Ausweg aus der Anerkenntnis- und Abtretungsfalle

March 13, 2016 | Author: Ralf Kaiser | Category: N/A
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Ausweg aus der Anerkenntnis- und Abtretungsfalle

Theo Langheid∗

Neben den politisch höchst umstrittenen Änderungen, die die kapitalbildende Lebensversicherung im neuen VVG erfahren soll, hat wohl nichts so sehr den Widerspruch der Assekuranz gefunden wie die von der Reformkommission in ihrem Entwurf vom 19. April 20041 (kurz: KomV) vorgeschlagene Abschaffung des Anerkenntnis- und des Abtretungsverbots. Diese Vorschläge wurden dennoch in den Regierungsentwurf vom 11. Oktober 20062 (kurz: RegE) inhaltsgleich übernommen. Dass der Versicherungsnehmer berechtigt sein soll, den Schadensersatzanspruch des geschädigten Dritten anzuerkennen und ihm zugleich den Deckungsanspruch gegen den Haftpflichtversicherer abzutreten, sei ersichtlich geeignet, Manipulation und Kollusion weit über das bisher schon bekannte und erduldete Maß hinaus zu fördern. Der folgende Beitrag untersucht, ob demgegenüber in der Abschaffung des Anerkenntnis- und Abtretungsverbots nicht auch die Chance für gerechtere Einzelfallentscheidungen liegt. I. Derzeitige Rechtslage Heute ist die Rechtslage zwischen dem geschädigten Dritten, dem versicherten Schädiger und dem Haftpflichtversicherer durch Trennungsprinzip und Bindungswirkung einerseits und – damit im Zusammenhang stehend – durch Anerkenntnis-, Befriedigungs- und Abtretungsverbot andererseits gekennzeichnet. 1. Anerkenntnis- und Befriedigungsverbot Nach bisheriger Rechtslage dürfen die Befriedigung des Gläubigers oder das Anerkenntnis eines Schadensersatzanspruchs durch den Versiche∗ 1 2

Dr. Langheid ist Rechtsanwalt in Köln und hat als Mitglied der VVGReformkommission an der Entstehung des KomV vom 19. April 2004 mitgewirkt. Abrufbar unter http://www.bundesjustizministerium.de/media/archive/667.pdf. Dieser ist auf den Internetseiten des Bundesministeriums der Justiz abrufbar.

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rungsnehmer gegenüber dem geschädigten Dritten im Versicherungsvertragsrecht gemäß § 154 Abs. 2 VVG ausgeschlossen werden. Diese Vorschrift erlaubt es dem Haftpflichtversicherer, Leistungsfreiheit für den Fall vorzusehen, dass ohne seine Einwilligung der Versicherungsnehmer den (angeblich oder tatsächlich) anspruchsberechtigten Dritten befriedigt oder dessen Anspruch anerkennt. Daher sind Befriedigung und Anerkenntnis regelmäßig in den dem Versicherungsvertrag zugrunde liegenden Allgemeinen Versicherungsbedingungen (AVB) ausgeschlossen, vgl. z.B. § 5 Nr. 5 AHB3. Rechtsfolge einer Missachtung ist der Verlust des Deckungsanspruchs4. 2. Abtretungsverbot Auch die gemäß § 398 BGB grundsätzlich bestehende Möglichkeit, Ansprüche frei abzutreten, wird im VVG durch die §§ 15 und 98 beschränkt. Nach § 15 VVG ist eine Forderung aus einer Versicherung nur eingeschränkt abtretbar, wenn sich die Versicherung auf eine unpfändbare Sache bezieht. In § 98 VVG ist für bestimmte Umstände ein Abtretungsverbot für Ansprüche aus der Feuerversicherung normiert. Für die Haftpflichtversicherung fehlt es an einer gesetzlichen Regelung. Aber in den Bedingungswerken der einzelnen Haftpflichtversicherungen sind Abtretungsverbote vorgesehen. So untersagt – hier besonders interessierend – § 7 Nr. 3 AHB ohne Zustimmung des Versicherers die Abtretung von Ansprüchen aus der Haftpflichtversicherung, die noch nicht endgültig festgestellt sind5. Ferner ist in § 3 Nr. 4 AKB das Abtretungsverbot für die Kraftfahrtversicherung geregelt. II. Der Regierungsentwurf 1. Anerkenntnis Nach § 105 RegE6 soll die bisher gemäß § 154 Abs. 2 VVG vorgesehene Möglichkeit, ein Anerkenntnis- und Befriedigungsverbot zu vereinbaren, entfallen.

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Römer/Langheid, VVG, 2. Aufl., § 154, Rdn. 9. Römer/Langheid, a.a.O., § 154, Rdn. 8. Römer/Langheid, a.a.O., § 15, Rdn. 6. § 105 RegE lautet: „Eine Vereinbarung, nach welcher der Versicherer nicht zur Leistung verpflichtet ist, wenn ohne seine Einwilligung der Versicherungsnehmer den Dritten befriedigt oder dessen Anspruch anerkennt, ist unwirksam.“.

Die Entscheidung, das Anerkenntnisverbot abzuschaffen, beruht auf den Erwägungen des KomV und des RegE, dass die bisherige Regelung auch unter Berücksichtigung der Interessen der Haftpflichtversicherer unangemessen und ineffizient sei7. Weder könne der Versicherungsnehmer durch Anerkennen oder Befriedigen einen nicht bestehenden Anspruch zu Lasten des Versicherers begründen noch den Versicherungsfall herbeiführen. Anderenfalls hätte er die Befugnis, den Versicherer zu Gunsten eines Dritten zu belasten. Sowohl Anerkenntnis als auch Befriedigung müssten deshalb ohne Einfluss auf den Befreiungsanspruch des Versicherungsnehmers gegen den Versicherer bleiben. Der Versicherer habe ihn nur von dem Anspruch freizustellen, den der Geschädigte tatsächlich, also auch ohne das Anerkenntnis gehabt hätte8. 2. Abtretung Das bisher nicht geregelte, aber unbeanstandete Abtretungsverbot bezüglich des Freistellungsanspruchs wird demnächst durch § 108 Abs. 2 RegE9 ausgeschlossen. Der schädigende Versicherungsnehmer soll seinen Befreiungsanspruch gegen den Versicherer an den Geschädigten – und nur an diesen – abtreten können. Dadurch soll letzterer in die Lage versetzt werden, den Versicherer direkt in Anspruch zu nehmen. Dem haben die Reformkommission und der Regierungsentwurf die folgenden Erwägungen zu Grunde gelegt10: Mit § 108 Abs. 2 RegE soll die ständige Rechtsprechung zum Abtretungsverbot in § 7 Nr. 3 AHB (= Ziff. 28 AHB 2004) aufgegriffen werden, wonach ein Berufen auf ein solches Verbot nur in den Fällen eines „beachtlichen, im Zweckbereich der Bestimmung liegenden Interesse(s)“ gedeckt ist11. Ein solches Interesse des Haftpflichtversicherers sei zu ver-

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Vgl. S. 79 f. der KomV-Begründung und S. 216 f. der RegE-Begründung. Jeweils a.a.O. § 108 RegE lautet: „(1) Verfügungen des Versicherungsnehmers über den Freistellungsanspruch gegen den Versicherer sind dem Dritten gegenüber unwirksam. Der rechtsgeschäftlichen Verfügung steht eine Verfügung im Wege der Zwangsvollstreckung oder Arrestvollziehung gleich. (2) Die Abtretung des Freistellungsanspruchs an den Dritten kann nicht durch Allgemeine Versicherungsbedingungen ausgeschlossen werden.“ Vgl. S. 80 f. der KomV-Begründung und S. 217 f. der RegE-Begründung. Ständige Rspr. seit BGH VersR 1983, 823 (824).

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neinen, wenn ihm ebenso berechtigte Interessen des Versicherungsnehmers und/oder des Geschädigten entgegenstehen12. Ein berechtigtes Abtretungsinteresse des Versicherungsnehmers kann sich beispielsweise bei einer engen Beziehung zum Geschädigten ergeben. Dann nämlich ist es unbillig, ihn zum Rechtsstreit mit dem Dritten zu zwingen, anstatt letzteren direkt an den Versicherer verweisen zu können13. Auch der geschädigte Dritte kann ein berechtigtes Interesse an der Abtretung des Freistellungsanspruchs haben. Denn ihm droht daraus eine Beeinträchtigung, dass er in der Regel keine Kenntnis von den Vorgängen im Innenverhältnis zwischen Versicherungsnehmer und Versicherer hat. So kann ein Nachteil beispielsweise dann gegeben sein, wenn der Versicherungsnehmer den Versicherer pflichtwidrig nicht über den Schadensfall informiert oder in Insolvenz gerät. Zu beachten ist, dass nach § 108 Abs. 2 RegE ein Abtretungsverbot nur unwirksam ist, soweit es durch AVB vereinbart wird14. Zulässig bleibt also ein Abtretungsverbot durch Individualvereinbarung, und zwar sowohl bei Abschluss des Versicherungsvertrags als auch nach Eintritt des Versicherungsfalls. III. Kritik an der Reform 1. Zur Abkehr vom Anerkenntnis- und Befriedigungsverbot Gegen die Abschaffung des Anerkenntnis- und Befriedigungsverbots werden zahlreiche Argumente ins Feld geführt15. Laut dem ursprünglichen Gesetzeszweck des § 154 Abs. 2 VVG sollte sich der Haftpflichtversicherer stets eine eigene Prüfung des Anspruchs des geschädigten Dritten vorbehalten können, um mit seinem Fach- und Rechtswissen gegebenenfalls Entschädigungsansprüche abwehren zu können. Zudem sollte ein kollusives Zusammenwirken zwischen dem 12 13 14 15

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Vgl. S. 80 f. der KomV-Begründung und S. 217 f. der RegE-Begründung. Jeweils a.a.O. Darunter sind alle vom Versicherer verwendeten Allgemeinen Geschäftsbedingungen i.S.d. § 305 BGB – ohne Rücksicht auf ihre Bezeichnung als AVB – zu verstehen, vgl. RegE-Begründung zu § 108, S. 218. Die nachfolgenden Erwägungen sind (noch) nicht in den einschlägigen Fachzeitschriften veröffentlicht, waren aber Gegenstand der Erörterung auf Fachtagungen und der Stellungnahmen der betroffenen Verbände.

Versicherungsnehmer und dem Drittem gegenüber dem Versicherer verhindert werden. Dagegen werde nunmehr eine gravierende Gefahr des Rechtsmissbrauchs und des Versicherungsbetrugs eintreten. Auch die Interessen des Versicherungsnehmers würden durch das Anerkenntnis- und Befriedigungsverbot geschützt, da damit eine Vermögensgefährdung des letzteren infolge eines früh- bzw. vorzeitigen Anerkenntnisses bei ungeklärter Haftung und Deckung vermieden werde. Daher sei die bisherige Regelung insgesamt interessengerechter, zumal sie einer von der Rechtsprechung anerkannten Gefahr erhöhten persönlichen und gesellschaftlichen „Anerkenntnisdrucks“ beim Versicherungsnehmer vorbeuge. Schließlich führe die anderenfalls verlagerte Abwehr unberechtigter Ansprüche vom Haftungs- in das Deckungsverhältnis nur unnötigerweise zu einer Verteuerung des Versicherungsschutzes zu Lasten der Versichertengemeinschaft. Es sei hier dahin gestellt, ob das alles wirklich überzeugt; Gegenstand dieser Abhandlung ist nur die Beschäftigung mit der zukünftigen Rechtslage und der sich daraus ableitenden Prozesssituation. 2. Zur Abkehr vom Abtretungsverbot Auch die Abkehr vom Abtretungsverbot wird unter Hinweis auf den bisherigen Regelungszweck bekämpft. Zunächst solle der Versicherer den Schadensfall grundsätzlich nicht außerhalb des Versicherungsverhältnisses abwickeln müssen. Das Berufen auf das Abtretungsverbot werde daher grundsätzlich akzeptiert und sei nur im Ausnahmefall rechtsmissbräuchlich, nämlich dann, wenn das Verhalten des Versicherers nicht von einem „beachtlichen, im Zweckbereich der Bestimmung liegenden Interesse“ gedeckt sei16. Des Weiteren würden die Interessen des geschädigten Dritten bereits nach dem geltenden VVG geschützt. Zum einen kann der Geschädigte nämlich den Deckungsanspruch gemäß den §§ 857, 828 ff. ZPO pfänden und sich überweisen lassen. Tatsächlich ist in diesem Zusammenhang höchstrichterlich entschieden, dass der Dritte auf Feststellung klagen kann, dass der Versicherer verpflichtet ist, dem Versicherungsnehmer 16

Ständige Rspr. seit BGH VersR 1983, 823 (824).

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Deckungsschutz zu gewähren, wenn anderenfalls zu befürchten ist, dass der zu pfändende Freistellungsanspruch infolge Untätigkeit des Versicherungsnehmers nach § 12 Abs. 3 VVG (oder etwa wegen Verjährung) verloren geht17. Zum anderen werde der geschädigte Dritte bei Insolvenz des Versicherungsnehmers durch § 157 VVG bzw. § 110 RegE geschützt, wonach ihm für den Fall der Insolvenz des Versicherungsnehmers ein Anspruch auf abgesonderte Befriedigung aus dem Deckungsanspruch zusteht. Schließlich sei bei zukünftiger Abtretbarkeit des Freistellungsanspruchs eine Verschlechterung der Beweissituation des Versicherers zu besorgen, da der Versicherungsnehmer dann im Deckungsprozess als Zeuge auftreten könne und – bei Kollusion zwischen Drittem und Versicherungsnehmer – jedweder Manipulation Tür und Tor geöffnet sei18. Die Kritiker der Abschaffung des Abtretungsverbots haben daher einen Modifikationsvorschlag zu § 108 RegE unterbreitet, der sich an der bisherigen Rechtsprechung zu § 7 Nr. 3 AHB19 orientiert. Danach soll der Versicherer sich nicht auf das Abtretungsverbot berufen können, soweit dies rechtsmissbräuchlich ist. IV. Aktuelle Prozesslage 1. Anerkenntnis Wegen des Anerkenntnisverbots in § 5 Nr. 5 AHB kann derzeit ein Anerkenntnis durch den Versicherungsnehmer zu Gunsten des geschädigten Dritten zwar wirksam erklärt werden, es kann aber zum Deckungsverlust gegenüber dem Haftpflichtversicherer führen. Dies gilt lediglich dann nicht, wenn der Versicherer zuvor die Deckung versagt hat. Denn eine Deckungsablehnung hat zur Folge, dass der Versicherungsnehmer von seinen Obliegenheiten frei wird20. Somit ist er dann auch nicht mehr an das Anerkenntnisverbot aus § 5 Nr. 5 AHB gebunden.

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BGH VersR 2001, 90 (91). Genau diese These soll später genauer unter die Lupe genommen werden, vgl. unten V. 2. 19 BGH VersR 1983, 945 und VersR 1997, 1088; OLG Hamm VersR 1991, 579; OLG München VersR 1991, 456. 20 Römer/Langheid, a.a.O., § 149, Rdn. 15.

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2. Geständnis Lehnt der Haftpflichtversicherer die Deckung nicht ab, ist dem Versicherungsnehmer sowohl ein materielles Anerkenntnis i.S.d. § 781 BGB als auch ein prozessuales Anerkenntnis i.S.d. § 307 ZPO verboten, möchte er nicht seinen Freistellungsanspruch verlieren. Dennoch folgt aus der tagtäglichen forensischen Praxis, dass es für den manipulativ handelnden Versicherungsnehmer ein Leichtes ist, ein quasi „mittelbares“ prozessuales Anerkenntnis dadurch abzugeben, dass er die von dem geschädigten Dritten im Haftpflichtprozess vorgetragenen, seinen Schadensersatz begründenden Umstände als zutreffend bestätigt. Rechtsfolge eines solchen prozessualen Geständnisses i.S.d. § 288 ZPO ist, dass die zugestandenen Tatsachen vom Gericht ungeprüft als wahr zu berücksichtigen sind21, und zwar auch bei einem bewusst unwahren Geständnis22. Der Unterschied zum prozessualen Anerkenntnis i.S.d. § 307 ZPO liegt darin, dass dieses dem Gericht die rechtliche Prüfung des Anspruchs entzieht23, während es auch bei zugestandenen Tatsachen von einem unschlüssigen Klägervorbringen ausgehen kann. Die Geständniswirkung kann der seiner Deckungspflicht nachkommende Haftpflichtversicherer auch nicht dadurch vermeiden, dass er die Rechtsverteidigung des Versicherungsnehmers übernimmt und dessen Prozessvertreter bestimmt. Denn der Versicherer muss den Haftungsprozess auch im Falle einer Interessenkollision zwischen seinen Interessen und denen des Versicherungsnehmers so führen, wie dies ein „von diesem beauftragter Anwalt tun würde“24. Danach ist der für den Versicherungsnehmer tätige Rechtsanwalt, dem das Mandat trotz der Prozessführungsbefugnis des Haftpflichtversicherers durch den Versicherungsnehmer zu erteilen ist, auf dessen Angaben angewiesen und muss – schon aus standesrechtlichen Gründen – den Sachverhalt so vortragen, wie ihm dies von seinem Mandanten, dem Versicherungsnehmer, geschildert wird. Da das Gericht – wie dargestellt – grundsätzlich auch an ein bewusst unwahres Geständnis gebunden ist, wird dieses in der Regel zwanglos zur Verurteilung des Versicherungsnehmers führen, dessen Sachverhaltsschilderung ja gerade darauf gerichtet ist, dass er tatsächlich den nur vorgetäuschten Schaden des Dritten herbeigeführt hat. Zwar ist in der 21 22 23 24

Thomas/Putzo- Reichold, ZPO, § 288, Rdn. 5. A.a.O., § 288, Rdn. 7. A.a.O., § 288, Rdn. 1. BGH VersR 1992, 1504 (1505).

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Rechtsprechung eine Ausnahme von der Geständniswirkung nach § 288 ZPO für den Fall des kollusiven Zusammenwirkens der Parteien des Rechtsstreits zu Lasten eines Dritten anerkannt25. Die Unbeachtlichkeit der zugestandenen Tatsachen tritt jedoch nur ein, wenn die Unwahrheit des Vorbringens feststeht (Zweifel sind nicht ausreichend!) und dieser Nachweis ist in der Praxis vom Versicherer nur in den seltensten Fällen zu führen26. Demnach führt die prozessuale Geständniswirkung ganz regelmäßig zu einer Verurteilung des (vermeintlich) schädigenden Versicherungsnehmers im Haftungsprozess. 3. Bindung Im Deckungsprozess ist der Versicherer dann aber mit seiner Einwendung der vorsätzlichen Herbeiführung und/oder gar der Einwilligung des geschädigten Dritten in die Verletzungshandlung wegen der Bindungswirkung des Haftpflichturteils ausgeschlossen27. Denn nach ständiger Rechtsprechung des BGH sind die Feststellungen eines rechtskräftigen Urteils im Haftungsprozess für den nachfolgenden Deckungsprozess bindend, soweit die festgestellten Tatsachen sowohl im Haftpflicht- als auch im Deckungsprozess relevant28, also voraussetzungsidentisch sind. Das hat zur Folge, dass sich die Bindungswirkung auch auf die im Haftungsprozess festgestellten Pflichtverstöße erstreckt, die der Verurteilung des Versicherungsnehmers zugrunde liegen29. Diese Rechtsprechung hat der BGH zuletzt in seinem jüngsten Urteil zur Voraussetzungsidentität erneut bestätigt30.

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BGH VersR 1970, 826; OLG Düsseldorf NJW-RR 1998, 606; OLG Hamm VersR 1998, 1274 und VersR 1997, 853; OLG Frankfurt VersR 1978, 260. Vgl. BGH VersR 1970, 826; OLG Düsseldorf NJW-RR 1998, 606; OLG Hamm VersR 1998, 1274 und VersR 1997, 853. Vgl. dazu schon Langheid/Müller-Frank, NJW 1993, 2659 f.; vgl. ferner Bayer, NVersZ 1998, 9 ff. Seit BGH VersR 1992, 1504 (1505) (Dogmatisch folgt die Bindungswirkung nicht aus der Rechtskraft des Haftpflichturteils, sondern aus dem materiellen Leistungsversprechen des Versicherers.); bestätigend OLG Hamm VersR 2002, 1369. BGH VersR 2001, 1103 (1104) und VersR 2002, 1141; sich anschließend OLG Hamm VersR 2004, 727. BGH VersR 2004, 590 f.

4. Nebenintervention Anderes – also keine vorzeitige Verurteilung des Versicherungsnehmers im Haftpflichtprozess mit daraus folgender Bindungswirkung für den Deckungsprozess – gilt in der Kraftfahrt-Haftpflichtversicherung, wo die Rechtskrafterstreckung nach § 3 Nr. 8 PflVG eine vorzeitige klagezusprechende Entscheidung zumindest solange verhindert, als noch ein kontradiktorisches klageabweisendes Urteil möglich ist und wo darüber hinaus der Versicherer, der ja gemäß § 3 Nr. 1 PflVG auch unmittelbar in Anspruch genommen werden kann, seine Nebenintervention auf Seiten seines Versicherungsnehmers erklären kann, um so jedenfalls ein Versäumnisurteil gegen diesen zu verhindern31. Desgleichen muss in dem Fall, dass der Rechtsstreit gegen den Versicherungsnehmer aufgrund seines Geständnisses bereits entscheidungsreif ist, während im Prozess gegen den Kfz-Haftpflichtversicherer aufgrund seines Manipulationseinwands noch Beweis erhoben werden muss, wegen der Gefahr divergierender Entscheidungen vom Erlass eines Teilurteils abgesehen werden32. Eine Nebenintervention des Versicherers wird dabei nicht nur im Kraftfahrthaftpflicht-, sondern auch im Privathaftpflichtprozess für in der Regel zulässig gehalten33. Hier sind die Möglichkeiten des Versicherers, auf den Ausgang des Rechtsstreits Einfluss zu nehmen, jedoch begrenzt. Dies folgt daraus, dass er als unselbständiger Streithelfer den Beschränkungen des § 67 2. HS. ZPO unterworfen ist und somit sein Vorbringen zu einer Manipulation durch den Versicherungsnehmer gemäß § 67 2. HS. ZPO unbeachtet bleiben muss, wenn letzterer anders vorträgt und eben zugesteht, die Haftungsvoraussetzungen erfüllt zu haben34. Geständnis- und Bindungswirkung kann der Haftpflichtversicherer also letztlich auch nicht durch sein Mitwirken im Haftungsprozess als Nebenintervenient verhindern. 5. Ergebnis Nach alledem steht fest, dass der Haftpflichtversicherer gerade bei bestehender Rechtslage in erheblicher Weise einer Manipulationsgefahr durch 31 32 33 34

Vgl. dazu BGH VersR 1993, 625 (626); OLG Hamm VersR 1998, 1274 f.; Lemcke, VersR 1995, 989 ff. So Lemcke, VersR 1995, 989 (990). Römer/Langheid, a.a.O., § 149, Rdn. 18; Lemcke, VersR 1995, 989 ff. Das gilt nur dann nicht, wenn Kollusion nachweisbar ist; aber dann besteht das ganze Problem nicht.

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den kollusiv mit dem (angeblich) Geschädigten zusammenwirkenden Versicherungsnehmer ausgesetzt ist. Die Trias von prozessualen Erklärungen des Versicherungsnehmers mit Geständniswirkung, die Unbeachtlichkeit anders lautenden Vortrags des nebenintervenierenden Versicherers und die Bindungswirkung der im Haftungsprozess ergehenden Entscheidung für den Deckungsprozess führen dazu, dass der Haftungstatbestand im Rechtsstreit zwischen Versicherungsnehmer und (vermeintlich) geschädigtem Dritten mit Bindungswirkung für das Deckungsverhältnis rechtskräftig festgestellt wird. V. Neue Rahmenbedingungen durch den RegE Nunmehr soll untersucht werden, ob nicht durch das zukünftige Verbot des Anerkenntnis- und Befriedigungsverbots sowie der demnächst bestehenden Möglichkeit der Abtretung des Freistellungsanspruchs eine prozessuale Situation entsteht, die die oben geschilderten Probleme der Prozessführung in Zukunft beseitigen wird. 1. Anerkenntnis Die oben35 dargestellten Ausführungen der Reformkommission und des Regierungsentwurfs zur Abschaffung des Anerkenntnis- und Befriedigungsverbots, d.h. insbesondere, dass ein Anerkenntnis durch den Versicherungsnehmer keine Auswirkung auf das Deckungsverhältnis hat, finden sowohl im materiellen als auch im Prozessrecht ihre Bestätigung. Zum einen begründet ein konstitutives Anerkenntnis i.S.d. § 781 BGB als sog. abstrakter Vertrag eine vom Kausalverhältnis losgelöste Verpflichtung36. Eine solche kann aber lediglich zwischen den vertragsschließenden Parteien (Versicherungsnehmer und Drittem) Verbindlichkeit entfalten. Zum anderen sagt auch ein prozessuales Anerkenntnis i.S.d. § 307 ZPO nichts über Bestehen oder Nichtbestehen des Anspruchs aus, denn die anerkannte Rechtsfolge muss nicht mit dem materiellen Recht übereinstimmen37. Kann aber der Haftpflichtversicherer durch ein Anerkenntnis des Versicherungsnehmers nur so weit gebunden werden, wie das Anerkenntnis der tatsächlichen materiellen Haftungslage entspricht, kann das Anerkenntnis und seine materielle Wirkung jederzeit einer gerichtlichen Kontrolle unterzogen werden, sei es (schon) im Haftpflichtprozess, den 35 36 37

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Vgl. oben II. 1. Palandt-Sprau, BGB, § 780, Rdn. 1a. Thomas/Putzo-Reichold, ZPO, § 307, Rdn. 7.

der Versicherer (mit allen zuvor geschilderten Komplikationen) für seinen Versicherungsnehmer gegen den Geschädigten zu führen hat, sei es spätestens im Deckungsprozess zwischen Versicherungsnehmer und Versicherer oder – nach demnächst möglicher Abtretung des Deckungsanspruchs an den geschädigten Dritten – zwischen Versicherer und dem Dritten unmittelbar. Während das bisherige System ein Haftpflichturteil mit Bindungswirkung ausstattete, wird das Anerkenntnis eben keine Bindungswirkung entfalten oder aber allenfalls eine solche Bindungswirkung, wie sie der tatsächlichen materiellen Rechtslage entspricht. Das ist eine deutliche Verbesserung gegenüber dem herkömmlichen Regime von Geständnis, Bindungswirkung und fehlender Einwirkungsmöglichkeit des Haftpflichtversicherers. Bedenkt man nämlich, dass ein kollusives Zusammenwirken des Versicherungsnehmers mit dem (angeblich) geschädigten Dritten durch unwahren Tatsachenvortrag im Haftungsprozess trotz oder gerade wegen des bisher geltenden Anerkenntnisverbots jedenfalls denkbar ist und zu den oben beschriebenen Konsequenzen führt, sprechen tatsächlich gute Gründe dafür, Anerkenntnis- und Befriedigungsverbot in geplanter Weise abzuschaffen. Auch nach zukünftiger Rechtslage (§ 105 RegE) gilt, dass – sollte der Versicherungsnehmer wirksam außerprozessual anerkennen – dieses Anerkenntnis den Versicherer nicht bindet; vielmehr entfaltet es diesem gegenüber im Deckungsverhältnis – wie auch nach geltendem Recht – nur insoweit Bedeutung, als es der materiellen Rechtslage entspricht. 2. Abtretung In den Begründungen zu der vorgeschlagenen Abkehr vom Abtretungsverbot wird – wie oben38 ausgeführt – vor allem das Argument herausgearbeitet, dass dem Interesse der Assekuranz an einem Abtretungsverbot sowohl berechtigte Interessen des Versicherungsnehmers als auch des anspruchsberechtigten Dritten gegenüber stehen. Unabhängig von diesen Erwägungen wird es nach Abtretung des Deckungsanspruchs in Zukunft zu der Prozesskonstellation kommen, dass der geschädigte Dritte seinen Haftpflichtanspruch (sei es mit oder ohne vorheriges Anerkenntnis durch den Versicherungsnehmer) und zugleich den Deckungsanspruch des Versicherungsnehmers gegen den Haft38

Vgl. oben II. 2.

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pflichtversicherer in einem Rechtsstreit geltend macht39. Er wird dann vortragen, wie es zu dem haftpflichtigen Ereignis gekommen ist und er wird – so die Befürchtungen der Versicherungswirtschaft – für dieses Vorbringen den Versicherungsnehmer als Zeugen benennen können. Die Abtretung bewirkt also eine Änderung der Parteirollen: aus dem Versicherungsnehmer, der bisher Partei sowohl des Haftpflichtprozesses (passiv) als auch des Deckungsprozesses (aktiv) war, wird ein Zeuge, der das Vorbringen des mit ihm kollusiv zusammenwirkenden Geschädigten bestätigen könnte. Trotz der geäußerten Befürchtungen scheint es so zu sein, als dass diese Konstellation eine Verbesserung gegenüber dem bisherigen Zustand ist. Wie oben40 ausgeführt wurde, ist es dem Versicherungsnehmer als Partei des Haftpflichtprozesses ein Leichtes, durch ein prozessuales Geständnis ein Haftungsurteil herbeizuführen, das Bindungswirkung auch für den Deckungsprozess entfaltet. Demgegenüber ist seine präsumtive Rolle als Zeuge in einem kombinierten Haftungs-/Deckungsprozess des vermeintlich geschädigten Dritten gegen den Versicherer schwächer: einem Zeugen muss das Gericht nicht glauben41. Vielmehr wird der Tatrichter seine Überzeugungsbildung nach allen Umständen des Falles vornehmen und er ist dabei durch nichts gehindert, einer Zeugenaussage nicht zu glauben, wenn nämlich andere Tatumstände überzeugend einen anderen Sachverhalt ergeben42. Nach dem bekannten Diktum des VI. Senats des BGH ist ein Vorbringen dann als bewiesen anzusehen, wenn es nach den praktischen Maßstäben gewöhnlicher Lebenssachverhalte mit einem Maß an Gewissheit feststeht, dass vernünftigen Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie vollständig auszuschließen43. Sobald also vernünftige Zweifel daran bestehen, dass die Aussage des Versicherungsnehmers zutreffend ist, wird der Tatrichter dieser Zeugenaussage keinen Glauben schenken. Die Verdachtsmomente, die den Versicherer an eine Kollusion zwischen dem Dritten und dem Versicherungsnehmer haben glauben lassen, sind – wenn sie denn beweisbar sind – allemal geeignet, diese Zweifel zu begründen. 39

Wobei im Deckungsprozess dann zumindest inzidenter auch über den Haftpflichtanspruch entschieden werden muss. 40 Vgl. oben IV. 2. und 3. 41 So auch Lange, VersR 2006, 1313 ff., der sich in Fn. 55 (S. 1318) auf entsprechende Ausführungen des Autors beruft. 42 Thomas/Putzo-Reichold, ZPO, § 286, Rdn. 2a; Zöller-Greger, ZPO, § 286, Rdn. 13. 43 BGH VersR 1987, 503 (504).

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Berücksichtigt man, dass nach bisheriger Rechtslage ein auch unwahres Geständnis den Tatrichter bindet, stellt die zukünftige Prozesssituation zweifellos eine Verbesserung im Sinne einer objektivierten Wahrheitsfindung dar. VI. Fazit Kann der Versicherungsnehmer bei zukünftiger Rechtslage nach dem neuen VVG den Anspruch des geschädigten Dritten außerprozessual anerkennen, ohne dass er dadurch zwingend seinen Deckungsschutz verliert, entfällt die Notwendigkeit, einen Haftpflichtprozess zu führen. Dies hat für den Deckungsprozess den Vorteil, dass keine tatsächlichen Feststellungen in Bezug auf die Haftung des Versicherungsnehmers getroffen werden, die nach der Rechtsprechung bei bestehender Voraussetzungsidentität Bindungswirkung entfalten würden. Somit hat dann das Gericht im Verfahren zwischen dem Versicherer und dem Versicherungsnehmer oder dem Geschädigten erstmals die entscheidungsrelevanten Tatsachen nach dem Vorbringen der Parteien selbst festzustellen. Wichtig ist dabei, dass das Anerkenntnis selbst nur insoweit binden kann, als es der materiellen Rechtslage entspricht, was seinerseits gerichtlich überprüft werden kann. Daneben ergibt sich aus der vorgesehenen Abtretungsmöglichkeit des Freistellungsanspruchs gegenüber der bisherigen Rechtslage ein weiterer Vorzug in prozessualer Hinsicht. Denn dadurch, dass nunmehr der Dritte den Deckungsanspruch unmittelbar gegen den Haftpflichtversicherer geltend macht, führt letzterer den Rechtsstreit als Partei und ist demzufolge nicht mehr – wie bisher – als Nebenintervenient im Haftungsprozess an den Vortrag des Versicherungsnehmers gebunden. Das dann mögliche Auftreten des Versicherungsnehmers als Zeuge im Deckungsprozess führt nicht zu einer Benachteiligung des Versicherers in seiner Beweisführung, denn eine Zeugenaussage hat das Gericht zu würdigen, wohingegen durch Parteivortrag im Haftpflichtprozess vorgebrachte Tatsachen aufgrund der Geständniswirkung für das Gericht verbindlich sind. Alles in Allem: wenn auch viele erhebliche Argumente von den Kritikern der künftigen Gesetzeslage vorgebracht worden sind, scheint dabei die prozessuale Situation, wie sie nach der geplanten Gesetzesnovelle entstehen wird, nicht hinreichend berücksichtigt worden zu sein. Aus dem

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Vorhergesagten folgt, dass die zukünftige Gesetzeslage prozessuale Konfigurationen hervor bringen wird, die die Möglichkeit, Kollusionen zu begegnen, verbessern und dadurch zu gerechteren Ergebnissen führen wird.

Aus: Liber amicorum für Gerrit Winter Hrsg.: Volker Joachim Bergeest und Hubertus W. Labes (Verlag Versicherungswirtschaft GmbH, Karlsruhe, 2007, XVIII u. 790 S., 15,3 x 23,5 cm, Leineneinband, €€ 98,– , ISBN 978-3-89952-338-6) Mit Beiträgen von Prof. Dr. Christian Armbrüster, Dr. Gunne W. Bähr, LL.M, Prof. Dr. Horst Baumann, Dr. Volker-Joachim Bergeest, Dr. Harald Bischoff, Dr. Peter Steven Dickstein, Dr. Jan Dreyer, Dr. Helmut Eichhorn, Dr. Gerd Eidam, Prof. Dr. Michael Fehling, LL.M.,Dr. Jörg Freiherr Frank von Fürstenwerth/Dr. Ralf Gütersloh, Dr. Kai-Michael Goretzky, LL.M., Dr. Wolf-Dieter Hauenschild, Dr. Hansjörg Heppe, LL.M., Bernd Honsel, Dr. Detlef Huber, Dr. Edgar Jannott, Dr. Katharina Johannsen/Dr. Ralf Johannsen†, Detlef Kaulbach/Dr. Stephanie Honnefelder, Prof. Dr. Robert Koch, LL.M., Dr. Klaus C. Kossen, Dr. Florian Krause-Allenstein, Dr. Hubertus W. Labes, Dr. Theo Langheid, Ulf D. Lemor, Dr. Thorsten Meinert, Dr. Burkhard Messerschmidt, Dr. Utz Meyer-Reim, Dr. Gerald Miersch, LL.M., Dr. Tobias Möhrle, Prof. Dr. Dr. h.c. Klaus-Jürgen Müller, Prof. Valeriy A. Musin, Prof. Dr. Dr. h.c. Marian Paschke, Dr. Peter Präve, Stefan Richter, Dr. Thomas Richter, Dr. Dieter Schwampe, Prof. Dr. Hans-Peter Schwintowski, Dr. Volker Triebel, Prof. Dr. Johannes Wälder, Dr. Axel Wehling/Götz Treber, Prof. Dr. Manfred Werber, Dr. Jost Wiechmann, Dr. Eckhardt Wilkens, Dr. Stefan Zänker, Kapitän Dr. Harald Zeller/Dr. Jan Tjarko Eichhorn

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