Selbstinszenierung Jugendlicher in (virtuellen) Kontaktbörsen.

September 1, 2016 | Author: Harry Scholz | Category: N/A
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Autor: Brüggen, Niels/ Hartung, Anja. Titel: Selbstinszenierung Jugendlicher in (virtuellen) Kontaktbörsen. Quelle: Neuß, Norbert/ Große-Loheide, Mike (Hrsg.): Körper. Kult. Medien. Inszenierungen im Alltag und in der Medienbildung. Schriften zur Medienpädagogik 40. Bielefeld 2007, S. 143-152. Verlag: Gesellschaft für Medienpädagogik und Kommunikationskultur. Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung der Autoren.

Niels Brüggen/ Anja Hartung

Selbstinszenierung Jugendlicher in (virtuellen) Kontaktbörsen. Online-Angebote wie Myspace oder Youtube regen aktuell sowohl Feuilletonist/innen als auch Pädagog/innen an, über die Formen der virtuellen Darstellung des Selbst und die daraus resultierenden Folgen zu sinnieren. Im folgenden Beitrag richten wir den Fokus auf eine weitere Form von Online-Angeboten, die bislang weniger im Fokus der Betrachtung stehen: virtuelle Kontaktbörsen.

Medien als zentrale Kommunikations- und Ausdrucksmedien für Jugendliche Ein wichtiger Teilprozess der Persönlichkeitsentwicklung im Jugendalter ist der Ausbau sozialer Beziehungen außerhalb der familiären Nahbeziehungen, das wachsende Interesse an intimen Bindungen und das Erproben erster Liebesbeziehungen. Beziehungen zu Gleichaltrigen bieten einen Raum, in dem „Identitäten“ ausprobiert werden können. Dabei spielt die Darstellung der eigenen Persönlichkeit eine große Rolle, da diese das eigene Selbstbild nach außen kommuniziert und in diesem Zuge Individualität inszeniert werden kann. Zweifellos sind die Medien, ihre Inhalte und die mit ihnen verbundenen Offerten dabei von besonderer Bedeutung. Medien sind ein „wichtiges soziales Referenzsystem“ (Schorb 1995) und „Kontaktmediator“ (Hoffmann 2002) für Jugendliche.

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Verstärkt durch die Entwicklungen neuer Kommunikationstechnologien finden Gemeinschaftserlebnisse immer stärker in medialen Umwelten statt, die eine Bildung überörtlicher Gesellungsformen und Gemeinschaftsbildungen gestattet. Insbesondere das Internet ermöglicht neue Kontakt- und jugendkulturelle Gesellungsformen, die sich kaum mehr in das bisherige Klassifikationsschema von Clique oder Szene einordnen lassen (Tillman, Vollbrecht 2006, S.22). Etikettierte der Begriff ‚Fernsehgeneration’ noch in den 1990er Jahren das Medienverhalten der Jugend, nehmen Computer und Internet heute einen immer breiteren Raum im Leben junger Menschen ein. Wenngleich der Fernseher noch immer das am meisten genutzte Medium im Jugendalter ist, so wird er in der persönlichen Wichtigkeit der Jugendlichen jetzt erstmals durch den Computer vom Spitzenplatz verdrängt. Müssten sich Jugendliche für ein Medium entscheiden, würden den Ergebnissen der JIM (2006) zu Folge 26 Prozent den Computer und jeweils 19 Prozent Fernseher und Internet wählen. Nahezu alle Jugendlichen haben zu Hause Zugang zu Computer (98 %) oder Internet (92 %). Mehr als zwei Drittel von ihnen gehen mehrmals pro Woche oder häufiger online, wobei sie vor allem die sozialen und kommunikativen Funktionen des Internets schätzen. Beispielsweise suchen Jugendliche Chats auf, besuchen sich auf persönlichen Homepages, schreiben gemeinsam Fanfiktion oder tauschen sich auf selbsterstellten Fanpages über ihre persönlichen Favoriten aus. Dass auch virtuelle Kontaktbörsen ein wichtiger medialer Raum für Jugendliche sein können, hat sich in einem medienpädagogischen Modellprojekt gezeigt, das von uns an der Professur für Medienpädagogik und Weiterbildung der Universität Leipzig wissenschaftlich begleitet wurde. Jugendliche im Alter zwischen 14 und 18 Jahren hatten hier die Aufgabe, im Rahmen eines einwöchigen Projektes eine Selbstdarstellung ihres Jugendclubs zu gestalten, die ihre Sicht auf die Möglichkeiten und Angebote der Einrichtung vermittelt. Zu diesem Zweck sollte die ‚High Life Fun Box’ gestaltet werden, eine CD-Box, in der auf Covern und CD-ROMs Bildcollagen zu den verschiedenen Bereichen im Jugendclub, selbstkomponierte Musikstücke sowie ein gemeinsam gedrehter Videoclip zusammengestellt wurden. Eine Gruppe von Mädchen hatte hierfür das Internetzimmer des Jugendclubs ausgewählt, in welchem sie täglich den Großteil ihrer Freizeit verbringt. Ein wichtiges Motiv, sich dort zu treffen, ist für die Mädchen die Kontaktbörse iLove, die auch auf ihrer Gestaltung zu sehen sein sollte.

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Abb.1: Cover für die Fun-Box

In der Gestaltung des Covers für die ‚Fun Box’ (Abb. 1) griffen sie die ihnen bedeutsamen Elemente des Interieurs des Internetraums auf: Computer, Tastatur, Uhr und Internetbuch. Neben diesen funktionalen Elementen illustrierten die Mädchen ihre persönlichen Themen, bspw. anhand des Logos der Internetkontaktbörse „iLove. Dating. Flirten. Freunde“. Ihre Gestaltung erläuterte die sechzehnjährige Andrea: „Das ist iLove, wo wir halt immer sind. Und hier sieht man, wie wir gerade schreiben, weil wir uns ja hauptsächlich mit Leuten schreiben. Und das iLove muss draufstehen, damit man eben weiß, wie man da reinkommt.“ An exponierter Stelle positionieren die Mädchen eine Fotographie einer gemeinsamen Freundin, die stellvertretend für all jene Mädchen steht, die im High Life versuchen, Kontakte zu knüpfen. In der teilnehmenden Beobachtung und den qualitativen Interviews mit ihnen wurden die Bedeutung dieser Kontaktbörse als Erfahrungsraum und Orientierungsquelle deutlich. Es zeigte sich, dass virtuelle Kontaktbörsen als Erfahrungsraum und Orientierungsquelle gesehen werden können, die Jugendlichen die Möglichkeit bieten, Identitätsfacetten auszuprobieren und sich selbst darzustellen. 3

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Virtuelle Kontaktbörsen als Plattform der Selbstdarstellung Bislang wurden in der Medienpädagogik vornehmlich die Selbstdarstellung Jugendlicher auf privaten Homepages und die Aktivitäten in Chaträumen untersucht. Für eine Betrachtung virtueller Kontaktbörsen sind die Ergebnisse dieser Formen der OnlineKommunikation jedoch relevant, da virtuelle Kontaktbörsen meist beide Angebotsformen in sich vereinen: eine private Homepage in Form einer Profilseite und Chatforen zur Kontaktaufnahme. Anhand der Ergebnisse von zwei ausgewählten Arbeiten sollen aber wesentliche Aspekte für die Selbstdarstellung in virtuellen Kontaktbörsen herausgearbeitet werden. Sabina Misoch (2004) befragte erwachsene wie auch jugendliche Betreiber von privaten Homepages. Sie weist darauf hin, dass Identitätsvermittlung auf Homepages bewusst, hochkonstruktiv und gegebenenfalls selektiv erfolgt und diese späteren (potenziellen) Interaktionen vorgelagert sind. Da die Darstellenden die völlige Kontrolle über das Dargestellte – und somit die dargestellte Identität – haben, nimmt sie an, dass sich dieser Rahmen als idealer Raum für ein Ausleben experimenteller Selbstentwürfe der adoleszenten Identitätsarbeit erweisen kann. Wenn auch Jugendliche die Möglichkeiten des Internetauftrittes überwiegend zur authentischen Identitätsvermittlung nutzen, sind diese für die junge Altersgruppe (hier unter 25-Jährige) eher ein Probierfeld experimenteller Selbstentwürfe als für die älteren Befragten. Aus ihren Ergebnissen leitet Misoch die Forderung an die Medienpädagogik ab, diese Netzaktivitäten Jugendlicher ernst zu nehmen und als Ausdruck aktueller Identitätsarbeit in den Blick zu nehmen. Im Unterschied zu privaten Homepages ist die Identitätskonstruktion in Chaträumen eingebettet in die aktuelle und textbasierte Interaktion mit Chatpartnern (da nur durch das, was geschrieben wird, der virtuelle Charakter entsteht) und damit nicht wie bei den Homepages vorgelagert. Vor diesem Hintergrund ist die Untersuchung von Rudolf Kammerl (2006) über ‚Funktionalität und Dysfunktionalität des Chattens für Beziehungen von 14- bis 16-jährigen Jugendlichen’ interessant. Wegen des überwiegenden Motivs, andere Jugendliche kennenlernen zu wollen, scheiden Kammerl zufolge beim Chatten experimentelle Selbstdarstellungen weitgehend aus. Zugleich zeigen seine Untersuchungsbefunde aber auch, dass der Wunsch nach einem realen bzw.

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längerfristigen online-basierten Kontakt mit anderen Jugendlichen nur für die wenigsten Realität wird. Den bisherigen Studien ist also zu entnehmen, dass für virtuelle Kontaktbörsen zum einen strukturell das Element einer bewussten, hochkonstruktiven und selektiven Identitätskonstruktion über Profilseiten charakteristisch ist. Dieses Element geht der späteren (potenziellen) Interaktion voraus, bzw. ist für diese ausschlaggebend, da aufgrund der Profilseiten andere entscheiden, ob sie Kontakt mit den Nutzer/innen aufnehmen wollen. Zum anderen sind für diese Angebote die Kommunikation und dynamische Identitätskonstruktion in Chaträumen kennzeichnend. Bezüglich der eigenen Identitätsarbeit kann davon ausgegangen werden, dass das Ausmaß einer identitätskritischen Arbeit an Online-Identitäten in erster Linie an die Motivation geknüpft ist, mit der an diesen gearbeitet wird (Döring 1999). Mit Blick auf das Angebot virtueller Kontaktbörsen liegt es nahe, dass wie beim Chatten das Motiv für die Jugendlichen darin liegt, Gleichaltrige kennenzulernen und reale, längerfristige Kontakte mit ihnen aufzubauen. Entsprechend ist wie bei den Chaträumen zu vermuten, dass sich hier experimentelle Selbstentwürfe weitgehend ausschließen. Auf Grundlage der Hinweise, auf die wir im Rahmen unseres Forschungsprojektes stießen, wollen wir im Folgenden die medialen Rahmungen der Kommunikation in virtuellen Kontaktbörsen im Hinblick auf die Möglichkeiten und Vorgaben zur Selbstinszenierung und Identitätsarbeit betrachten.

Mediale Rahmungen der Selbstdarstellung in virtuellen Kontaktbörsen Eine virtuelle Kontaktbörse, auf die wir durch die Jugendlichen in dem Projekt aufmerksam wurden, ist das kommerzielle Angebot iLove (www.iLove.de, Abb. 2). Das Tochterunternehmen der in erster Linie als Anbieterin von Handyklingeltönen bekannten Jamba! GmbH firmiert unter den führenden Dating- und Flirtportalen in Deutschland und richtet sich in Gestaltung und Marketing auf die Zielgruppe der 16- bis 26-Jährigen. Um selbst mit anderen Nutzer/innen interagieren zu können, müssen sich die Nutzer/innen mit ihrer Mobiltelefonnummer registrieren. Die entstehenden Nutzungsgebühren werden über

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das Mobiltelefon abgebucht. Als Zusatzangebot haben die Nutzer/innen die Möglichkeit, bei der Registrierung einen Gratisklingelton herunterzuladen.

Abb. 2: Startseite iLove

Neben dieser deutlich ökonomischen Komponente unterliegt das Medienhandeln der Jugendlichen spezifischen medialen Rahmungen, die in der Verbindung von Profilseiten und Chatforen aus unserer Sicht für die Selbstdarstellung und die Identitätsarbeit der Jugendlichen auf dieser Plattform von Relevanz sind. Die Profilseiten der virtuellen Kontaktbörse sind, im Gegensatz zu privaten Homepages, hochgradig standardisiert (Abb. 3). Die Nutzer/innen der Kontaktbörse werden aufgefordert sich selbst anhand vorgegebener Kriterien zu beschreiben, die vom Geschlecht über Alter, Wohnort, (Beziehungs-)Status, Körpergröße, Figur, Haarfarbe auch Kategorien wie Piercings oder 6

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Tätowierungen und ähnliches vorsehen. Auf diese Weise gibt bereits das Angebot selbst den Jugendlichen eine Schablone vor, welche die Möglichkeiten der Selbstpräsentation stark begrenzt und präformiert und die zugleich soziale Normierungen impliziert. Die Aufforderung, die eigene Figur auf einer Kontaktbörse zu beschreiben, ist kaum frei von dem öffentlichen Diskurs über „Schlankheit, Gesundheit und Attraktivität“ zu verstehen und somit mit der sozial anerkannten Schönheitsnorm „Schlankheit“ verbunden. Zugleich werden durch die vorgegebenen Kriterien andere Kriterien durch Fortlassung marginalisiert, die für das Selbstkonzept des Einzelnen durchaus bedeutsam sein können.

Abb. 3: Profilseite iLove

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Das Foto hat in der Selbstdarstellung in der Kontaktbörse einen wichtigen Stellenwert. Mit der direkten Aufforderung „Du solltest unbedingt ein Foto hochladen. Die Erfahrung zeigt, dass du so 7x häufiger kontaktiert wirst“ (Informationen zur die Registrierung auf www.iLove.de) werden die Nutzer/innen der Kontaktbörse angehalten, ihr Profil mit einer Fotografie zu ergänzen. Neben der offenbar großen Relevanz für den Kontakt-Erfolg ist das Foto aber auch von Bedeutung für die Selbstinszenierung der Teilnehmer/innen. Mit der bildhaften Inszenierung des Selbst wird der reale Körper Teil der virtuellen Selbst(re)präsentation und durch den möglichen Rückbezug auf den Körper wird die virtuelle Identität stärker als bei reinen Chatdiensten auf die reale Person rückgebunden. Zu vermuten ist, dass dadurch experimentelle Selbstentwürfe wiederum unwahrscheinlicher werden. Als weiteres Gestaltungsmerkmal virtueller Kontaktbörsen sind die hier implementierten Bewertungsmechanismen hervorzuheben. Auf den verschiedenen Dating-Plattformen gehen unterschiedliche Faktoren in derartige Bewertungsraster ein: angefangen von der Vollständigkeit des Nutzer/innenprofils, über die Aktivität auf der Plattform bis hin zu Bewertungen durch andere Nutzer/innen. Mit dem ‚Dating-Faktor’ (Abb. 5) erhalten die Nutzer/innen von iLove Rückmeldungen zur Attraktivität des eigenen Profils für andere Nutzer/innen. Da dieser sich hier vornehmlich durch die im Nutzer/innenprofil angegeben Informationen speist, wird der Einfluss der bisher dargestellten Gestaltungsmerkmale Abb. 4: „Datingfaktor“ iLove

zusätzlich verstärkt:

„Ein Hauptfaktor ist natürlich auch dein Bild. Wenn du kein Foto hochgeladen hast, ist dein DatingFaktor gering. Schließlich wollen die anderen iLover dich auch sehen. Speichere dein Profil neu und du wirst sehen, dass dein Dating-Faktor gestiegen ist. Dein großes Ziel: Dating-Faktor 100 %.“ (Information über den Dating-Faktor auf www.iLove.de).

So wird den Nutzer/innen die Möglichkeit gegeben, das eigene Persönlichkeitsprofil so lange zu korrigieren, bis der Dating-Faktor die gewünschte Attraktivität des Profils ausgibt. Die Selbstdarstellung auf der Kontaktbörse kann somit den Status einer permanenten Baustelle haben, die nach Maßgabe des automatisch errechneten Dating-Faktors als Orientierungswert funktioniert. Eine solche Funktion hat der Dating-Faktor auch für andere 8

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Nutzer/innen, für die dieser aufgrund der Fülle an Profilen ein notwendiges Auswahlkriterium für vermeintlich attraktive Profile ist. Mit dem algorithmisch auf der Grundlage der Profile errechneten Dating-Faktor wird in den Online-Kontaktbörsen ein Prinzip umgesetzt, das Paul Virilio lange vor deren Erfindung als Automatisierung der Wahrnehmung, als die „Delegation der Analyse der objektiven Realität an eine Maschine“ (Virilio 1989, S. 136) beschrieb und damit die Forderung verband, den Einfluss dieser synthetischen Wahrnehmung auf die Verhaltensweisen der Menschen zu hinterfragen. In diesem Lichte betrachtet, steuert der Dating-Faktor die Aufmerksamkeit und Wahrnehmung der Nutzer/innen, wodurch er zum wirksamen Mechanismus wird, diese dazu zu bringen, sich in der Selbstdarstellung an den vorgegebenen Kriterien zu orientieren, sich auf die Konfektionierung der Nutzer/innen einzulassen und die Spielregeln der Selbstdarstellung auf einer Kontaktbörse zu eigen zu machen.

Motive der Nutzung virtueller Kontaktbörsen Zwar konnten in unserem Projekt die Nutzungsweisen und Motive der Mädchen nicht vertieft untersucht werden, doch möchten wir an dieser Stelle auf einige Spuren verweisen, auf die uns die beteiligten Mädchen in diesem Zusammenhang in den Interviews führten. Ein erster wichtiger Aspekt der Nutzung der virtuellen Kontaktbörse iLove ist die Tatsache, dass die Mädchen die Plattform als für sie wichtigen Teil des Internetangebotes im Jugendclub darstellten. So berichteten sie auch in den Interviews davon, gemeinsam auf iLove zu „sein“, dort durch die Profile zu surfen oder auch mit Jungs zu chatten. Sie erzählten, dass sie sich gemeinsam darüber unterhielten, welche Jungs sie „süß“ oder „toll“ fänden, was darauf hinweist, dass die in der Plattform eingestellten Profile zum gemeinsamen Austausch über Vorstellungen von Attraktivität dienen. Die Vielzahl an eingestellten Profilen bietet hier in quantitativer Hinsicht einen fast unerschöpflichen Fundus an Diskussionsanreizen bei gleichzeitiger Anonymität der Betrachter/innen (vgl. Ze’ev nach Döring 2004). Unser Eindruck ist allerdings, dass sich die Selbstdarstellung der Nutzer/innen stark an gängigen Schönheitsbildern und -normen orientieren und die von der Plattform vorgegebenen Schablonen diese Standardisierung fördern. Die klar vorgegebenen Kategorien in den Profilen stellen einen eng gefassten Rahmen dar, 9

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innerhalb dessen die Jugendlichen ihre Kreativität in der Inszenierung des Selbst nur eingeschränkt entwickeln können. Entsprechend finden sich diese Schönheitsnormen auch in den eigenen Selbstdarstellungen der Befragten. Ein Mädchen zeigte einer Interviewerin stolz das von ihr in der Plattform eingestellte Bild, dass sie eigens für ihr Nutzerinnenprofil bei einer Fotografin anfertigen ließ. Es zeigt die 16-Jährige leicht bekleidet in aufreizender Pose. Unverkennbar ist die Inszenierung ihres äußeren Erscheinungsbildes für sie ein zentrales Anliegen. Auch im realen Leben im Jugendclub demonstriert sie mit enganliegender Kleidung, Piercing, Frisur und Make-up: Ich möchte gefallen. In diesem Sinne nutzen die Mädchen die Plattform auch, um Strategien der Selbstinszenierung zu erproben. Diese Selbstdarstellung ist eindeutig auf das eigentliche Ziel der Plattform orientiert: online neue Bekanntschaften zu machen und in diesem Fall attraktive Jungs kennen zu lernen. So erhoffen sich die Mädchen, online Kontakte zu knüpfen und positive Rückmeldungen auf ihre Selbstdarstellung zu erhalten. Diese Form der Selbstbestätigung ist auf jeden Fall ernst zu nehmen, zugleich aber auch pädagogisch zu hinterfragen, wenn sich die positiven wie negativen Rückmeldungen wiederum an den schablonenhaften Möglichkeiten der Selbstpräsentation und -inszenierung orientieren.

Medienpädagogische Konsequenzen Die Selbstinszenierung von Jugendlichen in virtuellen Kontaktbörsen ist als spielerische, mediale Identitätsarbeit zu sehen. Virtuelle Kontaktbörsen sind für Jugendliche Erfahrungsraum und Orientierungsquelle zugleich. Sie bieten ihnen eine Plattform, Identitätsfacetten spielerisch auszuprobieren und sich selbst zu inszenieren. Die Identitätsarbeit vollzieht sich dabei sowohl rezeptiv in der Wahrnehmung anderer Nutzer/innen und deren Selbstdarstellung, als auch in der eigenen aktiven Präsentation auf der Plattform. Will die Medienpädagogik an der Bedeutung der Medien für die Identitätsarbeit der Jugendlichen ansetzen, so muss sie Gelegenheiten initiieren, die Erfahrungen mit diesen Angeboten und ihre Funktionen für die jugendlichen Nutzer/innen zu reflektieren und zu thematisieren. Gerade bei Online-Kontaktbörsen ist dabei insbesondere ein Hinterfragen der medialen Rahmung des Medienhandelns, wie sie oben skizziert wurde, notwendig. Ein möglicher Ansatzpunkt für die pädagogische Arbeit 10

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könnten hier Bewertungsmechanismen wie etwa der Dating-Faktor auf iLove sein. Bereits das bewusste Spielen mit der Funktionalität der maschinell erstellten Bewertung (etwa das bewusste Anlegen ganz unterschiedlicher Profile zu einer Persönlichkeit und die daran anknüpfende Diskussion der Wahrnehmung derselben) kann Anlässe schaffen, den Einfluss dieser Bewertungsmechanismen zur Sprache zu bringen. Aufgabe der medienpädagogischen Bildungsarbeit ist es entsprechend, Reflexionen anzuregen, die ein Hinterfragen ermöglichen im Hinblick auf die präsentierten Kategorien und Orientierungsmuster, die Strategien der Selbstdarstellung und Inszenierung, wie auch bezüglich der Reichweite des virtuellen Handelns. Hierbei geht es um die Frage, welche Bedeutung und welche Konsequenzen die virtuelle Selbstinszenierung für das Verhalten und Auftreten im Realen hat. Aber auch das für Jugendliche oft schwer durchschaubare wirtschaftliche Kalkül medialer Angebote und die mit der vermeintlich anonymen Darstellung verbundenen Problemstellungen verdeutlichen die Relevanz einer Vermittlung von Medienkompetenz. Die am Beispiel des Dating-Faktors skizzierten Mechanismen können hierbei mindestens Einstieg bzw. Anlass für eine umfassendere medienpädagogische Bearbeitung dieser Thematik sein. Eine kritische Analyse und vor allem auch die aktive Erfahrung, sich anders darzustellen, sich auszuprobieren und zu experimentieren, ist gewiss im Rahmen aktiver Medienarbeit denkbar (vgl. hierzu Luca 1998; Niesyto 2001; Witzke 2004). In der Eigenproduktion von Medien können Jugendliche den beschriebenen Stereotypen alternative und differenzierte Entwürfe entgegensetzen. Denkbar sind filmische Portraits von Jugendlichen, die diese nicht auf wenige Profilkategorien reduzieren, sondern der Komplexität der Persönlichkeit von Jugendlichen gerecht zu werden suchen; oder die Gestaltung oder Nutzung einer Online-Community, die nicht auf eng gefasste und stark vorgefertigte Profile oder programmierte Bewertungsmechanismen setzt (ein Beispiel hierfür ist die Jugendplattform www.netzcheckers.de oder die Mädchen-Community www.lizzynet.de). Wichtig ist dabei in jedem Fall, den Jugendlichen in einem bedeutsamen Abschnitt ihrer Entwicklung und den damit verbundenen hochrelevanten Themen wie dem Aufbau von Freundeskreisen und dem Erproben von Liebesbeziehungen unterschiedliche und vor allem subjektiv relevante Erfahrungen zu

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ermöglichen. Und gerade hier ist in der aktiven Medienarbeit in Gruppen ein großes Potenzial zu sehen.

Literatur Döring, Nicola (1999): Sozialpsychologie des Internet. Die Bedeutung des Internet für Kommunikationsprozesse, Identitäten, soziale Beziehungen und Gruppen. Göttingen: Hogrefe. Döring, Nicola (2004): Rezension zu: Aaron Ben-Ze'ev (2004). Love Online. Emotions on the Internet. Forum Qualitative Sozialforschung / Forum: Qualitative Social Research [Online Journal], 6(1), Art. 14. Verfügbar über: http://www.qualitative-research.net/fqstexte/1-05/05-1-14-d.htm [letzter Zugriff: 23.03.2007]. Hoffmann, Dagmar (2002): Attraktion und Faszination Medien. Jugendliche Sozialisation im Kontext von Individualisierung und Modernisierung. Münster: Lit. Kammerl, Rudolf (2006): Funktionalität und Dysfunktionalität des Chattens für Beziehungen von 14- bis 16-jährigen Jugendlichen. In: Online-Zeitschrift MedienPädagogik. Verfügbar über: http://www.medienpaed.com/06-1/kammerl2.pdf [letzter Zugriff: 23.03.2007]. Luca, Renate (1998): Medien und weibliche Identitätsbildung. Körper, Sexualität und Begehren in Selbst- und Fremdbildern junger Frauen. Frankfurt am Main/ New York: Campus. Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest (2006) Jugend, Information, (Multi-)Media. Basisuntersuchung zum Medienumgang 12-bis 19-Jähriger. Stuttgart. Misoch, Sabina (2004): Selbstdarstellung Jugendlicher auf privaten Homepages. In: medien + erziehung. 5/2004, S. 43-47. Niesyto, Horst (Hrsg.) (2001): Selbstausdruck mit Medien. Eigenproduktionen mit Medien als Gegenstand der Kindheits- und Jugendforschung. München: kopaed. Schorb, Bernd (1995): Medienalltag und Handeln. Medienpädagogik in Geschichte, Forschung und Praxis. Opladen: Leske + Budrich.

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Tillmann, Angela; Vollbrecht, Ralf (2006): Cliquen, Jugendkultur, Medien. In: medien + erziehung 4/2006, S.22-27. Virilio, Paul (1989): Die Sehmaschine. Verlag: Merve. Witzke, Margrit (2004): Identität, Selbstausdruck und Jugendkultur. Eigenproduzierte Videos Jugendlicher im Vergleich mit ihren Selbstaussagen. Ein Beitrag zur Jugend(kultur)forschung. München: kopaed.

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