Zwischen Antislawismus und Polonisierung. Der lange Weg der deutschen Minderheit in Polen

August 31, 2019 | Author: Ingelore Böhmer | Category: N/A
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Zwischen Antislawismus und Polonisierung. Der lange Weg der deutschen Minderheit in Polen In: Blätter für deutsche und internationale Politik, Jrg. 44, August, 8/1999, S. 975-83. Von Jan Herman Brinks In ihren Vorschlägen zur Reform der „Kulturförderung nach § 96 Bundesvertriebenengesetz“ (Konzept vom 20.5.1999) betont die Bundesregierung das „Regionalprinzip“. Unterschieden werden einerseits „Nordosteuropa mit den großen Kulturlandschaften Pommern, Ost- und Westpreußen, Teilen der GUS-Staaten, Baltischen Staaten“, andererseits die „Sudetenländer und Südosteuropa“ und als dritte, eigenständige Region – die Disproportion des geographischen Zuschnitts fällt auf – „Schlesien“. Hier konzentriert sich die deutsche Minderheit in Polen, deren politisches Gewicht seit 1990 spürbar zugenommen hat. – Unser Autor, ein niederländischer Kenner „deutscher Fragen“, hat die Region wiederholt bereist. Einfühlsam beschreibt er den Widerstreit europäischer Hoffnungen mit den langen Schatten der Vergangenheit. – D. Red. „Ich kann es natürlich nicht beweisen, aber es wunderte mich nicht, wenn der polnische Geheimdienst hinter alledem stecken würde.“ Professor Bartoding, einen früheren Abgeordneten der deutschen Minderheit im polnischen Parlament, überrascht es nicht zu hören, dass die polnische Taxifirma fast das Zehnfache des üblichen Preises für die Fahrt zu seinem Haus in Strelzke Opolskye verlangte. Er steht aufgeregt auf und zeigt eine Tasche mit Hauptschlüsseln und Wanzen, die ein Besucher neulich in seinem Haus zurückließ. „Der polnische Geheimdienst wurde noch nicht gesäubert, die alte Garde herrscht immer noch“, sagt er verärgert. Die Kommunisten haben den ehemaligen Physikprofessor, einer der prominentesten Sprecher der deutschen Minderheit in Polen, immer im Auge behalten. Und er wird den Eindruck nicht los, dass die polnischen Behörden ihn weiterhin genau beobachten. Dennoch, zum gegenwärtigen Verhältnis zwischen der deutschen Minderheit und den Polen befragt, lautet sein vorsichtiges Urteil, dass er das Ganze nicht so schwarzsieht. Was die zwischenmenschlichen Beziehungen betrifft, sieht er keine Probleme, nicht zuletzt deswegen, weil er die Deutschpolen heutzutage als eine politisch passive Gruppe einschätzt. Laut Bartoding befindet sich diese Gemeinschaft in einem „psychologischen Niemandsland“. Er bezweifelt sogar, dass die deutsche Minderheit, von der viele im Bezirk Opole wohnen, überleben kann. Auf den ersten Blick hat er recht. Kurz nach dem Verschwinden des Eisernen Vorhangs waren die Deutschstämmigen mit sieben Abgeordneten im Parlament gut vertreten, zurzeit haben sie jedoch nur zwei Repräsentanten im Sejm. Besonders klagt Bartoding über das Verhalten der polnischen Beamten, die versuchen, der deutschen Minderheit das Leben schwer zu machen. Laut Bartoding wird die Schikanierung vor allem dadurch deutlich, dass Polen sich bis heute weigert, die „Rahmenkonvention Minderheitenschutz“ des Europarats zu ratifizieren. Es ist in der Tat nicht zu leugnen, dass Polen seit langer Zeit Probleme mit seinen Minderheiten hat. Nachdem im Friedensvertrag von Riga im März 1921 die Ostgrenze festgelegt worden war, zeigte sich, dass 38% der Bevölkerung einer der Minderheiten angehörten, von denen Ukrainer, Weißrussen, Juden und Deutsche die größten Gruppen bildeten. Zu dieser Zeit

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nahm man an, dass die Eingliederung der slawischen Ukrainer und Weißrussen durch Assimilierung gefördert werden könnte; Juden und Deutsche hingegen wurden als für die Integration ungeeignet betrachtet. Viele Polen, besonders die polnischen Politiker, hatten auch danach mit den Minoritäten nicht viel im Sinn. Selbst nach dem Wegfall des Eisernen Vorhangs wurde bald klar, dass die Minderheitenprobleme nicht der Vergangenheit angehörten. Es gibt zum Beispiel Spannungen zwischen Polen und der ukrainischen Minderheit, deren Anzahl auf ungefähr 300 000 geschätzt wird und die überwiegend in der Region Przemysl im Südwesten Polens lebt. Auch Antisemitismus gibt es noch. Lech Walesas früherer Beichtvater Henryk Jankowski erklärte während einer Predigt, dass Juden in Polen entscheidenden Einfluss hätten. Dem Prieser zufolge wäre es möglich, den Davidstern sowohl in Hammer und Sichel als auch im Hakenkreuz zu entdecken. Derartige Ideen sind auch in einem Großteil der Bevölkerung lebendig und finden ihren Ausdruck in antisemitischem Graffiti. Slogans auf einer Wand nahe der Wroclawer Universität versuchen, die Passanten zu überzeugen, dass Sowjet-Kommunismus und Zionismus identisch seien, und in der Hauptstraße der Stadt sah ich an einer Wand in riesigen Buchstaben die Worte „Jude raus“. Weder Passanten noch Behörden scheinen sich um solche Beleidigungen zu kümmern. Da die jüdische Gemeinschaft in Polen größtenteils ausgelöscht wurde, könnte man von einem „Antisemitismus ohne Juden“ sprechen. Die deutsche Minderheit hingegen ist noch deutlich sichtbar, und sie verschafft sich seit 1990 regelmäßig Gehör. Die Schätzungen der exakten Anzahl deutschstämmiger Polen schwanken sehr. Wieslaw Lesiuk, der Direktor des Schlesischen Instituts in Opole, das 1957 gegründet und nach dem Krieg von den Kommunisten genutzt wurde, um die territorialen Gewinne historisch zu legitimieren, meint, der Begriff „Polendeutsche“ sei wenig präzise. „In Schlesien kann sich jeder als Deutscher bezeichnen“, argumentiert er kurz und bündig. Die Organisationen der „Heimatvertriebenen“ behaupten, dass in Polen zwischen 800 000 und einer Million Deutschstämmige leben. Laut Danuta Berlinska vom Schlesischen Institut beträgt die tatsächliche Anzahl heute ungefähr 400 000, von denen 300 000 im Bezirk Opole leben, 100 000 in der Gegend um Katowice und 40 000 in der Region Czestochowa. Berlinskas Schätzungen erscheinen zuverlässig. Seit 1990 haben Hunderttausende Deutschpolen das Land verlassen, um sich in der Bundesrepublik Deutschland niederzulassen.1 Inzwischen versuchen die deutschen Behörden, die Ausreisewilligen von der Einwanderung in die Bundesrepublik abzuhalten. Im Ergebnis der restriktiven Aufnahmepolitik ging die offizielle Anzahl der Immigranten 1997 auf nur 687 aus ganz Polen zurück. Friedrich Petrach, Vorsitzender der winzigen Gemeinde der Deutschpolen in Wroclaw, ehemals Breslau, ist besonders unzufrieden mit der Stellung der Deutschstämmigen in Polen. Besonderen Groll hegt er gegen die polnischen Behörden, die dem Unterricht in deutscher Sprache nicht genügend Beachtung schenkten. Dies, so sagt er, sei von besonderer Wichtigkeit, da viele Deutschpolen nicht mehr deutsch sprächen. Seit dem Ende des Kalten Krieges werden der deutschen Minderheit in Polen Deutschkurse angeboten. Viele nehmen jetzt diese Gelegenheit wahr. Heute gibt es zweisprachige Klassen an den Gymnasien in Poznan, Wroclaw, Opole und Szczecin. Laut Petrach hat man jedoch große Probleme, geeignete Lehrer zu finden, die extra aus der Bundesrepublik kommen müssten. Momentan gibt es 135, aber, so Petrach, man 1

1998 wurde die deutsche Bevölkerung in der Ukraine, die sich aus 40 000-100 000 Menschen zusammensetzt, durch Gerüchte in Aufregung versetzt, die besagten, dass sie sich innerhalb der nächsten zwei Jahre zwischen Emigration nach Deutschland und dem endgültigen Aufenthalt in der Ukraine zu entscheiden hätten. Während eines Staatsbesuches 1998 versicherte Roman Herzog den ukrainischen Deutschen mit Nachdruck, dass die Tür zur Bundesrepublik offen gehalten werde. 2

kann von einem deutschen Lehrer nicht erwarten, für ein „polnisches Gehalt“ zu arbeiten. „Wir zahlen unsere Steuern“, seufzt er, „aber als Minderheit erhalten wir gar nichts“. Dennoch haben die Deutschpolen vielleicht weniger Grund zur Klage als Petrach nahe legt. Seit Juni 1991 unterstützt die Bundesrepublik die deutsche Minderheit finanziell. Die ukrainischen, weißrussischen, litauischen und tschechischen Minoritäten können nicht mit solch großzügiger Regierungshilfe rechnen. Einen weiteren Zankapfel bildet der Geschichtsunterricht. Petrach wirft den Polen Mangel an gutem Willen vor, weil sie Geschichtsbücher benutzen, die schon zu kommunistischer Zeit in Gebrauch waren. „…aber eine einmalige Härte ist besser als…“ Wie Petrach sieht sich der größte Teil der Deutschstämmigen als Opfer einer „Tragödie“, welche sie lediglich bis zum Ende des Ersten Weltkrieges zurückdatieren, als nämlich der polnische Staat wiedererrichtet wurde und Deutschland Gebiete im Osten verlor. Dies gilt besonders für Schlesier, die sich durch den Versailler Vertrag plötzlich zu einer der Minderheiten Polens degradiert sahen. Unter der Schirmherrschaft der Alliierten wurde am 20. März 1921 im größten Teil Oberschlesiens ein Referendum darüber abgehalten, ob dieses Gebiet zu Polen gehören oder aber bei Deutschland verbleiben sollte. Die große Mehrheit der Bevölkerung sprach sich zugunsten eines Verbleibs in Deutschland aus. Die polnischen Nationalisten lehnten sich dagegen auf, wurden jedoch am 21. Mai 1921 auf dem Annaberg vom deutschen „Freikorps Oberland“ besiegt. Nichtsdestoweniger wurde Oberschlesien 1922 geteilt; der westliche Teil ging an Deutschland und der östliche Teil, in dem sich ein Großteil der Industrie befand, fiel an Polen. In der Zwischenkriegszeit führte diese Situation zu ständigen Spannungen zwischen Deutschen und Polen. Besonders die Schlesier betrachteten sich als Opfer, die man zwang, im „Schatten von Versailles“ zu leben. Viele entschieden sich, das Land zu verlassen. 1919 lebten 2,1 Millionen Deutsche in Polen, eine Zahl, die bis zum Vorabend des Zweiten Weltkriegs auf eine Million fiel. Der Verein für das Deutschtum im Ausland, das Deutsche Auslandsinstitut und die Deutsche Stiftung unterstützten die Deutschen, die in Polen blieben. Berlin versuchte, diese Menschen von einer Immigration nach Deutschland abzuhalten.2 Nach dem deutschen Angriff auf Polen traten viele Deutschpolen der NSDAP bei oder wurden Mitglieder des so genannten Volksdeutschen Selbstschutzes, der auch dazu diente, Männer für die Wehrmacht zu werben. Die deutsche Feindschaft gegenüber Polen erreichte damals schockierende Ausmaße. Theodor Oberländer, der von 1953 bis 1960 in der Bundesrepublik Vertriebenenminister werden sollte, verkündigte 1940 die Notwendigkeit einer Ausweisung der polnischen Bevölkerung. So argumentierte der nachmalige CDU-Politiker in einem Artikel: „Die Eindeutschung der Ostgebiete muss in jedem Falle eine restlose sein. Solche Maßnahmen vollständiger Aus- und Umsiedlung mögen für die Betroffenen hart erscheinen… aber eine einmalige Härte ist besser als ein durch Generationen währender Kleinkrieg. (…) Aus 2

In einem Memo vom 14.2.1924 erklärte Stresemann hierzu: „Auch aus innerpolitischen, wirtschaftlichen und finanziellen Gründen ist ein derartiges fortgesetztes Zurückströmen von Deutschen aus dem Ausland in das Reich unerwünscht, zumal die einzelnen Länder dadurch selbst geschädigt werden; denn ein großer Teil dieser Rückwanderer verliert durch die Ausweisung seine Existenz und fällt der öffentlichen Fürsorge zur Last.“ Bundesarchiv R491, 120,204f., in: Richard Blank, The German Minority in inter-war Poland and German foreign policy – Some Reconsiderations, in „Journal of Contemporary History“, Vol. 25, 1990, S.87-102, hier S. 93. 3

diesem Grunde ist neben vielen anderen eine Assimilierung des Polentums abzulehnen.“3 Die hier deutlich werdende Einstellung und noch mehr das brutale Verhalten der deutschen Armee führten nach 1945 zum langen und blutigen Tag der Abrechnung für die Polendeutschen.4 Sofort nach dem Krieg begannen die Kommunisten mit der gewaltsamen Vertreibung und Enteignung der deutschen Bevölkerung in Schlesien, Ost- und Westpreußen, Pommern, Danzig und der Ostbrandenburg. Diese Kampagne, bei der Hunderttausende ihr Leben verloren, wurde als „die Rückkehr der westlichen und nördlichen Gebiete in das Mutterland“ deklariert. Während dieser Entgermanisierung war alles, was an Deutschland erinnerte, sowohl die Sprache als auch die Kultur, verboten. Diejenigen, die dieses Gebot übertraten, bestrafte man hart. Die meisten Deutschen wurden abgeschoben, einige auch inhaftiert. Berüchtigt für seine Grausamkeit den deutschen Gefangenen gegenüber war das Lager Lambinowice (ehemals Lamsdorf), in dem während des Ersten Weltkriegs Russen interniert waren und das unter den Nazis als KZ gedient hatte. Es wurden jedoch nicht alle Deutsche nach 1945 des Landes verwiesen. Dies gilt besonders für die Oberschlesier. Der polnische Staat hatte sie schließlich 1922 zu polnischen Staatsbürgern erklärt. Außerdem – und dies war der entscheidende Grund für die Gewährung des Aufenthalts – brauchte man sie dringend im Bergbau. Am 8. Januar 1951 zwang man allen Deutschen, die nicht geflohen oder vertrieben worden waren, die polnische Staatsbürgerschaft per Dekret auf. Diese „Sammeleinbürgerung“ bewirkte jedoch nicht, dass sie sich auch gefühlsmäßig als Polen betrachteten. Im Gegenteil, ebenso wie in anderen Volksdemokratien zeigte sich auch in Polen, dass es unmöglich war, einen homo sovieticus zu erschaffen. Zu Beginn der 80er Jahre begannen die Deutschpolen, Widerstand gegen die erzwungene Polonisierung zu leisten und gründeten die AGMO, eine Organisation, die sich um die Interessen der „ethnischen Minorität der Deutschen“ kümmerte.5 In der Zwischenzeit leugneten die polnischen Behörden beharrlich die Existenz einer deutschen Minderheit in Polen. Noch im Mai 1985 erklärte der damalige polnische Ministerpräsident Jaruzelski in Wroclaw, „Das Problem einer nationalen deutschen Minderheit in Polen [hat] endgültig zu bestehen aufgehört.“ 1984 sprach er vor jungen Offizieren von einem fingierten „Problem“, das zur Rechtfertigung einer „ethnischen Teilung“6 Polens herhalten könne. Unmittelbar nach dem Fall der Mauer jedoch erwies sich die Behauptung, dass es in Polen fast gar keine „Heimatvertriebenen“ mehr gäbe, als falsch. Trotz – oder wahrscheinlich eher aufgrund – der Politik einer zwangsweisen Polonisierung sind viele Deutschstämmige in Schlesien der deutschen Identität treu geblieben. Dies wurde 1990 deutlich, als die deutsche Minderheit mehrere sensationelle Wahlsiege im östlichen Teil des Bezirks Opole (mit zwischen 65 und 90% der Stimmen) errang. Sie konnte außerdem in Radlów, Dosbrodzien und Olesno im Bezirk Czestochowa ebenso wie in Opole, Kedzierzyn-Kózle, Kluczbork und Strzelce Opolskie Gewinne verbuchen. 25 Bürgermeister kamen jetzt aus den Reihen der deutschen Minderheit.7 Seit der Implosion des Partei-Kommunismus schwimmen die Deutschpolen und ihre wohlorganisierten nachkommen wieder obenauf. Auf dem Annaberg, der ursprünglich das 3

Theodor Oberländer, Von der Front des Volkstumskampfes, in: „Neues Bauerntum“ (NB), 32/1940, S.127-130, hier S. 128. 4 Oberländer erklärte im Nachhinein, die NS-Wendungen seien ihm – wie auch in anderen Beiträgen für NB – von den Nazis untergeschoben worden. 5 Der vollständige Name lautet „Arbeitsgemeinschaft Menschenrechtsverletzungen in Ostdeutschland in der Schlesischen Jugend – Bundesgruppe e.V.“. Seit 1990 nennt sich diese Organisation „Agmo-Ostdeutsche Menschenrechtsgesellschaft e.V.“. 6 Thomas Urban, Deutsche in Polen. Geschichte und Gegenwart einer Minderheit, München 1994, S. 96. 7 Ebd., S. 115. 4

kulturelle und religiöse Zentrum Oberschlesiens war, können sie heute wieder Gottesdienste abhalten. Mit Unterstützung der AGMO haben sie außerdem so genannte Deutsche Freundschaftskreise gegründet, die auf bescheidene finanzielle Hilfe von ihren Brüdern im Bund der Vertriebenen zählen können. Besonders die Landsmannschaft Schlesien leistet Beistand. Dieser Heimatverein, der in naher Verbindung zur CDU/CSU steht, hat als Motto: „Schlesien bleibt unsere Heimat“. (Es war kein Zufall, dass der damalige Bundeskanzler Kohl während seiner Polenreise 1989 kaum davon abgehalten werden konnte, Annaberg einen Besuch abzustatten. Schließlich einigte man sich auf Krzyzowa [ehemals Kreisau], wo Ende des Zweiten Weltkrieges national-konservative Offiziere Widerstand gegen Hitler geleistet hatten. Für Kohl eine akzeptable Alternative – nicht zuletzt weil dort überzeugte Antikommunisten und deutsche Nationalisten zu ehren waren.) Die Geschichte des Dritten Reiches wurde von den polnischen Kommunisten für Propagandazwecke und Agitation missbraucht. Viele Deutschstämmige zeigen wohl auch deshalb einen Hang dazu, die nationalsozialistischen Gräueltaten als „kommunistische Propaganda“ abzutun oder diese Verbrechen zu beschönigen. Dies trifft sowohl für die deutsche Gemeinde in Polen als auch für die Vertriebenen in Deutschland zu, die zum Beispiel den Alliierten die Schuld an Hitlers Machtübernahme geben: „Ganz besonders in Schlesien und den übrigen Ostprovinzen bewahrheitete sich der Ausspruch, dass Adolf Hitler in Versailles geboren wurde.“8 „….als betrachteten sie einander durch eine Glaswand…“ Der Zorn der meisten Deutschstämmigen in Schlesien richtet sich hauptsächlich gegen die Sowjetunion und die polnischen Kommunisten, weil diese jahrzehntelang versucht haben, sie zu polonisieren. Schon während des Sommers 1990 wurde ein der Roten Armee gewidmetes Monument in der oberschlesisichen Stadt Prudnik, ehemals Neustadt, zerstört. Der Stadtrat vertrat die Ansicht, dass die Rote Armee nicht als Befreier gekommen war, sondern von der Bevölkerung als Plünderer und Vergewaltiger erfahren wurde. Es überrascht nicht, dass deutsche Rechtsradikale nach 1990 dachten, ihre Ideen würden in Oberschlesien auf fruchtbaren Boden fallen. In verschiedenen Dörfern stellten Deutschpolen ihre Häuser Rechtsextremisten zur Verfügung, die von dort aus Agitation und Propaganda betrieben. Die Spannungen zwischen Deutschstämmigen und Polen steigerten sich in derart dramatischer Weise, dass der polnische Präsident Walesa 1992 die Sache selbst in die Hand nahm. Er kündigte Schritte gegen diejenigen an, die deutsche Neonazis unterstützten, sowie gegen Deutschpolen, die die Wiedererrichtung deutscher Kriegsdenkmäler beabsichtigten. Die gegenseitigen Beziehungen zwischen der deutschen Minderheit und den Polen gestalten sich auch heute noch kompliziert. „Auf offizieller Ebene“, so Aleksandra TrzcielinskaPolus vom Schlesischen Institut in Opole, „sind die Kontakte sehr freundschaftlich. Im Alltag jedoch kommen gelegentlich Spannungen vor. Zwischen Deutschen und Polen gibt es eine Barriere, “ sagt sie, „es ist, als betrachteten sie einander durch eine Glaswand“. Ein polnisches Sprichwort besagt, dass, solange die Welt besteht, Polen und Deutsche niemals Freunde werden. Die Reibereien zwischen Deutschstämmigen und Polen haben jedoch nicht nur historische, sondern auch wirtschaftliche Gründe. Gemäß Art. 116 Abs. 1 des Grundgesetzes 8

Helmut Neubach, Kleine Geschichte Schlesiens, Kulturelle Arbeitshefte Nr. 24, Bonn 1994, S. 18. 5

stehen die Deutschpolen unter dem Schutz der Bundesregierung; sie können also mit bescheidener Hilfe der deutschen Behörden rechnen. Dies gilt umso mehr, als es im Interesse Deutschlands liegt, die Zahl der Aussiedler aus Zentral- und Osteuropa zu begrenzen. Die Deutschstämmigen, die sowohl über einen polnischen als auch einen deutschen Pass verfügen, haben die Möglichkeit, in Deutschland zu arbeiten und, da im Besitz der polnischen Staatsbürgerschaft, Einwohner ihrer Gemeinde in Polen zu bleiben. Sie können ihr Geld zum Beispiel in Häuser und andere Immobilien investieren. In Oberschlesien sieht man viele leerstehende Häuser, die Deutschstämmigen gehören. Diese haben ein Haus in Polen gekauft, während sie selbst in Deutschland leben und arbeiten. Das erzeugt manchmal böses Blut bei den Polen, die nicht diese Möglichkeiten haben und die ihre deutschstämmigen Landsleute gelegentlich als „Volkswagendeutsche“ bezeichnen. Um den heiß begehrten deutschen Pass zu erhalten, wandten sich manche Polen noch bis vor kurzem an das Berliner Document Center mit der Absicht, nach Dokumenten zu suchen, die beweisen könnten, dass ihre Eltern oder Großeltern während es Krieges mit den Nazis kollaboriert haben. Auf diese Weise konnten sie ihre Rechte als Deutsche geltend machen. Für einen Großteil der Deutschstämmigen ist es sehr wichtig, sich von den Polen durch eine „deutsche Identität“ zu unterscheiden. Berlinska zufolge fühlen sich die Deutschpolen „aufgrund einer gemeinsamen Vergangenheit, einer gemeinsamen Teilnahme am Zweiten Weltkrieg und eines eingebildeten gemeinsamen Wertesystems“ als Deutsche. Diese Sichtweise wurde oftmals an die während und nach dem Krieg geborenen Generationen weitergegeben. Die soziologische Frage nach dem, was die Deutschpolen unter einem „gemeinsamen Wertesystem“ verstehen, verdient eine nähere Betrachtung. Die gemeinsamen Werte und Normen, die sie als „typisch deutsch“ bezeichnen und durch welche sie sich, ihrer Meinung nach, von den Polen abgrenzen, sind folgende: Respekt vor Ordnung und Gesetz, ein strenges Arbeitsethos und Achtung vor gutem Management; Eigenschaften also, die in ihren Augen unvereinbar mit der so genannten „polnischen Wirtschaft“ sind. Tatsächlich stehen hier de so genannten preußischen Tugenden auf dem Spiel. Die Implementierung dieser „Tugenden“, die auch in der früheren DDR hoch geschätzt wurden und dort eine starke politische Bedeutung hatten9, belastete die Beziehungen zwischen den Deutschstämmigen und Polen schwer. Das hat man offensichtlich bis heute nicht vergessen. Berlinska zeigt Photos, die 1992 und 1993 aufgenommen wurden und Wände voller Hakenkreuze und gegen Heinrich Kroll, einer der deutschen Abgeordneten im Sejm, geschleuderte Flüche zeigen. Zusätzlich wurden Drohungen ausgestoßen. „Unmittelbar nach 1990“, sagt Berlinska, „befürchteten wir jugoslawische Zustände, die jedoch hier nicht eintraten“. Es überrascht nicht, dass diese Furcht aus den Trümmern erstand und noch immer nicht völlig verschwunden ist. Schlesien, das 1763 von Friedrich II. annektiert und anschließend Preußen eingegliedert wurde, stellte lange Zeit ein „schwebendes Volkstum“, eine Art deutschslawischen Schmelztiegel dar. Diejenigen, die sich selbst als Deutsche betrachteten, widersetzten sich of heftig den Slawen. Der deutsche Antislawismus hatte im 19. Jahrhundert, als das Deutsche Reich mit Hilfe von Organisationen wie dem Ostmarkenverein oder dem Alldeutschen Verband frenetisch versuchte, die polnischen Provinzen zu germanisieren, prominente Fürsprecher. Diese Anstrengungen wurden auch von deutschen Intellektuellen wohlwollend 9

1980 stellte der ostdeutsche Kulturwissenschaftler Helmut Hanke sogar einen Katalog von Tugenden für die DDR zusammen: „Ordnung, Pünktlichkeit, Berufsehre und Betriebsverbundenheit, Genauigkeit und Gründlichkeit, Ehrlichkeit und Kollegialität, Sauberkeit, Kultur im Dorf, in Haus, Hof und Garten, Solidität, Qualität, Arbeitsethos, Berufsstolz und Sparsamkeit“. Vgl. H. Hanke, Zur Rolle von Traditionen in Lebensweise und Kultur, in: „Weimarer Beiträge“, 1/1980, 26, S.35-58, hier vor allem S. 45. 6

aufgenommen. Der Soziologe Max Weber beispielsweise, einst Mitglied der Alldeutschen, verstieg sich einmal zu der Formulierung, erst die Deutschen „hätten die Polen aus Tieren zu Menschen gemacht“.10 Die unterschwelligen Spannungen zwischen Polen einerseits, Deutschstämmigen und Vertriebenen andererseits haben jedoch nicht nur historische und sozioökonomische Ursachen, sondern werden auch durch politische Entscheidungen, besonders die polnische Westgrenze betreffend, gefördert. Trotz der Anerkennung der polnischen Westgrenze im Jahre 1990 durch Bonn und Warschau – früher schon im Görlitzer Vertrag von 1950 zwischen der DDR und Polen festgelegt – und trotz des 1970 zwischen Willy Brandt und Józef Cyrankiewicz geschlossenen Warschauer Vertrages gibt es in Polen noch immer Besorgnis über die Sicherheit dieser Grenze. Diese Angst ist durchaus nicht erstaunlich, da Teile der Annexion deutschen Gebietes entsprechend dem Potsdamer Vertrag illegal waren und unter dem Druck Stalins geschahen. So stritten die DDR und Polen seit 1985 um einen Landstreifen in Pommern nördlich von Swinemünde und Szczecin. Dem Potsdamer Vertrag von 1945 zufolge hätten das früher deutsche Stettin und sein westliches Hinterland nicht unter polnische Verwaltung kommen sollen. Aber im September 1945 wurde ein Gebiet von 800 km² mit einer halben Million deutscher Einwohner annektiert. Dies verstieß in der Tat gegen getroffene Vereinbarungen, und im Ergebnis sah Berlin sich von seinem Hafen in Stettin abgeschnitten. Mit der Anerkennung der polnischen Westgrenze im Jahre 1990 schienen die Probleme zwischen Polen und Deutschland beigelegt. Es war jedoch auffallend, dass Bundeskanzler Helmut Kohl die Anerkennung der Grenze ausschließlich als Preis für die deutsche Einheit betrachtete und es ablehnte, sie als Kompensation für das von den Deutschen verursachte polnische Leid zu sehen. Er wäre der letzte, der vor dem polnischen Volk niederknien würde, wie Willy Brandt es in Warschau getan hat. Im Gegenteil, der Bundeskanzler verlangte, dass Polen sich offiziell für die Vertreibung der deutschen Bevölkerung entschuldigen sollte. Auch der im Jahre 1991 von Kanzler Helmut Kohl und Ministerpräsident Jan Krzysztof Bielecki für einen Zeitraum von zehn Jahren unterzeichnete „Vertrag über gute Nachbarschaft und freundschaftliche Zusammenarbeit“, der erstmals die Rechte der deutschen Minderheit in Polen festlegt, konnte das verborgene Unbehagen nicht zerstreuen. In einem Briefwechsel der beiden Außenminister, der die Details des Vertrags regelt, heißt es nachdrücklich: „Dieser Vertrag befasst sich nicht mit Fragen der Staatsangehörigkeit und nicht mit Vermögensfragen“.11 Eine solche Ausdrucksweise trägt dazu bei, dass die Vertriebenen und ihre Nachkommen denken, früher oder später könnten sie ihre ehemaligen Besitztümer zurückfordern, indem sie gegen die jetzigen Eigentümer gerichtlich vorgehen.12 Nicht wenige meinen, dass sie genau wie die Bosnier Opfer von ethnischen Säuberungen sind und sich deshalb auf eine Stufe mit ihnen stellen können. Die deutsche Politik fördert außerdem ein Klima, in dem derartige Ideen gedeihen. Am 29. Mai 1998 wurde im Bundestag eine Resolution angenommen, die die Vertreibung der Deutschen aus den Gebieten östlich der Oder und Neiße als einen Bruch des Völkerrechts bezeichnet und dazu aufruft, die Vertriebenen weiterhin zu unterstützen. Darüber 10

Gregor Schöllgen, Titanisches Bemühen ins Leere. Das Scheitern Max Webers: Was bleibt vom „größten Deutschen“ dieses Jahrhunderts? In: Süddeutsche Zeitung“ (SZ), 22/23.8.1998. 11 Vgl. Dokumentation Deutsch-polnischer Nachbarschaftsvertrag zur Minderheit (Auszüge), in: Urban, a.a.O., S.199-202, hier S.202. 12 Neil Bowdler, Kohl reichte Warschau die Hand der Freundschaft, um Kriegswunden zu heilen … aber die Deutschen schürten alte Ängste, indem sie Anspruch auf Land in Polen erhoben, in: „The Guardian“, 12.6.1998 – Vgl. die Dokumentation des „Resolutionenstreits“ zwischen Bundestag und Sejm in „Blätter“, 8/1998, S.102f. 7

hinaus sollen den Heimatvertriebenen der (damaligen) deutschen Parlamentsmehrheit zufolge alle „europäischen Grundrechte“ garantiert werden, sobald Polen der Europäischen Union beigetreten ist. Sie sollen mit anderen Worten die Möglichkeit erhalten, sich in ihren früheren Wohngebieten niederzulassen. Es ist nicht erstaunlich, dass solche Resolutionen in Polen Anlass zu Besorgnis geben. Am 3. Juli 1998 nahm das polnische Parlament mit klarer Mehrheit einen Antrag an, der diese Politik scharf verurteilte und von „Zweideutigkeiten“ und „gefährlichen Tendenzen“ sprach.13 Nicht nur die Vertriebenen, auch die Deutschpolen hoffen, dass das Gleichgewicht der Kräfte und „Fragen, die die Staatsangehörigkeit und das Vermögen betreffen“ sich zu ihren Gunsten entwickelt. Das „Vereinte Europa“ ist für sie ein magischer Ausdruck; sie setzen große Hoffnungen in die polnisch-deutschen Euro-Regionen mit solch eindrucksvollen Namen wie „Pomerania“, „Spree-Neiße-Bober“, „Pro-Europa Viadrina“ und „Neiße“ – Bezeichnungen, die alle ausgeprägte historische Verbindungen mit Deutschland beschwören. Seit Polen Anfang 1998 von der Europäischen Union ermutigt wurde, die östlichen Grenzen zu schließen, ging der Handel mit den slawischen Brüdern im Osten – Russen, Weißrussen und Ukrainern – deutlich zurück. Vielen Polen zufolge ist man zurzeit weit entfernt von einem „Vereinten Europa“, man hat eher den Eindruck einer „Festung Europa“. Trotz der häufigen Freundschaftsbeteuerungen zwischen Bonn und Warschau sind die deutsch-polnischen Beziehungen noch immer geprägt von unterschwelligen Spannungen historischen, sozioökonomischen und politischen Charakters. Ob das „Vereinte Europa“ zur Lösung dieser Probleme beitragen kann, bleibt offen; eine „Festung Europa“ jedoch wird voraussichtlich alte Animositäten wieder beleben – auch zwischen Polen und Deutschen.14

13

„Alle Fraktionen im Warschauer Parlament einig. Polen attackiert Bonner Vertriebenen-Resolution“, SZ, 4./5.7.1998. 14 1997 war die „Deutsch-Polnische Gesellschaft“ der Auffassung, dass das Verhältnis von deutscher Seite aus einen Tiefpunkt erreicht hätte. Vgl. Polenwitze Kultur? In: SZ, 19.11.1997. 8

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