Zur strafrechtlichen Relevanz von Wertpapierleerverkäufen

July 5, 2017 | Author: Richard Weiß | Category: N/A
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Zur strafrechtlichen Relevanz von Wertpapierleerverkäufen∗ Rechtsanwalt und Fachanwalt für Strafrecht Dr. Gerson Trüg, Lehrbeauftragter an der Universität Tübingen I. Einleitung

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Im Zusammenhang mit der Bewältigung der aktuellen Finanz- und Wirtschaftskrise, die in Folge der Insolvenz der Investmentbank Lehman Brothers Inc. zu starken Kursverlusten bei Banken, Versicherungen und weiteren Finanzdienstleistern führte, besteht weitgehend ein Konsens, dass eine stärkere Kontrolle des Finanzmarktes erforderlich ist. Dabei ist zweierlei zu bedenken: -

Zum einen wurden auch vor dem Hintergrund symbolorientierter Politik einzelne kapitalmarktbezogene Institute als paradigmatisch für das Entstehen und den Verlauf der Finanzkrise gekennzeichnet. Dies gilt - neben Kreditausfallversicherungen (credit default swaps) - vor allem für sog. Leerverkäufe (short sales, Blankoverkauf). So hatten Verantwortliche von Lehman Brothers Leerverkäufer für den ruinösen Vertrauensverlust der Bank an den Börsen verantwortlich gemacht.

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Zum anderen ist zu erwarten, dass sich die strafrechtliche Aufarbeitung der (möglichen) individuellen Vorwerfbarkeit von in der Finanzkrise verantwortlich Handelnden gerade auf diese, als vermeintlich krisenursächlich ausgemachten kapitalmarktbezogenen Institute fokussieren wird.

II. Leerverkäufe (short sales) und deren Erscheinungsformen Folie 3 Über Leerverkäufe wird bereits seit mehr als 400 Jahren berichtet. Erstmals wurden sie in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts in den Niederlanden im Zusammenhang mit dem Tulpenhandel als strukturelle Erscheinung beschrieben. Der Leerverkäufer (bzw. short seller, Baissier, Kontermineur, Blankoverkäufer) von Wertpapieren, Waren, Devisen, Optionen oder Future-Kontrakten (im folgenden: Wertpapiere etc.) hofft, bei sinkenden Kursen einen Gewinn zu erzielen, indem er sich mit den durch ihn geschuldeten Wertpapieren erst später zu einem – so seine Hoffnung - gesunkenen Tageskurs eindeckt. Einen Gewinn erzielt der Leerverkäufer mithin dann, wenn es ihm gelingt, sich am Markt mit Wertpapieren einzudecken, die er zuvor (Leerverkauf, short sale) teurer verkauft hatte. Short sales können als sog. Kassageschäft, d.h. als Sofort- oder Spotgeschäft, oder als Termingeschäft durchgeführt werden. Auch Kassageschäfte verpflichten nicht zur sofortigen Leistung, sondern gewähren dafür – international betrachtet je nach Börse – 2-5 Handelstage. Leerverkäufe sind kapitalmarktrechtlich nicht geregelt, damit auch nicht untersagt. Der maximale Gewinn eines Leerverkaufs ist naturgemäß auf den Kurswert der verkauften Anteile begrenzt. Steigt der Kurs entgegen den Erwartungen des Leerverkäufers, so droht ihm selbstredend – zumindest theoretisch - ein betragsmäßig unbegrenzter Verlust. ∗

Vortrag gehalten am 03.08.2009 am Max Planck Institut für ausländisches und internationales Strafrecht, Freiburg, im Rahmen des Summer Program 2009 Criminal Law der IMPRS: Der Vortragsstil wurde beibehalten. Die unterstützenden Folien sind im Anhang beigefügt. Der Verf. hat zum Thema Leerverkäufe publiziert in: Hiebl/Kassebohm/Lilie (Hrsg.), Festschrift für Mehle, 2009, 637 ff.; NJW 2009, 3202 ff. sowie in Lüderssen/Kempf/Volk (Hrsg.), Finanzkrise, Wirtschaftsstrafrecht und Moral. 2010, 290 ff.

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Nach gängiger Definition auch im juristischen Schrifttum soll ein Leerverkauf dann vorliegen, wenn der Verkäufer Wertpapiere etc. im Kassa- oder im Termingeschäft verkauft, welche er nicht hat bzw. nicht besitzt, in der Absicht, sie später billiger erwerben zu können und an der Differenz zwischen Verkaufs- und Kaufpreis (Differenzgeschäft) zu verdienen. Dieses auf die sachenrechtliche Position des Leerverkäufers (Kriterien Eigentum und Besitz) fokussierte Verständnis verstellt indes den Blick auf die Relevanz von Leerverkäufen. Richtigerweise ist die schuldrechtliche Frage konstitutiv, ob der Verkäufer eines Wertpapiers für dieses seinerseits mit seinem Lieferanten bereits einen festen Kaufpreis vereinbart hat (dann kein Leerverkauf) oder ob er sich nach getätigtem Verkauf selbst erst noch am Markt mit einem Lieferanten auf einen Kaufpreis einigen muss (dann liegt ein Leerverkauf vor). Wir bezeichnen dies als wertvariable Verbindlichkeit in der Aktie. Das ist die short-Position. Gleichwohl stütze ich die folgenden Ausführungen auch auf die Def. der h.M., um die Dinge nicht zu verkomplizieren. ⇒ Folie 4: Finanzmarktbezogene Bedeutung von Leerverkäufen

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Leerverkäufe sind Arbitragegeschäfte in der Zeit, d.h. sie führen Angebot und Nachfrage zusammen. Arbitrage: Ausnutzung von Preis- und Kursunterschieden für dasselbe Handelsobjekt an unterschiedlichen Börsen Short seller teilen dem Markt mittelbar ihre Erwartungen mit. Leerverkäufe können als Instrument zur Kurssicherung eingesetzt werden. Short sales erhöhen die Liquidität einer Börse. Je höher die Liquidität der Börse, desto eher entspricht ein einzelner Transaktionspreis einem wirklichen Marktpreis.

1. Eindeckungsalternativen des Leerverkäufers Folie 5 a. Short sale mittels Eindeckung durch Kauf Es ist denkbar, dass der Verkäufer nach Eingehung seiner wertveränderlichen Verbindlichkeit (short sale) eine eigene Kaufverbindlichkeit eingeht, um sich mit den durch ihn geschuldeten Wertpapieren qua Übergabe und Übereignung seitens seines Verkäufers zunächst selbst einzudecken. Nach erfolgter Eindeckung ist der Leerverkäufer in der Lage, seine wertvariable Verbindlichkeit (short-Position) aus dem short sale zu erfüllen. Die banktechnische Abwicklung erfolgt über das Wertpapierdepot des short seller. (Diese Form des short sale kann der Leerverkäufer bei bestehender Liquidität und Bonität zunächst ohne Kapitaleinsatz vornehmen.) Folie 6: Schaubild 1 b. Short sale mittels Eindeckung durch Sachdarlehn (Wertpapierleihe, security lending) Alternativ deckt sich der Leerverkäufer über eine sog. Wertpapierleihe ein, d.h. ein Sachdarlehn (§§ 607 ff. BGB), und verwendet die darlehensweise an ihn übereigneten Wertpapiere dafür, um aus seinem short sale zu erfüllen. Erst zu dem ggf. späten Zeitpunkt der Fälligkeit des Darlehensrückgabeanspruchs muss sich der Leerverkäufer dann am Markt mittels eines Kaufs mit den betreffenden Wertpapieren eindecken (short covering). Der Leerverkäufer kann daher die Eindeckung unter Zwischenschaltung des Sachdarlehns zeitlich strecken. Gegen-

3 über der Erscheinungsform „short sale mittels Eindeckung durch Kauf“ (vgl. oben II. 1.a.) ist hier mithin ein deutlich längeres Kreditengagement möglich. Folie 7: Schaubild 2 Beachtlich ist bei dieser Alternative, dass es sich um einen short sale auch dann handelt, wenn sich der Leerverkäufer bereits vor Abschluss des short sale im Wege des Sachdarlehns eingedeckt hat.

2. Erscheinungsformen des short sale

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Auch wenn die sachenrechtliche Position des Verkäufers eines Wertpapiers nicht konstitutiv für das Vorliegen eines short sale ist, lassen sich dessen unterschiedlichen Erscheinungsformen wie auch teilweise die strafrechtlichen Implikationen (vgl. unten V.) anhand der Eigentumsposition differenzieren: a. Naked short sale (nackter bzw. ungedeckter Leerverkauf) Hat der Verkäufer zum Zeitpunkt des Vertragschlusses über den Verkauf von Wertpapieren kein Eigentum an denselben, spricht man von einem naked short sale (naked short selling). b. Verkauf „auf Kredit“ Hat der Verkäufer hingegen zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses Eigentum an den Wertpapieren aus einem Wertpapierdarlehn (die Wertpapier“leih“geschäfte müssen vor oder zumindest zeitgleich mit der jeweiligen Transaktion abgeschlossen werden, „gedeckter“ zw. covered short sale) erlangt und übereignet diese Stücke zur Erfüllung seiner Verbindlichkeit aus dem short sale, so liegt hier ein Verkauf „auf Kredit“ vor, weil der Leerverkäufer die offene Verbindlichkeit aus dem Darlehnsvertrag durch einen eigenen Kauf tilgen muss. Ersichtlich kann ein Verkauf „auf Kredit“ auch als naked short sale erfolgen, wenn die Eindeckung mittels Wertpapierdarlehns erst nach Abschluss des short sale erfolgt.

III. Gefahren des short selling und Risikoverteilung

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Bei einem naked short sale und einem gedecktem short sale (nach zuvor getätigtem Wertpapierdarlehn) bestehen für die beteiligten Vertragsparteien strukturell dieselben Gefahren bzw. Risiken, jedoch teilweise für andere Akteure: (1) Bei einem naked short sale trägt der Leerverkäufer das (betragsmäßig grds. unbegrenzte) Risiko des steigenden Kurses und der Käufer das Risiko, dass es dem Leerverkäufer nicht gelingt, sich am Markt mit den geschuldeten Wertpapieren einzudecken. (2) Bei einem gedeckten short sale trägt ebenfalls der Leerverkäufer das (unbegrenzte) Risiko des steigenden Kurses. Hingegen trägt der Wertpapierdarlehnsgeber das Risiko, dass sich der Leerverkäufer nicht am Markt eindecken kann. Die Forderung des Käufers auf Erfüllung des Anspruchs aus § 433 Abs. 1 S. 1 BGB wird hier mit den darlehnsweise übereigneten Wertpapieren durch den Leerverkäufer erfüllt werden. Demgegenüber konnte anhand der jüngeren Finanz- und Wirtschaftskrisen beobachtet werden, dass gerade naked short sales mit Blick auf das Finanzsystem exzessive Preisbewegun-

4 gen entfachten, welche die Stabilität der Finanzmärkte insgesamt (neben den Interessen der Aktionäre und den Unternehmen selbst) gefährdet haben. Aufgrund dieser Preisbewegungen hat die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) als Reaktion auf die gravierende Volatilität an den Finanzmärkten mit Allgemeinverfügung vom 19.09.2008 (auf der Grundlage von § 4 Abs. 1 S. 2 WpHG) erstmals naked short sales über Aktien von insgesamt elf Dax- bzw. M-Dax-notierten Kredit- und Finanzinstituten, Börsenbetreibern und Versicherungsunternehmen untersagt, welche aufgrund ihrer gesamtwirtschaftlichen Bedeutung, ihres Systemrisikos, ihres Börsenwerts oder ihrer Streubesitzquote als besonders schützenswert erscheinen. Auch die Börsenaufsichten anderer Staaten haben mit zum Teil vergleichbaren Regelungen reagiert, namentlich die US-amerikanische SEC. Naked short sales sind deshalb für den Finanzmarkt gefährlicher als gedeckte Leerverkäufe, weil marktbezogen mehr Aktien verkauft werden können, als insgesamt existieren bzw. als insgesamt am Markt erhältlich sind. Dadurch kann ein sog. short squeeze entstehen. Solche Konstellationen des short squeeze führen zu unvorhergesehenen Kursbewegungen, die kein realwirtschaftliches Bild mehr nach- bzw. vorzeichnen. Betroffen von einem derartigen short squeeze war etwa im Oktober 2008 die Volkswagen-Stammaktie, die sich nach der Ankündigung der Porsche Holding SE vom 26.10.2008, weitere Volkswagen-Aktien erwerben zu wollen, zum 28.10.2008 exzessiv (von ca. 240 auf 1005 €) nach oben bewegte. Zu diesem Zeitpunkt waren an der Börse weniger als 5% VW-Aktien im free-float, sodass sich um die erhältlichen Aktien ein Wettrennen zahlreicher Leerverkäufer entfachte, die sich bei ohnehin steigenden Kursen einzudecken hatten. Dies warf den Kurs der Aktie vollständig aus der Bahn. Diese Gefahr besteht beim gedeckten short selling ersichtlich nicht. In diesem Zusammenhang wurden gerade im Zuge der Finanzkrise erneut Vorwürfe laut, dass Unternehmen in systematischer Weise Leerverkäufe von Aktien von Konkurrenzunternehmen ohne tatsächliche Verkaufsabsicht getätigt hätten, um deren Aktienkurs negativ zu beeinflussen, indem der Markt (scheinbar) mit Aktien geflutet wird, was ggf. bis zur Insolvenz des betroffenen Unternehmens führen kann (abusive naked short selling): Die SEC definiert: „Although abusive „naked“ short selling is not definied in the federal securities laws, it refers generally to selling short without having stock available for delivery [objektives Merkmal = einfacher naked short sale] and intentionally failing to deliver stock within the standard threeday settlement cycle [subjektives Merkmal = abusive naked short sale].“ Auch abgesehen von einem Insolvenzrisiko liegen die Gefahren für ein Unternehmen durch (abusive) naked short selling auf der Hand. Investoren werden sich zurückhaltend geben, wenn am Markt eine Vielzahl von Wertpapieren dieses Unternehmens zum Verkauf anstehen und umgekehrt kann durch massive Leerverkäufe erreicht werden, dass auch Dritte ihre Wertpapiere veräußern in der Annahme, hinter den nicht also solchen erkannten (Leer-) Verkäufen stehe die Einschätzung, das Wertpapier sei überbewertet. Das Vertrauen in das betroffene Unternehmen schwindet. Zudem entsteht ein systemisches Risiko für den Kapitalmarkt insgesamt. Das „abusive“ naked short selling unterscheidet sich von dem einfachen ungedeckten Leerverkauf in dem subjektiven Merkmal der fehlenden Erfüllungswilligkeit:

IV. Zum realwirtschaftlichen Bezug von Leerverkäufen

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Im Folgenden soll untersucht werden, ob und ggf. welchen realwirtschaftlichen Bezug short sales haben. Hätten short sales keinen realwirtschaftlichen Bezug, so wären regulierende

5 Maßnahmen umso eher zu erwarten und zu rechtfertigen. Hier wird auf den sachenrechtlichen Ansatz der h.M. rekurriert, um die im Schrifttum erörterten Argumente darstellen zu können. In den Blick zu nehmen sind sog. Hedge-Geschäfte (Absicherungsgeschäfte) (≠ HedgeFonds). Hedge-Geschäfte dienen der Sicherung vor Preis- oder Währungsschwankungen, sollen also einer Kursbeeinflussung entgegenwirken. So kann ein Termingeschäft über eine bestimmte Ware, Wertpapier etc. über einen Leerverkauf derselben Ware, Wertpapier etc. abgesichert werden. Es handelt sich hierbei um einen im internationalen Wirtschaftsverkehr alltäglichen und nützlichen Vorgang. Folgendes Beispiel mag dies illustrieren: Beispiel: Eine Konzerngesellschaft im USD-Raum beschließt eine Dividende, die zwei Monate später an die Muttergesellschaft, die im EUR-Raum beheimatet ist, gezahlt werden soll. Um Währungsschwankungen zu vermeiden, wird die Muttergesellschaft die USD (=zu erwartende Dividende) auf Termin zu einem festen, zum Zeitpunkt des Kaufvertrags vereinbarten Wechselkurses (USD/EUR) leer verkaufen und die USD dann liefern, wenn die Tochtergesellschaft die Dividende tatsächlich leistet. Aufgrund des fest vereinbarten Wechselkurses steht für die Muttergesellschaft bereits zum Zeitpunkt des Termin(leer)verkaufs fest, welchen EUR-Betrag sie für die Dividende erhalten wird. Ein Wechselkursrisiko besteht nicht. Neben einer Forderung aus Dividenden werden freilich auch Forderungen aus Lieferung und Leistung dergestalt abgesichert. Ferner bei Preisschwankungen bei Rohstoffpreisen. Anders verhält es sich mit Leerverkäufen in Form des spekulativen naked short selling. Deren Einsatz als Absicherung scheidet aus. Bei dieser Erscheinungsform liegt es auf der Hand, dass sie nur als Spekulation auf einen zukünftigen Preisrückgang eingesetzt werden (so in Form des „einfachen“ naked short selling) oder - jeweils in der Form des „abusive“ naked short selling - als Instrument dafür, den Kurs eines anderen Unternehmens negativ zu beeinflussen, ebenfalls aus Gründen der Spekulation in Bezug auf dessen Aktien, oder aus Gründen des (falsch verstandenen) Wettbewerbs, um dieses Unternehmen wirtschaftlich in die Insolvenz zu treiben.

V. Zur strafrechtlichen Relevanz von Leerverkäufen 1. Betrug, § 263 StGB

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Betrug scheidet sowohl hinsichtlich des „Normalfalles“ eines gedeckten Leerverkaufs wie auch eines naked short sale aus. Es mangelt bereits am Tatbestandsmerkmal der Täuschung (über Tatsachen). Der Verkäufer einer Sache, auch eines Wertpapiers, erklärt und verpflichtet sich, dem Käufer die Sache zu übergeben und Eigentum an ihr zu verschaffen. Die Fähigkeit in Bezug auf diese Leistung wird erklärt. Dies beinhaltet die schlüssige Aussage des Verkäufers, er sei willens und in der Lage, seine kaufvertraglichen Pflichten zu erfüllen (Erfüllungswilligkeit und Erfüllungsfähigkeit). Hingegen erklärt er gerade nicht, auch nicht konkludent, er sei Eigentümer einer Sache. (1) Die vorstehenden Ausführungen zeigen, dass eine Täuschung bei einem durch eine anfängliche Wertpapierleihe unterlegten Leerverkauf (gedeckter Leerverkauf) bereits auf den ersten Blick ausscheidet, weil der Leerverkäufer hier Eigentümer (qua Übereignung auf der Grundlage eines Sachdarlehns) der durch ihn veräußerten Wertpapiere ist. Eine Täuschung ist auch nicht darin zu sehen, dass der Leerverkäufer insgeheim auf fallende Kurse hofft, weil bei

6 einem Kaufvertrag weder ein bestimmter Zweck noch ein bestimmtes Motiv durch den Verkäufer erklärt wird. Auch eine Pflicht des Verkäufers zur Offenbarung seiner Motive ist nicht gegeben. Ferner ist eine Täuschungshandlung auch nicht darin zu erblicken, dass der short seller durch effektive Verkäufe auf den Börsenpreis einwirken kann, weil er auch in soweit nicht über Tatsachen täuscht. (2) Aber auch in der Konstellation des einfachen (=non-abusive) naked short sale liegt grds. keine betrugsrelevante Täuschung, weil mit Abschluss des Kaufvertrages – wie bereits erwähnt - nicht konkludent (mit-) erklärt wird, bereits zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses Eigentümer der Wertpapiere zu sein. Eine derartige Erklärung wird nicht Inhalt des Vertrages, kann daher auch nicht qua Auslegung nach der Verkehrsauffassung normativ zugerechnet werden. Indem sich der Leerverkäufer nach Vertragsschluss am Markt eindeckt, ist er ersichtlich auch in der Lage, zu erfüllen. Eine Täuschung entfällt auch dann. (3) Nähere Betrachtung bedarf die Konstellation des abusive naked short selling. Wie dargelegt wurden gerade auf dem US-amerikanischen Finanzmarkt Vorwürfe laut, dass Leerverkäufe systematisch durchgeführt würden ohne tatsächlichen Verkaufswillen der short seller, mit dem Ziel, negativen Einfluss auf den jeweiligen Aktienkurs zu nehmen. Hierin ist eine Täuschung zu erblicken, weil der Verkäufer bei einem Kaufvertragsschluss konkludent erklärt, zur Erfüllung seiner Pflichten willens zu sein (Erfüllungwilligkeit). Auch ist ein korrespondierender Irrtum auf Seiten des Käufers gegeben. Ebenso liegt eine Vermögensverfügung vor, indem sich der Käufer durch den Kaufvertrag zur Zahlung des vereinbarten Kaufpreises verpflichtet. Regelmäßig fehlt es jedoch an einem Vermögensschaden, es sei denn, der Käufer wäre vertraglich zur Vorleistung verpflichtet. Ist dies nicht der Fall, wurde also Erfüllung Zug-um-Zug vereinbart, so liegt eine Vermögensschädigung nicht vor, auch keine Vermögensgefährdung, weil der Käufer die Zahlung zurückbehalten, d.h. Erfüllung Zug-um-Zug verlangen kann. Selbst dann, wenn im Wege des abusive naked short selling der Markt tatsächlich (nicht nur scheinbar, mangels Erfüllungswilligkeit) mit bestimmten Wertpapieren geflutet werden sollte, läge hierin kein Betrug, weil der Verkauf eines Wertpapiers nicht die Erklärung enthält, dass dessen Kurs konstant bleibt. Zusammenfassend ist festzuhalten, dass Leerverkäufe in struktureller Hinsicht keinen Betrug gem. § 263 StGB darstellen. Die Ausführungen haben aber gezeigt, dass die Beeinflussung des Marktes durch die Konstellation des abusive naked short selling einer näheren Untersuchung bedarf, insbesondere mit Blick auf die Strafvorschrift der Marktmanipulation.

2. Verbot der Markmanipulation, §§ 38 Abs. 2, 39 Abs. 1 Nr. 1, 2, 20a Abs. 1 WpHG Folie 12 Als geschütztes Rechtsgut der Straf- und Ordnungswidrigkeitentatbestände des WpHG ist das Vertrauen der Marktteilnehmer in die Zuverlässigkeit und Wahrheit der Preisbildung an den Börsen anzusehen. § 20a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 – 3 WpHG enthält drei Verbotstatbestände: § 20a. Verbot der Marktmanipulation. (1) Es ist verboten, 1. unrichtige oder irreführende Angaben über Umstände zu machen, die für die Bewertung eines Finanzinstrumentes erheblich sind, oder solche Umstände entgegen bestehenden Rechtsvorschriften zu verschweigen, wenn die Angaben oder das Verschweigen geeignet sind, auf den inländischen Börsen- oder Marktpreis eines Fi-

7 nanzinstrumentes oder auf den Preis eines Finanzinstrumentes an einem organisierten Markt in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union oder in einem anderen Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum einzuwirken, 2. Geschäfte vorzunehmen oder Kauf- oder Verkaufaufträge zu erteilen, die geeignet sind, falsche oder irreführende Signale für das Angebot, die Nachfrage oder den Börsen- oder Marktpreis von Finanzinstrumenten zu geben oder ein künstliches Preisniveau herbeizuführen oder 3. sonstige Täuschungshandlungen vorzunehmen, die geeignet sind, auf den inländischen Börsen- oder Marktpreis eines Finanzinstrumentes oder auf den Preis eines Finanzinstrumentes an einem organisierten Markt in einem anderen Mitgliedsstaat der Europäischen Union oder in einem anderen Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum einzuwirken. Die Nr. 1 des § 20a Abs. 1 Satz 1 WpHG regelt den klassischen Fall der Marktmanipulation. Es geht um unrichtige oder irreführende Angaben, die der Betreffende macht, um auf den Börsenkurs einzuwirken. Die Nr. 2 des § 20a Abs. 1 Satz 1 WpHG untersagt das irreführende Verhalten am Markt durch Geschäfte, Kauf- oder Verkaufsaufträge. Schließlich enthält die Nr. 3 der Regelung einen Auffangtatbestand, in dem sonstige Täuschungshandlungen verboten werden, die geeignet sind, auf die Börsen- oder Marktpreisbildung eines Finanzinstrumentes einzuwirken. Die Nr. 2 des § 20a Abs. 1 Satz 1 WpHG nimmt tatsächliche Handelsaktivitäten in den Blick. Erfasst sind Geschäfte, also Käufe oder Verkäufe, und Kauf- oder Verkaufsaufträge. Die Erscheinungsform der Leerverkäufe wird im Schrifttum zum Teil unter Nr. 2 des § 20a Abs. 1 Satz 1 WpHG erörtert, zum Teil unter dessen Nr. 3. Folie 13 Als Ausgangspunkt unserer Überlegungen ist davon auszugehen, dass der Leerverkäufer sowohl eines gedeckten Leerverkaufs als auch eines einfachen (= non-abusive) naked short sale zwar auf sinkende Kurse hofft, insoweit jedoch, vorbehaltlich anderer Erscheinungsformen des Leerverkaufs, auf die sogleich einzugehen sein wird, kein Geschäft vornimmt, welches auch nur geeignet wäre, „falsche oder irreführende“ Signale gem. Nr. 2 zu geben. Das einzige durch den Leerverkäufer in der gängigen Form des short sale ausgesandte Signal ist der Verkauf von Wertpapieren. Dieses ist weder falsch noch irreführend. Auch ist darin keine „Täuschungshandlung“ gem. Nr. 3 der Norm zu sehen. Hier kann auf die obigen Ausführungen zum Betrugstatbestand (V. 1.) verwiesen werden. Etwas anderes gilt jedoch nach hier vertretener Auffassung für die Konstellation des abusive naked short selling. Konstitutiv für diese Variante in Abgrenzung zum „einfachen“ naked short selling war das durch die SEC herausgearbeitete subjektive Merkmal, wonach Leerverkäufe systematisch durchgeführt werden ohne tatsächlichen Verkaufswillen der Leerverkäufer (fehlende Erfüllungswilligkeit). Weil der Verkäufer eines Wertpapiers, zwanglos abgeleitet aus § 433 Abs. 1 Satz 1 BGB, neben seiner Erfüllungsfähigkeit auch seine Erfüllungswilligkeit zum Zeitpunkt der Fälligkeit jedenfalls konkludent ausdrückt, ist bei fehlendem tatsächlichem Verkaufswillen von einer Täuschung auszugehen. So gesehen gibt der Leerverkäufer in der Konstellation des abusive naked short selling ein „irreführendes“ Signal ab. Kennzeichnend für abusive naked short selling ist weiter gerade das Ziel, den jeweiligen Kurs zu manipulieren. Diese Erscheinungsform ist daher geeignet, irreführende Signale gerade für den Bör-

8 sen- oder Marktpreis zu geben. Nach hier vertretener Auffassung fällt die Konstellation des abusive naked short selling damit unter die Nr. 2 des § 20a Abs. 1 Satz 1 WpHG. Schlägt sich das abusive naked short selling dann auch noch in der Kursbildung nieder, so liegen die Voraussetzungen für eine Strafbarkeit gem. § 38 Abs. 2 iVm §§ 39 Abs. 1 Nr. 1, 20a WpHG vor.

3. Verbot von Insidergeschäften, §§ 38 Abs. 1 Nr. 1, 14 Abs. 1 Nr. 1 WpHG Folie 14 Bei den Überlegungen zur strafrechtlichen Relevanz von Leerverkäufen ist auch die Strafvorschrift des Verbots von Insidergeschäften in den Blick zu nehmen. Auch wenn die Vorschriften der §§ 38 Abs. 1 Nr. 1 iVm. § 14 Abs. 1 Nr. 1 WpHG die Leerverkäufe nicht expressis verbis einer Regelung unterziehen, können Insiderinformationen im Sinne von § 13 WpHG – eine entsprechende Motivation bzw. einen entsprechenden Vorsatz vorausgesetzt – ersichtlich Anreiz zu Leerverkäufen sein. Als Insidergeschäft wird allgemein der Kauf oder Verkauf öffentlich gehandelter Wertpapiere unter Verwendung kursrelevanter Informationen verstanden, die nicht allgemein, sondern nur wenigen Personen bekannt sind. Die Strafvorschrift der §§ 38 Abs. 1 Nr. 1, 14 Abs. 1 Nr. 1 WpHG liest sich wie folgt: § 38. Strafvorschrift. (1) Mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer 1. entgegen § 14 Abs. 1 Nr. 1 ein Insiderpapier erwirbt oder veräußert […] § 14. Verbot von Insidergeschäften. (1) Es ist verboten, 1. unter Verwendung einer Insiderinformation Insiderpapiere für eigene oder fremde Rechnung oder für einen anderen zu erwerben oder zu veräußern. […]. Folie 15 Es ist offensichtlich, dass solche Tatsachen, welche die weiteren in § 13 Abs. 1 Satz 1 WpHG genannten Informationen erfüllen, Umstände sein können, welche Hinweise auf sinkende Kurse geben. Dies kann etwa der Fall sein bei erheblichen außerordentlichen Aufwendungen oder Risiken (etwa Aufdeckung strafbaren Verhaltens aus der Mitte des Unternehmens), Verdacht auf Bilanzmanipulation, Ankündigung der Verweigerung des Jahresabschlusstestats durch den Wirtschaftsprüfer, drohende oder bereits eingetretene Insolvenzreife, Kündigung von Lizenz- oder Nutzungsverträgen etc. Die Liste ist beinahe beliebig fortsetzbar. Solche Insiderinformationen, die sinkende Kurse erwarten lassen, können ersichtlich Anreiz für Leerverkäufe sein. Wird beispielsweise eine bestimmte Aktie an einem bestimmten Tag zu einem Kurs von 100 gehandelt und liegen dem Betroffenen (= künftiger Leerverkäufer) Insiderinformationen vor, wonach der Kurs dieser Aktie aufgrund eines Ereignisses, welches zwei Tage später publiziert werden wird, wohl zu einem sinkenden Kurs führen wird, so besteht ein wirtschaftlicher Anreiz sogleich einen Leerverkauf zu 100 je Aktie zu tätigen und die Eindeckung, gleich ob im Wege des Kaufs oder des Wertpapierdarlehens, zu einem Zeitpunkt zu tätigen, zu dem der Kurs gesunken ist, etwa auf 70. Die Insiderinformation dient dem Leerverkäufer in diesem Beispiel dazu, den sinkenden Kurs als Voraussetzung für einen Gewinn mit relativer Sicherheit prognostizieren zu können.

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Eine Strafbarkeit wegen des Verstoßes gegen das Verbot von Insidergeschäften ist mit jeder Erscheinungsform des Leerverkaufs, sei es als covered short sale, sei es als naked short sale, möglich. Entscheidend ist einzig, dass sich der Leerverkäufer erst nach Publizität des für das Unternehmen und damit dessen Aktienkurs negativen Ereignisses, sei es mittels Kauf, sei es mittels Wertpapierdarlehen, eindecken muss/kann. Die Erscheinungsform des abusive naked short selling ist hier nicht gesondert zu beurteilen, weil das für den Erfolg des Leerverkaufs konstitutive Ereignis, der sinkende Kurs, bereits aufgrund der Insidertatsache eintreten wird. Freilich kann abusive naked short selling den Kursverlust verstärken.

4. Verleitung zu Börsenspekulationsgeschäften, §§ 49, 26 BörsG Folie 16 Schließlich ist anlässlich unserer Überlegungen zur strafrechtlichen Relevanz von Leerverkäufen an die Vorschrift der Verleitung zu Börsenspekulationsgeschäften, §§ 49, 26 BörsG, zu denken. Die §§ 49, 26 BörsG stellen das Verleiten einer Person zu Börsenspekulationsgeschäften unter Strafe, soweit das Opfer hinsichtlich des in Rede stehenden Geschäfts unerfahren ist und der Täter dies ausnutzt: § 49 Strafvorschriften. Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer entgegen § 26 Abs. 1 andere zu Börsenspekulationsgeschäften oder zu einer Beteiligung an einem solchen Geschäft verleitet. § 26. Verleitung zu Börsenspekulationsgeschäften. (1) Es ist verboten, gewerbsmäßig andere unter Ausnutzung ihrer Unerfahrenheit in Börsenspekulationsgeschäften zu solchen Geschäften oder zur unmittelbaren oder mittelbaren Beteiligung an solchen Geschäften zu verleiten. (2) Die Börsenspekulationsgeschäfte im Sinne des Abs. 1 sind insbesondere 1. An- oder Verkaufsgeschäfte mit aufgeschobener Lieferzeit, auch wenn sie außerhalb einer inländischen oder ausländischen Börse abgeschlossen werden, 2. Optionen auf solche Geschäfte, die darauf gerichtet sind, aus dem Unterschied zwischen dem für die Lieferzeit festgelegten Preis und dem zur Lieferzeit vorhandenen Börsen- oder Marktpreis einen Gewinn zu erzielen. Diese Strafvorschrift dient dem Schutz des Vermögens von Personen, die in Börsenspekulationsgeschäften unerfahren sind. Geschütztes Rechtsgut ist das Vermögen. Freilich setzt die strafbewehrte Verleitung zu Börsenspekulationsgeschäften keinen Vermögensschaden voraus. Es handelt sich um ein abstraktes Vermögensgefährdungsdelikt. In Bezug auf Leerverkäufe gilt: Bereits die Legaldefinition des Börsenspekulationsgeschäfts in § 26 Abs. 2 BörsG zeigt, dass Leerverkäufe aufgrund ihrer Gewinnträchtigkeit bei fallenden Kursen (vgl. dazu oben, II. et III.) den durch den Gesetzgeber intendierten Spekulationscharakter aufweisen können. Dies gilt jedoch nicht generell. Namentlich bei dem Abschluss eines Leerverkaufs zu Zwecken der Absicherung im Sinne eines Hedge-Geschäfts (vgl. oben, IV.), also bei einem Leerverkauf, bei dem der Verkäufer fest damit rechnet, dass er seine Lieferverpflichtung zum Zeitpunkt der Fälligkeit wird erfüllen können, scheidet ein Spekulationscharakter von vorne herein aus. Anders ist dies bei einem Leerverkauf ohne realwirtschaftlichen Bezug. Gerade Konstellationen

10 des naked short selling haben insoweit hochspekulativen Charakter und sind geeignet, die Voraussetzungen eines Börsenspekulationsgeschäfts zu erfüllen. Folie 17 Für die Frage der Strafbarkeit gem. §§ 49, 26 BörsG im Zusammenhang mit einem short sale ist danach zu unterscheiden, ob die unerfahrene Person auf der Verkäufer- oder auf der Käuferseite steht: (1) Das Verleiten eines anderen zu einem Leerverkauf (unerfahrene Person auf der Verkäuferseite) kann wegen des im short sale selbst liegenden unbegrenzten Risikos – bei Vorliegen der weiteren tatbestandsmäßigen Voraussetzungen - eine Strafbarkeit gem. §§ 49, 26 BörsG begründen. Diese Konstellation wird in praxi eher selten vorkommen. (2) Davon zu trennen ist jedoch die Durchführung eines Leerverkaufs (etwa einer Option) an eine „unerfahrene“ Person (unerfahrene Person auf der Käuferseite). Diese Konstellation wird häufiger als die unter (1) dargestellte vorliegen. Hier wird eine Strafbarkeit gem. §§ 49, 26 BörsG häufig am Tatbestandsmerkmal der „Unerfahrenheit“ des Verleiteten „in Börsenspekulationsgeschäften“ bzw. am Schutzzweck der Norm scheitern. Dies erklärt sich wie folgt: Voraussetzung für die Unerfahrenheit ist, dass die verleitete Person in Folge fehlender Einsicht die Tragweite des konkreten Spekulationsgeschäfts in seiner ganzen Bedeutung nicht verlässlich überblicken kann, wobei es auf die Verhältnisse des Einzelfalls ankommt. Jedoch ist hinsichtlich der Frage der Unerfahrenheit nicht darauf abzustellen, ob der Käufer erkennt oder erkennen kann, dass es sich auf Seiten des Verkäufers um einen short sale handelt. Denn für den Käufer birgt der short sale wie gezeigt (vgl. oben sub III.) keine marktspezifischen bzw. – bezogen auf das jeweilige Börsengeschäft – typenspezifische Risiken. Das Risiko des Käufers, dass der Verkäufer nicht erfüllen kann, weil er sich am Markt nicht eindecken konnte bzw. – im Falle des abusive naked short selling – nicht eindecken wollte, stellt lediglich dann eine Vermögensgefährdung dar, wenn der Käufer zur Vorleistung verpflichtet ist. Andernfalls wird er Erfüllung Zug-um-Zug verlangen, sodass eine Vermögensgefährdung nicht gegeben ist, weil der Käufer die Zahlung des Kaufpreises verweigern wird. Hat der Käufer vorgeleistet, so besteht jedenfalls in der Konstellation des abusive naked short selling zwar eine Vermögensgefährdung konkreter Natur. Insofern – und das ist entscheidend - hat der abusive naked short seller aber nicht „unter Ausnutzung“ der „Unerfahrenheit“ des Käufers gehandelt wie dies §§ 49, 26 BörsG fordern. Vielmehr hat der abusive naked short seller im Sinne einer betrugsrelevanten Täuschung (vgl. oben, V. 1.) agiert und beim Käufer einen korrespondierenden Irrtum erregt, der sich nicht auf die Unerfahrenheit in Börsenspekulationsgeschäften bezieht, sondern auf die täuschungsbedingte Unkenntnis von der tatsächlich fehlenden Erfüllungswilligkeit des Verkäufers. Ein solcher Irrtum ist jedoch richtigerweise nicht vom Schutzzweck der Norm des Straftatbestandes Verleitung zu Börsenspekulationsgeschäften (§§ 49, 26 BörsG) umfasst.

VI. Zusammenfassung und Ausblick Folie 18

11 Leerverkäufe stehen im Fokus kapitalmarktbezogener Überlegungen. Konstitutiv für short sales ist der Umstand, dass sich dieser nach Abschluss des Kaufvertrages am Markt eindecken muss (offene wertvariable Verbindlichkeit in der Aktie). Als Eindeckungsgeschäft kommt ein Kauf oder eine Wertpapierleihe in Betracht. Anhand der Eigentümerposition lassen sich hingegen die Erscheinungsformen des Leerverkaufs differenzieren. Short sales können ein gängiges Finanzinstrument mit unmittelbarem realwirtschaftlichem Bezug sein. So konnte gezeigt werden, dass Hedge-Geschäfte in der Realwirtschaft in Form von Terminleerverkäufen betriebswirtschaftlich notwendig sind, um Preis- bzw. Währungsunsicherheiten zu vermeiden. Anders ist dies bei spekulativen naked short sales. Diese weisen keinen realwirtschaftlichen Bezug auf. Wesentliche Gefahren können durch Leerverkäufe hingegen - neben Risiken für die betroffenen Aktionäre bzw. Unternehmen - für das Finanzsystem insgesamt entstehen. Verantwortlich für solche Risiken zeichnen die spekulativen naked short sales, weil diese – anders als die gedeckten Leerverkäufe – kein realwirtschaftliches Bild nach- bzw. vorzeichnen, indem sie in Bezug auf die am Markt erhältliche Stückzahl an Wertpapieren ohne Bezug zur Realität sein können. Dabei sind insbesondere die Gefahren, die von der Erscheinungsform des abusive naked short selling ausgehen, hervorzuheben. Hierbei handelt der bzw. handeln die Leerverkäufer ohne tatsächliche Verkaufsabsicht und mit der Intention, den Aktienkurs des betroffenen Unternehmens negativ zu beeinflussen. Es wird also gerade ein negativer realwirtschaftlicher Effekt angestrebt. Abusive naked short selling ist als Wildwuchs des (einfachen) naked short selling zu sehen. Insgesamt ist zu konstatieren, dass das Risiko von Marktstörungen bei der Erscheinungsform des naked short selling signifikant höher ist als covered short sales. Bei letztgenannter Figur sind marktbezogene Störungen praktisch ausgeschlossen. Die Darstellung der strafrechtlichen Relevanz von Leerverkäufen hat gezeigt, dass Betrug gem. § 263 StGB – jedenfalls strukturell gesprochen – selbst bei der Variante des abusive naked short selling ausscheidet. Im Zentrum der strafrechtlichen Überlegungen steht die Vorschrift des Verbots der Marktmanipulation (§§ 38 Abs. 2, 39 Abs. 1 Nr. 1, 2, 20a Abs. 1 WpHG). Hier war zu sehen, dass gedeckte und „einfache“ ungedeckte Leerverkäufe nicht tatbestandsmäßig sind, weil es an „falschen oder irreführenden Signalen“ (Nr. 2) bzw. an einer „sonstigen Täuschungshandlung“ (Nr. 3) fehlt. Hingegen fällt die Form des abusive naked short selling richtigerweise unter § 20a Abs. 1 Nr. 2 WpHG, weil die fehlende Erfüllungswilligkeit gerade ein „irreführendes Signal“ für den Börsen- oder Marktpreis begründet und sich in der Kursbildung niederschlägt. Weiter wurde deutlich, dass das strafbewehrte Verbot von Insidergeschäften gem. §§ 38 Abs. 1 Nr. 1, 14 Abs. 1 Nr. 1 WpHG mittels jeder Variante des short sale, gleich ob „gedeckt“ oder „ungedeckt“, verwirklicht werden kann. Das Vorliegen einer Insiderinformation stellt einen erheblichen Anreiz für short selling da. Abgerundet wurden unsere strafrechtlichen Überlegungen durch die Untersuchung der Verleitung zu Börsenspekulationsgeschäften (§§ 49, 23 BörsG). Hier ist zu differenzieren: Wird eine in Börsenspekulationsgeschäften unerfahrene Person zu einem Leerverkauf verleitet, so liegt eine Strafbarkeit wegen Verstoßes gegen §§ 49, 26 BörsG wegen des im short sale begründeten unbegrenzten finanziellen Risikos nahe. Anders ist dies bei einem Leerverkauf an eine unerfahrene Person. Leerverkäufe bergen für den Käufer keine spezifischen Risiken, sodass für die Frage der Strafbarkeit auf das dem short sale zugrundeliegende Börsengeschäft abzustellen und zu prüfen ist, ob in Bezug auf dieses Rechtsgeschäft die tatbestandlichen Voraussetzungen der §§ 49, 26 BörsG vorliegen.

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Mit dem de lege lata vorhandenen strafrechtlichen Instrumentarium kann Leerverkäufen in einer Weise begegnet werden, dass eine „Konzentration der Strafbarkeit auf handfeste Rechtsgutsverletzungen“ gewährleistet ist. Namentlich die Konstellation des abusive naked short selling ist strafrechtlich erfasst. Hingegen ist das realwirtschaftlich sachdienlich und notwendige Instrument der Hedge-Geschäfte ohne weiteres zulässig. Eine Notwendigkeit für den Gesetzgeber, de lege ferenda tätig zu werden, ist nicht ersichtlich. Folie 19

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