszustand). Er verwies auf weitere Rückschlussmöglichkeiten aus den gewonnenen Signaldaten, wobei deren Änderungsgeschwindigkeit eine Rolle spiele. Zum Abschluss zeigte er die weiteren Entwicklungsziele des nunmehr erprobten und in der Praxis bewährten, sensorgestützten Messsystems auf. Hierzu gehörten u. a. die weitere Qualifikation des Systems, die Entwicklung des Systems zur Serienreife, der mögliche Einsatz eines Kombinationssensors, die weitere Miniaturisierung des Systems, Verbesserungen beim Gehäuseaufbau sowie eine weiterentwickelte Elektronik. O Impressum: Redaktion: Prof. Dr.-Ing. Martin Dehli (De) Bilder: Alber, BMU, Bild der Wissenschaft, Bundespresseamt, Bundesbildungsministerium, Dehli, Die Zeit, EnBW, Eser, EU, Fachverband SHK, Gaus, Grundfos, Haus der Geschichte der BR Deutschland, Goethe-Institut, IFEU, Imtech, IPCC, IRS, ITGA, MWK, Linde / SBT, Oettinger, Rheinischer Merkur, Roth, Staatsministerium BW, Schneiderpress, Vattenfall, Visiofacto, Walter Meier, Wilh. Busch Satz und Gestaltung: Martin Dehli Hochschule Esslingen (HE), University of Applied Sciences, Fakultät Versorgungstechnik und Umwelttechnik, Kanalstraße 33, 73728 Esslingen Tel. (0711) 397-3453; Fax (0711) 397-3449 e-mail: [email protected]

Anschriftenänderungen:

In-situ-Tauchsonde mit Festkörperelektrolyt-Sensorelement am Kessel 44

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Versorgungstechnik- und Umwelttechnik-Kolloquium im Sommersemester 2010 Auch im Sommersemester 2010 finden an der Hochschule Esslingen wieder sechs Veranstaltungen im Rahmen des “Versorgungstechnik- und Umwelttechnik-Kolloquiums" statt, die von allen Interessenten und Interessentinnen kostenlos besucht werden können. Dies sind die einzelnen Vorträge: Mittwoch, 24. März 2010, 17.30 Uhr: Innovationsprojekte in einem Energieversorgungsunternehmen Dipl.-Ing. Christian Schäfer Konzernabteilung Technologie und Innovation, MVV Energie AG, Mannheim Mittwoch, 7. April 2010, 17.30 Uhr: Umwelttechnische Verfahren bei der Grundwasserreinigung und Altlastensanierung Dipl.-Ing. Steffen Hetzer, Züblin Umwelttechnik GmbH, Stuttgart Mittwoch, 21. April 2010, 17.30 Uhr: Luft-, Entstaubungsund Filtrationstechniken in der industriellen Anwendung Dr. Volker Bauer, Geschäftsführer, LTG Aerob Filtration Solutions GmbH, Renningen Mittwoch, 12. Mai 2010, 17.30 Uhr: Raumluftkonzepte für besondere Gebäude mit höchsten Komfortanforderungen Dr.-Ing. Bernd Essig, Geschäftsführer, Scholze Consulting GmbH Mittwoch, 9. Juni 2010, 17.30 Uhr: Druckmessverfahren für den hydraulischen Abgleich und die Optimierung von Heizungsanlagen Prof. Dr.-Ing. Thomas Rohrbach, Fakultät Versorgungstechnik und Umwelttechnik (VU), Hochschule Esslingen Mittwoch, 16. Juni 2010, 17.30 Uhr: Energiemanagement und Wärmecontracting: Herausforderungen für Energieversorgungsunternehmen Dipl.-Ing. Kai Wiedemann, Bereich Energiemanagement und Wärmecontracting, EnBW Regional AG Die Vorträge finden jeweils um 17.30 Uhr im Gebäude 8, Hörsaal S 8.008, am Standort Stadtmitte der Hochschule Esslingen (HE) statt. De

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