Universität Konstanz Fachbereich Psychologie. Systemische Therapie und Beratung

May 23, 2017 | Author: Ruth Rothbauer | Category: N/A
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Universität Konstanz Fachbereich Psychologie

Ausarbeitung des Referates zum Seminar „Grundzüge der Mediation für Juristen und Psychologen“ Wintersemester 2012/13

Thema:

Systemische Therapie und Beratung

von Claudia Lukoschek Dozent: Klaus Harnack

Konstanz im März 2013

1. Definition Systemische Therapie ist eine Form der Psychotherapie die sich mit Interaktionsund Beziehungsmustern, mit individuellen oder familiären Sichtweisen und Bewertungen beschäftigt, welche das Denken, Fühlen und Handeln von Personen bestimmt. Eine weitere Definition wäre: Systemische Therapie ist ein Verfahren bei dem der systemische Therapeut einen Prozess zur Problemlösung in Gang setzt und aufrecht erhält, durch welchen die Klienten in die Lage versetzt werden, ihre eigenen Probleme zu lösen. Für die systemische Arbeit ist von Interesse, wie Systeme aufgebaut sind, nach welchen Regeln sie sich organisieren und verhalten und welche Wechselwirkungen in ihnen ablaufen.

2. Theorie Im Folgenden soll der theoretische Hintergrund der Systemischen Therapie kurz skizziert werden. Die erkenntnistheoretische Grundlage im Systemischen Denkmodell ist der Konstruktivismus, vor allem der „Radikale Konstruktivismus“, wie ihn Ernst von Glaserfeld, Heinz von Foerster, Humberto Maturna, Francisco Varela und der Psychoanalytiker Paul Watzlawick begründet haben. Die Kernaussage des „Radikalen Konstruktivismus“ ist, dass eine Wahrnehmung kein Abbild einer bewusstseinsunabhängigen Realität liefert, sondern dass Realität für jedes Individuum immer eine Konstruktion aus Sinnesreizen und Gedächtnisleistungen (Erfahrungen) darstellt. Deshalb ist Objektivität im Sinne einer Übereinstimmung von wahrgenommenem (konstruiertem) Bild und Realität unmöglich. Jede Wahrnehmung ist vollständig subjektiv. Im Rahmen der systemischen Erkenntnistheorie bedeutet dies, dass es „das System“ nicht gibt. Ein System ist immer etwas, das nur in Beziehung zum Beobachter gesehen werden kann. Glaserfeld (1997) vertritt die Auffassung, dass die Vorstellungen, die wir uns von der Realität machen, systemintern

von

unserem

psychischen

System

in

Verbindung

mit

dem

Nervensystem und dem sozialen System entstehen und wir diese nur mit anderen Vorstellungen vergleichen können, die wir bereits entwickelt haben. Nie können wir

sie aber mit der Realität selbst vergleichen. Nach Watzlawick ist die Wirklichkeit das Ergebnis von Kommunikation, die in einem System ausgeführt wird. Die Mitglieder eines Systems produzieren sich also durch Kommunikation ihre eigene subjektive Wirklichkeit. Es gibt somit keine ewige, objektive Wirklichkeit und Wahrheit, sondern im Sinne des „Radikalen Konstruktivismus“ gibt es nur unterschiedliche Wirklichkeitsauffassungen. In der systemischen Therapie wird versucht, diese subjektive Wirklichkeit des Systems oder des Einzelnen im System deutlich zu machen und die daraus resultierenden Wechselwirkungsprozesse darzustellen.

3. Elemente der Systemischen Therapie Nachfolgend werden einzelne Elemente der Systemischen Therapie kurz dargestellt. 3.1 System In der systemischen Therapie sind verschiedene Formen sozialer Systeme denkbar, wie zum Beispiel der Einzelne, ein Paar, eine Familie, ein Team, eine Gruppe (Kirchengemeinde, Schulklasse) oder eine Organisation (Unicef). In sozialen Systemen gelten spezifische Vereinbarungen darüber, wer zum System gehört, welche

Regeln

im

System

gelten,

welche

Sichtweisen

und

Bewertungen

angenommen werden, wie kommuniziert wird und welche Wechselwirkungen und Interaktionen bestehen. Durch diese Vereinbarungen grenzt sich das System nach außen (zu seiner Umwelt, zu anderen Systemen) ab, es erfährt dadurch seine eigene Identität und eine Sinngebung. Eine Person kann Mitglied in mehreren Systemen sein, zum Beispiel in einer Paarbeziehung, in der Familie, im Team am Arbeitsplatz. 3.2 Auftragsklärung Das Erstinterview beginnt mit der Klärung des Überweisungskontextes, danach erfolgt eine kurze Exploration des Problems des Klienten. Ausführlicher fragt der systemische Therapeut dann nach den Erwartungen, die der Klient von der Therapie hat und nach den Vorstellungen zur Lösung des Problems. Der Auftrag zur Hilfe bei der Lösung des Problems muss ganz klar vom Klienten an den Therapeuten gestellt werden, vorher wird nicht mit der Therapie begonnen. Nach der Auftragsvergabe

erfolgt die Absprache bezüglich des weiteren Vorgehens, wobei der Klient die Ziele bestimmt, sofern sie grundsätzlich erreichbar sind. 3.3 Neutralität (Allparteilichkeit) Eine neutrale Haltung des systemischen Therapeuten würdigt die Ambivalenz des Klienten und ermöglicht diesem, selbst Entscheidungen zu treffen. Dadurch wird der Klient als Person ernst genommen und respektiert. Er merkt, dass man ihm zutraut, selbst den richtigen Weg zu finden und Verantwortung für sich zu übernehmen. Es werden mehrere Formen der Neutralität unterschieden: 3.3.1 Konstruktneutralität Unter Konstruktneutralität versteht man Allparteilichkeit des Therapeuten in Bezug auf Beschreibungen, Erklärungen und Bewertungen, welche der Klient schildert. Der Therapeut bleibt völlig wertfrei gegenüber bestimmten Inhalten der Kommunikation, bestimmten Sichtweisen und bestimmten Bedeutungs- und Sinngebungen. 3.3.2 Beziehungsneutralität Unter Beziehungsneutralität versteht man die Allparteilichkeit des Therapeuten im Hinblick auf die Beziehungen zu den einzelnen Klienten. Einladungen zur Parteinahme, zur Koalition oder zur Allianz mit einzelnen Klienten werden nicht angenommen. 3.3.3 Veränderungsneutralität Veränderungsneutralität bedeutet Allparteilichkeit im Hinblick auf das präsentierte Problem/Lösung, indem eine Einladung zur einseitig positiven oder negativen Bewertung, zur Kontrolle oder zur Bekämpfung des präsentierten Problems/Lösung ausgeschlagen wird.
 
 3.4 Lösungsorientiertheit In der systemischen Therapie steht die angestrebte Lösung des Problems im Vordergrund. Die Schilderung des Problems hat eine untergeordnete Bedeutung und kann auf ein Minimum beschränkt bleiben. Der Schwerpunkt des systemischen Arbeitens liegt darauf , den Zusammenhang, die Wechselwirkung und die Muster von problematischen Weisen des Denkens, Handelns und Fühlens herauszuarbeiten. Probleme werden aufgefasst als Interaktionsphänomene des Einzelnen mit anderen

oder auch mit sich selbst, die oft auch einen Sinn haben, den es zu würdigen und nicht zu pathologisieren gilt. Es besteht die zentrale Annahme, dass jedes System bereits über alle Ressourcen verfügt, die es zur Lösung seiner Probleme benötigt – es nutzt sie nur derzeit nicht. Das Ziel ist es, die Ressourcen aufzufinden und zu aktivieren. Das Problem ist also Nebensache, der Fokus liegt auf der Konstruktion von Lösungen. 3.5 Systemisches Fragen Systemisches Fragen ist eine Technik zur Informationsgewinnung und zur Informationsgenerierung. Es gibt verschiedene Formen des Fragens, einige werden im Folgenden aufgezeigt. 3.5.1 Zirkuläres Fragen Die grundlegende Überlegung dieser Methode ist, dass in einem sozialen System alles gezeigte Verhalten immer auch als kommunikatives Angebot verstanden werden kann. Das bedeutet, dass Verhaltensweisen, Symptome, Gefühlsausdruck nicht nur als im Menschen ablaufende Ereignisse zu sehen sind, sondern sie haben auch immer eine Funktion in den wechselseitigen Beziehungsdefinitionen. Daher kann es interessanter sein, diese kommunikativen Bedeutungen sichtbar zu machen, anstatt die Person, welche die Signale aussendet ausführlich nach ihren Empfindungen zu befragen. In Bezug auf den gezeigten Gefühlsausdruck, die Symptome oder die Verhaltensweisen interessiert beim Zirkulären Fragen wie jedes Mitglied des Systems diese versteht, welche Erwartungen und Beobachtungen damit verbunden sind und wie darauf reagiert wird. Ein Beispiel: Sabine weint, Klaus nimmt dies wahr. Der systemische Therapeut fragt nicht die weinende Sabine : “Wie fühlst Du dich?“, sondern er fragt Klaus : „ Was denkst Du, wie Sabine (die Weinende) sich fühlt?“ Eine weitere Möglichkeit wäre, die weinende Sabine zu fragen: „ Was denkst Du, was Dein Weinen für Klaus bedeutet?“ Eine andere Möglichkeit wäre die Frage an eine dritte Person, welche auf die Beziehung von zwei anderen schaut. Zum Beispiel: „ Was denkst Du Martin, was es bei Deinem Vater auslöst, Deine Mutter weinen zu sehen?“ Mit dieser Fragetechnik wird Information gesammelt und sichtbar gemacht, es entsteht oftmals neue Information im System. Sabine erhält Information über die mögliche Bedeutung ihres Weines für Klaus. Klaus erhält Hinweise über die

möglichen Intentionen von Sabine, beide erhalten Rückmeldung über ihre Beziehung aus

der

Sicht

von

Martin.

Durch

das

Angebot

zum

Einnehmen

einer

Außenperspektive auf das eigene soziale System werden bei allen Beteiligten Sichtweisen und Denkprozesse angeregt. Es werden eventuell bestehende unrichtige Vermutungen übereinander abgeklärt, es kann eine wohltuende Klärung über bestehende Missverständnisse erfolgen. 3.5.2 Lösungsorientierte Fragen In der systemischen Therapie wird sehr schnell die Suche nach Erfahrungen und Ideen aufgenommen, welche neue Möglichkeiten jenseits des Problems eröffnen. Verschiedene Fragetypen werden hier kurz vorgestellt: 3.5.2.1 Fragen nach Ausnahmen vom Problem Bei diesem Fragetyp wird ein Vergleich von Problem-Zeiten mit Nicht-Problem-Zeiten vorgenommen. - Wie oft (wie lange, wann, wo) ist das Problem nicht aufgetreten? -Was haben Sie und andere in diesen Zeiten anders gemacht? -Wie haben Sie es da geschafft, das Problem nicht auftreten zu lassen? -Wie könnten sie mehr von dem machen, was Sie in Nicht-Problem-Zeiten gemacht haben? 3.5.2.1 Fragen nach Ressourcen – unabhängig vom Problem Bei den Ressourcen-Fragen werden Lebensbereiche beleuchtet, mit denen die Klienten zufrieden sind, wo sie sich wohl und kompetent fühlen - nicht nur im Vergleich mit den Problemsituationen. - Was möchten Sie in Ihrem Leben gern so bewahren wie es ist? - Was gefällt Ihnen an sich selbst (an Ihrem Partner, an Ihrer Familie)? 3.5.2.2 Die Wunderfrage Die Wunderfrage hat den Effekt, dass es für den Klienten unverbindlich ist , Veränderungen zu phantasieren, er muss sich nicht für die Realisierung verantwortlich fühlen. Zum anderen stellt der Klient häufig fest, dass er nach dem Wunder schlichte, handfeste Tätigkeiten machen würde. Das Repertoire für die Zeit nach dem Wunder ist praktisch schon vorhanden.

-„Wenn das Problem durch ein Wunder über Nacht weg wäre: Woran könnte man erkennen, dass es passiert ist?“ Wichtig ist die genaue Erfragung, was nach dem Wunder geschieht: -Wer würde als erstes erkennen, dass das Wunder über Nacht geschehen ist und woran? 3.5.3 Problemorientierte Frage 3.5.3.1 Verschlimmerungsfrage Durch die Verschlimmerungsfrage wird deutlich, wie Probleme aktiv erzeugt und aufrecht erhalten werden. Im Umkehrschluss wird klar was man unterlassen könnte, um das Problem loszuwerden. -Was könnten Sie tun, um Ihr Problem absichtlich zu verschlimmern, zu behalten oder zu verewigen? Interaktionspartner können einbezogen werden. -Wie könnten die anderen Ihnen dabei helfen, Ihr Problem zu behalten?

4. Systemische Therapie und Mediation Welche Verbindung besteht nun zwischen systemischer Therapie und Mediation? In der Mediation sollen Streitigkeiten außergerichtlich gelöst werden, die streitenden Parteien suchen neue alternative Wege, um ihre Konflikte zu beseitigen. Der Mediator leitet dabei den Mediationsprozess als neutraler Dritter und unterstützt eine Konfliktlösung, bei der die Interessen aller beteiligten Personen oder Gruppen gleichermaßen

berücksichtigt

werden.

Als

Alternative

zu

langjährigen,

kostenspieligen und energiezehrenden Gerichtsprozessen soll in der Mediation eine Kurzzeit-Konfliktlösung erarbeitet werden, die für alle beteiligten Personen eine WinWin-Situation zum Ziel hat. Es geht um das Erreichen einer bestmöglichen Lösung und Erreichung oder Erhaltung einer guten Beziehung ohne unnötige Streitbelastung der beteiligten Parteien. Die Aufgabe des Mediators ist es, einen Prozess zur Konfliktlösung in Gang zu bringen und zu halten, so wie dies auch der Auftrag des systemischen Therapeuten ist. Der Mediator nimmt dabei Haltungen ein, wie sie in der systemischen Therapie und Beratung zu finden sind. Der Mediator verhält sich absolut neutral gegenüber den Personen der verschiedenen Parteien und drückt damit seinen Respekt und seine Wertschätzung gegenüber allen Beteiligten aus.

Ebenso bleibt er neutral gegenüber Ansichten, Meinungen und Erklärungen der Klienten, sowie auch gegenüber Vorschlägen zur Lösungsgenerierung. Die Mediation ist lösungsorientiert, was bedeutet, dass der Mediator nicht lange auf die Schilderung des Problems eingeht, sondern die Generierung von möglichen Lösungen ist das Kernthema des Mediationsprozesses. Auch dieser Zusammenhang findet sich in der Systemischen Therapie wieder. Bei der Generierung der Lösungen bedient sich die Mediation der Techniken des Systemischen Fragens. Es wird das Zirkuläre Fragen und das Lösungsorientierte Fragen angewendet, Fragen nach den Ausnahmen vom Problem, nach Ressourcen, die Wunderfrage und auch die Verschlimmerungsfrage werden eingesetzt. Zusammenfassend könnte man sagen, dass innerhalb der Mediation das Prinzip der systemischen Therapie als Technik zur Lösung der Konflikte eingesetzt wird. Im Gesamtablauf der Mediation käme die systemische Technik vor allem nach der ausführlichen Interessensammlung zum Einsatz, nämlich ab dem Zeitpunkt ab dem die Lösungen generiert werden.

5. Quellen von Glaserfeld, Ernst (1998). Radikaler Konstruktivismus: Ideen, Ergebnisse, Probleme. Berlin: Suhrkamp-Verlag. von Schlippe, Arist, Schweitzer, Jochen (2007). Lehrbuch der systemischen Therapie und Beratung. Göttingen: Vandenhoeck&Ruprecht-Verlag. Ruf, Gerhard Dieter (2005). Systemische Psychiatrie. Stuttgart: Klett-Cotta-Verlag.

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