Systemische Mastozytose eine seltene Ursache einer fortgeschrittenen Osteoporose beim Mann

March 2, 2018 | Author: Catharina Richter | Category: N/A
Share Embed Donate


Short Description

1 Der interessante Fall 56 Systemische Mastozytose eine seltene Ursache einer fortgeschrittenen Osteoporose beim Mann F....

Description

56

Der interessante Fall

Systemische Mastozytose – eine seltene Ursache einer fortgeschrittenen Osteoporose beim Mann F. Jockers1; M. E. Kraenzlin1,2; C. Kraenzlin2; C. Meier1,2 1Klinik für Endokrinologie, Diabetologie und Metabolismus, Universitätsspital Basel, Schweiz; 2Endokrinologische Praxis & Labor, Basel, Schweiz

Fallbeschreibung Der 56-jährige Patient Herr K. wird aufgrund einer linksseitigen Malleolarfraktur nach einem Bagatelltrauma bei seinem Hausarzt im Januar 2006 vorstellig. Bekannt sind zu diesem Zeitpunkt BWKFrakturen aus dem Jahr 1986 nach einem Verhebetrauma sowie traumatisch bedingte BWK-Frakturen 1998 und 2005. Der Patient präsentiert sich in einem guten Allgemein- und Ernährungszustand (BMI 25 kg/m2). Er verspürt seit jeher zwar keine Rückenschmerzen, wirkt aber seiner schlechten Haltung mit gezieltem Krafttrai-

Abb. 1

ning entgegen. Seit sechs Jahren besteht eine arterielle Hypertonie (behandelt mit Amlodipin und Valsartan). Zuzüglich zu den genannten Wirbelkörperfrakturen (BWK-9-Fraktur, Deckplattenimpressionen BWK 10 und BWK 11) zeigen sich konventionell radiologisch Deckplattenimpressionen sämtlicher Lendenwirbelkörper sowie spondylarthrotische Veränderungen (▶ Abb. 1). Densitometrisch lassen sich verminderte Mineralgehaltswerte am proximalen Femur (T-Score –2,6 SD) nachweisen, aufgrund degenerativer Wirbelsäulenveränderungen und vorbestehender LWK-Frakturen wird der Mineralgehalt

Radiologischer Nachweis multipler Wirbelkörperdeformitäten (BWS/LWS)

der Lendenwirbelsäule überschätzt (L1-L3, T-Score –2,3 SD). Bei neu diagnostizierter Osteoporose wird der Patient zur weiteren Abklärung und Behandlung einem endokrinologischen Facharzt zugewiesen. In der gezielten Abklärung stellt sich heraus, dass bei Herrn K. 30 Jahre zuvor die Diagnose eines α-Antitrypsinmangels gestellt wurde, der bereits bei seinem Großvater diagnostiziert worden war. Hinweise für eine sekundäre Osteoporoseursache ergeben sich vordergründig nicht, insbesondere finden sich kein Hypogonadismus, kein Hyperparathyreodismus und kein Vitamin-D-Mangel. Aus der Familie lässt sich keine erhöhte Frakturgefährdung eruieren. Der Patient raucht ein bis zwei Zigaretten und trinkt 0,5 Liter Bier pro Tag, gelegentlich Wein. Die Einnahme von Medikamenten, die den Knochenstoffwechsel ungünstig beeinflussen könnten (inklusive Steroide) wird verneint. Erwähnenswert ist ein seit mehreren Jahren bestehendes, nicht juckendes Exanthem am Stamm und an den Extremitäten. Allergien sind keine bekannt, der Patient berichtet jedoch über eine „feuchte Stirn“ nach dem Genuss von rohen Äpfeln. Die Ergebnisse des erweiterten Basislabors sind in ▶ Tabelle 1 zusammengefasst. Bemerkenswert sind die Befunde eines gesteigerten Knochenumbaus (knochenspezifische alkalische Phosphatase) sowie eine dreifach erhöhte Tryptasekonzentration im Serum (36,2 μg/l, Norm 1,0 – 13,5 μg/l). In der ergänzend durchgeführten Beckenkammbiopsie bestätigt sich der Verdacht auf eine systemische Mastozytose mit einer Knochenmarkinfiltration durch Mastozyten (5–8 %) und immunhistochemisch multifokalen Tryptase-positiven Mastzellinfiltraten (Positivität für CD25) (▶Abb. 2). Der Dermatologe attestiert bioptisch, dass es sich beim makulopapulösen Exanthem um eine Urticaria pigmentosa handelt (▶ Abb. 3).

© Schattauer 2014

Osteologie 1/2014 Downloaded from www.osteologie-journal.de on 2017-01-16 | IP: 37.44.207.94 For personal or educational use only. No other uses without permission. All rights reserved.

57

F. Jockers et al.: Systemische Mastozytose – seltene Ursache einer fortgeschrittenen Osteoporose beim Mann

Tab. 1

Laborparameter bei Diagnosestellung und im Verlauf unter antiresorptiver Therapie Norm

Mai 2006

März 2013

CRP

< 5 mg/l

Kalzium

2,15–2,62 mmol/l

2.40

2.43

Kreatinin

25 ng/ml

34,6

41,0

Kalzium/Kreatinin (Urin)

0,1–0,32 mM/mM

Testosteron

10–36 nmol/l

33,0

Tryptase

1,0–13,5 μg/l

36,2

Diese Befunde erbringen den Nachweis einer systemischen Mastozytose als Ursache der fortgeschrittenen Osteoporose. Eine Bisphosphonattherapie (Alendronat, 70 mg wöchentlich) in Kombination mit einer Kalzium- und Vitamin-D-Supplementation (500 mg Kalzium, 400 IU Vitamin D) wird eingeleitet. Fünf Monate nach Beginn der antiresorptiven Therapie zeigt sich laborchemisch ein günstiges Therapieansprechen (knochenspezifische alkalische Phosphatase, βCTX). Der Patient präsentiert sich im Verlauf in gutem Allgemeinzustand, ist beschwerdefrei ohne Rückenschmerzen und ohne signifikante Körpergrößenabnahme. In der densitometrischen Verlaufskontrolle im Frühjahr 2008 ergibt sich am proximalen Femur ein stabiler Befund mit Zunahme des Mineralgehaltes um vier Prozent (T-Score –2,2 SD). Das Röntgen der LWS und BWS zeigt im Vergleich zur Voruntersuchung keine Veränderung. Eine Organomegalie kann ebensowenig nachgewiesen werden. Aufgrund im Verlauf neu aufgetretener lumbaler Rückenschmerzen und linksseitiger Hüftschmerzen ist der Patient nur noch reduziert arbeitsfähig. Der Hausarzt intensiviert die Osteoporosetherapie und stellt die Behandlung zunächst auf ein parenterales Bisphosphonat (Ibandronat 3 mg i. v., dreimonatlich) um, ab 2011 erfolgt eine Behandlung mit Denosumab (60 mg subkutan, sechsmonatlich). Bei einer erneuten Knochenmarkpunktion zeigen sich histologisch geringe

3,1

0,285

0,437

1,0

0,192

0,715

Abb. 2 Mastozytose mit Ansammlung von Mastzellen mit typischer metachromer Reaktion der Mastzellgranula im Zytoplasma (Knochenmarkspunktion, Toluidinblau-Färbung)

75,3

CD117-positive Spindelzellinfiltrate. In der molekularbiologischen Untersuchung fällt die Probe positiv für die aktivierende Mutation KITD816V aus. Im Frühjahr 2013 wurde Herr K. zur endokrinologischen Nachkontrolle vorstellig. Der Patient berichtet über eine Zunahme der Urticaria pigmentosa. Aufgrund der dermatologischen Verschlechterung und des vor allem im Winter ausgeprägten Pruritus erfolgt eine regelmäßige PUVA (orales Psoralen plus UVA)-Therapie, zusätzlich nimmt er bei Bedarf Levocetirizin ein. Die Zunahme der Tryptase-Konzentration im Serum (75,3 μg/l) weist laborchemisch auf einen progredienten Krankheitsverlauf hin. Entgegen diesem Befund zeigt sich in der ergänzend durchgeführten Knochenmarkpunktion ein normozelluläres trilinär durchgereiftes Knochenmark mit durch die Mastozytose unveränderter Infiltrationsrate (5–8 %). Der densitometrische Verlauf im Frühjahr 2013 am proximalen Femur ist stabil (T-Score –1,8 SD), unter fortgesetzter Behandlung mit Denosumab liegen die Knochenumbauparameter im tiefnormalen Bereich. Bei knapper enteraler Kalziumzufuhr (450 mg/d) wird die Kalzium- und Vitamin-D-Supplementation fortgesetzt.

Diskussion Die Mastozytose ist eine klonale Erkrankung der pluripotenten hämatopoetischen

Abb. 3

Urticaria pigmentosa

CD34+-Stammzelle mit einem heterogenen klinischen Erscheinungsbild. Normalerweise verlassen Mastzellen-Vorläufer im Gegensatz zu anderen myeloischen Zellen vor ihrer Reifung das Knochenmark. In Gefäß- und Nervennähe siedeln sie sich vor allem in den Schleimhäuten und dem Bindegewebe der Haut, der Atemwege und des Gastrointestinaltrakts an. Unter dem Einfluss lokaler Wachstumsfaktoren differenzieren sie dort zu reifen Mastzellen. Der stem cell factor (SCF) spielt als Ligand für den Wachstumsrezeptor und gleichzeitiges Protoonkogen KIT (CD117) eine Schlüsselrolle (1). Bei der systemischen Mastozytose kann in 95 % eine Punktmutation an der Stelle D816V im Exon 17 nachgewiesen werden,

Osteologie 1/2014

© Schattauer 2014 Downloaded from www.osteologie-journal.de on 2017-01-16 | IP: 37.44.207.94 For personal or educational use only. No other uses without permission. All rights reserved.

58

F. Jockers et al.: Systemische Mastozytose – seltene Ursache einer fortgeschrittenen Osteoporose beim Mann

Tab. 2

Symptome und Klinik der systemischen Mastozytose (8)

Beschwerden

Symptome und Klinik

gastrointestinal

Abdominalschmerzen, Diarrhö, Übelkeit, Erbrechen, gastrointestinale Blutung, Magenulkus, Malabsorption

hautassoziiert

Urticaria pigmentosa, Pruritus, Flushing

kardiovaskulär

Tachykardie, Synkope, Anaphylaxie

ZNS

Kopfschmerzen, organisches Psychosyndrom

muskuloskelettal

Knochenläsionen, Knochenschmerzen

konstitutionell

Schwäche, Fatigue, generelle Malaise

Atemsystem

untere Atemwege, Rhinitis

bei der anstelle des Aspartats an Position 816 der Kinase-Domäne Valin steht. Dies hat eine SCF-unabhängige und konstitutive Autoaktivierung von CD117 zur Folge (2, 3) und somit eine unkontrollierte Proliferation von Mastzellen in einem oder mehreren Organen. In der WHO-Klassifikation werden zwei Hauptformen unterschieden: die kutane Mastozytose (CM), die sich auf die Haut begrenzt sowie die systemische Mastozytose (SM), die als eine Mastzellakkumulation in mindestens einem extrakutanen Organ definiert wird (1, 4). Die kutane Mastozytose wird in der Regel bei Kleinkindern diagnostiziert. Die Krankheit ist jedoch in der Mehrheit bis zum Erwachsenenalter spontan regredient. Demgegenüber leiden erwachsene Patienten oft an einer systemischen Mastozytose, die sie ihr Leben lang begleitet (5). Die systemische Mastozytose ist eine heterogene Gruppe, die aus mehreren Untergruppen besteht: Mit zwei Dritteln aller Fälle stellt die indolente systemische Mastozytose (ISM) die größte Subgruppe dar, an der auch unser Patient erkrankt ist. Die systemische Mastozytose mit assoziierter

Tab. 3

klonaler hämatologischer Nicht-Mastzellerkrankung (SM-AHNMD) ist mit 25 bis 30 Prozent die zweithäufigste Untergruppe. Weit weniger häufige Subvarianten der systemischen Mastozytose sind die aggressive systemische Mastozytose (ASM), die Mastzellleukämie (MCL), das Mastzellsarkom und das extrakutane Mastozytom. Symptome der Mastozytose stellen sich ein als Folge der Gewebsinfiltration von Mastzellen oder werden ausgelöst durch die Mediatorausschüttung der Mastzellen. Dabei sind die betroffenen Organe und das Ausmaß der Mastzelleninfiltration für die klinische Ausprägung und die morphologische Erscheinung entscheidend (6). In den meisten Fällen von systemischer Mastozytose weist eine Urticaria pigmentosa auf die Erkrankung hin (7). Diese charakteristischen rötlich-braunen, makulopapulösen pigementierten Hautveränderungen treten vor allem am Rumpf und an den Oberschenkeln auf (▶ Abb. 3). Weitere Zeichen der Mastzellinfiltration in Organen sind Anämie, Leukopenie, Thrombopenie, Malabsorption, Hepato- und Splenomegalie, Lymphadenopathie sowie Knochenläsionen (8). Gemäß Akin finden sich bei 10 bis

30 Prozent der Patienten mit systemischer Mastozytose eine Osteopenie bzw. Osteoporose (9). Mediatorassoziierte Symptome können u. a. zu Bauchschmerzen, Übelkeit, Diarrhö, Flushing, Tachykardie, Synkope bis hin zur Anaphylaxie führen (▶ Tab. 2 für ausführliche Symptomenliste) (8). Sie basieren auf der Freisetzung von Mediatoren wie Histamin, Zytokinen, Wachstumsfaktoren, Proteasen und Heparin. Trigger dieser Symptome sind nicht nur IgE-vermittelt, sondern können sich auch in Form von Medikamenten, Allergenen oder Insektenstichen präsentieren oder werden durch weniger spezifische Faktoren wie z. B. körperliche Anstrengung, Temperaturextreme oder Nahrungsmittel ausgelöst (10). Bei Herrn K. weist die feuchte Stirn nach dem Essen von rohen Äpfeln auf ein solch mediatorassoziiertes Symptom hin. Die Diagnose einer systemischen Mastozytose kann gestellt werden, wenn gemäß WHO-Kriterien ein Hauptkriterium und ein Nebenkriterium oder drei Nebenkriterien erfüllt werden (▶ Tab. 3) (1). Im Gegensatz zu vorliegender Krankengeschichte ist das für die systemische Mastozytose typische Exanthem meist das erste Anzeichen der Krankheit. Bei Verdacht auf eine systemische Mastozytose bietet sich an, den Tryptasewert im Serum zu ermitteln. Die Tryptase ist eine Mastzellenprotease, die die Mastzellenbelastung des Körpers widerspiegelt und mit der Mastzelleninfiltration im Knochenmark korreliert. Ein Wert von mehr als 20 ng/mL (Norm < 13,5 ng/mL) entspricht einem der von der WHO definierten Nebenkriterien für die systemische Mastozytose (11). Der Tryptasewert ist jedoch nicht nur bei der systemischen Mastozytose erhöht, sondern

WHO-Kriterien der systemischen Mastozytose (1) Kriterien

Hauptkriterium Nebenkriterien

Kompakte, multifokale Mastzellinfiltrate (15 oder mehr Mastzellen in Aggregationen) im Knochenmark und/oder einem anderen extrakutanen Organ und bestätigt durch Anti-Tryptase-Antikörper-Färbung oder andere spezifische Färbungen.

• Tryptase im Serum anhaltend > 20 ng/ml (es sei denn, es liegt zusätzlich eine myeloisch klonale Störung vor, in dessen Falle dieser Parameter nicht gültig ist).

• In der Knochenmarkbiopsie oder der Biopsie eines anderen extrakutanen Organs sind mehr als 25 % der im Infiltrat enthaltenen Mastzellen spindelförmig.

• Mastzellen exprimieren CD2 und/oder CD25 im Knochenmark, im Blut oder anderen extrakutanen Organen. • Nachweis einer KIT-Punktmutation im Codon 816 im Knochenmark, Blut oder einem anderen extrakutanen Organ. © Schattauer 2014

Osteologie 1/2014 Downloaded from www.osteologie-journal.de on 2017-01-16 | IP: 37.44.207.94 For personal or educational use only. No other uses without permission. All rights reserved.

59

F. Jockers et al.: Systemische Mastozytose – seltene Ursache einer fortgeschrittenen Osteoporose beim Mann

auch bei anderen myeloischen Neoplasien wie beispielsweise der akuten oder chronischen myeloischen Leukämie (12). Bei kutaner Mastozytose ist der Tryptasewert in der Regel normal oder nur leicht erhöht. Der wichtigste Schritt, um den Verdacht einer systemischen Mastozytose zu erhärten, ist eine Knochenmarkbiopsie. Der Beweis einer kompakten, multifokalen Mastzellinfiltration mit Bestätigung durch eine der geläufigen Färbungen stellt gemäß WHO-Leitlinien das Hauptkriterium der Diagnose dar (13, 14). Mit derselben Knochenmarkbiopsie kann auch die Morphologie der Mastzellen untersucht werden: Sind mehr als 25 % der Mastzellen spindelförmig oder exprimieren die Mastzellen CD25, sind dies wie auch der Nachweis einer KIT-Punktmutation weitere Nebenkriterien einer systemischen Mastozytose (13). Da zur Zeit keine kurative Therapie der Mastozytose zur Verfügung steht, sollte sich die Behandlung nach den patientenspezifischen Symptomen richten (15). Bestehen mediatorassoziierte Symptome, so muss über mögliche Trigger aufgeklärt werden (15). Der vorliegende Fall demonstriert auf eindrückliche Weise, dass nichttraumatischen Frakturen nachgegangen und diese umfassend abgeklärt werden müssen. Da eine Osteoporose beim Mann generell immer noch ein wenig beachtetes Problem ist, bleiben nicht nur Folgefrakturen mehrheitlich unbehandelt, auch die eigentliche Ursache wird nicht diagnostiziert. Mögliche Risikofaktoren einer Osteoporose gilt es abzuklären. Zudem sollte wie bei jeder Anamnese der Allgemeinzustand, Begleiterkrankungen sowie eventuelle Medikamenteneinnahmen festgehalten werden. Nicht zu vergessen sind die Fragen nach körperlichen Aktivitäten, Ernährungsgewohnheiten und der Familienanamnese hinsichtlich einer Osteoporose. Neben einer konventionellen Röntgenuntersuchung zur Dokumentation der Wirbelkörperdeformitäten stellt die Durchführung einer Densitometrie Teil der Basisabklärung dar. Im Gegensatz zu postmenopausalen Frauen sind sekundäre Ursachen einer Osteoporose beim Mann häufig (in ca. 50 %). Die häufigsten sekundären Ursachen und gleichzeitig Indikatoren für eine

weiterführende Diagnostik der Densitometrie sind u. a. ein Hypogonadismus, ein Hyperkortisolismus bzw. eine Langzeitsteroidtherapie (16, 17). Auch bereits erlittene nichttraumatische Frakturen wie bei Herrn K. sind wichtige Risikofaktoren für das Auftreten weiterer Frakturen. In einer Studie von Delling et al. mit 12 689 Beckenkammbiopsien bei bekannter Osteoporose belief sich der Anteil der Patienten mit Mastozytose zwar nur auf 1,25 % (158 Biopsien) (18), doch kann davon ausgegangen werden, dass die Prävalenz aufgrund der Unkenntnis der vorliegenden Krankheit und der hohen Prozentzahl der als primäre und idiopathische Osteoporose vermuteten Fälle (gemäß Ebling et al. 40 %) (19) weitgehend unterdiagnostiziert ist. Dies umso mehr, da zum Beispiel die indolente systemische Mastozytose (ISM), die größte Untergruppe der systemischen Mastozytose, verschiedenen Quellen zufolge zwischen 10 und 54 % nicht von einer Urticaria pigmentosa begleitet wird, was die Diagnose erheblich erschwert (20, 21). In einer Studie eruierten van der Veer et al., dass die Prävalenz osteoporotischer Frakturen bei ISM-Patienten ohne Urticaria pigmentosa sogar signifikant höher ausfiel als bei ISM-Patienten mit Urticaria pigmentosa (59 % zu 28 %) (22). Diese Erkenntnis wird durch die Studie von Seitz et al. mit 300 Patienten gestützt, bei der die Prävalenz von osteoporotischen Frakturen bei Patienten ohne Hautexanthem im Gegensatz zu Patienten mit Hautexanthem ebenfalls signifikant erhöht war (44 % zu 21 %) (23). Die Prävalenz der von Mastozy-

Der interessante Fall In der Rubrik „Der interessante Fall“ wählen Frau Prof. Dr. Heide Siggelkow und Herr Prof. Dr. Andreas Roth für Sie außergewöhnliche und lehrreiche Fallbeispiele aus der osteologischen Praxis aus. Möchten Sie ebenfalls eine besondere Kasuistik in der Osteologie vorstellen? Oder einen Fall zur Diskussion stellen? Schildern Sie uns den Verlauf oder schicken Sie uns Ihr Manuskript (Vorschläge und Beiträge bitte an die folgende E-MailAdresse: [email protected]).

tose verursachten Osteoporose beläuft sich je nach Studie auf 14–66 % (21). Sie kann zurückgeführt werden auf eine neoplastische Mastzellinfiltration und der daraus folgenden Inhibition der Knochenbildung sowie der lokalen Freisetzung von Mediatoren wie Histamin oder Heparin oder der Zytokine IL-1, IL-6 und TNF-alpha durch aktivierte Mastzellen (21). Mediatoren und Zytokine stellen wichtige Regulatoren der Knochenresorption dar (24, 25), indem sie die Osteoklastenaktivität fördern (2). Interessanterweise stellte Seitz et al. in seiner retrospektiven Analyse von 159 Patienten mit ISM fest, dass nicht nur die Osteoklastenanzahl erhöht ist, sondern auch jene der Osteoblasten (23). Der Stellenwert von Knochenumbauparametern bei Mastozytose ist unklar. Guillaume et al. zeigten, dass die Konzentration von biochemischen Markern der Knochenresorption bzw. -formation bei Mastozytosepatienten signifikant erhöht sind (26). So korrelierten die Spiegel des C-terminalen Telopeptides (βCTX) und der knochenspezifischen alkalischen Phosphatase im Serum (bzw. der DPD-Konzentration im Urin) eng mit der Schwere der Erkrankung bzw. dem Tryptasespiegel im Serum. Rossini et al. berichteten etwa von erhöhten sowie auch erniedrigten Werten von Knochenumbaumarkern (knochenspezifische alkalische Phosphatase, βCTX, Osteokalzin) bei ISM-Patienten (21). So war auch in vorliegendem Fall die CTX-Konzentration im Serum vor der antiresorptiven Behandlung trotz adäquater Testbedingungen normwertig. Interessanterweise konnten van der Veer et al. in ihrer Studie mit 154 Mastozytosepatienten aufzeigen, dass Männer unter 50 Jahren mit 46 % bzw. über 50 Jahren mit 73 % eine viel höhere Prävalenz bzgl. Frakturen als Frauen aufweisen (18 % bzw. 58 %). Dabei korrelierten Alter und männliches Geschlecht unabhängig voneinander mit osteoporotischen Frakturen und/oder densitometrisch definierter Osteoporose (22). Mögliche Hypothesen für die Ursache dieser Differenz sind die unterschiedliche Freisetzung und/oder das Spektrum der Mastzellmediatoren bei den Geschlechtern oder eine geschlechtsabhängige Auswirkungen der Mastzellmediatoren auf den Knochenmetabolismus (27).

Osteologie 1/2014

© Schattauer 2014 Downloaded from www.osteologie-journal.de on 2017-01-16 | IP: 37.44.207.94 For personal or educational use only. No other uses without permission. All rights reserved.

60

F. Jockers et al.: Systemische Mastozytose – seltene Ursache einer fortgeschrittenen Osteoporose beim Mann

Die Behandlung der verschiedenen Manifestationen einer systemischen Mastozytose sollte interdisziplinär erfolgen. Generell besteht die Basistherapie für Histamingenerierte Symptome in H1- und H2Rezeptor-Inhibitoren. Weitere Medikamente, die je nach involvierten Mediatoren und betroffenen Organen eingesetzt werden, sind: Glukokortikoide, Cromoglicinsäure, nichtsteroidale Enzündungshemmer und Leukotrien-Antagonisten. Gegen die bei systemischer Mastozytose typisch auftretenden Hautläsionen können Antihistaminika ausreichend sein. Eine stärkere und effektivere Behandlung stellt die PUVATherapie dar, mit der bei vielen Patienten ein bedeutender Rückgang des Exanthems festgestellt werden konnte (15). Eine Osteoporose bei Mastozytose wird in erster Linie mit antiresorptiv wirkenden Präparaten (Bisphosphonate, Denosumab) behandelt. Seltenerweise kann die Behandlung mit Denosumab mit kutanen Nebenwirkungen einhergehen (28). Da sich unter der Therapie mit Denosumab die Urtikaria bei Herrn K. nicht verschlechtert hat, haben wir die Behandlung auch nach Rücksprache mit den mitbehandelnden Hämatologen unverändert belassen. Sollte der Patient darauf nicht ansprechen, bietet sich Interferon-alpha als potentes zytoreduktives Agens an, das mit einem Abfall der Mastzellenbelastung im Knochenmark und einem gleichzeitig günstigen Effekt auf den Knochenmineralgehalt ausübt. Die Häufigkeit von Nachfolgeuntersuchungen ist abhängig vom Subtyp der systemischen Mastozytose, den mediatorassoziierten Symptomen, Begleiterkrankungen und der angewendeten Therapie. Valent et al. empfehlen bei einer ISM ohne bedeutende medizinische Komplikationen wie bei vorliegendem Fall eine jährliche Überprüfung der Tryptasewerte, des Blutbilds sowie der Leberfunktion. Bei Knochenbeteiligung sind densitometrische Verlaufskontrollen angezeigt (15). Interessenkonflikt

Der korrespondierende Autor gibt an, dass für keinen der Autoren ein Interessenkonflikt besteht.

Literatur 1. Horny HP, Sotlar K, Valent P, Hartmann K. Mastocytosis: a disease of the hematopoietic stem cell. Deutsches Arzteblatt international 2008; 105 (40): 686–692. 2. Metcalfe DD. Mast cells and mastocytosis. Blood 2008; 112 (4): 946–956. 3. Kristensen T, Vestergaard H, Moller MB. Improved detection of the KIT D816V mutation in patients with systemic mastocytosis using a quantitative and highly sensitive real-time qPCR assay. The Journal of molecular diagnostics: JMD 2011; 13 (2): 180–188. 4. Maier GS, Percic D, Maus U, Kurth AA. Mastocytosis-induced osteoporosis. Osteologie 2013; 22 (2): 135–139. 5. Kirshenbaum AS, Kettelhut BV, Metcalfe DD, Garriga MM. Mastocytosis in infants and children: recognition of patterns of skin disease. Allergy proceedings: the official journal of regional and state allergy societies 1989; 10 (1): 17–21. 6. Amon U, Hartmann K, Horny HP, Nowak A. Mastocytosis – an update. Journal der Deutschen Dermatologischen Gesellschaft 2010; 8 (9): 695–711; quiz 712. 7. Soter NA. Mastocytosis and the skin. Hematology/ oncology clinics of North America 2000; 14 (3): 537–555, vi. 8. Bains SN, Hsieh FH. Current approaches to the diagnosis and treatment of systemic mastocytosis. Annals of allergy, asthma & immunology: official publication of the American College of Allergy, Asthma, & Immunology 2010; 104 (1): 1–10; quiz 12, 41. 9. Akin C. Molecular diagnosis of mast cell disorders: a paper from the 2005 William Beaumont Hospital Symposium on Molecular Pathology. The Journal of molecular diagnostics 2006; 8 (4): 412–419. PubMed PMID: 16931579. 10. Castells M, Austen KF. Mastocytosis: mediatorrelated signs and symptoms. International archives of allergy and immunology 2002; 127 (2): 147–152. 11. Sperr WR, Jordan JH, Fiegl M et al. Serum tryptase levels in patients with mastocytosis: correlation with mast cell burden and implication for defining the category of disease. International archives of allergy and immunology 2002; 128 (2): 136–141. 12. Schwartz LB. Diagnostic value of tryptase in anaphylaxis and mastocytosis. Immunology and allergy clinics of North America 2006; 26 (3): 451–463. 13. Horny HP, Sotlar K, Valent P. Mastocytosis: state of the art. Pathobiology: journal of immunopathology, molecular and cellular biology 2007; 74 (2): 121–132. 14. Horny HP, Valent P. Diagnosis of mastocytosis: general histopathological aspects, morphological criteria, and immunohistochemical findings. Leuk Res 2001; 25 (7): 543–551. 15. Valent P, Akin C, Sperr WR et al. Diagnosis and treatment of systemic mastocytosis: state of the art. Br J Haematol 2003; 122 (5): 695–717.

16. Kraenzlin ME, Seibel MJ, Meier C. Diagnostik und Therapie der Osteoporose. Teil 1: Diagnostik und Frakturrisikoevaluation. Schweiz Med Forum 2006; 6: 712–717. 17. Ebeling PR. Osteoporosis in men. New insights into aetiology, pathogenesis, prevention and management. Drugs Aging 1998; 13 (6): 421–434. 18. Delling G, Ritzel H, Werner M. Histologische Charakteristika und Haufigkeit der sekundaren Osteoporose bei systemischer Mastozytose. Eine retrospektive Analyse an 158 Fallen. Der Pathologe 2001; 22 (2): 132–140. 19. Ebeling PR. Clinical practice. Osteoporosis in men. N Engl J Med 2008; 358 (14): 1474–1482. 20. Barete S, Assous N, de Gennes C et al. Systemic mastocytosis and bone involvement in a cohort of 75 patients. Ann Rheum Dis 2010; 69 (10): 1838–1841. 21. Rossini M, Zanotti R, Bonadonna P et al. Bone mineral density, bone turnover markers and fractures in patients with indolent systemic mastocytosis. Bone 2011; 49 (4): 880–885. 22. van der Veer E, van der Goot W, de Monchy JG et al. High prevalence of fractures and osteoporosis in patients with indolent systemic mastocytosis. Allergy 2012; 67 (3): 431–438. 23. Seitz S, Barvencik F, Koehne T et al. Increased osteoblast and osteoclast indices in individuals with systemic mastocytosis. Osteoporos Int 2013; 24 (8): 2325–2334. 24. Chiappetta N, Gruber B. The role of mast cells in osteoporosis. Semin Arthritis Rheum 2006; 36 (1): 32–36. 25. Theoharides TC, Boucher W, Spear K. Serum interleukin-6 reflects disease severity and osteoporosis in mastocytosis patients. International archives of allergy and immunology 2002; 128 (4): 344–350. 26. Guillaume N, Desoutter J, Chandesris O et al. Bone complications of mastocytosis: a link between clinical and biological characteristics. Am J Med 2013; 126 (1): 75 e1–77. 27. Chen W, Beck I, Schober W et al. Human mast cells express androgen receptors but treatment with testosterone exerts no influence on IgE-independent mast cell degranulation elicited by neuromuscular blocking agents. Exp Dermatol 2010; 19 (3): 302–304. 28. Cummings SR, San Martin J, McClung MR et al. Denosumab for prevention of fractures in postmenopausal women with osteoporosis. N Engl J Med 2009; 361 (8): 756–765.

Korrespondenzadresse Priv.-Doz. Dr. med. Christian Meier Klinik für Endokrinologie, Diabetologie und Metabolismus, Universitätsspital Basel Missionsstrasse 24, CH-4055 Basel, Schweiz Tel.: +41 (0) 61/264 97 97, Fax: +41 (0) 61/264 97 96 E-Mail: [email protected] Osteologie 2014; 23: 56-60 eingereicht: 13. September 2013 angenommen: 17. September 2013

© Schattauer 2014

Osteologie 1/2014 Downloaded from www.osteologie-journal.de on 2017-01-16 | IP: 37.44.207.94 For personal or educational use only. No other uses without permission. All rights reserved.

View more...

Comments

Copyright � 2017 SILO Inc.