Bessere Planung mit mehr Bürgerbeteiligung. Gutachten

August 11, 2017 | Author: Helge Kappel | Category: N/A
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Bessere Planung mit mehr Bürgerbeteiligung Gutachten

IMPRESSUM Herausgeberin

Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion Platz der Republik 1 11011 Berlin www.gruene-bundestag.de

Verantwortlich

Ingrid Hönlinger MdB Sprecherin für Demokratiepolitik und Dr. Anton Hofreiter MdB Sprecher für Verkehrspolitik

Redaktion

Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion Platz der Republik 1 11011 Berlin E-Mail: @bundestag.de Stefan Vinzelberg

Bezug

Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion Info-Dienst Platz der Republik 1 11011 Berlin Fax: 030 / 227 56566 E-Mail: [email protected]

Schutzgebühr

€ 1,50

Redaktionsschluss

August 2012

INHALT | BESSERE PLANUNG MIT MEHR BÜRGERBETEILIGUNG Grußwort................................................................................................................ 3

Beschluss der Bundestagsfraktion - Positionspapier ....................................... 4 Bürgernahe und effiziente Planung im 21. Jahrhundert ................................. 4

Neues Planungsverfahren für Infrastrukturprojekte ........................................ 22 Rechtsgutachten i.A. der Bundestagsfraktion

Förderung der Mediation in Planungsverfahren Vorschläge für den Gesetzgeber ....................................................................... 75 Gutachten i.A. der Bundestagsfraktion

4 | Bessere Planung mit mehr Bürgerbeteiligung | Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion

GRUßWORT Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Freundinnen und Freunde, wo soll das nur hinführen, wenn plötzlich Jede und Jeder sich direkt an Entscheidungen der öffentlichen Hand beteiligt? Vielen langjährigen EntscheidungsträgerInnen dürfte diese Vorstellung Kopfschmerzen bereiten. Die grüne Antwort auf diese Frage ist ganz klar: Zum Erfolg. Das geltende Planungsrecht ist ineffizient. Im Planungsrecht es fehlt an einer umfassenden Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger auf Augenhöhe. Das zeigen Fehlplanungen bei Infrastrukturgroßprojekten. Und das zeigt der berechtige Protest der Bürgerinnen und Bürger am Ende jahrelanger intransparenter und kostenintensiver Planungs- und Bauprozesse.

Öffentlichkeitsbeteiligung ermöglicht klügere Entscheidungen. Wer, wenn nicht die von Vorhaben unmittelbar Betroffenen, wären besser geeignet, um Ideen in das entsprechende Projekt einfließen zu lassen und um von Anfang an Herausforderungen und Konfliktpotenziale eines Vorhabens zu identifizieren? Der/Die beste PlanerIn kann nicht die Kompetenz und die langjährige Erfahrung der Bürgerinnen und Bürger ersetzen. Menschen, die seit Jahren in einem Viertel wohnen, kennen die Laufwege und die Problemfelder. Vor allem wissen sie, was erforderlich ist, um das Leben an dieser Örtlichkeit angenehmer zu machen. Es kann nur von Vorteil sein, wenn viele kreative Köpfe gemeinsam an Lösungen arbeiten. Dabei kommt es auch darauf an, den Beteiligungsprozess optimal zu gestalten. Öffentlichkeitsbeteiligung ist kein Allheilmittel, denn es wird immer unterschiedliche Interessen geben. Wo aber die Bürgerinnen und Bürger mitgestalten und mitentscheiden konnten, verbessern sich Qualität und Akzeptanz von Planungen. Dass ein Projekt in letzter Minute durch Bürgerproteste

oder Volksabstimmungen verhindert wird, ist dann unwahrscheinlich. Außerdem ermöglicht die Öffentlichkeitbeteiligung eine lebendige Demokratie. Sie kann helfen, das Vertrauen in unsere Demokratie und in die Verwaltung zu stärken. Wir wollen die Menschen ermutigen und darin bestärken, sich an Planungen und Entscheidungsprozessen zu beteiligen. Bisweilen ist in Planungsverfahren wechselseitig ein fehlendes Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger und der Verwaltung zu beobachten. Wir sehen daher neben einer Verfahrensreform auch die Notwendigkeit einer beteiligungsfreundlichen Verwaltungskultur. Die Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen will eine grundlegend andere Entscheidungskultur etablieren. Unser Konzept für eine effektive Öffentlichkeitsbeteiligung bei gleichzeitiger Beschleunigung von Planungsprozessen im September 2011 beschlossen, leitet diesen Reader ein. Wir plädieren darin für größtmögliche Transparenz in Planungsverfahren, für eine neue Struktur des Planungsrechts und für eine frühzeitige und umfassende Beteiligung der Öffentlichkeit. Die im Reader folgenden Gutachten von Professor Thomas Groß, Professor Bernd Holznagel und Professor Ulrich Ramsauer zeigen Ideen auf, wie die einzelnen Planungsschritte bürgerfreundlicher und effektiver gestaltet werden können und wie die Mediation als alternative Methode der Konfliktlösung wirksam in Planungsprozessen verankert werden kann. Die Gutachten sind ein Anstoß zur Diskussion und werden uns für die weitere Konkretisierung unserer Konzepte wichtige Anregungen liefern. Wir wünschen Ihnen und Euch mit diesem Reader ein angeregtes Lesen und freuen uns über Ihre/Eure Ideen zu einem grünen Fahrplan der Öffentlichkeitsbeteiligung. Ihre und Eure Ingrid Hönlinger und Anton Hofreiter

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Bürgernahe und effiziente Planung im 21. Jahrhundert

Beschluss der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen vom 1. September 2011

vorgelegt von der Projektgruppe Demokratische Kultur, Bürgerbeteiligung und effiziente Planung (Der Projektgruppe gehören die MdB Toni Hofreiter (Leitung), Ingrid Hönlinger, Bärbel Höhn, Beate Müller-Gemmeke und Wolfgang Wieland an, zusätzlich mitgearbeitet hat Ingrid Nestle)

Ob es um Stuttgart 21, den Berlin-Brandenburger Großflughafen BER, neue Stromtrassen, Kraftwerke, Umgehungsstraßen oder Bauprojekte in Städten geht: Überall in Deutschland wollen Bürgerinnen und Bürger bei der Planung und Ausführung von Projekten stärker beteiligt werden. Sie fordern frühzeitige Information und echte Mitsprache bei Entscheidungen. Zu Recht, meinen wir Grüne, denn zahlreiche Beispiele zeigen: Der kritische Blick von Bürgerinnen und Bürgern hat schon oft Fehlplanungen verhindert. Mit ihrem Sachverstand und dem oft während ihres bürgerschaftlichen Engagements angeeigneten Fachwissen kommen sie nicht selten auf umwelt- und sozialverträglichere Alternativen. Häufig kosten solche Projekte sogar weniger und sind schneller zu realisieren als das, was die Vorhabenträger ursprünglich geplant hatten.

Bürgerbeteiligung ist kein Bremsklotz, vielmehr kann sie zum Turbo für Projekte werden und sie besser, schneller und preiswerter machen. Sie kann aber noch viel mehr: Je öfter und je stärker Bürgerinnen und Bürger sich aktiv an politischen Entscheidungsprozessen beteiligen, desto geübter werden sie im Umgang mit dem Instrumentenkasten demokratischer Beteiligung. Partizipation sollte schon vom Jugendalter an gelernt und gelebt werden. So wächst auch ganz allgemein das Be-

wusstsein für Demokratie und Gemeinsinn. Mehr und bessere Bürgerbeteiligung ist eine Frischzellenkur für die Demokratie und ein starkes Gegengift gegen Politikverdrossenheit.

Parlamente setzen sich aus den gewählten Vertreterinnen und Vertretern des Volkes zusammen. Parlamentsbeschlüsse brauchen aber in vielen, vor allem strittigen Fällen eine erhöhte demokratische Legitimierung, auch das zeigen Beispiele wie Stuttgart 21. Politische Partizipation findet heute längst nicht mehr nur in und über Parteien statt. Gerade wenn es um konkrete Projekte geht, organisieren sich Projekt-Befürworter wie -Gegner oftmals in Bürgerinitiativen, Vereinen und Verbänden. Sollen strittige Vorhaben nicht über die Köpfe der Bürgerinnen und Bürger hinweg, sondern im gesellschaftlichen Miteinander umgesetzt werden, müssen diese Interessen gleichberechtigt eingebunden werden.

Im bestehenden Planungsrecht ist Bürgerbeteiligung äußerst schwach ausgeprägt, darüber hinaus sind die Verfahren häufig ineffizient, langwierig und lückenhaft. Die Bundesregierung und die Regierungsfraktionen bekennen sich jetzt unter dem Druck zunehmender Bürgerproteste und deutlich sinkender Zustimmung angeblich zu einer Politik mit stärkerer Bürgerbeteiligung. Das sind jedoch nur Lippenbekenntnisse. In Wirklichkeit will Schwarz-Gelb unter dem Deckmäntelchen der Planungsbeschleunigung den Status Quo zementieren beziehungsweise Bürger- und Umweltinteressen sogar rechtlich schlechter stellen. So sollen die Behörden weiterhin nach Gutdünken entscheiden, ob sie einen Erörterungstermin anberaumen oder nicht. Die Revisionsinstanz vor Gericht soll gestrichen, das Raumordnungsverfahren und das Verbandsklagerecht sollen abgeschafft werden.

Dahinter steckt auch die Unterstellung, Bürgerinnen und Bürger würden immer nach dem SanktFlorians-Prinzip entscheiden. Wie falsch das ist, zeigen aktuell die Bürgerinitiativen an der Rheintalbahn zwischen Karlsruhe und Basel. Sie erken-

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nen ausdrücklich an, dass der Ausbau der Schienenstrecke grundsätzlich notwendig ist, fordern aber mit Nachdruck eine lärm- und umweltschonendere Ausführung des Projektes. Auch beim Netzausbau erklären viele Initiativen, dass sie an einem sinnvollen und transparenten Ausbau konstruktiv mitarbeiten würden, wenn man sie denn ließe.

Bürgerfreundliche Projektplanungen gibt es nicht umsonst. Aus unserer Sicht ist öffentliches Geld aber weit besser in Planungsqualität und breiter Bürger- und Öffentlichkeitsbeteiligung angelegt als in kosten- und personalintensiven, langwierigen Verfahrensstreitigkeiten oder gar in extrem teuren Polizeieinsätzen wie in Gorleben, Stuttgart und anderen Orten. Dabei wiegen, wenn Konflikte eskalieren, die finanziellen Folgen noch am wenigsten schwer. Der Schaden, den Gemeinwesen, Demokratie und das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in den Staat erleiden, wenn Menschen verletzt werden und Bilder wie die von der gewaltsamen Räumung friedlicher Demonstrantinnen und Demonstranten im Stuttgarter Schlossgarten durchs Land gehen, ist kaum zu ermessen. So etwas darf sich nie wiederholen.

Auch und gerade Projekte im Zusammenhang mit dem Umstieg auf Erneuerbare Energien werden von den Bürgerinnen und Bürgern vor Ort oft kritisch gesehen, sei es die Errichtung eines Windparks, der Bau neuer Speicherbecken oder Stromnetze. Wir wollen keinen Rabatt für „grüne“ Projekte, wir messen nicht mit zweierlei Maß bei der Bürgerbeteiligung. Wir nehmen die Einwände der Bürgerinnen und Bürger gegen Projekte, die wir für notwendig halten, genau so ernst wie die Proteste gegen Vorhaben, die wir ablehnen. Allerdings können wir uns vorstellen, für dringende Projekte intensive Verfahren mit besonders weitreichenden Angeboten der Bürgerbeteiligung zu wählen. Zum Beispiel können moderne Verfahren der Bürgerbeteiligung bei Stromnetzprojekten über die Netzentgelte finanziert und so besonders weitgehend und mit vielen Möglichkeiten für die Beteiligung der Menschen vor Ort durchgeführt wer-

den. Diese intensive Bürgerbeteiligung soll dabei nicht zu einer Verlangsamung der Planungsprozesse führen, sondern ganz im Gegenteil zu einer Beschleunigung.

Auch moderne Planungsprozesse mit einem deutlichen Mehr an Bürgerbeteiligung werden nicht immer dazu führen, dass am Ende alle zufrieden sind. Darüber sind wir uns im Klaren. Umso mehr brauchen wir in Planungsverfahren echte Transparenz, praktikable direktdemokratische Elemente, ernsthafte Öffentlichkeitsbeteiligung, taugliche Konfliktlösungsverfahren und effizienten Rechtsschutz. Wenn die Bürgerinnen und Bürger sich auf Augenhöhe mit den planenden Behörden begegnen und alle Argumente sorgsam geprüft und abgewogen werden, schafft das Akzeptanz für Entscheidungen, selbst wenn am Ende eines Verfahrens keine Konsenslösung gefunden werden kann.

Wir Grünen machen konkrete Vorschläge für eine bürgernahe und effiziente Planung im 21. Jahrhundert.

1. Eine moderne Demokratie braucht mehr Transparenz.

Die Transparenz bei der Planung von Großprojekten, wie auch von vergleichsweise kleinen Vorhaben, ist in Deutschland an vielen Stellen mangelhaft. Behörden sind bei der Veröffentlichung von Dokumenten oft sehr zurückhaltend. Neue Möglichkeiten zur Information und Transparenz von öffentlichen Daten im Internet (Open Data) werden – anders als z.B. in Großbritannien und den USA – in Deutschland bisher kaum genutzt. Das wollen wir ändern. Open Government und Open Data müssen Teil einer modernen Verwaltungskultur werden, die Transparenz, Kommunikation und Partizipation der Bürgerinnen und Bürger als Chance und als selbstverständlich begreift.

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Durch das Informationsfreiheitsgesetz (IFG) – eine Errungenschaft grüner Regierungsbeteiligung – haben die Bürgerinnen und Bürger auf Bundesebene gegenüber der öffentlichen Verwaltung bereits ein Recht auf Zugang zu Dokumenten. In der Praxis lässt sich dieser Anspruch aber oft nicht realisieren. Behörden begründen die Ablehnung von Anträgen auf Information häufig mit dem Verweis auf Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse bzw. finanzielle Interessen des Bundes oder sie berufen sich auf ein laufendes Verfahren. Hinzu kommt, dass einige Bundesländer bisher keine gesetzliche Regelung analog zum IFG haben (z. B. Bayern und – bisher – Baden-Württemberg). Das ist nicht hinnehmbar.

Wir wollen eine Informationsfreiheit 2.0. Das bedeutet für uns mehr Rechte auf Zugang zu Informationen der öffentlichen Verwaltung. So soll die Verwaltung nur noch in begründeten Einzelfällen Informationen verweigern können. Dabei müssen die Informationsinteressen der Bürgerinnen und Bürger mit Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen und finanziellen Interessen der öffentlichen Hand im Einzelfall abgewogen werden. Bereits 2008 haben wir gefordert, das Grundrecht auf Zugang zu Daten öffentlicher Stellen in das Grundgesetz aufzunehmen. Fünf Jahre nach Einführung des IFG arbeiten wir an der notwendigen Reform der Informationsfreiheit in Bund und Ländern. Ob die bessere Lösung ein einheitliches Informationszugangsgesetz ist, das auch Umwelt- und Verbraucherinformationen umfasst, wollen wir prüfen.

fraktion klagt deswegen vor dem Bundesverfassungsgericht.

Informationsfreiheit 2.0 heißt aber auch, dass die Verwaltung von sich aus Informationen veröffentlicht. Dazu müssen die Daten durch Register für Laien verständlich aufbereitet und zugänglich gemacht werden. Internet und andere moderne Kommunikationsmittel müssen genutzt werden und zwar in einer Form, die den Interessenten auch gerecht wird. Zusätzlich zum Zugang zu Daten brauchen mündige Bürgerinnen und Bürger transparente Planungsprozesse. Dafür wollen wir im formellen Planungsrecht Vorschriften einführen, die Transparenz, Kommunikation und Partizipation verbessern.

Auch Formen der informellen Bürgerbeteiligung wie internetgestützte Dialogforen, Mediation oder Planungszellen machen Prozesse transparenter und effizienter. Beispiele für erfolgreiche, umfassende Beteiligungsverfahren findet man im Bereich des Städtebauförderprogramms Soziale Stadt. Weitere Ansatzpunkte sind: Informationen über Möglichkeiten der Bürgerbeteiligung besser verbreiten, das Auslegen von Planungsunterlagen bürgerfreundlicher gestalten, Wortprotokolle von Erörterungsterminen veröffentlichen oder die Nutzung internetgestützter Dialogprozesse ermöglichen.

Wir fordern: Nach dem Berliner Vorbild und den Erfahrungen des Berliner Wassertisches wollen wir zudem den Zugang zu Verträgen verbessern, die von der öffentlichen Hand mit privaten Unternehmen abgeschlossen wurden. Wie notwendig das ist, zeigt sich etwa daran, dass die Bundesregierung dem Deutschen Bundestag seit Jahren Auskünfte über Unternehmen im Bundesbesitz, wie z.B. die Deutsche Bahn AG, verweigert. Die grüne Bundestags-



die Neuregelung des Informationszugangsrechts, das heißt inbesondere verbesserte Auskunftsansprüche und Modernisierung des Informationsfreiheitsrechts,



mehr Transparenz und Bürgerfreundlichkeit von Planungsverfahren, zum Beispiel längere Auslegungsfristen, Veröffentlichung von amtlichen Bekanntmachungen,

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Planungsunterlagen und Einwendungen über das Internet, •

die Einrichtung einer zentralen Internetplattform, auf der möglichst umfassend große Planungsvorhaben erfasst werden. Hier können sich Bürgerinnen und Bürger informieren, Stellungnahmen zu einzelnen Projekten abgeben und miteinander kommunizieren.

2. Demokratie braucht Dialog: informelle Bürgerbeteiligung, alternative Konfliktlösung und neue Verwaltungskultur.

Eine Vielzahl von Planungsverfahren und zu beachtenden Gesetzen macht es den Bürgerinnen und Bürgern schwer Projektplanungen nachzuvollziehen. Je nach dem, was geplant ist, gelten jeweils unterschiedliche Verfahren: für einen Bebauungsplan nach dem Baugesetzbuch, für eine Straßenplanung nach dem Verwaltungsverfahrensgesetz und dem Fernstraßenausbaugesetz, für die Errichtung einer Mastanlage oder eines Kraftwerks nach dem Immissionsschutzgesetz und für einen Braunkohleabbau nach dem Bundesberggesetz. Darüber hinaus können sich die zu Grunde liegenden Landesgesetze bspw. zur Landesentwicklungsplanung sehr stark unterscheiden. Auch die Öffentlichkeitsbeteiligung ist in den einzelnen Gesetzen unterschiedlich geregelt und für interessierte Bürgerinnen und Bürger sowie Umweltverbände kaum durchschaubar. Der Paragraphendschungel schreckt sie oft ab. Wir wollen prüfen, inwieweit einheitliche Verfahren und Standards der Öffentlichkeitsbeteiligung eingeführt werden können.

Hinzu kommt, dass die Beteiligung der Öffentlichkeit von vielen Behörden häufig nur als lästige Formalie abgehandelt wird und Einwendungen und Stellungnahmen von Bürgerinnen und Bürgern fast nie zu Planänderungen führen, sondern mit vorgeschobenen Begründungen abgelehnt

werden. Anhörungs- und Entscheidungsbehörde, bei einigen Projekten sogar der Vorhabenträger, liegen oft im selben Geschäftsbereich; dadurch sind die Entscheidungen dann bereits vorgeprägt. Entsprechend nimmt die Öffentlichkeit ihre „Beteiligung“ häufig als Farce wahr. Die Akzeptanz für so zustande gekommene Genehmigungen fällt schwer. Die Enttäuschung über diese abgeschottete Verwaltungskultur richtet sich oft nicht nur gegen das Projekt selbst, sondern auch gegen eine politische (Un-)Kultur, die die Anregungen, Sorgen und Wünsche der Bürgerinnen und Bürger nicht ernst nimmt.

Deshalb muss es einen Kulturwandel in den öffentlichen Verwaltungen geben. Beteiligung darf nicht in einem top-down-Ansatz durchgeführt werden und als notwendiges Übel angesehen werden. Sie soll als Bereicherung betrachtet werden. Auch die Politik vor Ort muss einem Mehr an Beteiligung positiv gegenüber stehen, mehr Bürgerbeteiligung wollen und sie auch umsetzen.

Ernsthafte Bürgerbeteiligung bedeutet für uns zunächst einmal, mit modernen Methoden die Voraussetzungen für eine ernsthafte Auseinandersetzung mit den Belangen der Beteiligten in komplexen Verfahren überhaupt erst zu schaffen. Das kann Konfrontationen von vornherein entschärfen, vor allem dann, wenn sich im Vorfeld bereits größere Konflikte abzeichnen.

Wir wollen den Einsatz von Methoden der informellen Bürgerbeteiligung und der alternativen Konfliktlösung weiter ausbauen, um den Dialog zwischen Bevölkerung, Vorhabenträgern und Verwaltung zu verbessern. Zu den informellen Verfahren zählen unter anderem Bürgerbefragungen, Weißbücher und Konsultationen oder internetgestützte Dialogforen. Alternative Konfliktlösungsmethoden sind z.B. Mediation und Schlichtung. Diese Methoden ermöglichen Dialog, Auseinandersetzung sowie den Austausch von Wissen und Informationen zwischen allen Beteiligten auf Augenhöhe. In internetgestützten Dialogforen oder in

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der Mediation treten die Beteiligten nicht als Gegner auf, sondern erarbeiten gemeinsam Lösungen, die sowohl unterschiedliche Individualinteressen als auch unterschiedliche Fachkompetenzen und Perspektiven mit einbeziehen. Die Praxis hat gezeigt, dass die Beteiligten in solchen Prozessen eine sehr viel größere Bereitschaft zeigen, Lösungen auch zu Gunsten eines übergeordneten Allgemeininteresses zu suchen und auch Ergebnisse besser akzeptieren, die ihren Interessen nicht vollständig entsprechen.

Der Einsatz informeller Methoden der Bürgerbeteiligung darf nicht an Geldmangel scheitern. Zum Beispiel können moderne Verfahren der Bürgerbeteiligung bei Stromnetzprojekten über die Netzentgelte finanziert und so besonders weitgehend und mit vielen Einflussmöglichkeiten für die Beteiligten vor Ort durchgeführt. BürgerInnen und Behörden müssen sich auf gleicher Augenhöhe begegnen. Diese intensive Bürgerbeteiligung führt dann nicht einer Verlangsamung, sondern zu einer Beschleunigung der Planungsprozesse.

Um Entscheidungen demokratisch zu legitimieren, sollte ein möglichst großer Teil der Bevölkerung einbezogen werden. Mit den herkömmlichen Methoden wird nur ein bestimmter Ausschnitt der Gesellschaft erreicht. Besonders niedrigschwellige Beteiligungsformen sollten angeboten werden, um möglichst alle einzubinden.

Wir fordern:

So können beispielsweise auch Kinder und Jugendliche aus ihrer Perspektive Planungen wertvolle neue Impulse geben. Dafür müssen sie jedoch frühzeitig und auf geeignete Weise an Entscheidungen und Planungen beteiligt werden, die ihre Lebenswelt oder ihre Zukunft betreffen. Für die Sichtbarmachung der Belange von Kindern und Jugendlichen und ihre Beteiligung gibt es je nach Zielgruppe unterschiedliche Methoden wie beispielsweise subjektive Landkarten, Stadtteildetektivprojekte, Lernakademien oder Zukunftswerkstätten. Planungsinhalte, die die Lebenswelt von Kindern und Jugendlichen betreffen, sollten immer in einer verständlichen und altersgerechten Sprache vorgelegt werden.

Aus den verschiedensten Gründen können und wollen sich einige Bürgerinnen und Bürger nicht oder nur passiv an Planungsprozessen beteiligen. Auch diese „Nichtbeteiligung“ gilt es zu berücksichtigen. Besonders niedrigschwellige Beteiligungsformen sollten angeboten werden, um möglichst alle einzubinden.



dass ein Katalog von Methoden der informellen Bürgerbeteiligung und alternativen Konfliktlösung für die Verwaltung erarbeitet wird. Darüber hinaus wollen wir prüfen, inwieweit Ergebnisse aus solchen Verfahren rechtlich an das formelle Verfahren angebunden werden können,



dass Verwaltungsbedienstete in Methoden informeller Bürgerbeteiligung und alternativer Konfliktlösung geschult werden und die Lehrpläne für die Aus- und Fortbildung entsprechend überarbeitet werden,



dass die Kosten und personellen Mittel für den Einsatz informeller Methoden der Bürgerbeteiligung und alternativer Konfliktlösung bereits bei der Planung einkalkuliert werden



dass Behörden angemessen ausgestattet werden, um Verfahren möglichst zügig und transparent durchzuführen.

3. Das Bau-und Planungsrecht braucht mehr Effizienz, Partizipation und direkte Demokratie.

Großvorhaben - aber auch kleinere, auf kommunaler Ebene angesiedelte Bauvorhaben - darf in

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Deutschland nur realisieren, wer einen teilweise mehrstufigen Planungsprozess durchlaufen hat. Dies gilt für Vorhaben von Privaten genauso wie für solche der öffentlichen Hand. Das Planungsrecht ist in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder überarbeitet worden. Die Europäische Union hat mehrfach vorgegeben, dass dabei die Bürgerbeteiligung und der Natur- und Umweltschutz gestärkt werden müssen. Das ist oft nur widerwillig und nicht immer logisch konsistent in deutsches Recht umgesetzt worden.

Wir sind daher der Meinung, dass wir eine umfassende Überarbeitung des Bau- und Planungsrechts brauchen, mit dem Ziel die Bürgerinnen und Bürger zu Partnern im Planungsprozess zu machen. Modernisierungsbedarf besteht insbesondere im Raumordnungsrecht, denn die Raumordnungsgesetze und die Landesplanungsgesetze regeln die Aufstellung von Raumordnungsplänen und bilden die gesetzlichen Grundlagen für Raumordnungsverfahren. Auch das Verwaltungsverfahrensrecht und die Fachgesetze, wie z.B. das Fernstraßenausbaugesetz müssen bürgerfreundlicher gestaltet werden, denn sie bilden die Grundlagen für Planfeststellungs- und Plangenehmigungsverfahren. Längst überfällig ist die Modernisierung des Bergrechts, denn es ist die gesetzliche Grundlage für die Genehmigung u.a. von Braunkohle-, Kies- und Gesteinsabbau. Auch das Immissionsschutzrecht muss reformiert werden. Denn das Bundesimmissionsschutzgesetz und die zugehörige Bundesimmissionsschutzverordnungen sind die Grundlage für immissionsschutzrechtliche Genehmigungsverfahren, beispielsweise für Kraftwerke, Windkraftanlagen und Großviehanlagen. Nicht zuletzt muss das Baugesetzbuch überarbeitet werden. Es ist die Rechtsgrundlage für die verbindliche Bauleitplanung und Baugenehmigungen und wird beispielsweise für Kraftwerksbauten, kommunale Straßenbauvorhaben und Bauprojekte in Städten angewandt.

Wir fordern:



dass Fristenregelungen die Dauer von Verfahren begrenzen,



dass Vorhabenträger, Entscheidungsbehörde und Anhörungsbehörde klar voneinander getrennt werden,



dass eine zeitsparende und effiziente Beteiligung der Träger öffentlicher Belange erfolgt, z.B. durch ihre gleichzeitige Beteiligung nach dem Prinzip des so genannten Sternverfahrens. Darüber hinaus wollen wir prüfen, ob eine konzentrierende Genehmigungswirkung, die es bereits für Planfeststellungsverfahren gibt, auch auf andere Verfahren ausgedehnt werden kann.

3.1 Bürgerinnen und Bürger früh beteiligen, Entscheidungen revidierbar machen.

Die Sinnhaftigkeit eines Vorhabens wird häufig nicht hinreichend untersucht. Die betroffenen Bürgerinnen und Bürger haben meist erst dann die Möglichkeit, sich in den Planungsprozess einzubringen, wenn die Entscheidungen über das „Ob“ und auch häufig sogar schon über das „Wie“ längst gefallen sind. Da zu Notwendigkeit, Trassenführung oder Standort und Dimensionierung der Projekte keine Bürgerbeteiligung stattfindet, bleibt häufig nur der Weg, das Naturschutzrecht zu bemühen. Das führt dann zu Schlagzeilen wie „Juchtenkäfer soll Bahnhof verhindern“. Intransparente Verwaltungsentscheidungen, bürgerunfreundliche Ankündigungen über Verfahren sowie enge Zeitrahmen für Einwendungen und Stellungnahmen erschweren die Öffentlichkeitsbeteiligung zusätzlich. Um Bürgerbeteiligung auszubremsen, werden teilweise sogar längst überholte Rechtsvorschriften herangezogen, die nur zu Beginn der Planung noch gültig waren. So findet in Gorleben keine formale Bürgerbeteiligung nach Atomrecht statt, weil das stattdessen angewandte Bergrecht vor Jahrzehnten noch keine Bürgerbeteiligung vorsah.

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Aus all diesen Gründen muss die Öffentlichkeitsbeteiligung deshalb bereits zum frühestmöglichen Planungszeitpunkt ansetzen. In aufeinander folgenden Verfahren müssen das „Ob“ und das „Wie“ eines Projektes mit den Bürgerinnen und Bürgern diskutiert werden. So können auch viel Zeit und Geld eingespart werden. Denn eine frühzeitige Beteiligung bedeutet, dass noch wirkliche Alternativenprüfungen erfolgen und Fragen offen diskutiert werden können – z.B. ob es nicht besser ist, statt einer neuen Autobahn die parallel verlaufende Bundesstraße auszubauen, wie im Fall der A 14 zwischen Magdeburg und Schwerin oder der A 44 zwischen Kassel und Eisenach.

Zeitgemäße Öffentlichkeitsbeteiligung erfordert ein Informationsgleichgewicht zwischen Vorhabenträger, verfahrensführender Behörde und Öffentlichkeit sowie ausreichenden Mitteln, beispielsweise für unabhängige gutachterliche Hilfe. Je nach Verfahren sollten die Kosten dem Vorhabenträger übertragen oder ein Haushaltsposten in der öffentlichen Verwaltung dafür zur Verfügung gestellt werden.

Vorhabenträger haben oft genug bis zum Genehmigungsverfahren schon viel Geld in die Planung investiert. Entsprechend ungern werden derartige Entscheidungen rückgängig gemacht. Nur noch minimale Korrekturen, beispielsweise zum naturschutzrechtlichen Ausgleich oder Lärmschutz, sind dann noch möglich. Entscheidungen müssen aber umkehrbar sein, wenn sich neue Fakten ergeben oder die Kosten zur Umsetzung eines Vorhabens den bis dato vorgesehenen Rahmen sprengen.

Bürgerinnen und Bürger haben nicht nur Privatinteressen, Naturschutzverbände haben nicht nur in naturschutzfachlichen Themen Expertise und Unternehmen sind nicht immer nur an Gewinnmaximierung interessiert. Daher sollten Regelungen, die Beteiligung beschränken (so genannte materielle Präklusion) abgeschwächt werden. Ein „Jedermannsrecht“ zur Verfahrensbeteiligung sollte eingeführt werden. Sachliche Einwände sollen

von allen bis zum Abschluss eines Verfahrens eingebracht werden können.

Wir fordern:



dass Bürgerinnen und Bürger sowohl bei der Entscheidung über das „Ob“ (Bedarfsermittlung und Aufstellung der Bedarfspläne) als auch über das „Wie“ (Ausgestaltung der Planungsvorhaben vor Ort) beteiligt werden,



dass in sämtlichen Planungsverfahren die Voraussetzungen für Verhandlungen auf Augenhöhe geschaffen werden,



dass zur guten Praxis auch die Formulierung wesentlicher Planungsinhalte und -entscheidungen in allgemein verständlicher Sprache gehört,



dass Bürgerinnen und Bürgern sowie Nichtregierungsorganisationen künftig umfassend und im Hinblick auf alle Belange beteiligt werden.

3.2 Direktdemokratische Instrumente stärken.

Bürgerinnen und Bürger sollten zu Beginn, aber auch während des Planungsprozesses die Gelegenheit haben, von direktdemokratischen Instrumenten Gebrauch zu machen und über umstrittene Vorhaben abzustimmen. Sie erhalten damit die Möglichkeit, planerische Entscheidungen durch Behörden nicht einfach ungefragt hinnehmen zu müssen, sondern in letzter Konsequenz die Betroffenen über ein Projekt abstimmen zu lassen. Allein die Möglichkeit, das Volk direkt zu einem Projekt befragen zu können, dürfte einen Anreiz für die planenden Behörden schaffen, sich stärker in den Dialog mit den Bürgerinnen und Bürgern zu begeben und Kompromisse zu suchen.

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Die Initiative für Volksbegehren und Volksentscheide soll dabei von den Bürgerinnen und Bürgern ausgehen und nicht von Regierung oder Verwaltung vorgeschrieben werden. Denn direktdemokratische Instrumente können formale Verfahren entlasten und entkrampfen. Dass auch Großprojekte durch Volksabstimmungen bestätigt werden, zeigt zum Beispiel der Gotthardbasistunnel in der Schweiz. Volksentscheide können Pläne und Projekte auf den Weg bringen, sie werden nicht per se als Verhinderungsinstrumente genutzt, um Parlamentsentscheidungen zu korrigieren.

Wir fordern:



die Einführung von direktdemokratischen Elementen auf Bundesebene,



die Beseitigung der bestehenden bürokratischen Hindernisse in den einzelnen Ländern (zu hohe Hürden für Volksbegehren, zu kurze Fristen zur Sammlung der Unterschriften, die in einigen Ländern vorgeschriebene Amtseintragung, zu hohe Zustimmungsquoren etc.),

die Beseitigung von Einschränkungen kommunaler Bürgerbegehren, beispielsweise zu Bauleitplanungen,

3.3 Umweltschutz, Klimaschutz und Sozialverträglichkeit im Planungsrecht verankern.

Das bisherige Planungs-und Genehmigungsrecht berücksichtigt den Umwelt- und Klimaschutz wie auch die Sozialverträglichkeit von Vorhaben zu wenig. In vielen Bereichen ist beispielsweise die Prüfung einer Maßnahme auf Klimaverträglichkeit nicht vorgesehen. So steht das Genehmigungsrecht für Kraftwerke bisher in offensichtlichem Widerspruch zu den Klimazielen und den Ausbauzielen

für Erneuerbare Energien der Bundesregierung. Außerdem müssen ökologische Abwägungsgründe im Planungsrecht deutlicher benannt und stärker gewichtet werden, da sie sonst bei Abwägungsentscheidungen z.B. bei Straßenplanungen regelmäßig nicht berücksichtigt werden. Uns ist auch wichtig, dass Bauprojekte stärker unter sozialverträglichen Aspekten bewertet werden, um frühzeitig die Entstehung sozialer Probleme zu vermeiden.

Wir fordern:



eine Modernisierung des Planungs- und Genehmigungsrechts, das konkrete Umwelt- und Klimaschutzziele künftig stärker verankert; z.B. durch Integration einer systematischen Überprüfung auf Klimaverträglichkeit in die Umweltverträglichkeitsprüfung.



eine Prüfung, wie die Sozialverträglichkeit von Bauprojekten in Genehmigungsverfahren berücksichtigt werden kann.

4. Effiziente bürgernahe Planung braucht eine neue Struktur.

Modernes Planungsrecht erfordert ein klar strukturiertes, bürgerfreundliches, möglichst einheitliches Verfahren. In drei Stufen sollte - über den Bedarf, - die Ausgestaltung vor Ort und - die endgültige Genehmigung entschieden werden. Auf allen Stufen soll die Öffentlichkeitsbeteiligung eine zentrale Rolle spielen. Ein modernes Planungsrecht muss auch ermöglichen, einmal getroffene Entscheidungen zu revidieren, wenn die Umstände sich geändert haben oder ein Projekt nicht mehr zeitgemäß ist. 4.1 Über das „Ob“ in einem Bedarfsplan oder Raumordnungsplan entscheiden.

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In der ersten Stufe des dreistufigen Planungsprozesses sollte zunächst eine grundsätzliche Entscheidung über das „Ob“ von Infrastrukturvorhaben getroffen werden. Dieser Bedarf sollte fakultativ durch einen Volksentscheid auf den Prüfstand gestellt werden können, der auch den Finanzierungsrahmen des Vorhabens umfasst. Für die „Ob“-Stufe bieten sich einerseits Bedarfspläne an, die Planungsgebote enthalten, wie beispielsweise für die Fernstraßen des Bundes. Andererseits können das auch Raumordnungspläne sein, die Planungsoptionen bieten. Zur Frage des „Ob“ gehört für Projekte mit öffentlicher Beteiligung bereits die Festlegung eines Finanzierungsrahmens. Denn der volkswirtschaftliche Bedarf und der Sinn eines Projekts hängen immer auch von seinen Kosten ab.

4.2 Über das „Wie“ in einem neuartigen Raumordnungsverfahren entscheiden.

Noch vor der Aufstellung von Bedarfsplänen, beispielsweise in Vorbereitung des Bundesverkehrswegeplans, benötigen wir eine umfassende Strategische Umweltprüfung sowie eine angemessene Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger wie auch der Naturschutzverbände und Umweltvereinigungen und im Streitfall Methoden zur alternativen Konfliktlösung.

Heutige Raumordnungsverfahren sind selten ergebnisoffen. Sie haben nur die Qualität eines Gutachtens und sind nicht verbindlich. Ob und wie die Öffentlichkeitsbeteiligung im Raumordnungsverfahren erfolgt, haben die Bundesländer sehr unterschiedlich geregelt.

Wir fordern:



dass bereits Bedarfspläne wie auch Raumordnungspläne unter Mitwirkung der Öffentlichkeit und von Nichtregierungsorganisationen erarbeitet werden,



dass die Öffentlichkeitsbeteiligung von den Umweltbelangen der Strategischen Umweltprüfung auf sämtliche Bedarfs- und Finanzierungsfragen erweitert wird,



dass widerstreitende Interessen möglichst in alternativen Konfliktlösungsverfahren abgewogen und ausgeglichen werden.

In einer zweiten Stufe muss geprüft werden, ob es Standort- und Trassenalternativen sowie ggf. verschiedene einsetzbare Technologien gibt und wie diese konkret aussehen können. Auch andere Akteure als die Vorhabenträger sollten diese Alternativen einbringen können. Dafür ist das Raumordnungsverfahren zu einem zentralen und ergebnisoffenen Element im Planungsprozess auszubauen. Ob „Raumordnungsverfahren“ künftig noch der richtige Begriff für dieses erweiterte Verfahren ist, bleibt zu diskutieren, denn in diesem Verfahren sollte nicht nur die Raumverträglichkeit geprüft werden.

Spätestens zur Frage des „Wie“ muss die Verknüpfung des formellen Verfahrens mit informeller Beteiligung und alternativer Konfliktlösung ermöglicht werden. Außerdem wollen wir, dass durch fakultative direktdemokratische Instrumente das Ergebnis des „Raumordnungsverfahrens“ auf den Prüfstand gestellt werden kann. Dadurch wird nicht mehr der Bedarf in Frage gestellt, allerdings die jeweilige Standort- oder Trassenalternative. Außerdem kann eine Entscheidung über das „Wie“ vor Ort nur innerhalb des bereits zuvor beschlossenen Finanzrahmens getroffen werden. Das Ergebnis des Verfahrens sollte künftig verbindlich und beklagbar sein.

Zu allen größeren und konfliktträchtigen Projekten sollte ein Raumordnungsverfahren durchgeführt werden. Entsprechend muss die Raumordnungsverordnung des Bundes erweitert werden, so dass mindestens alle Großprojekte sowie alle weiteren

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konfliktträchtigen Vorhaben erfasst werden, beispielsweise auch Vorhaben wie die Planung des Berliner Hauptbahnhofs oder des Leipziger Citytunnels.

Doppelprüfungen müssen eingespart werden. Im Fernstraßenbau kann z.B. auf das Linienbestimmungsverfahren verzichtet werden. Seine Aufgaben lassen sich insbesondere in das Raumordnungsverfahren integrieren.

Wir fordern:







dass in einer Antragskonferenz, analog zum Scoping-Verfahren für Umweltverträglichkeitsprüfungen, unter Öffentlichkeitsbeteiligung der Untersuchungsrahmen festgelegt wird und ein „joint fact finding“ möglich wird, dass bundesweit einheitliche Standards für Raumordnungsverfahren gelten, beispielsweise zur Auslegung, zur Öffentlichkeitsbeteiligung, zur Fristenregelung und zur Gültigkeit von den Ergebnissen der Raumordnungsverfahren, dass die Gegenstände der Raumordnungsverfahren nicht auf wenige Standorte und Alternativen eingeengt sind, außerdem sollen sie auch Zeit- und Finanzierungspläne enthalten.

noch die Aspekte geprüft werden, die nicht bereits zuvor im Raumordnungsverfahren untersucht worden sind. Dadurch wird der Aufwand für ein Verfahren auf dieser Stufe deutlich geringer. Beispielsweise können für eine Reihe von Projekten an die Stelle von Planfeststellungsverfahren deutlich schnellere Plangenehmigungsverfahren treten.

Verfahrensführende Behörde, Vorhabenträger und Öffentlichkeit müssen auf Augenhöhe agieren. Voraussetzung ist, dass sie über die gleiche Informationsbasis verfügen und die Möglichkeit haben, Informationen und Gutachten in Auftrag zu geben. Direktdemokratische Instrumente sollten fakultativ und mit Beschränkung auf Belange, die noch nicht behandelt wurden, möglich sein.

Heute können Planfeststellungsbeschlüsse zum Teil noch nach 15 Jahren umgesetzt werden. Nicht selten haben sich in dieser Zeit die tatsächlichen Entscheidungsgrundlagen längst geändert. Wir wollen, dass Genehmigungsverfahren dies künftig berücksichtigen.

Wir fordern:



dass, analog zum Scoping-Verfahren für Umweltverträglichkeitsprüfungen, unter Öffentlichkeitsbeteiligung der Untersuchungsrahmen (insbesondere Planfeststellungsverfahren) festgelegt wird,



dass den Genehmigungsbehörden ermöglicht wird, auf Kosten der Vorhabenträger zusätzliche Gutachten anfertigen zu lassen,



dass Genehmigungen zeitlich begrenzt sind. Sinnvoll erscheint eine Gültigkeitsdauer von fünf Jahren mit einer Verpflichtung zur inhaltlichen Überprüfung der Aktualität der Planungsgrundlagen bei einer möglichen Verlängerung, weil sich nach diesem Zeitraum erfahrungsgemäß die

4.3 Projekte in einem schlanken Verfahren genehmigen.

Im endgültigen Genehmigungsverfahren werden alle noch offenen Punkte geklärt. Die endgültigen Entscheidungen über Vorhaben geben dem Vorhabenträger Rechtssicherheit. Diese Stufe kann beschleunigt werden. Es müssen nur

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Grundlage von Planungsentscheidungen verändert haben kann.

5. Planungskultur braucht neue staatliche Zuordnung.

Die Zuständigkeiten für die Genehmigung von Planvorhaben sind im Förderalismus der Bundesrepublik teilweise kurios geregelt. So können international bedeutsame Verkehrsinfrastrukturen, wie Flughäfen und Seehäfen, auf lokaler Ebene bewilligt werden. Die Umwandlung eines ehemaligen Militärflughafens in einen internationalen Verkehrsflughafen kann von Kreistagen entschieden werden. Dagegen entscheiden Bundestag und Bundesrat über jede einzelne Ortsumfahrung, sofern es sich um eine Bundesstraße handelt.

Insbesondere bei den Bundesverkehrswegen braucht es einen Neuzuschnitt. Nur noch die überregional bedeutsamen Verkehrswege, wie z.B. Autobahnen, Hauptschienenstrecken und überregional bedeutsame Wasserstraßen sollten in Bundeszuständigkeit verbleiben. Regionale Netze, auch bei den Wasserstraßen, sollten mit einer finanziellen Kompensation an die Länder abgegeben werden.

Seehäfen, auf den Bund übertragen werden. Teure und sinnlose Doppelplanungen wie Regionalflughäfen, die sich gegenseitig kannibalisieren, würden damit verhindert. Das nationale Hafenkonzept müsste überarbeitet und eine enge Kooperation zwischen den Seehäfen erreicht werden. Ziel sollte es sein, dies zukünftig sogar auf EU-Ebene zu koordinieren bzw. zumindest Standards in den Mitgliedsstaaten zu harmonisieren. Auch die Planung der überregional bedeutsamen Energienetze gehört in Bundeszuständigkeit, d.h. in die Hände der Bundesnetzagentur.

„Kleinstaaterei“ gibt es auch in Planungsprozessen. Die Landesentwicklungsgesetze der Länder unterscheiden sich z.T. sehr stark. Die Untersuchungsräume für Raumordnungsverfahren wie auch die Raumordnungspläne enden an Landesgrenzen, so dass gerade für grenzüberschreitende Projekte die weitere Planung problematisch werden kann.

Wir fordern, •

dass die Raumordnungspläne der Länder besser aufeinander abgestimmt werden,



dass die Landesentwicklungsgesetze stärker vereinheitlicht werden,



dass stärker länderübergreifende Raumordnungsverfahren und Genehmigungsverfahren geführt werden



dass der Bundesverkehrswegeplan neu zugeschnitten wird und dabei nur noch überregional bedeutsame Verkehrswege in Bundeszuständigkeit verbleiben.

Dies würde zu einer effizienteren Planung führen, weil Fehlanreize z.B. bei der Anmeldung von Bundesstraßenprojekten, beseitigt würden. Häufig werden Ortsumfahrungen nur gebaut, weil der Bund die Kosten trägt, selbst wenn es günstigere Alternativen gibt, für die aber das Land oder die Kommune aufkommen müssten. Viele Konflikte um Ausbauten ließen sich dadurch entschärfen. Sie würden zudem auf der richtigen politischen Ebene entschieden: vor Ort und nicht in Berlin.

6. Planungsqualität braucht effizienten Rechtsschutz.

Umgekehrt müsste die Planungshoheit für internationale Verkehrsinfrastrukturen, wie Flughäfen und

Rechtsmittel dienen dazu, behördliche Verfahren zu überprüfen. Aber nur selten wird gegen Pla-

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nungsentscheidungen geklagt, denn die Klagemöglichkeiten von Bürgerinnen und Bürgern sowie Organisationen sind auf wenige Belange beschränkt.

Ernsthafte und effiziente Öffentlichkeitsbeteiligung beugt späteren Klageverfahren vor. Hierzu gehört auch die bessere Gestaltung von Vorverfahren. Prüfen wollen wir daher, ob Mediationsverfahren zum Beispiel auch im Widerspruchsverfahren angewendet werden können. Gestärkte Rechtsschutzmöglichkeiten verzögern gute Planungen und öffentlich akzeptierte Projekte nicht, wenn die Menschen frühzeitig beteiligt werden. Denn Rechtsmittel – wie das Verbandsklagerecht - sind in erster Linie ein präventives Instrument, das lediglich ein Minimum an Planungsqualität gewährleistet. Das reicht aber bei Weitem nicht aus, um eine effiziente Planung zu erreichen. Daher sind die Klagemöglichkeiten zu einem effektiven Instrument weiterzuentwickeln, so dass sie Planungsprozesse verbessern und nicht aufhalten. Dazu gehört auch, den Bürgerinnen und Bürgern sowie Nichtregierungsorganisationen zum richtigen Zeitpunkt Rechtsmittel einzuräumen. In den meisten Planungsverfahren kann eine rechtliche Überprüfung erst am Ende des Planungsprozesses stattfinden, beispielsweise wenn der Planfeststellungsbeschluss gefasst ist. Dann sind aber viele Entscheidungen längst gefallen und kaum wieder „aufzurollen“. Sinnvoll ist daher, bereits zu einem früheren Zeitpunkt einen Rechtsschutz zu ermöglichen, der aufwändige späte Widerspruchs- oder Klageverfahren unnötig macht. Das Raumordnungsverfahren bietet sich für Rechtsmittel an.

Außerdem sollte es möglich sein, Rechtsbehelfe gegen behördliche Verfahrenshandlungen nicht erst mit der Klage gegen die Endentscheidung vorzubringen, wie es jetzt durch § 44a VwGO geregelt wird. Dies führt etwa dazu, dass zurückgewiesene Ablehnungsgesuche gegen im Verfahren tätige Beamte immer erst im Verfahren gegen die Genehmigung überprüfbar werden. Folge ist, dass die Gesuche fast immer abgelehnt werden, weil es zu drastisch wäre, die gesamte bereits erteilte

Genehmigung aufzuheben. Gleichzeitig steigt aber auch das Risiko für den Vorhabenträger immens, da er sich nicht sicher sein kann, dass seine Genehmigung nicht wegen der Befangenheit eines einzelnen Behördenangestellten aufgehoben wird. § 44 a VwGO sollte daher gestrichen werden. Dies dient dem möglichst rechtzeitigen Rechtsschutz der Bürgerinnen und Bürger und zugleich der Verfahrensbeschleunigung, da - wie beim Flughafen München II geschehen - nicht das ganze Verfahren nochmals neu durchgeführt werden muss.

Anders als in anderen Verwaltungssachen ist bei einer Vielzahl von gerichtlichen Streitigkeiten in Planungsverfahren direkt das Bundesverwaltungsgericht die Eingangsinstanz, nicht die Landesgerichte. Das bedeutet, dass es für viele Verfahren keine zweite Instanz zur gerichtlichen Überprüfung gibt. Das Bundesverwaltungsgericht entscheidet in erster und letzter Instanz. Dies gilt z. B. in einer Reihe von Planungsverfahren nach dem Schienenwegeausbaugesetz, dem Bundesfernstraßengesetz, dem Bundeswasserstraßengesetz und dem Energieleitungsausbaugesetz.

Dadurch wird der Zugang zum Recht für Betroffene und Naturschutzverbände eingeschränkt. Die Richterinnen und Richter des Bundesverwaltungsgerichtes müssen sich mühevoll mit den spezifischen Situationen vor Ort sowie dem jeweiligen Landesrecht vertraut machen. Folglich ist das Bundesverwaltungsgericht überlastet, Rechtsstreitigkeiten werden verzögert. Das zur Beschleunigung von Planverfahren gedachte Instrument hat sich in sein Gegenteil verkehrt und muss geändert werden.

Wir wollen •

die rechtliche Überprüfbarkeit auch von juristischen Entscheidungen wiederherstellen, zugleich muss die Überlastung der Gerichte reduziert und besonders für dringende Projekte eine zügige Bearbeitung gewährleistet werden,

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ein Klagerecht in einem frühen Planungsstadium (vorzugsweise bereits gegen Entscheidungen im Raumordnungsverfahren) einführen, um rechtzeitig Planungen auf den richtigen Weg zu bringen und späteren Klageverfahren vorzubeugen, wobei der Vorhabenträger bereits unter Vorbehalt in die Plangenehmigung einsteigen kann, prüfen, ob gerichtliche Überprüfungsmöglichkeiten von Genehmigungsentscheidungen eingeschränkt werden können, wenn im vorhergehenden Raumordnungsverfahren bereits Entscheidungen abschließend geregelt wurden, prüfen, ob sich die Bearbeitung durch Verwaltungsgerichte durch Fristensetzung beschleunigen lässt (und entsprechend möglicherweise Gerichte besser ausgestattet werden),



die Klagemöglichkeiten für Naturschutzverbände (Verbandsklage), der Umweltvereine sowie der betroffenen Bürgerinnen und Bürger, insbesondere im Hinblick auf die zeitliche Präklusion und die vorzubringenden Inhalte (materielle Präklusion) modernisieren,



dass im Verlauf von Klage- oder Widerspruchsverfahren gegen Planungsentscheidungen grundsätzlich keine Fakten geschaffen werden.



gesetzliche Vorgaben für die Anwendung informeller Beteiligungsmethoden und alternativer Konfliktlösung für die Verwaltung zu formulieren,



direktdemokratische Instrumente auf Bundesebene einzuführen und diese Instrumente auf Landesebene zu verbessern,



unnötige, insbesondere doppelte, Verfahrensschritte abzuschaffen und langwierige behördliche Bearbeitungszeiten zu vermeiden,



ein modernisiertes Entscheidungsverfahren einzuführen und die Bürgerbeteiligung in diesem frühen Planungsstadium zu stärken, z.B. auch durch die Einführung eines Klagerechts,



die Qualität der Rechtsmittel für Bürgerinnen und Bürger wie auch für Nichtregierungsorganisationen zu erhöhen, um Planungsqualität zu sichern.

7. Fazit: Sieben Kernprojekte sichern eine bessere Öffentlichkeitsbeteiligung

Moderne Öffentlichkeitsbeteiligung heißt für uns •

ein umfassendes Informationsrecht und die leichte Zugänglichkeit von Informationen zu gewährleisten,



die Öffentlichkeit in allen Planungsstufen auf Augenhöhe einzubeziehen, angefangen bei der Ermittlung von Bedarfen,

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Anlage (Stand10.8.2011)

Kurzübersicht: Öffentlichkeitsbeteiligung von Bürgern beim Bau von Bundestrassen, (Schienen) und Netzen

1. Stufe vorgeschaltete Pläne (Netze) a. Pläne Für Energieversorgungsnetze ist jährlich ist ein Szenariorahmen zu erstellen, der die wahrscheinliche Entwicklung der energiepolitischen Ziele auf zehn Jahre darstellt. Ebenfalls jährlich ist auf Grundlage des Szenariorahmens ein nationaler Netzentwicklungsplan zu entwickeln, der Maßnahmen zur Optimierung und den Ausbau des Netzes enthält.

Für den der BNetzA übermittelten Plan (einschließlich ggf. geforderter Änderungen) und den Umweltbericht ist sodann ebenfalls eine Öffentlichkeitsbeteiligung durch die BNetzA durchzuführen. Die Unterlagen sind für sechs Wochen am Sitz der BNetzA auszulegen und im Internet zu veröffentlichen. Die „betroffene“ Öffentlichkeit kann innerhalb von zwei Wochen nach Ende der Auslegung Stellung nehmen. Im weiteren Verlauf kann sich die Beteiligung der Öffentlichkeit eines bestehenden Szenariorahmens oder Netzentwicklungsplans auf deren Änderungen beschränken. Das genauere Verfahren für die Öffentlichkeitsbeteiligung beim Szenariorahmen- oder dem Netzentwicklungsplan kann eigenständig durch die BNetzA festgelegt werden, § 12c Abs. 6 EnWG. Dies gilt insbesondere für Auslegungsfristen etc.

Gegen den Netzentwicklungsplan bestehen für Bürger keine Klagemöglichkeiten.

b. Akteure Szenariorahmen und Netzentwicklungsplan werden von den Betreibern erstellt und von der Bundesnetzagentur (BNetzA) genehmigt.

2. Stufe Bedarfsplanung a. Pläne

c. Öffentlichkeitsbeteiligung Der Szenariorahmenplan wird von der BNetzA im Internet veröffentlicht. Der Öffentlichkeit soll Gelegenheit zur Äußerung gegeben werden. Bei der Genehmigung sind die Ergebnisse der Beteiligung zu berücksichtigen.

Der Entwurf des Netzentwicklungsplans plus „alle weiteren Informationen“ ist von den Betreibern vor Übermittlung an die BNetzA im Internet zu veröffentlichen. Der Öffentlichkeit soll Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben werden. Dem Netzentwicklungsplan ist sodann eine zusammenfassende Erklärung über berücksichtigte Ergebnisse der Beteiligung und über geprüfte „anderweitige Planungsmöglichkeiten“ beizufügen.

Für Bundesfernstraßen, Schienenwege des Bundes und Energieversorgungsnetze werden durch den Bundesgesetzgeber Bedarfspläne verabschiedet (§ 12e EnWG, FStrAbG, BSWAG, EnLAG). Die in den Plänen genannten Vorhaben sind für die spätere Planfeststellung verbindlich (Planrechtfertigung).

Für den Verkehrsbereich wird zusätzlich der – von den Bedarfsplänen zu unterscheidende – Bundesverkehrswegeplan (BVWP) beschlossen. Der BVWP legt den Investitionsrahmen für mehrere Jahre fest. Er ist ohne unmittelbare rechtliche Bindung. Der Ausbau erfolgt entsprechend den im Bedarfsplan genannten Stufen, §§ 2 FStrAbG, 2 BSWAG und 12e Abs. 4 EnWG.

b. Akteure

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Der Bundesverkehrswegeplan wird vom Kabinett beschlossen. Die Aufstellung der Bedarfspläne für Straßen, Schiene, und Energieversorgungsnetze erfolgt durch Gesetz. Letztverantwortlich ist damit der Bundestag.

c.

Öffentlichkeitsbeteiligung / Umweltverträglichkeit o.ä.

aa. SUP- Prüfung Für die Bedarfspläne der Energieversorgungsnetze, Straßen und Schienen ist nach §§ 14b, 19b i.V.m. Anlage 3 UVPG eine Strategische Umweltprüfung (SUP) durchzuführen. Doppelprüfungen mit dem Verkehrswegeplan oder den vorgeschalteten Plänen sind zu vermeiden, §§ 14f Abs. 3, 19b Abs. 1 UVPG, 12c Abs. 3, 12e Abs. 5 EnWG. Soweit bekannt arbeitet die BReg derzeit an einer Rechtsverordnung zur Umsetzung der Prüfung (jedenfalls für den Bereich Verkehr).

bb. Öffentlichkeitsbeteiligung Aus der SUP ergibt sich eine Beteiligung der Öffentlichkeit. Der Entwurf des Planes, der Umweltbericht und sonstige von der Behörde für zweckmäßig gehaltene Unterlagen sind öffentlich für einen angemessenen Zeitraum (mindestens einen Monat) auszulegen, § 14i UVPG. Innerhalb einer angemessenen mindestens einmonatigen Frist kann die „betroffene“ Öffentlichkeit sich zu dem Plan äußern. Betroffen ist, wessen Belange (wirtschaftlich, ökologisch, sozial, ideell etc.) berührt werden.

Mittelbar spielen Pläne im Übrigen Verfahren insb. im Planfeststellungsverfahren eine nicht geringe Rolle. So kann bspw. die Planrechtfertigung (für Straßen) aufgrund unsicherer Finanzierung entfallen, wenn ein Vorhaben herabgestuft wurde (BVerwG, Urteil vom 21.03.2006, 9 B 18.05). Im Einzelfall möglich ist eine fehlende Planrechtfertigung trotz Ausweisung im Bedarfsplan, soweit der Gesetzgeber sein Ermessen überschritten habe sollte (Stüer, HdB, Bau- und Fachplanungsrechts, Rn. 3948; BVerfG, NvwZ 1996, 261).

3. Stufe Raumordnungsverfahren a. Verfahren Ziel der Raumordnung ist es Nutzungskonflikte im Raum durch überörtliche Planung zu lösen. Für raumbedeutsame Vorhaben ist ein Raumordnungsverfahren durchzuführen.1 Gemäß RoV gilt dies für den Bau einer Bundesfernstrasse, die einer Linienbestimmung bedarf, der Bau oder die wesentliche Änderung von Schienenstrecken und für die Errichtung von Hochspannungsfreileitungen mit 110 kv oder mehr. Mit Inkrafttreten des Netzausbaubeschleunigungsgesetzes (NABEG) gilt für im Bundesbedarfsplan als länder - oder grenzüberschreitende ausgewiesene Höchstspannungsleitungen die Bundesfachplanung. Diese ersetzt das Raumordnungsverfahren. Durch sie werden Trassenkorridore für die Leitungen bestimmt.

Ein Erörterungstermin ist nur im Falle gesetzlicher Anordnung vorgesehen.

d. Rechtsschutz Gegen den BVWP bestehen keine Rechtsschutzmöglichkeiten. Auch eine direkte Klage durch Bürger gegen die weiteren Bedarfspläne wird aufgrund fehlender Rechtsverletzung nicht in Betracht kommen.

b. Akteure Zuständig für die Durchführung eines Raumordnungsverfahrens sind die Länder. Die Bundesfachplanung übernimmt die BNetzA

1

Nicht zu verwechseln mit der Aufstellung der Raumordnungspläne etc. der Länder oder des Bundes.

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c. Öffentlichkeitsbeteiligung aa. Raumordnungsverfahren Nach § 15 Abs. 3 S. 3 ROG kann die Öffentlichkeit am Raumordnungsverfahren beteiligt werden. Die Entscheidung hierüber liegt damit grundsätzlich bei der Behörde. Das Maß der Beteiligung ist nicht geregelt. Bei Erlass des ROG bestehendes Landesrecht besteht aber im Übrigen fort, § 28 Abs. 3 ROG. Die Öffentlichkeitsbeteiligung richtet sich daher nach Landesrecht. Die Beteiligung reicht in den Ländern von der Pflicht zur Öffentlichkeitsbeteiligung, über eine Ermessensentscheidung der Behörden bis hin zu keiner Beteiligung. Eine Pflicht besteht insbesondere dann, wenn die Länder nach § 16 UVPG das Raumordnungsverfahren der Umweltverträglichkeitsprüfung unterworfen haben.

bb. Bundesfachplanung2 Nach Eingang eines Antrages auf Bundesfachplanung führt die BNetzA eine Antragskonferenz durch. Die Antragskonferenz ist öffentlich, wobei das Maß der Beteiligung nicht geregelt ist. Die Unterrichtung der Öffentlichkeit über das Stattfinden der Konferenz hat auf den Seiten der BNetzA und in örtlichen Tageszeitungen in betroffenen Gebieten zu erfolgen. Ist der Untersuchungsrahmen festgelegt erfolgt eine Öffentlichkeitsbeteiligung im Rahmen der SUP: Die Unterlagen sind für einen Monat in der BNetzA und dem Trassenkorridor nächstgelegene Außendienststellen der BNetzA (ggf. an anderen Stellen) auszulegen. Eine Woche vor Auslegung ist diese auf den Internetseiten, dem Amtsblatt der BNetzA und den im Gebiet verbreiteten örtlichen Tageszeitungen bekannt zu machen. Jede Person kann sich innerhalb eines Monats nach Ablauf der Veröffentlichungsfrist zu den

2

Abweichungen bei der Öffentlichkeitsbeteiligung gelten für vereinfachte Verfahren. Dieses gilt für Bauten bei oder an bestehenden Höchstspannungsleitungen und in Raumordnungsplänen ausgewiesenen Trassenkorridoren.

Trassenkorridoren äußern. Danach erfolgt ein Erörterungstermin mit dem Vorhabenträger und den Einwendern. Die abschließende Entscheidung ist für die Dauer von sechs Wochen an den genannten Orten zu veröffentlich. Die Veröffentlichung ist bekannt zu machen.

d. Rechtsschutz Gegen das Ergebnis des Raumordnungs- oder Bundesfachplanverfahrens bestehen keine unmittelbaren Rechtsschutzmöglichkeiten § 16 Abs. 3 UVPG, 15 Abs. 3 NABEG.

4. Stufe Linienbestimmung a. Verfahren Für Straßen bestimmen Bund und die beteiligten Länder die Linienführung einvernehmlich, § 16 FStrG. Soweit im vorgelagerten Verfahren (Raumordnungsverfahren) eine UVP durchgeführt wurde, ist sie zur Linienbestimmung entbehrlich, § 15 Abs. 1 UVPG. Für Energienetze wird keine Linienbestimmung durchgeführt.

b. Öffentlichkeitsbeteiligung Eine Öffentlichkeitsbeteiligung ist nur im Falle einer UVP durchzuführen. Die Unterlagen sind für einen Monat zur Einsicht auszulegen. Die Auslegung ist vorher ortsüblich bekanntzugeben (bspw. Veröffentlichung im Amtsblatt). Innerhalb von zwei Wochen nach Ablauf der Auslegungsfrist besteht eine Äußerungsmöglichkeit für Jedermann. Die Entscheidung ist ebenfalls öffentlich bekannt zu machen.

c. Rechtsschutzmöglichkeiten Gegen die Entscheidung über die Linienbestimmung für Bundesfern- und Wasserstraßen bestehen für Bürger keine Rechtsschutzmöglichkeiten,

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§ 15 Abs. 5 UVPG. Die Linienbestimmung wird als verwaltungsinterne Entscheidung gewertet.

6. Stufe Planfeststellung/ Plangenehmigung a. Verfahren

5. Stufe:

Bauleitplanung3

a. Öffentlichkeitsbeteiligung Bei der Aufstellung von Flächennutzungs- und Bebauungsplänen ist die Öffentlichkeit grundsätzlich zu beteiligen. Zunächst erfolgt die frühzeitige (§ 3 Abs. 1 BauGB) und sodann die förmliche Beteiligung (§ 3 Abs. 2 BauGB). Bei der frühzeitigen Beteiligung ist die Öffentlichkeit „möglichst frühzeitig“ über u.A. die Ziele und Zwecke der Planung einschl. verschiedener Lösungsmöglichkeiten zu unterrichten. Hierzu können Äußerungen abgegeben und es kann eine Erörterung durchgeführt werden.

Bei der danach folgenden förmlichen Öffentlichkeitsbeteiligung sind die Entwürfe für einen Monat auszulegen. Die Auslegung ist eine Woche vorher ortsüblich bekannt zu machen. Hierzu kann das Internet genutzt werden, § 4a Abs. 4 BauGB. Innerhalb der Auslegungsfrist können Stellungnahmen abgegeben werden. In bestimmen Fällen kann von der frühzeitigen Beteiligung abgesehen werden (bspw.: vereinfachtes Verfahren im Fallen einer Planänderung, § 13 BauGB) und die förmliche Beteiligung modifiziert durchgeführt werden.

b. Rechtsschutz Klagen gegen Bebauungspläne sind grundsätzlich möglich. Unzulässig sind Klagen von Personen, die sich auf Einwendungen beziehen, die im Rahmen der Öffentlichkeitsbeteiligung nicht oder verspätet geltend gemacht wurden und hierauf im Rahmen der Öffentlichkeitsbeteiligung hingewiesen wurden, § 47 VwGO (Präklusion).

3 Die Bauleitplanung ist keine zwingende Stufe für das Planverfahren von bspw. Straßen. Sie dient der Ordnung der städtebaulichen Entwicklung.

Straßenbau-, Energieleitungs-, und Schienenausbauvorhaben bedürfen als letzte Stufe zusätzlich eines Planfeststellungsbeschlusses oder einer Plangenehmigung.4 Eine Plangenehmigung kann u.A. erteilt werden, wenn das Vorhaben nicht UVP -pflichtig ist, Rechte anderer „nur unwesentlich“ beeinträchtigt werden oder Betroffene sich mit der Beanspruchung ihrer Rechte einverstanden erklärt haben. Zuständig für das Verfahren bei Straßen sind die Landesbehörden. Gleiches gilt grundsätzlich für Energieversorgungsnetze, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates kann für Planfeststellungsverfahren für grenz- oder länderübergreifende Energieversorgungsnetzt die BNetzA für zuständig erklärt werden, § 2 Abs. 3 NABEG.

b. Öffentlichkeitsbeteiligung aa. Planfeststellung (1) Allgemeines Verfahren Zunächst ist der Plan für die Dauer von einem Monat auszulegen. Auf eine Auslegung kann verzichtet werden, wenn der Kreis der Betroffenen bekannt ist und diese innerhalb angemessener Frist Gelegenheit zur Äußerung gegeben wird. Auf die Auslegung ist grds. ortsüblich hinzuweisen (Bekanntmachung). Jeder, dessen Belange durch das Vorhaben berührt werden kann bis zwei Wochen nach Ablauf der Auslegungsfrist Einwendungen erheben. Während in den „allgemein üblichen“ Verfahren sodann eine Erörterung stattfinden muss, kann im Falle von Straßen (§ 17a Nr. 5), Schienen (§ 18a Nr. 5) und Netzen (§ 43a EnWG) nach der Entscheidung der Behörde auf eine Erörterung verzichtet

4 Ein Bebauungsplan kann eine Planfeststellung ersetzen, § 17b Abs. 2 FStrG.

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werden. Der Plan ist denjenigen, über deren Einwendungen entschieden wurde, zuzustellen.

(2) Verfahren nach NABEG Ist die BNetzA nach NABEG für das Planfeststellungsverfahren zuständig, führt sie eine Antragskonferenz durch. Die Konferenz ist öffentlich. Auf sie ist im Internet, im amtlichen Verkündungsblatt und in örtlichen Tageszeitungen hinzuweisen. Sind die Unterlagen für das Verfahren vollständig, sind sie für die Dauer eines Monates auszulegen und der Plan im Internet zu veröffentlich. Jede Person, deren Belange berührt sind, kann innerhalb von zwei Wochen nach Ablauf der Auslegungsfrist Einwendungen gegen den Plan erheben. Darauffolgend ist ein Erörterungstermin durchzuführen, in dem die erhobenen Einwendungen erörtert werden. Die Entscheidung über das Verfahren ist für die Dauer von sechs Wochen auszulegen und auf der Internetseite der BNetzA zu veröffentlichen. Für die Vorbereitung und Durchführung einzelner Verfahrensschritte kann die BNetzA einen Projektmanager beauftragen, § 29 NABEG.

bb. Plangenehmigung Im Falle einer Plangenehmigung findet kein förmliches Öffentlichkeitsbeteiligungsverfahren statt.

c. Rechtsschutz Grundsätzlich können (in ihren Rechten verletzte) Bürger gegen Planfeststellungsbeschlüsse und genehmigungen Klage erheben. Gestützt werden kann der Rechtsschutz jedoch nur auf rechtzeitig eingebrachte Einwendungen (materielle Präklusion). Bürger müssen sich daher in gerichtlichen Verfahren auf die Ergänzung und Präzisierung der fristgemäß erhobenen Einwendungen beschränken.

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Neues Planungsverfahren für Infrastrukturprojekte Rechtsgutachten im Auftrag der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen

Prof. Dr. Thomas Groß

Osnabrück, den 28. Mai 2012

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Inhalt

Zusammenfassung

.................................................................................................... 27

I.

Auftrag ....................................................................................................... 29

II.

Das geltende Planungsrecht ........................................................................... 31 1. Die Verkehrswegeplanung ............................................................................... 31

a) Der Bundesverkehrswegeplan ............................................................................. 31 b) Die gesetzliche Bedarfsfeststellung ...................................................................... 33 c) Das Raumordnungsverfahren .............................................................................. 34 d) Die Linienbestimmung ...................................................................................... 35 e) Die Planfeststellung ......................................................................................... 36 2. Die Planung von Flughäfen ............................................................................. 37 a) Das Standortkonzept ........................................................................................ 38 b) Die Standortbestimmung durch Raumplanung ........................................................ 38 c) Das Planfeststellungsverfahren ............................................................................ 39 3. Die Planung der Hochspannungsnetze ............................................................... 39 a) Die Bedarfsplanung auf Bundesebene ................................................................... 39 b) Die Bundesfachplanung Trassenkorridore .............................................................. 40 c) Das Planfeststellungsverfahren ............................................................................ 41 III.

Das neue dreistufige Planungsverfahren .......................................................... 43 1. Die rechtlichen Rahmenbedingungen ................................................................ 44

a) Europäisches Recht .......................................................................................... 44 b) Verfassungsrecht ............................................................................................. 48 2. Die Netzplanung auf Bundesebene .................................................................... 50 a) Die Einbeziehung des Flugverkehrs ...................................................................... 50 b) Von der Bedarfsplanung zur Nutzenfeststellung ...................................................... 51 c) Die beiden Modelle für die Gestaltung der Bundesnetzplanung ................................... 53 d) Die Bundesbehörde für Netzplanung .................................................................... 57 3. Das Trassenbestimmungsverfahren .................................................................... 58

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a) Zuständigkeit ................................................................................................. 59 b) Gegenstand ................................................................................................... 60 c) Bürgerbeteiligung ............................................................................................ 60 d) Rechtsschutz .................................................................................................. 61 4. Die Projektzulassung durch Planfeststellung ........................................................ 62 a) Die Bindung an die höherstufige Planung ............................................................. 62 b) Planfeststellung und Plangenehmigung ................................................................ 63 c) Zuständigkeit ................................................................................................. 63 d) Die frühzeitige Bürgerbeteiligung........................................................................ 63 e) Die verfahrensintegrierte Bürgerbeteiligung........................................................... 65 f) Rechtsschutz ................................................................................................... 66 5. Die unabhängige Stiftung für Bürgerbeteiligung IV.

Empfehlungen an den Bundesgesetzgeber

.................................................. 67

....................................................... 70

1. Der Erlass eines Bundesverkehrsplanungsgesetzes ................................................ 70 2. Die Novellierung des Verwaltungsverfahrensgesetzes ............................................ 71 3. Die Novellierung des Energiewirtschaftsgesetzes und des Netzausbaubeschleunigungsgesetzes Übertragungsnetz .............................................................................................. 71 4. Die Novellierung des Umweltrechtsbehelfsgesetzes ............................................... 71 5. Die Schaffung einer Bundesstiftung für Bürgerbeteiligung...................................... 72 V.

Literaturverzeichnis ...................................................................................... 73

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0. ZUSAMMENFASSUNG

1. Das Planungsverfahren für große Infrastrukturvorhaben in den Bereichen Bundesfernstraßen, Schienenwege für Eisenbahnen des Bundes, Bundeswasserstraßen, Flughäfen und Hochspannungsnetze ist uneinheitlich geregelt und gibt den Bürgerinnen und Bürgern überwiegend keine ausreichenden Partizipationsmöglichkeiten. Der für die zentralen Weichenstellungen und die Finanzplanung überaus wichtige Bundesverkehrswegeplan ist praktisch gar nicht gesetzlich geregelt. Nur zum Teil ist ein Linienbestimmungsverfahren vorgesehen. Für Flughäfen fehlt jede verbindliche standortübergreifende Fachplanung. Die Öffentlichkeitsbeteiligung im Planfeststellungsverfahren kommt zu spät. Lediglich das Netzausbaubeschleunigungsgesetz Übertragungsnetz (NABEG) mit seinen neuen Regeln zum Ausbau der Höchstspannungsleitungen sieht auf allen Planungsstufen eine intensive Bürger- und Verbändebeteiligung vor.

2. Notwendig ist deshalb eine Neuordnung des Infrastrukturplanungsrechts. Sie muss von zwei Leitideen ausgehen, die sich keineswegs widersprechen müssen, dem Ausbau der Bürgerbeteiligung und der Straffung der Verfahren. Großprojekte mit gravierenden ökologischen Folgen dürfen nur noch mit einer breiten Einbeziehung der Betroffenen und größtmöglicher Transparenz verwirklicht werden, wie es auch die Aarhus-Konvention und die UVP-Richtlinie verlangen. Gleichzeitig wird die Demokratie gestärkt und der Grundrechtsschutz im Verfahren verbessert. Reformbedürftig ist außerdem der Rechtsschutz auf den vorgelagerten Planungsstufen, insbesondere muss die Verbandsklage als Instrument des altruistischen Umweltschutzes gestärkt werden. Daneben ist eine Vereinfachung und Straffung der Verfahren nötig, indem

eine effektive Verzahnung der Planungsebenen und eine intelligente Problemabschichtung erfolgt. Dies wird dadurch ermöglicht, dass eine grundsätzliche Bindung der nachgelagerten Stufen des Planungsverfahrens normiert wird.

3. Nach dem hier vorgelegten Konzept ist generell eine Dreistufigkeit des Planungsverfahrens vorzusehen. Die Bundesnetzplanung für die Verkehrswege und für die Stromnetze dient in erster Linie zur Ermittlung der Nutzenbilanz und nimmt im Verkehrsbereich als besondere Funktion eine verkehrsträgerübergreifende Betrachtung für eine ökologisch möglichst verträgliche Mobilität vor. Die Trassenbestimmung als zweite Stufe dient der Optimierung der räumlichen Zuordnung des einzelnen Vorhabens. Dieser Aspekt ist gerade wegen der Notwendigkeit des Ausgleichs mit anderen Raumnutzungen so gewichtig, dass nicht auf diese Zwischenstufe verzichtet werden kann. Die Detailplanung des Vorhabens erfolgt wie bisher auf der dritten Stufe im Planfeststellungsverfahren, an dessen Ende die rechtsverbindliche Zulassung des Projekts steht.

4. Auf der Ebene der Netzplanung muss eine umfassende Bilanzierung von Kosten und Nutzen eines Vorhabens erfolgen. Nur dann, wenn der Nutzen des Projekts auch die negativen ökologischen Folgen überwiegt, darf es in den Plan aufgenommen werden. Dies erfordert eine den Klimaschutz einschließende Umweltverträglichkeitsprüfung mit einer umfassenden Alternativenprüfung. Gerade auf dieser Ebene, wo der größte Entscheidungsspielraum besteht, muss eine ausreichende Beteiligung der Öffentlichkeit über das Internet und durch die Umweltverbände erfolgen. Für die konkrete Gestaltung des Verfahrens, die in einem Bundesverkehrsplanungsgesetz zu regeln ist, sind zwei un-

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terschiedliche Modelle denkbar. Entweder erfolgt ähnlich wie bisher auf der Grundlage eines von der Bundesregierung verabschiedeten „Bundesverkehrsplans“ die Bedarfsfeststellung durch sektorale Parlamentsgesetze, die nur der Kontrolle durch das Bundesverfassungsgericht unterliegen. Alternativ könnte die Aufstellung des Bundesverkehrsplanes auf der Grundlage des Bundesverkehrsplanungsgesetzes durch eine Rechtsverordnung der Bundesregierung erfolgen. Der Bundesverkehrsplan ist in beiden Varianten für die nachfolgenden Planungsstufen verbindlich, sofern nicht überwiegende Belange festgestellt werden, die bei einem Projekt seiner Verwirklichung entgegenstehen, was ein Rückkoppelungsverfahren auslöst. Die staatliche Finanzierung von nicht im Plan enthaltenen Projekten ist ausgeschlossen. Eine Verbandsklage gegen den Bundesverkehrsplan muss mindestens in Bezug auf die Umweltverträglichkeitsprüfung eröffnet werden. Zur notwendigen Stärkung der exekutiven Planungskapazitäten sollte eine neue Bundesbehörde für Netzplanung geschaffen werden. 5. Zur Vereinfachung des Planungsverfahrens sollten das Raumordnungs- und das Linienbestimmungsverfahren im Bereich der Verkehrsplanung zusammengelegt werden und als „Trassenbestimmungsverfahren“ die verbindliche Zwischenstufe der Infrastrukturplanungsverfahren darstellen. Es dient der Prüfung, wie die Trassen von linienförmigen Infrastrukturvorhaben bzw. der Standort von Flughäfen festgelegt werden sollen. Es sollte durch die Bundesbehörde für Netzplanung durchgeführt werden. Sie ist verpflichtet, neben der Umweltverträglichkeit im Benehmen mit den Bundesländern auch die Übereinstimmung mit den Erfordernissen der Raumordnung und die Abstimmung mit anderen raumbedeutsamen Planungen und Maßnahmen zu prüfen. Die Öffentlichkeit wird im Rahmen einer Antragskonferenz sowie durch

die Auslegung der Unterlagen und einen Erörterungstermin beteiligt. Das Ergebnis kann sowohl von Privatpersonen, soweit ihre Betroffenheit durch die Auswirkungen des Vorhabens bereits beurteilt werden kann, als auch von den betroffenen Gemeinden und den Umweltvereinigungen angefochten werden.

6. Das Planfeststellungsverfahren ist durch eine bürgernahe Behörde durchzuführen, wobei die organisatorische Trennung von Anhörungs- und Planfeststellungsbehörde festzuschreiben ist. Vor Einreichung des Plans ist eine obligatorische frühzeitige Bürgerbeteiligung durch eine fachkundige und erfahrene Stelle durchzuführen. Für diese Aufgabe sollte eine unabhängige Bundesstiftung für Bürgerbeteiligung geschaffen werden, die in öffentlicher Trägerschaft steht, so dass sie nicht im Verdacht steht, von privaten Unternehmen instrumentalisiert zu werden, die aber auch von öffentlichen Vorhabenträgern und Planungsbehörden vollständig unabhängig ist. Sie fasst die wesentlichen Erkenntnisse aus den verschiedenen Stellungnahmen in einem abschließenden Bericht zusammen, der dem Vorhabenträger übermittelt und veröffentlicht wird. Die verfahrensintegrierte Öffentlichkeitsbeteiligung ist durch eine aktive Information der Umweltvereinigungen, die Erweiterung der Einwendungsbefugnis Privater auf alle öffentlichen Belange sowie eine Verlängerung der Einwendungsfrist auf mindestens zwei Monate aufzuwerten. Der Erörterungstermin sollte nur in Ausnahmefällen entfallen können und öffentlich durchgeführt werden. Das Rügerecht im Umweltrechtsbehelf der Verbände ist auf alle umweltrechtlichen Vorschriften und wesentliche Verfahrensvorschriften zu erweitern.

26 | Bessere Planung mit mehr Bürgerbeteiligung | Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion | 10/2012

I.

AUFTRAG

Die öffentlichen Auseinandersetzungen über den Bau eines neuen Tunnelbahnhofs in Stuttgart („Stuttgart 21“), die mit der Ablehnung einer Kündigung des Finanzierungsvertrags durch eine Volksabstimmung in Baden-Württemberg ein vorläufiges Ende gefunden haben, haben auch die Diskussion über Reformen im Planungsverfahren für Infrastrukturprojekte neu angefacht. Der Hauptfokus lag dabei zunächst auf der Verknüpfung des Planungsverfahrens mit der Finanzierung des Projektes aus öffentlichen Mitteln.1 Problematisch ist hier, dass das Stuttgarter Vorhaben aus Bundesmitteln finanziert wird, obwohl es in den für die Planung der Verkehrsprojekte maßgeblichen Bundesverkehrswegeplan gar nicht aufgenommen worden ist, so dass die Prioritätensetzung durch den Bundesgesetzgeber im darauf aufbauenden Bundesschienenwegeausbaugesetz umgangen wurde. Ein weiterer Kritikpunkt liegt darin, dass das förmliche Planungsverfahren und damit auch die Öffentlichkeitsbeteiligung abgeschlossen wurden, bevor überhaupt Klarheit über die benötigten Finanzmittel und ihre Verteilung zwischen den beteiligten Gebietskörperschaften bestand. Der Schwerpunkt der aktuellen rechtspolitischen Diskussion liegt jedoch auf einer Verbesserung der Öffentlichkeitsbeteiligung im Lauf des mehrstufigen Planungsverfahrens. Die Debatte über eine Ausweitung der Öffentlichkeitsbeteiligung läuft allerdings schon seit vielen Jahrzehnten.2 Die Bundesregierung hat im Februar 2012 einen sehr dürftigen Gesetzentwurf vorgelegt, der lediglich die optionale Durchführung einer frühzeitigen Bürgerbeteiligung durch den Vorhabenträger vorsieht.3 Dieser Vorschlag wird der Notwendigkeit, die Partizipationsrechte der Bürgerinnen und Bürger zu stärken, in keiner Weise gerecht. Auf der anderen Seite steht seit etwa 20 Jahren das Ziel einer Beschleunigung von Planungspro-

1

Vgl. zum Ablauf Groß, DÖV 2011, 510 ff.

2

Vgl. z.B. Dienel, Die Verwaltung 4 (1971), 151 ff.;

zessen im politischen Interesse.4 Dies gilt heute insbesondere für den Bau von Höchstspannungsleitungen, denen im Rahmen der Energiewende eine große Aufmerksamkeit gewidmet wird, da neue Leitungen für die Netzeinbindung der erneuerbaren Energien unverzichtbar sind. Der Ausbau der Eisenbahnstrecken als Voraussetzung für eine verstärkte Verlagerung des Güter- und Personenverkehrs auf die Schiene dient ebenfalls ökologischen Zielen. Vergleichbare Probleme einer Balance zwischen Partizipation und Effizienz stellen sich aber nicht nur bei Schienenprojekten und Energienetzen, sondern auch beim Ausbau von Bundesfernstraßen und Flughäfen. Vor diesem Hintergrund hat die Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen zur Vorbereitung von Gesetzesinitiativen die verfassungs- und europarechtliche sowie rechtspolitische Beurteilung einer Rekonstruktion von Planungsverfahren für bestimmte staatliche oder private Infrastrukturvorhaben in Auftrag gegeben. Dabei sollen auch grobe Konzepte für Regelungsstandorte und Regelungsinhalte entwickelt werden. Die Untersuchung konzentriert sich auf das mehrstufige Planungsverfahren und die damit verbundenen Formen der Öffentlichkeitsbeteiligung. Ausgeklammert bleibt das Thema einer Verknüpfung mit Mediationsverfahren. Die mit dem Planungsrecht eng verbundenen Fragen der Projektfinanzierung aus den öffentlichen Haushalten werden nur insoweit behandelt, als die Mittelvergabe durch die Verkehrsplanung auf Bundesebene determiniert wird, die durch Gesetz oder durch Verordnung für verbindlich erklärt werden kann. Bevor das Reformkonzept entworfen wird, ist es erforderlich, das geltende Planungsverfahrensrecht im Überblick darzustellen, wobei auch die Kritik an den aktuellen Rechtsvorschriften einbezogen wird (II.). In einem zweiten Schritt wird ein neues dreistufiges Planungsverfahren für Infrastrukturprojekte mit einer deutlich erweiterten Öffentlichkeitsbeteiligung entworfen, das so weit wie möglich einheitlich ausgestaltet werden sollte (III.). Hieraus

Blümel (Hrsg.), Frühzeitige Bürgerbeteiligung bei Planungen, 1982. 3

BR-Drs. 171/12.

4

Vgl. den Überblick bei Fisahn, Demokratie und Öffentlichkeitsbeteiligung, S. 278 ff.

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werden Empfehlungen an den Bundesgesetzgeber zum Erlass eines neuen Bundesverkehrsplanungsgesetzes und zur Novellierung des Verwaltungsverfahrensgesetzes, des Energiewirtschaftsgesetzes und des Netzausbaubeschleunigungsgesetzes Übertragungsnetz sowie des Umweltrechtsbehelfsgesetzes und zur Gründung einer Bundesstiftung für Bürgerbeteiligung abgeleitet (IV.).

28 | Bessere Planung mit mehr Bürgerbeteiligung | Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion | 10/2012

II. DAS GELTENDE PLANUNGSRECHT Aufgrund der uneinheitlichen Regelungen für die hier einbezogenen Bereiche der Infrastrukturplanung ist es erforderlich, die Darstellung in drei Abschnitte zu unterteilen. Zunächst wird die Verkehrswegeplanung, die nach dem Bundesfernstraßengesetz (FStrG), dem Allgemeinen Eisenbahngesetz (AEG) und dem Bundeswasserstraßengesetz (WaStrG) erfolgt, analysiert (1.). Des Weiteren werden die Planung von Flughäfen nach dem Luftverkehrsgesetz (LuftVG) (2.) und die Planung der Hochspannungsnetze nach dem Energiewirtschaftsgesetz (EnWG) sowie dem Netzausbaubeschleunigungsgesetz Übertragungsnetz (NABEG) untersucht (3.). 1. DIE VERKEHRSWEGEPLANUNG Die bundesgesetzlich geregelte Verkehrswegeplanung umfasst die Bundesfernstraßen, d.h. Bundesautobahnen und Bundesstraßen (§ 1 II FStrG), wozu auch einzelne Ortsumgehungen zählen, das Schienenwegenetz der Eisenbahnen des Bundes, das sowohl den Fern- wie den Nahverkehr umfasst, sowie die Bundeswasserstraßen. Mangels aktueller Bedeutung wird die weitgehend parallel geregelte Planung von Magnetschwebebahnen hier nicht eigenständig behandelt.5 A) DER BUNDESVERKEHRSWEGEPLAN Die erste Stufe der Verkehrswegeplanung auf Bundesebene stellt der praktisch sehr wichtige Bundesverkehrswegeplan (BVWP) dar, mit dem Prioritäten für Aus- und Neubauprojekte der drei Verkehrsträger Schiene, Straße und Wasserstraße festgelegt werden.6 Der derzeit aktuelle Plan gilt von 2001 bis 2015. Die Prioritäten (Dringlichkeiten) für die Aufnahme bewerteter Vorhaben in den BVWP 2003 ergeben sich aus dem Nutzen-KostenVerhältnis, aus netzkonzeptionellen Überlegungen, aus den Planungsständen und dem im Geltungszeitraum voraussichtlich verfügbaren Investitions-

rahmen.7 Die Vorhaben werden in die beiden Kategorien vordringlicher und weiterer Bedarf eingeteilt. Als Investitionsrahmenplan stellt der Bundesverkehrswegeplan ein Planungsinstrument der Bundesregierung dar.8 Gesetzlich ist er jedoch trotz seiner großen Bedeutung nicht näher geregelt. Rechtlich handelt es sich deshalb um ein internum,9 also eine Form der Verwaltungsvorschrift. Seine Verwirklichung hängt von der Aufnahme der Projekte in die Haushaltspläne sowie von der erfolgreichen Durchführung des mehrstufigen förmlichen Planungsverfahrens ab. In der Praxis hat sich ein relativ feststehendes Verfahren zur Erarbeitung des Bundesverkehrswegeplans eingespielt.10 Zunächst erfolgt eine Prognose der Verkehrsentwicklung mit verschiedenen Szenarien. Dann wird eine Überprüfung der Verkehrsnetze vorgenommen, wofür Projektanmeldungen der Bundesländer eingeholt werden. Diese Projekte werden auf der Grundlage einer NutzenKosten-Analyse bewertet. Danach wird unter Berücksichtigung des Finanzrahmens die Dringlichkeit festgelegt. Sie wird mit den Ressorts und den Ländern abgestimmt. Zudem fand vor der Beschlussfassung über den letzten Bundesverkehrswegeplan eine Anhörung der kommunalen Spitzenverbände, der Spitzenverbände der Wirtschaft und des Transportgewerbes, der Gewerkschaften und der Naturschutzverbände statt.11 An der konkreten Ausgestaltung des letzten Bundesverkehrswegeplans ist jedoch viel Kritik geübt

7

http://www.bmvbs.de/SharedDocs/DE/Artikel/UI/bunde sverkehrswegeplan.html?nn=45590 (28.5.2012). 8

Tausch, Gestufte Bundesfernstraßenplanung, S. 49.

9

Bauer, Die Durchsetzung des europäischen Umweltrechts in Deutschland, S. 120.

10

Vgl. Köppel u.a., Anforderungen der SUP-Richtlinie an die Bundesverkehrswegeplanung und Verkehrsent-

5

Vgl. dazu z.B. Geiger, in: Ziekow (Hrsg.), Praxis des Fachplanungsrechts, Rn. 1531 ff.

6

wicklungsplanung der Länder, S. 35 ff. 11

Köppel u.a., Anforderungen der SUP-Richtlinie an die

Vgl. dazu ausführlich Tausch, Gestufte Bundesfern-

Bundesverkehrswegeplanung und Verkehrsentwick-

straßenplanung, S. 27 ff.

lungsplanung der Länder, S. 67.

10/2012 | Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion | Bessere Planung mit mehr Bürgerbeteiligung | 29

worden.12 Nach wie vor beruht die Aufnahme der einzelnen Projekte auf intransparenten Aushandlungsprozessen zwischen Bund und Ländern, denen vermutlich auch inoffizielle Länderquoten über die Verteilung der Mittel zugrunde liegen. Außerdem fand keine ausreichende Alternativenprüfung statt, insbesondere im Hinblick auf verkehrsträgerübergreifende Mobilitätsvergleiche. Die Auswirkungen der Projekte auf den Ausstoß von klimaschädlichen Treibhausgasen wurden ebenfalls nicht systematisch überprüft. Schließlich erfüllt der geltende Plan auch seine Finanzplanungsfunktion nicht, da die zur Verfügung stehenden Mittel bei weitem nicht ausreichen, um die in den Plan aufgenommenen Vorhaben zu verwirklichen, weil viele Kostenannahmen zu niedrig waren.13 Nach der Umsetzung der Richtlinie über die Prüfung der Umweltauswirkungen bestimmter Pläne und Programme durch das Gesetz zur Einführung einer Strategischen Umweltprüfung und zur Umsetzung der Richtlinie 2001/42/EG vom 25. Juni 2005 sind „Verkehrswegeplanungen auf Bundesebene“ nach § 14b I Nr. 1 Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung (UVPG) i.V.m. Anlage 3 Nr. 1.1 obligatorisch einer Strategischen Umweltverträglichkeitsprüfung zu unterwerfen. Hierzu zählt nach der Begründung des Gesetzentwurfs auch der Bundesverkehrswegeplan, der als „höchststufiger Plan innerhalb der Hierarchie der Verkehrsplanung“ bezeichnet wird.14 Da es sich um einen mehrstufigen Planungs- und Zulassungsprozess handelt, soll nach § 14f III 1 UVPG zur Vermeidung von Mehrfachprüfungen bei der Festlegung des Untersuchungsrahmens bestimmt werden, auf welcher der Stufen dieses Prozesses bestimmte Umweltauswirkungen

12

schwerpunktmäßig geprüft werden sollen. Eine Abstufung zur Entlastung der Strategischen Umweltprüfung (SUP) bei den Bedarfsplänen ist zudem in § 19b I UVPG ausdrücklich vorgesehen. Es entspricht auch der bisherigen Praxis, die Abschätzung der Umweltauswirkungen bereits im Rahmen des Bundesverkehrswegeplans durchzuführen.15 Bei der Festlegung des Untersuchungsrahmens sind nach § 14f IV UVPG in ihrem umwelt- und gesundheitsbezogenen Aufgabenbereich berührte Behörden zu beteiligen, während die Hinzuziehung von Sachverständigen und Dritten (wie z.B. Natur- und Umweltschutzverbänden) optional ist. Liegen der Entwurf des Plans und der Umweltbericht vor, erfolgt eine Beteiligung der Öffentlichkeit nach § 14i i.V.m. § 9 I - Ib UVPG. Sie muss sich aber nicht auf die Umweltauswirkungen beschränken.16 Ein Erörterungstermin ist nicht vorgeschrieben.17 Allerdings ermächtigt § 19b III UVPG zum Erlass einer Rechtsverordnung, mit der besondere Vorschriften für die Durchführung der SUP bei der Verkehrswegeplanung erlassen werden können, so z.B. auch für die Beteiligung der Öffentlichkeit, wofür die Verwendung elektronischer Kommunikationsmittel besonders erwähnt wird. Eine solche Rechtsverordnung wurde bisher allerdings nicht erlassen. § 19b II UVPG sieht vor, dass bei der Erstellung des Umweltberichts vernünftige Alternativen zu ermitteln, beschreiben und bewerten sind, die die Ziele und den geographischen Anwendungsbereich des Plans berücksichtigen, wozu insbesondere auch alternative Verkehrsnetze und Verkehrsträger zählen. Zu den „vernünftigen“ Alternativen zählen nach der restriktiven Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zum Planfeststellungsrecht nur solche, die ernsthaft in Betracht kommen.18

Vgl. Köppel u.a., Anforderungen der SUP-Richtlinie an die Bundesverkehrswegeplanung und Verkehrsentwicklungsplanung der Länder, S. 38 ff.; s.a. Wulfhorst, DVBl. 2012, 466, 467.

15

Hünnekens, in: Hoppe (Hrsg.), UVPG, 3. Aufl., § 19b

13

Bundesrechnungshof, BT-Drs. 16/11000, S. 117.

14

BT-Drs. 15/3441, S. 42; dazu auch Leidinger, in: Hop-

16

Wulfhorst, DVBl. 2012, 466, 468.

pe (Hrsg.), UVPG, 3. Aufl., Anlage 3 UVPG Rn. 5 f.;

17

Schink, ZG 2011, 226, 235.

Stüer, Handbuch des Bau- und Fachplanungsrechts,

18

4. Aufl., Rn. 3007.

Rn. 21.

BVerwGE 100, 238, 250; dazu krit. Wulfhorst, NVwZ 2011, 1099, 1101 f., m.w.N.

30 | Bessere Planung mit mehr Bürgerbeteiligung | Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion | 10/2012

B) DIE GESETZLICHE BEDARFSFESTSTELLUNG Die Bedarfsfestlegung erfolgt für Bundesfernstraßen und Schienenwege durch Bundesgesetze, nämlich dem Fernstraßenausbaugesetz (FStrAbG) und dem Bundesschienenwegeausbaugesetz (BSWAG). Eine vergleichbare Bedarfsgesetzgebung gibt es dagegen nicht für die Wasserstraßen. Allerdings hat das Bundesverwaltungsgericht in § 56 III, IV WaStrG eine verkehrspolitische Grundentscheidung des Gesetzgebers für die Vollendung des Rhein-Main-Donau-Kanals gesehen, die als Bedarfsfeststellung interpretiert wurde.19 Die gesetzliche Bedarfsfeststellung stellt eine „verkehrspolitische Leitentscheidung“ dar, so dass sie, obwohl sie eine große Zahl von Einzelprojekten betrifft, keinen Verstoß gegen das Gewaltenteilungsprinzip bedeutet.20 Sie ist bindend für die folgende Planfeststellung (§ 1 II 2 FStrAbG, § 1 II BSWAG) und auch für die verwaltungsgerichtliche Kontrolle.21 Der Bedarfsplan kann nur vom Gesetzgeber geändert werden, was nach 5 Jahren vom Bundesverkehrsministerium zu überprüfen ist (§ 4 I FStrAbG, § 4 BSWAG). Entsteht ein unvorhergesehener Verkehrsbedarf insbesondere auf Grund einer Änderung der Verkehrsstruktur, so kann eine Ausbauplanung aber auch erfolgen, die nicht dem festgestellten Bedarf entspricht (§ 6 FStrAbG, § 6 BSWAG). Die Gesetze haben also keine Ausschlusswirkung. So ist etwa der Stuttgarter Tiefbahnhof, anders als die Ausbaustrecke Stuttgart-UlmAugsburg, nicht im Bedarfsplan für den Schienenwegeausbau enthalten gewesen.22 Damit wurde die demokratische Prioritätenfestlegung durch das Bundesschienenwegeausbaugesetz missachtet.

sungswidrigkeit führen.23 Ein entsprechendes Vorlageverfahren ist, soweit ersichtlich, bisher noch nie durchgeführt worden. Die gesetzliche Feststellung des Bedarfs schließt allerdings nicht aus, dass das Vorhaben im Planfeststellungsverfahren an entgegenstehenden öffentlichen oder privaten Belangen scheitert.24 Außerdem müssen natürlich bei öffentlichen Vorhabenträgern die notwendigen Haushaltsmittel bereit gestellt werden. Deshalb ist die Frage, ob ein Vorhaben durchgeführt wird, durch das Bedarfsgesetz noch nicht endgültig geklärt. Außerdem ist die zeichnerische Festlegung im Bedarfsplan für die Auswahl verschiedener Trassenvarianten nicht verbindlich, da nur die Netzverknüpfung, nicht aber die konkrete Trassenführung für die Bedarfsfeststellung relevant ist.25 In Zukunft ist für die Bedarfspläne nach einem Verkehrswegeausbaugesetz des Bundes nach § 14b I Nr. 1 UVPG i.V.m. Anlage 3 Nr. 1.1 obligatorisch eine Strategische Umweltverträglichkeitsprüfung durchzuführen. Hierfür gelten grundsätzlich die gleichen Regeln wie für die Erstellung des Bundesverkehrswegeplans (s.o. II.1.a). Da allerdings die Bedarfsgesetze unmittelbar aus dem Bundesverkehrswegeplan abgeleitet werden, ist fraglich, wie eine eigenständige SUP auf dieser Stufe aussehen könnte.26 Allenfalls wäre es denkbar, dass die Bundesregierung bei der Vorbereitung des Gesetzentwurfs eine SUP vornimmt, soweit der Bedarfsplan vom Bundesverkehrswegeplan abweicht.27 Eine FFH-Verträglichkeitsprüfung nach § 44 Bun-

23

BVerfG, NVwZ 1998, 1060; BVerwG, NVwZ 2007, 462, 463; Ziekow, in: ders. (Hrsg.), Praxis des Fach-

Eine gerichtliche Kontrolle kann nur im Vorlageverfahren zum Bundesverfassungsgericht nach Art. 100 I Grundgesetz (GG) erfolgen. Da der Gesetzgeber jedoch bei der Festlegung des Bedarfs über ein weites Gestaltungsermessen verfügt, kann nur eine evident unsachliche Entscheidung zur Verfas-

planungsrechts, Rn. 620; weitere Nachweise aus der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts bei Müller, Abschied von der Planrechtfertigung, S. 129, der sie als „extrem zurückhaltend“ charakterisiert. 24

BVerwGE 104, 236, 250.

25

BVerwGE 102, 331, 344.

26

Skeptisch auch Köppel u.a., Anforderungen der SUPRichtlinie an die Bundesverkehrswegeplanung und

19

BVerwGE 72, 15, 21 ff.

Verkehrsentwicklungsplanung der Länder, S. 72; nach

20

BVerfG, NVwZ 2008, 1060, 1061.

Tausch, Gestufte Bundesfernstraßenplanung, S. 334,

21

BVerwGE 98, 339, 345 ff.; 102, 331, 343.

findet praktisch eine gleichzeitige und identische Prü-

22

VGH Mannheim, Urt. v. 6.4.2006, Az. 5 S 847/05, Rn. 42 (juris).

fung statt. 27

Tausch, Gestufte Bundesfernstraßenplanung, S. 83.

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desnaturschutzgesetz (BNatSchG) ist dagegen nach überwiegender Auffassung nicht durchzuführen.28 C) DAS RAUMORDNUNGSVERFAHREN Das Raumordnungsverfahren dient nach § 15 I 1 Raumordnungsgesetz (ROG) der Prüfung der Raumverträglichkeit raumbedeutsamer Planungen und Maßnahmen. Es soll nach § 1 S. 1 Raumordnungsverordnung (ROV) durchgeführt werden, wenn eine Planung im Einzelfall raumbedeutsam ist und überörtliche Bedeutung hat und in dem Katalog aufgezählt ist. Im Katalog des § 1 S. 2 ROV sind der Bau einer Bundesfernstraße (Nr. 8), der Neubau und die wesentliche Trassenänderung von Schienenstrecken der Eisenbahnen des Bundes (Nr. 9) sowie der Ausbau, Neubau und die Beseitigung einer Bundeswasserstraße (Nr. 11) aufgeführt. Bei Fernstraßen und Bundeswasserstraßen wird zudem daran angeknüpft, dass ein Linienbestimmungsverfahren durchzuführen ist, welches dem Raumordnungsverfahren jedoch zeitlich nachgelagert ist. Zuständig für dessen Durchführung ist die für Raumordnung zuständige Landesbehörde. Innerhalb des Raumordnungsverfahrens sind gemäß § 15 III 1 ROG die in ihren Belangen berührten öffentlichen Stellen zu beteiligen. Die Einbeziehung der Öffentlichkeit ist dagegen nach § 15 III 3 ROG fakultativ. Gemäß § 28 III ROG behalten allerdings die bisher hierzu bestehenden Landesregelungen ihre Gültigkeit, die zum Teil eine verpflichtende, zum Teil eine im Ermessen der Behörde stehende Öffentlichkeitsbeteiligung vorsehen.29 Die Beteiligung kann über eine öffentliche Auslegung und/oder über das Internet erfolgen, auch öffentliche Erörterungstermine sind möglich.30 Für die Beurteilung der Raumverträglichkeit sind allerdings rein private Belange irrelevant, so dass entsprechende Stellungnahmen nicht zu beachten

28

§ 16 I UVPG überlässt es den Ländern zu regeln, unter welchen Voraussetzungen und in welchem Verfahren eine UVP im Raumordnungsverfahren durchzuführen ist. Dabei ist allerdings die aus SUP-RL und UVP-RL folgende Pflicht zu ihrer Durchführung zu berücksichtigen, wenn das Vorhaben ihr nach Europarecht unterliegt.33 Inzwischen haben die meisten Länder entsprechende Vorschriften zur Prüfung von Umweltbelangen erlassen (z.B. § 12 II 2 NROG).34 Im Raumordnungsverfahren ist nach § 15 I 2 ROG insbesondere die Übereinstimmung mit den Erfordernissen der Raumordnung zu prüfen, die neben den gesetzlich definierten Grundsätzen insbesondere in den Raumordnungsplänen der Länder niedergelegt sind (vgl. § 3 I Nr. 1 - 4 ROG). Sie bezieht sich auch auf die Standort- oder Trassenalternativen, allerdings nur insoweit, als sie vom Vorhabenträger eingeführt werden (§ 15 I 3 ROG). Die Raumordnungsbehörde kann nicht benannte Alternativen nicht von Amts wegen prüfen.35 Das Ergebnis des Raumordnungsverfahrens wird in den landesrechtlichen Regelungen meist als raumordnerische bzw. landesplanerische Beurteilung oder Feststellung bezeichnet (z.B. § 16 II 1 NROG). Seine Rechtsnatur ist nicht geregelt. Von der Rechtsprechung wird verneint, dass es sich um einen Verwaltungsakt handelt.36 Es ist im nachfolgenden fachlichen Zulassungsverfahren als sonstiges Erfordernis der Raumordnung (vgl. § 3 I Nr. 4 ROG) nach § 4 I 1 ROG in der Abwägung zu berück-

31

Rn. 64. Ziekow, DJT-Gutachten, S. 21.

33

Wagner, in: Hoppe (Hrsg.), UVPG, 3. Aufl., § 16 Rn.

34

Vgl. Koch/Hendler, Baurecht, Raumordnung- und

35

Goppel, in: Spannowsky/Runkel/Goppel, ROG, § 15

30 f.

Vgl. Goppel, in: Spannowsky/Runkel/Goppel, ROG, § 15 Rn. 60; Bunge, in: Schlacke/Schrader/Bunge, In-

Landesplanungsrecht, 5. Aufl., § 7 Rn. 8.

formationsrechte, Öffentlichkeitsbeteiligung und Rechtsschutz im Umweltrecht, § 2 Rn. 276 ff. 30

Goppel, in: Spannowsky/Runkel/Goppel, ROG, § 15

32

Dazu näher Tausch, Gestufte Bundesfernstraßenplanung, S. 91 ff.

29

sind.31 In der Praxis wird das Raumordnungsverfahren häufig von den Bürgern nicht ausreichend beachtet.32

Rn. 36. 36

BVerwG, NVwZ-RR 1996, 67; zu den verschiedenen

Goppel, in: Spannowsky/Runkel/Goppel, ROG, § 15

Ansichten vgl. Goppel, in:

Rn. 62.

Spannowsky/Runkel/Goppel, ROG, § 15 Rn. 80.

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sichtigen. Rechtsschutz kann dementsprechend nur durch eine inzidente Prüfung bei einer Klage gegen die Zulassungsentscheidung erfolgen.37 Trotz dieser rechtlich eher geringen Bindungswirkung hat es in der Praxis große Bedeutung.38 D) DIE LINIENBESTIMMUNG Das Verfahren der Linienbestimmung ist für Bundesfernstraßen mit Ausnahme von Ortsumgehungen (§ 16 FStrG) und für Bundeswasserstraßen (§ 13 WaStrG), nicht aber für Schienenwege vorgesehen. Zuständig ist jeweils das Bundesverkehrsministerium, dessen Verwaltungskompetenz durchaus fragwürdig aus der Natur der Sache abgeleitet wird.39 Bei den Fernstraßen ist lediglich das Benehmen mit den Landesplanungsbehörden herzustellen, während § 13 I WaStrG das Einvernehmen der zuständigen Landesbehörde verlangt, so dass ihr also ein Vetorecht zukommt. In § 16 II 2 FStrG ist eine Frist von drei Monaten für die Durchführung des Linienbestimmungsverfahrens vorgegeben, während eine solche Frist bei den Wasserstraßen fehlt. Die Linienbestimmung dient dazu, den Anfangsund Endpunkt sowie den grundsätzlichen Verlauf einer Trasse festzulegen.40 Die Bestimmung der Linienführung erfordert eine Abwägungsentscheidung, bei der die von dem Vorhaben berührten öffentlichen Belange einschließlich der Umweltverträglichkeit zu berücksichtigen sind. Die Belange können allerdings nur mit einem relativ grob-

37

38

maschigen Maßstab ermittelt und bewertet werden.41 Private Belange werden nicht erwähnt, weil sie auf dieser Stufe der Planung noch nicht hinreichend individualisiert sind.42 Die Linienbestimmung bindet die zuständigen Landesbehörden, die nach Art. 90 II GG im Auftrag des Bundes tätig sind, bei der Erarbeitung des Bauentwurfs und bei der Planfeststellung von Bundesfernstraßen.43 Bei den Bundeswasserstraßen besteht die Bindung für die Wasser- und Schifffahrtsdirektionen als Bundesbehörden, die nach § 14 I 3 WaStrG für die Planfeststellung zuständig sind. Die Linienbestimmung ist ein behördeninterner Akt, der mangels individueller Rechtsbetroffenheit nicht vor Gericht angefochten werden kann.44 Sie unterliegt damit nur einer mittelbaren gerichtlichen Kontrolle, soweit nämlich ihr Ergebnis in den Planfeststellungsbeschluss eingeflossen ist.45 Dies bestätigt auch § 15 V UVPG. Abwägungsmängel in der Linienbestimmung schlagen allerdings auf die Rechtmäßigkeit des Planfeststellungsbeschlusses durch.46 Erkennt die Planfeststellungsbehörde dies, kann sie jedoch nicht selbst abweichen, sondern muss eine erneute Entscheidung des Ministeriums im Linienbestimmungsverfahren einholen.47 Für die Linienbestimmung nach § 16 I FStrG und § 13 I WaStrG ist nach § 15 I 1 UVPG eine UVP durchzuführen, sofern das Vorhaben die Kriterien nach Anhang 1 erfüllt.48 Sie beschränkt sich allerdings aufgrund der Stufung des Verfahrens auf den je-

Goppel, in: Spannowsky/Runkel/Goppel, ROG, § 15

41

BVerwGE 104, 236, 253.

Rn. 85.

42

Aschermann, in: Ziekow (Hrsg.), Praxis des Fachpla-

Goppel, in: Spannowsky/Runkel/Goppel, ROG, § 15 Rn. 21; Hellmann, Die Öffentlichkeitsbeteiligung in ver-

nungsrechts, Rn. 1880. 43

Zur Begründung näher Lewin, Gestufte Planung von

44

BVerwGE 62, 342, 343 f.; 72, 15, 17; BVerwG, NVwZ

tikal gestuften Zulassungsverfahren für umweltrelevante Großvorhaben nach deutschem und europäischem

Bundesverkehrswegen, S. 96 ff., m.w.N.

Recht, S. 69, spricht von einer faktischen Verbindlich-

1996, 1011, 1014; Bauer, Die Durchsetzung des euro-

keit. 39

päischen Umweltrechts in Deutschland, S. 146. 45

BVerwGE 62, 342, 347 f.; BVerwG, NVwZ 1996, 381,

f., m.w.N.; plausibler Lewin, Gestufte Planung von

46

BVerwGE 104, 236, 252.

Bundesverkehrswegen, S. 57 ff., der darin eine Wei-

47

Wagner, in: Hoppe (Hrsg.), UVPG, 3. Aufl., § 15 Rn.

Zur Frage der Vereinbarkeit mit Art. 90 II GG vgl. Tausch, Gestufte Bundesfernstraßenplanung, S. 111

384.

sung nach Art. 85 III GG sieht. 40

Sauthoff, in: Ziekow (Hrsg.), Praxis des Fachplanungsrechts, Rn. 1305.

43, m.w.N. 48

Sie ist auch durch die SUP-RL gefordert, vgl. Tausch, Gestufte Bundesfernstraßenplanung, S. 114.

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weiligen Planungsstand. Dabei sind nach § 15 I 3 UVPG alle ernsthaft in Betracht kommenden Trassenvarianten einzubeziehen. Zur Vermeidung eines doppelten Prüfungsaufwands entfällt nach § 15 I 2 UVPG die UVP allerdings, wenn die Umweltverträglichkeit bereits in einem Raumordnungsverfahren geprüft worden ist, das die Anforderungen des § 15 UVPG erfüllt. Für die Durchführung des Verfahrens gelten grundsätzlich die allgemeinen Regeln in §§ 5 - 9a UVPG.49 Eine Sonderregelung enthält allerdings § 15 II UVPG für die Öffentlichkeitsbeteiligung. Die Unterlagen des Vorhabenträgers nach § 6 UVPG sind in den Gemeinden, in denen sich das Vorhaben voraussichtlich auswirkt, einen Monat zur Einsicht auszulegen, was die Gemeinde vorher ortsüblich bekanntzugeben hat. Jeder kann sich dann bis zwei Wochen nach Ablauf der Auslegungsfrist äußern, ein Erörterungstermin findet jedoch nicht statt. Außerdem ist nach § 36 S. 1 Nr. 1 BNatSchG eine FFH-Verträglichkeitsprüfung durchzuführen.50 Dafür ist allerdings keine Öffentlichkeitsbeteiligung vorgesehen. E) DIE PLANFESTSTELLUNG Für den Bau oder die Änderung von Bundesfernstraßen (§§ 17 ff. FStrG), den Bau und die Änderung von Betriebsanlagen einer Eisenbahn (§§ 18 ff. AEG) sowie den Ausbau, den Neubau oder die Beseitigung von Bundeswasserstraßen (§§ 14 ff. WaStrG) ist eine Planfeststellung erforderlich. Mit der Planfeststellung wird nach § 75 I Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG) die Zulässigkeit des Vorhabens im Hinblick auf alle von ihm berührten öffentlichen Belange festgestellt. Sie umfasst alle anderen behördlichen Entscheidungen und regelt rechtsgestaltend alle öffentlich-rechtlichen Beziehungen zwischen dem Träger des Vorhabens und den durch den Plan Betroffenen. Der Planfeststellungsbeschluss hat außerdem nach § 19 I FStrG, §

22 I AEG eine enteignungsrechtliche Vorwirkung, weil er bindend feststellt, dass ein Vorhaben dem Wohl der Allgemeinheit i.S.v. Art. 14 III GG dient. Im Planfeststellungsverfahren findet ein Anhörungsverfahren nach § 73 VwVfG statt.51 In diesem Stadium steht allerdings der Inhalt des Plans schon fest und wesentliche Vorentscheidungen sind auf höheren Planungsstufen getroffen worden, Deshalb besteht heute weitgehend Einigkeit, dass diese Form der Öffentlichkeitsbeteiligung zu spät kommt.52 Der vom Vorhabenträger eingereichte Plan wird von der Anhörungsbehörde den Behörden, deren Aufgaben durch das Vorhaben berührt werden, zur Stellungnahme übersandt. Sie haben ihre Stellungnahme innerhalb einer von der Anhörungsbehörde gesetzten Frist von maximal drei Monaten abzugeben. Außerdem erfolgt eine Benachrichtigung der vom Land anerkannten Naturschutzvereinigungen und anderen Umweltverbände (§ 17a Nr. 2 FStrG, § 18a Nr. 2 AEG, § 14a Nr. 2 WaStrG). Parallel findet für die Dauer eines Monats eine öffentliche Auslegung des Plans in allen Gemeinden statt, in denen sich der Plan auswirkt. Die Auslegung ist mit den Angaben nach § 73 V VwVfG ortsüblich bekanntzugeben. Ob damit gewährleistet werden kann, dass jeder Betroffene tatsächlich von dem Vorhaben erfährt, ist sehr zweifelhaft.53 Jeder, dessen Belange durch das Vorhaben berührt werden, kann bis zwei Wochen nach Ablauf der Auslegungsfrist Einwendungen gegen den Plan erheben. Diese Frist wird angesichts der Komplexität der Unterlagen als zu knapp kritisiert.54

51

Zur Vorgeschichte der geltenden Regelung ausführlich Fisahn, Demokratie und Öffentlichkeitsbeteiligung, S. 10 ff.

52

Wulfhorst, DÖV 2011, 581 ff.; Gärditz, GewArch 2011, 273, 276; Stüer/Buchsteiner, UPR 2011, 335, 336; Schmehl, FS Bull, 2011, S. 347, 359; Ziekow, DJTGutachten, S. 27 f.; anders aber Burgi/Durner, Modernisierung des Verwaltungsverfahrensrechts durch

49

Wagner, in: Hoppe (Hrsg.), UVPG, 3. Aufl., § 15 Rn. 29.

50

Stärkung des VwVfG, S. 177 ff. 53

Steinberg/Berg/Wickel, Fachplanung, 3. Aufl., § 2 Rn.

54

Ziekow, DJT-Gutachten, S. 28.

Dazu näher Tausch, Gestufte Bundesfernstraßenplanung, S. 120 ff.

75.

34 | Bessere Planung mit mehr Bürgerbeteiligung | Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion | 10/2012

Zu den Belangen, mit denen die Einwendungsbefugnis begründet wird, zählen nicht nur subjektive Rechte, sondern alle berechtigten und anerkennenswerten eigenen Interessen.55 Lediglich Enteignungsbetroffene können aufgrund der extensiven Interpretation des Art. 14 III GG durch die Rechtsprechung auch alle öffentlichen Belange geltend machen.56 Die Einwendungen müssen hinreichend substantiiert sein.57 Verspätete Einwendungen sind ausgeschlossen (§ 17a Nr. 7 FStrG, § 18a Nr. 7 AEG, § 14a Nr. 7 WaStrG). Will ein enteignungsrechtlich Betroffener auch öffentliche Belange geltend machen, so muss er sie ebenfalls bereits in der Einwendung benennen.58 Eine Präklusionsregelung gilt auch für Umweltvereinigungen nach § 2 III Umweltrechtsbehelfsgesetz (UmwRG). Sie ist nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts mit EU-Recht vereinbar.59 Nach Ablauf der Einwendungsfrist hat die Anhörungsbehörde die rechtzeitig erhobenen Einwendungen gegen den Plan und die Stellungnahmen der Behörden mit dem Vorhabenträger, den Behörden, den Betroffenen und den Einwendern zu erörtern.60 Im Bereich der Verkehrsplanung steht die Durchführung des Erörterungstermin allerdings seit einigen Jahren im Ermessen der Behörde (§ 17a Nr. 5 FStrG, § 18a Nr. 5 AEG, § 14a Nr. 5 WaStrG).61 Problematisch ist am Erörterungstermin,

dass er von den Betroffenen oft nicht als unvoreingenommene Diskussion über Vor- und Nachteile eines Vorhabens erlebt wird, sondern als mehr oder weniger lästige Pflicht zur Abarbeitung von Einwänden gegen ein Projekt, das zwischen Behörde und Vorhabenträger längst abgestimmt ist.62 Deshalb wird auch die Verhandlungsführung oft nicht als hinreichend neutral empfunden. Integriert in das Planfeststellungsverfahren findet eine Umweltverträglichkeitsprüfung statt. Die Öffentlichkeitsbeteiligung erfolgt gemäß § 9 I 3 UVPG nach den Regeln in § 73 II 1, IV – VII VwVfG, so dass insofern die allgemeinen Vorschriften gelten. Unter den Voraussetzungen des § 74 VI VwVfG, dass Rechte anderer nicht beeinträchtigt werden oder sie sich mit der Inanspruchnahme ihres Eigentums schriftlich einverstanden erklärt haben und mit den in ihren Aufgaben berührten Trägern öffentlichen Belange das Benehmen hergestellt worden ist, kann an Stelle eines Planfeststellungsbeschlusses eine Plangenehmigung erteilt werden. Sie hat die Rechtswirkungen der Planfeststellung mit Ausnahme der enteignungsrechtlichen Vorwirkung, jedoch finden die Vorschriften über das Planfeststellungsverfahren keine Anwendung. Damit wird vor Erlass einer Plangenehmigung insbesondere keine Öffentlichkeitsbeteiligung durchgeführt. 2. DIE PLANUNG VON FLUGHÄFEN

55

Bunge, in: Schlacke/Schrader/Bunge, Informationsrechte, Öffentlichkeitsbeteiligung und Rechtsschutz im Umweltrecht, § 2 Rn. 154.

56

BVerwGE 67, 74, 76; 72, 15, 25 f.; BVerwG, NVwZ 1999, 528, 531.

57

Steinberg/Berg/Wickel, Fachplanung, 3. Aufl., § 2 Rn.

58

BVerwG, NVwZ 2012, 180, 182.

59

BVerwG, NVwZ 2012, 176, 177 f.; krit. Schlacke, in:

Für die Planung von Flughäfen gibt es bisher keine übergeordnete, gesetzlich geregelte Fachplanung auf Bundes- oder Landesebene. Insbesondere gibt es keine standortübergreifende Abstimmung des Bedarfs an zusätzlichen Kapazitäten.63 Allerdings hat der Verwaltungsgerichtshof BadenWürttemberg aus der Erwähnung eines Regional-

88.

Schlacke/Schrader/Bunge, Informationsrechte, Öffent-

DJT-Gutachten, S. 87; zur Praxis vgl. die Angaben der

lichkeitsbeteiligung und Rechtsschutz im Umweltrecht, 60

61

Bundesregierung in BT-Drs. 17/3331.

§ 3 Rn. 177.

62

Köck/Salzborn, ZUR 2012, 203, 204; zum Ablauf

63

Vgl. z.B. Pünder, DV 38 (2005), 1, 2. Vgl. allerdings das Flughafenkonzept der Bundesregie-

ausführlich Plog/Tepperwien, NdsVBl. 2010, 95 ff.

rung aus dem Jahr 2000, abrufbar unter

Krit. Cancik, DÖV 2007, 107 ff.; Debus, in: Dokumen-

http://www.bmvbs.de/cae/servlet/contentblob/30820/pu

tation zur 32. wissenschaftlichen Fachtagung der Ge-

blicationFile/445/flughafenkonzept-2000-der-

sellschaft für Umweltrecht e.V., S. 185, 201 f.; Ziekow,

bundesregierung.pdf (28.5.2012).

10/2012 | Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion | Bessere Planung mit mehr Bürgerbeteiligung | 35

flughafens im Bundesverkehrswegplan 2003 geschlossen, dass damit ein öffentliches Verkehrsinteresse auf Bundesebene formuliert worden sei, das bei der Entscheidung über eine Flughafengenehmigung nach § 6 III LuftVG zu berücksichtigen sei.64 A) DAS STANDORTKONZEPT Einen ersten Ansatz für eine übergreifende Planung bietet nunmehr § 17 II 1 ROG. Diese neue Vorschrift ermächtigt das Bundesverkehrsministerium, durch Rechtsverordnung Raumordnungspläne für das Bundesgebiet mit Festlegungen zu länderübergreifenden Standortkonzepten für Flughäfen zu erlassen, allerdings nur als Grundlage für ihre verkehrliche Anbindung im Rahmen der Bundesverkehrswegeplanung. Ein solcher Raumordnungsplan dient also als Vorstufe der Bundesverkehrswegeplanung zur Ermittlung der Flughäfen, die an die Bundesverkehrsinfrastruktur angebunden werden sollen.65 Das Standortkonzept erfordert eine Klassifizierung der Flughäfen im Hinblick auf ihre internationale, europäische oder nur nationale Bedeutung und könnte so durch deren verkehrliche Anbindung eine gewisse indirekte Steuerungswirkung für ihre weitere Entwicklung haben.66 Während für die nachfolgende Bundesverkehrswegeplanung so eine Selbstbindung des Bundesverkehrsministeriums entsteht67, ist eine rechtliche Bindungswirkung für raumbedeutsame Planungen und Maßnahmen der Länder durch § 17 II 2 ROG ausdrücklich ausgeschlossen.68 Es steht einem Land also frei, den Ausbau eines Flughafens zu betreiben, auch wenn er im Standortkonzept des Bundes keine Priorität genießt. Allerdings kann es dann nicht mit einer Verbesserung der Hinterlandanbindung durch Verkehrswege des Bundes rechnen.

B) DIE STANDORTBESTIMMUNG DURCH RAUMPLANUNG Die Standortbestimmung eines neuen Flughafens ist eine Aufgabe der Raumplanung. Zwar ist nach der Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts das Verhältnis zwischen Landesplanung und luftverkehrsrechtlicher Fachplanung nicht durch eine vertikale Planungshierarchie gekennzeichnet, sondern durch eine arbeitsteilige Aufgabenstruktur mehrerer Planungsträger, deren aufgabenspezifische Kompetenzen und Gestaltungsspielräume durch rechtliche Bindungen, Abstimmungsgebote und Beteiligungsverfahren miteinander verschränkt sind.69 Liegt jedoch eine zielförmige Standortausweisung durch die Landesplanung vor, ist das Ergebnis eines Standortvergleichs für die Planfeststellungsbehörde verbindlich. Eine erneute ergebnisoffene Standortalternativenprüfung des Fachplanungsträgers wäre mit dem gesamträumlichen Gestaltungsanspruch der Landesplanung nicht vereinbar.70 Eine fachplanerische Abwägung von Standortalternativen kommt nur in Frage, wenn und soweit der Träger der Landesplanung auf eine gebietsscharfe zielförmige Standortvorgabe verzichtet.71 Allerdings ergibt sich aus der landesplanerischen Zielfestlegung keine Realisierungspflicht für das Vorhaben, denn die Planfeststellungsbehörde hat zu prüfen, ob das Vorhaben an Ort und Stelle technisch oder rechtlich realisierbar ist, der vorgesehene Standort sich aus anderen Gründen als ungeeignet erweist oder mit unverhältnismäßigen Eingriffen in private, kommunale oder allgemeine öffentliche Belange verbunden wäre.72 Da der Bau oder die Erweiterung eines Flughafens raumbedeutsam ist, ist ein Raumordnungsverfahren nach § 15 ROG i.V.m. § 1 S. 2 Nr. 12 ROV durchzuführen. Von der Durchführung kann nach § 15 I 4 ROG abgesehen werden, wenn die Raumverträglichkeit anderweitig geprüft worden ist, wie es z.B. im Fall des Flughafens Berlin-Schönefeld im

64

VGH Mannheim, UPR 2005, 313, Rn. 36.

65

Runkel, in: Hoppe (Hrsg.), UVPG, 3. Aufl., § 17 Rn. 3.

69

BVerwGE 125, 116, 136.

66

Runkel, in: Hoppe (Hrsg.), UVPG, 3. Aufl., § 17 Rn. 26.

70

BVerwGE 125, 116, 137; zustimmend Steinberg,

67

Runkel, in: Hoppe (Hrsg.), UVPG, 3. Aufl., § 17 Rn. 33.

68

DVBl. 2010, 137, 146.

Zu Recht kritisch Ritter, DÖV 2009, 425, 433; Durner,

71

BVerwGE 125, 116, 138.

NuR 2009, 373, 377.

72

BVerwGE 125, 116, 140 f.

36 | Bessere Planung mit mehr Bürgerbeteiligung | Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion | 10/2012

Landesentwicklungsplan Flughafenstandortentwicklung erfolgt ist.73 C) DAS PLANFESTSTELLUNGSVERFAHREN Das Anlegen sowie das Ändern von Flughäfen sowie Landeplätzen mit beschränktem Bauschutzbereich bedarf der Planfeststellung (§§ 8 ff. LuftVG). Für das Anhörungsverfahren gelten nach § 10 LuftVG die Regeln des § 73 VwVfG mit denselben Modifikationen wie im Bereich der Verkehrswegeplanung. Es erfolgt also ebenfalls eine Behörden-, Verbands- und Öffentlichkeitsbeteiligung mit einem fakultativen Erörterungstermin. Auch hier ist unter den Voraussetzungen des § 8 II LuftVG eine Plangenehmigung in einem vereinfachten Verfahren möglich. 3. DIE PLANUNG DER HOCHSPANNUNGSNETZE Das Planungsverfahren für Hochspannungsnetze für die Elektrizitätsübertragung ist inzwischen ebenfalls mehrstufig organisiert. Dabei sind neben den allgemeinen Vorschriften im EnWG die Sonderregeln des NABEG zu beachten, die nach § 2 NABEG für die Errichtung oder Änderung von länderübergreifenden oder grenzüberschreitenden Höchstspannungsleitungen gelten, die im Bedarfsplan als solche gekennzeichnet sind. Dieses Gesetz wurde im Rahmen der Neuorientierung der Energiepolitik nach dem (erneuten) Atomausstieg im Sommer 2011 verabschiedet.74 Es beruht wesentlich auf Vorarbeiten des Sachverständigenrates für Umweltfragen.75 A) DIE BEDARFSPLANUNG AUF BUNDESEBENE Zur Beschleunigung der Planung gibt es inzwischen wie im Bereich der Verkehrswege eine gesetzliche Bedarfsfeststellung durch das Gesetz zum Ausbau von Energieleitungen (EnLAG) vom 21. August 2009. Es enthält im Anhang einen Bedarfsplan für

73 74

BVerwGE 125, 116, 133. Zur Gesetzgebungskompetenz vgl. Erbguth, NVwZ 2012, 326, 328 f.

75

Vgl. Wagner, DVBl. 2011, 1453, 1453 f., mit Hinweis

Vorhaben nach § 43 S. 1 EnWG im Bereich der Höchstspannungsnetze mit einer Nennspannung von 380 Kilovolt oder mehr, der insgesamt 24 Vorhaben umfasst, die überwiegend einen Neubau von Leitungen betreffen. Nach § 1 II EnLAG entsprechen die in den Bedarfsplan aufgenommenen Vorhaben den Zielsetzungen des § 1 EnWG. Ihre energiewirtschaftliche Notwendigkeit und der vordringliche Bedarf werden durch das Gesetz festgestellt, was für die Planfeststellung und die Plangenehmigung verbindlich ist.76 Nach § 3 EnLAG erfolgt nach drei Jahren eine Überprüfung des Bedarfs durch das Bundeswirtschaftsministerium. Ausgangspunkt für den weiteren Ausbau des Hochspannungsnetzes ist seit der Novellierung im Jahr 2011 ein Szenariorahmen, der nach § 12a EnWG von den Betreibern der Übertragungsnetze mit einer Öffentlichkeitsbeteiligung zu entwerfen ist. § 12b I EnWG verpflichtet die Betreiber von Übertragungsnetzen der Regulierungsbehörde jährlich zum 3. März, erstmalig aber erst zum 3. Juni 2012, auf der Grundlage des Szenariorahmens einen gemeinsamen nationalen Netzentwicklungsplan zur Bestätigung vorzulegen. Dieser gemeinsame nationale Netzentwicklungsplan muss alle wirksamen Maßnahmen zur bedarfsgerechten Optimierung, Verstärkung und zum Ausbau des Netzes enthalten, die in den nächsten zehn Jahren für einen sicheren und zuverlässigen Netzbetrieb erforderlich sind. Die Regulierungsbehörde prüft nach § 12c I EnWG, ob der Plan den gesetzlichen Anforderungen entspricht und kann Änderungen verlangen. Außerdem erstellt sie nach § 12c II EnWG frühzeitig während des Verfahrens zur Erstellung des Netzentwicklungsplans einen Umweltbericht, der den Anforderungen des § 14g UVPG entsprechen muss. Die Regulierungsbehörde beteiligt gemäß § 12c III EnWG die Behörden, deren Aufgabenbereich berührt wird, und die Öffentlichkeit nach den Vorschriften des UVPG. Am Ende des Verfahrens bestätigt die Regulierungsbehörde nach § 12c IV EnWG den jährlichen Netzentwicklungsplan unter Berücksichtigung des Ergebnisses der Behörden- und Öffentlichkeitsbeteiligung mit Wirkung für die Betreiber von Übertragungsnetzen.

auf: Sachverständigenrat für Umweltfragen, Wege zur 100 % erneuerbaren Energieerzeugung, Sondergutachten, Januar 2011, S. 306 ff.

76

BVerwG, ZUR 2010, 533, 534.

10/2012 | Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion | Bessere Planung mit mehr Bürgerbeteiligung | 37

Diese Entscheidung ist nicht von Dritten anfechtbar. Bei einer Fortschreibung kann sich nach § 12d EnWG die Öffentlichkeitsbeteiligung auf die Änderungen beschränken, doch muss mindestens alle drei Jahre ein vollständiges Verfahren stattfinden. Die Regulierungsbehörde übermittelt nach § 12e EnWG den Netzentwicklungsplan mindestens alle drei Jahre der Bundesregierung als Entwurf für einen Bundesbedarfsplan, die ihn ebenfalls mindestens alle drei Jahre sowie bei Änderungen dem Bundesgesetzgeber vorlegt. § 12e IV EnWG regelt wie bereits § 1 II EnLAG die Verbindlichkeit des vom Gesetzgeber erlassenen Bedarfsplans für die Planfeststellung und die Plangenehmigung nach den §§ 43 - 43d EnWG und §§ 18 - 24 NABEG, aber auch für die Betreiber von Übertragungsnetzen. B) DIE BUNDESFACHPLANUNG TRASSENKORRIDORE Zwischen den Bundesbedarfsplan und die Planfeststellung ist neu eine Bundesfachplanung Trassenkorridore nach §§ 4 - 17 NABEG eingeschaltet worden, die von der Bundesnetzagentur durchgeführt wird. Kompetenzgrundlage hierfür ist Art. 87 III 1 GG.77 Erfasst werden nur länderübergreifende Höchstspannungsleitungen. Die Bundesfachplanung dient nach § 5 I NABEG dazu, Trassenkorridore von im Bundesbedarfsplan aufgeführten Höchstspannungsleitungen zu bestimmen. Dabei ist zu prüfen, ob der Verwirklichung des Vorhabens in einem Trassenkorridor überwiegende öffentliche oder private Belange entgegenstehen, insbesondere die Übereinstimmung mit den Erfordernissen der Raumordnung im Sinne von § 3 I Nr. 1 ROG. Mit der Formulierung in § 1 S. 3 NABEG, dass die Realisierung der Stromleitungen aus Gründen eines überragenden öffentlichen Interesses notwendig ist, soll diese Abwägung zugunsten der Vorhaben beeinflusst werden. Ein abstrakter Vorrang vor EU-rechtlich geschützten Umweltbelangen wäre allerdings unzulässig.78

Normalerweise ist nach § 15 I ROG i.V.m. § 1 S. 2 Nr. 14 ROV für die Errichtung von Hochspannungsfreileitungen mit einer Nennspannung von 110 kV oder mehr ein Raumordnungsverfahren vorgesehen, das von einer Landesbehörde durchgeführt wird. Durch die spezialgesetzliche Vorschrift in § 28 NABEG wird es jedoch für die von ihm erfassten Leitungen ausdrücklich ausgeschlossen, da hier die Raumverträglichkeit der Trassen bereits bei der Aufstellung der Bundesfachplanung zu prüfen ist.79 Damit übernimmt eine Fachbehörde, die bereits vorher den Bedarfsplan aufgestellt hat, auch die übergreifende raumbezogene Prüfung, was zu einer faktischen Stärkung der fachlichen Belange führen wird.80 Außerdem findet nach § 5 II NABEG auf dieser Planungsstufe ebenfalls eine Strategische Umweltprüfung statt. Zunächst führt die Bundesnetzagentur nach § 7 NABEG eine Antragskonferenz mit den betroffenen Trägern öffentlicher Belange, deren Aufgabenbereich berührt ist, insbesondere den für die Landesplanung zuständigen Landesbehörden, sowie den Umweltvereinigungen durch, die gleichzeitig den Scopingtermin im Rahmen der Umweltverträglichkeitsprüfung darstellt. Diese Antragskonferenz ist öffentlich, wobei die Unterrichtung der Öffentlichkeit auf der Internetseite der Bundesnetzagentur und über örtliche Tageszeitungen erfolgt, die in dem Gebiet verbreitet sind, auf das sich der beantragte Trassenkorridor voraussichtlich auswirken wird.81 Auch private Dritte können eine Möglichkeit zur Äußerung erhalten.82 Die Bundesnetzagentur legt auf Grund der Ergebnisse der Antragskonferenz einen Untersuchungsrahmen für die Bundesfachplanung nach pflichtgemäßem Ermessen fest und bestimmt den erfor-

79

Zur Diskussion über die Gesetzgebungskompetenz

80

Krit. Durner, DVBl. 2011, 853, 856; Erbguth, DVBl.

des Bundes vgl. Wagner, DVBl. 2011, 1453, 1456.

2012, 325 ff., der darin sogar einen Verstoß gegen den Grundsatz der Systemgerechtigkeit sieht, dessen verfassungsrechtliche Verankerung allerdings fraglich ist. 77

Erbguth, NVwZ 2012, 326, 330 f.; Schmitz/Jornitz,

81

NVwZ 2012, 332, 334. 78

Dazu näher Wagner, DVBl. 2011, 1453, 1457.

Skeptisch wegen möglicher Verschleppungsgefahren Kment, RdE 2011, 341, 346.

82

Ziekow, DJT-Gutachten, S. 48.

38 | Bessere Planung mit mehr Bürgerbeteiligung | Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion | 10/2012

derlichen Inhalt der vom Vorhabenträger einzureichenden Unterlagen. Nach ihrer Einreichung erfolgt nach § 9 NABEG eine Behörden- und Öffentlichkeitsbeteiligung, die sich grundsätzlich nach §§ 14h, 14i UVPG richtet. Äußerungsberechtigt ist nach § 9 VI NABEG „jede Person, einschließlich Vereinigungen“, was nicht ganz mit dem Verweis auf § 73 IV VwVfG in der Entwurfsbegründung harmoniert.83 Einwendungen werden nach § 10 NABEG mündlich erörtert. Die abschließende Entscheidung der Bundesnetzagentur über die Bundesfachplanung enthält nach § 12 NABEG den Verlauf eines raumverträglichen Trassenkorridors, der Teil des Bundesnetzplans wird, sowie die an Landesgrenzen gelegenen Länderübergangspunkte, eine Bewertung sowie eine zusammenfassende Erklärung der Umweltauswirkungen gemäß den §§ 14k, 14l UVPG des in den Bundesnetzplan aufzunehmenden Trassenkorridors und das Ergebnis der Prüfung von alternativen Trassenkorridoren. Dagegen können betroffene Länder nach § 14 NABEG Einwendungen erheben, zu denen die Bundesnetzagentur Stellung nimmt.84 Eine Präklusion ist allerdings nicht vorgesehen.85 Die Entscheidung hat nach § 15 NABEG, anders als das Ergebnis eines Raumordnungsverfahrens, Bindungswirkung für die nachfolgenden Planfeststellungsverfahren und grundsätzlich Vorrang vor Landesplanungen. Ihre Geltungsdauer ist auf zehn Jahre befristet, eine Verlängerung um fünf Jahre ist möglich. Die Entscheidung entfaltet jedoch nach § 15 III NABEG keine unmittelbare Außenwirkung und kann nur im Rahmen des Rechtsbehelfsverfahrens gegen die Zulassungsentscheidung für die jeweilige Baumaßnahme überprüft werden. Damit wird aber die strikte Bindungswirkung relativiert, denn die Planfeststellungsbehörde muss zur Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes ähnlich wie bei der Linienbestimmung berechtigt sein, die Bundesfach-

planung im Rahmen der Abwägungsentscheidung zu hinterfragen (s.o. II.2.b).86 C) DAS PLANFESTSTELLUNGSVERFAHREN Ein Planfeststellungsverfahren ist nach § 43 I EnWG für die Errichtung, den Betrieb sowie die Änderung von Hochspannungsfreileitungen, ausgenommen Bahnstromfernleitungen, mit einer Nennspannung von 110 kV oder mehr sowie bestimmte Hochspannungsleitungen zur Anbindung von OffshoreAnlagen und im Küstenmeer erforderlich.87 Für das Anhörungsverfahren gelten nach § 43a EnWG die Regeln des § 73 VwVfG mit denselben Modifikationen wie im Bereich der Verkehrswegeplanung, so dass also auch hier der Erörterungstermin nur noch fakultativ ist. Für die in § 43g EnWG genannten Verfahrensschritte, insbesondere auch die Leitung des Erörterungstermins, kann die Behörde einen Dritten als Projektmanager beauftragen. § 43b EnWG verweist mit Modifikationen auf § 74 VwVfG, wodurch auch eine Plangenehmigung möglich ist. Für die vom NABEG erfassten Höchstspannungsleitungen enthalten §§ 18 ff. NABEG einige Sonderregeln für das Planfeststellungsverfahren, das im Übrigen gemäß § 18 III 2 NABEG nach den Regeln des fünften Abschnittes des EnWG durchzuführen ist. Für die Planfeststellung sind nach § 31 II NABEG grundsätzlich die Landesbehörden zuständig, jedoch kann die Zuständigkeit durch eine Rechtsverordnung nach § 2 II NABEG auf die Bundesnetzagentur übertragen werden.88 Die Planfeststellungsbehörde führt nach § 19 NABEG unverzüglich nach Einreichung des Antrags eine Antragskonferenz mit dem Vorhabenträger sowie den betroffenen Trägern öffentlicher Belan-

86

Ähnlich Durner, DVBl. 2011, 853, 861; Moench/Rutloff, NVwZ 2011, 1040, 1043; Wagner, DVBl. 2011, 1453, 1458; Erbguth, DVBl. 2012, 325, 328.

87

Das Erfordernis der Planfeststellung gilt erst seit 2001,

88

Zweifel an der Bundesverwaltungskompetenz nach

vgl. Durner, DVBl. 2011, 853, 854 f. 83

Vgl. Wagner, DVBl. 2011, 1453, 1455.

84

Ein Rechtsschutz der Länder ist nicht vorgesehen, vgl.

Art. 87 III 1 GG äußern Durner, DVBl. 2011, 853, 857

Erbguth, NVwZ 2012, 326, 328.

f., und Moench/Rutloff, NVwZ 2011, 1040, 1041; a.A.

Moench/Rutloff, NVwZ 2011, 1040, 1043.

Schmitz/Jornitz, NVwZ 2012, 332, 334.

85

10/2012 | Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion | Bessere Planung mit mehr Bürgerbeteiligung | 39

ge und Vereinigungen durch, die sich auf Gegenstand, Umfang und Methoden der Unterlagen nach § 6 UVPG sowie sonstige für die Planfeststellung erhebliche Fragen erstrecken soll. Es handelt sich also um einen erweiterten Scoping-Termin. Eine wichtige Neuerung besteht darin, dass er öffentlich durchgeführt wird, wobei die Unterrichtung der Öffentlichkeit im amtlichen Verkündungsblatt und über die Internetseite der Planfeststellungsbehörde und in örtlichen Tageszeitungen erfolgt, die in dem Gebiet verbreitet sind, auf das sich das Vorhaben voraussichtlich auswirken wird. Die Ergebnisse der Antragskonferenz sind nach § 21 I NABEG vom Vorhabenträger beim endgültigen Plan zu berücksichtigen, ohne dass die Art der Bindung näher definiert wird. Im Anhörungsverfahren nach § 22 NABEG erfolgt eine Übermittlung der Unterlagen auch an die Umweltvereinigungen. Die Planfeststellungsbehörde hat den Trägern öffentlicher Belange eine Frist für die Abgabe ihrer Stellungnahme zu setzen, die drei Monate nicht überschreiten darf. Ein Erörterungstermin ist in § 22 VII 1 NABEG verpflichtend vorgesehen, sofern es sich nicht um unwesentliche Änderungen nach § 25 NABEG handelt, bei denen nur ein Anzeigeverfahren erfolgt. Die Umweltverträglichkeitsprüfung kann nach § 23 NABEG auf Grund der in der Bundesfachplanung bereits durchgeführten Strategischen Umweltprüfung auf zusätzliche oder andere erhebliche Umweltauswirkungen der beantragten Stromleitung beschränkt werden.

40 | Bessere Planung mit mehr Bürgerbeteiligung | Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion | 10/2012

III. DAS NEUE DREISTUFIGE PLANUNGSVERFAHREN Das geltende Infrastrukturplanungsrecht in Deutschland ist zersplittert. Auch wenn es mit dem Planfeststellungsverfahren ein gemeinsames Grundelement gibt, bestehen doch einige sektorspezifische Sondervorschriften, die die Vereinheitlichungsfunktion des VwVfG in Frage stellen.89 Insbesondere sind aber die vorgelagerten Planungsstufen uneinheitlich geregelt. Eine gesetzliche Bedarfsfeststellung fehlt für die Bundeswasserstraßen. Dafür gibt es im Bereich der Schienenwege kein Linienbestimmungsverfahren. Für die Errichtung und Erweiterung von Flughäfen fehlt jede übergeordnete Fachplanung. Das Raumordnungsverfahren ist zwar grundsätzlich in allen Bereichen vorgesehen, doch gibt es wiederum einzelfallbezogene Ausnahmen und eine Bereichsausnahme für Höchstspannungsleitungen im NABEG. Eine Neuordnung des Infrastrukturplanungsrechts muss von zwei Leitideen ausgehen, dem Ausbau der Bürgerbeteiligung und der Straffung der Verfahren. Für beide Aspekte, die keineswegs grundsätzlich unvereinbar sind,90 kann das NABEG eine gewisse Vorbildwirkung entfalten,91 wobei allerdings einige Ungereimtheiten ausgeräumt werden müssen. Reformbedürftig ist außerdem der Rechtsschutz auf den vorgelagerten Planungsstufen. Hier muss insbesondere die Verbandsklage als Instrument des altruistischen Umweltschutzes gestärkt werden. Auf der einen Seite ist eine Verbesserung der Bürgerbeteiligung erforderlich.92 Großprojekte mit gravierenden ökologischen Folgen dürfen nur noch mit einer breiten Einbeziehung der Betroffenen

89

Dazu allgemein Burgi/Durner, Modernisierung des Verwaltungsverfahrensrechts durch Stärkung des

und größtmöglicher Transparenz verwirklicht werden. Vielfältige öffentliche Proteste, z.B. gegen die Flughafenerweiterungen in Berlin und Frankfurt oder gegen Schienenprojekte wie in Stuttgart oder im Rheintal, zeigen, dass als obrigkeitsstaatlich empfundene Planungen auf großen Widerstand stoßen. Allerdings kann auch eine deutlich verbesserte Öffentlichkeitsbeteiligung klare Interessengegensätze zwischen den Umweltnutzern und den in eigenen Belangen Betroffenen, insbesondere den Nachbarn, sowie die damit oft korrelierten Unterschiede in den Wertepräferenzen nicht aufheben.93 Zu den Umweltnutzern zählen nicht nur die Vorhabenträger, sondern auch alle Personen, die eine von ihm geschaffene Infrastruktur nutzen, also meist ein sehr großer Kreis. Mit einem transparenten Verfahren können aber die Entscheidungsprämissen und die Kompromissspielräume deutlicher machen, und damit kann es zur Befriedung von Konflikten beitragen. Auf der anderen Seite müssen auch aus ökologischen Gründen die notwendigen Projekte, etwa zum Ausbau des Schienenverkehrs als umweltfreundlichstem Verkehrsmittel und zum Ausbau des Stromnetzes, der für die Bewältigung der verstärkten Einspeisung erneuerbarer Energien erforderlich ist, in einem angemessenen Zeitrahmen durchgeführt werden können. Hierfür ist eine Vereinfachung und Straffung der Verfahren nötig, indem eine effektive Verzahnung der Planungsebenen und eine intelligente Problemabschichtung erfolgt. Dies wird dadurch ermöglicht, dass eine grundsätzliche Bindung der nachgelagerten Stufen des Planungsverfahrens im Sinne einer Berücksichtigungspflicht normiert wird. Andererseits wird dann die Abwägungspflicht auf die vorgelagerten Planungsstufen erstreckt, aus der sich Fehlerquellen, sei es beim Verfahrensablauf, sei es bei eigentlichen Abwägung, ergeben können.94 Deshalb muss eine Möglichkeit des Zu-

VwVfG, S. 19 ff. 90

Schneider, in: Hoffmann-Riem/SchmidtAßmann/Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwal-

91 92

93

Dazu auch Lewin, Gestufte Planung von Bundesver-

tungsrechts, Bd. II, § 28 Rn. 83.

kehrswegen, S. 26 ff.; Ziekow, DJT-Gutachten, S. 61

Ebenso Köck/Salzborn, ZUR 2012, 203, 209.

ff.; Burgi/Durner, Modernisierung des Verwaltungsver-

Vgl. dazu z.B. den Antrag der Abgeordneten KottingUhl u.a., BT-Drs. 16/3360.

fahrensrechts durch Stärkung des VwVfG, S. 148 ff. 94

Vgl. Wahl, FS Sellner, S. 155, 170 ff.

10/2012 | Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion | Bessere Planung mit mehr Bürgerbeteiligung | 41

rückspringens auf die vorherige Stufe geschaffen werden, wenn eine Vorentscheidung sich bei näherer Prüfung des Einzelvorhabens als fehlerhaft und deshalb nicht umsetzbar herausstellt.95 Die Vereinfachung darf allerdings nicht so weit gehen, dass die Komplexität der Planungsaufgabe nicht mehr hinreichend abgebildet werden kann. Deshalb ist eine Dreistufigkeit des Planungsverfahrens zur Problemabschichtung erforderlich. Die Bundesnetzplanung für die Verkehrswege und für die Stromnetze dient in erster Linie zur Ermittlung der Nutzenbilanz und nimmt im Verkehrsbereich als besondere Funktion eine verkehrsträgerübergreifende Betrachtung für eine ökologisch möglichst verträgliche Mobilität vor. Die Trassenbestimmung als zweite Stufe dient der Optimierung der räumlichen Zuordnung des einzelnen Vorhabens. Dieser Aspekt ist gerade wegen der Notwendigkeit des Ausgleichs mit anderen Raumnutzungen so gewichtig, dass nicht auf diese Zwischenstufe verzichtet werden kann.96 Die Detailplanung des Vorhabens erfolgt wie bisher auf der dritten Stufe im Planfeststellungsverfahren, an dessen Ende die rechtsverbindliche Zulassung des Projekts steht. Angestrebt wird eine möglichst weitgehende Vereinheitlichung der Verfahren, um die Rechtsanwendung transparenter zu machen. Gewisse sachlich notwendige Unterschiede insbesondere zwischen der Verkehrs- und der Stromnetzplanung können aber nicht ausgeschlossen werden. Zunächst werden die rechtlichen Rahmenbedingungen im Europa- und Verfassungsrecht dargelegt (1.). Anschließend werden die drei Stufen des Planungsverfahrens erläutert, die aus der Netzplanung auf Bundesebene (2.), dem Trassenbestimmungsverfahren (3.) und der Projektzulassung durch Planfeststellung (4.) bestehen. Dabei wird jeweils auch der phasenspezifische Rechtsschutz behandelt. Abschließend wird ein Vorschlag zur stufenübergreifenden Neuorganisation der Durchführung der Öffentlichkeitsbeteiligung unterbreitet (5.).

95

So auch Lewin, Gestufte Planung von Bundesver-

96

Ebenso Ziekow, DJT-Gutachten, S. 66.

1. DIE RECHTLICHEN RAHMENBEDINGUNGEN Der Gesetzgeber besitzt bei der Ausgestaltung der Planungsstufen eine weitgehende Entscheidungsfreiheit.97 Zu beachten sind aber einige Vorgaben aus dem europäischen Recht (a) sowie dem Verfassungsrecht (b). A) EUROPÄISCHES RECHT aa)

Die Aarhus-Konvention

Die wichtigste völkerrechtliche Grundlage für die Öffentlichkeitsbeteiligung ist das 1998 im Rahmen der Wirtschaftskommission der Vereinten Nationen für Europa (UNECE) geschlossene Übereinkommen über den Zugang zu Informationen, die Öffentlichkeitsbeteiligung an Entscheidungsverfahren und den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten (Aarhus-Konvention, AK).98 Es ist von der Bundesrepublik am 15. Januar 2007 ratifiziert worden und wurde damit verbindliches Bundesrecht, das insbesondere auch bei der Auslegung der nationalen Rechtsvorschriften zur Umweltinformation, zur Öffentlichkeitsbeteiligung und zum Rechtsschutz in Umweltangelegenheiten zu berücksichtigen ist. Das Übereinkommen geht in seiner Präambel von einem Recht jedes Menschen aus, in einer seiner Gesundheit und seinem Wohlbefinden zuträglichen Umwelt zu leben, und von seiner Pflicht, die Umwelt zum Wohle gegenwärtiger und künftiger Generationen zu schützen und zu verbessern. Es beruft sich auf die Erkenntnis, dass im Umweltbereich eine Verbesserung der Öffentlichkeitsbeteiligung an Umweltverfahren die Qualität und die Umsetzung von Entscheidungen verbessern wird. Außerdem wird das Ziel verfolgt, die Verantwortlichkeit und Transparenz bei Entscheidungsverfahren zu fördern und die öffentliche Unterstützung für Entscheidungen über die Umwelt zu stärken. Schließlich wird auch die Überzeugung geäußert,

97

Lewin, Gestufte Planung von Bundesverkehrswegen,

98

BGBl. II 2006, 1252.

kehrswegen, S. 214.

S. 44.

42 | Bessere Planung mit mehr Bürgerbeteiligung | Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion | 10/2012

dass die Durchführung des Übereinkommens zur Stärkung der Demokratie beitragen wird.99 Konkrete Anforderungen an die Öffentlichkeitsbeteiligung sind in Art. 6 - 8 AK enthalten. Nach Art. 6 Abs. 1 AK umfasst der Anwendungsbereich die Zulassung der in Anhang I genannten Tätigkeiten. Der Anhang umfasst insgesamt 19 Bereiche. Von Nr. 8 werden der Bau von EisenbahnFernverkehrsstrecken und Flughäfen mit einer Start- und Landebahngrundlänge von 2100 m und mehr, der Bau von Autobahnen und Schnellstraßen sowie von vier- oder mehrspurigen Straßen erfasst. Unter Nr. 9 fallen u.a. Wasserstraßen für die Binnenschifffahrt, die für Schiffe mit mehr als 1.350 t zugänglich sind. Nr. 17 nennt den Bau von Hochspannungsleitungen für eine Stromstärke von 220 kV oder mehr und mit einer Länge von mehr als 15 km. Damit werden im Wesentlichen alle hier einbezogenen Vorhaben erfasst. Die Zulassungsentscheidung erfolgt nach deutschem Recht im Planfeststellungsbeschluss, so dass die Anforderungen des Art. 6 AK grundsätzlich im Planfeststellungsverfahren zu erfüllen sind. Die betroffene Öffentlichkeit100 muss je nach Zweckmäßigkeit durch öffentliche Bekanntmachung oder Einzelnen gegenüber in sachgerechter, rechtzeitiger und effektiver Weise frühzeitig über die geplante Tätigkeit und den Antrag, die Art möglicher Entscheidungen oder den Entscheidungsentwurf, die für die Entscheidung zuständige Behörde und das Verfahren einschließlich der Umweltverträglichkeitsprüfung informiert werden. Für die verschiedenen Phasen ist ein angemessener zeitlicher Rahmen vorzusehen, damit die Öffentlichkeit informiert werden kann und sie ausreichend Zeit zur effektiven Vorbereitung und Beteiligung während des Verfahrens hat. Ausdrücklich ist vorgeschrieben, dass eine frühzeitige Öffentlichkeitsbeteiligung zu einem Zeitpunkt stattfinden muss, zu dem alle Optionen noch offen

99

sind. Daraus ergibt sich, dass die Öffentlichkeitsbeteiligung nicht auf einen eng begrenzten Verfahrensabschnitt beschränkt sein darf, wie es für die Auslegungsphase bisher geregelt ist, sondern während des gesamten Planungszeitraums erfolgen können muss.101 In einem gestuften Planungsprozess, bei dem eine Abschichtung auch von ökologisch relevanten Problemkomplexen erfolgt, muss das konsequenterweise bedeuten, dass die Öffentlichkeitsbeteiligung auch die vorgelagerten Planungsstufen erfasst. Wenn auf der Ebene der Netzplanung für einen bestimmten Abschnitt eine Festlegung auf einen bestimmten Verkehrsträger erfolgt, so ist das eine umweltrelevante Vorentscheidung, da davon z.B. die spezifischen Folgen für den Ausstoß von Treibhausgasen abhängen. Wenn auf der Ebene der Trassenbestimmung eine bestimmte Streckenführung bevorzugt wird, so hat das umweltrelevante Folgen, insbesondere durch die naturschutzrechtlichen Folgen, wenn geschützte Gebiete berührt werden. Die Anforderungen von Art. 6 AK werden also nicht erfüllt, wenn wesentliche Prämissen eines Planfeststellungsverfahrens ohne Beteiligung der Öffentlichkeit festgelegt werden. Die zuständigen Behörden müssen gebührenfrei und sobald verfügbar Zugang zu allen relevanten Informationen zu deren Einsichtnahme gewähren. Die betroffene Öffentlichkeit muss die Möglichkeit haben, alle von ihr als relevant erachteten Stellungnahmen, Informationen, Analysen oder Meinungen in Schriftform vorzulegen oder gegebenenfalls bei einer mündlichen Anhörung oder Untersuchung mit dem Antragsteller vorzutragen. Das Ergebnis der Öffentlichkeitsbeteiligung muss bei der Entscheidung angemessen berücksichtigt werden. Schließlich muss die Öffentlichkeit über die Entscheidung und ihre Begründung informiert werden. Art. 7 AK verpflichtet die Vertragsstaaten dazu, angemessene praktische und/oder sonstige Vorkehrungen dafür zu treffen, dass der Öffentlichkeit während der Vorbereitung umweltbezogener Pläne

Dazu Schwerdtfeger, Der deutsche Verwaltungsrechtsschutz unter dem Einfluss der Aarhus101

Konvention, S. 25 ff. 100

Bunge, in: Schlacke/Schrader/Bunge, Informations-

Zu diesem Begriff näher Guckelberger, VerwArch 103

rechte, Öffentlichkeitsbeteiligung und Rechtsschutz im

(2012), 31, 39 ff.

Umweltrecht, § 2 Rn. 683.

10/2012 | Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion | Bessere Planung mit mehr Bürgerbeteiligung | 43

und Programme die erforderlichen Informationen zur Verfügung gestellt werden und sie in einem fairen und transparenten Verfahren beteiligt wird. Durch Verweisung auf Art. 6 Abs. 3, 4, 8 AK werden die angemessene zeitliche Gestaltung und die Frühzeitigkeit der Öffentlichkeitsbeteiligung verbindlich gemacht, sowie die Pflicht zur Berücksichtigung ihres Ergebnisses. Die zuständige Behörde hat die zu beteiligende Öffentlichkeit zu ermitteln, wobei die Ziele des Übereinkommens zu berücksichtigen sind. bb) Die EU-Richtlinien zur Umweltverträglichkeitsprüfung Die Europäische Gemeinschaft ist der AarhusKonvention durch den Beschluss 2005/370/EG beigetreten.102 Damit ist sie auch bei der Auslegung des einschlägigen EU-Rechts zu berücksichtigen. Die Regelungen zur Öffentlichkeitsbeteiligung wurden durch die Richtlinie 2003/35/EG über die Beteiligung der Öffentlichkeit bei der Ausarbeitung bestimmter umweltbezogener Pläne und Programme und zur Änderung der Richtlinien 85/337/EWG und 96/61/EG des Rates in Bezug auf die Öffentlichkeitsbeteiligung und den Zugang zu Gerichte umgesetzt. In ihrem Erwägungsgrund 3 wird einerseits die Informationsfunktion einer effektiven Beteiligung der Öffentlichkeit für die Entscheidungsfindung der Behörde betont, zum anderen auch das Ziel, den Entscheidungsprozess nachvollziehbarer und transparenter zu machen und das Bewusstsein für Umweltbelange sowie die Unterstützung für die getroffenen Entscheidungen zu stärken. Die Richtlinie regelt in Art. 2 die Öffentlichkeitsbeteiligung bei Plänen und Programmen, die allerdings nicht den Bereich der Infrastrukturplanung erfassen. Außerdem enthält sie umfangreiche Änderungen der UVP-Richtlinie, die sich eng an den Wortlaut der Aarhus-Konvention halten. Alle hier untersuchten Infrastrukturvorhaben fallen in den Anwendungsbereich der jüngst kodifizierten Richtlinie 2011/92/EU über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten (UVP-RL). Die verfahrens-

rechtlichen Vorgaben für die Öffentlichkeitsbeteiligung sind in Art. 6 UVP-RL enthalten. Verlangt wird zunächst eine frühzeitige Information der Öffentlichkeit über die zentralen Projektangaben. Innerhalb eines angemessenen zeitlichen Rahmens müssen der betroffenen Öffentlichkeit der Umweltbericht und weitere umweltbezogene Informationen zur Verfügung gestellt werden. Die betroffene Öffentlichkeit muss frühzeitig, wenn noch alle Optionen offen sind, eine effektive Beteiligungsmöglichkeit erhalten, mit dem Recht, gegenüber der zuständigen Behörde Stellung zu nehmen. Auch hier kann man durchaus bezweifeln, ob die Beteiligung im Rahmen des § 73 VwVfG, auf den § 9 I UVPG verweist, frühzeitig und effektiv ist, da sie sich dann auf die vom Vorhabenträger gewählte Alternative bezieht. Der Zeitrahmen muss so gewählt werden, dass ausreichend Zeit für die Information und für die Beteiligung der Öffentlichkeit besteht. Die Nachholung einer UVP nach der Durchführung des Projekts ist unzulässig.103 Für die höherstufige Planung ist die Richtlinie 2001/42/EG über die Prüfung der Umweltauswirkungen bestimmter Pläne und Programme (SUPRL) von großer Relevanz. Nach ihrem Erwägungsgrund 15 ist es notwendig, um zu einer transparenteren Entscheidungsfindung beizutragen und die Vollständigkeit und Zuverlässigkeit der für die Prüfung bereitgestellten Informationen zu gewährleisten, die in ihrem umweltbezogenen Aufgabenbereich betroffenen Behörden und die Öffentlichkeit während der Prüfung von Plänen oder Programmen zu konsultieren und angemessene Fristen festzulegen, die genügend Zeit für Konsultationen, einschließlich der Abgabe von Stellungnahmen, lassen. Ihr Anwendungsbereich umfasst nach Art. 2 a) SUP-RL alle Pläne und Programme, die von einer Behörde auf nationaler, regionaler oder lokaler Ebene ausgearbeitet und/oder angenommen werden oder die von einer Behörde für die Annahme durch das Parlament oder die Regie-

103

EuGH, NuR 2008, 562, Rn. 49 ff.; dazu Müller, Die Öffentlichkeitsbeteiligung im Recht der Europäischen Union und ihre Einwirkungen auf das deutsche Verwaltungsrecht am Beispiel des Immissionsschutzrechts,

102

ABlEU Nr. L 124, S. 4.

S. 81 f.

44 | Bessere Planung mit mehr Bürgerbeteiligung | Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion | 10/2012

rung im Wege eines Gesetzgebungsverfahrens ausgearbeitet werden und die aufgrund von Rechtsoder Verwaltungsvorschriften erstellt werden müssen.104 Art. 4 Abs. 3 SUP-RL ermöglicht zur Vermeidung von Mehrfachprüfungen die Berücksichtigung einer hierarchischen Staffelung von Plänen. Die Vorgaben für das Konsultationsverfahren sind in Art. 6 SUP-RL enthalten. Danach müssen der Entwurf des Plans oder Programms und der Umweltbericht der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Ihr muss innerhalb ausreichend bemessener Fristen frühzeitig und effektiv Gelegenheit gegeben, vor der Annahme des Plans oder Programms oder seiner Einbringung in das Gesetzgebungsverfahren zum Entwurf des Plans oder Programms sowie zum begleitenden Umweltbericht Stellung zu nehmen. Es obliegt den Mitgliedstaaten zu bestimmen, was unter „Öffentlichkeit“ zu verstehen ist, wobei die Teile der Öffentlichkeit einbezogen werden müssen, die vom Entscheidungsprozess gemäß dieser Richtlinie betroffen sind oder voraussichtlich betroffen sein werden oder ein Interesse daran haben, darunter auch relevante Nichtregierungsorganisationen. Die abgegebenen Stellungnahmen sind nach Art. 8 SUPRL bei der Ausarbeitung und vor der Annahme des Plans oder Programms oder vor dessen Einbringung in das Gesetzgebungsverfahren zu berücksichtigen. Daneben verlangt auch Art. 6 Abs. 3 S. 2 der Richtlinie 92/43/EWG zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen (FFH-RL), dass bei der Durchführung der FFH-Verträglichkeitsprüfung „gegebenenfalls“ die Öffentlichkeit angehört wird. Die Frage, ob bei der Umsetzung ein Ermessen der Mitgliedstaaten besteht, ist durch die Einführung der SUP gegenstandslos geworden, da mit ihr eine obligatorische Öffentlichkeitsbeteiligung für den Anwendungsbereich von Art. 6 FFH-RL geschaffen wurde.105

cc)

Die Leitlinien über transeuropäische Netze

Seit dem Vertrag von Maastricht hat die Europäische Union eine Kompetenz zur Festlegung von Leitlinien über den Auf- und Ausbau transeuropäische Netze in den Bereichen Verkehrs-, Telekommunikations- und Energieinfrastruktur, deren Rechtsgrundlage nunmehr in Art. 170 – 172 AEUV zu finden ist.106 Die entsprechenden Leitlinien werden im ordentlichen Gesetzgebungsverfahren beschlossen. Im Bereich der Verkehrsplanung lösen sie zwar eine Berücksichtigungspflicht durch die Mitgliedstaaten aus, eine strikte Bindung, die ihre Aufnahme in den Bundesverkehrswegeplan notwendig machen würde, besteht aber nicht.107 Gegenüber Privaten entfalten sie keine Rechtswirkungen, so dass ein Rechtsschutz auf Unionsebene nicht erforderlich ist.108 Gleiches gilt für den unionsweiten Netzentwicklungsplan für Stromübertragungsnetze.109 Konkrete Vorgaben auch für das Planungsverfahren enthält dagegen der Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zu Leitlinien für die transeuropäische Energieinfrastruktur und zur Aufhebung der Entscheidung Nr. 1364/2006/EG.110 Diese Verordnung soll u.a. für vorrangige Stromkorridore gelten. Das Kapitel III enthält Regelungen zur Beschleunigung der Genehmigungsverfahren und zur Verbesserung der Beteiligung der Öffentlichkeit. Das Genehmigungsverfahren soll zwei Phasen beinhalten und maximal drei Jahre dauern. Der Projektentwickler muss der zuständigen Behörde ein Konzept für die Beteiligung der Öffentlichkeit übermitteln. Eine Kon-

106

Vgl. Tausch, Gestufte Bundesfernstraßenplanung, S. 11 ff.; Durner, Konflikte räumlicher Planungen, S. 513 ff.

107

Dazu ausführlich Tausch, Gestufte Bundesfernstraßenplanung, S. 243 ff.; ähnlich Bauer, Die Durchsetzung des europäischen Umweltrechts in Deutschland, S. 114 ff.

104

Zum Anwendungsbereich ausführlich Verwiebe, Um-

108

Durner, Konflikte räumlicher Planungen, S. 523.

109

Dazu näher Weyer, in: Gramlich/Manger-Nestler

weltprüfungen auf Plan- und Programmebene, S. 198

(Hrsg.), Europäisierte Regulierungsstrukturen und –

ff. 105

netzwerke, S. 261 ff.

Verwiebe, Umweltprüfungen auf Plan- und Programmebene, S. 143 ff.

110

KOM(2011) 658; vgl. dazu Schmitz/Jornitz, NVwZ 2012, 332, 336 f.

10/2012 | Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion | Bessere Planung mit mehr Bürgerbeteiligung | 45

sultation der Öffentlichkeit durch den Projektentwickler oder von der zuständigen Behörde muss bereits vor der Einreichung des Antrags durchgeführt werden. B) VERFASSUNGSRECHT Die folgenden Ausführungen beschränken sich auf inhaltliche Vorgaben des Grundgesetzes. Kompetenzfragen in Bezug auf Gesetzgebung und Verwaltungsvollzug werden an den jeweils einschlägigen Stellen behandelt. aa)

Demokratieprinzip

Nach der traditionellen deutschen Auffassung hat das Parlament als Repräsentationsorgan des Volkes die zentrale Stellung innerhalb der Demokratie.111 Daraus wird abgeleitet, dass eine demokratische Legitimation für die anderen Staatsgewalten nur aufgrund einer Vermittlung durch das Parlament möglich ist. Als Legitimationsmodi für die öffentliche Verwaltung kommen deshalb neben der Gesetzgebung nur die Einsetzung und Kontrolle der Exekutivspitze in Frage. Eine eigenständige Legitimation ist dann nur in dem eingeschränkten Bereich der Selbstverwaltung möglich.112 Unter dieser Prämisse kann die Öffentlichkeitsbeteiligung in Verwaltungsverfahren keine demokratische Legitimation mit sich bringen. Vielmehr wird ihr nur eine rechtsstaatliche Funktion zugebilligt, die insbesondere in der Verbesserung der Information der Behörde und im vorgezogenen Rechtsschutz der Betroffenen gesehen wird.113

111

Vgl. z.B. Böckenförde, HStR II, 3. Aufl., § 24 Rn. 16;

Die demokratische Beteiligung des Volkes an der staatlichen Willensbildung ist aber nicht auf die Teilnahme an Wahlen beschränkt. Zum einen gibt es auf Landes- und kommunaler Ebene die Möglichkeit von Volksabstimmungen, zum Teil auch über einzelne Projekte.114 In der Schweiz wird regelmäßig ein Verwaltungsreferendum durchgeführt, das die Legitimation großer Projekte stärkt und keineswegs ihre Realisierung verhindert.115 Die Problematik der Verknüpfung des Planungsrechts mit Formen der direkten Demokratie kann in diesem Rahmen allerdings nicht weiterverfolgt werden. Zum anderen ergibt sich eine Legitimationsfunktion der Beteiligung der Bürger an Verwaltungsverfahren, wenn man einem responsiven Demokratieverständnis folgt.116 Die parlamentarische Legitimationsvermittlung durch die Gesetze und die Kontrolle der Exekutivspitze ist angesichts der Größe der öffentlichen Verwaltung und der Vielfalt ihrer Aufgaben nicht ausreichend, sondern muss um weitere Mechanismen der Rückkopplung ergänzt werden. Dies gilt in besonderem Maß für die Infrastrukturplanung, die große Auswirkungen auf viele Menschen hat,117 rechtlich aber nur gering determiniert ist, da das zentrale Erfordernis der Abwägung von privaten und öffentlichen Belangen dem Vorhabenträger bzw. der zuständigen Behörde einen großen Gestaltungsspielraum gibt.118 Diese Form der demokratischen Legitimation durch Verfahrensbeteiligung hat allerdings nicht zum Ziel, die staatliche Kompetenzordnung zu unterlaufen. Die Entscheidungsmacht der jeweils zuständigen Behörde wird nicht in Frage gestellt, denn es ist keine verbindliche Entscheidung durch

Ipsen, Staatsrecht I, 23. Aufl., Rn. 200. 112

Böckenförde, HStR II, 3. Aufl., § 24 Rn. 31.

113

Kopp/Ramsauer, VwVfG, 11. Aufl., § 73 Rn. 11;

114

Dazu näher Groß, DÖV 2011, 510, 513 f.

Bonk/Neumann in: Stelkens/Bonk/Sachs (Hrsg.),

115

Lendi, UPR 2011, 422, 429 f.; Ziekow, DJT-Gutachten,

VwVfG, 7. Aufl., § 73 Rn. 7 ff.; Dürr, in: Knack/Henneke (Hrsg.), VwVfG, 9. Aufl., § 73 Rn. 6 ff.;

S. 53 ff. 116

Dazu ausführlich Groß, Das Kollegialprinzip in der

Debus, in: Dokumentation zur 32. wissenschaftlichen

Verwaltungsorganisation, S. 174 ff.; ähnlich z.B.

Fachtagung der Gesellschaft für Umweltrecht e.V., S.

Fisahn, Demokratie und Öffentlichkeitsbeteiligung, S.

185, 188 ff.; Gärditz, GewArch 2011, 273, 274 ff.; zur

292 ff.; Volkmann, in: Friauf/Höfling (Hrsg.), GG, Art.

Entwicklung der Diskussion vgl. Fisahn, Demokratie

20 (4. Teil) Rn. 23.

und Öffentlichkeitsbeteiligung, S. 129 ff., 198 ff., der

117

Lendi, UPR 2011, 422, 423.

eine „staatsorientierte“ und eine „rechtsstaatlich-

118

Führ/Lewin, Partizipative Verfahren in Zulassungsent-

liberale“ Auffassung unterscheidet.

scheidungen für raumbedeutsame Vorhaben, S. 10 ff.

46 | Bessere Planung mit mehr Bürgerbeteiligung | Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion | 10/2012

die Bürger vorgesehen.119 Es geht vielmehr um eine partizipative Anreicherung des komplexen Planungsverfahrens, das durch Transparenz auch eine Chance zur Verbesserung der Akzeptanz eines Vorhabens bietet.120 Ein dritter Aspekt der demokratischen Legitimation durch die Öffentlichkeitsbeteiligung ist die Verbesserung der Rechtsdurchsetzung.121 Bürger, die ihre Rechte im Verwaltungsverfahren und gegebenenfalls in einem verwaltungsgerichtlichen Verfahren geltend machen, gewährleisten die Anwendung der Gesetze, insbesondere im Bereich des Umweltschutzes. Dies gilt in gleicher Weise für Klagerechte von Verbänden, mit denen die Einhaltung von Normen des Umweltrechts eingefordert werden kann, die sonst vor Gericht nicht geltend gemacht werden könnten.122 Umweltbelange, die in den geltenden Gesetzen von den Parlamenten geschützt werden, sind zu ihrer Durchsetzung in besonderer Weise auf die advokatorische Unterstützung durch Bürger und Verbände angewiesen, die nicht ausschließlich eigene Interessen verfolgen, auch wenn diese etwa bei der Abwehr von Immissionen deckungsgleich sein können. Dies entspricht dem erweiterten Demokratieverständnis, wie es auch in der Präambel der AarhusKonvention zum Ausdruck kommt. Aus dieser Erstreckung des Demokratieprinzips auf die Partizipation in Verwaltungsverfahren folgen keine konkreten Anforderungen, da die Ausformung der Beteiligungsformen in der Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers liegt. Insbesondere ergibt

119

Burgi, NVwZ 2012, 277, 280.

120

Hellmann, Die Öffentlichkeitsbeteiligung in vertikal gestuften Zulassungsverfahren für umweltrelevante

sich aus der Verfassung nicht, ob die allgemeine Öffentlichkeit, die Betroffenen oder Verbände beteiligt werden und ob eine schriftliche oder eine mündliche Form vorgesehen wird. Ein völliger Verzicht auf die Legitimationswirkung der Öffentlichkeitsbeteiligung wäre aber gerade bei gestuften Planungsverfahren mit komplexen Entscheidungssituationen, in die eine Vielzahl von gegenläufigen öffentlichen und privaten Belangen einzubeziehen ist, unzulässig. bb) Grundrechtsschutz durch Verfahren Neben der demokratischen Funktion hat die Öffentlichkeitsbeteiligung auch den Zweck, den Betroffenen zu ermöglichen, ihre Rechte im Verwaltungsverfahren einzubringen. Die Beteiligung der Bürger dient einer „Vorverlagerung des Rechtsschutzes“.123 Diese Formulierung ist allerdings missverständlich, da sie suggeriert, dass eigentlich nur das gerichtliche Verfahren dem Rechtsschutz der Bürger dient. Selbstverständlich ist aber nach Art. 1 III GG auch die Exekutive an die Grundrechte gebunden und hat sie in jedem Verwaltungsverfahren zu beachten. Deshalb kommt der Mitwirkung der Grundrechtsträger in Planungsverfahren nicht nur eine kompensatorische Funktion zu, sondern sie ist eine originäre Form der Grundrechtsverwirklichung. Allerdings ergibt sich auch aus dieser grundrechtsschützenden Funktion der Öffentlichkeitsbeteiligung nicht, wie sie im Einzelnen durchgeführt wird.124 Eine individuelle Anhörung kommt ebenso in Betracht wie eine Offenlegung eines Planentwurfs mit dem Recht, Einwendungen zu erheben. Auch ein Erörterungstermin wird von den Grundrechten nicht verlangt.125 cc)

Staatsziel Umweltschutz

Großvorhaben nach deutschem und europäischem Recht, S. 99 f.; Rossen-Stadtfeld, in: HoffmannRiem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, Bd. II, § 29 Rn. 9 f.;

Art. 20a GG verpflichtet alle Träger deutscher öffentlicher Gewalt zum Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen. Die Bestimmung der hierfür ein-

Köck/Salzborn, ZUR 2012, 203, 206; Ziekow, DJTGutachten, S. 9 f., 16: „supplementäre Arenen“. 121

Lewin, Gestufte Planung von Bundesverkehrswegen,

123

S. 221 f., m.w.N.; Ziekow, DJT-Gutachten, S. 7 f. 122

BVerfGE 53, 30, 60; weitere Nachweise bei Debus, in: Dokumentation zur 32. wissenschaftlichen Fachtagung

Groß, DV 43 (2010), 349, 371; Gärditz, EuRUP 2010,

der Gesellschaft für Umweltrecht e.V., S. 185, 194.

210, 211; zur Praxis der letzten Jahre informativ

124

Ziekow, DJT-Gutachten, S. 6 f., m.w.N.

Schmidt/Zschiesche/Tryjanowski, NuR 2012, 77 ff.

125

Cancik, DÖV 2007, 107, 110, m.w.N.

10/2012 | Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion | Bessere Planung mit mehr Bürgerbeteiligung | 47

zusetzenden Instrumente obliegt in erster Linie dem Gesetzgeber, der über einen breiten Gestaltungsspielraum verfügt.126 Angesichts der Bedeutung des Verwaltungsverfahrens für die Verwirklichung des Umweltrechts ist jedoch eine Gestaltung des Verfahrensrechts erforderlich, die zur Erreichung dieses Ziels geeignet ist.127 Daraus ergibt sich zum einen, dass bei großen raumbedeutsamen Infrastrukturvorhaben eine Öffentlichkeitsbeteiligung durchzuführen ist, da hiermit zusätzliches lokales Wissen über die Umweltauswirkungen in das Verfahren eingebracht werden kann.128 Die Partizipation der Bürgerinnen und Bürger verbessert die Chance, dass die Belange der Umwelt richtig gewichtet werden. Zum anderen ergibt sich daraus eine Pflicht zur Einbeziehung der Umweltverbände, da sie besonderen Sachverstand über ökologische Zusammenhänge einbringen können.129 Daneben fördern auch umweltrechtliche Verbandsklagen die Durchsetzung umweltbezogener Rechtsvorschriften und dienen damit der Verwirklichung des Staatsziels aus Art. 20a GG.130 2. DIE NETZPLANUNG AUF BUNDESEBENE Angesichts der Vergleichbarkeit der Problemstellung empfiehlt es sich, für alle fünf einbezogenen Teilbereiche der Infrastrukturplanung eine möglichst einheitliche Struktur der Netzplanung auf Bundesebene vorzugeben.

tungen durch den Flugverkehr andererseits ist es sinnvoll, die Flughäfen in die Bundesverkehrsplanung einzubeziehen.131 Das Fehlen einer bundesweiten Abstimmung hat zu einer Konkurrenz von Flughäfen geführt, die auch volkswirtschaftlich unsinnig ist, da diese überwiegend defizitär wirtschaften und von staatlichen Subventionen abhängig sind.132 Dass Flughäfen zurzeit nicht aus dem Bundeshaushalt finanziert werden, ist kein ausreichendes Argument gegen eine Bundesplanung.133 Ein Bedürfnis für eine standortübergreifende Planung ergibt sich auch daraus, dass die Standortwahl weiträumige Auswirkungen auf die Siedlungs- und Freiraumstrukturen des Planungsraums hat und Nutzungskonflikte entstehen, die in der Regel bereits auf der übergeordneten Ebene der Landesplanung ein öffentliches Planungsbedürfnis auslösen, gerade weil es keine rechtsverbindliche Flughafennetz- und Bedarfsplanung gibt.134 So gibt es etwa in Großbritannien eine nationale Planung für Teilbereiche wie z.B. den Südosten Englands, bei der Prioritäten für den Ausbau der Londoner Flughäfen festgelegt wurden. Allerdings wurde die Planung aufgrund unzureichender Berücksichtigung von Stellungnahmen aus der Öffentlichkeitsbeteiligung teilweise von den Gerichten aufgehoben.135 Auch für Deutschland wäre es sinnvoll, eine Kategorisierung der Flughäfen nach ihrer internationalen oder nationalen Bedeutung vorzunehmen.136

A) DIE EINBEZIEHUNG DES FLUGVERKEHRS Wegen der Interdependenz der Verkehrsträger einerseits und der besonderen ökologischen Belas-

126

Schulze-Fielitz, in: Dreier (Hrsg.), GG, Bd. 2, 2. Aufl.,

Der Bund hat hierfür einen ausreichenden Kompetenztitel. Die Gesetzgebungskompetenz, auf der das Luftverkehrsgesetz beruht, ergibt sich aus Art. 73 I Nr. 6 GG. Sie umfasst auch das Fachplanungsrecht.137 Da eine gesetzliche Bedarfsplanung die oberste Stufe dieser Fachplanung darstellt, wäre

Art. 20a Rn. 71. 127

128

129

Murswiek, in: Sachs (Hrsg.), GG, 6. Aufl., Art. 20a Rn. 75.

131

Epiney, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, 6. Aufl., Bd.

132

Durner, NuR 2009, 373, 376.

2, Art. 20a Rn. 85; Calliess, Rechtsstaat und Umwelt-

133

So aber Hösch, UPR 2008, 378, 380.

staat, S. 529.

134

BVerwGE 125, 116, 137.

Vgl. Schulze-Fielitz, in: Dreier (Hrsg.), GG, Bd. 2, 2.

135

Vgl. Thompson, Journal of Planning and Environment

Aufl., Art. 20a Rn. 84; Calliess, Rechtsstaat und Um130

Köck/Salzborn, ZUR 2012, 203, 206.

Law 2009, 174, 180.

weltstaat, S. 528 f.

136

Hösch, UPR 2008, 378, 386 f.

Epiney, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, 6. Aufl., Bd.

137

Stettner, in: Dreier (Hrsg.), GG, Bd. 2, 2. Aufl., Art. 73

2, Art. 20a Rn. 39.

Rn. 27.

48 | Bessere Planung mit mehr Bürgerbeteiligung | Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion | 10/2012

sie von dieser Gesetzgebungskompetenz des Bundes zweifellos gedeckt. Auch nicht problematischer wäre die Lage, wenn die Bedarfsplanung für Flughäfen durch die Bundesregierung erfolgen würde. Das gilt zunächst für die Variante, dass auf der Grundlage eines allgemeinen Bundesverkehrsplanungsgesetzes (s.u. III.2.c.bb) die konkrete Bedarfsfeststellung durch eine Rechtsverordnung erfolgen würde. Damit könnte sowohl die Bundesregierung als auch das Bundesverkehrsministerium als Verordnungsgeber bestimmt werden. Wenn man Planung dagegen nicht als Rechtsetzungs-, sondern als Verwaltungsaufgabe versteht, benötigt der Bund eine Vollzugskompetenz, da Art. 83 GG hier die Länderzuständigkeit als Regelfall normiert, von dem nur aufgrund einer anderen Regelung im Grundgesetz abgewichen werden kann. Für die Planungsaufgaben im Bereich des Luftverkehrs ergibt sie sich aus Art. 87d I 1 GG.138 Zur Luftverkehrsverwaltung zählen alle Vollzugsaufgaben, die sich auf die Gesetze beziehen, die auf der Grundlage von Art. 73 I Nr. 6 GG erlassen werden.139 Wenn also im Luftverkehrsgesetz oder in einem verkehrsträgerübergreifenden Gesetz eine Bundesbedarfsplanung für Flughäfen eingeführt würde, wäre diese Aufgabe in bundeseigener Verwaltung zu erfüllen. Insofern kommt es nicht darauf an, ob für eine integrierte Verkehrswegeplanung eine Bundeskompetenz aus der Natur der Sache besteht.140 B) VON DER BEDARFSPLANUNG ZUR NUTZENFESTSTELLUNG Der Bedarf für ein neues Vorhaben bzw. eine Erweiterung einer vorhandenen Anlage ist nach der neueren Rechtsprechung ein zentrales Element der Planrechtfertigung und damit eine wichtige Vo-

raussetzung für die Planfeststellung.141 Der Bedarf wird allerdings in der traditionellen Verkehrsplanung nur als Befriedigung einer aufgrund von Extrapolationen erwarteten zukünftigen Nachfrage verstanden.142 Hierin manifestiert sich die Grundeinstellung, wonach das Wachstum des Verkehrsbedarfs ein quasi naturgesetzliches Phänomen ist, an das die Kapazität der Infrastruktur angepasst werden muss. Dies gilt auch noch für die zuletzt durchgeführte Verkehrsprognose 2030 zur Vorbereitung des Bundesverkehrswegeplans 2015.143 Der Bedarf wird dennoch auch bisher nicht einfach festgestellt. Vielmehr erfolgen nach den Prognosen sehr wohl Prioritätenentscheidungen, da die zu verteilenden finanziellen Ressourcen für den Ausbau der Infrastruktur knapp sind.144 Die Rechtsprechung anerkennt hierfür einen Prognosespielraum mit einer eingeschränkten gerichtlichen Kontrolldichte.145 Deshalb erfolgt bei der Prüfung der Planrechtfertigung nur eine Art Plausibilitätskontrolle.146 Das Bundesverwaltungsgericht hat, soweit ersichtlich, noch nie einen Planfeststellungsbeschluss wegen Fehlens des Bedarfs aufgehoben.147 Erfolgt die Bedarfsfeststellung durch den Gesetzgeber, ist ohnehin nur eine verfassungsgerichtliche Überprüfung möglich (s.o. II.1.b). Aus ökologischer Sicht ist jedoch die Einbeziehung der schädlichen Auswirkungen eines Vorhabens auf die Umwelt schon bei der Grundsatzentscheidung auf der ersten Planungsstufe notwendig. Die übergreifende Planung auf Bundesebene ist prädestiniert, Systemalternativen zwischen den einzelnen Verkehrsträgern zu prüfen, um Einfluss auf

141

Vgl. die Zusammenfassung bei Müller, Abschied von der Planrechtfertigung, S. 34 ff.

142

So z.B. Hösch, UPR 2008, 378, 383.

143

BT-Drs. 17/7690, S. 2.

144

Vgl. Lewin, Gestufte Planung von Bundesverkehrswe-

GG, Bd. 3, 2. Aufl., Art. 87d Rn. 15; Durner, in:

145

BVerwGE 107, 142, 146.

Friauf/Höfling (Hrsg.), BerlK-GG, Art. 87d Rn. 6.

146

Groß, VerwArch 88 (1997), 89, 95; Müller, Abschied

138

So auch UGB-KomE, S. 1331.

139

BVerwGE 95, 188, 190 f.; Hermes, in: Dreier (Hrsg.),

140

gen, S. 48.

So Runkel, in: Hoppe (Hrsg.), UVPG, 3. Aufl., § 17 Rn. 6.

von der Planrechtfertigung, S. 40 m.w.N. 147

Tausch, Gestufte Bundesfernstraßenplanung, S. 263.

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den modal split zu nehmen.148 Voraussetzung ist allerdings, dass ein politischer Gestaltungswille entwickelt wird, der über eine Prioritätensetzung bei den Anmeldungen der Bundesländer hinaus geht. Insbesondere müssen die nationalen Klimaschutzziele, wenn sie ernst genommen werden, bei der übergeordneten Verkehrsplanung wie auch bei der Planung des Hochspannungsnetzes berücksichtigt werden.149 Nur auf dieser Ebene der Netzplanung können die notwendigen Prioritätenverschiebungen auf ökologisch verträglichere Verkehrsträger erfolgen, die mit einer entsprechenden Änderung der Finanzierungsanteile aus dem Bundeshaushalt verbunden sein müssen. Ebenso ist eine nationale Netzausbauplanung notwendig, um den veränderten Anforderungen durch den verstärkten Einsatz erneuerbarer Energien zu entsprechen. Erforderlich ist deshalb eine in die Umweltverträglichkeitsprüfung integrierte Klimaverträglichkeitsprüfung. Diese setzt allerdings die Festlegung quantifizierter Ziele für die Treibhausgasemissionen des Verkehrssektors voraus, die bisher nicht vorliegen. Eine Verpflichtung zu einer Zielbestimmung auch für die Bereiche, die bisher nicht vom Treibhausgasemissionszertifikatehandel erfasst werden, ergibt sich allerdings aus der staatengerichteten Entscheidung Nr. 406/2009/EG, die in Anhang II für Deutschland eine Reduktionsquote von 14 % festlegt. Zu ihrer Umsetzung sind gesetzliche Emissionsziele mit sektoralen Regelungen zur Emissionsbegrenzung notwendig.150 Deshalb muss auf der Ebene der Netzplanung eine umfassende Bilanzierung von Kosten und Nutzen eines Vorhabens erfolgen. Nur dann, wenn der Nutzen des Projekts auch die negativen ökologischen Folgen überwiegt, darf es in den Plan aufgenommen werden. Diese neue Sichtweise auf die Bedarfsplanung sollte sich auch in einer neuen

148

Terminologie niederschlagen. Deshalb wird vorgeschlagen, von einer Nutzenfeststellung in Bezug auf die einzelnen Vorhaben zu sprechen. Dies lehnt sich an die französische Terminologie an. Das dem Planfeststellungsverfahren entsprechende Verfahren endet dort mit einer „déclaration d’utilité publique“, einer Feststellung des öffentlichen Nutzens. Sie ist analog zu Art. 14 III 1 GG die Voraussetzung für die Enteignung. Dieser Funktion entspricht auf der ersten Planungsstufe die Nutzenfeststellung, mit der die Ob-Frage für das jeweilige Projekt bereits grundsätzlich entschieden wird. Eine weitere wichtige Funktion der Netzplanung ist die Lenkung der entsprechenden Finanzmittel des Bundes. Der Bundesverkehrswegeplan kann seine Funktion als Instrument der mittelfristigen Investitionsplanung nur erfüllen, wenn seine Vorgaben für die nachfolgenden Planungsebenen verbindlich sind. Zwar kann auf dieser ersten Stufe der Planungskaskade nicht ausgeschlossen werden, dass sich in den nachfolgenden Verfahren herausstellt, dass ein Vorhaben nicht oder nur mit größeren Modifikationen durchgeführt werden kann. Dies erfordert dann eine Rückkoppelung, die zu einer Änderung des Plans führt. Außerdem muss der Plan eine Ausschlusswirkung für die Finanzierung von Projekten haben, die nicht in ihm enthalten sind, damit seine Steuerungsfunktion nicht unterlaufen werden kann. Wegen der zentralen Bedeutung der Netzplanung für die grundlegende Ausrichtung des Infrastrukturausbaus muss gerade auf dieser Ebene, wo der größte Entscheidungsspielraum besteht, eine ausreichende Beteiligung der Öffentlichkeit erfolgen.151 Eine Akzeptanz für auch ökologisch notwendige Vorhaben kann nur geschaffen werden, wenn sie frühzeitig diskutiert und nach einer überzeugenden Alternativenprüfung in die weiteren Planungsstufen gegeben werden.

Groß, NVwZ 2001, 513, 516 f.; Tausch, Gestufte Bundesfernstraßenplanung, S. 366 ff., m.w.N.; detailliert jetzt Wulfhorst, DVBl. 2012, 466, 469 ff.

149

Groß, in: Böhm/Schmehl (Hrsg.), Verfassung – Verwaltung – Umwelt, S. 35, 45 f.

150

Groß, ZUR 2011, 171, 176.

151

Köck/Salzborn, ZUR 2012, 203, 204.

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C) DIE BEIDEN MODELLE FÜR DIE GESTALTUNG DER BUNDESNETZPLANUNG Auf der obersten Planungsstufe, die in allen untersuchten Bereichen der Infrastruktur auf der Bundesebene angesiedelt werden muss, bedarf es einer Beteiligung sowohl des Parlaments als auch der Bundesregierung bzw. einer Bundesbehörde. Notwendig sind jedoch eine intensivere rechtliche Strukturierung der Verkehrsplanung, insbesondere auch des Verfahrens, und die Integration der Flughafenplanung. Für die Verteilung der Verantwortung sind zwei unterschiedliche Modelle denkbar. Bisher erfolgt in den wichtigsten Teilbereichen die Bedarfsfeststellung durch ein Parlamentsgesetz, der eine exekutive Planung vorausgeht (aa). Als Alternative kommt eine gesetzliche Rahmenregelung in Betracht, während die eigentliche Netzplanung durch die Bundesregierung erfolgt (bb). Die Bindungswirkung für die nachfolgenden Planungsstufen und die Rechtsschutzmöglichkeiten sind im Wesentlichen gleich (cc). aa)

Nutzenfeststellung durch das Parlament

Ein zweiphasiges Verfahren, das auf der ersten Stufe von der Bundesregierung und auf der zweiten Stufe vom Bundestag durchgeführt wird, entspricht bereits der politischen Praxis, wonach der BVWP den Entwurf der Bedarfspläne darstellt.152 Notwendig ist jedoch eine stärkere Verrechtlichung der exekutiven Bundesverkehrsplanung, damit sie ihre ökologische Funktion mit einer verfahrensbegleitenden Öffentlichkeitsbeteiligung besser erfüllen kann. Das Verfahren sollte in einem Bundesverkehrsplanungsgesetz festgelegt werden. Vorbild kann insofern die neue Regelung über die Erarbeitung des Netzentwicklungsplans im NABEG sein. Der neue „Bundesverkehrsplan“ wird als verbindliche Vorstufe der Bedarfsfeststellung durch den Gesetzgeber für alle Verkehrsvorhaben von bundesweiter Bedeutung, einschließlich der Verkehrsflughäfen, aufgestellt. Eine solche Vorprägung der Zulassungsentscheidung auf der Bundesebene ist nur für überregional bedeutsame Vorhaben ge-

rechtfertigt. Die bisher in den Fernstraßenbedarfsplan aufgenommenen Ortsumfahrungen müssen ausgeklammert werden. Der Inhalt des Bundesverkehrsplans umfasst neben einer Liste der Neu- und Ausbauprojekte einen Kostenrahmen für den Planungszeitraum und eine Abschätzung des Kosten-Nutzen-Verhältnisses, einschließlich der ökologischen Kosten, jedes einzelnen Vorhabens, wozu auch die Berücksichtigung ihrer Auswirkung auf die nationalen Klimaziele gehört. Deshalb muss in das Verfahren zu ihrer Erarbeitung eine Strategische Umweltprüfung integriert werden, deren Herzstück eine verkehrsträgerübergreifende Alternativenprüfung ist.153 Dass bei der Erstellung des Bundesverkehrsplans eine SUP stattfinden muss, wie es inzwischen auch vorgesehen ist (s.o. II.1.a), ergibt sich aus dem EURecht. Eine Integration der SUP im Gesetzgebungsverfahren ist praktisch nicht mehr möglich, da das Parlament die erforderlichen fachlichen Prüfungen nicht selbst vornehmen kann.154 Bei mehrstufigen Verfahren muss aber eine Prüfung der Umweltverträglichkeit auf jeder Stufe stattfinden.155 Soweit, wie es in manchen europäischen Staaten möglich ist, die Projektgenehmigung durch Gesetz erfolgt, muss im Gesetzgebungsverfahren aufgrund von Art. 1 V UVP-RL eine Prüfung der Auswirkungen auf die Umwelt erfolgt sein.156 Aus Art. 9 AK und Art. 10a (jetzt Art. 11) UVP-RL leitet der Europäische Gerichtshof außerdem ab, dass es auch dann, wenn ein Projekt durch einen Gesetzgebungsakt genehmigt wurde, möglich sein muss, die Frage, ob diese Voraussetzungen erfüllt sind, in einem Rechtsschutzverfahren vor den nationalen Gerichten geltend zu machen.157 Zwar stellt die Bedarfs-

153

Wulfhorst, NVwZ 2011, 1099 ff.; Bauer, Die Durchsetzung des europäischen Umweltrechts in Deutschland, S. 122; Ziekow, DJT-Gutachten, S. 78.

154

Lambrecht, NuR 2002, 265, 273.

155

EuGH, NVwZ 2004, 593, Rn. 52; NVwZ 2006, 803, Rn. 100 ff.

156

EuGH, NVwZ 2001, 421, Rn. 49 ff.; NVwZ 2011, 1506, Rn. 36 ff.; Lambrecht, NuR 2002, 265, 276; Verwiebe, Umweltprüfungen auf Plan- und Programmebene, S.

152

Lewin, Gestufte Planung von Bundesverkehrswegen, S. 47.

68. 157

EuGH, NVwZ 2011, 1506, Rn. 53 ff.

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feststellung per Gesetz keine Projektgenehmigung in diesem Sinn dar, da diese auch dann erst durch den Planfeststellungsbeschluss erfolgt. Soweit dieser allerdings in einem wesentlichen Punkt, nämlich der Frage, ob ein Bedarf für das Vorhaben vorliegt, vom Bundesgesetzgeber bindend determiniert wird, muss insoweit auch bereits eine Prüfung der Umweltverträglichkeit stattfinden, denn auf dieser vorgelagerten Ebene kann die für die ökologische Bewertung zentrale Alternativenprüfung auf der Konzeptebene am besten durchgeführt werden.158 Die Durchführung der Strategischen Umweltverträglichkeitsprüfung umfasst die Pflicht, eine Bürgerbeteiligung auf nationaler Ebene durchzuführen. Dabei sind die Besonderheiten einer hochstufigen Planung zu beachten, denn es kann kein Einheitsmodell der Beteiligung für alle Planungsstufen geben.159 Die SUP-Richtlinie lässt den Mitgliedstaaten einen gewissen Umsetzungsspielraum, verlangt aber einerseits eine frühzeitige und effektive Öffentlichkeitsbeteiligung und andererseits eine Einbeziehung der Betroffenen (s.o. III.1.a.bb). Wichtig ist v.a., dass die Beteiligung der Öffentlichkeit in einem frühen Stadium der Planung erfolgt, wenn die grundsätzlichen konzeptionellen Optionen noch offen sind.160 Bereits in der Scopingphase sollten die Umweltvereinigungen nicht nur wie nach § 14f IV 3 UVPG fakultativ sondern obligatorisch einbezogen werden.161 Sie können dort ihren Sachverstand bei der Festlegung des Untersuchungsrahmens einbringen.

158

Ähnlich Köppel u.a., Anforderungen der SUP-Richtlinie an die Bundesverkehrswegeplanung und Verkehrsentwicklungsplanung der Länder, S. 12; a.A. Stüer, Handbuch des Bau- und Fachplanungsrechts, 4. Aufl.,

Eine Beteiligung der Betroffenen über die öffentliche Auslegung des Planentwurfs sowie des Umweltberichts an von der Behörde auszuwählenden Orten, wie es in § 14i II UVPG vorgesehen ist, wäre für eine bundesweite Planung mit vermutlich vielen hundert betroffenen Gemeinden kaum praktikabel. Deshalb erscheint es sinnvoll, die allgemeine Öffentlichkeit in Bezug auf den Planentwurf allein über das Internet zu beteiligen.162 Alle erforderlichen Unterlagen müssen für jedermann während einer ausreichenden Frist von mindestens zwei Monaten online abrufbar sein. Auf der entsprechenden Webseite muss außerdem eine allgemein verständliche Erläuterung der Vorhaben und ihrer voraussichtlichen räumlichen Auswirkungen veröffentlicht werden, damit die Interessierten feststellen können, ob sie möglicherweise zu den Betroffenen zählen werden, wenn die Planung verwirklicht wird. Solche internetgestützten Verfahren sind von der Bundesnetzagentur bereits durchgeführt worden. Sie setzen allerdings voraus, dass die Interessierten auf dieses Internet-Angebot aufmerksam werden. Hierfür ist eine begleitende Nutzung auch der traditionellen Medien sinnvoll, ohne dass dies detailliert geregelt werden sollte. Auch für die Abgabe der Stellungnahmen der Öffentlichkeit ist eine Frist von mindestens zwei Monaten vorzusehen. Das zweite Standbein der Öffentlichkeitsbeteiligung ist die Anhörung der Umweltvereinigungen, die von § 14i III i.V.m. § 2 VI 2 UVPG als Teil der betroffenen Öffentlichkeit erfasst werden. Diese Zuordnung als Vertreter der Betroffenen auf der hochstufigen Planungsebene ist durchaus als sinnvoll anzusehen, da es hier um eine Interessenaggregation geht.163 Allerdings sollte deshalb ihre verfahrensrechtliche Stellung verbessert werden.164 Alle nach § 3 UmwRG anerkannten Vereinigungen, die in ihrem satzungsmäßigen Aufgabenbereich berührt sind, müssen den Entwurf des Plans und

Rn. 3288. 159

Schneider, Planungs-, genehmigungs- und naturschutzrechtliche Fragen des Netzausbaus und der un-

162

tertägigen Speichererrichtung zur Integration erneuer-

163

barer Energien in die deutsche Stromversorgung, S. 54 f.

Wulfhorst, DVBl. 2012, 466, 474. Wagner, DVBl. 2011, 1453, 1459; Wulfhorst, DVBl. 2012, 466, 474.

164

Ebenso Bunge, in: Schlacke/Schrader/Bunge, Informa-

160

Wulfhorst, DVBl. 2012, 466, 472 f.

tionsrechte, Öffentlichkeitsbeteiligung und Rechts-

161

Wulfhorst, DVBl. 2012, 466, 471 f.

schutz im Umweltrecht, § 2 Rn. 701.

52 | Bessere Planung mit mehr Bürgerbeteiligung | Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion | 10/2012

den Umweltbericht von der Behörde erhalten und sich zu ihrem Inhalt äußern können. Hierfür muss angesichts der Komplexität eines solchen bundesweiten Plans eine angemessene Frist von mindestens zwei Monaten vorgesehen werden. Für die Durchführung der Öffentlichkeitsbeteiligung sollte auch bei der Bundesverkehrsplanung eine neue unabhängige Stelle einschaltet werden (s.u. III.5.), die wie ein Projektmanager nach dem Vorbild von § 29 NABEG handeln könnte.165

Eine funktionsadäquate Alternativlösung läge darin, neben dem Verfahren auch die Planungsgrundsätze im Bundesverkehrsplanungsgesetz festzulegen, die Aufstellung des Planes selbst aber der Exekutive zu überlassen. Dieses Gesetz würde die auf die einzelnen Verkehrsträger bezogenen Gesetze des Fachplanungsrechts nicht ersetzen, sondern in Bezug auf die Bundesverkehrsplanung als oberster Stufe ergänzen. Entfallen würden die Ausbaugesetze für Fernstraßen und Schienenwege.

Nach der Auswertung der Öffentlichkeitsbeteiligung wird der Bundesverkehrsplan von der Bundesregierung festgestellt. Er bildet gleichzeitig den Entwurf für die Netzplangesetze des Bundes, die weiter für die einzelnen Verkehrsträger getrennt beschlossen werden. Parallel erfolgt eine Bestätigung des Netzentwicklungsplans für die Hochspannungsnetze, die durch die Bundesregierung erfolgen sollte, sowie die Feststellung des Bedarfsplans durch ein Bundesgesetz.

Das neue Bundesverkehrsplanungsgesetz hätte in diesem Modell wie das NABEG materielle und prozedurale Inhalte. Zum einen müssten dort verkehrsträgerübergreifende Planungsgrundsätze festgelegt werden, wie sie etwa in § 533 UGBKomE enthalten sind. Außerdem würde es Kriterien für die Bedarfsfeststellung enthalten, insbesondere Vorgaben für die Nutzen-Kosten-Rechnung in Bezug auf die einzelnen Vorhaben sowie eine Verknüpfung mit den Klimaschutzzielen, z.B. durch Treibhausgaskontingente für die einzelnen Verkehrsträger. Zum anderen würde das neue Gesetz die Grundzüge des Planungsverfahrens regeln, insbesondere auch die Öffentlichkeitsbeteiligung. Hierin sollten auch an die Besonderheiten der Bundesnetzplanung angepasste Regeln für die Umweltverträglichkeitsprüfung enthalten sein, so dass die Verordnungsermächtigung in § 19b II UVPG überflüssig würde. Inhaltlich gelten für die Öffentlichkeitsbeteiligung die für das erste Modell genannten Anforderungen.

bb) Zweites Modell: Nutzenfeststellung durch die Bundesregierung Aus europarechtlichen Gründen kann die gesetzliche Bedarfsfeststellung nur eine begrenzte Bindungswirkung haben. Es wäre ein Verstoß sowohl gegen die UVP- als auch gegen die FFH-Richtlinie, wenn über das „Ob“ eines Vorhabens auf dieser Stufe schon abschließend entschieden würde, was die Bundesregierung deshalb in ihrer Stellungnahme gegenüber der EU-Kommission im Rahmen eines Vertragsverletzungsverfahrens verneint hat.166 Auch aus Gründen des effektiven Rechtsschutzes kann die Bedarfsfeststellung nicht als für die Trassierung und die endgültige Abwägung der Belange strikt verbindlich angesehen werden.167 Dann verringern sich aber die Vorteile einer gesetzlichen Billigung der Bedarfspläne, auch wenn sie faktisch bisher noch nie erfolgreich in Frage gestellt wurden.

165

Wagner, DVBl. 2011, 1453, 1459.

166

Vgl. dazu Müller, Abschied von der Planrechtfertigung,

167

Der verkehrsträgerübergreifende Bundesverkehrsplan sollte durch die Bundesregierung verabschiedet werden.168 Damit wird die gubernative Legitimation dieses Verfassungsorgans für die ökologisch wie ökonomisch außerordentlich bedeutsame Materie der Verkehrsplanung genutzt. Während im UGB-KomE keine spezifische Rechtsnatur vorgesehen war, empfiehlt es sich aus Gründen der Rechtsformenklarheit, den Plan als Rechtsverordnung zu verabschieden. Dies entspricht der Form,

168

So auch UGB-KomE, S. 1332 ff.; Schneider, Pla-

S. 138 ff.

nungs-, genehmigungs- und naturschutzrechtliche

BVerfG, NVwZ 1996, 261; Müller, Abschied von der

Fragen des Netzausbaus und der untertägigen Spei-

Planrechtfertigung, S. 135 ff.; Tausch, Gestufte Bun-

chererrichtung zur Integration erneuerbarer Energien

desfernstraßenplanung, S. 88.

in die deutsche Stromversorgung, S. 58.

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die in § 17 II ROG für Bundesraumordnungspläne und in manchen Ländern für die landesweiten Raumordnungspläne vorgesehen ist, so etwa in Niedersachsen nach § 7 III 1 NROG. Diese Lösung kann genauso auf die Netzplanung im Bereich der Hochspannungsnetze übertragen werden. Als zusätzliches Instrument zur Stärkung der Legitimation kommt ein Zustimmungsvorbehalt des Bundestages in Frage.169

muss dies der zuständigen Bundesbehörde gemeldet werden, damit die freiwerdenden Mittel anders verplant werden können. Die Verbindlichkeit muss aber auf der anderen Seite auch bedeuten, dass Vorhaben, die im Plan nicht enthalten sind, auch nicht durchgeführt werden, bevor nicht der Netzplan entsprechend geändert worden ist. Diese Ausschlusswirkung sollte ausdrücklich in die Gesetze aufgenommen werden.

cc)

Mit der Aufnahme in die Rechtsverordnung nach dem zweiten Modell würde ebenfalls das öffentliche Interesse an dem Vorhaben festgelegt, ohne dass eine verbindliche Bedarfsfeststellung notwendig wäre.172 Aufgrund des Ranges als Bundesrecht wäre eine ausdrückliche Regelung der Verbindlichkeit für die Bundes- und Länderbehörden eigentlich nicht notwendig. Die grundsätzliche Bindungswirkung des von der Bundesregierung beschlossenen Plans für die nachfolgenden Planungsstufen könnte aber zur Klarstellung im Gesetz festgeschrieben werden. Dies umfasst ebenfalls negativ den Ausschluss der öffentlichen Finanzierung wie der Zulassung von Vorhaben, die nicht in den Plan aufgenommen wurden. Außerdem sollte das Gesetz eine Fortschreibungspflicht enthalten, z.B. alle fünf Jahre (so § 534 I 1 UGBKomE).

Bindungswirkung und Rechtsschutz

Durch einen Parlamentsbeschluss über Netzpläne in Gesetzesform, wie es das erste Modell vorsieht, erhält die Nutzenfeststellung eine hohe demokratische Legitimität.170 Darin reflektiert sich die Einschätzung, dass die Prioritätensetzung beim Ausbau der Infrastruktur im Kern eine politische Entscheidung darstellt.171 Das parlamentarische Beratungsverfahren kann die Transparenz der Planung weiter verbessern, insbesondere wenn öffentliche Anhörungen durchgeführt werden, an denen die Vertreter verschiedener Interessen teilnehmen. Um die Funktion der vorangegangenen Umweltverträglichkeitsprüfung nicht zu entwerten, sind jedoch inhaltliche Modifikationen der Pläne im parlamentarischen Verfahren problematisch, da mit ihnen die verkehrsträgerübergreifende Alternativenprüfung obsolet werden könnte. Bisher hat der Bundestag allerdings mit der Verabschiedung der Bedarfspläne im Wesentlichen eine exekutive Planung ratifiziert, ohne selbst gestalterisch tätig zu werden. Mit der gesetzlichen Billigung der Netzpläne wird der Nutzen bzw. Bedarf für die darin enthaltenen Vorhaben verbindlich festgestellt. Dies bedeutet zum einen, dass die Planrechtfertigung durch die Planfeststellungsbehörde nicht in Frage gestellt werden darf. Sollte ein Vorhaben aus anderen Gründen nicht durchgeführt werden können, so

169

Zur Zulässigkeit vgl. Bauer, in: Dreier (Hrsg.), GG, Bd.

170

Durner, Konflikte räumlicher Planungen, S. 423; Bau-

3, 2. Aufl. 2006, Art. 80 Rn. 29.

Wird die Gesetzesform für die Netzpläne gewählt, ist Rechtsschutz weiterhin nur auf der Grundlage eines Vorlagebeschlusses vor dem Bundesverfassungsgericht möglich. Dadurch ergibt sich einerseits eine verstärkte Bestandskraft der Planung, da eine Verletzung verfassungsrechtlich geschützter Rechtsgüter nur im Ausnahmefall vorkommen wird. Das bedeutet aber auch einen partiell verkürzten Rechtsschutz für die später von einem konkreten Vorhaben Betroffenen.173 Auch im zweiten Modell einer Nutzenfeststellung durch die Verabschiedung des Bundesverkehrsplans als Rechtsverordnung ist die hochstufige Netzplanung auf Bundesebene kein geeigneter Gegenstand für den Individualrechtsschutz, da die konkrete Betroffenheit einzelner Bürger noch nicht

er, Die Durchsetzung des europäischen Umweltrechts in Deutschland, S. 137. 171

BVerwGE 98, 339, 346; Stüer, Handbuch des Bau-

172

UGB-KomE, S. 1333.

und Fachplanungsrechts, 4. Aufl., Rn. 3291.

173

Durner, Konflikte räumlicher Planungen, S. 424.

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hinreichend genau feststeht. Die Angaben über die Streckenführung sind auf dieser ersten Planungsstufe so vage, dass die möglichen Auswirkungen auf Dritte oder auch Gemeinden nicht absehbar sind. Für sie verbleibt die Möglichkeit einer inzidenten Prüfung im Rechtsschutz gegen die Trassenbestimmung oder den Planfeststellungsbeschluss, wobei anders als bei den Bedarfsgesetzen ein Verwerfungsrecht der Verwaltungsgerichte für die Rechtsverordnung Bundesverkehrsplan besteht. Eine Abschichtung des Rechtsschutzes durch die Eröffnung einer Verbandsklage gegen den Bundesverkehrsplan erscheint jedoch sinnvoll. Auch wenn das erste Modell gewählt wird, müssen aufgrund von Art. 1 Abs. 2 e) i.V.m. Art. 11 UVP-RL zumindest die Umweltverbände die Möglichkeit haben, Verstöße gegen die europarechtlich determinierten Vorschriften über die SUP gerichtlich geltend zu machen.174 Bereits auf dieser Stufe werden umweltrelevante Fragen geklärt, da die Bewertung verschiedener Verkehrsträger ihre ökologischen Folgen berücksichtigen muss.175 Deshalb muss den Vereinigungen die Möglichkeit eröffnet werden, gegen den Bundesverkehrsplan zu klagen. Hierfür kommt, wenn man den Bundesverkehrsplan wie bisher als Verwaltungsinternum betrachtet, nur eine Feststellungsklage nach § 43 VwGO in Betracht. Allerdings müsste sichergestellt werden, dass der Gesetzgeber nicht, während eine solche Verbandsklage anhängig ist, endgültige Festlegungen trifft, die das zuständige Verwaltungsgericht nicht mehr aufheben könnte. Hierfür könnte im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes ein zumindest partielles Vollzugsverbot für den Bundesverkehrsplan erlassen werden, mit dem der Bundesregierung eine entsprechende Gesetzesvorlage untersagt würde. Dies wäre sicher eine ungewöhnliche Konstruktion, sie entspricht aber der EU-rechtlichen Vorgabe, dass der Zweck der SUP-Vorschriften nicht

durch die Einschaltung des Gesetzgebers konterkariert werden darf. Im zweiten Modell kann das Rügepotential der Verbandsklage weiter gefasst werden. Mit ihr können sowohl Verfahrensfehler bei der Durchführung der Umweltverträglichkeitsprüfung und der Verbandsbeteiligung als auch Verstöße gegen die materiellen Vorgaben des Bundesverkehrsplanungsgesetzes geltend gemacht werden. Damit besteht die Möglichkeit, frühzeitig Rechtssicherheit in Bezug auf die Gültigkeit der Rechtsverordnung herzustellen. Eine Präklusion für Klagen Privater auf den späteren Planungsstufen ist mit der Verbandsklage aber natürlich nicht verbunden. D) DIE BUNDESBEHÖRDE FÜR NETZPLANUNG Beide Alternativen für die Neuordnung der Bundesverkehrsplanung bedürfen dadurch, dass für alle einzubeziehenden Projekte eine Umweltverträglichkeitsprüfung mit Öffentlichkeitsbeteiligung durchzuführen ist, einer deutlichen Stärkung der exekutiven Planungskapazitäten. Gleiches gilt für die Durchführung des NABEG, wofür bisher ein Aufbaustab innerhalb der Bundesnetzagentur eingerichtet wurde.176 Solche konkreten Planungsaufgaben sind jedoch weder bei dem Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung noch bei der Bundesnetzagentur richtig angesiedelt. Ein Ministerium ist mit projektbezogenen Aufgaben überfordert. Diese dysfunktionale Zuordnung manifestiert sich bei der Vorbereitung des Bundesverkehrswegeplans in einem weitgehenden Outsourcing der fachlichen Fragen durch die Vergabe von Gutachten.177 Lediglich die abschließende politische Bewertung der Nutzen-Kosten-Rechnung und

176

http://www.bundesnetzagentur.de/cln_1932/DE/Sachg ebiete/ElektrizitaetGas/StromNetzEntwicklung/StromN etzEntwicklung_node.html#doc204452bodyText8 (28.5.2012). 177

Vgl. die Liste der Forschungsvorhaben unter

174

Moench/Rutloff, NVwZ 2011, 1040, 1042.

http://www.bmvbs.de/SharedDocs/DE/Artikel/UI/bunde

175

Unzutreffend deshalb Schmidt, ZUR 2012, 210, 214,

sverkehrswegeplan-2015-methodische-

der meint, dass es vor allem um eine verkehrspoliti-

weiterentwicklung-und-

sche Entscheidung ginge.

forschungsvorhaben.html?nn=35978 (28.5.2012).

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der Alternativenprüfung stellt eine gubernative Aufgabe dar. Die Bundesnetzagentur ist originär für die Regulierung von Infrastrukturbereichen zuständig, die aus ehemaligen Monopolen hervorgegangen sind. Sie stellt damit eine Sonderwettbewerbsbehörde dar. Mit dem NABEG wurden ihr ganz anders geartete Planungsaufgaben übertragen, die wenig mit ihren bisherigen Regulierungsaufgaben gemeinsam haben. Aufgrund der Parallelität der Planungsaufgaben und der weitgehend deckungsgleichen Verfahrensgestaltung empfiehlt es sich, eine neue „Bundesbehörde für Netzplanung“ zu schaffen. Ihre Aufgabe wäre die Vorbereitung des Bundesverkehrsplans und die Durchführung der Umweltverträglichkeitsprüfung beim Netzentwicklungsplan nach dem NABEG. Ihre Einrichtung als Bundesoberbehörde durch ein Bundesgesetz ist nach Art. 87 III 1 GG zulässig.178 Wegen der umfangreicheren Aufgabe der Verkehrsnetzplanung würde die Behörde sinnvollerweise im Geschäftsbereich des Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung angesiedelt. Für die Durchführung des NABEG würde sie dagegen der Fachaufsicht des Bundesministeriums für Wirtschaft unterstehen. Ein solches partielles Auseinanderfallen von Dienst- und Fachaufsicht ist jedoch kein grundsätzliches Problem, sondern kommt auch bei anderen Behörden wie der Bundesnetzagentur oder dem Bundesverwaltungsamt vor. Aufgrund der raumbezogenen Planungsaufgaben der neuen Bundesbehörde könnte es sinnvoll sein, das Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR), das seit 1998 Teil des Bundesamtes für Bauwesen und Raumordnung ist, in die neue Behörde zu integrieren. Seine Fachaufgaben als Ressortforschungseinrichtung wären

dort sehr viel sinnvoller angesiedelt als in der Verknüpfung mit der Bauverwaltung des Bundes. Die Übertragung einer Forschungsfunktion auf eine Behörde mit Vollzugsaufgaben gibt es auch in anderen Bereichen.179 3. DAS TRASSENBESTIMMUNGSVERFAHREN Zur Vereinfachung des Planungsverfahrens sollten das Raumordnungs- und das Linienbestimmungsverfahren im Bereich der Verkehrsplanung zusammengelegt werden und ähnlich wie die Bundesfachplanung Trassenkorridore als „Trassenbestimmungsverfahren“180 die verbindliche Zwischenstufe der Infrastrukturplanungsverfahren darstellen. Inhaltlich sind die beiden bisherigen Verfahren eng miteinander verknüpft, was sich u.a. an der Möglichkeit zeigt, eine UVP nur in einem der beiden Verfahren durchzuführen (s.o. II.2.d). Eine trennscharfe Abgrenzung zwischen den überfachlichen Aspekten der Raumordnung und der Fachplanung ist nicht möglich.181 Die Länder hatten bereits zu Beginn der 1990er Jahre einen Verzicht auf das Linienbestimmungsverfahren gefordert, was der Bundesgesetzgeber aber ablehnte, da er den Einfluss des Bundes auf den Verlauf der neuen Verkehrswege nicht aufgeben wollte.182 Auch in der rechtswissenschaftlichen Literatur sind entsprechende Vorschläge für eine Vereinfachung mehrfach in die Diskussion eingebracht worden.183 Im Gegensatz zum bisherigen Raumordnungsverfahren ist das Ergebnis dieses Raumverträglichkeitsverfahrens jedoch für die nachgelagerte kon-

179

Groß, in: Röhl (Hrsg.), Wissen – zur kognitiven Dimen-

180

Für den Teilbereich der Flughafenplanung ist der

sion des Rechts, S. 135, 142.

Begriff „Trasse“ nicht ganz passend, doch hat die Standortfindung dort die gleiche Funktion. 181

Lewin, Gestufte Planung von Bundesverkehrswegen, S. 68 f.

178

182

Vgl. Wagner, in: Hoppe (Hrsg.), UVPG, 3. Aufl., § 15

183

Vgl. die Nachweise bei Durner, DVBl. 2011, 853, 860;

Vgl. für die Energienetzplanung Schneider, Planungs-, genehmigungs- und naturschutzrechtliche Fragen des

Rn. 12.

Netzausbaus und der untertägigen Speichererrichtung

s.a. Lewin, Gestufte Planung von Bundesverkehrswe-

zur Integration erneuerbarer Energien in die deutsche

gen, S. 104 ff., der selbst nur eine zeitliche Verzah-

Stromversorgung, S. 53.

nung vorschlägt.

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krete Vorhabenzulassung durch Planfeststellung oder Plangenehmigung grundsätzlich verbindlich. Diese Lösung entspricht auch dem Vorschlag des UGB-Kommissionsentwurfs.184 Dann muss allerdings auch eine Rechtsschutzmöglichkeit eröffnet werden. A) ZUSTÄNDIGKEIT Klärungsbedürftig ist, ob die Zuständigkeit für die neue Zwischenstufe im Planungsverfahren beim Bund oder bei den Ländern liegen sollte. Das Raumordnungsverfahren wird nach § 15 I 1 ROG generell von Landesbehörden durchgeführt. Für die Fachplanung gibt es dagegen keine einheitliche Zuständigkeit. Für die Schienenwege ergibt sich eine umfassende Zuständigkeit des Eisenbahnbundesamtes aus Art. 87e I GG.185 Für die Bundeswasserstraßen besteht eine Verwaltungskompetenz des Bundes aus Art. 89 II 1 GG. Problematisch ist die Planungszuständigkeit bei den Bundesfernstraßen, da hier die Verwaltungskompetenz nach Art. 90 II GG bei den Ländern liegt, die allerdings im Auftrag des Bundes handeln. Dennoch hat die Rechtsprechung für die Linienbestimmung eine Kompetenz des Bundes aus der Natur der Sache angenommen, da sie von überregionaler Bedeutung ist und durch die Länder wegen ihrer beschränkten räumlichen Zuständigkeit nicht sachgerecht wahrgenommen werden kann.186 Für die Planung von Flughäfen besteht eine Verwaltungskompetenz des Bundes aus Art. 87d I GG (s.o. III.2.a), die er bisher allerdings nicht wahrgenommen hat. Die Trassenführung kann sinnvoll nicht isoliert von anderen Raumnutzungen geprüft werden. Deshalb erfordert eine vernünftige Koordination der Raumplanung, wie sie gerade auch unter ökologischen Gesichtspunkten notwendig ist, eine Einbettung der Entscheidung über die räumliche Lage eines Verkehrsweges, eines Flughafens oder einer Höchstspannungsleitung in eine umfassende

Raumanalyse.187 Somit muss eine Berücksichtigung der Festlegungen der Landesplanung vorgeschrieben werden. Eine auf Landesebene angesiedelte Behörde, die eng mit den Trägern der Landes- und Regionalplanung verzahnt ist, könnte die Funktionen des Raumordnungsverfahrens nach § 15 I 2 ROG am besten erfüllen, d.h. zu prüfen, ob ein konkretes Projekt mit den Erfordernissen der Raumordnung und die Abstimmung mit anderen raumbedeutsamen Maßnahmen übereinstimmt.188 Allerdings könnte eine Verpflichtung der Länder zur Durchführung eines Raumordnungsverfahrens nur auf die Bundeskompetenz für die Raumordnung in Art. 74 I Nr. 31 GG gestützt werden. In diesem Bereich besteht aber nach Art. 72 III S. 1 Nr. 4 GG eine inhaltlich nicht beschränkte Abweichungskompetenz der Länder.189 Somit kann der Bundesgesetzgeber eine einheitliche Verfahrensgestaltung auf dieser Grundlage nicht gewährleisten. Vielmehr muss er auf die jeweilige Gesetzgebungskompetenz für die Fachplanung zurückgreifen. Damit besteht auch eine Verwaltungskompetenz des Bundes. Auch hier empfiehlt es sich allerdings, diese Aufgabe von der fachlich wenig geeigneten Bundesnetzagentur auf die neu zu schaffende Bundesbehörde für Netzplanung (s.o. III.2.d) zu übertragen. Ein weiterer Einwand gegen eine Länderzuständigkeit ergibt sich aus den Erfahrungen im Bereich der Höchstspannungsnetze, wo offensichtlich die Koordinationsprobleme der beteiligten Länder zu Verzögerungen bei der Planung von ländergrenzenübergreifenden Leitungen geführt haben, durch die ein rascher Netzausbau, wie er für die Durchführung der Energiewende erforderlich ist, gefährdet wird.190 Auch dies spricht für

187

Vgl. Kment, NuR 2010, 392, 394 f.

188

Vgl. Wahl, FS Sendler, S. 199, 205 ff.

189

Stettner, in: Dreier (Hrsg.), GG, Bd. II Supplementum 2007, Art. 74 Rn. 143; Degenhart, in. Sachs (Hrsg.), GG, 6. Aufl. Art. 74 Rn. 79, jeweils m.w.N.

190

Schneider, Planungs-, genehmigungs- und naturschutzrechtliche Fragen des Netzausbaus und der un-

184

UGB-KomE, S. 1334.

tertägigen Speichererrichtung zur Integration erneuer-

185

BVerfGE 97, 198, Rn. 93.

barer Energien in die deutsche Stromversorgung, S.

186

BVerwGE 62, 342, 344 f.

55; Schmitz/Jornitz, NVwZ 2012, 332, 333 f.; Erbguth,

10/2012 | Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion | Bessere Planung mit mehr Bürgerbeteiligung | 57

eine einheitliche Durchführung des Trassenbestimmungsverfahrens durch eine Bundesbehörde. Folglich ist die Zuständigkeit für das Trassenbestimmungsverfahren in allen Infrastrukturbereichen auf die Bundesbehörde für Netzplanung zu übertragen. Sie übernimmt auch die Zuständigkeit für die Bundesfachplanung Trassenkorridore nach dem NABEG. Allerdings muss wie in § 5 I 3 NABEG generell eine Pflicht der Bundesbehörde vorgesehen werden, die Übereinstimmung mit den Erfordernissen der Raumordnung und die Abstimmung mit anderen raumbedeutsamen Planungen und Maßnahmen zu prüfen. Sie wird dabei insbesondere der Stellungnahme der zuständigen Landesplanungsbehörden ein hohes Gewicht einräumen. Ein Einvernehmen mit diesen sollte aber nicht vorgeschrieben werden, da sich aus einem Einigungszwang zwischen dem Bund und den betroffenen Ländern unabsehbare Verzögerungen ergeben könnten. B) GEGENSTAND Das Trassenbestimmungsverfahren als zwischengelagerter Verfahrensschritt dient der Prüfung, wie die Trassen von linienförmigen Infrastrukturvorhaben bzw. der Standort von Flughäfen festgelegt werden sollen. In diesem Zwischenschritt wird jedoch, wie schon bisher im Linienbestimmungsverfahren, keine parzellenscharfe Entscheidung getroffen, sondern nur der grobe Verlauf einer Trasse zwischen zwei Verknüpfungspunkten des Netzes festgelegt.

mehr, wenn der Vorhabenträger wie überwiegend im Bereich der Stromtrassen ein privates, gewinnorientiertes Unternehmen ist. Bei einer Beschränkung auf die großräumige Variantenauswahl besteht nur eine geringe Gefahr, dass das Ergebnis im anschließenden Planfeststellungsverfahren substantiell in Frage gestellt werden kann.192 C) BÜRGERBETEILIGUNG Die Bürgerbeteiligung im Trassenbestimmungsverfahren kann sich an den Regelungen des NABEG orientieren.193 Danach wird zunächst eine öffentliche Antragskonferenz mit dem Vorhabenträger, den beteiligten Trägern öffentlicher Belange und den Umweltvereinigungen durchgeführt. Eine weitergehende Mitwirkung der Bürger ist dabei nicht vorzusehen, denn in diesem frühen Stadium dient die Öffentlichkeit in erster Linie der Transparenz des Verfahrens. Nach Einreichung des Planentwurfs durch den Vorhabenträger erfolgt eine öffentliche Auslegung. § 9 III NABEG stellt für die Auswahl des Auslegungsortes auf das Kriterium einer für die Betroffenen zumutbaren Nähe ab, das grundsätzlich sachgerecht ist. Die Auslegung muss rechtzeitig in allen Tageszeitungen der betroffenen Region und im Internet bekannt gemacht werden. Die Umweltvereinigungen müssen angesichts ihrer treuhänderischen Funktion aktiv von der zuständigen Behörde informiert werden. Alternativ wäre eine vollständige Verlagerung der Auslegung auf das Internet denkbar, wobei eine Information über die Fristen durch die Tageszeitungen in der betroffe-

Hierfür sind insbesondere eine sorgfältige Alternativenprüfung und eine Raumverträglichkeitsprüfung erforderlich. Die Alternativenprüfung darf nicht wie bisher vom Vorhabenträger dominiert werden, sondern vielmehr muss die Behörde eigenständig alle naheliegenden Trassen- bzw. Standortvarianten einbeziehen.191 Dies gilt umso

tertägigen Speichererrichtung zur Integration erneuerbarer Energien in die deutsche Stromversorgung, S. 14; in diese Richtung auch Durner, ZUR 2011, 354, 359. 192

Schneider, Planungs-, genehmigungs- und naturschutzrechtliche Fragen des Netzausbaus und der un-

191

DVBl. 2012, 325, 326, bestreitet, dass dies eine aus-

tertägigen Speichererrichtung zur Integration erneuer-

reichende Begründung ist.

barer Energien in die deutsche Stromversorgung, S.

Schneider, Planungs-, genehmigungs- und naturschutzrechtliche Fragen des Netzausbaus und der un-

61. 193

Kritisch aber Ziekow, DJT-Gutachten, S. 81.

58 | Bessere Planung mit mehr Bürgerbeteiligung | Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion | 10/2012

nen Region und ggf. andere Medien erfolgen muss. Das Recht, Einwendungen zu erheben, sollte angesichts der großräumigen Planungsdimension jeder Person zustehen, ohne dass ein besonderes Interesse nachgewiesen werden muss. Hierfür erscheint die in § 9 VI NABEG vorgesehene Frist von einem Monat nach Ablauf der Veröffentlichungsfrist ausreichend. Eine Präklusionsregelung wie im Planfeststellungsverfahren (s.u. III.4.e) ist sinnvoll, wenn auch bereits auf dieser Ebene ein individueller Rechtsschutz eröffnet wird.194 Anschließend findet ein Erörterungstermin mit dem Vorhabenträger, allen Einwendern einschließlich der Umweltvereinigungen sowie den Trägern öffentlicher Belange statt. Er kann nur entfallen, wenn es kein Bedürfnis für eine mündliche Debatte gibt, wobei die in § 10 S. 2 NABEG genannten Gründe übernommen werden können. Eine weitergehende Fristenvorgabe für die Durchführung des gesamten Trassenbestimmungsverfahrens ist nicht sinnvoll. Da die Komplexität der zu beachtenden raumbezogenen Aspekte für verschiedene Vorhabenarten sehr unterschiedlich sein kann und auch die Belastung der beteiligten Behörden zu berücksichtigen ist, sind unflexible Zeitvorgaben sehr problematisch und können zu schweren Qualitätsmängeln bei der Planung führen. D) RECHTSSCHUTZ Wenn das Ergebnis des Trassenbestimmungsverfahrens für die Planfeststellung verbindlich ist, muss ein Rechtsschutz für betroffene Bürger eröffnet werden. Eine Rechtsschutzmöglichkeit ist Voraussetzung für die Abschichtungswirkung195 und kann damit auch die erforderliche Rechtssicherheit für den letzten Schritt, das Planfeststellungsverfahren, schaffen. Probleme kann jedoch die Bestimmung der Klagebefugnis nach § 42 II VwGO von einzelnen privaten Betroffenen bereiten. Das Ergebnis der Trassenbestimmung ist möglicherweise zu unge-

nau, um den Kreis der Klagebefugten abgrenzen zu können.196 Die Trassenbestimmung führt meist nicht zu einer parzellenscharfen Abgrenzung,197 so dass die Enteignungsbetroffenen noch nicht endgültig feststehen. Auch die konkrete Betroffenheit von Nachbarn durch Lärm, Luftverunreinigung oder andere Einwirkungen kann in diesem Stadium noch nicht mit der gleichen Genauigkeit festgestellt werden wie bei der Klage gegen einen Planfeststellungsbeschluss. Die Feststellung der möglichen Auswirkungen des Vorhabens ist aber Voraussetzung für die Anwendung der Schutznormlehre. Diese Methode zur Abgrenzung des Kreises der Klagebefugten ist im deutschen Verwaltungsrecht tief verankert. Auch wenn man die ökologischen Belange stärken will, besteht kein Grund, sie grundsätzlich in Frage zu stellen. Notwendig ist aber einerseits eine Ausweitung des Kreises der als Schutznormen anzuerkennenden Vorschriften, insbesondere durch die Einbeziehung von gesundheitsschützenden Vorsorgepflichten.198 Andererseits muss schon aus EUrechtlichen Gründen ein subjektives Recht auf Verfahrensbeteiligung für jeden Berechtigten anerkannt werden, so dass die Durchsetzung des Verfahrensrechts erleichtert wird.199 Die Bestimmung der Klagebefugten hängt also vom Konkretisierungsgrad der Entscheidung über die räumliche Festlegung der Trasse ab. Je weniger Spielraum die Trassenbestimmung für die Planfeststellung lässt, desto genauer kann der Kreis der möglicherweise in eigenen Rechten Betroffenen

196

Vgl. Steinberg/Berg/Wickel, Fachplanung, 3. Aufl., § 7 Rn. 13.

197

Vgl. BVerwG, NVwZ 1996, 1010, 1014; ebenso Bauer, Die Durchsetzung des europäischen Umweltrechts in Deutschland, S. 146.

198

Groß, DV 43 (2010), 349, 353 ff.; Schlacke, in: Schlacke/Schrader/Bunge, Informationsrechte, Öffentlichkeitsbeteiligung und Rechtsschutz im Umweltrecht, § 3 Rn. 18.

199

Müller, Die Öffentlichkeitsbeteiligung im Recht der Europäischen Union und ihre Einwirkungen auf das deutsche Verwaltungsrecht am Beispiel des Immissi-

194

Köck/Salzborn, ZUR 2012, 203, 207.

onsschutzrechts, S. 136 ff.; weitergehend Hong, JZ

195

Wahl, FS Sendler, S. 199, 222.

2012, 380, 383 ff.

10/2012 | Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion | Bessere Planung mit mehr Bürgerbeteiligung | 59

festgestellt werden.200 Wird etwa eine neue Trasse parallel zu einer schon bestehenden Trasse geführt, liegt sie räumlich sehr viel exakter fest als bei einer Neuplanung zwischen zwei Verknüpfungspunkten. Eine solche einzelfallorientierte Entscheidung über die Klagebefugnis ist im Planungsrecht aber der Normalfall, mit dem die Gerichte umzugehen geübt sind, so keine grundsätzlich neuen Probleme auftreten. Der individuelle Rechtsschutz gegen das Ergebnis des Trassenbestimmungsverfahrens sollte also ermöglicht werden.201 Die Klagefrist wird durch eine öffentliche Bekanntmachung entsprechend § 74 V VwVfG ausgelöst. Daneben sollte eine Rechtsschutzmöglichkeit für Gemeinden und Verbände eröffnet werden. Für die Frage, ob eine Gemeinde durch eine Trasse in ihrer Planungshoheit berührt wird, so dass sie eine Verletzung ihres Selbstverwaltungsrechts geltend machen kann, ist es ausreichend, den ungefähren Verlauf zu kennen.202 Um die Klagemöglichkeit zu eröffnen ist vorzusehen, dass die Entscheidung im Trassenbestimmungsverfahren allen Gemeinden, deren Gebiet von der Trasse berührt wird, bekanntzugeben ist. Wie bei der Bundesnetzplanung (s.o. III.2.c) ist es zudem sinnvoll, auch in diesem Zwischenstadium eine Klage der Umweltvereinigungen zu eröffnen. Dadurch kann zu einem frühen Zeitpunkt Rechtssicherheit hergestellt werden.203 Diese können dann einerseits Verfahrensfehler wie eine unterlassene oder fehlerhafte SUP rügen, zum anderen Verstöße gegen materielles Umweltrecht, insbesondere auch gegen Naturschutzrecht.

200

Ähnlich Moench/Rutloff, NVwZ 2011, 1040, 1043.

201

Skeptisch Schmidt, ZUR 2012, 210, 215, der darauf hinweist, dass die Bürger dann regelmäßig zwei Klageverfahren durchführen müssten.

202

4. DIE PROJEKTZULASSUNG DURCH PLANFESTSTELLUNG Die dritte Stufe in der Planungskaskade stellt wie bisher das Planfeststellungsverfahren dar. Es muss allerdings durch eine frühzeitige Bürgerbeteiligung vor der Einreichung des Plans ergänzt werden, damit die Öffentlichkeit noch effektiver Einfluss auf seine Ausgestaltung nehmen kann. A) DIE BINDUNG AN DIE HÖHERSTUFIGE PLANUNG Die Bindung an die inhaltlichen Vorgaben aus der ersten Planungsstufe, der Nutzenfeststellung durch die Bundesnetzplanung, und der zweiten Planungsstufe, der Trassenbestimmung, sollte gesetzlich ausdrücklich geregelt werden. Die Bindung an diese Vorentscheidungen kann aber keine bedingungslose Befolgungspflicht bedeuten. Erst im Planfeststellungsverfahren werden alle Konfliktfelder umfassend aufgearbeitet, so dass sich Gesichtspunkte ergeben können, die bei den vorgelagerten Planungsstufen nicht oder nicht ausreichend beachtet worden sind. Deshalb muss es eine Möglichkeit für die Planfeststellungsbehörde geben, die Trassenbestimmung und sogar die Nutzenfestlegung in Frage zu stellen. Sollte die Planfeststellungsbehörde zur Auffassung kommen, dass die im vorgelagerten Verfahren gewählte Trasse nicht geeignet ist, aber eine andere Trasse in Frage kommt, so muss sie das Verfahren aussetzen und eine neue Trassenbestimmung herbeiführen. Wenn sie dagegen daran zweifelt, ob ein hinreichender Bedarf bzw. Nutzen besteht, so kann sie, wie schon bisher anerkannt ist, die Planrechtfertigung verneinen, wenn die dem Vorhaben entgegenstehenden Belange überwiegen. Eine solche Ablehnung eines Projektes muss der Bundesplanungsbehörde mitgeteilt werden, damit über die freiwerdenden Mittel neu disponiert werden kann. Gegen eine Ablehnung der Planfeststellung kann ein privater Vorhabenträger klagen, um die Frage der Zulässigkeit seines Projekts einer gerichtlichen Klärung zuzuführen.

Steinberg/Berg/Wickel, Fachplanung, 3. Aufl., § 7 Rn. 15; Moench/Rutloff, NVwZ 2011, 1040, 1043: a.A. Schmitz/Jornitz, NVwZ 2012, 332, 335.

203

Köck/Salzborn, ZUR 2012, 203, 207.

60 | Bessere Planung mit mehr Bürgerbeteiligung | Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion | 10/2012

B) PLANFESTSTELLUNG UND PLANGENEHMIGUNG Die Möglichkeit, statt eines Planfeststellungsbeschlusses eine Plangenehmigung in einem vereinfachten Verfahren zu erteilen, wurde 1991 im Rahmen der Beschleunigungsgesetzgebung eingeführt und später in § 74 VI VwVfG verankert.204 Auf die Plangenehmigung finden die Vorschriften über das Planfeststellungsverfahren keine Anwendung, so dass keine Öffentlichkeitsbeteiligung erfolgt. Da hierfür Voraussetzung ist, dass Rechte Dritter nicht betroffen sind oder diese einverstanden sind, scheidet eine Grundrechtsbeeinträchtigung aus.205 Dann ist aber auch keine Öffentlichkeitsbeteiligung erforderlich, so dass die Fortführung dieser Möglichkeit eines vereinfachten Vorhabengenehmigungsverfahrens sinnvoll erscheint. C) ZUSTÄNDIGKEIT Aufgrund der Fülle der zu verarbeitenden Informationen ist für die Durchführung des Planfeststellungsverfahrens eine bürgernahe Behörde notwendig, die mit den Gegebenheiten vor Ort vertraut ist. Die Anhörungs- wie die Planfeststellungsbehörde muss hinreichende Ortskenntnisse haben. Andererseits muss sie eine große Fachkunde ausweisen, deren Vorhaltung entsprechende personelle Ressourcen voraussetzt, so dass die Einschaltung kommunaler Behörden für solche Verfahren praktisch ausscheidet. Soweit die Zuständigkeit bei Landesbehörden angesiedelt ist, wie bei den Planfeststellungsverfahren für Bundesfernstraßen nach § 17b I Nr. 6 FStrG, Flughäfen nach § 10 I 1 LuftVG und für Hochspannungsfreileitungen nach § 43 S. 1 EnWG bzw. § 31 II NABEG, kommen hierfür Mittelbehörden oder obere bzw. oberste Landesbehörden in Betracht, die als grundsätzlich geeignet anzusehen sind.

deswasserstraßen sind jedoch die Mittelbehörden nach § 14 I 3 WaStrG zuständig, bei denen eine hinreichende Ortskenntnis besteht. Ähnliches gilt für Planfeststellungsverfahren für Schienenwege, die beim Eisenbahnbundesamt durch Außenstellen durchgeführt werden, die über das ganze Bundesgebiet verteilt sind.206 Zweifelhaft ist eine hinreichende Ortskenntnis dagegen bei der Bundesnetzagentur, der nach § 31 II NABEG die Durchführung von Planfeststellungsverfahren für Höchstspannungsleitungen durch Rechtsverordnung übertragen werden könnte.207 Auf diese Option sollte folglich verzichtet werden. Sinnvoll ist in jedem Fall, wie schon bisher von § 73 VwVfG als Regelfall vorausgesetzt,208 die organisatorische Trennung von Anhörungs- und Planfeststellungsbehörde. Durch die Zwischenschaltung der Anhörungsbehörde, die als Mittler zwischen den Beteiligten fungieren soll,209 wird eine größere Distanz der Planfeststellungsbehörde vom Vorhabenträger ermöglicht. Dieser Zweck ist allerdings nicht mehr so wichtig, wenn eine frühzeitige Bürgerbeteiligung mit einem neutralen Moderator eingeführt wird. D) DIE FRÜHZEITIGE BÜRGERBETEILIGUNG Viele Stimmen fordern inzwischen die Durchführung einer frühzeitigen Bürgerbeteiligung.210 Neben der Öffentlichkeitsbeteiligung auf den vorgelagerten Planungsstufen (s.o. III.2.c, III.3.c) ist damit auch eine Einbeziehung vor dem Beginn des Planfeststellungsverfahrens gemeint. Als Vorbild

206

Durner, DVBl. 2011, 853, 858.

207

Durner, DVBl. 2011, 853, 857 f.; anders Schmitz/Jornitz, NVwZ 2012, 332, 334.

208

Bonk/Neumann, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 7. Aufl., § 73 Rn. 3.

Problematischer ist die Bürgernähe in den Fällen einer Durchführung des Verfahrens durch Bundesbehörden. Bei Planfeststellungsverfahren für Bun-

209

Gaentzsch, FS Sellner, S. 219, 230.

210

Fehling, VVDStRL 70 (2011), S. 278, 309; Wulfhorst, DÖV 2011, 581 ff.; Gärditz, GewArch 2011, 273, 276; Stüer/Buchsteiner, UPR 2011, 335, 340 f.; Schmehl, FS Bull, S. 347, 359; Schink, ZG 26 (2011), 226, 236

204

205

Vgl. Fisahn, Demokratie und Öffentlichkeitsbeteiligung,

ff.; Burgi, NVwZ 2012, 277, 278; skeptisch aber Bur-

S. 281.

gi/Durner, Modernisierung des Verwaltungsverfahrens-

Fisahn, Demokratie und Öffentlichkeitsbeteiligung, S.

rechts durch Stärkung des VwVfG, S. 177 ff.; vorsich-

349.

tig auch Guckelberger, VerwArch 103 (2012), 31, 59 f.

10/2012 | Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion | Bessere Planung mit mehr Bürgerbeteiligung | 61

kommt die entsprechende Regelung für die Bauleitplanung in § 3 I Baugesetzbuch (BauGB) in Betracht, die 1976 als Reaktion auf eine vergleichbare Kritik eingeführt worden war.211 Wichtig ist, dass die Vorhabenplanung noch nicht so weit verfestigt ist, dass keine ergebnisoffene Beurteilung mehr möglich ist. Dies entspricht auch den Anforderungen der Aarhus-Konvention wie der UVPRichtlinie. Zu behandeln sind in diesem Stadium insbesondere die Dimensionierung des Vorhabens, seine genaue räumliche Positionierung innerhalb der Vorgaben des Trassenbestimmungsverfahrens und begleitende Regelungen wie z.B. naturschutzrechtliche Ausgleichsmaßnahmen und Lärmschutzvorkehrungen. Eine obligatorische frühzeitige Bürgerbeteiligung sollte für alle hier untersuchten Infrastrukturvorhaben in einem neuen § 72 VwVfG vorgesehen werden.212 Sofern dieser neue Verfahrensschritt für andere planfeststellungsbedürftige Vorhaben außerhalb des Anwendungsbereichs des Bundesverkehrsplanungsgesetzes nicht als sinnvoll angesehen wird, kann er durch ein Spezialgesetz ausgeschlossen werden. Grundsätzlich erscheint die frühzeitige Bürgerbeteiligung aber für alle Projekte sinnvoll, so dass das Verwaltungsverfahrensgesetz der richtige Regelungsort ist. Eine Beschränkung auf öffentliche Vorhabenträger213 ist nicht sinnvoll. Zwar ist es richtig, dass die Planungsentscheidung privater Unternehmen Ausdruck grundrechtlicher Autonomie ist. Wenn sie dabei jedoch knappe Umweltressourcen und eventuell auch privates Grundeigentum in Anspruch nehmen und das Vorhaben mit räumlichen Auswirkungen verbunden ist, z.B. Schadstoff- oder Lärmimmissionen, die eine mehr oder weniger große Nachbarschaft beeinträchtigen, sind weitgehende Beschränkungen der Planungsfreiheit Privater gerechtfertigt.214 Darüber hinaus entstünden öffentlich kaum vermittelbare Ungleichbehand-

lungen zwischen ganz oder überwiegend privaten und überwiegend im Staatseigentum stehenden Unternehmen, wie z.B. im Bereich der Stromnetzbetreiber. Keine einheitliche Meinung besteht aber zu der Frage, wie die frühzeitige Bürgerbeteiligung konkret ausgestaltet werden soll. Die Bundesregierung hat inzwischen einen Vorschlag des Beirats Verwaltungsverfahrensrecht beim Bundesministerium des Innern aufgegriffen, dass eine frühe Öffentlichkeitsbeteiligung vor der Antragstellung durch den Projektträger durchgeführt werden soll.215 Danach soll in § 25 III VwVfG ein entsprechender Verfahrensgrundsatz geregelt werden.216 Die frühzeitige Öffentlichkeitsbeteiligung soll aber nicht verpflichtend sein, sondern lediglich eine „Obliegenheit“ darstellen. Die Behörde soll eine Pflicht haben, bei dem Vorhabenträger auf ihre Durchführung hinzuwirken. Dieser Vorschlag ist völlig unzureichend, weil er die Beteiligung der Öffentlichkeit in das Belieben des Vorhabenträgers stellt217 und damit ihre demokratische Funktion (s.o. III.1.b.aa) nicht ernst nimmt. Eine zweite Option besteht darin, dass die Anhörungsbehörde auch die frühzeitige Bürgerbeteiligung durchführt.218 Hierfür spricht, dass die Behörde Erfahrungen mit entsprechenden Verfahren hat und sich später ohnehin mit dem Vorhaben beschäftigen muss. In diesem Fall könnte die Beteiligung mit dem Scoping-Termin im Rahmen der Umweltverträglichkeitsprüfung nach § 5 UVPG verbunden werden.219 Problematisch ist allerdings,

215

Dokumentiert in NVwZ 2011, 859 f.; ebenso Schink, ZG 26 (2011), 226, 243 f.

216

BR-Drs. 171/12.

217

Krit. auch Klinger, ZUR 2012, 201 f., und Ziekow, DJTGutachten, S. 82 ff., der vorschlägt, dass alternativ eine Antragskonferenz nach dem Vorbild des NABEG durchgeführt werden muss.

211

212

Dazu Fisahn, Demokratie und Öffentlichkeitsbeteili-

218

Burgi, NVwZ 2012, 277, 279; ähnlich

gung, S. 192 ff.

Stüer/Buchsteiner, UPR 2011, 335, 341, die ihre

Ähnlich Ziekow, DJT-Gutachten, S. 128, der die Rege-

Durchführung allerdings ins Ermessen der Behörde

lung allerdings bei §§ 23 ff. VwVfG ansiedeln will. 213

So Burgi, NVwZ 2012, 277, 279.

214

Groß, VerwArch 88 (1997), 89, 105 ff.

stellen wollen. 219

So Bunge, in: Schlacke/Schrader/Bunge, Informationsrechte, Öffentlichkeitsbeteiligung und Rechtsschutz im

62 | Bessere Planung mit mehr Bürgerbeteiligung | Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion | 10/2012

dass die Behörde eben wegen ihrer Verfahrenszuständigkeit in der Gefahr steht, nicht als hinreichend neutral zu gelten.220 Deshalb ist es vorzugswürdig, diese Aufgabe einer neutralen Instanz zu übertragen, die weder von den Vorhabenträgern noch von den in die spätere Entscheidung involvierten Behörden abhängig ist (s.u. III.5.). Die frühzeitige Öffentlichkeitsbeteiligung führt nicht zu einem förmlichen Ergebnis. Die durchführende Stelle fasst die wesentlichen Erkenntnisse aus den verschiedenen Stellungnahmen in einem abschließenden Bericht zusammen, der dem Vorhabenträger übermittelt und veröffentlicht wird. Welche Konsequenzen er daraus zieht, insbesondere ob er am Vorhaben festhält oder es modifiziert, liegt in seiner Verantwortung. E) DIE VERFAHRENSINTEGRIERTE BÜRGERBETEILIGUNG Während des Planfeststellungsverfahrens findet wie bisher eine verfahrensintegrierte Bürgerbeteiligung statt, bei der v.a. auf die strikte Neutralität der Anhörungsbehörde zu achten ist, die deshalb zwingend organisatorisch von der Planfeststellungsbehörde zu trennen ist. Eine Auslegung des Planentwurfs erfolgt in allen voraussichtlich betroffenen Gemeinden, einschließlich solcher, in denen Ausgleichs- und Kompensationsflächen liegen.221 Da eine ortsübliche Bekanntmachung der Auslegung nach § 73 V VwVfG angesichts des geänderten Mediennutzungsverhaltens heute immer weniger geeignet ist, ihre Anstoßfunktion zu erfüllen, sollte generell auch eine umfassende Veröffentlichung der Planunterlagen einschließlich einer allgemeinverständlichen Zusammenfassung im Internet vorge-

schrieben werden,222 wie es § 22 IV 1 NABEG bereits vorsieht. Die Umweltvereinigungen müssen von der Behörde vor Beginn der Auslegungsfrist aktiv über den Planentwurf informiert werden,223 wie es in § 22 I Nr. 2 NABEG geregelt ist. Auch wenn man den Umweltverbänden die Funktion zuschreibt, die öffentlichen Belange des Umweltschutzes zu vertreten, sollte das Einwendungsrecht der Privatpersonen nicht weiter auf die Geltendmachung eigener Belange beschränkt werden. Dieser Begriff müsste ohnehin im Hinblick auf die Funktion der Öffentlichkeitsbeteiligung im Lichte der Aarhus-Konvention großzügig ausgelegt werden.224 Eine Ausweitung der Einwendungsbefugnis auf die allgemeine Öffentlichkeit ist sinnvoll,225 und trägt auch zur Vereinfachung des Verfahrens bei, da die subjektive Berechtigung von der Behörde nicht mehr geprüft werden muss. Die geltende Frist zur Erhebung der Einwendungen von einem Monat während der Auslegung und zwei Wochen nach Ende der Auslegungsfrist stellt angesichts der zunehmenden Komplexität der Planungsverfahren mit außerordentlich umfangreichen Unterlagen keinen guten Kompromiss zwischen Bürgerfreundlichkeit und Beschleunigung mehr dar.226 Sie entspricht auch nicht den Anforderungen von Art. 6 UVP-RL. Jedenfalls dann, wenn man die Präklusionsregelung in § 73 IV 3 VwVfG als Ausdruck von zumutbaren Mitwirkungslasten227 aufrecht erhalten will, muss die Einwen-

222

Ziekow, DJT-Gutachten, S. 119; Guckelberger, VerwArch 103 (2012), 31, 51, m.w.N.

223

Schmidt, ZUR 2011, 296, 304; Ziekow, DJTGutachten, S. 120.

224

Bunge, in: Schlacke/Schrader/Bunge, Informationsrechte, Öffentlichkeitsbeteiligung und Rechtsschutz im Umweltrecht, § 2 Rn. 154.

225

So auch Burgi/Durner, Modernisierung des Verwaltungsverfahrensrechts durch Stärkung des VwVfG, S. 163.

Umweltrecht, § 2 Rn. 684; Ziekow, DJT-Gutachten, S.

226

79 f. 220 221

Kritisch auch Burgi/Durner, Modernisierung des Verwaltungsverfahrensrechts durch Stärkung des VwVfG,

Ziekow, DJT-Gutachten, S. 115 f. Bunge, in: Schlacke/Schrader/Bunge, Informations-

S. 184 f.; Schmidt, ZUR 2012, 210, 217 f. 227

BVerwG, NVwZ 1997, 489, 489 f.; Stein-

rechte, Öffentlichkeitsbeteiligung und Rechtsschutz im

berg/Berg/Wickel, Fachplanung, 3. Aufl., § 2 Rn. 91;

Umweltrecht, § 2 Rn. 168.

Stüer, Handbuch des Bau- und Fachplanungsrechts,

10/2012 | Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion | Bessere Planung mit mehr Bürgerbeteiligung | 63

dungsfrist auf mindestens zwei Monate verlängert werden. Gleiches gilt für die Frist, die den Umweltvereinigungen für ihre Stellungnahme eingeräumt wird. Nur eine Verlängerung auf zwei Monate rechtfertigt die Präklusionsregelung für Umweltvereinigungen in § 2 III UmwRG. Allerdings dürfen keine zu hohen Anforderungen an die Substantiierung gestellt werden.228 Ihre Bedeutung relativiert sich dann, wenn die Behörde verpflichtet wird, die Umweltvereinigungen aktiv einzubeziehen. Die zweite Phase der verfahrensintegrierten Bürgerbeteiligung ist der Erörterungstermin. Wenn er seine diskursive Funktion229 erfüllen soll, darf er allerdings nicht, wie es bisher oft Behördenpraxis war, als lästige Pflicht angesehen werden, sondern er muss von allen Beteiligten ernst genommen werden. Deshalb darf auch, anders als in den Fachgesetzen der Verkehrsplanung, der Verzicht auf Erörterung nicht im Ermessen der Behörde stehen, woran auch der neue Gesetzentwurf der Bundesregierung230 nichts ändern will. Seine Durchführung sollte vielmehr nur in Ausnahmefällen, wie z.B. bei fehlenden Einwendungen, entfallen dürfen. Vorbild kann insofern die Regelung in § 10 S. 2 NABEG sein. Der Leiter des Erörterungstermins sollte in der Behörde nicht am Verfahren beteiligt sein.231 Es ist auch zulässig, einen Außenstehenden mit der Leitung zu beauftragen, wie es im Verfahren zur Erweiterung des Frankfurter Flughafens praktiziert worden ist.232 Angesichts des häufig hohen öffent-

lichen Interesses sollte der Erörterungstermin generell öffentlich sein, insbesondere für die Medien, ohne dass das davon abhängig ist, dass kein Beteiligter widerspricht (so §§ 73 VI 6, 68 I 3 VwVfG).233 Außerdem ist eine Teilnahmepflicht des Vorhabenträgers vorzusehen, damit er sich dem Diskurs nicht entziehen kann.234 F) RECHTSSCHUTZ Der Rechtsschutz für Bürger gegen einen Planfeststellungsbeschluss erfolgt grundsätzlich nach den geltenden Regeln. Jedoch sollte das Sonderprozessrecht für Planungsverfahren im Bereich der Verkehrsplanung und der Energienetze abgeschafft werden. Keine grundsätzliche Änderung ist beim Zugang zum verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutz notwendig. Die Klagebefugnis nach § 42 II VwGO setzt, wenn keine Adressatenstellung wie bei enteignungsrechtlich Betroffenen besteht, das Geltendmachen einer Schutznorm voraus. Eine Aufgabe dieser im deutschen Verwaltungsprozessrecht tief verankerten Beschränkung des Zugangs zu den Verwaltungsgerichten ist nicht erforderlich, um die Bürgerbeteiligung auszubauen und den Umweltschutz zu stärken. Weiterhin ist die Verbandsklage zulässig, die – wie nun vom EuGH klargestellt wurde – nicht auf schutzrechtsakzessorische Normen beschränkt werden darf.235 Die zur Umsetzung des Urteils notwendige Novellierung des Umweltrechtsbehelfsgesetzes sollte genutzt werden, um die naturschutzrechtliche Verbandsklage nach § 64 BNatSchG zu integrieren und einen einheitlichen Umweltverbandsrechtsbehelf zu schaffen.236 Die Rügefähig-

4. Aufl., Rn. 3235; weitere Nachweise bei Schneider, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle

der Gesellschaft für Umweltrecht e.V., S. 185, 200, zur

(Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, Bd. II, § 28 Rn. 80 f.

„Trennung der Verfahrensrollen“. 233

Ebenso Steinberg/Berg/Wickel, Fachplanung, 3. Aufl.,

228

BVerwG, NVwZ 2012, 176, 178.

229

Gaentzsch, FS Sellner, S. 219, 221.

234

Ziekow, DJT-Gutachten, S. 122.

230

BR-Drs. 171/12.

235

EuGH, ZUR 2011, 368 ff.; zur Umsetzung vgl. den

231

Plog/Tepperwien, NdsVBl. 2010, 95, 97.

232

§ 2 Rn. 101; Ziekow, DJT-Gutachten, S. 121.

Gesetzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen,

Gaentzsch, FS Sellner, S. 219 ff.; s.a. Debus, in: Dokumentation zur 32. wissenschaftlichen Fachtagung

BT-Drs. 17/7888. 236

Schmidt, ZUR 2012, 210, 212.

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keit aller Rechtsvorschriften, die dem Umweltschutz dienen, sollte erhalten bleiben, da eine Beschränkung auf Vorschriften mit unionsrechtlichem Hintergrund schwierige neue Abgrenzungsprobleme schaffen würde.237 Eine solche Differenzierung wäre zudem mit Art. 9 Abs. 2 AK nicht vereinbar, da diese Vorschrift alle umweltrechtlichen Vorschriften erfasst.238 Außerdem ist eine Erweiterung des § 4 UmwRG auf wesentliche Verfahrensfehler erforderlich.239 Diese dürfen sich überdies angesichts der EU-rechtlichen Anforderungen nicht nur auf die Umweltverträglichkeitsprüfung beziehen.240 Alle Anfechtungsklagen gegen Planfeststellungsbeschlüsse in den hier erfassten Bereichen der Infrastrukturplanung sollten bei den Oberverwaltungsgerichten erhoben werden. Die erst- und letztinstanzlichen Zuständigkeiten des Bundesverwaltungsgerichts nach § 50 I Nr. 6 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) sind verfassungsrechtlich problematisch241 und jedenfalls mehr als zwei Jahrzehnte nach der Herstellung der deutschen Einheit nicht mehr mit einer Sondersituation begründbar. 5. DIE UNABHÄNGIGE STIFTUNG FÜR BÜRGERBETEILIGUNG Ein neues Planungsverfahren, das auf drei Stufen eine großzügige Öffentlichkeitsbeteiligung vorsieht und zusätzlich vor dem Planfeststellungsverfahren eine neue frühzeitige Bürgerbeteiligung vorschreibt, erfordert einen erheblichen Organisationsaufwand. Deshalb sind Überlegungen notwendig, wie der notwendige Sachverstand und die kommunikativen Kompetenzen für erfolgreiche

237

Schmidt, ZUR 2012, 210, 212, m.w.N.

238

Hong, JZ 2012, 380, 387; Ekardt, NVwZ 2012, 530, 531.

239

So auch BT-Drs. 17/7888, § 4 I 1 UmwRG n.F.; vgl. dazu den Vorlagebeschluss des BVerwG, NVwZ 2012, 448.

240

Partizipationsverfahren sinnvoll gebündelt werden können, damit nicht jede Planungsbehörde auf den verschiedenen Ebenen alle erforderlichen Kenntnisse immer wieder neu erwerben muss. Dies spricht für eine Bündelung der Partizipationskompetenz. Modellcharakter für eine umfassende Bürgerbeteiligung könnte die „öffentliche Debatte“ (débat public) haben, die in Frankreich seit 20 Jahren bei bestimmten Großprojekten durchgeführt wird.242 Es handelt sich dabei um eine Art Mediationsverfahren, das von einer unabhängigen Behörde, der Commission nationale du débat public (CNDP), überwacht und oft auch organisiert wird. Es wurde nach dem Vorbild der kanadischen Provinz Québéc zunächst durch zwei Rundschreiben der Regierung eingeführt. Eine gesetzliche Rechtsgrundlage wurde 1995 geschaffen und 2002 erweitert. Heute findet sie sich in art. L. 121-1 bis L. 121-15 und R. 121-1 bis R. 121-16 des Umweltgesetzbuchs (code de l’environnement). Die CNDP ist eine pluralistisch aus Vertretern der Politik, der Justiz und von verschiedenen Verbänden besetzte Kommission, die unabhängig von der Regierung über die Durchführung des Verfahrens entscheidet. Es ist auf insgesamt 11 Kategorien von Projekten anwendbar, die in art. R. 121-1 code de l’environnement genannt werden. Hierzu zählen insbesondere der Neubau und die Erweiterung von Autobahnen und Schnellstraßen, der Neubau von Eisenbahnstrecken und von Wasserstraßen, der Neubau und die Erweiterung von Flughäfen sowie der Bau von elektrischen Leitungen. Außerdem werden bestimmte finanzielle oder räumliche Schwellen angegeben, ab denen das Beteiligungsverfahren stattfinden kann. Entscheidend sind letztlich inhaltliche Kriterien wie das nationale Interesse des Projekts und seine räumlichen, sozio-ökonomischen oder ökologischen Auswirkungen, bei deren Beurteilung die CNDP ein weites Ermessen hat. Gegenstand sind nicht nur die Ziele und Charakteristika eines Projekts, sondern auch der Bedarf sowie Alternativen.

Schlacke, in: Schlacke/Schrader/Bunge, Informationsrechte, Öffentlichkeitsbeteiligung und Rechtsschutz im Umweltrecht, § 3 Rn. 178.

241

Vgl. BVerwGE 120, 87, 93 f.; 131, 274, 279 ff.: erstinstanzliche Zuständigkeit als Ausnahmefall.

242

Vgl. zum Folgenden ausführlich Delaunay, RFDA 2006, S. 2322 ff.

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Die bisherigen Erfahrungen zeigen, dass die öffentliche Debatte durchaus Auswirkungen hat. Einige kontroverse Projekte sind aufgrund der Debatte zumindest vorläufig aufgegeben oder grundlegend modifiziert worden. In anderen Fällen kam es dagegen zu keiner Annäherung der Positionen. Es gab auch Fälle, in denen eine politische Vorfestlegung der Debatte ihren Sinn nahm, da sie nicht ergebnisoffen durchgeführt werden konnte. Die öffentliche Debatte kann entweder von der CNDP selbst durch eine besondere Kommission oder durch den Projektträger durchgeführt werden. Teilnehmer an der Debatte sind neben dem Projektträger lokale Bürgerinitiativen, Umweltund Wirtschaftsverbände, aber auch die allgemeine Öffentlichkeit, die über das Internet detailliert informiert wird. Die Dauer des Verfahrens ist auf vier Monate beschränkt, ausnahmsweise ist eine Verlängerung um maximal zwei Monate möglich, was jedoch restriktiv gehandhabt wird. Der Staatsrat hat Rechtsmittel gegen die Art und Weise der Durchführung einer Debatte nicht zugelassen. Die Debatte endet mit der Veröffentlichung eines Berichts, der jedoch nicht inhaltlich zum Projekt Stellung nimmt. Auf ihn muss der Projektträger innerhalb von drei Monaten mit einer Entscheidung über den Fortgang der Planung reagieren, die eine Begründung enthalten muss. Nach dieser Entscheidung können auch keine Verfahrensfehler mehr geltend gemacht werden. Insgesamt ist das Verfahren durchaus aufwändig. Die Kosten betragen zwischen 300.000 und 2,5 Mio. € pro Projekt, was allerdings weniger als 1/1000 der jeweiligen Gesamtkosten ausmacht. Deshalb werden im Schnitt weniger als zehn Debatten pro Jahr durchgeführt, obwohl es etwa 10.000 Planungs- und Genehmigungsverfahren gibt, bei denen eine enquête publique, also eine Betroffenenbeteiligung, stattfindet. Eine einfache Übertragung dieses Organisationsmodells auf Deutschland ist aufgrund der föderalen Struktur nicht möglich. Da die Planfeststellungsverfahren zum Teil von Bundes- und zum Teil von Landesbehörden durchgeführt werden, stellt sich die Frage, wie eine neutrale Stelle, welche die Öffentlichkeitsbeteiligung durchführt, gestaltet werden könnte. Sinnvollerweise sollte eine Orga-

nisation auf Bundesebene und eine in jedem Bundesland243 geschaffen werden. Dies ermöglicht auch vertragliche Kooperationen, z.B. zwischen benachbarten Bundesländern. Da diese Stelle eine reine Moderationsfunktion hat, ist im Gegensatz zur Planfeststellungsbehörde nicht unbedingt eine bürgernahe Organisation erforderlich. Der Gründung einer einzigen öffentlich-rechtlichen oder privatrechtlichen Organisation, die für Bund und Länder tätig wird, steht das Verbot der Mischverwaltung, d.h. der Verfassungsvorbehalt des Art. 83 GG entgegen.244 Zur Stärkung ihrer Neutralität sollte die Stelle weisungsunabhängig gestellt werden.245 Dies könnte z.B. durch die Wahl der Rechtsform der Stiftung ermöglicht werden. Mit der „Bundesstiftung für Bürgerbeteiligung“ würde eine fachkundige und erfahrene Stelle geschaffen, die in öffentlicher Trägerschaft steht, so dass sie nicht im Verdacht steht, von privaten Unternehmen instrumentalisiert zu werden, die andererseits aber auch von öffentlichen Vorhabenträgern und Planungsbehörden vollständig unabhängig wäre. Organisatorisch könnte dies dadurch abgesichert werden, dass der Stiftungsrat nicht nur mit Vertretern von Bund bzw. Land besetzt wird, sondern pluralistisch auch Vertreter von Umwelt-, Wirtschafts- und Arbeitnehmerverbänden beteiligt werden. Dieser Stiftungsrat bestimmt einen Vorstand, der aber in Fragen der Geschäftsführung eigenverantwortlich agiert, um die fachliche Unabhängigkeit abzusichern. Diese Stelle wäre im Bund zusätzlich zu den in seine Verwaltungskompetenz fallenden Planfeststellungsverfahren für die Bürgerbeteiligung bei der Netzplanung und bei den Trassenbestimmungsverfahren zuständig. Für die Bundesebene ergibt sich die Errichtungskompetenz aus Art. 87 III 1 GG, da diese Vorschrift auch Stiftungen des öffentlichen Rechts erfasst.246 In den

243

So Ziekow, DJT-Gutachten, S. 116 f.

244

Vgl. Groß, in: Friauf/Höfling (Hrsg.), GG, Art. 83 Rn. 30 ff.

245

So auch Ziekow, DJT-Gutachten, S. 117.

246

Sachs, in: ders. (Hrsg.), GG. 6. Aufl., Art. 87 Rn. 67.

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Ländern würden die entsprechenden Stellen in allen Planfeststellungsverfahren tätig werden. Die Kosten des Verfahrens der Öffentlichkeitsbeteiligung müsste grundsätzlich die jeweilige Stelle des Bundes bzw. Landes tragen. Für das Planfeststellungsverfahren könnte aber im Rahmen einer speziellen Kostenregelung eine Abwälzung auf den Vorhabenträger vorgesehen werden.247

247

Ziekow, DJT-Gutachten, S. 124; skeptisch Burgi/Durner, Modernisierung des Verwaltungsverfahrensrechts durch Stärkung des VwVfG, S. 167 f.

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IV. EMPFEHLUNGEN AN DEN BUNDESGESETZGEBER

Auf der Grundlage des Konzepts einer durchgehend dreistufigen Planung von Infrastrukturvorhaben, das eine ausgewogene Balance von Partizipation und Effektivität schafft, wird die Verabschiedung eines Bundesverkehrsplanungsgesetzes mit Regelungen für die verkehrsträgerübergreifende Netzplanung und für ein Trassenbestimmungsverfahren (1.) sowie eine Rückkehr zu einheitlichen Regeln für das Planfeststellungsverfahren im Verwaltungsverfahrensgesetz (2.) empfohlen. Die Sonderregeln für die Energienetze im NABEG sollten daran so weit wie möglich angeglichen werden, sofern nicht sachspezifische Gründe dagegen sprechen (3.). Außerdem ist eine Erweiterung der Verbandsklage durch eine grundlegende Novellierung des Umweltrechtsbehelfsgesetzes erforderlich (4.). Schließlich wird die gesetzliche Gründung einer neuen Bundesstiftung für Bürgerbeteiligung empfohlen (5.). 1. DER ERLASS EINES BUNDESVERKEHRSPLANUNGSGESETZES Das Bundesverkehrsplanungsgesetz gilt für die Bundesfernstraßen, das Schienenwegenetz der Eisenbahnen des Bundes, die Bundeswasserstraßen und zusätzlich erstmals auch für die Flughäfen. Es enthält drei Abschnitte zur Aufstellung des Bundesverkehrsplans, zum Trassenbestimmungsverfahren und zu Regelung der Zuständigkeiten. Der erste Abschnitt regelt das Verfahren der Aufstellung des Bundesverkehrsplans. Hierzu zählen insbesondere Spezialvorschriften für die Durchführung der Umweltverträglichkeitsprüfung mit einer verkehrsträgerübergreifenden Alternativenprüfung, die auch die Vereinbarkeit der voraussichtlichen Verkehrsentwicklung mit den nationalen Klimaschutzzielen umfasst. Die Öffentlichkeitsbeteiligung erfolgt über das Internet, in dem neben dem Planentwurf eine allgemein verständliche Zusammenfassung veröffentlicht wird. Daneben werden die anerkannten Umweltvereinigungen sowohl im Scoping-Termin als auch bei der Diskussion des

Planentwurfs aktiv einbezogen. Für die Stellungnahmen ist eine Frist von mindestens zwei Monaten vorzusehen. Im ersten Modell erfolgt die verbindliche Nutzenfestlegung wie bisher durch Bundesgesetze. Im zweiten Modell, das eine Verabschiedung des Bundesverkehrsplans als Rechtsverordnung durch die Bundesregierung vorsieht, enthält dieser Abschnitt außerdem materielle Zielvorgaben durch Planungsleitsätze und Kriterien für die Nutzenfeststellung sowie die erforderliche Verordnungsermächtigung. In beiden Modellen besteht eine Bindungswirkung für die nachfolgenden Planungsstufen. Sofern im weiteren Verfahren überwiegende Belange identifiziert werden, die eine Realisierung des Vorhabens ausschließen, muss dies der für die Bundesnetzplanung zuständigen Behörde gemeldet werden. Vorhaben, die nicht in den Bundesverkehrsplan bzw. die auf ihm beruhenden Gesetze aufgenommen wurden, dürfen nicht geplant werden. Der zweite Abschnitt enthält eine einheitliche Regelung des Trassenbestimmungsverfahrens, mit dem der grobe Verlauf einer Trasse zwischen zwei Verknüpfungspunkten des Netzes festgelegt wird. Neben der Bindung an die Erfordernisse der Raumordnung ist die Durchführung der Umweltverträglichkeitsprüfung, der FFHVerträglichkeitsprüfung und der Öffentlichkeitsbeteiligung zu regeln. Die Öffentlichkeitsbeteiligung erfolgt im Rahmen einer Antragskonferenz, einer Auslegung der Planunterlagen, zu denen sowohl die allgemeine Öffentlichkeit wie auch die Umweltvereinigungen innerhalb von mindestens zwei Monaten Stellung nehmen können, sowie durch einen Erörterungstermin. Im dritten Abschnitt wird die Zuständigkeit für den Vollzug des Gesetzes geregelt. Für die Durchführung des Verfahrens zum Erlass des Bundesverkehrsplans und des Trassenbestimmungsverfahrens wird eine neue Bundesoberbehörde, die Bundesbehörde für Netzplanung, geschaffen. Sie untersteht der Fachaufsicht des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung. Sie übernimmt die bisher im Ministerium angesiedelten Zuständigkeiten sowie von der Bundesnetzagentur die Planungsaufgaben

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nach dem NABEG. Gleichzeitig wird das Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung aus dem Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung gelöst und in die neue Behörde integriert. 2. DIE NOVELLIERUNG DES VERWALTUNGSVERFAHRENSGESETZES Alle Sonderregeln über das Planfeststellungsverfahren in den hier einbezogenen Fachplanungsgesetzen sind aufzuheben, um die Vereinheitlichungsfunktion des Verwaltungsverfahrensgesetzes wieder herzustellen. Planfeststellungsverfahren unterliegen künftig allein den novellierten Regeln in §§ 72 ff. VwVfG. In einem neuen § 72a VwVfG wird die obligatorische frühzeitige Bürgerbeteiligung geregelt. Diese Vorschrift enthält Regelungen über die Information der Öffentlichkeit und der Umweltvereinigungen, die auf der Grundlage der Unterlagen des Vorhabenträgers durch eine unabhängige Stelle für Bürgerbeteiligung zu erfolgen hat. Vorzusehen ist insbesondere eine Bereitstellung aller Informationen über das Internet. Die Vorschriften über das Anhörungsverfahren in § 73 VwVfG können in den Grundzügen unverändert bleiben. Die Pflicht zur organisatorischen Trennung von Anhörungs- und Planfeststellungsbehörde ist festzuschreiben. § 73 III VwVfG ist durch eine Pflicht der Anhörungsbehörde, alle Unterlagen der Öffentlichkeit auch im Internet zur Verfügung zu stellen, zu ergänzen. Das Einwendungsrecht ist nicht mehr auf die Geltendmachung eigener Belange begrenzt. Die Einwendungsfrist in § 73 IV 1 VwVfG ist auf einen Monat nach Ablauf der Auslegungsfrist zu verlängern, nur dann ist eine Aufrechterhaltung der Präklusionsvorschriften vertretbar. Ein Erörterungstermin ist grundsätzlich immer durchzuführen, sofern nicht enge, enumerativ aufgezählte Ausnahmefälle vorliegen. In § 73 VI 6 VwVfG ist der Verweis auf § 68 I VwVfG zu streichen, so dass der Erörterungstermin öffentlich stattfindet.

3. DIE NOVELLIERUNG DES ENERGIEWIRTSCHAFTSGESETZES UND DES NETZAUSBAUBESCHLEUNIGUNGSGESETZES ÜBERTRAGUNGSNETZ Auch für die Planung der Hochspannungsleitungen sollten die Sonderregelungen für das Planfeststellungsverfahren im EnWG, insbesondere in § 43a, beseitigt werden. Da das NABEG bewusst als Sonderplanungsrecht zur Verbesserung der Anbindung der erneuerbaren Energien in das Stromnetz geschaffen wurde, sollte seine Grundstruktur nicht verändert werden, bis die von ihm erfassten Leitungen verwirklicht worden sind. Allerdings sollte auch hier die Einwendungsfrist in § 22 VI 1 NABEG auf einen Monat nach Ende der Auslegungsfrist verlängert werden. Nach Auslaufen des NABEG sollten seine Regelungen über das Planungsverfahren in das EnWG übernommen werden. Dabei werden die Vorschriften weitgehend parallel zum Bundesverkehrsplanungsgesetz gestaltet. 4. DIE NOVELLIERUNG DES UMWELTRECHTSBEHELFSGESETZES Das Umweltrechtsbehelfsgesetz muss nach dem Trianel-Urteil des Europäischen Gerichtshofs ohnehin novelliert werden. Dies sollte genutzt werden, um die naturschutzrechtliche Verbandsklage nach § 64 BNatSchG zu integrieren und einen einheitlichen Umweltverbandsrechtsbehelf zu schaffen. Auch die Terminologie sollte vereinheitlicht werden. Außerdem sollte der Anwendungsbereich der Verbandsklage ausgeweitet werden. Die anerkannten Umweltvereinigungen erhalten das Recht, gegen den Bundesverkehrsplan zu klagen, sofern er als Rechtsverordnung verabschiedet wird. Außerdem wird ihnen die Klage gegen das Ergebnis des Trassenbestimmungsverfahrens wie gegen die Entscheidung der Bundesnetzagentur über die Bundesfachplanung Trassenkorridore eröffnet. Rügefähig sind alle umweltrechtlichen Vorschriften einschließlich aller verfahrensrechtlichen Regelungen. Eine Präklusion von Einwendungen auf der zweiten und dritten Planungsstufe ist nur vertretbar, wenn die Stellungnahmefrist auf mindestens zwei Monate verlängert wird.

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5. DIE SCHAFFUNG EINER BUNDESSTIFTUNG FÜR BÜRGERBETEILIGUNG Zur Durchführung der Öffentlichkeitsbeteiligung sollten sowohl auf Bundes- wie auf Landesebene neue unabhängige Stellen in öffentlicher Trägerschaft geschaffen werden, die den notwendigen Sachverstand und die kommunikativen Kompetenzen für erfolgreiche Partizipationsverfahren bündeln. Für die Bundesebene wird die gesetzliche Gründung einer Bundesstiftung für Bürgerbeteiligung vorgeschlagen. In ihren Stiftungsrat sollten neben Vertretern des Bundes auch solche von Umwelt-, Wirtschafts- und Arbeitnehmerverbänden aufgenommen werden. Dadurch wird ihre Unabhängigkeit sowohl von den öffentlichen oder privaten Vorhabenträgern wie von den Planungsbehörden gewährleistet.

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Förderung der Mediation in Planungsverfahren – Vorschläge für den Gesetzgeber

Zusammenfassung eines Rechtsgutachtens im Auftrag der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen

Prof. Dr. Bernd Holznagel, LL.M. / Prof. Dr. Ulrich Ramsauer

Stand: 17.07.2012

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Übersicht

I. Gegenstand und Ziele der Untersuchung ................................................................ 78 II. Befund: Aktuelle Probleme bei Zulassung und Verwirklichung von Großprojekten ................................................................................................... 76 III. Das Konfliktlösungspotential von Mediationsverfahren ............................................ 76 IV. Voraussetzungen von Mediation ......................................................................... 76 V. Möglichkeit einer verordneten Mediation? ............................................................. 77 1.

Verbesserung der Verhandlungsmacht ............................................................. 77

2.

Wahrnehmung der Mediation als Erfolgsmodell ................................................. 78

3.

Externe Anreize ........................................................................................... 78

VI. Schaffung von Anreizen zur Durchführung der Mediation.......................................... 79 VII. Schaffung geeigneter rechtlicher Rahmenbedingungen für Mediation ........................ 79 1.

Bestimmung eines Mediators ......................................................................... 79

2.

Aufgaben des Mediators ................................................................................ 79

3.

Repräsentanz der Betroffenen ........................................................................ 80

4.

Geheimhaltung, Protokollierungs- und Begründungspflichten ............................. 80

5.

Kostentragung, Mediationskostenhilfe ............................................................. 80

VIII. Schaffung einer „Deutschen Stiftung Umweltmediation“ ........................................ 80 IX. Implementation des Mediationsergebnisses in das Zulassungsverfahren ....................... 81 X. Lockerung des Koppelungsverbots ....................................................................... 81 Zusammenfassung der Vorschläge ........................................................................... 82 1.

Antragsverfahren zur Sondierung der Möglichkeit einer Mediation ........................ 82

2.

Schaffung von Anreizen für die Mediation ........................................................ 82

3.

Festlegung von Rahmenregeln für das Mediationsverfahren ................................. 85

4.

Gründung einer Deutschen Stiftung Umweltmediation ........................................ 82

5.

Regelungen zur Sachverhaltsaufklärung ........................................................... 82

6.

Lockerung des Koppelungsverbots ................................................................... 82

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I.

GEGENSTAND UND ZIELE DER UNTERSUCHUNG

Von Mediation spricht man, wenn zur Lösung eines Interessenkonflikts zwischen zwei oder mehreren Personen Verhandlungen unter Einschaltung eines neutralen Dritten durchgeführt werden. Anders als in einem gerichtlichen Verfahren oder in einem Schiedsverfahren verfügt ein Mediator nicht über die Befugnis, bindende Entscheidungen über den Konflikt zu treffen. Im Rahmen der hier in Rede stehenden Umweltmediation sollte der Mediator stets eine aktive Rolle spielen, also nicht nur die Verhandlungen leiten, für einen fairen Verhandlungsablauf sorgen und etwaige Informationsund Kommunikations-Asymmetrien ausgleichen, sondern auch zielführende Vorschläge anregen bzw. selbst unterbreiten und die Beteiligten bei der Suche nach optimalen Lösungen beraten und unterstützen. Die vorliegende Untersuchung beschränkt sich auf die Förderung des Einsatzes von Mediation im Rahmen der Planung und Zulassung von größeren Vorhaben, durch die eine Vielzahl von Personen betroffen werden können. Insoweit bieten sich zur Abgrenzung zu einfachen Vorhaben die Regelungen über die UVP-Pflicht an.

II. DAS KONFLIKTLÖSUNGSPOTENTIAL VON MEDIATIONSVERFAHREN Eine lege artis durchgeführte Mediation kann einiges leisten, was die herkömmlichen Verwaltungsverfahren typischerweise nicht vermögen. Die Mediation kann erstens Wege für eine Konfliktlösung aufzeigen, die in herkömmlichen Verwaltungsverfahren entweder nicht gefunden werden oder aus rechtlichen Gründen beschritten werden können. Sie hat vornehmlich den Interessenkonflikt und weniger die Rechtspositionen im Blick, ist nicht auf den Gegenstand des Verwaltungsverfahrens begrenzt und kann z.B. zum Interessenausgleich auch Lösungen in Betracht ziehen, die mit dem eigentlichen Verfahrensgegenstand nichts zu tun haben (sog. Erweiterung des Kuchens). Auch mittelbare Folgen eines Vorhabens können berücksichtigt werden, etwa der befürchtete Verfall von Grundstückspreisen, Veränderungen der Grundstückssituationen, der Verkehrslage usw. Das Mediationsverfahren schafft zweitens idealerweise einen themenzentrierten herrschaftsfreien Diskurs, in dem Informations- und Kommunikationsasymmetrien ausgeglichen werden. Dies führt dazu, dass alle Beteiligten sich an dem Diskurs und der Problemlösung in einer für sie angemessenen Weise beteiligen können. Diese Partizipation ist ge-

eignet, „intelligente“ Problemlösungen hervorzubringen, bei der in einer Gesamtbetrachtung alle Beteiligten besser stehen als dies bei einer gerichtlichen Entscheidung möglich wäre (win-winLösung). Die Mitwirkung der Konfliktparteien an der Lösungssuche erhöht die Transparenz des Ergebnisses und die Möglichkeit der Akzeptanz.

III. VORAUSSETZUNGEN FÜR MEDIATION Nicht alle Konflikte eignen sich für die Mediation. Das gilt für sämtliche Formen der Mediation, auch für die Umweltmediation. Die grundsätzliche Teilnahmebereitschaft der Konfliktparteien ist zwar notwendig, aber nicht hinreichend. Ob die übrigen Voraussetzungen für ein Mediationsverfahren vorliegen, bedarf deshalb in jedem Fall einer sorgfältigen Prüfung vorab. Liegen die Voraussetzungen nicht vor und lassen sie sich auch nicht herstellen, sollte ein Mediationsverfahren unterbleiben, weil dann die Erfolgsaussichten nicht günstig genug sind, um den Aufwand zu rechtfertigen. Die maßgeblichen Voraussetzungen sind nicht rechtlicher Art, sondern das Ergebnis langjähriger Erfahrungen, die in den USA und anderswo, auch in Deutschland, gemacht worden sind. Sie betreffen vor allem die Eigenarten des Interessenkonflikts und die Betroffenenstruktur. Neben der Teilnahmebereitschaft der am Konflikt beteiligten Interessenträger geht es regelmäßig um drei weitere Voraussetzungen: die Kompromissfähigkeit des Konflikts, das Vorhandensein ausreichender Verhandlungsmacht und die Möglichkeit der Teilnahme oder Repräsentation sämtlicher Interessenträger. Die zuletzt genannte Voraussetzung ist deshalb wichtig, da die Zahl der am Mediationsverfahren unmittelbar beteiligten Personen sehr begrenzt ist. Da heute in Mediationsverfahren auch die neuen Kommunikationsmöglichkeiten des Internets genutzt werden können, hat sich die Möglichkeit einer Vertretung durch Repräsentanten von Interessengruppen wesentlich verbessert. Damit wird die Möglichkeit eines einfachen und schnellen Dialogs unter den Bürgern eröffnet, was gerade dem Kommunikationsverhalten der FacebookGeneration entgegenkommt.

IV. ANTRAGSRECHT AUF DURCHFÜHRUNG EINES SONDIERUNGSVERFAHRENS Bisher ist es einzelnen Akteuren (Vorhabenträger, Drittbetroffene, Umweltvereinigungen oder Behörden) überlassen, ob sie die Initiative für eine Me-

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diation ergreifen, ob sie ein solches Verfahren überhaupt in Betracht ziehen und anstoßen und durchführen oder nicht. Es bedarf vieler möglicherweise zeitraubender Vorklärungen und organisatorischer Vorarbeiten. Vielfach werden einzelne am Konflikt beteiligte Interessenträger diesen Aufwand nicht treiben wollen; ob ein Mediationsverfahren durchgeführt wird, bleibt deshalb auch bei objektiver Mediationseignung dem Zufall überlassen. Angeordnet werden kann eine Umweltmediation nach geltender Rechtslage nicht. Die Einführung einer Pflicht zur Durchführung von Mediationsverfahren kraft Gesetzes oder auf einseitige Anordnung durch die zuständige Behörde würde dieses Problem nicht lösen. Sie würde dem für die Mediation grundlegenden Prinzip der Freiwilligkeit widersprechen. Es liegt auf der Hand, dass niemand dazu gezwungen werden kann, sich auf ein Verfahren einzulassen, in dem er mit potentiellen Gegnern konstruktiv und kooperativ nach kreativen Lösungen für den Interessenkonflikt suchen soll. Weiterführen könnte hier die gesetzliche Einführung eines Antragsrechts auf Durchführung eines Sondierungsverfahrens. In diesem hätte die zuständige Behörde die Aufgabe zu prüfen, ob sich der Konflikt nach den oben aufgeführten Voraussetzungen für eine Mediation eignet, ob insbesondere die Bereitschaft der von dem Konflikt betroffenen Interessenträger zur Teilnahme an einem Mediationsverfahren besteht. In diesem formlosen, informellen Verfahren müsste die Behörde Gespräche mit den potentiell zu beteiligenden Personen oder Einrichtungen führen, sie auf die Chancen und Risiken eines Mediationsverfahrens hinweisen und die damit verbundenen Perspektiven deutlich machen. Hierzu gehört auch die Einschätzung hinsichtlich der Frage, ob ein Mediationsergebnis hinreichende Chancen auf Verwirklichung hätte. Für die Art und Weise der Durchführung der Sondierungen hätte § 10 VwVfG zu gelten. Sinnvollerweise sollte das Antragsrecht zum frühestmöglichen Zeitpunkt, also wenn sich ein Vorhaben bereits hinreichend konkret abzeichnet, insbesondere bereits vor der Antragstellung durch den Vorhabenträger entstehen. Der Kreis der Antragsberechtigten für die Durchführung eines Sondierungsverfahrens sollte auf diejenigen Personen beschränkt werden, die im Falle der Zulassung des Vorhabens (Genehmigung, Planfeststellung) eine Widerspruchs- bzw. eine Klagebefugnis hätten. Das Sondierungsverfahren würde im positiven Fall entweder mit der (nicht verbindlichen) Aufforde-

rung an die Betroffenen enden, sich an einem Mediationsverfahren zu beteiligen, möglicherweise auch mit der Organisation eines ersten Mediationstreffens oder sogar mit dem Abschluss einer Mediationsvereinbarung zwischen dem Antragsteller, der zuständigen Behörde und den übrigen Betroffenen, in der die Grundregeln des jeweiligen Verfahrens (ggf. Zeitrahmen, Kosten, Rolle des Mediators etc.) festgelegt werden. Im negativen Fall erfolgt die Feststellung der Behörde, dass die Voraussetzungen für eine Mediation nicht gegeben seien. Der zuständigen Behörde sollte im Hinblick auf die Eignung des Konflikts zur Mediation und im Hinblick auf die Frage, ob eine hinreichende Bereitschaft zur Teilnahme besteht, ein Beurteilungsspielraum eingeräumt werden. Ein Rechtsbehelf gegen eine solche Entscheidung sollte es nicht geben; er wäre dem Freiwilligkeitspostulat nicht angemessen und erscheint auch nicht angebracht, weil Vorhaben im Regelfall unter Zeitdruck verwirklicht werden sollen und eine Kontrolle der Entscheidung zu viel Zeit in Anspruch nehmen würde.

V. SCHAFFUNG VON ANREIZEN ZUR DURCHFÜHRUNG DER MEDIATION 1. VERBESSERUNG DER VERHANDLUNGSMACHT Grundsätzlich hängt die Bereitschaft zur Mitwirkung an einem Mediationsverfahren davon ab, über welche Verhandlungsmacht die möglichen Partner eines Mediationsverfahrens nach ihrer persönlichen Wahrnehmung und Einschätzung verfügen. Die Verhandlungsmacht ergibt sich entweder aus den von einem Vorhaben betroffenen Rechtspositionen, die in einem Verwaltungsverfahren oder einem nachfolgenden Gerichtsverfahren in Stellung gebracht werden können, oder aus der Möglichkeit, politische Gegenmacht zu mobilisieren, sei es durch Demonstrationen, sei es über die Medien, durch Nutzung des Internet, sei es durch Einflussnahme auf Entscheidungsträger. Entscheidend für die Verhandlungsmacht ist die Fähigkeit, seine Interessen in einem Konflikt ganz oder teilweise, z. B. auch durch Verzögerungsoptionen, durchzusetzen. Die Verhandlungsmacht von Drittbetroffenen gegenüber den Trägern von Großvorhaben hat in den letzten Jahren zugenommen. Die Gründe hierfür sind vielfältig. Sie reichen von einer zunehmend kritischen Einstellung der Öffentlichkeit gegenüber Großvorhaben über die Bereitschaft der Betroffe-

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nen zu politischen Protesten bis hin zu verbesserten Klagemöglichkeiten, insbesondere im Zuge der Umsetzung der Aarhus-Konvention. Die Verhandlungsmacht von Drittbetroffenen in Mediationsverfahren ließe sich durch die weitere Verbesserung der gerichtlichen Kontrolle der Zulassung von Vorhaben steigern. Derzeit sind Drittbetroffene bei Klagen gegen Großvorhaben im Verwaltungsprozess im allgemeinen darauf beschränkt, eine Verletzung ihrer eigenen subjektiv-öffentlichen Rechte bzw. eine mangelhafte Berücksichtigung ihrer eigenen abwägungserheblichen Belange zu rügen. Könnten die Betroffenen darüber hinaus auch etwaige Rechtsverstöße gegen sonstige Rechtsnormen des Umwelt- und Planungsrechts geltend machen, würde das die Anreize für den Vorhabenträger zur Teilnahme an Mediationsverfahren erhöhen. Wenn sie im Zuge der weiteren Umsetzung der Aarhus-Konvention beispielsweise auch Fehler bei der Durchführung der UVP rügen könnten und bei Vorliegen von Fehlern mit der Aufhebung des Planfeststellungsbeschlusses gerechnet werden müsste, würde das die Verhandlungsmacht der Drittbetroffenen in der Mediation stärken. 2. WAHRNEHMUNG DER MEDIATION ALS ERFOLGSMODELL Zusätzliche Anreize für die Teilnahme an einem Mediationsverfahren ergäben sich, wenn die Mediation in der allgemeinen öffentlichen Wahrnehmung stärker als „Erfolgsmodell“, als „Königsweg“ zur Beilegung von Umweltkonflikten wahrgenommen würde. Das gilt insbesondere auch für die Vorhabenträger, die mit Mediation nicht die Vorstellung von Verzögerungen und unnützen kostenintensiven Verfahren verbinden sollten, sondern darin eine Chance zur Verwirklichung von Vorhaben in kooperativen Strukturen und mit deutlich verringerten Widerständen. Die Schlichtung im Zusammenhang mit dem Konflikt um Stuttgart 21 hat das Interesse an diesem Verfahren erheblich gesteigert und zu einer Imagesteigerung auch des Instruments der Mediation geführt. In einer Mediengesellschaft ist Erfolg nicht alles. Es muss auch hierüber publiziert werden. Heute gilt es, die Mediationsidee weiter zu verbreiten. Je populärer der Einsatz eines Mediators wird, desto eher dürfte auch im Einzelfall die Bereitschaft zu einer Mediation bestehen. Die Vorhabenträger können ihre Teilnahme am Mediationsverfahren bekannt machen, um ihre Reputation in der Öffentlichkeit zu steigern.

3. EXTERNE ANREIZE Um die Bereitschaft zur Mediation in Konfliktfällen zu erhöhen, sollten zusätzlich Anreizstrukturen geschaffen werden, die außerhalb des eigentlichen Mediationsverfahrens wirken. Zu denken ist an Verfahrenserleichterungen, die Einräumung von Kostenvorteilen und ähnlicher Vorteile, die an die Durchführung der Mediation geknüpft oder für den Fall einer erfolgreichen Mediation in Aussicht gestellt werden. Es könnte etwa vorgesehen werden, dass im Falle einer erfolgreichen Mediation auf die Durchführung eines sonst etwa nach § 73 Abs. 6 VwVfG für Planfeststellungsverfahren oder nach § 10 Abs. 6 BImSchG im Anlagengenehmigungsverfahren vorgesehenen Erörterungstermins verzichtet wird. Die Ziele der Erörterung werden im Rahmen der Mediation regelmäßig bereits erreicht. Soweit weiterer Klärungs- und Anhörungsbedarf besteht, reicht das nach wie vor zwingend vorgesehene Einwendungsverfahren regelmäßig aus. Des Weiteren käme in Betracht, für den Fall einer erfolgreichen Mediation die Zulassung des vorzeitigen Beginns der Durchführung des Projekts, wie er in vielen Fachgesetzen bereits jetzt unter bestimmten Voraussetzungen vorgesehen ist (vgl. z.B. § 8a BImSchG), zu ermöglichen bzw. zu erleichtern. Da für ein Vorhaben, das eine Mediation erfolgreich durchlaufen hat, regelmäßig die Vermutung streiten wird, dass es auch im regulären Verwaltungsverfahren zugelassen werden kann, erscheint für derartige Vorhaben eine vorläufige Zulassung des Beginns der Umsetzung jedenfalls für den Regelfall vertretbar. Um einen weiteren, möglicherweise auch nur symbolischen Anreiz zu schaffen, könnte für den Fall, dass es zu einem Mediationsverfahren kommt, und/oder für den Fall der erfolgreichen Mediation eine Reduzierung der anfallenden Gebühren vorgesehen werden, die regelmäßig vom Vorhabenträger getragen werden müssen. Wird die Mediation erfolgreich durchgeführt, könnte ein weiterer Abschlag erfolgen. Wurden die Gebühren bereits entrichtet, weil das Verwaltungsverfahren schon begonnen hatte, käme eine nachträgliche Reduzierung der Gebühren in Betracht. Eine Reduzierung der Gebühren ist verfassungsrechtlich unbedenklich, weil damit ein Ausgleich für die Kosten der Mediation geschaffen wird und das reguläre Verwaltungsverfahren durch die Mediation jedenfalls eine gewisse Entlastung erfährt.

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VI. SCHAFFUNG EINER „DEUTSCHEN STIFTUNG UMWELTMEDIATION“ Die Umweltmediation als Instrument der Konfliktbewältigung unter Einschaltung neutraler Mediatoren ist in Deutschland noch vergleichsweise jung. Die Rezeption in Deutschland verlief zwar relativ rasch, aber ohne einen institutionellen oder konzeptionellen Rahmen. Hier könnte die Gründung einer staatsunabhängigen Stiftung zur Förderung der Verwaltungsmediation auf Bundesebene helfen. Vorgeschlagen wird deshalb die Schaffung der „Deutsche(n) Stiftung Umweltmediation“. Aufgabe dieser Stiftung wäre die Förderung der Umweltmediation als Instrument zur Lösung von Umweltkonflikten im weitesten Sinn. Diese Einrichtung sollte Mediationsverfahren dokumentieren, die dabei gewonnenen Erfahrungen auswerten und der Allgemeinheit zur Verfügung stellen. Sie könnte zur Bildung von Qualitätsstandards beitragen, auf Missstände aufmerksam machen und bei Bedarf beratend helfen. Auch eine Liste der zur Verfügung stehenden Mediatoren könnte bei der Stiftung geführt werden. Die grundlegende Finanzausstattung der Mediationsstiftung sollte mit Mitteln der öffentlichen Hand (Bund, Länder) erfolgen. Zu einem kleineren Teil könnten auf freiwilliger Basis auch andere „Stakeholder“ beteiligt werden, etwa der Deutsche Anwaltverein oder anerkannte Umweltvereinigungen.

VII. SCHAFFUNG GEEIGNETER RECHTLICHER RAHMENBEDINGUNGEN FÜR MEDIATION 1.BESTIMMUNG EINES MEDIATORS Der Grundsatz, wonach es Sache der Konfliktparteien ist, sich auf eine oder mehrere Personen als Mediatoren zu einigen, sollte beibehalten werden. Die Auswahl und „Verordnung“ eines Mediators durch die zuständige Behörde erscheint nicht angezeigt. Sie würde das Vertrauen in dessen Neutralität von vornherein gefährden. Gleichwohl erscheint es durchaus sinnvoll, wenn die zuständige Behörde im Zuge des Sondierungsverfahrens Vorschläge für die Besetzung dieser Funktion unterbreitet. Dabei kann sie nicht nur auf eigene Erfahrungen, sondern auch auf die bei der Stiftung Umweltmediation geführten Listen zurückgreifen. 2. AUFGABEN DES MEDIATORS Der Kreis der dem Mediator übertragenen Aufgaben sollte von den Verhandlungspartnern bestimmt werden. Hierzu dient die Mediationsver-

einbarung, die der Bestellung des Mediators im Regelfall vorauszugehen hat. Sie muss den Gegenstand der Mediation ebenso bestimmen wie die Frage der Kostenübernahme, den Zeitrahmen sowie Art und Umfang der Rolle des Mediators in den Verhandlungen. Obwohl die Mediationsvereinbarung Sache der Beteiligten ist, könnten gesetzliche Regelungen zur Klarstellung sinnvoll sein und die Bildung geeigneter Regelungsstandards fördern. Damit könnten auch die Verhandlungen im Vorfeld der Mediationsvereinbarung entlastet werden. Zunächst wird der Mediator mit der Prüfung betraut werden müssen, ob sich im Hinblick auf die personelle Zusammensetzung der Mediationsrunde Änderungsbedarf ergibt, ob also Personen fehlen, ob für alle relevanten Gruppen Vertreter benannt sind und ob möglicherweise auch Personen ausscheiden sollten, weil sie keine hinreichenden Interessen repräsentieren. Sinnvoll ist es, dass sich der Mediator, wie in § 2 Abs. 2 MediationsGEntwurf vorgesehen, vergewissert, dass die Parteien die Grundsätze und den Ablauf des Mediationsverfahrens verstanden haben und freiwillig an der Mediation teilnehmen. Auch § 2 Abs. 3 MediationsG-Entwurf kann für die Umweltmediation Geltung beanspruchen, der die Neutralität des Mediators im Verfahren unterstreicht und den Kontakt zu den Verhandlungsparteien regelt. Hiernach ist der Mediator allen Parteien gleichermaßen verpflichtet. Er fördert die Kommunikation der Parteien und gewährleistet, dass die Parteien in angemessener und fairer Weise in die Mediation eingebunden sind. Er kann im allseitigen Einverständnis getrennte Gespräche mit den Parteien führen. Zentral für das Gelingen der Umweltmediation ist die Aufgabe des Umweltmediators, für „Waffengleichheit“ am Verhandlungstisch zu sorgen. Dabei geht es erstens um den Ausgleich von Informationsasymmetrien, wie sie sich typischerweise zu Beginn einer Mediation zwischen dem Vorhabenträger auf der einen und Drittbetroffenen auf der anderen Seite zeigen. Diese Ungleichheit muss behoben werden, indem dafür Sorge getragen wird, dass alle Teilnehmer fachlich, technisch und juristisch auf einen Stand gebracht werden, der ihnen die gleichberechtigte Teilnahme an der Diskussion ermöglicht. Zweitens geht es um den Ausgleich von Kommunikationsasymmetrien, die sich dadurch ergeben können, dass sich einzelne Teilnehmer im Diskurs sehr stark in den Vordergrund drängen und die Verhandlungsrunde dominieren. Diese Aufgaben könnten gesetzlich festgeschrieben werden.

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3. REPRÄSENTANZ DER BETROFFENEN Mediationsverfahren haben den Vorteil, dass die Strategie der Konfliktbewältigung auf die Bedingungen des Einzelfalls abgestimmt werden kann. Gesetzliche Kriterien über den Teilnehmerkreis an einer Mediation können nur einen Rahmen schaffen, sie müssen hinreichende Spielräume für die Zusammenstellung der Verhandlungsparteien in jedem Einzelfall eröffnen. Es bietet sich hier an, die notwendigen Konkretisierungsaufgaben dem Mediator zu übertragen. Der Mediator muss in jedem Falle die Möglichkeit haben, noch Interessenvertreter an den Verhandlungstisch zu holen, die auf Basis der Konfliktanalyse erforderlich sind, um zu einer umfassenden Konfliktbewältigung zu gelangen. 4. GEHEIMHALTUNG, PROTOKOLLIERUNGSUND BEGRÜNDUNGSPFLICHTEN Gesetzliche Regelungen könnten im Hinblick auf Protokollierungs- und Begründungspflichten getroffen werden. Diese sind in der Umweltmediation aus mehreren Gründen von besonderer Bedeutung. Die Protokollierung der Verhandlungsrunden schafft Transparenz nicht nur für diejenigen, die sich durch Sprecher vertreten lassen müssen, sondern auch für Außenstehende, die sich später über Inhalt und Ablauf des Verfahrens informieren wollen. Sie ist auch eine wichtige Voraussetzung dafür, dass die Verwaltung ihre spätere Sachentscheidung auf einer angemessenen Sachbasis treffen kann. Zudem sind sie wichtig, um eine einvernehmliche Umsetzung der Verhandlungslösung zu gewährleisten. 5. KOSTENTRAGUNG, MEDIATIONSKOSTENHILFE Die Kostentragung ist bei der Mediation eine heikle Frage, an der die Bereitschaft zur Durchführung einer Mediation scheitern kann. Bei fehlender Einigung sollte die zuständige Behörde einen Vorschlag zur Kostenverteilung unterbreiten. Der Vorschlag der zuständigen Behörde sollte – schon im Hinblick auf das Freiwiligkeitsprinzip – keine Bindungswirkung haben. Der Rechtsweg ist deshalb ausgeschlossen. Um die abschreckende Wirkung der Kostentragungslast gering zu halten, sollte gesetzlich die Möglichkeit der Gewährung von Mediationskostenhilfe vorgesehen werden, die denjenigen Beteiligten gewährt wird, die nicht in der Lage sind, den geforderten Beitrag ohne Gefährdung ihres Lebensunterhalts aufzubringen. Die vorgeschlagene „Stiftung Umweltmediation“ könnte mit der Aufgabe beliehen werden, diese

Hilfe auf Antrag zu gewähren. Die Stiftung müsste hierfür Vergabekriterien erlassen und mit hinreichenden Finanzmitteln ausgestattet werden. Als neutrale Stelle könnte sie gewährleisten, dass die Neutralität des Mediators nicht durch die Art und Weise der Finanzierung seiner Tätigkeiten diskreditiert wird. Im Hinblick auf den Vorhabenträger ist darauf zu achten, dass der Verhandlungsanreiz, der durch eine Reduktion der Antragskosten bewirkt werden soll, nicht durch die Kostenbeteiligung neutralisiert wird.

VIII. IMPLEMENTATION DES MEDIATIONSER GEBNISSES IN DAS ZULASSUNGSVERFAHREN Es entspricht dem informellen Charakter von Mediationsverfahren, dass deren Ergebnisse im Grundsatz für die beteiligten Partner nicht verbindlich sind. Zwar endet das (erfolgreiche) Mediationsverfahren regelmäßig mit dem Abschluss einer Vereinbarung über das Mediationsergebnis. Bei dieser handelt es sich aber regelmäßig nicht um einen öffentlich-rechtlichen Vertrag, sondern – mangels rechtlichem Bindungswillen – lediglich um eine Art Agreement ohne rechtliche Verbindlichkeit. Da das Ergebnis der Mediation im Erfolgsfalle eine sog. Win-win-Lösung ist, bei der sämtliche Beteiligten sich gegenüber dem regulären Verwaltungsverfahren Vorteile, zumindest aber keine oder – im Vergleich zu einem regulären Verfahren – geringere Nachteile versprechen, bedarf es im Idealfall keiner rechtlichen oder organisatorischen Vorkehrungen für die Umsetzung des Ergebnisses, weil alle Partner gleichermaßen daran interessiert sein sollten. Es besteht dann eine sog. faktische Verbindlichkeit, bei der sich die Akteure im Idealfall an die Vereinbarung halten, weil sie anderenfalls Nachteile befürchten müssen. Gleichwohl sind in der Vergangenheit auch Fälle bekannt geworden, in denen sich die Akteure an das Ergebnis der von ihnen selbst durchgeführten Mediation nicht gehalten haben. Hier entsteht die Frage, ob die Parteien an die Verhandlungsergebnisse gebunden werden können. Grundsätzlich könnten die Beteiligten im Mediationsverfahren einen Verwaltungsvertrag schließen, in dem sie sich zu einem bestimmten Verhalten verpflichten. In einem solchen Vertrag könnten sich Drittbetroffene dazu verpflichten, gegen die Zulassung eines Vorhabens unter bestimmten Voraussetzungen keine Einwände zu erheben (pactum de non petendo); der Investor könnte sich verpflichten,

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seinen Antrag in bestimmter Weise auszugestalten oder zu modifizieren. Problematischer ist demgegenüber, ob und unter welchen Voraussetzungen sich auch die Behörde vertraglich verpflichten könnte und dürfte, im Hinblick auf einen konkreten Antrag eine Zulassungsentscheidung mit einem bestimmten Inhalt zu erlassen oder nicht zu erlassen. Eine solche Verpflichtung kann die Behörde nur eingehen, wenn und soweit diese mit Recht und Gesetz vereinbar ist und keine Nichtigkeitsgründe nach § 59 VwVfG eingreifen. Problematisch kann hier die Einhaltung des sog. Koppelungsverbots werden (s. untern Abschnitt X). In verfahrensrechtlicher Hinsicht ist darauf hinzuweisen, dass das Mediationsverfahren das regulär für das Vorhaben durchzuführende Verwaltungsverfahren grundsätzlich nicht entbehrlich werden lässt. Sowohl bei der vorlaufenden als auch bei der mitlaufenden Mediation bleiben die verfahrensrechtlichen Anforderungen des regulären Verwaltungsverfahrens unberührt. Das bedeutet, dass alle Beteiligungs- und Anhörungsvorschriften des regulären Verwaltungsverfahrens eingehalten werden müssen.

IX. ZUGRUNDELEGUNG ABGESTIMMTER TATSÄCHLICHER GRUNDLAGEN (DATA MEDIATION) Im Rahmen eines Mediationsverfahrens zu einem umstrittenen Projekt werden regelmäßig auch die tatsächlichen Grundlagen der Entscheidung behandelt. Dabei geht es zumeist um die kritische Analyse der vom Antragsteller vorgelegten bzw. erhobenen empirischen Erkenntnisse, insbesondere über Bedarf, Umsetzbarkeit, Kosten und Auswirkungen des Vorhabens. Diese Erkenntnisse bzw. empirischen Annahmen des Investors werden im Mediationsverfahren analysiert, kritisiert und diskutiert. Soweit erforderlich können im Mediationsverfahren auch selbständig Ermittlungen angestellt oder veranlasst werden, z.B. durch Einholung von gutachtlichen Stellungnahmen und Einbeziehung sonstigen externen Sachverstandes. Als Ergebnis kann eine Verständigung über bestimmte tatsächliche Grundlagen der Zulassungsentscheidung erzielt werden. Dieses Einvernehmen kann Fragen des Bedarfs, des Umfangs der Lärmbelästigung, der Zunahme des Verkehrs, der Gefahr von Wasserverunreinigungen, der Kosten von Kompensationsmaßnahmen usw. betreffen. Die Beteiligten sind sich dann darüber einig, dass diese Annahmen zugrunde gelegt werden dürfen, ohne dass es weiterer Untersuchungen, Gutachten usw. bedarf.

Besteht Übereinstimmung im Hinblick auf die Datengrundlage, könnte dies zu einer Erleichterung bei der Amtsaufklärung nach § 24 VwVfG führen. Die Data Mediation ist grundsätzlich kein Instrument, das an die Stelle der Amtsermittlung (§ 24 VwVfG) treten könnte oder sollte. Typischerweise ist das Tatsachenmaterial von der zuständigen Behörde oder von einem (zukünftigen) Antragsteller bereits zusammengetragen und aufbereitet worden. In der Data Mediation wird dieses Material von den Teilnehmern einer kritischen Prüfung unterzogen und erforderlichenfalls korrigiert oder ergänzt. Für das nachfolgende Verwaltungsverfahren gilt nach derzeitiger Rechtslage die alleinige Verantwortlichkeit der zuständigen Behörde, die sich allerdings des Ergebnisses der Data Mediation bedienen kann und das regelmäßig auch tun wird. Hier kommt eine gesetzliche Klarstellung in § 24 VwVfG in Betracht, wonach die Behörde bei der Sachverhaltsaufklärung die in einem Mediationsverfahren erzielte tatsächliche Verständigung über bestimmte Sachverhaltselemente berücksichtigen darf. Damit wird nicht ausgeschlossen, dass beim Vorliegen rechtfertigender Gründe auch von dem Ergebnis abgewichen und weiter ermittelt werden darf.

X. LOCKERUNG DES KOPPELUNGSVERBOTS Zu erwägen ist schließlich, ob für Verwaltungsverfahren im Zuge der Umsetzung von Mediationsergebnissen eine gewisse Lockerung des sog. Koppelungsverbots gesetzlich vorgesehen werden sollte. Die Mediation beruht unter anderem auf einer Erweiterung der Verhandlungsmasse über den eigentlichen Streitgegenstand hinaus mit dem Ziel, das Spektrum der Lösungs- und Kompromissmöglichkeiten zu erweitern. Das bedeutet aber, dass Vereinbarungen im Rahmen der Mediation, die etwa eine Kompensation von Nachteilen auf Feldern vorsehen, die mit dem Vorhaben selbst nicht in Zusammenhang stehen, rechtlich problematisch sind. Im Rahmen verwaltungsrechtlicher Verträge könnte nämlich ein Verstoß gegen das Koppelungsverbot (§ 56 Abs. 2 Satz 1 VwVfG) vorliegen. Werden Nebenbestimmungen zu einer Zulassungsentscheidung (Anlagengenehmigung oder Planfeststellung) getroffen, könnte dies zum Vorwurf der sachwidrigen Verkoppelung führen. Hier ist zu überlegen, ob für Mediationsverfahren eine gesetzliche Lockerung dieses Koppelungsverbots vorgesehen werden sollte mit dem Ziel, das Ergebnis ordnungsgemäßer Verfahren der Umweltmediation im Zuge der Implementation gegen

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rechtliche Vorwürfe des Verstoßes gegen das Koppelungsverbot bzw. der Sachwidrigkeit zu immunisieren. So könnte z.B. eine erfolgreiche Mediation als Indiz dafür gewertet werden, dass ein sachlicher Zusammenhang zwischen der Gegenleistung und der Leistung der Behörde besteht (§ 56 Abs. 2 S. 2 VwVfG).

ZUSAMMENFASSUNG DER VORSCHLÄGE 1. ANTRAGSVERFAHREN ZUR SONDIERUNG DER MÖGLICHKEIT EINER MEDIATION Vorgeschlagen wird die Einführung eines Antragsrechts zur Einleitung eines Sondierungsverfahrens durch die zuständige Behörde zur Frage, ob sich ein Konflikt für die Umweltmediation eignet und ob insbesondere eine hinreichende Bereitschaft zur Teilnahme besteht. Das Sondierungsverfahren endet im positiven Fall entweder mit der (nicht verbindlichen) Aufforderung an die Betroffenen, sich an einem Mediationsverfahren zu beteiligen, mit der Organisation eines ersten Mediationstreffens oder sogar mit dem Abschluss einer Mediationsvereinbarung. Antragsbefugt sollten die Personen und Vereinigungen sein, die im Falle der Zulassung des Vorhabens eine Widerspruchs- bzw. eine Klagebefugnis hätten. 2. SCHAFFUNG VON ANREIZEN FÜR DIE MEDIATION Des Weiteren könnten zusätzliche Anreize zur Durchführung der Mediation geschaffen werden, insbesondere auf Seiten des Vorhabenträgers. Die Zunahme der Verhandlungsmacht von Drittbetroffenen durch eine Erweiterung ihrer Klagerechte und Kontrollansprüche würde eine solche zusätzliche Anreizwirkung haben. Es müssten dann zusätzliche subjektiv-öffentliche Rechte insbesondere im Bereich des Verfahrensrechts eingeräumt werden. Im Gegenzug könnte dann überlegt werden, ob eine erfolgreiche Mediation zur Unbeachtlichkeit von Verfahrensfehlern im regulären Verwaltungsverfahren führen könnte (vgl. § 46 VwVfG). Aber auch Verfahrenserleichterungen bei der Zulassung des vorzeitigen Beginns der Durchführung des Projekts, ein Verzicht auf den Erörterungstermin oder eine Reduzierung der Antragskosten kommen in Betracht.

3. FESTLEGUNG VON RAHMENREGELN FÜR DAS MEDIATIONSVERFAHREN; MEDIATIONSKOSTENHILFE Überdies sollten rechtliche Rahmenbedingungen für die Mediation geschaffen werden. Diese könnten Vorgaben u.a. zur Bestimmung des Mediators, seinen Aufgaben, zur Auswahl der Verhandlungsteilnehmer, zu Geheimhaltungs-, Protokollierungs- und Begründungspflichten sowie zur Kostentragung enthalten. Dies kann den Abschluss einer Mediationsvereinbarung, aber auch die Durchführung des Mediationsverfahrens erleichtern. Im Rahmen der Kostenbestimmungen ist auch die Bewilligung von Mediationskostenhilfe vorzusehen. 4. GRÜNDUNG EINER DEUTSCHEN STIFTUNG UMWELTMEDIATION Es sollte eine „Deutsche Stiftung Umweltmediation“ gegründet werden. Zu ihren Aufgaben sollte die Förderung des Gedankens der Umweltmediation im allgemeinen, die Dokumentation und Evaluation von Mediationsverfahren, das Führen eines Mediatoren-Verzeichnisses, die Durchführung von Fortbildungsveranstaltungen, die Beratung im Vorfeld einer Mediation sowie die Verwaltung eines Fonds, um die Finanzierung einzelner Mediationsverfahren zu erleichtern, gehören. 5. REGELUNGEN ZUR SACHVERHALTSAUFKLÄRUNG Anzustreben ist eine gesetzliche Klarstellung in § 24 VwVfG, wonach die Behörde bei der Sachverhaltsaufklärung die in einem Mediationsverfahren erzielte tatsächliche Verständigung über bestimmte Sachverhaltselemente berücksichtigen darf. 6. LOCKERUNG DES KOPPELUNGSVERBOTS Um die Verhandlungsmasse über den eigentlichen Streitgegenstand hinaus zu erweitern – etwa für eine Kompensation von Nachteilen auf Feldern, die mit dem Vorhaben selbst nicht in Zusammenhang stehen – sollte für die Fälle einer erfolgreichen Mediation eine Lockerung des Koppelungsverbots (§ 56 Abs. 1 Satz 2 VwVfG) vorgenommen werden.

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