Schäuble wirbt für Ende der Niedrigzinspolitik

March 7, 2016 | Author: Daniela Hafner | Category: N/A
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Z E I T U NG F Ü R D E U T S C H LA N D Montag, 11. April 2016 · Nr. 84 / 15 D 2

Ankara fordert Strafverfolgung Böhmermanns sat. BERLIN, 10. April. Die Regierung in Ankara fordert eine Strafverfolgung des ZDF-Moderators Jan Böhmermann in Deutschland wegen seiner Satire über den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan. Die türkische Botschaft hat dies in einer Verbalnote an das Auswärtige Amt deutlich gemacht, hieß es am Sonntag in Regierungskreisen. Die Bundesregierung werde den Inhalt der Note „sorgfältig und so zügig wie möglich prüfen“ und dann entscheiden, wie mit dem Verlangen zu verfahren sei. Mitarbeiter des Kanzleramtes, des Auswärtigen Amtes sowie des Justizministeriums wollen zu Wochenanfang zusammenkommen und darüber beraten. Die Staatsanwaltschaft Mainz ermittelt gegen Böhmermann wegen des Verdachts auf eine strafrechtlich relevante Beleidigung von Vertretern ausländischer Staaten. Die Beleidigung des türkischen Präsidenten in Deutschland kann aber nur juristisch verfolgt werden, wenn die Türkei oder Erdogan persönlich ein Strafverlangen stellen. Paragraph 103 des Strafgesetzbuchs sieht für die Beleidigung ausländischer Staatsoberhäupter oder Regierungsvertreter eine Geld- oder eine Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren vor. Das ZDF hat die ZDFneo-Sendung mit dem Schmähgedicht Böhmermanns inzwischen aus der Mediathek genommen. (Siehe Feuilleton, Seite 11.)

Heute

HERAUSGEGEBEN VON WERNER D’INKA, JÜRGEN KAUBE, BERTHOLD KOHLER, HOLGER STELTZNER

Flüchtlinge stürmen Grenzzaun

Die Rente ist grün Von Jasper von Altenbockum leich aus mehreren Richtungen G wächst der Druck auf die große Koalition, in der Rentenpolitik umzu-

Idomeni – Flüchtlinge reißen eine Öffnung in den Zaun, der Griechenland von Mazedonien trennt. Mazedonische Sicherheitskräfte feuerten am Sonntag Tränengas, Blendgranaten und Gummigeschosse in die Menge, um den Ansturm von Hunderten Flüchtlingen zurückzudrängen. Einige Flüchtlin-

ge warfen Steine. Sie kamen vor allem aus dem wilden Lager im griechischen Grenzdorf Idomeni. Zu der Aktion war dort in Flugblättern aufgerufen worden. Einige wenige Flüchtlinge konnten kurz nach Mazedonien gelangen, wurden aber umgehend nach Griechenland zurückgebracht. Foto AFP

Eine kleine Stadt in Hessen stand vor dem langsamen Verschwinden. Das nahmen die Bürger nicht hin. Deutschland und die Welt, Seite 9

Geteiltes Land Die russische Wirtschaftskrise trifft auch Karelien stark. Ihr Oberhaupt hat sich den Unmut des Kremls zugezogen. Politik, Seite 5

Metaphysik der Mannequins Merkwürdige Nachbarschaften: Die Staatsgalerie Stuttgart zeigt eine exzellente Schau zu Giorgio de Chirico. Feuilleton, Seite 11

Bundesfinanzminister legt Plan gegen Geldwäsche und Steuerhinterziehung vor hig./mas. KRONBERG/BERLIN, 10. April. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble will auf dem G-20-Treffen in Washington Ende dieser Woche für ein Ende der Niedrigzinsphase werben. Dazu solle die Politik die großen Notenbanken in den Vereinigten Staaten, der Eurozone und Großbritanniens ermutigen, sagte er auf einer Veranstaltung in Kronberg. Die Einsicht wachse, dass das „Übermaß an Liquidität inzwischen mehr Ursache als Lösung des Problems“ sei. Schäuble zog bei der Entwöhnung der Märkte vom billigen Geld einen Vergleich zur Behandlung von Rauschgiftabhängigen, an deren Entzug man behutsam herangehen müsse. Zugleich hob er die Unabhängigkeit der Europäischen Zentralbank hervor. Diese sei ein hohes Gut. Schäuble

sagte, er sei mit EZB-Präsident Mario Draghi verabredet, um zu überlegen, wie man in Deutschland der starken Kritik an der Europäischen Zentralbank entgegenwirken können. Der Bundesfinanzminister wurde in Kronberg unter anderem für seine Verdienste um die Konsolidierung der Staatsfinanzen geehrt. Schäuble will in Washington außerdem einen Plan zur Bekämpfung von Steuerhinterziehung vorstellen. Der CDU-Politiker will Länder wie Panama, aber auch Banken und Berater unter Druck setzen, die Geschäfte mit Briefkastengesellschaften machen. Mithilfe eines weltweiten Registers der wirtschaftlich Berechtigten solcher Firmen, sollten „die Hintermänner von Unternehmenskonstruktionen transparenter“ gemacht werden. Dieses Regis-

ter solle auch Nichtregierungsorganisationen und Medien offenstehen. Kombinieren will Schäuble dies mit einer Ausweitung des automatischen Informationsaustauschs und strengeren Sanktionen für Finanzinstitute und andere Unternehmen. Wenn alle Länder mitmachten, erhielten die Finanzbehörden umfassenden Durchblick. Überdies plant Schäuble eine Verschärfung des Steuerstrafrechts. Die Verjährung einer Steuerhinterziehung solle erst beginnen, wenn ein Steuerpflichtiger seinen Meldepflichten für Auslandsbeziehungen nachgekommen ist. „Es ist nicht hinnehmbar, wenn Steuerhinterzieher auf Straffreiheit durch Verjährung spekulieren können, indem sie Auslandsbeziehungen verschweigen.“ (Siehe Seite 10 und Wirtschaft, Seite 17.)

Verwöhnte Juristen Im Europäischen Patentamt tobt ein Streit zwischen der Führung und den privilegierten Mitarbeitern. Wirtschaft, Seite 26

Viel Geld für Billigflieger Michael O’Learys neun Jahre alter Wallach Rule The World gewinnt das Grand National in Aintree. Sport, Seite 32

Magerer Geschäftsbericht In Zeiten der Überinformation muss die Kommunikation über Kapitalmärkte entschlackt werden. Der Betriebswirt, Seite 18 Briefe an die Herausgeber

Seite 20

Jazenjuk kündigt Rücktritt an Bisheriger Parlamentspräsident Hrojsman soll neuer ukrainischer Ministerpräsident werden ul. KIEW, 10. April. Der ukrainische Ministerpräsident Arsenij Jazenjuk hat seinen Rücktritt angekündigt. In einer Fernsehansprache am Sonntag sagte er allerdings zugleich, seine Volksfront werde Teil der gegenwärtigen Regierungskoalition mit dem Block des Präsidenten Petro Poroschenko bleiben. Der Präsidentenblock, die größte Fraktion in der Werchowna Rada, habe den Parlamentsvorsitzenden Wolodymyr Hrojsman als seinen Nachfolger vorgeschlagen. „Im Bestreben, alles für die Stabilität und die Kontinuität unseres Kurses zu tun, teile ich mit, dass ich beschlossen habe, meine Verpflichtungen als Haupt der ukrainischen Regierung niederzulegen“, sagte Jazenjuk. Er hatte die ukrainische Regierung seit der Revolution im Februar 2014 geführt. Seine Koalition

verlor ihre Mehrheit allerdings, nachdem drei andere Fraktionen das Bündnis verlassen hatten – teils, weil ihnen der Kampf gegen die Korruption nicht schnell genug ging, teils, weil sie die Regierung verdächtigten, in der Abwehr der russischen Aggression nicht standhaft genug zu sein. Zu den ausgeschiedenen Fraktionen gehörten die Partei „Vaterland“ der früheren Ministerpräsidentin Julija Timoschenko, die nationalpopulistischen „Radikalen“ unter Oleh Ljaschko und die reformorientierte „Selbsthilfe“ des Lemberger Bürgermeisters Andrij Sadowij. Außerdem waren Jazenjuks Umfragewerte eingebrochen, weil die Reformen, die er im Einklang mit den westlichen Geldgebern der Ukraine erzwungen hat, (etwa die Abschaffung der ruinösen Subventio-

nen für das von Privathaushalten verbrauchte Gas) in der Bevölkerung ausgesprochen unbeliebt sind. Mitte Februar war ein Antrag zur Abwahl Jazenjuks im Parlament gescheitert; zuvor hatte Präsident Poroschenko ihn zum Rücktritt aufgefordert. Am Sonntag war noch nicht klar, woher die verbliebenen beiden Koalitionsfraktionen, die Jazenjuks und die Poroschenkos, eine Mehrheit für die Wahl Hrojsmans zum Ministerpräsidenten nehmen würden. Kiewer Parlamentarier sagten dieser Zeitung jedoch, es sei offenbar gelungen, genügend parteilose Abgeordnete für den Eintritt in diese Fraktionen zu gewinnen. Die Wahl des neuen Regierungschefs ist für Dienstag geplant. (Siehe Seite 5; Kommentar Seite 10.)

106 Tote bei Brand in indischem Tempel

Grüne streben „Terrorzelle plante noch Regierungsbeteiligung an einen Anschlag in Paris“

Dortmund und Schalke spielen unentschieden

DELHI, 10. April (KNA). Bei einem Brand in einem Hindu-Tempel im indischen Bundesstaat Kerala sind am Sonntag mindestens 106 Menschen ums Leben gekommen und Hunderte weitere verletzt worden. Ursache war nach Medienberichten eine Explosion von Feuerwerkskörpern bei einer religiösen Feier zu Ehren der Göttin Devi. Regierungschef Narendra Modi sprach den Angehörigen der Toten angesichts der „herzzerreißenden und schockierenden“ Katastrophe sein Beileid aus. (Siehe Deutschland und die Welt.)

Lt. BERLIN, 10. April. Die Grünen streben nach der nächsten Bundestagswahl eine Regierungsbeteiligung an. Der Grünen-Fraktionsvorsitzende Anton Hofreiter sagte auf einem kleinen Parteitag in Berlin, die Partei wolle 2017 dafür kämpfen, im Bund mitzuregieren. Die Führungsriege der Grünen zeigte sich nach dem Wahlerfolg in Baden-Württemberg, wo unter dem Spitzenkandidaten Winfried Kretschmann mehr als 30 Prozent grün wählten, auch in anderen Ländern und im Bund bereit, neue Wählerschichten zu erschließen. Die Grünen dürften sich nicht länger als Avantgarde verstehen, sie müssten „Orientierungspartei“ für gesellschaftliche Mehrheiten sein, sagte Kretschmann. (Siehe Seiten 3 und 4.)

F.A.Z. FRANKFURT, 10. April. Borussia Dortmund hat in der Bundesliga durch das 2:2 im Revier-Derby beim FC Schalke 04 weiter Boden im Kampf um die deutsche Fußball-Meisterschaft verloren. Die Dortmunder haben fünf Spieltage vor Saisonende sieben Punkte Rückstand auf Spitzenreiter Bayern München, der am Samstag gegen Stuttgart gewonnen hatte. Im Abstiegskampf haben Bremen und Frankfurt Heimniederlagen gegen die Konkurrenten aus Augsburg und Hoffenheim erlitten. Radprofi Mathew Hayman hat die 114. Auflage des Klassikers Paris–Roubaix gewonnen. Der 37 Jahre alte Australier verwies Tom Boonen aus Belgien nach 257,5 Kilometern am Sonntag auf den zweiten Platz. (Siehe Sport.)

4:m;V;l;W;q

now./sat. BRÜSSEL/BERLIN, 10. April. Die für die Brüsseler Anschläge verantwortliche Terrorzelle soll geplant haben, einen weiteren Anschlag in Paris zu verüben. Zu diesem Schluss kamen belgische Ermittler durch Aussagen des am Freitag festgenommenen Muhammad Abrini. Insgesamt ergingen in Brüssel am Wochenende vier Haftbefehle. Nach Einschätzung von Verfassungsschutzpräsident HansGeorg Maaßen hat die Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS) auch Ziele in Deutschland im Visier. „Der IS will auch Anschläge gegen Deutschland und deutsche Interessen durchführen“, sagte Maaßen der Zeitung „Welt am Sonntag“. Das islamistischterroristische Potential läge hierzulande bei 1100 Personen. (Siehe Seite 3.)

steuern. Die Niedrigzinspolitik der Europäischen Zentralbank ist dafür der jüngste Anlass, aber nicht der Grund. Den gibt es schon seit einiger Zeit, die Demographie, nur haben die Konsequenzen, die gezogen wurden, bislang nicht den gewünschten Effekt gehabt und deshalb nicht zur Beruhigung der Jahrgänge beigetragen, die in zehn bis zwanzig Jahren in Rente gehen oder dann die Beiträge zahlen müssen. Die niedrigen Zinsen legen die Konstruktionsmängel einer anfälligen Altersvorsorge frei, die sich bislang noch immer schönreden ließen. Horst Seehofer hat den nackten Tatsachen jetzt seine Kampfansage an die „Neoliberalisierung“ des deutschen Rentensystems entgegengeschleudert: Weg mit der Riester-Rente! Seehofers Vorstoß hat seine Berechtigung, weil die Einführung des „dritten Pfeilers“ der Rentenversicherung, der privaten Vorsorge, zur dauerhaften Absicherung des Rentengebäudes nie die dazu nötige Breite der Bevölkerung erreicht hat. Der CSU-Vorsitzende weiß aber auch die SPD an seiner

Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH; Abonnenten-Service: 0180 - 2 34 46 77 (6 Cent pro Anruf aus dem dt. Festnetz, aus Mobilfunknetzen max. 42 Cent pro Minute). Briefe an die Herausgeber: [email protected] Belgien, Frankreich, Griechenland, Irland, Italien, Kanaren, Luxemburg, Niederlande, Österreich, Portugal (Cont.), Slowenien, Spanien 3,40 € / Dänemark 26 dkr / Großbritannien 3,20 £ / Schweiz 4,80 sfrs / Türkei 17,00 TL / Ungarn 920 Ft

F. A. Z. im Internet: faz.net

Seite, die seit jeher kritisiert hat, dass es viel zu viele Beitragszahler gibt, die sich das zusätzliche „Riestern“ nicht leisten können – oder für die es sich einfach nicht lohnt. Für sie ist die Perspektive der Altersarmut ein ständiger Begleiter. Darin aber das Produkt einer neoliberalen Marotte zu sehen, womit Seehofer offenbar Protestwähler ködern will, geht in die Irre. Die Modelle anderer Länder, etwa der skandinavischen, die unverdächtig sind, liberalen Ideologien anzuhängen, zeigen schließlich in dieselbe Richtung. Die schwarz-grüne Idee einer neuen Privatvorsorge, der „Deutschland-Rente“, knüpft daran an. Die SPD setzt sich davon ab, indem sie sich vollends auf den Weg der Restauration begibt. Sie will noch einen anderen Eckstein der Rentenreformen entfernen, die Senkung des Rentenniveaus. Damit sollte die gesetzliche Rente entlastet werden, weil es ja den dritten Pfeiler gibt. Der hat den Rentenarchitekten der SPD aber noch nie gefallen. Also soll das alte Gebäude wiederhergestellt werden. Das hätte nur Sinn, wenn die SPD eine Flexibilisierung des Renteneintrittsalters in Angriff nähme. Sie ist aber eher in umgekehrter Richtung unterwegs. Vor der Bundestagswahl wird sich daran nicht viel ändern. Und danach? Für diese Zeit geben ohnehin schwarz-grüne Konzepte den Takt vor.

Der Abstieg der SPD Von Majid Sattar as Schlimmste ist diese Ahnung, D dieses Gefühl, man wisse ohnehin, wie es am Ende kommen werde.

Schäuble wirbt für Ende der Niedrigzinspolitik

Wanfried ist wieder da

2,60 € D 2954 A

Sigmar Gabriel spürte es schon im September vergangenen Jahres, nach jenem Wochenende, das alles veränderte: Die Flüchtlingskrise werde gewiss in den Unionsparteien den alten Streit um die Verkümmerung des konservativen Kerns wiederaufleben lassen. Doch am Ende werde es die SPD sein, die weiter abrutsche. Diese Sorge um die Mitte der Gesellschaft, wie er es nannte, äußerte er schon im Herbst in der Parteiführung. Die Umfragewerte, welche die Sozialdemokraten nun auf einem historischen Tief sehen, haben den Parteivorsitzenden in seiner Ahnung bestätigt. Der Erfolg der AfD in den Landtagswahlen, das war Gabriel klar, speiste sich nicht nur aus enttäuschten Unionswählern und Nichtwählern, die sich zuvor von der Politik abgewandt hatten. Die Wählerwanderung aus dem verunsicherten, männlichen Kleinbürgertum traf auch die SPD. Das Gefühl, die Geschichte sei unabwendbar, geht aber noch viel weiter. Schauen sich die deutschen Sozialdemokraten um in Europa, sehen sie im Norden, im Süden und im Westen eine Sozialdemokratie in der Krise. Die linke Volkspartei, die Westeuropa in den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg mit geprägt hat, ist hier und da schon verschwunden. Das verunsichert die SPD zutiefst und führt obendrein dazu, dass die frühe Ahnung, was passieren werde, dem Parteivorsitzenden nur wenig nutzte. Denn vielen SPD-Politikern ist anzumerken, dass sie, indem sie für sich werben, nicht mehr wirklich an sich glauben, sondern mit ihrem Schicksal hadern. Wen aber im Wahlvolk selbst – konkrete oder abstrakte – Zukunftsängste plagen, der sucht sein Heil selten bei jenen, die Klagelieder anstimmen. Die tiefe Verunsicherung, welche die Flüchtlingskrise an der sozialdemokratischen Wählerbasis bewirkte, zwingt Gabriel – wie bereits in der vergangenen Legislaturperiode – zu einem Strategiewechsel. Damals wie heute wollte er eigentlich die Mitte für seine Partei zurückerobern und den Fortschritts- sowie Freiheitsgedanken wieder sozialdemokratisch besetzen. Die SPD sollte als gesellschaftlicher Modernisierer und nicht ausschließlich als Betriebsrat der Nation wahrgenommen werden. Es gab einst sogar Überlegungen, den Gerechtigkeitsbegriff durch den der Fairness zu ersetzen. Anderthalb Jahre vor der Bundestagswahl kehrt Gabriel zurück zum Traditionalismus: Die SPD müsse den Anspruch erneuern, Schutzmacht der kleinen Leute zu sein – das müsse die Antwort auf das Erstarken des Rechtspopulismus sein, sagte er jetzt. Die kurzfristige Lehre aus dem Wahldebakel vom 13. März ist ein Konsolidierungskurs: Ansprache der Kern-

klientel ist Pflicht, Modernisierung Kür. Doch waren nicht bereits die sozialdemokratischen Projekte des Koalitionsvertrags Ansprache der Kernklientel genug? Die SPD kommt damit nicht aus der Defensive. Sie droht zwischen Grünen und AfD zerrieben zu werden. Hinzu kommt, dass Gabriel, der seiner Partei nun Mut machen müsste, Misstrauen entgegenschlägt. Als der SPD-Vorsitzende zu Beginn der großen Koalition gefragt wurde, wie er diesmal verhindern wolle, dass seine Partei nach vier Jahren als Verliererin dastehe, gab er sich zuversichtlich: Die SPD habe seinerzeit den Fehler gemacht, Regierung und Opposition gleichzeitig sein zu wollen. Das dürfe sie nicht wiederholen. Das tat sie auch

Gabriel versucht den Kurswechsel: zurück zum kleinen Mann. Aber kann das der SPD noch helfen? nicht. Nur ihr Parteivorsitzender tat es. Um den Graben in der Flüchtlingspolitik zwischen sozialpolitisch und kulturell verängstigter Wählerbasis und den von Ideologie geleiteten Funktionären zu überbrücken, erweckte der Vizekanzler zwischenzeitlich den Eindruck, an geraden Tagen für und an ungeraden Tagen gegen den eigenen Regierungskurs zu sein. Der Warnschuss auf dem Bundesparteitag – das miserable Wahlergebnis für Gabriel – hat nur eine Sache verändert: Die engere Parteiführung stärkt ihm nach außen demonstrativ den Rücken und versucht nach innen, den Vorsitzenden von neuerlichem taktischen Geplänkel abzuhalten. Niemand aus dem Führungszirkel hat ein Interesse an einer weiteren Demontage des Parteivorsitzenden. Mag Angela Merkel in der Flüchtlingskrise an Glanz und die Union an Stärke verloren haben – keinen der potentiellen Nachfolger Gabriels drängt es vor 2017 an die Spitze. Die Schwierigkeiten der SPD gehen nicht nur Sozialdemokraten etwas an. Es geht um die Stabilität des Parteiensystems. Welche Auswirkungen der Abstieg der linken Volkspartei hat, verdeutlichen die Landtagswahlen: Weder in Stuttgart noch in Magdeburg verfügen Bündnisse aus CDU und SPD, die man einst eine große Koalition nannte, über eine Regierungsmehrheit. In Sachsen-Anhalt vereinen populistische Parteien links und rechts zudem 40 Prozent der Wählerstimmen auf sich. Das Land ist insofern bereits „europäisiert“. Was bleibt der SPD? Die Hoffnung, dass nicht nur die Flüchtlingskrise, sondern auch die AfD ihren Scheitelpunkt bereits überschritten hat? Selbst wenn dies so wäre – die Erfahrung spricht nicht dafür, dass der Wähler einfach zur SPD zurückkehrt.

SE IT E 2 · M O N TAG , 1 1 . A P R I L 2 0 1 6 · N R . 84

Kroatien blockiert Serbiens Weg in die EU kps. WIEN, 10. April. Noch ist keine Lösung in der Frage der Anerkennung des Kosovos in Sicht, da türmt sich ein weiteres Hindernis auf dem Weg Serbiens in die EU auf. Kroatien kündigte vorige Woche an, die Öffnung des Kapitels 23, zu Justiz und Grundrechten, in den serbischen Beitrittsverhandlungen so lange zu blockieren, bis sich Belgrad zur uneingeschränkten Zusammenarbeit mit dem Kriegsverbrechertribunal in Den Haag bekennt. Außerdem solle Serbien ein Gesetz aus dem Jahr 2003 aufheben, das der serbischen Justiz die universelle Zuständigkeit für Kriegsverbrechen inner- und außerhalb seines Territoriums zuspricht, und der kroatischen Minderheit eine ständige Vertretung im Belgrader Parlament garantiert werden. „Serbien kann nicht darauf hoffen, ein Mini-Den-Haag zu werden“, begründete der kroatische Außenminister Miro Kovać die Blockade. Gegenüber Serbien befindet sich Kroatien seit seinem EU-Beitritt in einer ähnlich vorteilhaften Lage wie einst das EU-Land Slowenien während der kroatischen Beitrittsverhandlungen. Laibach (Ljubljana) bestand damals auf der Abtretung kroatischer Küstengewässer, um freien Zugang zur hohen See zu erhalten. Dazu kam es zwar nicht, aber die Regierung in Zagreb musste nach erheblichem Druck der EU einem internationalen Schiedsverfahren zustimmen, von dem sich Slowenien ein günstiges Ergebnis erhoffen durfte. Nach erfolgtem Beitritt nahm die Regierung in Zagreb jedoch einen schwerwiegenden Regelverstoß des slowenischen Vertreters in der Schiedskommission zum Anlass, um aus dem Verfahren auszuscheiden. Einer Lösung des Streites um die Seegrenze sind die beiden EU-Staaten seither um keinen Schritt näher gekommen. Die Beilegung des serbisch-kroatischen Streites dürfte um nichts leichter fallen, denn Belgrad empfindet die kroatische Blockade als „Demütigung“. „Serbien hat die Position der Republik Kroatien zur Kenntnis genommen“, hieß es am Wochenende in einer Stellungnahme des serbischen Ministerpräsidenten Aleksandar Vučić: „Es wird nicht zulassen, durch irgendjemanden in Europa und in der Welt, auch nicht durch die Republik Kroatien, auf irgendeine Weise erpresst, erniedrigt oder verachtet zu werden.“ Serbien werde ein Ultimatum niemals akzeptieren. Das umstrittene Gesetz über die universale Zuständigkeit für Kriegsverbrechen erlaubt es der serbischen Justiz, auch im Ausland begangene Kriegsverbrechen zu verfolgen, zum Beispiel solche, die von Kroaten während des Jugoslawien-Krieges auf kroatischem Territorium an serbischen Zivilisten verübt wurden. Vučić hat eine Aufhebung dieses Gesetzes dezidiert ausgeschlossen. Er verwies darauf, dass auf der Grundlage dieses Gesetzes auch die Kriegsverbrechen von Serben im kroatischen Ovčara und im bosnischen Srebrenica geahndet wurden. Wie schon im Falle der slowenischen Blockade hängt es nun davon ab, ob es der EU-Kommission gelingen kann, genügend Druck aufzubauen, um einerseits Zagreb, andererseits Belgrad zu Konzessionen zu zwingen. Das Interesse der EU daran ist groß, da der serbische EU-Beitritt allgemein als Voraussetzung einer dauerhaften Stabilisierung des westlichen Balkans gilt. Zagreb teilt dieses Interesse. Für die Regierung in Belgrad geht es allerdings um eine Frage des nationalen Prestiges. Die kroatische Regierung, an der die konservative HDZ beteiligt ist, würde sich ihrerseits dem Vorwurf des nationalen Verrates aussetzen, sollte sie ihr Veto ohne erhebliches serbisches Entgegenkommen aufheben. In einer kroatischen Meinungsumfrage sprachen sich zuletzt 60 Prozent für die Blockade des serbischen Beitritts aus. Seit das Kriegsverbrechertribunal in Den Haag den serbischen Ultranationalisten Vojislav Šešelj freisprach, steigt der Druck auf die Regierung, gegen Serbien einen härteren Kurs einzuschlagen.

Politik

FPM

FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG

Streit über Zahl der Abschiebungen

Wenn das Volk aufwacht

Hauptsache, dagegen: Junge Franzosen protestieren gegen Arbeitslosigkeit, Mietsteigerungen, Leistungsdruck, Islamfeindlichkeit, Homophobie und Umweltzerstörung.

ekommt jetzt auch Frankreich seine Indignados? An der Place de la RépuB blique in Paris harren weiter jede Nacht mehrere hundert Protestbewegte der „Nuit debout“ aus. Sie haben inzwischen auch Nachahmer in anderen französischen Großstädten gefunden. Was am 31. März als Widerstand gegen die von der Linksregierung geplante Arbeitsmarktreform begann, hat sich in eine allgemeine Protestbewegung gegen gesellschaftliche Missstände verwandelt. Das Lieblingswort der Aktivisten von „Nuit debout“ (etwa: Aufrecht in der Nacht) ist „non“ (nein). Sie wollen sich nicht von den Parteien vereinnahmen lassen und protestie-

ren gegen die Politik der Linksregierung, gegen Arbeitslosigkeit, Mietsteigerungen, Leistungsdruck, Islamfeindlichkeit, Homophobie und Umweltzerstörung. „Das Volk wacht auf“ lautet einer ihrer Sprüche. Für ihre nächtlichen Diskussionsgruppen haben sie sogar eine Zeichensprache erfunden, damit alle mit diskutieren können. Am Samstagabend wollte eine Gruppe besonders entschlossener Aktivisten von der Place de la République zum nahegelegenen Domizil des Premierministers unweit der Opéra Bastille ziehen. „Apéritif bei Manuel Valls“ hieß die Parole. Die Polizei löste den Protestzug unter Einsatz

Foto AFP

von Tränengas auf. Der Premierminister bekam von den Auseinandersetzungen nichts mit, er weilte zu einem offiziellen Besuch in Algerien. Aus Ärger über die verpatzte Aktion warfen die Demonstranten Brandsätze in Mülleimer sowie Flaschen und Steine auf die nahe gelegene Polizeiwache. Auch in Rennes und in Nantes kam es zu gewaltsamen Zwischenfällen am Ende von Demonstrationen gegen die Arbeitsmarktreform. In Rennes wurden vier Polizisten verletzt und mussten im Krankenhaus behandelt werden. Auch mehrere Demonstranten erlitten Verletzungen. In Nantes errichteten Demonstranten Barri-

kaden und warfen Schaufenster in der Innenstadt ein. 26 Personen wurden in ganz Frankreich festgenommen, teilte das Innenministerium mit. Die Beteiligung an den von den Gewerkschaften organisierten Protestmärschen geht dabei deutlich zurück. Landesweit beteiligten sich am Samstag nur mehr 120 000 Menschen an den Kundgebungen. Am 31. März waren es noch 390 000 gewesen. Über die Arbeitsmarktreform wird vom 3. Mai an im Parlament beraten. Die Regierung verfolgt mit wachsender Unruhe die Bewegung „Nuit debout“, die anders als die Gewerkschaften nicht zu Verhandlungen bereit ist. (mic.)

ten. Allerdings seien die Beträge etwas höher als in den meisten anderen Fällen. Den Vorwurf des Rechtsbruchs erhob niemand. Man erlange aber einen weiteren Einblick in das „ganze Ethos“, mit dem die „sehr Reichen“ ihre Steuerangelegenheiten gestalteten, sagte Oppositionsführer Jeremy Corbyn am Wochenende. Kein prominenter Politiker forderte Camerons Rücktritt. Dies taten nur einige tausend Demonstranten, die am Samstag im Regierungsviertel protestierten. Schon in der vergangenen Woche hatte Corbyn eine Erklärung des Regierungschefs vor dem Unterhaus verlangt. Am kommenden Mitt-

woch, bei den wöchentlichen „Prime Minister´s Questions“ kann er Cameron direkt mit der Angelegenheit konfrontieren, und es ist gut möglich, dass der es bei einer Replik belassen wird. Entlastung erhofft sich der Premierminister von der Einsetzung einer Expertenkommission, welche die Legalität der Firmen- und Fonds-Konstruktionen überprüfen soll, die durch die Panama-Papiere ans Tageslicht gekommen sind. Zur Unterstützung dieser Aufgabe, die von Steuerbeamten und Geldwäschespezialisten aus dem Sicherheitsapparat wahrgenommen werden soll, würden zehn Millionen Pfund im Haushalt freigemacht, berichteten Zeitungen am Wochenende. Die Panama-Papiere haben in Großbritannien eine Diskussion angestoßen, die weit über vermeintliche oder tatsächliche Verfehlungen des Premierministers hinausgeht. In Zeitungen, aber auch in den Parteien wird über eine allgemeine, jeden Bürger in die Pflicht nehmende Transparenz in Steuerangelegenheiten nachgedacht. Corbyn kündigte bereits an, seine Finanzverhältnisse freiwillig offenzulegen, und hofft so, zunächst den Druck auf andere Spitzenpolitiker zu erhöhen. Vor allem Schatzkanzler George Osborne, der Lieblingsfeind der Labour Party, soll so in die Defensive getrieben werden. Es gibt aber auch Stimmen, die die Transparenzoffensive – nie zuvor hatte ein britischer Regierungschef eine vergleichbare Liste vorgelegt – kritisieren und um die Attraktivität des öffentlichen Amtes fürchten. Camerons Vorstoß, schrieb die Zeitschrift „The Spectator“ am Wochenende, „ermutigt das lüsterne Interesse am finanziellen Leben der anderen und schreckt finanziell erfolgreiche Leute vom Eintritt in die Politik ab“.

Purzelnde Pfunde Cameron legt seine Steuererklärung offen und will damit für Ruhe nach dem Panama-Sturm sorgen. Vergeblich: Jetzt geht es um eine Schenkung seiner Mutter. Von Jochen Buchsteiner LONDON, 10. April s sei „keine großartige Woche“ gewesen, resümierte David Cameron am Samstag vor Parteifreunden beim konservativen Frühjahrsforum. Er hätte die Affäre um seine Verwicklung in die Panama-Papiere „besser handhaben“ können, gab der britische Premierminister zu und nahm ausdrücklich seine Berater in Schutz: Nicht denen sei die Schuld am unglücklichen Krisenmanagement zuzuweisen, sondern allein ihm. Reumütig sollte das klingen – aber auch retrospektiv. Kurz danach legte er seine Steuerverhältnisse offen und hoffte, damit endgültig Ruhe zu schaffen. Das schlug fehl. Schon wenige Stunden nach der Veröffentlichung hatte er mit neuen Vorwürfen zu tun. Im Mittelpunkt stand, was die Boulevardzeitung „The Sun“ am Sonntag „Camerons 200 000-Pfund-Geschenk von Mami“ nannte. Die drei Seiten, auf denen der Regierungschef seine Einkünfte und Versteuerungen der vergangenen sechs Jahre aufgelistet hatte, enthielten nicht nur sein offizielles Salär und Einnahmen aus der Vermietung seines Privathauses – im letzten Berechnungsjahr zahlte er 75 898 Pfund Steuern auf ein Gesamteinkommen

E

von 200 307 Pfund. Die Liste wies auch zwei Schenkungen seiner Mutter aus dem Jahr 2011 von jeweils 100 000 Pfund aus. Den Zeitpunkt empfinden viele als auffällig, weil er im Jahr zuvor von seinem Vater 300 000 Pfund geerbt hatte – ab 325 000 Pfund hätte er Erbschaftsteuer zahlen müssen. Wieder, wie schon im Fall der Beteiligung am Offshore-Fonds seines Vaters, bewegt sich Cameron in der Grauzone des Legitimen. Der Steueranwalt Robert Levy erklärte dem Sender BBC am Wochenende, es sei „nicht unüblich“, dass Eltern ihren Kindern auf diese Weise Geld schenk-

Volk und Ethos: Demonstranten am Wochenende vor der Downing Street

Foto Getty

STIMMEN DER ANDEREN Mehr Einsatz für Europa Die Amsterdamer Zeitung „NRC Handelsblad“ kommentiert am Samstag die Ablehnung des EU-UkraineAbkommens durch die niederländischen Wähler: „Nachdem der Assoziierungsvertrag mit der Ukraine am vergangenen Mittwoch niedergestimmt wurde, entscheidet sich die Regierung einmal mehr für die Analyse eines Wahlergebnisses. Doch große Untersuchungen zu den Motiven derjenigen, die gegen das Abkommen gestimmt haben, kann sich das Kabinett sparen, indem es in die Archive von 2005 schaut. Nach dem Nein bei der Volksabstimmung über die europäische Verfassung war bereits gründlich analysiert worden, was den Wähler dazu bewog. Faktoren wie Angst, Unsicherheit und Pessimismus hinsichtlich der sozialen Sicherheit waren damals die dominanten Kräfte. Es gab in dieser Untersuchung eine interessante Anmerkung: Bereits drei Jahre zuvor, 2002, sei diese Stimmungslage konstatiert worden. Der Feststellung war die Empfehlung für die Politik hinzugefügt worden, sich endlich um die Unterstützung der Bevölkerung für die europäische Zusammenarbeit

zu bemühen. Diese Empfehlung ist auch 14 Jahre danach aktuell.“ Referenden als Instrument der EU-Gegner Die französische Tageszeitung „Le Monde“ schreibt zu diesem Thema: „Drei Monate vor der Wahl über den Verbleib Großbritanniens in der EU offenbart die Abstimmung in den Niederlanden eine Atmosphäre des Misstrauens gegenüber Europa. Die politische Botschaft richtet sich eindeutig an Brüssel: Misstrauen gegenüber Einwanderung und Ablehnung jeder zusätzlichen EU-Erweiterung. Vor dem Hintergrund, dass die EU immer häufiger als weit entfernte, wenig demokratische Maschine wahrgenommen wird, könnte der Rückgriff auf ein Referendum zu einem Instrument der Erpressung für euroskeptische Parteien werden.“ Camerons Stolpern zur ungünstigsten Zeit Die Wiener Zeitung „Der Standard“ kommentiert die Lage des britischen Premierministers Cameron:

„Er gab erst unter Druck zu, dass er und seine Frau bis 2010 Anteile an einer steuerschonenden Briefkastenfirma seines Vaters auf den Bahamas hatten. Es geht dabei nicht um riesige Summen. Dennoch ist nicht mehr auszuschließen, dass der Premierminister die Affäre nicht überlebt. Für die EU-Partner ist nun Feuer am Dach. Cameron gleicht einer Zeitbombe. Sein Stolpern kommt zur ungünstigsten Zeit. Ende Juni stimmen die Briten über den Verbleib in der Union ab. Basis beim Referendum sind Sonderrechte in der EU, die der Premier persönlich im Februar ausgehandelt hat. Fiele er jetzt, würde das Lager der EU-Skeptiker triumphieren. Ein Brexit wäre nicht auszuschließen. In der EU bliebe dann kein Stein auf dem anderen.“ Ein gewaltiger Schritt nach vorn Die „Nordwest-Zeitung“ (Oldenburg) kommentiert das päpstliche Schreiben zu Ehe und Familie: „Kritiker bemängeln, erneut seien die Belange von wiederverheiratet Geschiedenen, von Homosexuellen und anderen Gruppen, denen die Kirche Jahrhunderte

die kalte Schulter gezeigt hat, unzureichend gewürdigt. Doch das ist nicht das Ziel dieses Schreibens. Innerkirchlich bedeutet ,Amoris Laetitia‘ einen gewaltigen Schritt nach vorn. Und innerhalb wie außerhalb der katholischen Kirche macht der Papst die Botschaft der Bibel klarer.“ Barmherzigkeit und die Not der Menschen „Der neue Tag“ (Weiden) schreibt dazu: „Dieser Papst will keine Revolution, er setzt seine Politik der Nadelstiche fort. Es geht um Wandel von innen, statt Diktat von oben. Das Gewissen ist wichtiger als kirchliche Ausführungsbestimmungen. Die reine Lehre bleibt – auch in Sachen Liebe und Sex. Aber was sind schon Doktrinen gegen die Not der Menschen? Priester und Bischöfe dürften moralische Gesetze nicht anwenden, ,als seien es Felsblöcke, die man auf das Leben von Menschen wirft‘. Ja, so könnte das mit der christlichen Barmherzigkeit ursprünglich gemeint gewesen sein. Und wer, wenn nicht die Kirche, sollte Experte im Verzeihen sein.“

F.A.Z. BERLIN, 10. April. Zwischen Bund und Ländern ist abermals Streit über die Abschiebung abgelehnter Asylbewerber ausgebrochen. Der Flüchtlingskoordinator der Bundesregierung, Kanzleramtsminister Peter Altmaier (CDU), forderte, die Zahl der Abschiebungen zu verdoppeln. „Da sind die Länder gefordert.“ Im vergangenen Jahr habe es 37 220 freiwillige Rückkehrer und 22 200 Abgeschobene gegeben, sagte Altmaier den Zeitungen der Funke Mediengruppe. „Ein realistischer Maßstab für 2016 wäre eine Verdoppelung dieser Zahlen.“ Die Länder verweisen dagegen auf die Verantwortung des Bundes für schnellere Asylverfahren. Der badenwürttembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) äußerte, die Forderungen „gehen mir auf die Nerven“. Der hessische Innenminister Peter Beuth (CDU) sagte: „Schuldzuweisungen sind völlig unangemessen.“ Und der nordrhein-westfälische Innenminister Ralf Jäger (SPD) hob hervor, Nordrhein-Westfalen schiebe bereits konsequent ab. Er kritisierte, dass Asylverfahren immer noch zu lange dauerten und der Aktenstau beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) weiter wachse. Dennoch rechne er damit, dass die Zahl der Abschiebungen in diesem Jahr wachse. Der scheidende baden-württembergische Innenminister Reinhold Gall (SPD) sagte, die Zahl der Abschiebungen hänge vor allem von der Rücknahmebereitschaft der Herkunftsländer ab. „Da ist eindeutig der Bund in der Pflicht.“ Der bayerische Innenminister Joachim Herrmann (CSU) nannte die Forderung Altmaiers hingegen „völlig richtig“. Dafür müsse das Bamf aber mehr Ablehnungsbescheide erlassen. Die Bundesregierung dringt seit längerem darauf, dass abgelehnte Asylbewerber zügiger abgeschoben werden. Bei der Umsetzung durch die Bundesländer gibt es aber Probleme. Zum Teil weigern sich Herkunftsländer, jemanden wiederaufzunehmen, weil Dokumente fehlen. Hinzu kommen rechtliche Hürden: So gilt zum Beispiel ein Abschiebeverbot, wenn dem Betroffenen im Heimatland Folter oder die Todesstrafe drohen. Nach Syrien und dem Irak stammten die meisten Asylsuchenden in den vergangenen Monaten aus Afghanistan. Die dortige Regierung verkündet Fortschritte bei einem Abkommen mit Deutschland zur Rückführung von Flüchtlingen. Ein Entwurf werde in den kommenden Tagen der deutschen Botschaft in Kabul vorgelegt, sagte Flüchtlingsminister Said Hussain Alemi Balkhi der Deutschen Presse-Agentur. Bis das Abkommen unterzeichnet sei, werde Afghanistan keine Abschiebungen dulden.

Steinmeier will zu G 8 zurückkehren pwe. HIROSHIMA, 10. April. Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier hat Russland in Aussicht gestellt, in den Kreis der Siebenergruppe der großen Industriestaaten zurückkehren zu können. „Ich würde mir wünschen, dass G 7 nicht das dauerhafte Format bleibt, sondern dass wir Bedingungen schaffen, um zu G 8 zurückzukehren“, sagte Steinmeier vor Beginn eines Treffens der Außenminister der Siebenergruppe in der japanischen Stadt Hiroshima. In diesem Jahr gebe es die Bedingungen aber noch nicht, äußerte Steinmeier. Russland war 2015 aus dem Kreis der G-8-Staaten ausgeschlossen worden, nachdem es die zur Ukraine gehörende Halbinsel Krim annektiert hatte. Der Konflikt zwischen Russland und der Ukraine über die Krim und das Gebiet im Donezbecken dauert an. Steinmeier nannte vor Journalisten als Bedingung, dass Russland die Minsk-Vereinbarung einhalten und zu einer politischen Lösung des UkraineKonflikts beitragen müsse. Russland müsse zudem weiter zeigen, dass es bei der Lösung der Konflikte in Syrien und in Libyen konstruktiv mitarbeite. Steinmeiers Vorstoß ist für Japan von besonderem Interesse. Das Land bemüht sich intensiv um Russland, um eine Rückgabe der Südkurilen-Inseln zu erlangen, die Japan als seine nördlichen Territorien ansieht. Eine Sprecherin des japanischen Außenministeriums teilte mit, angesichts der Lage in der Ukraine sei eine Diskussion über die Wiederaufnahme Russlands in die Gruppe ohne Bedeutung. Japan betont seit langem die Homogenität der Siebenergruppe als Staaten demokratischer Werte. Es sei aber wichtig, den Dialog mit Russland aufrechtzuerhalten, sagte die Sprecherin. Steinmeier erreichte das Außenministertreffen in Hiroshima später als geplant. Wegen eines technischen Defekts an seinem Flugzeugs flog er erst mit mehr als acht Stunden Verspätung in China ab, das er zuvor besucht hatte. Schon im Jahr 2008, beim vorherigen G-8-Außenministertreffen in Japan, war Steinmeier zu spät gekommen. Damals verzögerte nach Angaben von Reiseteilnehmern ein deutsches Fußballländerspiel die Anreise.

Politik

FRANKFU RT ER A L LG EM E I NE Z E I TU NG

MONTAG , 11. APRIL 2016 · NR . 8 4 · S E I T E 3

Der Mann mit dem Hut spielte Bingo Durch die Festnahme Muhammad Abrinis haben die belgischen Ermittler weitere Belege für eine Verbindung zwischen den Brüsseler und den Pariser Anschlägen. Von Michael Stabenow BRÜSSEL, 10. April elgiens Innenminister Jan Jambon übte sich am Wochenende in Vorsicht. „Eine Schlacht wurde gewonnen, aber noch nicht der Krieg“, sagte der flämische Politiker. Das war am Samstagnachmittag – nach der Bekanntgabe durch die Staatsanwaltschaft, dass die Polizei am Vortag Muhammad Abrini gefasst habe, und kurz vor der offiziellen Bestätigung, dass es sich dabei um den ominösen „Mann mit dem Hut“ handele. In die Erleichterung darüber, dass ein Hauptverdächtiger der Brüsseler Terroranschläge am 22. März endlich gefasst worden sein dürfte, mischt sich in Belgien die Befürchtung, dass damit die Terrorgefahr noch nicht gebannt ist. So bleibt es in Belgien nach der Festnahme Abrinis und dreier weiterer verdächtiger Personen bei der zweithöchsten von vier Terrorwarnstufen, bei der eine Bedrohung als „ernst und wahrscheinlich“ gilt. Seit den Anschlägen auf dem Flughafen und in einer U-Bahn, bei denen drei Selbstmordattentäter 32 Menschen töteten, und zu denen sich die Terrormiliz „Islamischer Staat“ bekannte, war fieberhaft nach Abrini und möglichen Komplizen gefahndet worden. Schon am 2. März hatten die Fahnder ein unmittelbar vor dem Anschlag in der Abfertigungshalle des Flughafens aufgenommenes Bild von drei Tatverdächtigen mit Gepäckwagen veröffentlicht. Kurz darauf gelang es, zwei der drei Männer als Selbstmordattentäter zu identifizieren: den 24 Jahre alten Najim Laachraoui und den fünf Jahre älteren Ibrahim El Bakraoui. Wer der daneben laufende und mit weißer Jacke sowie Hut bekleidete Mann war, wurde erst am Samstag aufgeklärt.

B

Dabei schien der Polizei der „Mann mit dem Hut“ schon am 24. März in die Fänge gegangen zu sein. Die Meldungen, es handele sich um einen 35 Jahre alten freien Journalisten, erwiesen sich rasch als falsch. Die auch nach seiner Festnahme im Stadtteil Anderlecht am Freitag fortbestehenden Zweifel an der Identität des „Manns mit dem Hut“ hat Abrini, ein im Brüsseler Problemviertel Molenbeek aufgewachsener 31 Jahre alte Sohn marokkanischer Einwanderer, offenbar selbst beseitigt. „Er ist mit den Ergebnissen verschiedener Ermittlungen konfrontiert worden und hat seine Anwesenheit während der Ereignisse zugegeben“, teilte die Staatsanwaltschaft mit. Sie verriet zudem, Abrini habe erklärt, nach dem Anschlag „seine Jacke in einen Abfalleimer geworfen und seinen Hut verkauft zu haben“. Abrini war schon als Minderjähriger erstmals mit der Justiz in Konflikt gekommen. In Molenbeek, wo er in einer Bäckerei gearbeitet hatte, war er unter dem Spitznamen „Brioche“ bekannt. Vor seiner Festnahme in Anderlecht hatte er einige Tage bei einer 43 Jahre alten Frau auf dem Sofa übernachtet. Wie die Zeitung „La Dernière Heure“ am Sonntag berichtete, soll er der Frau zunächst in einer Kneipe ein Bier ausgegeben haben. Abrini habe ihr erzählt, dass er versehentlich die Haustür zugeschlagen und daher weder Schlüssel noch Portemonnaie noch Handy bei sich habe. „Er spielte viel Bingo, hatte viel Geld bei sich. Er hatte Bündel an Zwanzig- und Fünfzig-Euroscheinen bei sich. Er hat sie mir gezeigt“, zitierte die Zeitung Assia B. Sie habe Abrini, der am Freitagabend wieder ausziehen wollte, erst wenige Stunden vor dessen Festnahme durch Fernsehbilder erkannt, sich aber nicht getraut, umgehend die Polizei zu informieren. Abrini, der die Wohnung vor allem abends verlassen habe, habe sie „gut“ behandelt. „Er hat mit mir niemals über Religion gesprochen. Im Gegenteil, er hat mir nur Unsinn erzählt“, soll die Frau gesagt haben. Aufschlussreicher war der Hinweis der Staatsanwaltschaft, Abrinis Fingerabdrücke und DNA-Spuren seien in jenem Haus in Schaerbeek gefunden worden, von dem aus die Attentäter am 22. März mit dem Taxi zum Flughafen aufgebrochen waren. Der Taxifahrer hatte die drei Männer auf dem Fahndungsbild wiedererkannt und den Ermittlern den Weg in die Wohnung gewiesen, in der die Spreng-

le, er habe sein Hütchen verkauft. „Daran glaube ich keine Minute“, sagte Van Ostaeyen. Eher sei ein Manöver mit dem Ziel zu vermuten, andere Mitglieder des Terrornetzes zu schützen. uch wenn nach der Festnahme Abrinis und des am Freitag im Stadtteil Laeken verhafteten Osama Krayem die zwei zuletzt noch auf freiem Fuß befindlichen mutmaßlichen Hauptverdächtigen der Brüsseler Anschläge hinter Schloss und Riegel sind, herrscht weiter Ungewissheit über die Verzweigungen des Terrornetzes. Mit Krayem, der mit Khalid El Bakraoui sowie mit einem ähnlichen Rucksack wie der Selbstmordattentäter kurz vor dem Anschlag auf die U-Bahn gefilmt worden war, führt abermals eine Spur nach Schweden und zu Syrien-Kämpfern. Krayem, der die beim Anschlag auf den Flughafen verwendeten Sporttaschen in einem Einkaufszentrum erworben haben soll, ist in Malmö aufgewachsen. In Schweden, unweit von Stockholm, hatte auch der 35 Jahre alte algerischstämmige Muhammad Belkaid gelebt. Er wurde Mitte März bei einem Schusswechsel mit der Polizei im Brüsseler Stadtteil Forest getötet und könnte, wie belgische Medien berichten, eine Schlüsselrolle im Terrornetz gespielt haben. In Forest waren auch Spuren Abdeslams entdeckt worden. Abdeslam soll im September 2015 Belkaid und den späteren Flughafenattentäter Laachraoui aus Ungarn abgeholt haben. Anfang Oktober soll er von Ulm aus den mit ihm am 18. März gefassten Amine Choukri und Krayem per Mietwagen nach Belgien gebracht haben. Wie es am Sonntag hieß, soll die Polizei einen weiteren, namentlich nicht bekannten Mitfahrer suchen. Außerdem werde noch jener Rucksack gesucht, den Krayem am 22. März an einem U-Bahnhof im Stadtteil Etterbeek getragen haben soll. Rund einen Kilometer davon entfernt hatte die Polizei am Samstag nach einem Verhör Krayems eine Wohnung durchsucht, dort aber weder Rucksack noch Waffen gefunden. In einem Punkt scheinen die Ermittler jetzt jedoch Gewissheit zu haben, dass sich die Attentäter am Morgen des 22. März nicht allein aus Schaerbeek, sondern auch von der jetzt entdeckten Wohnung in Etterbeek auf den Weg gemacht haben.

A

Zugriff in Anderlecht: Eine Handyaufnahme eines Anwohners zeigt die Festnahme Abrinis am Freitag.

sätze vorbereitet worden sein sollen. Auch in einer anderen Wohnung in Schaerbeek, in der Sprengstoffwesten gefunden wurden, soll Abrini Spuren hinterlassen haben. amit scheinen die Ermittler weitere Belege für eine Verbindung zwischen den Brüsseler und den Pariser Anschlägen gefunden zu haben, bei denen am 13. November 130 Menschen getötet worden waren. Zwei Tage zuvor an einer Autobahnraststätte in Nordfrankreich aufgenommene Bilder zeigen Abrini gemeinsam mit seinem am 18. März in Molenbeek gefassten Jugendfreund Salah Abdeslam. Ihr schwarzer Renault Clio diente später als Fluchtfahrzeug bei den Pariser Anschlägen. Obwohl Abrini sich am Abend des 13. Novembers nach Zeugenangaben in Brüssel befunden haben soll, zählte er kurz darauf, wie

D

der am Morgen nach den Anschlägen aus Paris zurückgekehrte Abdeslam, zu den meistgesuchten Männern Europas. Abrini und Abdeslam sollen auch eine Bleibe in Alfortville bei Paris angemietet haben, die den Pariser Attentätern als Unterschlupf diente. Seit dem 22. März haben sich die Hinweise auf Verbindungen zwischen den Brüsseler und Pariser Anschlägen verdichtet. So sind an den in Paris verwendeten Sprengstoffgürteln Fingerabdrücke des Flughafenattentäters Najim Laachraoui entdeckt worden. Khalid El Bakraoui, der jüngere Bruder des zweiten Selbstmordattentäters am Flughafen, hatte sich im U-Bahnhof Maelbeek in die Luft gesprengt. Er soll eine von den späteren Pariser Attentätern genutzte Wohnung in Charleroi angemietet haben. El Bakraouis Bruder Ibrahim hatte in einem Abfallbehälter in Schaerbeek eine Art „Testament“ hinterlassen. Darin hieß

Foto Reuters

es, dass er nicht wie der kurz zuvor verhaftete Abdeslam sein Leben hinter Gittern verbringen wolle und sich verfolgt fühle. Schon damals hatte dies die Vermutungen gestützt, der Anschlag in Brüssel sei früher als geplant ausgeführt worden. Diese These soll Abrini nach seiner Festnahme mit weiteren Belegen unterfüttert haben. So soll er beim Verhör angegeben haben, es habe Pläne für einen weiteren Anschlag in Frankreich gegeben: unter dem Fahndungsdruck der Polizei sei dann aber früher als geplant – und zwar in Brüssel – zugeschlagen worden. In Belgien gibt es jedoch Stimmen, die vor vorschnellen Schlüssen aus den Aussagen Abrinis warnen. Dazu gehört der flämische Terrorismusforscher Pieter Van Ostaeyen. Der Nachrichtenagentur Belga sagte er, es sei kaum vorstellbar, dass ein ranghoher IS-Kämpfer beim Verhör so schnell auspacke und zudem erzäh-

Auf der Achterbahn Die CDU in Baden-Württemberg schafft klare Verhältnisse / Von Rüdiger Soldt STUTTGART, 10. April. Wer derzeit Politiker in Baden-Württemberg ist, muss damit rechnen, dass sich die Lebensplanung so schnell ändert wie die Fahrtrichtung auf der Silverstar-Achterbahn im Ruster Freizeitpark. Der grüne Ministerpräsident Winfried Kretschmann und der CDU-Landesvorsitzende Thomas Strobl erleben das gerade. Kretschmann hätte vor fünf Jahren niemals damit gerechnet, dass er mal eine Koalition mit der CDU als Juniorpartner anführen müsste. Für Thomas Strobl hatten sich alle Pläne, in Stuttgart Ministerpräsident zu werden, am Nachmittag des 5. Dezembers 2014 erledigt, als das Ergebnis einer Mitgliederbefragung bekanntgegeben wurde, nach der gut 55 Prozent der Mitglieder für Guido Wolf und nur 44 Prozent für Strobl gestimmt hatten. Vor vier Wochen verlor Wolf die Landtagswahl, damit ist der 56 Jahre alte Strobl automatisch zum starken Mann der Südwest-CDU geworden. In den ersten Wochen nach der Wahlniederlage hatte Strobl seine Partei und auch den Koalitionspartner noch mit einem Satz Erwin Teufels vertröstet: „Erst das Land, dann die Partei, dann die Person.“ Je länger der Wahltag zurücklag, desto lauter wurden die Bitten an Strobl, endlich für eindeutige Machtverhältnisse zu sorgen. Die CDU und auch der grüne Koalitionspartner verlangten nach klaren Führungsstrukturen.

Strobl schuf diese am Freitagabend während einer Konferenz des Landesvorstandes und der Kreisvorsitzenden, die sich zur Analyse des Wahlergebnisses getroffen hatten. „Ja, ich bin bereit, nach Stuttgart zu gehen. Dazu gehört auch, dass es einen klaren Führungsanspruch für den Parteivorsitzenden gibt in den nächsten fünf Jahren.“ Und: „Ich fände es schön, wenn Guido Wolf in der neuen Regierung ein wichtiges Amt bekleiden würde.“ Mit diesen Sätzen bekräftigte Strobl seinen Führungsanspruch für die Koalitionsverhandlungen sowie seine Bereitschaft, als stellvertretender Ministerpräsident und wahrscheinlich als Innenminister, in eine grün-schwarze Regierung zu gehen. Interessant dürfte die Frage werden, wer die Landtagsfraktion anführen wird. Guido Wolf legte sich in dieser Frage am Freitag nicht fest. Es ist aber zu erwarten, dass er Minister wird, zum Beispiel für die Ressorts Justiz und Europa. Die Zahl von Wolfs Anhängern in der Fraktion schwand noch am Freitagabend. Wolfs Tage als Fraktionsvorsitzender dürften auch deshalb gezählt sein, weil in der CDU viele einen Dualismus zwischen Fraktionschef und stellvertretendem Ministerpräsidenten unbedingt vermeiden wollen. Die Stimmung während der Sitzung am Freitag wurde als „recht explosiv“ beschrieben, weil die Wahlforscher Matthias Jung von der Forschungsgruppe Wah-

Grün, grün, grün sind alle meine Kleider, grün, grün, grün ist alles, was ich hab. Darum

lieb ich alles, was so grün ist, weil mein Schatz ein Grüner ist: Strobl und Kretschmann am Mittwoch in Stuttgart Foto dpa

len und Frank Brettschneider von der Universität Stuttgart-Hohenheim vor allem Wolfs Wahlkampfführung für die Niederlage verantwortlich machten. In der CDU ist die Unzufriedenheit mit Wolfs Wahlkampf genauso groß wie die Angst, in der Koalition mit den Grünen an den Rand gedrängt zu werden. Für die „neuartige Konstellation GrünSchwarz“, heißt es, brauche man nun einen Fraktionsvorsitzenden, der ein Vermittler sei – einen, der Kontakte ins grüne Regierungslager habe und zugleich Themen der CDU profilieren könne. Genannt werden derzeit drei Abgeordnete: der frühere Europaminister Wolfgang Reinhart, der stellvertretende Fraktionsvorsitzende Volker Schebesta und auffallend häufig auch Willi Stächele, der frühere Finanzminister. Stächele gehörte über einen Zeitraum von insgesamt 13 Jahren unterschiedlichen Landesregierungen an und ist seit 1992 Mitglied des Landtags. Er zählt somit zu den erfahrensten Politikern der CDU im Südwesten. Vor einer großen Herausforderung steht auch der Landesvorsitzende Strobl. Ein Verbleib in Berlin wäre für ihn risikoärmer gewesen als der Wechsel nach Stuttgart, wo noch ungewiss ist, wie gut oder schlecht die erste grün-schwarze Koalition arbeiten wird. Der Heilbronner Bundestagsabgeordnete kann aber auf eine breite politische Erfahrung zurückblicken. Seine Karriere begann in Heilbronn in der Kommunalpolitik und als parlamentarischer Berater der CDU-Landtagsfraktion, zu dem er vom damaligen Fraktionsvorsitzenden Günther Oettinger gemacht wurde. Strobl gehörte immer zum liberalen Lager des Landesverbandes. Gleichwohl blieb er unter Ministerpräsident Stefan Mappus Generalsekretär, was dazu führte, dass er nach der Wahlniederlage 2011 mit einem schlechten Ergebnis zum Landesvorsitzenden gewählt wurde. Zu Wahlkampfzeiten überhäufte Strobl die Medien schon mal mit verbalradikalen Statements über die „grüne Dagegenpartei“, im politischen Normalbetrieb gehörte er aber stets zu denen im Landesverband, die mit Winfried Kretschmann, als dieser noch in der Opposition war, regelmäßig das Gespräch suchten. Seit 2011 tat er viel, um die CDU zu modernisieren, etwa mit dem Förderprogramm „Frauen im Fokus“. Strobl hat sich somit auf die neue Aufgabe nicht nur mit grünen Freizeithemden und Trachtenjankern mit grünem Einstecktuch vorbereitet, wie er sie bei den Koalitionsverhandlungen jetzt gern trägt. Wird er gefragt, ob er als christlicher Demokrat Brücken bauen könne, antwortet er gern mit einem Hinweis auf sein Privatleben: Er sei ein „evangelischer Franke“, der mit einer „katholischen Badenerin“ verheiratet sei. Gemeint ist Christine Strobl, die Tochter von Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble.

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Politik

SE IT E 4 · M O N TAG , 1 1 . A P R I L 2 0 1 6 · N R . 8 4

Orientierungslos auf Regierungskurs Die Grünen diskutieren nach dem Wahlsieg im Südwesten ihren weiteren Weg. Die Partei müsse Antworten geben können, fordert Winfried Kretschmann. Von Johannes Leithäuser BERLIN, 10. April ie Grünen probieren neue Formeln aus, um die Geschlossenheit zwischen ihren Parteiflügeln zu wahren – jetzt, da sie in Baden-Württemberg mit einem Wahlergebnis von mehr als 30 Prozent in den Rang einer Volkspartei vorgerückt sind, während sie in anderen Bundesländern bei den Wahlen im März die Fünfprozenthürde nur knapp überwinden konnten. Das Schlagwort für das neue Selbstverständnis der Grünen lautet „Orientierungspartei“ – auf dem Länderrat, dem kleinen Parteitag der Bundes-Grünen am Wochenende in Berlin, führten es viele Redner im Munde. Während die Führungsriege der Realpolitiker in der Partei schon seit mehreren Jahren – seit dem Reaktorunglück von Fukushima im Jahr 2011 – darauf dringt, die Grünen müssten über ihre traditionelle Rolle einer Avantgarde- und Minderheitenkraft hinauswachsen, fürchtet die Parteilinke stets, damit könnten zu große inhaltliche Kompromisse verbunden sein. Nun haben sich beide Seiten auf den neuen Orientierungsbegriff verständigt – und auf ein „ja, aber“, was den künftigen Regierungspragmatismus der Grünen betrifft. Beim Länderrat der Grünen klang diese neue Verständigungslinie ungefähr so: Der Wahlsieger Winfried Kretschmann, der wohl auch künftig Baden-Württemberg als grüner Ministerpräsident regiert, stellte erstens fest, die grünen Themen – Klimaschutz, Ernährung, Menschenrechte – seien in der Gesellschaft längst keine Minderheitenthemen mehr, sondern mehrheitsfähig. Die Grünen könnten es daher also zweitens nicht länger damit bewenden lassen, Idealforderungen zu vertreten, sie müssten vielmehr „Antworten“ geben, wie der Klimaschutz zu verbessern, wie die Flüchtlingskrise zu handhaben sei. Sie müssten über ihre eigene Wählerklientel „anschlussfähig“ sein in alle gesellschaftlichen Milieus hinein. Der schleswig-holsteinische Umweltmi-

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Neues pflanzen: Anton Hofreiter und Katrin Göring-Eckardt

nister Robert Habeck, einer der Bewerber um die Spitzenkandidatur für die Grünen zur Bundestagswahl, beteuerte, die Menschen suchten angesichts der aktuellen Krisen nach Orientierung – „und die hat keinen Ort“. Die Grünen seien aufgefordert, ihre Relevanz „in Taten und Vorschlägen zu beweisen“. Wenn es stimme, dass Mehrheiten in der Bevölkerung schon grünem Gedankengut folgten, dann müssten die Grünen jetzt diese Mehrheiten „erden und fluchten“. Und Reinhard Bütikofer, der frühere Bundesvorsitzende und jetzige Chef der europäischen Grünen, stellte auf dem Berliner Länderrat fest, die Partei könne „nicht

Foto dpa

länger erfolgreich sein mit der Addition kleinteiliger Minderheiten-Interessen“. Bütikofer, der vor Wochen schon die gegenwärtige Lage der Partei in der TwitterEmpfehlung zusammenfasste, die Grünen sollten nun „Kretschmann nicht kopieren, aber kapieren“, stellte jetzt die dringlichste Forderung auf, die Grünen müssten nun „zur Orientierungspartei werden“. Seine Kollegin im Europaparlament Rebekka Harms sekundierte: Bislang hätten es die Grünen noch nicht geschafft, ihre Strukturen „von APO auf Regierungsbeteiligung umzustellen“. Konkrete Forderungen der Realos nach Änderungen oder Öffnungen im Pro-

gramm der Partei blieben eher die Ausnahme, ein Schwerpunkt lag allerdings auf der Frage, wie die Partei ihr Verhältnis zur Wirtschaft und Industrie gestalten solle. Der Parteivorsitzende Cem Özdemir gab an, Wirtschaft und Umwelt seien doch keine Gegensätze, die Grünen reichten Handwerk und Mittelstand die Hand. Kretschmann ließ wissen, er besuche alle zwei Wochen ein Unternehmen: es sei einfach an den Grünen, den Beweis zu führen, dass ökologische Modernisierung und Prosperität gemeinsam möglich seien. Die Parteilinke unterließ am Wochenende den offenen Widerspruch, sie markierte lediglich in Nuancen ihre Vorbehalte. Die Parteivorsitzende Simone Peter sagte, „unter den richtigen Bedingungen“ könnten die Grünen weiter wachsen, und setzte hinzu, diese Bedingungen seien eben von Land zu Land und von den Ländern zum Bund jeweils verschieden. Die Unterschiede zwischen den Parteien müssten sichtbar bleiben, mahnte sie außerdem. Der stellvertretende Fraktionsvorsitzende Gerhard Schick sagte, es dürfe nicht dahin kommen, dass die Kompromisse, zu denen die Grünen in Regierungsverantwortung gezwungen seien, „das grüne Bild“ bestimmten. Das zielte auf Kretschmanns Verhalten in der Flüchtlingspolitik; die baden-württembergische Landesregierung hatte zweimal Asylverschärfungen der großen Berliner Koalition im Bundesrat zu einer Mehrheit verholfen. Der gleichfalls zur Parteilinken gezählte Bundestags-Fraktionschef Anton Hofreiter zeigte gleichfalls auf diesen Punkt: Natürlich seien einerseits „Kompromisse auf Landesebene“ kein „Verrat“ – andererseits aber „muss klar sein, was ist unsere Haltung?“ Hofreiter ließ allerdings auch erkennen, dass sich in der gegenwärtigen Lage der Flügelstreit der Grünen nicht länger an den Wunsch-Koalitionspartnern orientiert, also die Linke nicht mehr, wie einst, ausdrücklich für ein rotgrünes oder rot-rot-grünes Bündnis plädiert. Jetzt ließ es der Fraktionsvorsitzende damit bewenden, einen allgemeinen Regierungsanspruch für seine Partei zu formulieren: „Dieses Land braucht wieder Grün auf Bundesebene“, rief Hofreiter, „und dafür kämpfen wir.“ Eine Satzungsänderung, wonach künftig Koalitionsverträge im Bund rasch durch Mitgliederentscheide bestätigt werden können, wurde von den Delegierten einstimmig angenommen.

Schließung der Schmerzgrenze Wie sich die AfD anderen europäischen Rechtspopulisten annähert – auch dem Front National / Von Justus Bender FRANKFURT, 10. April. Wäre Alexander Gauland ein Pedant, er müsste sich für seine Worte selbst bestrafen. Der Beschlusslage des AfD-Vorstandes folgend, müsste der stellvertretende Bundesvorsitzende auf die Einleitung eines Ordnungsverfahrens dringen und sich selbst eine Abmahnung zustellen – genauso wie den Landesvorsitzenden von Berlin, Thüringen und Sachsen-Anhalt, Beatrix von Storch, Björn Höcke und André Poggenburg. Der nordrhein-westfälische Landesvorsitzende Marcus Pretzell wiederum müsste sich im Rückblick als ungerecht bestraft fühlen – denn für Annäherungen an ausländische Rechtspopulisten, wie sie dieser Tage von seinen Parteifreunden zu hören sind, war Pretzell im März 2014 noch von der Parteiführung mit einer Verwarnung gerügt worden. Damals hatte Pretzell eine Veranstaltung der AfD-Jugendorganisation „Junge Alternative“ (JA) besucht, auf der Nigel Farage von der britischen Ukip-Partei eine Rede hielt. Die Teilnahme von Pretzell galt als Affront. Mit der rechtspopulistischen Ukip wollten damalige AfD-Politiker wie Bernd Lucke und Hans-Olaf Henkel nichts zu tun haben. Schon im November 2013 hatte der AfD-Bundesvorstand beschlossen, „dass Kontakte von Funktionsträgern der AfD zu ausländischen Parteien mit dem Bundesvorstand abzustimmen sind“. Pretzells Verhalten sei eine „Missachtung“ dieses Beschlusses gewesen, deshalb werde er verwarnt. Das war vor fast drei Jahren. Und im April 2016? Da trifft sich Gauland am 5. April mit dem FPÖ-Generalsekretär Harald Vilimsky in Nauen und spricht über Gemeinsamkeiten. Da verkündet die Europaabgeordnete Beatrix von Storch am Freitag ohne Rücksprache mit der Parteiführung ihren Beitritt zur rechtspopulistischen EFDD-Fraktion, der auch Ukip angehört. Da lobt Höcke

am Samstag auf einem Landesparteitag in Arnstadt nicht nur die Pegida-Bewegung, sondern auch die österreichische FPÖ und sagt, man müsse das Verbindende mit dem rechtsextremen Front National (FN) in Frankreich herausstellen – und nicht das Trennende. Im März 2014 hätte eine solche Aussage von Höcke mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu einem Ordnungsverfahren geführt. Schließlich hatte seine ähnlich gefärbte Aussage, nicht alle NPD-Mitglieder seien extremistisch, den AfD-Bundesvorstand im Mai 2015 zu einem Amtsenthebungsverfahren inspiriert, das nach der Abspaltung des wirtschaftsliberalen Flügels eingestellt wurde. Wie sehr sich die Schmerzgrenzen der AfD-Funktionäre seither verschoben haben, zeigt der Vergleich mit der Gegenwart.

Im April 2016 ist aus der AfD vor allem Zustimmung zu hören. Am Sonntag verkündete Poggenburg auf Twitter: „Die FPÖ ist die natürliche Verbündete der AfD!“ Ebenfalls am Sonntag spekulierte Gauland über eine gemeinsame Europafraktion mit dem FN. Sollte sich in naher Zukunft eine Fraktion aus EU-Kritikern unter Beteiligung des FN gründen, sollte die AfD dieser beitreten, sagte Gauland dieser Zeitung. „Man muss den FN ja nicht lieben, aber es kann der Moment kommen, in dem man sagen muss, wir können mit dem FN zusammenwirken, auch wenn wir nicht mit allem einverstanden sind, wofür er steht.“ Und die einstigen Empfindlichkeiten des AfD-Bundesvorstandes zu Kooperationen mit ausländischen Rechtspopulisten? „Das hat sich weitgehend entkrampft“, sagte Gauland.

Gemeinsamkeiten mit dem Front National: Höcke am Samstag in Arnstadt

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Gierth. Anzeigenpreisliste Nr. 76 vom 1. Januar 2016 an; für Stellenanzeigen: F.A.Z.-Stellenmarkt-Preisliste Nr. 10 vom 1. Januar 2016 an. MONATSBEZUGSPREISE: Abonnement Frankfurter Allgemeine Zeitung 59,90 €; einschließlich Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung 66,90 €; Studierende (gegen Vorlage einer Bescheinigung) 30,40 €; einschließlich Frankfurter Allgemeine Hochschulanzeiger 30,90 €; einschließlich Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung 35,90 €. Bei Postbezug der Sonntagszeitung erfolgt die Lieferung am Montag – bei Feiertagen am darauffolgenden Werktag. Frankfurter Allgemeine Zeitung im Ausland 68,50 € einschließlich Porto, gegebenenfalls zuzüglich Luftpostgebühren. Alle Preise bei Zustellung frei Haus, jeweils einschließlich Zustell- und Versandgebühren sowie 7 % Umsatzsteuer. Abonnement der digitalen F.A.Z. (E-Paper) 39,90 €; einschließlich der digitalen Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung (E-Paper) 44,90 €; Studierende (gegen Vorlage einer Bescheinigung) 30,90 €; einschließlich der digitalen Sonntagszeitung 35,90 €; Einzelver-

An solchen Lockerungsübungen hat auch die AfD-Bundesvorsitzende Frauke Petry ihren Anteil. Gemeinsam mit Pretzell und dem bayerischen Landesvorsitzenden Petr Bystron hatte sie den FPÖ-Vorsitzenden Heinz-Christian Strache in Düsseldorf getroffen – und über „Visionen für Europa“ gesprochen. Das Ergebnis der Veranstaltung war die Verkündung einer „Blauen Allianz“ zwischen dem bayerischen AfD-Landesverband und der FPÖ. In der Praxis sollen FPÖ-Politiker künftig vermehrt zu AfD-Veranstaltungen eingeladen werden. „Die Summe der Gemeinsamkeiten ist groß“, sagte Bystron. Man wolle künftig auch mit ähnlichen Parteien in der Schweiz und der Tschechischen Republik zusammenarbeiten. In der Vergangenheit wurden Debatten über Bündnisse in der AfD wie Stellvertreterkriege geführt. Sie hatten in Wahrheit nicht eine Bewertung des Front National oder der FPÖ zum Inhalt, sondern die Frage, in welche Richtung sich die AfD entwickeln soll. Entsprechend pikiert reagierte der als gemäßigt geltende Bundesvorsitzende Jörg Meuthen, als Höcke dem FN im Dezember zum Wahlsieg bei den französischen Regionalwahlen gratulierte. Er halte dies „für falsch und unangemessen“, erklärte Meuthen damals. Petry hingegen hat seit 2014 eine Wandlung durchlaufen. Als im damaligen sächsischen Landtagswahlkampf drei AfD-Kandidaten den FPÖ-Politiker Andreas Mölzer einluden, reagierte sie verhalten. Der frühere Europaabgeordnete Mölzer hatte die EU einst als „Negerkonglomerat“ bezeichnet und das „Dritte Reich“ im Vergleich als „liberal“. Petry sagte damals im MDR, die Einladung sei die „Einzelaktion“ eines Kandidaten, der seine „Kompetenzen überschritten“ habe – zwanzig Monate bevor sie selbst den FPÖ-Vorsitzenden Strache einlud. Dabei stand unter dem Vorstandsbeschluss, der solche Alleingänge kritisierte, im Jahr 2013 auch ihr eigener Name.

F R A N K F U RT E R A L LG E M E I N E Z E I T U N G

Die ganze Wahrheit mit ein paar Lücken Krise zwischen Italien und Ägypten wegen toten Studenten ROM, 10. April. Italien hat kein Interesse an einem Konflikt mit Ägyptens Regierung; auch die Europäische Union und die Vereinten Nationen brauchen Kairo, unter anderem zur Beruhigung der Lage in Libyen. Aber nun ist der Konflikt da: Abberufung des italienischen Botschafters aus Kairo, Herabstufung der bilateralen diplomatischen Kontakte, Reisewarnung an Touristen. Italiens Ministerpräsident Matteo Renzi will sich mit nichts anderem „als der vollen Wahrheit“ über den grausamen Mord am italienischen Doktoranden Giulio Regeni zufriedengeben. Das versprach er dessen Familie und der Nation. Aber alles deutet darauf hin, dass Sicherheitsleute von Machthaber Abd al Fattah al Sisi den 28 Jahre alten Soziologen, der Ägyptens Sozialbewegung und die Gewerkschaften erforschte und in oppositionellen Kreisen verkehrte, am 25. Januar verschleppten, folterten und Tage später an der Ausfallautobahn nach Alexandria in den Graben warfen. Die ägyptische Staatsanwaltschaft beteuert stets, „volle Kooperation bei den Ermittlungen“ zu leisten, aber die italienische Regierung ist mehr als skeptisch. In der vergangenen Woche trafen sich die ägyptischen und italienischen Ermittler zu zweitägigen Beratungen der bisherigen Ermittlungsergebnisse. Immerhin brachten die Generäle aus Kairo ein Dossier von 2000 Seiten mit. Darin fehlten aber Videos, die Überwachungskameras in Regenis Nachbarschaft aufgenommen hatten, und die besonders begehrten Listen der wohl einige hundert Namen umfassenden Kontakte Regenis sowie seine Telefondaten, die darüber Aufschluss geben, mit wem der Ermordete in seinen letzten Tagen gesprochen hatte. Doch die ägyptische Staatsanwaltschaft verweigert die Einsicht in diese Daten mit Hinweis auf den in der Verfassung verankerten Datenschutz: „Diese Forderung verstößt gegen die Verfassung und könnte eine Straftat darstellen“, sagte Vize-Generalstaatsanwalt Mostafa Suleiman bei einer Pressekonferenz am Samstag in Kairo. In Italien hält man das für Chuzpe, scherten sich ägyptische Sicherheitsdienste doch sonst auch nicht um Datenschutz. Hier sollten offenbar eigene Sicherheitsleute gedeckt werden, so der Vorwurf; und so waren die zweitägigen Beratungen am Freitag ohne Ergebnis abgebrochen worden. Noch am selben Tag rief Italiens Außenminister Paolo Gentiloni seinen Botschafter in Kairo, Maurizio Massari „zu Konsultationen“ zurück. Am Sonntag berichteten Zeitungen von einer bevorstehenden Herunterstufung, einem „downgrade“, der bilateralen Beziehungen. Man könnte die jährlichen Regierungsgespräche einfrieren. Das Außenministerium könnte Italiens Touristen von Reisen nach Ägypten abraten. Auf dem ökonomischen Sektor wird von Sanktionen gesprochen. Da aber dürfte ziemlich schnell eine Schmerzgrenze erreicht sein. Nach jüngsten bilateralen

Ramallah hofft auf Obama Resolutionsentwurf zur Zwei-Staaten-Lösung hcr. JERUSALEM, 10. April. Die palästinensische Führung versucht, mit einer Resolution des UN-Sicherheitsrats neue Bewegung in die Bemühungen um eine Beilegung des Nahost-Konflikts zu bringen. Ein erster Entwurf verlangt laut Presseberichten, Verhandlungen wiederaufzunehmen und binnen eines Jahres die Zwei-Staaten-Lösung zu verwirklichen. Zudem verurteilt der Text, der auch im Internet kursierte, die israelischen Siedlungen im Westjordanland als illegal zu bezeichnen. Vor fünf Jahren war im UN-Sicherheitsrat eine ähnlich lautende Resolution am amerikanischen Veto gescheitert. Damals hatten alle anderen Mitglieder des Gremiums den Vorstoß unterstützt, den die Gruppe der arabischen Staaten mit den Palästinensern eingebracht hatte. Unter ihnen waren auch Deutschland, Frankreich und Großbritannien. Der Text hatte „jede israelische Siedlungsaktivität“ in den besetzten Gebieten und Ostjerusalem als illegal sowie als ein Hindernis für die Zwei-Staaten-Lösung kritisiert. In Ramallah hofft man nun darauf, dass die amerikanische Regierung dieses Mal keinen Einspruch einlegt. Nach mehreren gescheiterten Vermittlungsbemühungen war in Washington die Ungeduld

kaufspreis der digitalen F.A.Z. 1,80 €; der digitalen F.A.S. 3,20 €; jeweils einschließlich 19 % Umsatzsteuer. Weitere Preise auf Anfrage oder unter www.faz.net. Die F.A.Z. erscheint werktäglich, die Sonntagszeitung an jedem Sonntag – auch an Feiertagen. Ihre Daten werden zum Zweck der Zeitungszustellung an Zustellpartner und an die Medienservice GmbH & Co. KG, Hellerhofstraße 2–4, 60327 Frankfurt am Main, übermittelt. Abonnementskündigungen sind schriftlich mit einer Frist von 20 Tagen zum Monatsende bzw. zum Ende des vorausberechneten Bezugszeitraumes möglich. Gerichtsstand Frankfurt am Main. NACHDRUCKE: Die Frankfurter Allgemeine Zeitung wird in gedruckter und digitaler Form vertrieben und ist aus Datenbanken abrufbar. Eine Verwertung der urheberrechtlich geschützten Zeitung oder der in ihr enthaltenen Beiträge und Abbildungen, besonders durch Vervielfältigung oder Verbreitung, ist ohne vorherige schriftliche Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar, soweit sich aus dem Urhebergesetz nicht anderes ergibt. Besonders ist eine Einspeicherung oder Verbreitung von Zeitungsinhalten in Datenbanksystemen, zum Beispiel als elektronischer Pressespiegel oder Archiv, ohne Zustimmung des Verlages unzulässig. Sofern Sie Artikel dieser Zeitung nachdrucken, in Ihr Internet-Angebot oder in Ihr Intranet übernehmen oder per E-Mail versenden wollen, können Sie die erforderlichen Rechte bei der F.A.Z. GmbH online erwerben unter www.faz-rechte.de. Auskunft erhalten Sie unter [email protected] oder telefonisch unter (069) 75 91- 29 85. Für die Übernahme von Artikeln in Ihren internen elektronischen Pressespiegel erhalten Sie die erforderlichen Rechte unter www.presse-monitor.de oder telefonisch unter (0 30) 28 49 30, PMG Presse-Monitor GmbH.

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Vereinbarungen will Italien durch seinen Eni-Konzern fünf Milliarden Euro in den Abbau riesiger Gasvorkommen vor Ägyptens Küste stecken. Kairo könnte zum Schaden Roms einen anderen Investor finden. Italien ist einer der wichtigsten Waffenexporteure für Ägypten. Offenbar ein lukrativer Markt, den Italien nicht verlieren möchte. Bei dem gemeinsamen Kampf gegen islamistischen Terror braucht Rom Ägypten ebenso. Seitdem immer mehr Syrer versuchen, über den langen Seeweg von der ägyptischen Küste aus Sizilien oder Kalabrien zu erreichen, möchte Rom – im Interesse der gesamten EU – mit Kairo einen Vertrag zum Kampf gegen Schlepper schließen. Auch der könnte nun in Gefahr geraten. Aber nicht nur Italien braucht Ägypten. Zur Stabilisierung der erst zehn Tage alten libyschen Einheitsregierung von Fayez Serraj in Tripolis spielt das Regime al Sisi eine wichtige Rolle. Offenbar hat aber auch Ägypten kein Interesse an einer Zuspitzung der Regeni-Krise. Bei der Pressekonferenz in Kairo sagte der Vizestaatsanwalt, dass man doch auf 98 Prozent der italienischen Wünsche in Bezug auf das Regeni-Dossier eingegangen sei. Das Zurückhalten der Kontaktlisten sei nur eine kleine Ausnahme. „In jedem Fall haben wir beschlossen, weiter mit der italienischen Justiz zusammenzuarbeiten.“ Bei den Gesprächen habe es „keine großen Divergenzen gegeben, weder im Grundsatz noch von Bedeutung“, beteuerte Suleiman. „Mit Bedauern“ soll Außenminister Samech Shoukry auf die Abberufung des italienischen Botschafters reagiert haben. Der Minister habe mit Gentiloni telefoniert, um die Misshelligkeiten beizulegen. Vor der Mordtat waren die bilateralen Beziehungen geradezu aufgeblüht. Renzi war der erste EU-Ministerpräsident, der dem ägyptischen Machthaber al Sisi in Kairo die Aufwartung machte; und dieser kam bei seiner ersten Europa-Reise nach Rom. Doch dann verschwand Giulio Regeni, der sich mit einem Forschungsstipendium der Universität Cambridge in Kairo aufhielt, und wurde neun Tage später tot und schwer misshandelt aufgefunden. Seine Finger- und Fußnägel waren ausgerissen, seine Ohren abgeschnitten. Erschrocken reagierte Ägyptens Obrigkeit und wartete mit immer neuen Ermittlungsergebnissen auf. Regeni sei von einer Bande von fünf Kriminellen überfallen und ermordet worden; Islamisten hätten Regeni getötet, um der ägyptischen Regierung zu schaden, lauteten zwei von fünf Versionen. Tatsächlich aber weist nicht zuletzt die Art der Folterungen auf den ägyptischen Sicherheitsdienst hin. Auch sei auffällig, dass die ägyptische Polizei genau die Informationen zurückhalte, die ihr bei der Verfolgung der linken ägyptischen Opposition nützlich sein könnten, wird in Italien beobachtet. In Rom hieß es am Sonntag trocken. „Wir wollen weiter die ganze Wahrheit.“ (jöb.)

mit der israelischen Regierung gewachsen. Im März zitierte der amerikanische Journalist Jeffrey Goldberg Präsident Barack Obama, kaum ein anderer Politiker im Nahen Osten habe ihn so sehr enttäuscht wie der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu. In Jerusalem hatte man zuletzt befürchtet, dass Frankreich eine Nahost-Resolution einbringen könnte. In Paris war zeitweise auch eine neue Nahost-Friedenskonferenz ins Gespräch gebracht worden. Netanjahu warf dem palästinensischen Präsidenten Mahmud Abbas vor, direkten Gesprächen aus dem Weg zu gehen. Eine UN-Resolution würde Verhandlungen nur erschweren. Sowohl Netanjahu als auch Abbas haben sich zu Gesprächen bereit erklärt, nachdem sie sich seit Jahren aus dem Weg gegangen sind. Laut israelischen Berichten wird Abbas am 22. April in New York sein, um an einer Klimakonferenz teilzunehmen. Bei dieser Gelegenheit könnte er sich auch vor dem UN-Sicherheitsrat für die neue Resolution einsetzen. Die Existenz eines entsprechenden Entwurfs bestätigte am Wochenende ein Sprecher des amerikanischen Außenministeriums, ohne Hinweise auf das eigene Abstimmungsverhalten zu geben.

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Politik

FRANKFU RT ER A L LG EM E I NE Z E I TU NG

MONTAG , 11. APRIL 2016 · NR . 8 4 · S E I T E 5

Wo Finnland nah und doch fern ist

Wichtiges in Kürze Syrer gesteht Brandstiftung Nach der Brandstiftung in einem auch als Flüchtlingsunterkunft genutzten Haus in Bingen hat ein festgenommener Mann aus Syrien die Tat gestanden. Er gab auch zu, das Haus mit Hakenkreuzen beschmiert zu haben. Als Motiv habe der 26 Jahre alte Mann die beengten Wohnverhältnisse in der Unterkunft sowie eine fehlende Zukunftsperspektive angegeben, teilten Polizei und Staatsanwaltschaft am Sonntag in Mainz mit. Das Amtsgericht erließ Haftbefehl wegen schwerer Brandstiftung. Bei dem Brand waren in der Nacht auf Donnerstag vier Bewohner und zwei Feuerwehrleute verletzt worden. (dpa)

In Karelien trifft die russische Wirtschaftskrise auf einen Machtkampf der Regierung mit örtlichen Widersachern. Doch auch ihr Oberhaupt hat sich nun den Unmut des Kremls zugezogen. Von Friedrich Schmidt PETROSAWODSK, im April ie sich die Wirtschaftskrise auf sein Leben auswirkt, misst Sergej Inin, Unternehmer aus Petrosawodsk im Nordwesten Russlands, in Tonnen. Vor der Krise verkaufte er jede Woche bis zu fünf Tonnen Ersatzteile für Autos. Jetzt nur noch eineinhalb Tonnen. Entsprechend verdient Inin weniger, während die Preise gestiegen sind. Weniger Geld, weniger Reparaturen. „Die Leute spüren die Krise“, sagt er. Inin, Mitte 30, sitzt in einem Café am Lenin-Prospekt im Zentrum von Petrosawodsk, der Hauptstadt der Teilrepublik Karelien. „Neubrandenburg“ heißt es, zu Ehren der mecklenburgischen Partnerstadt. Bei Inin sind an diesem Nachmittag drei weitere Teilnehmer eines Seminars der „Moskauer Schule der Selbstverwaltung“. Die Nichtregierungsorganisation will Russen, die sich dafür interessieren, bei Wahlen anzutreten, beibringen, wie sie die vielen Hürden überwinden. Inin will im September, wenn im ganzen Land gewählt wird, in den Stadtrat seiner Heimatstadt einziehen und dort dafür sorgen, dass das Leben in seinem Viertel besser wird. Er ist Mitglied der Regierungspartei „Einiges Russland“, aber klagt wie die anderen am Tisch, die der Opposition zuneigen, dass „die Macht“ in der Republik vor allem eigene Geschäftsinteressen vertrete und ihre Gegner einschüchtere. Sie feilen an einer Wahlkampagne für Inin, um das Ergebnis später den anderen Seminarteilnehmern vorzustellen. Ein Mann der Regierungspartei im Austausch mit Andersdenkenden: So etwas gibt es in Karelien. Wie auch Unternehmergeist, Machtkämpfe mit den für Russland typischen Kampfmitteln im Gewand von Recht und Ordnung, und eine Rüge von höchster Moskauer Stelle an die Adresse des Republikoberhaupts. Was im Nordwesten passiert, spiegelt Entwicklungen in ganz Russland womöglich deutlicher als andernorts; vielleicht, weil es Grenzland ist. Die Region Karelien war lange zwischen Finnland und Russland umstritten. Auf einer Kreuzung in Petrosawodsk, das wie das 400 Kilometer entfernte Sankt Petersburg 1703 von Zar Peter dem Großen gegründet wurde, erinnert ein Panzer daran, dass 1944 finnische Truppen aus der Stadt getrieben wurden. Heute ist Karelien zwischen beiden Ländern geteilt. In der russischen Republik leben 630 000 Menschen, fast die Hälfte von ihnen in der Hauptstadt. Die finnische Grenze verläuft wenige Autostunden von Petrosawodsk entfernt. Wer es sich trotz Rubeleinbruchs und Wirtschaftskrise – das Durchschnittseinkommen soll bei umgerechnet rund 340 Euro liegen – leisten kann, fährt gern hinüber. Zum Beispiel, um Westkäse zu kaufen, seit Moskaus Lebensmittelembargo gegen die EU das Angebot ausdünnt. Die Nähe bewirkt auch, dass es einen Vergleichsmaßstab gibt. Den Westen, sagen Bewohner der „Hauptstadt am Onegasee“, erkennt man an den Straßen. In Petrosawodsk schwappt im März auch auf Hauptverkehrsachsen Schmelz- oder Regenwasser, sammelt sich in Senken, verbirgt Schlaglöcher. In Karelien, sagen manche zudem, glauben weniger Leute die Moskauer Fernsehgeschichten von auswärtigen Feinden und inneren Verrätern, die an Missständen schuld sein sollen, als andernorts. Finnland ist auch konkret ein Hort der Freiheit. Der wichtigste Oppositionspolitiker der Republik, Wassilij Popow von der

Papst reist in Krisenregion

W

Instruktionen aus Moskau: Präsident Wladimir Putin empfängt das Oberhaupt Kareliens, Alexander Chudilajnen.

Partei Jabloko, ist vor einem Jahr in die finnische Stadt Joensuu nahe der Grenze geflohen, weil ihm in der Heimat die Verhaftung droht. Seine Frau, die Jabloko im Regionalparlament vertritt, und zwei weitere Frauen stehen vor Gericht. Es geht um einen angeblichen Betrug zu Lasten des Staates beim Ankauf eines öffentlichen Unternehmens, den Popow organisiert habe. Laut Beobachtern ist das Verfahren einer von mehreren Versuchen der Republikführung um deren Oberhaupt Alexander Chudilajnen, mit politischen Gegnern abzurechnen und sie im Wahljahr kaltzustellen. Die Regierung in Helsinki prüft ein Gesuch Russlands, Popow auszuliefern. Einstweilen spricht er mit seiner Partei und seinem Unternehmen, einem Milchkombinat, vor allem über Skype, manchmal kommen Mitstreiter und Angestellte über die Grenze. Popows Frau und die Kinder können ihn nicht mehr besuchen: Die Angeklagte musste ihren Pass abgeben. Bald fällt das Urteil, ein Freispruch erscheint ausgeschlossen. Auch auf die Medien wächst der Druck, berichten örtliche Journalisten. Ein kritischer Kollege floh vor kurzem ins Baltikum. Er war wegen eines „extremistischen“ Fotos im Internet; mittlerweile ist der Extremismusvorwurf einer der gängigsten Vorwände zur Einschüchterung. Noch vor wenigen Jahren, sagt einer der Journalisten, war so etwas hier kaum vorstellbar. Ein örtlicher Bauunternehmer – ein Mitglied von „Einiges Russland“, das aber mit der Republikführung in Konflikt geriet –, sitzt seit zwei Jahren ohne Anklage in Haft. Finnland ist doch weit weg. Kein Wunder, dass sich viele ganz heraushalten aus der Politik. Der Vater einer der Erfolgsgeschichten der Stadt zählt dazu. Wadim Markelows Unternehmen MB Barbell stellt hier seit drei Jahrzehnten Trainingsgeräte für Fitnessstudios her: 350 Mitarbeiter, 5000 Tonnen in alle Welt ver-

FINNLAND

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kaufte Geräte im Jahr. In der Fertigungshalle am Rande von Petrosawodsk, eine Viertelstunde Fahrt über gewellte Pisten entfernt, türmen sich Stahlgerüste. Es riecht nach Eisen. Ein Motor hebt und senkt seit Tagen ein knallblaues Gerät, an dem man unter freiem Himmel an Gewichten trainieren kann; es wird getestet und soll bald auf einer Messe in Köln vorgestellt werden. Markelow, Gründer und Eigentümer des Familienunternehmens, sagt, man expandiere in der Krise, „möge sie lange dauern“. Denn man verkaufe mehr als zuvor, bedingt auch durch den Fall des Rubels. Er legt großen Wert auf Unabhängigkeit. Nicht einmal Bankkredite nehme er: zu teuer wegen hoher Zinsen, zu viele Risiken. Und mit Politikern, sagt Markelow, schließe er aus Prinzip keine Freundschaft. Der Jabloko-Mann Popow habe ihn einmal zu einer Kandidatur bewegen wollen, erzählt der Unternehmer. Aber da sei er kategorisch: „Entweder du verdienst Geld oder du gehst in die Politik.“ Er will nicht ausschließen, dass der Prozess gegen Popows Frau und die anderen nun politisch motiviert sei. Aber das sei eine „Nuance“, sagt Markelow. Der Fehler grundsätzlich: Politiker und Geschäftsmann gleichzeitig zu sein. as Recht kann aber auch ein stumpfes Schwert sein. Zurück in der Innenstadt, nicht weit vom Ufer des zugefrorenen Onegasees, wäre Michail Goschkijew froh, wenn Entscheidungen der Gerichte vollstreckt würden. Der pensionierte Richter, ein schmächtiger Mann Ende 60, sitzt in seiner kleinen Wohnung am Alexander-Newskij-Prospekt, in der er mit seiner Frau seit mehr als dreieinhalb Jahrzehnten wohnt. Als ihr Mehretagenhaus aus roten Ziegeln gebaut wurde, regierte in Moskau noch Leonid Breschnew. Goschkijews Rechtskenntnisse prädestinierten ihn zum Sprecher der Bewohner des Hauses im Kampf gegen die Einkaufspassage, die zwei Unternehmer und Brüder vor sechs Jahren an das Haus anbauen ließen. Das Einkaufszentrum liegt zur Straße hin und direkt unter den Fenstern der Bewohner – ohne deren Zustimmung und ist damit illegal, wie die Gerichte von Stadt und Republik bis in die höchste Instanz bestätigten. Im Sommer können die Goschkijews und die anderen Bewohner wegen Ausdünstungen vom Dach des Baus nicht die Fenster öffnen. Der Kriegsveteran im dritten Stock könne sie auch nicht im Winter öffnen, sagt Goschkijew: wegen Schneemassen vor dem Fenster auf dem Dach der Passage. „Schämen Sie sich nicht?“, habe er den obersten Gerichtsvollzieher Russlands neulich bei dessen Besuch in Petrosawodsk gefragt. Angeblich sollen die Brüder nun bis Mitte Juni einen Plan zum Abbruch des Schwarzbaus vorlegen. Goschijew ist nach Jahren vergeblichen Kampfes

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skeptisch: „Wir haben kein Vertrauen.“ Aber wehren müsse man sich doch. Wehren will sich auch Galina Schirschina. Auch wenn ihre Erfolgsaussichten noch geringer sind als die der Bewohner des Hauses. Von September 2013 bis Ende 2015 war die junge Psychologin Bürgermeisterin von Petrosawodsk: Sie trat als unabhängige, von Jabloko unterstützte Kandidatin an und besiegte ihren Mitbewerber von „Einiges Russland“. Seit der Stadtrat sie ihres Amtes enthob, weil sie, so die Begründung, ihr Amt nicht ausgefüllt habe, sitzt sie oft in einem Restaurant im Zentrum der Stadt, das ihr einen Platz zur Verfügung stellt. Anfangs sogar mit dem Schild „Reserviert“, bis sie hier einmal einen finnischen Journalisten traf, der während des Gesprächs abgeführt und später wegen Einreisevergehen des Landes verwiesen wurde. In Karelien haben alle Instanzen Schirschinas Amtsenthebung bestätigt. Mittlerweile klagt sie vor Gericht in Moskau. Die frühere Bürgermeisterin berichtet, wie die Vertreter der Regierungspartei ihre Arbeit sabotierten. Wie eine Lobby aus Transportunternehmern im Stadtparlament die von ihr durchgesetzte Senkung des Fahrpreises hintertrieb. Wie die Republikführung zugesagte Mittel zum Ankauf eines Kindergartens in einem Neubaugebiet wieder zurückgezogen habe, so dass die Stadt das Gebäude nicht habe ankaufen können. Bis heute steht es da, schlüsselfertig, schön, neu und leer. Für Schirschina ist ihre Amtsenthebung Teil eines politischen Feldzugs der Republikführung gegen die Opposition. „Waräger“ ist ein Wort, das in dem Zusammenhang oft fällt in Petrosawodsk: eine ironische Anspielung auf den mittelalterlichen Stamm nordischer Krieger und Händler. Moskaus Waffenbrüder, soll das heißen, sollten die Republik auf Linie bringen und örtliche Eliten ausschalten. Karelier nennen das Beispiel eines Tochterunternehmens von Gasprom, das nun die kommunale Energieversorgung kontrolliert. Sie weisen darauf hin, dass ein Sohn von Republikoberhaupt Chudilajnen im Leningrader Gebiet in führender Stellung für den Konzern arbeitet. Es gab Demonstrationen und Unterschriftensammlungen für die Amtsenthebung Chudilajnens, den Präsident Wladimir Putin 2012 aus dem benachbarten Leningrader Gebiet nach Karelien geschickt hatte. In Wahlen ließ sich das Oberhaupt bisher nicht bestätigen, nächstes Jahr soll es so weit sein. Wenn es so weit kommt. Denn vor kurzem erteilte Putin seinem Mann in Petrosawodsk eine „Rüge“, eine letzte Warnung vor der Amtsenthebung. Anlass ist ein Programm zur Übersiedlung von Bürgern, die in Notunterkünften wohnen: Bauten, die auf wenige Jahre ein Heim bieten sollten, aus denen Jahrzehnte wurden. Viele von ihnen sind entsprechend baufällig. Nur zu elf Prozent seien die Vorgaben des Programms in Karelien erfüllt,

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klagte der zuständige Minister im Februar in einer Sitzung Putins mit dem Kabinett; man kann sich eine Aufzeichnung auf der Website des Kremls ansehen. Der Präsident reagiert wie stets in solchen Fällen mit demonstrativem Unmut. „Sekündchen. Haben Sie ihnen vielleicht das Geld nicht rechtzeitig gegeben oder nicht genügend?“, fragt Putin. „Nein, Wladimir Wladimirowitsch, alles wurde rechtzeitig überwiesen, dabei gab es keinerlei Probleme“, antwortet der Minister. Die Rüge folgte. ehausungen, wie sie mit dem Moskauer Programm ersetzt werden sollen, finden sich selbst im Zentrum von Petrosawodsk. So gleich hinter dem Busbahnhof. „Ihr Haus wird umgesiedelt“, steht auf kleinen weißen Plaketten an der Vorderseite einiger Holzhäuser. Bis zum 1. September kommenden Jahres soll es so weit sein. Aber das Feld, wo die zukünftige Adresse stehen soll, ist leer. Im obersten Stock von einem der Häuser empfängt ein Rentner, der sagt, er habe nie so gut gewohnt wie hier. Bei ihm sei es warm, sagt der Mann, nur im Erdgeschoss frören die Bewohner im Winter. Dann lädt er den Besucher nachdrücklich zu Wodka ein. Anders als Republikoberhaupt Chudilajnen wurde dessen Gegenüber im sibirischen Gebiet Transbaikalien wegen Nichterfüllung der Pflichten aus dem Umsiedelungsprogramm gleich entlassen. Die Schonung wird damit erklärt, dass das karelische Oberhaupt einen einflussreichen Fürsprecher habe: Sergej Naryschkin, Sprecher der Duma, des Unterhauses in Moskau, und früherer Leiter der Präsidialverwaltung, soll sich für seinen Bekannten eingesetzt haben. So gibt es viele Fragen an das Republikoberhaupt. Es empfängt in seinem Amtssitz ebenfalls am Lenin-Prospekt. Das örtliche Fernsehen filmt, wie Chudilajnen den deutschen Gast eingangs misstrauisch fragt, was denn das Interesse an Karelien wecke. Er kenne „halb Moskau“, sagt er dann zur Sache mit Naryschkin. In Richtung Moskau bekundet das gerügte Oberhaupt Reue und gelobt Besserung: Er sei bestraft worden, weil er sich „vor Bevölkerung und Präsident schuldig“ gemacht habe. In Richtung Opposition weist Chudilajnen die Vorwürfe zurück. Es laufe ein „Kampf gegen Korruption und für Ordnung“, sagt er. Den Sicherheitskräften und ihm selbst sei es gleichgültig, welcher Partei jemand angehöre. „Nur ein kleiner Teil“ der Prozesse sei mit Jabloko verbunden, und nur die Partei beschwere sich. Zugleich warnt das Republikoberhaupt vor Aktivitäten ausländischer Geheimdienste in Karelien – welcher, will Chudilajnen nicht sagen, verweist aber auf Vorgänge in der arabischen Welt und der Ukraine. „Man kann die Lage sehr leicht destabilisieren, und unsere Aufgabe ist es, das nicht zuzulassen.“

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Der Vatikan hat am Samstag einen Besuch von Papst Franziskus in Armenien und Aserbaidschan angekündigt. Auf Einladung des Patriarchen der Armenischen Apostolischen Kirche, Karekin II., werde Franziskus vom 24. bis zum 26. Juni Armenien und vom 30. September bis zum 2. Oktober Georgien sowie Aserbaidschan besuchen. So wie der Papst im vergangenen Jahr auch die Zentralafrikanische Republik besuchte, wird er damit in zwei Staaten reisen, zwischen denen es zuletzt in der Region Nagornyi Karabach zu Kämpfen mit mehr als 70 Toten gekommen war. (jöb.)

OSZE-Beobachter angegriffen In der Ostukraine liefern sich die ukrainische Armee und prorussische Separatisten schwere Gefechte nördlich der Großstadt Donezk. Beobachter der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) verzeichneten an Frontabschnitten um Donezk Hunderte Explosionen und Feuerstöße. Zum zweiten Mal in einer Woche gerieten sie selbst unter Beschuss. Wie die Mission in Kiew mitteilte, ereignete sich der Vorfall bei dem Ort Saizewe auf ukrainisch kontrolliertem Gebiet. Demnach hörte die Patrouille Samstag Mittag den Einschlag einer Mörsergranate in 100 bis 200 Meter Entfernung. Dann flogen drei oder vier Gewehrkugeln über die Beobachter hinweg. Niemand sei verletzt worden. Schon am Donnerstag waren OSZE-Beobachter beschossen worden. (dpa)

Guelleh bleibt Präsident Djiboutis Staatspräsident Ismail Omar Guelleh hat die Wahl wie erwartet im ersten Durchgang gewonnen. Wie der französische Rundfunksender RFI berichtete, erreichte er nach den am Samstag vorliegenden Zwischenergebnissen 87 Prozent der Stimmen. Der Oppositionspolitiker Omar Elmi Khaireh kam als Zweitplazierter nur auf etwa sieben Prozent. Mehrere Oppositionsparteien boykottierten die umstrittene Wahl. Menschenrechtsorganisationen werfen Guellehs Regierung willkürliche Verhaftungen und Folter vor. (dpa)

Sanders gewinnt Wyoming Der amerikanische Präsidentschaftsbewerber Bernie Sanders hat die Vorwahl der Demokraten im Bundesstaat Wyoming mit 56 Prozent der Stimmen gewonnen. Die frühere Außenministerin Hillary Clinton erreichte 44 Prozent und unterlag zum siebten Mal in Folge ihrem Konkurrenten. Bei der Gesamtzahl der für die Nominierung zum Präsidentschaftskandidaten der Demokraten notwendigen Delegierten verfügt Clinton gleichwohl weiter über einen deutlichen Vorsprung gegenüber Sanders. Während beide Bewerber in Wyoming nur um ihren Anteil an den dort zu vergebenen 14 Delegiertenstimmen kämpften, entscheiden die Demokraten im Bundesstaat New York am 19. April über 291 Delegiertenstimmen. Dort könnte Clinton von ihrer früheren Tätigkeit als Senatorin des Bundesstaates profitieren. (dpa/Reuters)

Korrektur

Panama wurde 1989 von amerikanischen Truppen nicht während der Präsidentschaft Ronald Reagans besetzt, wie es in unserer Ausgabe vom 9. April hieß, sondern unter seinem Nachfolger George H. W. Bush. (F.A.Z.)

Ein Mann, der eine Chance bekommen soll Der voraussichtliche Nachfolger des ukrainischen Ministerpräsidenten Jazenjuk ist ein Mann des Präsidenten, gilt aber als sauber / Von Konrad Schuller nes Schokoladenkonzerns „Roshen“ steht. Dort lag der Direktwahlkreis, aus dem er sich immer wieder ins Parlament wählen ließ, und Wolodymyr Hrojsman, der jetzt Regierungschef werden soll, war von seinem 27. Lebensjahr an als Bürgermeister von Winnitza der verlässliche Administrator dieses Hinterlandes. Heute gilt er manchen Kritikern als Schirmherr der „Winnitza-Gruppe“ im Parlament – einer jener vielen großen und kleinen Seilschaften, die vor allem dazu da sind, Staatsbetriebe zu kapern und zu plündern. Der vielleicht bekannteste „Oligarchenjäger“ der Ukraine, der Journalist und Abgeordnete Serhij Leschtschenko, weist jedenfalls auf Presseberichte hin, denen zufolge zwei frühere Geschäftspartner Hrojsmans, die Brüder Tkatschuk, eine der bedeutenden Pfründen des Landes, die staatliche Post, unter ihre Kontrolle gebracht hätten – der eine als Vorstandsvorsitzender und der andere als „politischer Arm“ des Clans in der Präsidentenfraktion des Parlaments. Solche Verflechtungen von Politik, Familie und Geschäft sind zwar keine Beweise, aber

doch typische Indizien für die ukrainische Form der Oligarchenwirtschaft. Für Leschtschenko ist Hrojsman allein deshalb schon inakzeptabel – dass er in seiner Funktion als Parlamentsvorsitzender nicht immer dazwischengefahren ist, wenn das Präsidentenlager wieder einmal versuchte, den Kampf gegen die Korruption zu bremsen, kommt erschwerend hinzu. Aber Leschtschenko steht mit seiner harten Kritik an Hrojsman auch unter seinen eigenen politischen Weggefährten ziemlich allein da. Für viele der Reformkräfte in der Ukraine ist er akzeptabel, obwohl sie seine Nähe zum Präsidenten mit Unbehagen sehen. „Er sollte seine Chance haben“, sagt etwa der Abgeordnete Mustafa Najem, der einer der Köpfe der MajdanRevolution war. „Es ist nicht das Schlimmste, was uns passieren konnte.“ Ähnlich äußert sich Switlana Salischtschuk, seinerzeit eine der führenden Aktivistinnen der Zivilgesellschaft und heute wie Najem beim „demokratischen Flügel“ der Präsidentenfraktion im Parla-

ment: Hrojsman, sei zwar keine Traumbesetzung als Regierungschef. Im Gegenteil: Er sei ganz klar „ein Mann des Präsidenten“, der sich durch ihn „das größte Stück“ von der „Torte“ der W. Hrojsman ukrainischen Machtstrukturen sichere – aber eines spreche ebenso klar für diesen Kandidaten: „Wir haben bei ihm nie etwas von schmutzigen Geschäften gehört.“ Kein Schmutz an den Händen – das ist der Minimalkonsens in der Ukraine, deren demokratische Revolution wegen der russischen Aggression nach ihrem Sieg im Frühjahr 2014 rasch gezwungen war, einen unbequemen Pakt mit einem Teil jener politisierenden Milliardäre zu schließen, die sie eigentlich entmachten wollte. Das fleischgewordene Sinnbild dieses Pakts ist Poroschenko, der demokratisch ins Präsidentenamt gewählte Großunternehmer, unter dem der Kampf gegen die Foto Picture-Alliance

KIEW, 10. April. Schon mehrere Male sah es in den vergangenen Wochen so aus, als stehe eine Lösung in der Regierungskrise in der Ukraine unmittelbar bevor – und dann kam doch noch irgendetwas dazwischen. Dabei gibt es seit fast zwei Wochen eine Einigung darüber, wer anstelle von Arsenij Jazenjuk Ministerpräsident werden soll: Parlamentspräsident Wolodymyr Hrojsman. Mit Jazenjuk lieferte sich Präsident Petro Poroschenko stets einen unausgesprochenen Machtkampf, Hrojsman ist sein Kandidat. Wenn Hrojsman im Parlament bestätigt wird, tritt ein Mann an die Spitze der Regierung, der sich seit langem im Einflussbereich des Präsidenten bewährt hat. Poroschenko nämlich besitzt wie viele ukrainische Wirtschaftsmagnaten neben einem privaten Fernsehsender, einer Bank, einer politischen Partei und einem Industriezweig auch so etwas wie ein persönliches Fürstentum – in seinem Fall ist das die Gegend um die Provinzhauptstadt Winnitza an der moldauischen Grenze, wo die wichtigste Produktionsanlage sei-

Korruption zwar millimeterweise vorangeht, aber eben immer nur so weit, wie es die Aktivisten erzwingen und die Interessen seiner Kaste erlauben. Viele Aktivisten des Majdan scheinen vor allem auch wegen der Lage im Osten des Landes Hrojsman nun akzeptieren zu wollen. Selbst die radikaleren unter ihnen, etwa Oksana Syroid, deren kleine Parlamentsfraktion „Selbsthilfe“ den Präsidenten und die Regierung wegen ihres allzu lauen Kampfes gegen Korruption und Pfründenwirtschaft längst nicht mehr unterstützt, ist hier sehr pragmatisch: „Wir müssen einfach jemanden finden, der weitermacht. Wenn die Koalition jetzt sagt, das solle Hrojsman sein, dann ist das ok.“ Außer den äußeren Umständen spricht aber noch etwas für Hrojsman – seine bisherigen Leistungen. Als jugendlicher Bürgermeister in Poroschenkos Winnitza (er trat das Amt Ende 2005 im Alter von 27 Jahren an) war er geradezu phänomenal erfolgreich. Ihm gelang die Öffnung der autistischen postsowjetischen Verwaltung für die Bürger, er brachte neuen Asphalt

auf die Straßen und Gratis-Internet in die Straßenbahn – so stark war der frische Wind, den dieser Sohn jüdischer Eltern, gelernte Schlosser und früh gestartete Geschäftsmann in seiner Stadt wehen ließ, dass das kleine Winnitza den Ruf erwarb, die fortschrittlichste Stadt der Ukraine zu sein. Jetzt also könnte er im Alter von 38 Jahren Arsenij Jazenjuk ablösen, den Mann, der 2014 nach dem blutigen Ende der Revolution ins Amt kam. Er bezeichnete sich damals selbst als „Kamikaze-Ministerpräsidenten“ – über seine Popularität sagt er mit beißendem Sarkasmus: Er werde wie alle Regierungsmitglieder vom ganzen Land gehasst „außer von der eigenen Familie“. Aber offenbar hat Jazenjuk Hoffnung, dass sich das wieder ändern könnte: Populariätswerte seien eine vorübergehende Sache, sagte er in seiner Abtrittsrede. Hrojsman übernimmt von ihm ein Land im Überlebenskampf, geschüttelt von wirtschaftlicher Krise und einer äußeren Aggression, die bei weitem noch nicht zum Stillstand gekommen ist.

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Die Gegenwart

FRANKFU RT ER A L LG EM E I NE Z E I TU NG

ie friedliche Revolution, die Überwindung des Ost-WestSystemkonflikts, die Vereinigung Deutschlands und die Überwindung der Spaltung Europas: Erst 25 Jahre ist das her. Schon wieder erleben wir eine neue, dramatische Wendung der Geschichte. Hunderttausende Flüchtlinge sind nach Europa gestürmt, nach Deutschland – eine Bewegung, die manche von einer neuen Völkerwanderung sprechen lässt. Sie trifft auf ein verunsichertes, zerstrittenes Europa, Deutschland darin eingeschlossen. Niemand weiß genau, welche Veränderungen diese Entwicklung bewirken wird. Vermutlich aber werden die Wirkungen der nun nicht länger zu leugnenden Tatsache, dass Deutschland ein Einwanderungsland geworden ist, viel folgenreicher sein als die der Wiedervereinigung. Wir erleben jedenfalls, wie sich die politische Tagesordnung verändert hat – durch die Hunderttausende, die zu uns geflüchtet sind, als wäre Deutschland das Gelobte Land, das Paradies auf Erden. Welch riesige Hoffnungen, welche zu befürchtenden Enttäuschungen (denn Deutschland kann das Paradies auf Erden nicht sein), welche große Aufgabe! Gewiss ging und geht es auch weiterhin vor allem um unmittelbare Hilfe und um menschenfreundliche Aufnahme und damit um die Bewältigung immenser praktischer Probleme. Die Willkommenskultur, die freundliche Aufnahme durch eine Mehrheit der Deutschen, ist so überraschend wie erfreulich. Sie macht mir das eigene Land unendlich viel sympathischer. Aber wir können sehen, wie schwer das durchzuhalten ist, und haben auch deshalb keinen Anlass zu moralischer Überheblichkeit. Könnten wir das miteinander verknüpfen: Empathie mit den Flüchtlingen, menschenfreundliche Aufnahme derer, die aus Krieg und Not zu uns kommen, das herzliche Willkommen, das so viele Bürger auf beeindruckende Weise gezeigt haben – mit der nüchternen Einsicht, dass diese so sympathische Willkommenskultur übersetzt werden muss in den mühseligen Alltag von Integration, die nicht ohne viele praktische Probleme ist und ohne soziale und finanzielle Lasten nicht zu haben sein wird? Hier ist politische Rationalität gefragt und weniger der Versuch, daraus parteipolitisch Kapital zu schlagen oder gar Ängste, Unsicherheiten, Vorurteile, Wut auszubeuten für den eigenen politischen Vorteil. Wir ahnen, dass die deutsche Gesellschaft sich durch Migration stark verändern wird. Sich auf diese Veränderung einzulassen ist anstrengend, erzeugt Misstöne und Ressentiments und macht vielen (Einheimischen) Angst, vor allem unübersehbar und unüberhörbar im östlichen Deutschland. Pegida ist dafür ein schlimmes Symptom. Vertrautes, Selbstverständliches, soziale Gewohnheiten und kulturelle Traditionen: Das alles wird unsicher, geht gar verloren. Individuelle und kollektive Identitäten werden in Frage gestellt – durch das Fremde und die Fremden, die uns nahe gerückt sind, durch die Globalisierung, die offenen Grenzen, die Zuwanderer, die Flüchtlinge. Die Folge sind Entheimatungsängste, die sich in der Mobilisierung von Vorurteilen, in Wut und aggressivem Protest ausdrücken. Genau das ist die politisch-moralische Herausforderung für die Demokratie: dem rechtspopulistischen, rechtsextremistischen Trend, der sichtbar stärker und selbstbewusster geworden ist, zu begegnen, zu widersprechen, zu widerstehen. Was ist zu tun? Worüber müssen wir uns in unserem Land, in unserer verunsicherten, gespaltenen Gesellschaft verständigen? Notwendig ist erstens Ehrlichkeit im Ansprechen und Aussprechen der Probleme und Aufgaben durch die Einwanderung so vieler Menschen. Ohne Beschönigungen, aber auch ohne Dramatisierungen und ohne Hysterisierung, also so sachlich wie möglich, sollten Politiker über diese Probleme sprechen, aber auch die Chancen benennen. Das heißt vor allem zu begreifen, dass eine pluralistischer werdende Gesellschaft keine Idylle ist, sondern voll von sozialem und kulturellem Konfliktpotential steckt. Das heißt auch zu begreifen, dass Integration eine doppelte Aufgabe ist: Die zu uns Gekommenen sollen, sofern sie hier bleiben wollen, heimisch werden im fremden Land – und den Einheimischen soll das eigene Land nicht fremd werden. Heimisch werden heißt, die Chance zur Teilhabe an den öffentlichen Gütern des Landes zu haben, also an Bildung, Arbeit, sozialer Sicherheit, Demokratie und Kultur partizipieren zu können. Es heißt auch, menschliche Sicherheit und Beheimatung zu erfahren. Das ist mehr, als Politik zu leisten vermag. Gefragt ist vor allem die Zivilgesellschaft mit ihren Strukturen und Gesellungsformen, die einladend oder abweisend sein können. Die Erfüllung dieser doppelten Aufgabe verlangt viel Kraft und viel Zeit. Erinnern wir uns an die Integration von 15 Millionen Flüchtlingen und Vertriebenen nach 1945: ein schwieriger Prozess, der mindestens zwei Jahrzehnte gebraucht hat. Erinnern wir uns an die sogenannten Gastarbeiter. Der Schweizer Max Frisch hat einmal gesagt: „Wir haben Arbeitskräfte gerufen, und gekommen sind Menschen.“ Die alte Bundesrepublik hat lange der Selbsttäuschung angehangen, dass man sich um die Gastarbeiter und deren Integration nicht kümmern müsse. Die Folgen dieser Fehleinschätzung sind bis heute nicht überwunden. Und erinnern wir uns an die „innere Einheit“ der Deutschen: Auch nach 25 Jahren sind nicht alle Differenzen überwunden. Notwendig sind, selbstverständlich, sichtbare und hoffentlich erfolgreiche Anstrengungen zur praktischen Lösung der Probleme der Aufnahme so vieler Fremder. Dabei wissen wir: Je größer die Zahl,

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umso größer die Integrationsprobleme. Deshalb sind ja fast alle Politiker der Meinung, dass eine Begrenzung der Einwanderung unvermeidlich ist. Der Streit geht darüber, wie das politisch vernünftig, rechtlich einwandfrei und menschlich anständig gelingen kann. Notwendig ist auch eine offene und offensive Debatte darüber, in welcher Gesellschaft wir leben wollen. In einer unsolidarischen, „homogenen“, eingesperrten Gesellschaft? Wir Ostdeutschen haben aber doch nicht die Mauer eingedrückt, damit wir unter uns bleiben in einer geschlossenen, eingesperrten Gesellschaft. Wir wollten doch ins Offene und Freie! Wollen wir also jetzt das vereinigte Land egoistisch und etwa wieder mit Hilfe eines Schießbefehls verteidigen und einen Wohlstandsnationalismus oder gar Wohlstandschauvinismus pflegen? Oder wollen wir nicht vielmehr eine Gesellschaft der Grundwerte, der Menschenrechte sein? Und ein Land, das seinen humanen Verpflichtungen nachkommt? Der wichtigste Satz des Grundgesetzes heißt: Die Würde des Menschen ist unantastbar. Da steht nicht: Die Würde des Deutschen ist unantastbar. Das ist also die doppelte Aufgabe, die der Begriff Integration meint: Sie wird nur dort gelingen, wo beide Seiten, sowohl die zu uns Kommenden wie auch die Aufnahmegesellschaft, Integration wollen und das Notwendige dafür tun. Gegen die Mehrheit einer Gesellschaft kann Integration nicht gelingen, und ohne die Integrationsbereitschaft und den Integrationswillen der zu uns Gekommenen auch nicht! Darauf müssen wir uns einstellen: Unser Land wird dauerhaft pluralistischer, also ethnisch und religiös und kulturell vielfältiger und widersprüchlicher werden. Dieser Pluralismus wird keine Idylle sein, sondern steckt voll von politisch-sozialem und religiös-kulturellem Konfliktpotential. Diese Herausforderung ist nicht nur politischer, ökonomischer, finanzieller und sozialer Art, sondern ganz wesentlich auch kultureller Natur. Denn wenn in einer migrantischen Gesellschaft, die Deutschland noch mehr werden wird, Integration eine der großen Aufgaben ist und bleiben wird, dann müssen wir eine Vorstellung davon haben, wo hinein die zu uns Kommenden integriert werden sollen. Dann müssen wir die einfache und zugleich manchen unangenehme Frage beantworten, wer wir sind, was wir anzubieten haben, wozu wir einladen. Wir könnten das durchaus mit gelassenem Selbstbewusstsein tun. Schließlich kommen die Flüchtlinge ausdrücklich nach Deutschland, wollen unbedingt zu uns – wegen unseres wirtschaftlichen Erfolgs und unseres Wohlstands, gewiss. Aber doch auch wegen unseres Rechtsstaates, unserer Demokratie, unserer politischen Stabilität – die Schutz und Sicherheit und Zukunft verheißen. Da ist zunächst und vor allem das Angebot unserer Verfassungswerte, auf die alle gleichermaßen verpflichtet sind, die Einheimischen und die zu uns Kommenden. Das sind die Regeln und Angebote unseres Rechts- und Sozialstaates, die für alle gelten. Erster Punkt: Die Grundwerte unserer Verfassung stehen nicht zur Disposition. Unantastbarkeit der Menschenwürde, Gleichberechtigung, Respekt vor den Gesetzen des säkularen Rechtsstaates, Unterscheidung von Politik und Religion, Trennung von Kirche und Staat, Religionsfreiheit und Freiheit der Kunst, Toleranz, Selbstbestimmung des Individuums (die auch nicht durch Kollektivnormen, auch nicht die einer patriarchalen Kultur, beschränkt werden darf). Diese Werte verpflichten alle, die zu uns Kommenden wie auch die Einheimischen – sie verpflichten also auch AfD, Pegida, Neonazis! Des Weiteren: Die deutsche Sprache zu erlernen, Ausbildung und Arbeit zu finden, das sind die ersten und weiteren notwendigen Schritte von Integration. Sie verlangen Anstrengungen von beiden Seiten, den zu uns Kommenden, denen wir sie abverlangen müssen und dürfen, und der aufnehmenden Gesellschaft, unserem Bildungssystem, den Arbeitgebern, den Gemeinden, die diese Anstrengungen erbringen müssen. Wenn diese Integration gelingt, dann wird sie unseren Wohlstand und unser friedliches Zusammenleben befördern! Damit sie aber gelingt, stellen sich über das bereits Benannte weitere Fragen, die wir zu beantworten haben. Das sind Fragen nach unserem kulturellen Selbst: Wer sind wir Deutschen, was ist das Eigene? Was sind unsere Gemeinsamkeiten, die den Zusammenhalt einer vielfältiger, widersprüchlicher und konfliktreicher werdenden Gesellschaft ermöglichen und sichern? Wie schützen wir uns vor Parallelgesellschaften und religiösem Fanatismus? Wie begegnen wir Ängsten, Vorurteilen und Entheimatungsbefürchtungen? Für den Zusammenhalt einer pluralistischen Demokratie reicht nicht das allein aus, auf das ganz selbstverständlich zunächst hingewiesen werden kann und muss: die gemeinsame Sprache, die Anerkennung von Recht und Gesetz, der vielgerühmte und gewiss notwendige Verfassungspatriotismus. Auch nicht die Beziehungen, die die Gesellschaftsmitglieder über den Markt und Arbeitsprozesse miteinander eingehen, nämlich als Arbeitskräfte oder Konsumenten. Über all dies Selbstverständliche und Notwendige hinaus bedarf es grundlegender Gemeinsamkeiten und Übereinstimmungen in dem, was wir Maßstäbe, Normen oder „Werte“ nennen. Es bedarf tendenziell gemeinsamer Vorstellungen von der Freiheit und ihrer Kostbarkeit, vom Inhalt und Umfang von Gerechtigkeit, vom Wert und von der Notwendigkeit von Solidarität, gemeinsamer oder wenigstens verwandter Vorstellungen von sinnvollem und gutem Leben, von der Würde jedes Menschen, von der Integrität der Person, von Toleranz und Respekt.

MONTAG , 11. APRIL 2016 · NR . 8 4 · S E I T E 7

Das Fremde und das Eigene Deutschland hat in Europa nicht nur wirtschaftliche und politische Macht. Unser Land ist auch eine kulturelle Macht durchaus besonderer Art. Für die, die zu uns kommen, enthält Integration diese historisch-kulturelle Zumutung – auch wenn und gerade weil sie aus muslimischen Ländern stammen. Von Wolfgang Thierse

rungsgesellschaft? Die Antworten darauf werden wir nur gemeinsam mit den zu uns Kommenden muslimischen Glaubens finden. Wir sollten sie dazu einladen. Zu der notwendigen Selbstverständigung darüber, was das Eigene ist, was wir den zu uns Kommenden anzubieten haben, wozu wir sie einladen, muss die Antwort auf die Frage gehören, welchen (nicht nur historischen) Rang und welche Gegenwärtigkeit die christlich-jüdische Prägung unserer Kultur beanspruchen darf und soll. Diese Frage erzeugt nicht selten Reaktionen zwischen Irritation und Unsicherheit, zwischen Trotz und Verschämtheit. Als sei schon der Hinweis etwas Unziemliches und Integrationsfeindliches, dass unsere Kultur (nicht allein, aber doch wesentlich) christlich geprägt ist. Man dient aber der Integration nicht, wenn man sich selbst verleugnet und nur noch „Interkultur“ für zeitgemäß und legitim hält. Das Bundesverfassungsgericht hat im Jahr 2009 in einem Urteil festgestellt: „Die Religionsfreiheit beschränkt sich nicht auf die Funktion eines Abwehrrechts, sondern gebietet auch im positiven Sinn, Raum für die aktive Betätigung der Glaubensüberzeugung und die Verwirklichung der autonomen Persönlichkeit auf weltanschaulich-religiösem Gebiet zu sichern.“ as ist die eigentliche Herausforderung von zunehmendem religiös-weltanschaulichem Pluralismus: Nicht einfach Atheismus, nicht Laizismus ist die Antwort auf „Religion im Plural“. Es geht darum, diese Zumutung anzunehmen und sich der Anstrengung zu unterziehen, das Eigene zu vertreten und zu übersetzen, den anderen zu verstehen, eine gemeinsame Sprache zu finden. Jürgen Habermas formuliert es so: „In der Rolle von demokratischen ,Mitgesetzgebern‘ gewähren sich alle Staatsbürger gegenseitigen grundrechtlichen Schutz, unter dem sie als Gesellschaftsbürger ihre kulturelle und weltanschauliche Identität bewahren und öffentlich zum Ausdruck bringen können.“ Daran werden wir miteinander zu arbeiten haben: an einem gemeinsamen Bürgerbewusstsein über alle kulturellen und religiös-weltanschaulichen Differenzen hinweg, gewissermaßen an einem neuen Wir, das in der Lage ist, Toleranz, gemeinsame Verantwortung und Solidarität zu begründen! „Niemand kann verlangen, dass unser Land sich ändert“ (Viktor Orbán). Das ist ein Satz der Angst, den mutmaßlich viele Menschen auch in unserem Land teilen. Es ist aber auch ein fataler Satz. Denn nur offene, sich verändernde Gesellschaften sind produktiv und haben Zukunft! Das ist doch auch die Erfahrung von 1989: Geschlossene, eingesperrte Gesellschaften bedeuten Stillstand, sind nicht überlebensfähig, müssen überwunden werden. Die Veränderungen, die wir erleben, machen den Kulturbegriff in der Tradition von Herder, die Fiktion einer homogenen Nationalkultur, endgültig obsolet. Aber ist deshalb Kultur nur noch vorstellbar als Interkultur? Und haben wir die Tendenz zur „Kreolisierung“, zum „kulturellen McWorld“, zum „Kulturplasma“, also zum kulturellen Einheitsstrom mehr als nur durch Migrationsbewegungen durch ökonomische Macht befördert? Die Ängste allerdings genau davor, die Abwehr dessen, der Kampf dagegen machen einen wesentlichen Teil der gegenwärtigen kulturellen Globalisierungskonflikte aus, von denen die emotionalen Auseinandersetzungen in Deutschland ein Widerhall sind. Offensichtlich erscheinen in Zeiten von Massenwanderung und von gewalttätigen Auseinandersetzungen gerade kulturelle Identitäten besonders bedroht. Nationale Identitäten geraten in Bewegung, aber sie verschwinden deshalb nicht. Sie zu schützen wird ein verbreitetes und heftiges Bedürfnis, global und sogar im eigenen Land. Dies als Kulturalisierung ökonomischer und sozialer Gegensätze zu kritisieren, halte ich für unangemessen. Vielmehr sollte es gehen: um die Unterscheidung zwischen legitimer kultureller Selbstbehauptung einerseits und fundamentalistischer Politisierung kultureller Identität andererseits; um kulturellen Dialog als Begegnungs- und Verständigungsprozess zwischen Verschiedenen; um die Ausbildung kultureller Intelligenz, also um die Fähigkeit zum Verständnis von Denkmustern und Geschichtsbildern, von Narrativen, Ängsten und Hoffnungen der anderen, der Fremden – und diese Fähigkeit ist nicht zu haben ohne ein Quantum an Distanz gegenüber der eigenen und kollektiven Identität. Deutschland hat in Europa nicht nur wirtschaftliche und politische Macht. Unser Land ist auch eine kulturelle Macht durchaus besonderer Art, wie ein Blick in die Geschichte zeigt: In den guten und glücklichen Phasen der deutschen Geschichte hat unsere Kultur eine besondere Integrationskraft bewiesen – und in den schlechten Phasen unserer Geschichte war das Land mit Abgrenzung und Ausgrenzung befasst. In der Mitte des Kontinents hat Deutschland in immer neuen Anstrengungen und geglückten Symbiosen Einflüsse aus West und Ost, Süd und Nord aufgenommen und etwas Eigenes daraus entwickelt in gewiss widersprüchlichen und unterschiedlich langwierigen Prozessen. Das macht die besondere Leistungsfähigkeit der deutschen Kultur aus. Diese Geschichte und Tradition der kulturellen Integration gilt es selbstbewusst fortzuschreiben.

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Dieses nichtpolitische, sondern ethische und kulturelle Fundament gelingender Demokratie – das ist nicht ein für alle Mal da, sondern es ist gefährdet, ist umstritten, kann erodieren. Es muss immer wieder neu erarbeitet werden, es muss weitergegeben, vitalisiert, vorgelebt, erneuert werden. Das ist der Sinn des so oft zitierten Satzes des ehemaligen Verfassungsrichters ErnstWolfgang Böckenförde: „Der freiheitliche, säkulare Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann.“ Die Verantwortung für diese Voraussetzungen, für dieses ethische Fundament unseres Zusammenlebens tragen alle Bürger, insbesondere die kulturellen Kräfte einer Gesellschaft und darin eben auch und in besonderer Weise Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften, und zwar im Dialog, in der Debatte miteinander. ierter Punkt: Gerade in Zeiten heftiger Umbrüche, beschleunigter technisch-wissenschaftlicher, wirtschaftlicher, sozialer und eben ethnischer Veränderungen ist das individuelle und kollektive Bedürfnis nach Vergewisserung und Verständigung, nach Identität besonders groß. Damit sind wir im Zentrum der Kultur. Sie und darin insbesondere die Künste schaffen Erfahrungsräume menschenverträglicher Ungleichzeitigkeit, in denen die Menschen jenseits ihrer Marktrollen agieren und sich wahrnehmen können. Hier, in der Kultur, wird über Herkunft und Zukunft, über das Bedrängende und das Mögliche, über Sinn und Zweck, über das Eigene und das Fremde reflektiert, kommuniziert, gespielt und gehandelt. Kultur ist eben mehr als normativer Konsens, als individuelle Werteübereinstimmung, auch mehr als das Bewusstsein von der Kostbarkeit und der Gefährdung der Freiheit und der Menschenwürde, mehr als der notwendige Verfassungspatriotismus. Das ist sie alles auch, aber sie ist vor allem Raum der Emotionen, der Artikulation und Affektation unserer Sinne, Raum des Leiblichen und Symbolischen – wie auch und gerade des Religiösen und des

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Weltanschaulichen. Und sie ist der Ort der Differenzen, ihrer Schärfung und Milderung zugleich. Als je konkrete, je bestimmte, je besondere Kultur ist diese aber nicht nur ein Modus, ein Raum von Verständigung, sondern ein immer geschichtlich geprägtes Ensemble von Lebensstilen und Lebenspraktiken, von Überlieferungen, Erinnerungen, Erfahrungen, von Einstellungen und Überzeugungen, von ästhetischen Formen und künstlerischen Gestalten. Als solche prägt Kultur mehr als andere Teilsysteme der Gesellschaft die (relativ stabile) Identität einer Gruppe, einer Gesellschaft, einer Nation. Gilt das nicht mehr in globalisierter Welt? Darf dies nicht mehr gelten in pluralistischer, migrantischer Gesellschaft? Die beide gerade das Bedürfnis nach Identität verstärken – und dessen Befriedigung zugleich erschweren. Von Hölderlin stammt der Satz: „Das Eigene muss so gut gelernt sein wie das Fremde.“ Aber was ist dieses Eigene? Was ist unser kulturelles Selbst? Dürfen, ja müssen die Deutschen darüber reden und, ja, auch streiten? Oder ist dies schon „kultureller Protektionismus“ (Simone Peter)? „Mit dem Hinweis auf Kultur fängt die ganze Misere an“, meint der Soziologe Armin Nassehi: „Was also ist das Deutsche? Hier zu leben. Mehr sollte man darüber nicht sagen müssen.“ Aber vielleicht dürfen, hoffe ich! Die islamistischen Terroristen nehmen die westliche Kultur und den westlichen Lebensstil so ernst wie der Westen vielleicht längst nicht mehr, so ernst, dass sie ihn bekämpfen. Aber das von Ihnen Bekämpfte kann doch nicht bloß der müde oder trotzige Hedonismus sein, der sich in den Aufrufen nach den Pariser Mordtaten ausgedrückt hat, nun erst recht auf Partys zu gehen. Nichts gegen Spaßkultur, aber sie allein kann ja nicht gemeint sein. Der italienische Ministerpräsident Matteo Renzi sagt zu Recht: „Die wollen Terror, aber wir antworten mit Kultur, die stärker ist als Ignoranz.“ Oder mit den Worten von Daniel Barenboim: „Ich glaube, es ist wichtig, den Ankommenden die hiesige Kultur zu geben. Die Deutschen müssen überwin-

den, sich andauernd wegen ihrer Kultur und Sprache schlecht zu fühlen . . . Sie haben eine grandiose Kultur. Die Flüchtlinge, die herkommen, sollen das lernen.“ Wer nach Deutschland kommt, der muss sich auf den Grundkonsens einlassen, der dieses Land zusammenhält. Dann kann er Teil der Nation werden – egal, woher er ist. Solche oder ähnliche Sätze hört man jetzt häufig. Sie sind richtig, wenn in den Grundkonsens auch kulturelle Gemeinsamkeiten eingeschlossen sind. Das allerdings ist umstritten. Jedenfalls scheint die Frage nach dem Eigenen (als eine wesentlich kulturelle Frage) eigentümlich tabuisiert. Sie gilt irgendwie als anrüchig-konservativ. Das ist sie aber nicht, sollte es wenigstens nicht sein. Denn wer nach Deutschland kommt, der kommt in ein geschichtlich geprägtes Land, der kommt – und das ist eine wesentliche Dimension von Kultur – in eine Erinnerungsgemeinschaft. Bundespräsident Joachim Gauck hat es Anfang vorigen Jahres so gesagt: „Die Erinnerung an den Holocaust bleibt eine Sache aller Bürger, die in Deutschland leben.“ Und: „Es gibt keine deutsche Identität ohne Auschwitz.“ Gauck spricht hier von einer kulturellen Erbschaft, die nicht auszuschlagen ist. Integration nach Deutschland hinein enthält diese historisch-kulturelle Zumutung für die zu uns Kommenden, auch wenn und gerade weil sie aus muslimischen Ländern kommen. Charlotte Knobloch formuliert es so: „Wer hier leben will, muss verstehen und respektieren, dass die aktive Erinnerung an den Holocaust ebenso Staatsräson ist wie der Kampf gegen Antisemitismus sowie das Einstehen für die Existenz und die Sicherheit Israels.“ Was Charlotte Knobloch sagt, gilt selbstverständlich nicht nur für die Neuankömmlinge, sondern auch für die Alteingesessenen. Aber wir sollten auch wissen, dass die uns in Deutschland vertraute Erinnerungskultur durch die Veränderungen, die der Begriff Einwanderungsgesellschaft meint, auf den Prüfstand gestellt ist. Was taugt von den Traditionen, Institutionen, Methoden, Ritualen für die Zukunft des Gedenkens in einer Einwande-

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Der Verfasser war von Juni bis September 1990 Vorsitzender der in der DDR neu gegründeten SPD und gehörte von 2013 an der Bundestagsfraktion der SPD an. Von 1998 bis 2005 war Thierse Präsident des Deutschen Bundestages, von 2005 bis 2013 dessen Vizepräsident. Robert Motherwell, Lyric Suite, 1965, Tusche auf Reispapier, 27,9 × 22,9 cm © Dedalus Foundation, Inc./VG Bild-Kunst, Bonn 2016

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Deutschland und die Welt

F R A N K F U RT E R A L LG E M E I N E Z E I T U N G

Als das Terminal zur tödlichen Falle wurde

Brandkatastrophe nach verbotenem Feuerwerk in Indien

Heute vor 20 Jahren brannte der Flughafen Düsseldorf

DELHI, 10. April (dpa/AFP). Bei der unkontrollierten Explosion von Feuerwerk an einem Hindu-Tempel sind in Indien vermutlich mehr als 106 Menschen ums Leben gekommen. Das Unglück geschah in der Nacht zum Sonntag während des hinduistischen Neujahrsfestes Vishu im Bundesstaat Kerala. Neben dem Puttingal-Tempel explodierte ein Schuppen mit Feuerwerkskörpern. Bei der Explosion und der anschließenden Panik wurden laut Polizei mehr als 300 Personen verletzt. Zum Zeitpunkt der Explosion waren noch Tausende bei der Vishu-Feier. Die Explosion des Feuerwerks brachte auch ein angrenzendes Verwaltungsgebäude aus Beton zum Einsturz, wie auf Fernsehbildern zu sehen war. Als das Gebäude einstürzte, habe der Boden gebebt, sagte der Augenzeuge Lallu S. Pilla der Nachrichtenagentur IANS. „Es herrschte absolutes Chaos, und Betonstücke lagen überall verstreut.“ Die Opfer starben beim Einsturz des Gebäudes und dem anschließenden Feuer, wie die Polizei mitteilte. Zudem sei bei dem Unfall eine Massenpanik entstanden, bei der weitere Menschen ums Leben kamen. Am Nachmittag besuchte der indische Premierminister Narendra Modi die Unfallstelle und einige Überlebende im Krankenhaus. Die Regierung werde der Staatsregierung in Kerala alle mögliche Hilfe zur Verfügung stellen, ließ er anschließend mitteilen. Auch aus Europa kamen Beileidsbekundungen. Regierungssprecher Steffen Seibert schrieb auf dem Kurznachrichtendienst Twitter: Kanzlerin Merkel trauere mit den Menschen in Indien um die Toten des Unglücks im Tempel von Paravur und hoffe auf Genesung der Verletzten. Auch Papst Franziskus drückte sein tiefes Beileid für die Opfer aus und ließ mitteilen, er bete für alle Betroffenen. Als das Feuer gegen 3.30 Uhr am Morgen ausbrach, waren noch immer mindestens 8000 Menschen an dem Tempel versammelt, um das Neujahrsspektakel zu verfolgen. Nach Medienberichten fand an dem Tempel ein Wettbewerb zwischen zwei Feuerwerk-Veranstaltern statt. Derlei Wettbewerbe sind gerade in Südindien üblich. Legal sind sie in der Regel nicht. Der Regierungschef von Kerala, Oommen Chandy, sagte, die Tempelmitarbeiter hätten das Feuerwerk abgehalten, obwohl ihnen von den örtlichen Behörden eine Genehmigung aus Sorge um die Sicherheit verweigert worden war. Anwohner berichteten, sie hätten sich schon früher bei den Behörden über mangelnde Sicherheitsvorkehrungen bei Feuerwerken beklagt. Die Polizei leitete ein Strafverfahren gegen die Tempelverwaltung ein. Die Zeitung „The Hindu“ veröffentlichte ein Dokument auf der Internetseite, das ebenfalls belegen soll, dass die Veranstaltung nicht genehmigt war.

DÜSSELDORF, 10. April. Es war kurz vor 16 Uhr am 11. April 1996, als sich mit einem Mal eine gewaltige Feuerwalze durch die Ankunftsebene des Terminals A am Düsseldorfer Flughafens fraß. 16 Reisende erstickten binnen weniger Minuten; eine Frau starb später im Krankenhaus an ihren schweren Verletzungen. 88 Reisende wurden zum Teil schwer verletzt. Es entstand ein Schaden in Höhe von mehreren hundert Millionen Euro. Eine „peinliche, hochkonzentrierte Summe misslicher Einzelfaktoren“ führte nach Einschätzung des damaligen nordrhein-westfälischen Justizministers Jochen Dieckmann zu der größten Brandkatastrophe auf einem Passagierflughafen in Deutschland. Es war der Donnerstag nach Ostern. Neben Geschäftsreisenden waren viele Urlauber und Abholer im Flughafen unterwegs. Es herrschte reger, aber routinierter Betrieb. Zur Routine zählten auch Instandhaltungsarbeiten. Auf einer Zufahrt über der Ankunftsebene von Terminal A begannen Arbeiter gegen 13 Uhr an einer metallbewehrten Dehnungsfuge mit Schweißarbeiten. Eigentlich handelte es sich nicht um eine große Sache. Aber Schweißen ist brandgefährlich. Deshalb gibt es dicke Abhandlungen, Regelwerke und Vorschriften über die Sicherheit beim Schweißen. Doch der Chef der Schweißer hatte die vorgeschriebene Brandwache vergessen. Gegen 15.30 Uhr fielen einem Taxifahrer Funken und Rauch an der Decke in der Nähe eines Blumenladens auf. Er alarmierte die Flughafenfeuerwehr. Zwei ihrer Einsatzkräfte trafen zwar nur wenige Minuten später ein, doch es verging noch einmal wertvolle Zeit, bis sie im weitläufigen Gebäude die Arbeiter auf der Zufahrt zur Abflugebene über dem Blumenladen entdeckten. Umgehend forderten die Feuerwehrleute sie auf, das Schweißen einzustellen. Wie weit sich der Schwelbrand schon ausgebreitet hatte, der durch kochendheißes Bitumen entstanden war, das aus der Dehnungsfuge im vorschriftswidrig verwendeten Dämmmaterial tropfte, konnten die beiden Feuerwehrleute nicht ahnen. Wenig später spitzte sich die Lage dramatisch zu. Durch die Hitzeentwicklung stürzte die Zwischendecke ein. Schlagartig drangen große Mengen Sauerstoff ein, und aus dem Schwelbrand wurde auf einer Länge von mehreren hundert Metern eine Feuerwalze. Weite Teile des Abfertigungsgebäudes waren blitzschnell verraucht. Besonders betroffen war die VIPLounge der Fluggesellschaft Air France, wo allein acht Personen erstickten. Einige Reisende schlugen sich ihre Finger blutig an Fenstern, die sich nicht öffnen ließen. Nur einem französischen Unternehmer gelang es, sich aus der Lounge zu retten. Er griff sich einen schweren Sessel und zertrümmerte damit die Glasfront. Bei einem Sprung mehrere Meter in die Tiefe zog er sich schwere Schädelverletzungen zu. Sieben Personen, unter ihnen ein Vater mit seinem kleinen Sohn, kamen ums Leben, weil Fahrstühle sie aus dem Parkdeck direkt ins Inferno transportierten. Als sich ihre Türen öffneten, strömte der Rauch in den Fahrkorb und blockierte die Lichtschranke. Ein Entkommen war für die Menschen im Lift nicht mehr möglich. Derweil versuchten andere Reisende verzweifelt, sich in den Flughafentoiletten in Sicherheit zu bringen. Ein Brite erinnerte sich nach der Katastrophe, wie er mit anderen Fluggästen verzweifelt versuchte, die Tür zum Waschraum mit feuchtem Toilettenpapier abzudichten. Einem Geschäftsmann gelang es, sein Unternehmen im heimischen Dresden per Mobiltelefon zu erreichen. Nach mehreren Versuchen schaffte es seine Mitarbeiterin dann endlich, die Leitstelle der Düsseldorfer Feuerwehr zu erreichen und die Einsatzkräfte aus der Ferne zu ihrem Chef zu lotsen. Die Düsseldorfer Feuerwehr kam in einem offiziellen Bericht zu der Einschätzung, dass sie der Einsatz bei der Flughafen-Katastrophe nicht nur „bis an die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit gefordert“ habe, sondern dass diese auch überschritten wurde. Das Einsatz-Chaos be-

gann damit, dass die FlughafenFeuerwehr zu lange glaubte, die Sache selbst in den Griff zu bekommen. Später kamen dann zwar neben der Düsseldorfer Berufsfeuerwehr auch Einsatzzüge aus Ratingen, Duisburg, Neuss oder Wuppertal hinzu. Doch die starke Rauchentwicklung führte zum Zusammenbruch des Straßenverkehrs am Flughafen. Schon die Anfahrt stellte die Einsatzkräfte vor die erste Herausforderung. Der Qualm, die schiere Größe des Flughafenkomplexes und die chaotischen Verhältnisse verhinderten eine umfassende Erkundung. Weil die Flughafenfeuerwehr auf einer anderen Frequenz funkte, war es ihr nicht möglich, fortwährend und zügig mit den anderen Feuerwehren zu kommunizieren. So mussten sich die auswärtigen Einsatzkräfte im weitläufigen Flughafen selbst zurechtfinden. Das gelang mehr schlecht als recht, denn sie hatten keine Gebäudepläne. Als besonders problematisch erwies sich, dass der Flugbetrieb zunächst nicht eingestellt wurde. Maschinen fuhren bis etwa 16.30 Uhr von den Terminals ab oder steuerten sogar noch Flugbrücken an. Auf den Rollfeldern und um die Terminals herum habe reger Verkehr geherrscht, heißt es in dem offiziellen Bericht der Düsseldorfer Feuerwehr. Die flüchtenden Personen seien dadurch „in hohem Maße“ gefährdet worden. Auch bei der strafrechtlichen Aufarbeitung des Brandes kam es zu unsäglichen Pannen. Dreieinhalb Jahre nach dem Unglück begann am Landgericht Düsseldorf der Strafprozess wegen fahrlässiger Brandstiftung gegen elf Angeklagte. Doch als bekanntwurde, dass einer der Schöffen alkoholkrank war, platzte das Verfahren nach 42 Verhandlungstagen. Im zweiten Anlauf musste dann ein Richter ausgetauscht werden – er hatte schon in einem Zivilprozess zum Großbrand mitgewirkt. Dann wurde bekannt, dass gegen anderen Schöffen in einem anderen Fall wegen Brandstiftung ermittelt wurde. Nach 89 Verhandlungstagen stellte das Gericht den FlughafenBrandprozess gegen die angeklagten Manager, Schweißer, Architekten und Verantwortlichen von Flughafen und Feuerwehr schließlich Ende 2001 ein. Sie kamen mit Geldauflagen zwischen 3000 und 20 000 Euro, die nach ihrem Einkommen bemessen waren, davon und blieben straffrei. Denn nach Überzeugung des Gerichts war die Schuld jedes Einzelnen zu gering, um den Prozess noch jahrelang fortzusetzen. Auch konnte das Gericht nicht klären, ob das Bündel von Baumängeln oder ein mögliches Versagen der Einsatzkräfte für das Ausmaß der Katastrophe entscheidend war. Auch durch die Untersuchung einer von der Landesregierung eingesetzten Expertenkommission sind die wichtigsten Zusammenhänge der Katastrophe bekannt. Demnach wurde beim Bau des Terminals gegen Vorschriften verstoßen, als in die Zwischendecke aus Kostengründen leicht brennbare Dämmplatten eingebaut wurden. Es kam auch deswegen zu so vielen Todesopfern, weil die Aufzüge mitten im Rauch stehen blieben und es überall im Gebäude an Rauchmeldern und Fluchttüren mangelte. Auch in der VIP-Lounge von Air France hatte eine solche Tür gefehlt – was der Bauaufsichtsbehörde nicht aufgefallen war. Als Konsequenz aus der Katastrophe wurden die deutschen Brandschutzvorschriften verschärft. Gemeinsame Übungen von Berufs- und Flughafenfeuerwehr sind heute selbstverständlich. Auch verfügt die Düsseldorfer Feuerwehr heute über die Pläne aller wichtigen öffentlichen Gebäude. Als „Düsseldorf International“ am 1. Juli 2001 neu aufgebaut wiedereröffnete, galt er als einer der modernsten und sichersten Flughäfen der Welt. Allein für den Brandschutz wurden 100 Million Euro ausgegeben. Heute sind Tausende Rauchmelder und Sprinklerköpfe installiert, die Aufzüge fahren bei einem Brand automatisch in eine sichere Etage, und es gibt große Entrauchungsanlagen. Auch für den noch immer nicht eröffneten Berliner Großflughafen gilt „Düsseldorf International“ als Brandschutz-Maßstab. REINER BURGER

Schweres Beben in Afghanistan Zahlreiche Verletzte auch im Nachbarland Pakistan KABUL, 10. April (dpa). Ein Erdbeben der Stärke 6,6 hat am Sonntag den Nordosten Afghanistans und Teile Pakistans erschüttert. Das Epizentrum lag nach Angaben der amerikanischen Erdbebenwarte USGS in der Nähe der afghanischen Stadt Ashkasham im Hindukusch nahe der Grenzen zu Pakistan und Tadschikistan. In Pakistan kamen nach ersten Angaben des Senders NDTV zwei Menschen bei dem Beben ums Leben. In der pakistanischen Stadt Peshawar wurden laut BBC 27 Menschen verletzt ins Krankenhaus gebracht. Erschütterungen waren auch im Norden Indiens zu spüren. In der Hauptstadt Delhi hätten die U-Bahnen aus Sicherheitsgründen eine halbe Stunde lang stillgestanden, berichtete NDTV. In Srinagar in der Kaschmir-Region im äußersten Norden Indiens rannten Einwohner in Panik ins Freie. Dort wurden auch Gebäude bei dem Beben beschädigt. Erst im vergangenen Oktober hatte ein starkes Erd-

Ihm konnte geholfen werden: Ein ver-

letzter Junge in Peshawar wird ins Krankenhaus gebracht. Foto AP

beben die Region heimgesucht. Mehr als 400 Menschen wurden getötet und Hunderte Häuser zerstört. In dieser Himalaja-Region stoßen die Indische und die Eurasische Erdplatte aufeinander. Daher handelt es sich um eine der am stärksten von Erdbeben gefährdeten Gegenden der Welt.

Vor der Landung: Die Falcon-Rakete nähert sich der Plattform im Atlantik an.

Bei der Landung: Die Falcon-Rakete setzt nach Plan auf.

Fotos Space X

Der Falke ist gelandet Zum ersten Mal landet eine Weltraumrakete unversehrt auf dem Meer. Nun kann sie wiederverwendet werden. Von Horst Rademacher SAN FRANCISCO, 10. April. Auf dem etwas unscharfen Video sieht alles ganz einfach aus. Auf dem offenen Meer, das vom Wind zu weißen Schaumkronen aufgepeitscht ist, liegt ein rechteckiger Seeleichter aus Stahl vor Anker. Plötzlich kommt von rechts oben ein extrem dünner langer Zylinder ins Blickfeld, der zunächst mit hoher Geschwindigkeit senkrecht auf einem Feuerschweif reitend auf die Stahlfläche zuschwebt. Kurz bevor der Zylinder das antriebslose Schiff erreicht, bremst er ab, landet und steht, etwas unbeholfen balancierend, auf der Plattform. Das Feuer unter ihm erlischt, der Rauch zieht ab – und in diesem Moment wird auf der 2700 Quadratmeter großen schwimmenden Stahlfläche mit dem poetischen Namen „Natürlich liebe ich Dich noch immer“ ein Stück Raumfahrtgeschichte geschrieben. Zum ersten Mal landete eine Weltraumrakete, die zur Wiederverwendung bestimmt ist, unversehrt auf dem Meer. Genau achteinhalb Minuten zuvor, am Freitag um 16.43 Uhr (Ortszeit), war die zweistufige Falcon-9-Rakete mit der unbemannten Kapsel Dragon (Drache) an ihrer Spitze von der Startrampe 40 des Fliegerhorstes am Cape Canaveral in Florida gestartet. Im Auftrag der Nasa sollte die Rakete die Kapsel in eine Erdumlaufbahn bringen, die für ein Rendezvous mit der Internationalen Raumstation (ISS) geeignet ist. Dazu war die Kapsel mit mehr als drei Tonnen Versorgungsgütern für die sechs Astronauten beladen, die sich zurzeit an Bord der ISS befinden. In den vergangenen Jahren wurde die ISS schon mehrfach von der Kombination aus Falcon-Rakete und Dragon-Kapsel versorgt, die vom amerikanischen Privatunternehmen Space-X gebaut und betrieben wird. Obwohl es sich bei der zweistufigen Falcon9 um eine Rakete handelt, die mit den klassischen Flüssigtreibstoffen Kerosin und Sauerstoff angetrieben wird, ist ihre erste Stufe etwas ganz Besonderes. Sie ist nämlich so konstruiert, dass sie schon wenige Wochen nach einem Einsatz wieder zu einem Flug in den Weltraum starten kann. Die Idee, Weltraumgefährte zu recyclen, ist nicht neu. Die Raumtransporter der Nasa, mit deren Entwicklung vor knapp 40 Jahren begonnen wurde, waren ebenso wiederverwendbar wie die mit festem Treibstoff operierenden Zusatzraketen, die bei jedem Flug eines Space-

shuttles zum Einsatz kamen. Im Vergleich zu den mehr als 8000 Raketenstarts, die es seit Beginn des Raumfahrtzeitalters im Jahr 1957 gab, flogen die Spaceshuttles allerdings sehr selten, nämlich nur 135 Mal. Für alle anderen Weltraumflüge galt die schon von Wernher von Braun bei den ersten Raktenversuchen während des Zweiten Weltkriegs in Peenemünde praktizierte Wegwerfregel: Satelliten und einige Reste von Raketen verglühen am Ende ihrer Dienstzeit im Orbit in der Erdatmosphäre. Die meisten Raketenteile gehen jedoch nach einem Start irgendwo weit weg von Land im Ozean nieder und versinken. Mit der fast 50 Meter langen und im Durchmesser gut 3,50 Meter großen ersten Stufe der Falcon9 soll sich das nun grundsätzlich ändern. Sie kann wiederverwendet werden, allerdings nur, wenn es gelingt, sie nach einem Start sicher und unversehrt zu landen. Bei früheren Flügen traf die Rakete bei ihrer Rückkehr zwar den Seeleichter, explodierte aber beim Aufsetzen oder beim Umkippen kurz nach der Landung. Im Dezember gelang es erstmals, die mit neun Triebwerken ausgerüstete Rakete nach dem Start eines Nachrichtensatelliten auf dem Gelände des Cape Canaveral sicher auf den Boden zu bringen. Auf den ersten Blick mag es paradox erscheinen – aber für die amerikanische Weltraumfahrt ist eine Landung auf der Erdoberfläche technisch viel aufwendiger und teurer als eine Landung auf einem Seeleichter. Der Grund dafür ist die geographische Lage der amerikanischen Weltraumbahnhöfe. Sowohl das Cape Canaveral in Florida als auch der Fliegerhorst Vandenberg in Kalifornien liegen jeweils unmittelbar an der Küste. Aus Sicherheits-

Nach der Landung: Space-X-Gründer Elon Musk erzählt am Cape Canaveral von seiner historischen Tat. Foto Imago

gründen erfolgen alle Raketenstarts von beiden Orten aus jeweils seewärts, damit es bei einem Zwischenfall zu keinem Absturz einer Rakete über Land kommen kann. Bei diesen Starts über dem Ozean sind die Raketen aber schon bis zu 300 Kilometer vom Land entfernt, wenn die erste Raketenstufe ausbrennt. Von einer solchen Position ist es dann recht schwierig, das Gefährt zur Küste zurückzufliegen. Für die russische Raumfahrt gilt das übrigens nicht, denn die beiden Kosmodrome Baikonur in Kasachstan und Plesetsk in Nordrussland liegen jeweils weit vom Meer entfernt. Für Space-X war es daher viel einfacher, einen Seeleichter in einer günstigen Position auf dem Meer zu verankern. Am Freitag befand er sich etwa 320 Kilometer von der Küste Floridas entfernt auf dem Atlantik. Dennoch waren eine ganze Reihe komplizierter Flugmanöver nötig, um die erste Stufe der Falcon-9 zurückzubringen. Zunächst trennten sich die beiden Raketenstufen knapp 150 Sekunden nach dem Start. Während die Oberstufe mit der Dragon-Kapsel weiter auf einen Orbit zuflog, zündeten drei der neun Triebwerke der ersten Stufe nach der Trennung kurz und drehten dabei die Flugrichtung der Rakete um. Statt sich immer weiter von der Erde zu entfernen, drehte die Falcon9 in einer Höhe von etwa 160 Kilometern einen Looping zurück in Richtung Erde. Die Geschwindigkeit der Rakete betrug dabei etwa 4700 Kilometer pro Stunde. In etwa 70 Kilometern Höhe, knapp fünf Minuten nach dem Start, zündeten die Triebwerke abermals für kurze Zeit. Sie bremsten die Raketenstufe ab, damit sie sich beim Wiedereintritt in die Erdatmosphäre nicht zu sehr aufheizte. Danach sank die Stufe im freien Fall in Richtung Seeleichter. Knapp 30 Sekunden bevor die Rakete die Wasseroberfläche erreichte, zündeten die Raketen wieder. Ihr nach oben gerichteter Schubvektor bremste dadurch den Fall nach unten so weit ab, dass die Rakete vier Federbeine ausfahren konnte, auf denen sie dann mit einer Endgeschwindigkeit von nur sieben Kilometern pro Stunde auf dem Leichter landete. Kleine ausfahrbare Stummelflügel halfen in den letzten Flugsekunden, die Rakete trotz des Windes in der Vertikalen zu halten. Kurz nachdem die Rakete auf der Plattform gelandet war, wurde eine Schweißerkolonne auf dem Leichter abgesetzt. Die Monteure schweißten die Federbeine auf der Stahlplattform fest, damit die knapp 50 Meter hohe Rakete bei Seegang nicht umkippt. Dann manövrierten Schlepper den Leichter zurück ans Cape Canaveral. Dort wird die Raketenstufe in den nächsten Tagen mit einem Kran vom Leichter abgehoben. Anschließend werden alle Triebwerke, Tanks und Kontrolleinrichtungen überprüft und nötigenfalls ersetzt oder repariert. Space-X plant, diese Stufe schon im Juni für einen weiteren Raketenstart einzusetzen. (Siehe Firmen.)

Kurze Meldungen Ein neuer Turm im Emirat Dubai soll

den derzeit höchsten Wolkenkratzer der Welt überragen. Der Aussichtsturm werde etwas höher sein als der ebenfalls in Dubai stehende Burj Khalifa, teilte der Bauträger Emaar am Sonntag mit. Die genaue Höhe werde aber erst bei der Fertigstellung bekanntgegeben. Der Turm sei „ein Geschenk an die Stadt“ und solle noch vor der Expo im Jahr 2020 in Dubai fertiggestellt werden, sagte Emaar-Chef Mohamed Alabbar. Der von Santiago Calatrava entworfene Turm soll an ein Minarett erinnern. Geplant sind Aussichtsplattformen sowie 18 bis 20 Etagen für Restaurants und ein Hotel. (AFP) Die Schüsse im Rockermilieu in Heidenheim sind für eines der beiden Opfer tödlich gewesen. Ein Neunundzwanzigjähriger starb am Samstag an seinen schweren Verletzungen, wie die Polizei mitteilte. Er war am Donnerstag auf einer Straße von drei Schüssen getroffen worden. Bei den Angeschossenen handelte es sich um Mitglieder der United Tribuns. Die Angreifer gehörten den Black Jackets an. Ein Fünfundzwanzigjähriger wurde bei dem Angriff verletzt. Die Polizei hatte kurz nach der Tat drei Verdächtige im Alter zwischen 23 und 30 Jahren im benachbarten Giengen festgenommen. Gegen einen von ihnen wurde am Freitag Haftbefehl erlassen. Die anderen beiden kamen wieder auf freien Fuß. (dpa) Eine junge Ladendiebin ist wegen eines vergessenen Handys an den Tatort in Stuttgart zurückgekommen – und wurde als Diebin erkannt. Wie die Polizei am Sonntag mitteilte, hatte sie Ohrringe in dem Geschäft gestohlen. Später merkte sie, dass sie ihr Handy dort vergessen hatte. Sie kehrte zurück und fragte eine Verkäuferin nach dem Mobiltelefon. Die erkannte jedoch den gestohlenen Schmuck, den die Sechsundzwanzigjährige bereits trug, und alarmierte einen Kollegen. Als der die Frau darauf ansprach, griff sie eine Bambusmatte und schlug auf den Verkäufer ein. Sie flüchtete, kehrte wenig später aber reumütig zurück. Ihr blüht nun eine Anklage wegen räuberischen Diebstahls. (dpa)

FRANKFU RT ER A L LG EM E I NE Z E I TU NG

WANFRIED, im April. Der Fluss fließt, doch die Zeit scheint zu verharren. Der große Gasthof am Hafen, die Häuser an der Schlagd, die gewundene Straße – sie liegen im Tal der Werra wie seit Jahrhunderten, und die einfallende Dämmerung bestärkt den Eindruck, dass alles unverändert ist, denn in der blauen Stunde löst sich in den Silhouetten alles auf, was im Straßenbild aktuell sein könnte – und es bleiben die Häuser zum Wohnen, Arbeiten und Lagern, die Kirche und die Höfe. Diese kleine Werrastadt entstand durch Handel und Wandel, zog Reisende an und ließ sie zu Bleibenden werden. Denn an der Schlagd der Hafenstadt wurden tief im mitteldeutschen Binnenland Schiffe mit Kaffee, Zucker, Öl, Gewürzen, Tabak, Tuch- und Wollwaren, Honig und Wein, Fisch und Dörrobst be- und entladen. Zu Beginn des 17. Jahrhunderts wurde Wanfried sogar in der Liste der „fürnembsten Städte Europas“ geführt. Mit dem Bau der Eisenbahn wurde es ruhiger am südlichen Endpunkt der Schifffahrt auf Weser und Werra. Doch die Fachwerkstadt blieb ein Kreuzungspunkt im Leben der Suchenden bis heute, ein für den Einzelnen lange ungekannter und vielfach spät entdeckter Sehnsuchtsort. Zunächst kamen vor zehn Jahren die Niederländer an die Werra, wo ihr „Wähnen Frieden fand“ – auch Richard Wagner soll von dem Namen „Wanfried“ berührt gewesen sein, so dass er sein Haus in Bayreuth danach nannte. Seit ein paar Jahren kommen die Deutschen und die Italiener, weil die Wanfrieder liebevoll mit ihrer Stadt umgehen und jeden, der kommt, offen empfangen. Die Häuser finden ihre Menschen. Zum Beispiel Erich Böck, den Öko-Baustoffhändler aus Franken, und Sabine Niggewöhner, die Gesundheits- und Wellness-Unternehmerin aus Westfalen. Oder Friedhilde Banholzer, die Lehrerin aus Freiburg, und ihren Mann Schorsch, den gebürtigen Münchner. Wenn das westfälisch-fränkische Unternehmerpaar von Wanfried und der Begegnung mit den Einwohnern berichtet, dann hat die Stadt die Fremden eingenommen. Das Paar traf zunächst in einem Fernsehbericht auf die Stadt. Daraufhin sah sich Erich Böck die Gegend an. „Und ich bin dann da reingeschlittert“, sagt seine Partnerin. „Es gibt Orte, da könnte ich nicht wohnen. Aber hier: Es herrscht Eigeninitiative, man wird angesprochen, und das Haus hat uns gefunden.“ In Wahrheit sind es zwei Häuser, zudem zwei neuere, knapp hundert Jahre alte, die das Paar „Vor dem Gatter“ zurzeit in Handarbeit ökologisch und mit viel Hanf saniert. Die beiden Eigentümer trinken sogar Hanfkaffee und essen Hanfschokolade – rauschfrei, wie sie glaubhaft versichern, sonst sähen die frisch gelehmten Decken und Wände nicht so proper aus. Beide Häuser haben im Erdgeschoss ein Ladenlokal, in dem die Bewohner ihrem Broterwerb nachgehen können. Sabine Niggewöhner pendelt obendrein, denn sie hat in Westfalen noch ein paar Aufgaben. Über den Läden lebt in einem Haus das Paar, im anderen ist Raum für Gäste und Probe-Bewohner, die einmal in einem Öko-Zimmer schlafen möchten, bevor sie selbst zu Lehm und Hanf greifen. Das Ehepaar Banholzer aus Süddeutschland wohnt wiederum ein paar Häuser weiter „Vor dem Gatter“ in einer Fachwerkimmobilie. Das Holz für das Tragwerk wurde noch vor der Reformation geschlagen. Unterm Dach wäre noch viel Platz für ein Loft, und der Gewölbekeller ist groß. Doch Erd- und Obergeschoss reichen den beiden, selbst wenn Kinder und Enkel einmal kommen. Ihre Katze ist schon aus dem Badischen mit umgezogen. Mit einem Satz steht sie auf dem Tisch, betrachtet die Menschen rundherum auf Augenhöhe und lässt sich räkelnd auf der Holzplatte nieder, als sei alles ihres, ganz selbstverständlich. Ähnlich erging es wohl ihren zweibeinigen Mitbewohnern. Sie kamen her und fühlten sich wohl: „Es sagt ein jeder ,Guten Tag‘. Wenn man steht und suchend

Deutschland und die Welt

MONTAG , 11. APRIL 2016 · NR . 8 4 · S E I T E 9

Neues Leben im alten Fachwerk Der Stadt Wanfried im Werratal liefen die Einwohner davon. Dann verhalf eine Bürgergruppe dem Ort zu neuer Blüte. Von Claus Peter Müller

So schön wie am Hafen sieht’s natürlich nicht überall aus: Aber Wanfried an der Werra gestaltet seine Randlage in der Mitte Deutschlands aufs Schönste.

schaut, hilft sofort einer, und wenn wir eine Frage zu Wanfried haben, na, wer ruft dann an? Der Bürgermeister!“ Anderswo, in München oder Freiburg, sei das nie geschehen. Dabei war der Umzug nach Wanfried alles andere als ein Abenteuer, sondern durch Recherche gut vorbereitet. Am Anfang stand die Liebe zum Fachwerk und zu alten Städten. Der Norden, den die Banholzers auch in Augenschein genommen hatten, war den Süddeutschen zu flach und dem Schorsch aus München viel zu preußisch. Hessen, auf halbem Weg nach Süden, sei dagegen so etwas wie der Vorhof zum Paradies. In und um Wanfried gebe es alle Infrastruktur, in der Stadt sogar einen Discounter, und der große Lebensmittelmarkt werde neu gebaut. „Wenn Aldi kommt, hat die Stadt eine Zukunft“, sagt der Bayer, denn die Händler recherchierten sehr genau. Vor allem aber ließ die Bürgergruppe die Fremden näher kommen und zu Mitbürgern werden. Denn einst sah es hier bitter aus. Nicht nur der Warenstrom auf dem Fluss war lange versiegt, auch die Weltgeschichte hatte ihren Strich durch die Rechnung der Wanfrieder gezogen – die kleine Stadt in der Mitte Deutschlands wurde in einer Randlage zurückgelassen. Die einstige hessische Hafenstadt für das westliche Mitteldeutschland, mit Handelswegen nach Mühlhausen und Erfurt, lag unmittelbar westlich der Zonengrenze mit Stacheldraht, Selbstschussanlagen und Minen. Ein scheinbar hoff-

Fotos Nora Klein

nungsloser Niedergang begann. In Kassel, eine gute Autostunde westlich von hier, hieß es ebenso derb wie offen: „Wir sind zwar nicht am Arsch der Welt, aber wir können ihn schon sehen.“

Die Jungen aus dem Werratal wandten sich nach Westen ab, allein die Alten blieben bis zum Tod. Und der kam irgendwann, mit großer Zuverlässigkeit. Nach dem Mauerfall setzte eine Zwischenblüte

ein. Denn die Thüringer dachten zwar an die Ansiedlung von Gewerbe und Behörden, nicht aber an die Aufnahme von Fremden, die der neuen Aufgaben wegen nach Osten zogen. Vielfach wohnten sie

Auch die Katze ist dabei: Friedhilde Ban-

Sie retten ihre Stadt: Wilhelm Gebhard,

Mit viel Hanf renoviert: Erich Böck und

holzer kam aus Freiburg – die Liebe zum Fachwerk war nur einer der Gründe.

der Bürgermeister (links), und Jürgen Rüdiger, der Sprecher der Bürgergruppe

Sabine Niggewöhner haben sich einen Traum ausgebaut.

im Osten des Westens, wie in Wanfried, und pendelten von dort aus in den Westen des Ostens, wo nicht wenige bis heute lieber unter sich bleiben. Zu alter Blüte kehrte Wanfried freilich nicht zurück, und schon war die Einwohnerzahl von 5000 in Richtung 4000 im Fall. Da begannen einige Wanfrieder, sich dem Niedergang entgegenzustellen. Sie schlossen sich vor zehn Jahren zu jener Gruppe zusammen, von der die Neubürger so begeistert sprechen, legten ein Kataster der damals 21 leerstehenden Häuser an und boten Interessenten, die ein Haus suchten, unentgeltlich zu jeder Tages- und Nachtzeit ihren fachmännischen Rat an. Die Gruppe, unter ihnen auch Architekten und ein Elektrotechnik-Ingenieur als Sprecher, wollte andere von der Schönheit Wanfrieds überzeugen. Der Erfolg war ihr Lohn. Auch Wilhelm Gebhard gehört von Anfang an zur Bürgergruppe. Im Jahr 2007 wählten ihn die Wanfrieder erstmals zu ihrem Bürgermeister. 2013 bestätigten sie ihn mit mehr als 90 Prozent der Stimmen. Während der vergangenen sieben Jahre, sagt Gebhard, gab es etwa 250 Eigentümerwechsel von Grundstücken und Häusern in der Stadt. Etwa 50 der Überschreibungen ging die Beratung durch die Bürgergruppe voraus, die sogar ein eigenes Fachwerkmusterhaus hat, um über alle Tücken, Formen und Chancen der Sanierung aufzuklären. Zunächst kamen die Niederländer, kauften die von ihnen geliebten Fachwerkhäuser und ließen sie sanieren. Das Haus selbst, teils mit Schuppen, Wald und Wiese, war meist unglaublich günstig, aber der Sanierungsaufwand konnte mit bis zu 2500 Euro je Quadratmeter Wohnfläche gewaltig sein. Nach einer Immobilienkrise in den Niederlanden kamen die Deutschen, vor allem aus den teuren Ballungsräumen, und sogar eine italienische Familie. Seit einigen Jahren ermuntern die niedrigen Zinsen die Neugierigen, ihren Wünschen nachzuziehen und in der Summe einige Millionen Euro entlang der Werra auszugeben. Zu- und Wegzüge, sagt Bürgermeister Gebhard, halten sich wieder die Waage. Früher zogen jedes Jahr im Saldo 100 Bürger fort. Die Stadt, sagt Gebhard, hat – außer zu dem Musterhaus – zu all dem keinen Cent hinzugegeben. Im Gegenteil, Geld wäre Gift. Denn der Erfolg ist nicht zu kaufen. Die Eigeninitiative, die Offenheit und Freundlichkeit gegenüber den Suchenden begründen den Erfolg. Die Wanfrieder kennen darum Neider, die glauben, das alles ginge nicht mit rechten Dingen zu, vielleicht weil sie selbst nie so selbstlos handelten, wie es die Mitglieder der Bürgergruppe tun. Andere, sagt Gebhard, entschieden von oben herab: „So wie in Wanfried machen wir es auch.“ Die Stadtverordneten stellten dann im schlimmsten Fall den Antrag auf die Gründung einer Bürgergruppe und beauftragten ein Unternehmen mit einem Leerstandskataster. Um das kümmere sich am Ende keiner, denn das Bürgerengagement, so meint Gebhard, lässt sich doch nicht befehlen oder beschließen. Diana Wetzestein, die aus einer Familie mit einer viele hundert Jahre alten Zimmermannstradition stammt, sieht die leeren Stadtkassen als Vorteil: „Das Bürgerengagement kann wachsen. Wir wollen mitmachen, ohne in eine Ecke gedrängt zu werden.“ Nun gibt es sogar eine Bürgergenossenschaft, die Häuser kauft, saniert, vermietet und weitere Bürger für Wanfried als Wahlheimat gewinnt. „Es sind alles besondere Leute, die kommen“, sagt Friedhilde Banholzer, „innovativ und aufgeschlossen, die alles neu machen.“ An dieser alten Stadt am Fluss fließt der Strom der Zeit nicht mehr vorbei.

PERSÖNLICH

Es war eine Rettung wie im Film: Drei

Seeleute, die auf einer unbewohnten Pazifik-Insel gestrandet waren, haben die Buchstaben „HELP“ (Hilfe) in den Sand geschrieben und so Rettungsflugzeuge auf sich aufmerksam gemacht. Die Buchstaben hatten sie aus Palmblättern zusammengelegt. Die amerikanische Küstenwache auf Hawaii berichtete, die Männer seien am 4. April mit einem kleinen Boot zur Insel Weno in Mikronesien unterwegs gewesen, als sie schiffbrüchig wurden und sich schwimmend auf das unbewohnte Eiland Fanadik, mehrere hundert Kilometer

nördlich von Papua-Neuguinea, retten konnten. Zuvor konnten sie noch einen Hilferuf absetzen; die Rettungsmannschaften waren also alarmiert. Die amerikanische Küstenwache – im amerikanischen Außengebiet Guam stationiert – und die Navy suchten mit mehreren Maschinen. Nach drei Tagen fanden die Piloten den Schriftzug am Strand der Insel – und drei Männer, die mit ihren roten Schwimmwesten winkten. Die Küstenwache schickte ein Boot und brachte die drei, die unverletzt blieben, in die Stadt Pulap in Mikronesien zurück. (dpa) Foto dpa

Die Verwechslungsgefahr war programmiert, als sich die eineiigen Zwillingsbrüder Zhao Xin und Zhao Xuan aus dem Norden Chinas in Frauen verliebten, die ihrerseits eineiige Zwillingsschwestern sind. Und tatsächlich sind sich die vier oft unsicher, ob sie es mit ihrem Ehepartner oder mit dessen Zwilling zu tun haben. Denn laut der staatlichen chinesischen Nachrichtenagentur CNS sehen die Zwillingspaare nicht nur identisch aus, sondern haben auch ähnliche Stimmen und Gesichtsausdrücke. Schon bei der Hochzeit, die sie gemeinsam am selben Tag feierten, mussten sie beim Ringtausch aufpassen. Deshalb haben laut einem Bericht der britischen „Times“ jetzt alle vier entschieden, sich plastischen Operationen zu unterziehen. Ärzte am HongkangKrankenhaus in Schanghai sollen sich bereit erklärt haben, sie so zu verändern, dass sie noch aussehen wie sie selbst, sich aber ein wenig unterscheiden. Die ungewöhnlichen Operationen will das Krankenhaus kostenlos durchführen. (lfe.)

Hotel war 2008 eines der Ziele der islamistischen Terroranschläge, bei denen mehr als 160 Menschen starben. Kate und William unterhielten sich mit Hotelangestellten, die damals die Anschläge überlebt hatten. Im Oval Maidan, einem großen Park im Herzen der Stadt, ging es dann um Cricket. Der Sport ist in England und Indien gleichermaßen populär. Es wird von Straßenkindern gespielt, während andererseits die großen Cricket-Stars des Landes Millionen verdienen. Im Oval Maidan traf beides zusammen. Das Paar spielte ein paar Bälle mit eingeladenen Straßenkindern und mit dem wohl bekanntesten Cricket-Spieler des Subkontinents, Sachin Tendulkar. Anschließend ließen sie (unser Bild) am Banganga-Wasserreser-

Prinz William und Kate erinnern an Terroropfer Der britische Thronfolger Prinz William und seine Frau Kate haben zum Auftakt ihrer Indien-Reise der Opfer des Terroranschlags in Bombay gedacht. Das Paar legte am Sonntag am berühmten Taj Mahal Palace Hotel einen Kranz nieder. Das

Foto AP

voir Blumen schwimmen. Für den Abend war ein Essen mit Bollywood-Schauspielern und Unternehmern aus der Stadt geplant. Für den Dreiunddreißigjährigen

und seine 34 Jahre alte Frau ist es die erste offizielle Reise nach Indien. An diesem Dienstag geht es für Kate und William weiter in die Hauptstadt Delhi, wo sie unter anderen den indischen Ministerpräsidenten Narendra Modi treffen sollen. Anschließend reisen sie weiter in das benachbarte Königreich Bhutan und die indische Stadt Agra zum Taj Mahal. (dpa)

Justin Welby stammt anders ab Der Erzbischof von Canterbury, Justin Welby, hat bestätigt, dass er einer unehelichen Beziehung entstammt. Zuvor hatte ihn ein renommierter Autor des „Daily Telegraph“ mit Recherchen konfrontiert, denen zufolge der 1977 verstorbene Whisky-Händler Gavin Welby höchstwahrscheinlich nicht sein leiblicher Vater sei. Daraufhin hatte der oberste Würdenträger der Anglikanischen Kirche einen DNA-Test in Auftrag gegeben. Das Ergebnis habe ihn „völlig überrascht“, sagte der Erzbischof der Zeitung. Welby war von seiner Mutter, die schon lange in zweiter Ehe lebt, darüber in Kenntnis gesetzt worden, dass sie vor ihrer ersten Hochzeit eine Affäre mit einem Arbeitskollegen gehabt habe. Dabei handelt es sich um den vor drei Jahren verstorbenen Diplomaten Anthony Montague Browne, der wie sie im engsten Kreis des früheren Premierministers Winston Churchill gearbeitet hatte, und der Justin Welby persönlich bekannt war. Allerdings sei sie fest davon ausgegangen, dass ihr Sohn das leibliche Kind ihres ersten Ehemannes sei. Justin

Welby war ziemlich genau neun Monate nach der Hochzeit auf die Welt gekommen. Das Ergebnis (mit einer Sicherheit von 99,97 Prozent) sei für sie ein „nahezu unfassbarer Schock“ gewesen, sagte sie der Zeitung. Berufliche Konsequenzen muss Welby offenbar nicht befürchten. Jahrhundertelang waren uneheliche Kinder vom Amt des Erzbischofs ausgeschlossen gewesen. Eine Prüfung des anglikanischen Kirchenrechts, die Welby gleich nach den DNA-Ergebnis in Auftrag gegeben hatte, habe aber ergeben, dass dieser Vorbehalt in den fünfziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts im Zuge einer wenig beachteten Reform aufgehoben worden sei. Über die private Dimension der Nachricht äußerte sich Welby gefasst. „Es gibt keine existentielle Krise und auch keinen Groll gegen irgendwen“, sagte er dem „Daily Telegraph“. Welby war, in seinen eigenen Worten, unter schwierigen Umständen aufgewachsen, weil seine Eltern tranken. Er sei nach wie vor „enorm stolz“ auf seine Mutter, dass sie es geschafft habe, ihre Alkoholkrankheit zu besiegen, sagte er. „Trotz trauriger – und im Fall meines Vaters sogar tragischer – Aspekte ist dies eine Geschichte der Erlösung und der Hoffnung.“ Die Antwort auf die Frage nach seiner Identität, sagte der Geistliche, finde er nicht in der Genetik, sondern in Jesus Christus. (job.) Foto Reuters

Zhao Xin will nicht Zhao Xuan sein

Zeitgeschehen

SE IT E 10 · M O N TAG , 1 1 . A P R I L 2 0 1 6 · N R . 8 4

F R A N K F U RT E R A L LG E M E I N E Z E I T U N G

Land der Spione Wie die Stasi Niedersachsen mit einem Netz aus Agenten überzog / Von Reinhard Bingener

Falsches Signal ußenminister Steinmeier bewegt sich mit seinen Äußerungen über eine Rückkehr Russlands in die G 7 auf einem schmalen Grat: Er sagt zwar einerseits klar, dass die Bedingungen dafür wegen der russischen Politik derzeit nicht gegeben sind, sendet andererseits aber das Signal aus, dass in den Beziehungen zwischen Russland und dem Westen die Rückkehr zu der Normalität der Zeit vor dem UkraineKrieg doch irgendwie näher rückt. Aber so sinnvoll es ist, der russischen Führung immer wieder zu verdeutlichen, dass der Westen stets gesprächsbereit ist, weist das Winken mit solchen vor allem symbolisch bedeutsamen Schritten in die falsche Richtung. Solche Äußerungen wie die Steinmeiers werden von der russischen Führung als Erfolg ihrer Politik verkauft – als Ergebnis einer Unnachgiebigkeit, die den Westen gezwungen habe, wieder auf Moskau zuzugehen. Diesen Gefallen sollte man Wladimir Putin und seinen Gefolgsleuten nicht tun. Man muss Russland nicht wieder in den Club der Großen aufnehmen, um mit seiner Regierung über die Ukraine, Syrien und vieles andere zu reden. rve.

A

Jazenjuks Rücktritt ie Regierungskrise in der Ukraine schien sich zuletzt ins UnendliD che zu ziehen. Seit zwei Monaten hat sich die politische Elite in Kiew vornehmlich mit sich selbst befasst – in einer Zeit, in der das Land in einer katastrophalen wirtschaftlichen Verfassung ist, die korrupten Seilschaften des alten Regimes immer dreister auftreten und die westlichen Verbündeten immer offener zeigen, dass sie die Geduld verlieren. Worum es in den Gesprächen über die Bildung einer neuen Koalition zuletzt noch ging, warum sie mal kurz vor dem erfolgreichen Ende zu stehen schienen und dann von den Beteiligten wieder als aussichtslos bezeichnet wurden, hat sich auch aufmerksamen Beobachtern kaum noch erschlossen. Was auch immer die Gründe gewesen sein mögen, die Ministerpräsident Arsenij Jazenjuk dazu bewogen haben, jetzt einen Schlussstrich zu ziehen – sein Rücktritt beendet einen unhaltbaren Zustand. Damit schafft er einen Abgang, der seiner Leistung als Regierungschef angemessen ist: Es gibt viele Gründe zur Kritik, aber er hat sich beachtlich aus der Affäre gezogen. evr.

Naturgesetze in Stuttgart ass ein Politiker aus einer Niederlage Statur gewinnen kann, widerD spricht eigentlich den politischen Naturgesetzen. Da gilt: Nichts macht so erfolgreich wie Erfolg. Winfried Kretschmann steht für diesen Lehrsatz, Thomas Strobl für das seltenere Naturereignis. Er hat vor zwei Jahren in der CDU den Mitgliederentscheid gegen Guido Wolf klar verloren und war zum König ohne Land geworden. Das erobert er sich gerade Stück für Stück zurück. Nicht nur, indem er Wolf zur schwarzgrünen Koalition verdonnerte, sondern auch, indem er ihm den Fraktionsvorsitz abhandeln wird. Denn Strobl ginge nicht von Berlin nach Stuttgart, wenn Wolf, der damals den Sieg so deutlich davontrug, weil er der Mann der Landtagsfraktion war, deren Vorsitzender bliebe. Strobl braucht dafür einen Verbündeten. Dann wäre aus ihm ein Mann geworden, der seinen Ehrgeiz zügeln musste, um Souveränität zu gewinnen und wieder erfolgreich zu sein. Winfried Kretschmann wird es zwar recht sein, weil er sich so auf die CDU verlassen kann. Der Erfolg Strobls könnte allerdings sehr schnell erfolgreicher machen als sein eigener. kum.

Deutsche Asset Management

HANNOVER, 10. April In den sechs Bundesländern mit eigener DDR-Vergangenheit sind große Anstrengungen zur Aufarbeitung der Tätigkeit des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) unternommen worden. In den zehn westlichen Bundesländern wurden die Aktivitäten der Stasi hingegen nur in Ansätzen erforscht, obwohl der ostdeutsche Geheimdienst auch auf ihrem Gebiet in erheblichem Umfang tätig geworden ist. So soll die Stasi zeitweise in der Lage gewesen sein, in Westdeutschland 100 000 Telefonanschlüsse zu überwachen und bis zu 5000 Telefonate gleichzeitig aufzuzeichnen. Angestoßen durch umfangreiche Recherchen des NDR zu diesem Thema, hat sich der Landtag in Hannover vor gut einem Jahr dazu entschlossen, eine Enquetekommission mit der Aufarbeitung der MfS-Tätigkeiten in Niedersachsen zu betrauen. Die Kommission soll den Umfang, die Methoden und die Ziele der Stasi-Aktivitäten ermitteln, Opfer des MfS anerkennen, Täter ausfindig machen und diese gegebenenfalls auch noch einer Strafverfolgung zuführen. Aus dem Blickwinkel des MfS kam dem Land Niedersachsen schon allein geographisch eine herausgehobene Bedeutung zu. Kein anderes Land verfügte über eine längere Grenze zur DDR, und nirgends anders verliefen so viele wichtige Verkehrswege in die DDR und nach West-Berlin, die auch intensiv für nachrichtendienstliche Tätigkeiten genutzt wurden. Niedersachsen, insbesondere Hannover als Drehkreuz geheimdienstlicher Tätigkeiten, war für die Nachrichtendienste beider Seiten von großem Interesse. Die Stasi nutzte diese Verkehrswege nicht nur, sie spionierte auch ihre Überwachung durch den westdeutschen Geheimdienst aus. Der Stasi gelang es zum Beispiel, im Niedersächsischen Verfassungsschutz zwei Inoffizielle Mitarbeiter (IM) an entscheidenden Stellen zu plazieren: HansJürgen A. und Wilhelm B. versorgten das MfS über Jahre unabhängig voneinander mit äußerst sensiblen Daten. Hans-Jürgen A. hatte sich 1979 als „Schwarzhaupt“ bei der Hauptverwaltung Aufklärung (HVA), dem Auslandsgeheimdienst der Stasi, von sich aus gemeldet. Er wollte Geld. Der Polizist, der seit 1971 für den Verfassungsschutz arbeitete, soll vom MfS insgesamt 420 000 D-Mark für seine Dienste erhalten haben. Als Sachgebietsleiter für „methodische Spionageabwehr“

konnte A. dem MfS präzisen Einblick in die westdeutschen Bemühungen geben, Einschleusungen und Kuriertätigkeiten aus dem Osten aufzudecken. Wilhelm B. bot sich dem MfS als IM an, weil er sich im Niedersächsischen Verfassungsschutz bei Beförderungen übergangen fühlte. Auch er lieferte wertvolle Informationen. Nach der Enttarnung der beiden im Zuge der Wiedervereinigung wurde Hans-Jürgen A. zu sieben Jahren und Wilhelm B. zu neun Jahren Haft verurteilt. An sensibler Stelle in Niedersachsen war auch Irene S. tätig. Als Sekretärin im Innenministerium in Hannover hatte sie als eine der ganz wenigen Personen Zugang zur Geheimregistratur. Über Jahre schmuggelte sie Verschlusssachen abends in ihrer Handtasche aus der Behörde, fotografierte sie zu Hause ab, legte sie am nächsten Arbeitstag wieder zurück. Die Aufnahmen übergab sie bei konspirativen Zusammentreffen ihrem MfS-Verbindungsmann. Irene S. beschaffte der Stasi auf diesem Weg Organigramme und Informationen über Übungen der Nato und auch den „Zivilen Alarmplan“, den es als Dokument in Niedersachsen nur ein einziges Mal gab. Im Lauf von 22 Jahren hat die Sekretärin etwa 170 000 D-Mark dafür bekommen. 1994 wurden Irene S. und ihr Ehemann zu fünf Jahren Haft verurteilt.

Bei einem Symposion zur bisherigen Arbeit der Enquetekommission sagte deren Vorsitzende Silke Lesemann am Freitag, das MfS habe in Niedersachsen vor allem „militärische und sicherheitspolitisch relevante Einrichtungen“ ausspioniert. Neben Verfassungsschutz und Innenministerium seien auch die Bundeswehr, die Polizei, der Zoll und der Bundesgrenzschutz zum Ziel des MfS geworden, erklärte die SPD-Landtagsabgeordnete. Mit der Ausleuchtung dieser Tätigkeiten betrete Niedersachsen „Neuland“ und könnte damit zum „Vorreiter“ für andere westdeutsche Bundesländer werden, zumal es bisher kaum Studien über MfS-Aktivitäten in den West-Ländern gebe. Diese Aufarbeitung ist schwierig, weil die Akten der HVA fast alle vernichtet wurden. Da aber Westdeutschland nicht allein vom Auslandsgeheimdienst bearbeitet wurde, sondern auch andere Einrichtungen des MfS an der West-Spionage beteiligt waren, ist eine nachträgliche Aufklärung der Geschehnisse dennoch teils möglich. Die Enquetekommission beschränkt sich dabei nicht auf den Bereich der niedersächsischen Sicherheitsbehörden. Die Historikerin Daniela Münkel von der Behörde für Stasi-Unterlagen, die die Enquetekommission berät, berichtete, dass man in der Forschung generell davon ausgehe, dass die HVA mit etwa drei-

Ende einer Flucht: Der Wagen, in dem Lutz Eigendorf im März 1983 umkam

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ßig bis vierzig Prozent den größten Teil ihrer Kapazitäten auf die Spionage in Wirtschaft und Technik verwendete, um die Defizite der DDR-Ökonomie auszugleichen. In welchem Ausmaß jedoch die Volkswagen-Werke oder die Forschungsarbeit niedersächsischer Universitäten in den Fokus des MfS rückten, müsse erst noch aufgearbeitet werden. Für die TU Braunschweig berichtete Klaus Oberdieck, Leiter des Universitätsarchivs, über den Stand der erst jüngst begonnenen Forschungen. Demnach könnte insbesondere der „Sonderforschungsbereich Flugführung“ von Karl Heinrich Doetsch, der zuvor in Großbritannien die Concorde mitentwickelt hatte, Ziel der Stasi gewesen sein. Das MfS scheint sich auch intensiv für die Forschungen von Hans Herloff Inhoffen auf dem Gebiet der organischen Chemie interessiert haben, aus denen das heutige Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung hervorging. Aufgegriffen wurde auf der Tagung im provisorischen Plenumssaal des Landtags auch der Fall des Fußball-Profis Lutz Eigendorf. Bei einem Gastspiel des berüchtigten Stasi-Clubs BFC Dynamo in Westdeutschland setzte sich Eigendorf 1979 ab und spielte dann für Eintracht Braunschweig in der Bundesliga. Stasi-Chef Mielke musste sich bei Auswärtsspielen von den gegnerischen Fans den Sprechchor „Willst du in den Westen türmen, musst du bei Dynamo stürmen“ anhören. 1983 kam Eigendorf dann unter mysteriösen Umständen bei einem Verkehrsunfall ums Leben. Es gibt Hinweise darauf, dass sein Tod vom MfS herbeigeführt worden sein könnte. Neue Erkenntnisse in dem Fall wurden auf der Hannoveraner Tagung jedoch nicht präsentiert. Ziel der Aufarbeitung der Tätigkeit des MfS auf niedersächsischem Boden scheint auch weniger der Erkenntnisfortschritt in den spektakulären Fällen zu sein, sondern die Nachzeichnung der Tätigkeiten des MfS in seiner Breite. Dazu gehören etwa seine Aktivitäten in den grenznahen Regionen Niedersachsens, wo die Stasis intensiv Mitarbeiter der Landkreise und Lokaljournalisten bespitzeln konnte und offenbar auch beim Bundesgrenzschutz über gute Quellen verfügte. Objekt der MfS-Aktivitäten war auch die in Niedersachsen ansässige „Zentrale Erfassungsstelle“ in Salzgitter, die das staatliche Unrecht in der DDR dokumentierte und damit mögliche Täter abschrecken sollte.

Fremde Federn: Thorsten Schäfer-Gümbel, Carsten Schneider, Norbert Walter-Borjans

Harte Regeln gegen globalen Steuerbetrug ie „Panama-Papiere“ zeigen, dass die Bekämpfung von Steuerbetrug, Steuerhinterziehung, Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung ganz oben auf die politische Agenda gehört. Große Steuersummen systematisch über dubiose Offshore-Konstruktionen zu hinterziehen ist nicht nur illegal, sondern auch ein Verbrechen an der Gemeinschaft. Die Helfershelfer, also Banken, Anwalts- und Wirtschaftsprüfungsgesellschaften, sind ebenso in Haftung zu nehmen wie die Hinterzieher selbst. Dafür müssen wir mehr Licht ins Dunkel dieser Schattenwelt bringen. Die Adresse richtet sich an die Finanzminister der G-20-Staaten. Es ist ihr Job, dafür zu sorgen, dass möglichst viele, idealerweise alle Staaten am automatischen Informationsaustausch teilnehmen und kooperieren. Zusätzlich müssen sie zeitnah Unternehmensregister einrichten, die Angaben zu den wirtschaftlich Begünstigten von Unternehmen machen. Das muss ein völkerrechtlicher Vertrag regeln, der die Empfehlungen der OECD umsetzt. Wer hierbei nicht mitmacht, muss die Konsequenzen spüren. Die „schwarze Liste“ der OECD zu nichtkooperierenden Staaten muss angepasst und verschärft werden. Ein Durchmauscheln darf es künftig nicht mehr geben. Im Dezember dieses Jahres

D

beginnt auch die G-20-Präsidentschaft Deutschlands. Ausreden, ausweichen, auf die lange Bank schieben – das wird sich der deutsche Finanzminister dann nicht mehr leisten können. Natürlich hat Europa eine gewichtige Rolle. Die EU hat die Größe und den Hebel, um international neue Ansätze durchzusetzen. Der nächstliegende Schritt ist die Verschärfung der Aufsicht über die Helfer und Helfershelfer, die im Massengeschäft Briefkastenfirmen in Offshore-Staaten einrichten. Jedes einzelne Geschäft soll und muss meldepflichtig werden, um genau erfassen zu können, was es mit dem Geschäft auf sich hat. Einmal mehr: Wer nicht kooperiert, wird unmittelbar bestraft und hart sanktioniert. Es muss in Anbetracht der Dimension und Schwere der Verbrechen sogar so weit gegangen werden, dass Finanzanlagen in Offshore-Gebieten grundsätzlich und ohne Ausnahme verboten werden. Anonyme Finanzgeschäfte mit Offshore-Gebieten dürfen keine Chance mehr auf Erfolg haben. Zusätzlich müssen die Empfehlungen der OECD zur Bekämpfung von Gewinnverlagerung und Gewinnoptimierung international tätiger Unternehmen endlich und vollständig umgesetzt werden. Lücken in der Besteuerung, wie zum Beispiel die Steuervergünstigungen für spezielle Einkünfte aus Lizenzen

oder Patenten, sogenannte „weiße Einkünfte“, müssen der Vergangenheit angehören. Derzeit ermöglichen unterschiedliche nationale Regelungen, dass Einkünfte in keinem der beteiligten Staaten besteuert werden. Das darf es nicht länger geben. Zudem muss die Einführung einer gemeinsamen Grundlage für die Körperschaftsteuer inklusive Mindeststeuersätze ganz oben auf die Tagesordnung. Auch Nationalstaaten haben aber Handlungsmöglichkeiten. Dazu gehören schmerzhafte Sanktionen gegen die geschäftsmäßige Beihilfe zu Geldwäsche und Steuerhinterziehung durch Banken. Das Aufsichtsrecht ist hier in der Pflicht. Vorgeschlagen hatte das im Jahr 2013 bereits der Bundesrat, aber die CDU blockiert bislang die Umsetzung. Die Sanktionen reichen bis zum Entzug der Banklizenz und der zivilrechtlichen Haftung für den Schaden über Geldbußen. Unternehmen, die sich an solchen illegalen Aktivitäten beteiligen, müssen deutlichere Konsequenzen spüren. Staatsanwaltschaften müssen auch bei Ordnungswidrigkeiten die Pflicht haben, zu ermitteln. Und Steuerpflichtigen in Deutschland, die Geschäftsbeziehungen zu oder in Staaten auf der „schwarzen Liste“ unterhalten, müssen erhöhte Mitwirkungspflichten gegenüber der deutschen Steuerverwal-

tung auferlegt werden. Und wieder: Bei Nichtkooperieren wird hart sanktioniert, und zwar bis hin zum Zugriff auf das gesamte aus den Straftaten herrührende Vermögen. Die Strafverjährung wird verschärft. In Deutschland war Geldwäsche zu lange zu einfach. Deswegen muss sie nun schärfer bestraft werden, als die EU es derzeit noch vorschreibt. Die unmittelbare Reaktion ist die Einrichtung eines nationalen Transparenzregisters und einer Obergrenze für Bargeldzahlungen im Geschäftsverkehr. Zudem muss die Meldepflicht auch für Anwaltskanzleien oder Immobilienmakler dort verschärft werden, wo große Vermögen verschoben werden. Doch wir müssen auch vor der eigenen Tür kehren. Innerhalb Deutschlands darf es keine sogenannten Steueroasen geben. Zu wenig Personal als Ausrede für eine laxe Steueraufsicht ist kein akzeptables Argument. Die Gesellschaft beruht auf dem Grundverständnis, dass jeder seinen gerechten Teil dazu beiträgt. Was gerecht ist, definiert die Demokratie. Wer sich dem entzieht, handelt nicht nur kriminell, sondern auch antidemokratisch. Thorsten Schäfer-Gümbel ist stellvertetender Vorsitzender der SPD, Carsten Schneider ist stellvertretender Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion, Norbert Walter-Borjans ist Finanzminister von Nordrhein-Westfalen.

Juan Carlos VARELA

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Im Sturm Zwei Botschaften stehen im Zentrum der öffentlichen Äußerungen von Präsident Juan Carlos Varela seit dem Beginn der Veröffentlichungen der „Panama Papers“ vor einer Woche. Erstens werde sein Land, das zu Unrecht als eine Art Schurkenstaat der Finanzwelt hingestellt werde, eine Transparenzoffensive zur Wiederherstellung seines guten Rufes beginnen. Und zweitens werde er seinem langjährigen Weggefährten Ramón Fonseca, dem Miteigentümer der im Mittelpunkt der Enthüllungen stehenden Kanzlei Mossack Fonseca, gerade jetzt nicht die Freundschaft kündigen: „In schwierigen Zeiten wie diesen hauen Freunde nicht einfach ab“, sagte der Präsident. Tatsächlich verbindet Varela und Fonseca vieles: Beide gehören der konservativen „Panameñista“-Partei an, beide sind Zöglinge der panamaischen Oberschicht, und beide haben im Ausland studiert – Varela in den Vereinigten Staaten, Fonseca in London. Vor allem aber war Fonseca nach Varelas Amtsantritt im Juli 2014 dessen Berater im Ministerrang. Von diesem Amt war Fonseca im März kurz vor Veröffentlichung der „Panama-Papers“ zurückgetreten, nachdem Verwicklungen seiner Kanzlei in den Korruptionsskandal um den brasilianischen Ölriesen Petrobrasbekannt geworden waren. Varela, der am 12. Dezember 1963 in Panama-Stadt geboren wurde, entstammt einer Unternehmerfamilie, die ihren Wohlstand vor allem der RumDestille „Varela Hermanos“ verdankt. Der praktizierende Katholik Varela ist mit einer Journalistin verheiratet und hat drei Söhne. Varela engagierte sich früh in der Politik, er kämpfte aktiv gegen die Gewaltherrschaft des zunächst von den Vereinigten Staaten unterstützten und 1989 schließlich von ihnen gestürzten Diktators und Drogenbosses Manuel Noriega. Seine Sporen als Wahlkämpfer verdiente er sich in den zwei Kampagnen der Präsidentin Mireya Moscoso – bei ihrem erfolglosen ersten Anlauf 1994 und bei ihrem Sieg 1999. Seit 2006 führt Varela den „Partido Panameñista“. Seine Ambitionen aufs höchste Staatsamt stellte Varela bei den Wahlen von 2009 zugunsten seines konservativen Mitbewerbers Ricardo Martinelli noch zurück, um gemeinsam einen Sieg der Sozialdemokratin Balbina Herrera zu verhindern. Wahlsieger Martinelli machte Varela darauf zu seinem Vizepräsidenten und Außenminister. 2011 kam es zum Zerwürfnis zwischen den beiden, die seither verfeindet sind. Bei der Wahl im Mai 2014 setzte sich Varela gegen den von Martinelli gekürten Nachfolgekandidaten durch. Varela bezichtigte den scheidenden Präsidenten, der sich gemäß Verfassung nicht um die Wiederwahl bewerben durfte, der Bestechlichkeit. Im Wahlkampf versprach Varela neben dem Kampf gegen die grassierende Korruption den Ausbau der Sozialprogramme für die fast 40 Prozent Armen unter Panamas rund vier Millionen Einwohnern und Verbesserungen im maroden öffentlichen Bildungswesen. Ob Varelas Präsidentschaft bis 2019 als erfolgreich gewertet wird, entscheidet sich nicht nur an Wirtschaftszahlen und Zustimmungsquoten, sondern vor allem an dessen Umgang mit den Folgen der „Panama Papers“. MATTHIAS RÜB

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Feuilleton

M O N TAG , 1 1 . A PR I L 20 1 6 · N R . 8 4 · S E I T E 11

Andersrum

Der entschärfte Reformator Wäre Ratzinger ein Papst nach Luthers Herzen gewesen? Die Ökumene ist gerade dabei, sich ein ahistorisches Dreamteam zu erfinden. Warum darin mehr Wahrheit als Satire steckt. at nun auch die Theologie ein Satire-Problem? Setzt man im Vorfeld des Luther-Jubiläums 2017 auf die Maximalprovokation, um den ökumenistischen Betriebsjargon zu stören? In Joseph Ratzinger als Benedikt XVI. sei der Kirchengeschichte ein Papst erwachsen, „wie ihn sich auch nicht Martin Luther besser hätte vorstellen können“, sagte jüngst Rudolf Voderholzer, Regensburger Bischof und als solcher Gründungsdirektor des in Regensburg ansässigen „Instituts Papst Benedikt XVI.“, in welchem unter anderem Ratzingers gesammelte Schriften herausgegeben werden. Wäre es womöglich gar nicht zur Eskalation zwischen Rom und Wittenberg gekommen, wenn damals schon Ratzinger und nicht Leo X. auf dem Papststuhl gesessen hätte? Wäre Luther zum Kardinal ernannt worden, wenn sein – laut Voderholzer – Wunschkandidat Ratzinger in Rom am Ruder gewesen wäre? Hätte Luther ihn schließlich gar im Papstamt beerbt? Den satirischen Einfällen sind keine Geschmacksgrenzen gesetzt, wenn man der Regensburger Insinuation eines Dreamteams Luther/Ratzinger die Zügel schießen lässt. Voderholzers Aussage, eher beiläufig während eines Pilgerbesuchs in Rom gemacht und als solche nicht weiter erläutert, führt geradewegs hinein ins theologische Dilemma des Lutherjubiläums. Worin besteht das Dilemma? Sehr kurz und mit der gebotenen Vorsicht gesagt: Luther war kein Ökumeniker. Soll man ihn, den wuchtigen Apokalyptiker (der ja nicht nur diesen und jenen römischen Amtsinhaber, sondern das Papsttum als solches für den endzeitlichen Antichristen hielt), jetzt so lange in historische Kontexte zerlegen, bis sich die ganze Reformation als historisches Missverständnis auffassen lässt? Der Paternalismus einer Auf-Teufelkomm-raus-Ökumene folgt stets derselben Prämisse: die damaligen Protagonisten heute besser zu verstehen, als diese sich selbst verstanden haben. Bedauerlich ist, dass sich mit diesem Verfahren substantielle Fragen des Christentums, denen Luthers Zeit nicht ausgewichen ist, heute einfach als „konfessionalistisch“ ausmustern lassen, wiewohl sie in der Sache unerledigt geblieben sind. Mit anderen Worten: Luthers Fragestellungen sind heute nicht deshalb unverständlich geworden, weil sie mittlerweile „geklärt“ wären, sondern weil man ihnen durch selektive katholische Rezeption und neuprotestantische Transformation den Stachel der Bedeutung zog. Vor diesem Hintergrund ist Voderholzers Aussage bemerkenswert. Sie muss einen alles einebnenden Ökumenismus provozieren, „einen Ökumenismus der Resignation, der es für altmodisch hält, sich noch um die Wahrheit zu streiten“, wie Ratzinger schon 1966, also in seiner progressiven Phase, schrieb. Und zwar in einem Vorwort zu einem Luther-Buch, welches im theologischen Rezensionswesen seinerzeit für gehörige Kontroversen sorgte: Paul Hackers Werk „Das Ich im Glauben bei Martin Luther. Der Ursprung der anthropozentrischen Religion“. Der Katholik Hacker, von Haus aus Indologe, setzte sich mit Luthers Glaubensbegriff auseinander, dergestalt, dass dessen psychologische Indienstnahme für Luthers Heils- und Gewissheitsbedürfnis deutlich wurde. Ratzinger erkannte in Hacker die Passion des Betriebsfremden. In der Konzentration der zugespitzten Darstellung schlug das Buch zunächst wie eine Bombe ein. Ist Luthers Glaubensverständnis bei aller Christusfrömmigkeit psychologisch bestimmt? Setzt Luther, wie Hacker schreibt, in seiner Fixierung auf Heilsgewissheit „das Heil mit dem Heilsbewusstsein, mit der Getröstetheit gleich und fürchtet darum den Verlust der Heilsgewissheit als das Unheil selbst – sieht sich dann aber doch gezwungen, die Not der Nichtbeständigkeit des Trostgefühls zu einer Tugend zu erklären; die Ungewissheit soll vor Sorglosigkeit bewahren, und der Mensch soll sich in mühsamen Denkübungen freikämpfen“? Ersetzte Luther, mit anderen Worten, die Werkgerechtigkeit durch Psychostress? Die Kritik sprach von einer „Sensation“, nannte Hackers Buch „erregend“, gar „spannend wie ein Roman“. So etwa urteilte Otto Hermann Pesch, einer der auf Ausgleich bedachten frühen katholischen Ökumeniker, in der „Theologischen Revue“ 1968, wo er er-

H

klärte, dass Hacker trotz mancher methodischer Mängel „scharfsinnig auf den neuralgischen Punkt in Luthers Glaubensverständnis aufmerksam macht: Derselbe Luther, der den Glauben als reines Gottesgeschenk nicht genug unterstreichen, vor jedem menschlichen, ,erdichteten‘ Glauben nicht genug warnen kann, ermahnt mit größtem Nachdruck zum heilsnotwendigen, ichbezogenen Glauben wie zu einer psychischen Anstrengung. Wie beides gedanklich zusammenpasst, ist kaum zu sehen, vor allem dann nicht, wenn man seine Lehre von der Unfreiheit des Willens ohne kritische Rückfrage durchhalten will. Bekanntlich scheiden sich ganze Schulen der Lutherdeutung an dieser Spannung in Luthers Glaubensverständnis.“ Auch Ratzinger sah wie Pesch und andere Kritiker die Übertreibung in Hackers Ansatz, fand jedoch, dass dessen zugespitzte Betrachtung wichtige Einsichten in Luthers Denkstil freisetzte, welche er, Ratzinger, nicht ökumenistisch beseitigt sehen wolle: „Von einem solchen Ökumenismus hätte die Christenheit nichts zu erhoffen – er würde ihr Ende ankündigen, weil ein Friede, der auf dem Verzicht auf Wahrheit beruhte, zugleich den Friedhof des Glaubens darstellen würde“, so Ratzinger am Ende seines Hacker-Vorworts, dessen Wiederabdruck er auch für die Neuauflagen des Buches zustimmte. Am Beispiel Hacker stellen sich zwei Fragen. Warum, zum einen, ist von diesen Überlegungen, um die offenbar ganze Schulen stritten, heute nichts mehr zu hören? Sind sie inzwischen geklärt worden? Oder einfach unter den ökumenischen runden Tisch gefallen (mit der stereotypen Begründung, hinter Luthers Worten müsse Luthers „Anliegen“ freigelegt werden, welches erlauben würde, seine Worte im Zweifel nicht so ernst zu nehmen). Hat, zum anderen, die heutige Unsichtbarkeit von Luthers Psyche-Ansatz damit zu tun, dass er als solcher keine Antithese mehr darstellt, weil auch der katholische Glaubensbegriff mittlerweile derart psychologisiert und soziologisiert ist (ersichtlich bis hin zum betont lebensweltlich orientierten Stil des aktuellen Pontifikats), dass er als Zündstoff ausfällt. Die Entschärfung Luthers ginge in diesem Fall auf einen blinden Fleck für die Glaubenssubstanz zurück (oder, je nach Sehweise, auf vertiefte Einsicht in selbige), nicht jedoch auf ein vordergründiges ökumenistisches Kalkül. o oder so beginnt man zu ahnen, warum Luther und Ratzinger womöglich doch ein Dreamteam im Sinne Voderholzers darstellen. Was die Protagonisten Luther und Ratzinger zusammenführt: Beide nehmen einander beim Wort, statt es durch die Schau in mutmaßliche Hinterwelten des Wortes („Anliegen“) zu depotenzieren. Freilich nur insofern, in solch fairer Gegnerschaft, ist vorstellbar, dass Ratzinger ein Papst nach Luthers Herzen sei, dass Luther Benedikt XVI. für satisfaktionsfähig gehalten haben könnte. Ratzingers, gelinde gesagt, ökumenische Zurückhaltung hätte sich als Dienst an Luthers Sache erwiesen. Inklusive all der Provokationen des ökumenischen Betriebs, an denen es Ratzinger nicht fehlen ließ (vom Hacker-Vorwort über die Erklärung „Dominus Iesus“ bis zur demonstrativen Verweigerung von „ökumenischen Gastgeschenken“ bei seinem Besuch als Papst in Luthers Erfurter Augustinerkloster). Mit der Dreamteam-Prämisse im Rücken stünden sie in einem anderen, einem lutherfreundlichen, aber lutherjubiläumsskeptischen Licht. „Gerade die Fremdheit Luthers und seiner Botschaft ist seine ökumenische Aktualität“, schreibt Walter Kardinal Kasper, der emeritierte römische Ökumene-Chef, in einer eben erschienenen kleinen Schrift über Luther. Lässt sich auf dieser Linie etwa sagen: Zurück zu Luther? Wahrscheinlich ja nicht, denkt man an manche grobianischen Ausfälle des Reformators, die heute ohne weiteres den Tatbestand der Volksverhetzung erfüllen würden. Kasper warnt denn auch davor, Luther einer besseren Jubiläumsgängigkeit wegen als Bahnbrecher der Geistesfreiheit und Bannerträger der Neuzeit zu stilisieren. „Luthers Berufung in Worms auf das Gewissen war zweifellos ein wichtiger Schritt in der neuzeitlichen Freiheitsgeschichte, auch wenn es sich bei ihm nicht um die Berufung auf ein autonomes, sondern auf das im Wort Gottes gefangene Gewissen handelte“, so Kasper. Auch dies Klarstellungen im Dienste Luthers gegen seine Jubiläums-Strategen, die mit 1517 die Neuzeit einläuten möchten. Hier einmal im Schulterschluss mit Ratzinger versteht man Kasper so, dass man Luthers „Wort [soll] lassen stan“, statt es ökumenistisch zu deformieren. Ein einziger Satz von Kasper macht schlagartig klar, warum: „Wir sind uns einig, dass wir die Einheit wollen, aber nicht einig, worin die Einheit besteht, und sind uns darum nicht einig, wohin die ökumenische Reise führen soll.“ Anders gesagt: Für ein Himmelfahrtskommando sollte man Luther nicht verscherbeln. CHRISTIAN GEYER

S

er Fortschritt, sagt Hegel, vollzieht D sich, wie alles Lebendige, in Widersprüchen. Die Chinesen übertreiben es

Giorgio de Chirico, „Der Traum des Tobias“, April bis August 1917. Mit dem Fisch spielt das Gemälde auf die biblische Geschichte des Tobias an, das Instrument in seinem Zentrum ist ein Blutdruckmessgerät. Foto Katalog/VG Bild-Kunst, Bonn 2016

Der Mann, der lange Schatten wirft Stuttgart inszeniert um den Maler Giorgio de Chirico die „Magie der Moderne“ Er ist selbst zu einer mythischen Figur der Moderne geworden, Giorgio de Chirico, der 1888 als Sohn italienischer Eltern in Volos in Griechenland geboren wurde und 1978 in Rom starb. Der Vater war Ingenieur und arbeitete beim Eisenbahnbau in Griechenland. Gerätschaften, die im Ingenieurberuf, den auch Giorgio de Chirico zunächst am Polytechnikum in Athen studierte, Verwendung finden, werden immer wieder auftauchen in seinem Œuvre, Messinstrumente, kantige Winkeleisen oder Lineale, allerdings in unerwarteter Nachbarschaft zu anderen Dingen. Sie gehören in den Fundus der „Pittura metafisica“, jener metaphysischen Malerei, die als seine Erfindung gelten kann und die ihn berühmt gemacht hat. Eben für solche befremdlichen Arrangements wie auch für die weiten, gespenstisch beschatteten Plätze, in denen Türme ragen und die von humanoiden Gliederpuppen, die stets fragmentiert, niemals intakt sind, bevölkert werden. De Chiricos Hauptwerke sind, schon zu seinen Lebzeiten, zu veritablen Totems eines Zeitgefühls geworden, das Sinnentleerung regelrecht zelebrierte, und das sich, auch in seinem künstlerischen Ausdruck, bei der Suche nach einer Wahrheit hinter der Wirklichkeit nachgerade versessen selbst beobachtete. Der Surrealismus in seiner ganzen Bandbreite, dem de Chirico voranging und dem er eine Zeitlang nahstand, gibt dafür den augenfälligsten Beleg ab. Die Stuttgarter Ausstellung ist um das großformatige „Metaphysische Interieur (mit großer Fabrik)“ arrangiert, das seit 1970 der Staatsgalerie gehört. De Chirico malte es vor einem Jahrhundert, Ende 1916, während seiner Zeit in Ferrara, wo er von 1915 bis 1918 den Militärdienst ableistete und wo seine wichtigsten Werke überhaupt entstanden. Die Direktorin der Staatsgalerie, Christiane Lange, hat das Bild zum Angelpunkt der Schau gemacht, die sich auf diese Phase seines Schaffens konzentriert. Die Werke der Ferrareser Jahre werden der Auslöser für seinen Einfluss auf ihm wahlverwandte Künstler, die wesentlich die Moderne seit den zehner Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts mitprägen. In Teilen ist die Schau identisch mit der Ausstellung „De Chirico a Ferrara. Metafisica e Avanguardie“, die dort im Palazzo dei Diamanti von November 2015 bis zum Februar zu sehen war. Doch in Stuttgart haben die Kuratoren Paolo Baldacci und Gerd Roos sie um mehr Arbeiten von Künstlern wie Max Ernst, George Grosz, René Magritte, Oskar Schlemmer oder Niklaus Stoecklin ergänzt, die den Blick auf jene „Magie der Moderne“ zusätzlich schärfen. In rund hundert Gemälden, Zeichnungen, Graphiken und Fotografien ist es die mitunter unerwartet frappante Berührung mit ihnen – etwa dem frühen Giorgio Morandi oder dem schar-

fen Sozialkritiker Grosz –, die der Ausstellung nicht nur so hohen Reiz, sondern auch den nachhaltigen Aha-Effekt verleiht. Dass sie ihre Ambition nicht zu weit treibt – etwa bis hin zum Enigmatiker Balthus oder dem Erotiker Hans Bellmer, die sich da direkt anbieten –, ist eine kluge Einschränkung des (Blick-)Felds. Giorgio de Chiricos entscheidenden Trick in der Hochphase seiner Kunst könnte man eine Art strukturalistische Tätigkeit nennen. Er fügt ganz heterogene Dinge so zusammen – niemals übrigens sind intakte menschliche Gestalten dabei –, dass sie dem Betrachter eine verborgene Bedeutung suggerieren, die freilich in keiner Weise festlegbar ist. Er dekonstruiert die Erwartungen an das gegenständliche Bild komplett; Abstraktion, Expression oder Dynamisierung, immerhin einflussreiche Strömungen seiner Gegenwart, lässt er links liegen. Als Belege für diese Machart kann Stuttgart berühmte Beispiele zeigen, allen voran den „Großen Metaphysiker“ von 1917 (aus der italienischen Sammlung Gianni Mattioli). Inmitten einer leeren verschatteten Piazza unter hohem grünlichen Himmel ragt eine aus heterogenen Elementen zusammengezimmerte Stele, bekrönt vom gesichtslosen Kopf einer Schneiderpuppe. Jede taugliche Deutung ist ausgeschaltet, es besticht aber die unbezweifelbar ästhetische Attraktivität des Gemäldes in seiner renaissancehaften Farbigkeit. Der Eierkopf oben ist seinerseits Fragment von jenem für de Chirico typischen Personal, das wie Proto-Cyborgs immer wieder bei ihm auftaucht. Mit „Hektor und Andromache“ hat Stuttgart auch für diese Figurinen ein prominentes Beispiel zu bieten. Ihre Kontingenz ist die Macht dieser Bildschöpfungen; wiederkehrende Motive unterstützen die Methode, mitsamt der Titel, die zusätzlich Verwirrung oder – je nach Temperament des Betrachters – Überschuss an Sinn generieren. Damit liegt de Chirico voll im Trend seiner zeitgenössischen Diskurse, nicht zuletzt dem von Unbewusstem und Traum, dem sich die Surrealisten unter der Ägide von André Breton und dann Salvador Dalí begeistert verschreiben. René Magritte wird die Anregungen, auch das ist in Stuttgart nachzuvollziehen, in seine singulären unhintergehbaren Motivtapeten übertragen, und Max Ernst nimmt sich auch seinen Teil vom großen Kuchen. Tatsächlich liegt de Chiricos Originalität, ja doch: seine originäre Leistung darin, dass er bei dieser gleichsam Übertragungsarbeit auf die Leinwände mit seinen „metaphysischen“ Erkundungen die Nase vorn hatte. Dass seine tiefsten Quellen wiederum bei den Symbolisten Arnold Böcklin und Max Klinger liegen, die er während seiner Zeit an der Kunstakademie München von 1906 bis 1909 kennen-

lernte, kann nicht verwundern; er treibt ihnen freilich den Geist aus. Und es ist Krieg, als er seine besten Bilder malt. Er leistet in Ferrara seinen Militärdienst, ist ihm aber gesundheitlich wohl nicht gewachsen. Gemeinsam mit dem Kollegen Carlo Carrà ist er von April bis August 1917 im psychiatrischen Militärkrankenhaus Villa del Seminario in der Nähe von Ferrara untergebracht. Beide können dort malen, und an de Chiricos Seite wandelt sich Carrà, zuvor ein Mitbegründer des italienischen Futurismus mit seiner Ideologie der Beschleunigung, zum engsten Mitstreiter der „metaphysischen Schule“. Es ist ausgesprochen anregend, wie die Stuttgarter Schau Carrà in eindrucksvollen Arbeiten, auf denen er seine „Manichini“ – die gliederpuppenhaften Wesen, die den zeitgleichen Kubismus eines Picasso oder Braque aber nicht ganz so verleugnen – mit de Chiricos Schöpfungen konfrontiert. Eine weitere ihrer Stärken liegt darin, in einzelnen Räumen, Kapiteln ähnlich, de Chiricos Schaffen in den Zusammenhang eben einer „magischen“ Moderne zu stellen: So gewinnt der Stuttgarter Hausheilige Oskar Schlemmer unter der Rubrik „Blick nach innen“ noch einmal beunruhigende Intensität mit seinem „Ruheraum“ von 1925. Oder es wird unter dem Vorzeichen „Metaphysische Stillleben“ nachvollziehbar, was nicht nur Morandi, sondern auch Alexander Kanoldt, als Protagonist der sehr deutschen Neuen Sachlichkeit, und Heinrich Hoerle mit de Chirico verbinden kann. Das ganz große Verdienst dieser Ausstellung ist es, der Tatsache Rechnung zu tragen, dass zu viel Giorgio de Chirico gar nicht guttut – nicht ihm selbst und nicht dem Betrachter. Denn allzu offensichtlich würde sonst sein Hang zur Wiederholung, der nicht bloß obsessiver künstlerischer Notwendigkeit entsprungen ist. Das ließ sich im Frühjahr 2009 in Paris überprüfen bei der großangelegten De-Chirico-Retrospektive im Musée d’Art moderne de la Ville. Nicht nur hat de Chirico seit den dreißiger Jahren seine metaphysische Ambition mit einem akademischen, retroklassisch-barocken Stilmix verleugnet. Sondern er kopierte obendrein, als diese Melange kommerziell nicht funktionierte, später sich selbst, seine eigenen frühen Arbeiten (von betrügerischen Nachahmern hier ganz zu schweigen). So betrachtet, hat Stuttgart es geschafft, de Chirico nicht zu demontieren, sondern ihm Ehre zu erweisen, wo sie ihm gebührt. Dass dabei auch Künstler einer europäischen Moderne sichtbar werden, die gemeinhin nicht im Scheinwerferlicht stehen, macht die Ausstellung zum unbedingt sehenswerten Ereignis. ROSE-MARIA GROPP Giorgio de Chirico – Magie der Moderne. In der

Staatsgalerie Stuttgart, bis zum 3. Juli. Der Katalog im Sandstein Verlag kostet im Museum 29,90 Euro.

damit allerdings: Ihre Kapitalakkumulation wird von Sozialisten geplant, ihr kompletter Ostblock hieß Albanien und hielt ihnen nur fünf Minuten lang die Treue, ihre jüngste Weltraummission SJ-10 dient nicht der Erforschung des Alls, sondern stellt Experimente mit Rohöl an, um herauszufinden, wie sich dieses Zeug in den tiefsten Regionen der Erde verhält (statt etwa auf dem Mars), und ihr Programmierer Fang Binxing, der für die Abschottung der chinesischen Sektoren des World Wide Web verantwortlich ist, benutzt bei einem öffentlichen Vortrag an seiner alten Uni, dem Harbin Institute of Technology in Heilongjiang, öffentlich genau wie Millionen Chinesen, die das seinetwegen tun müssen, aber nicht dürfen, ein virtuelles privates Netzwerk, um im Rahmen einer Erläuterung der Funktionsweise des Netzes Südkorea, Facebook und Google zu erreichen. Das entspricht als performativer Akt des Wahnsinns etwa einer Gastkolumne des türkischen Botschafters im deutschen Satiremagazin „Titanic“, in der dieser seine Regierung auf Türkisch unflätig beleidigen würde, um seinem Gastland zu demonstrieren, wie so was geht. Der neueste Widerspruch, an dem sich Maos Erben vergnügen, treibt das Zusammenbacken der Gegensätze endgültig naturwidrig auf die Spitze: Chinesische Techniker haben einen Solarkollektor gebaut, der Strom nicht aus Sonnenlicht, sondern aus Regengüssen gewinnt. Bedeckt von einer hauchdünnen Schicht aus Kohlenstoff-Bienenwaben, also sogenanntem Graphen, welches, wenn Wasser dazukommt, Elektronen an positiv geladene Ionen bindet, dient der Apparat damit nicht nur der Gewinnung von elektrischer Energie, sondern wohl mehr noch der Verhöhnung westlichen Ökologiedenkens, das sich seine kleinen Aufkleber von fröhlichen Sonnengesichtern jetzt ja auf den Regenschirm kleben kann, wenn es immer noch nicht begreift, dass Yin eigentlich Yang ist und umgekehrt. Wundern aber wird sich die Welt hoffentlich nicht mehr, wenn aus China demnächst eine Smartphone-App gemeldet wird, deren Bedienfeld man mit Gänsefeder in Schönschrift ausfüllen muss, dann ein Verhütungsmittel, das den Anwendern garantiert zu Sechslingen verhilft, und schließlich eine komplizierte philosophische Synthese aus Konfuzianismus, Quantengravitation und Gender Studies, die Chinas letzte Geheimnisse offenlegt, aber so abstrakt und verwickelt ist, dass nur unaufmerksame Fünfjährige sie verstehen. dda

Vor dem Kadi Türkei will Anklage Böhmermanns Das als „Schmähkritik“ annoncierte Spottgedicht des ZDF-Satirikers Jan Böhmermann über den türkischen Staatspräsidenten Erdogan hat die befürchteten politischen und juristischen Folgen. Die türkische Regierung verlangt jetzt, wie diese Zeitung auf Anfrage erfuhr, dass gegen Böhmermann ein Strafverfahren wegen Beleidigung aufgenommen wird. Der türkische Botschafter in Berlin hat dies in einer Verbalnote zum Ausdruck gebracht. Die Bundesregierung, die einem Verfahren nach Paragraph 103 Strafgesetzbuch (Beleidigung ausländischer Staatsorgane) zustimmen muss, berät heute, wie sie weiter vorgeht. Sie sitzt in einer Zwickmühle, die Böhmermann aufgemacht hat: Stimmt sie dem Strafverfahren zu, wird sie zu Erdogans Handlanger; lehnt sie ab, wird der türkische Staatspräsident, auf den Bundeskanzlerin Angela Merkel in der Flüchtlingskrise besonders angewiesen ist, eventuell politisch reagieren. Am vergangenen Freitag hat Böhmermann indes noch Unterstützung erfahren. Bei der Verleihung des Grimme-Preises wurde er für seine Scharade um den „Stinkefinger“ des früheren griechischen Finanzministers Varoufakis nicht nur mit dem Spezialpreis Unterhaltung ausgezeichnet, sondern auch mit der „besonderen Ehrung“ des Deutschen Volkshochschul-Verbands. Dessen Chefin, die saarländische Ministerpräsidentin Annegret KrampKarrenbauer lobte Böhmermann als „leidenschaftlichen Medienmacher“, der Grenzen auslote und bewusst verletze. In der Debatte um den ErdoganText wünsche sie sich eine „mutige und demokratisch-gelassene Medienwelt“. Unterdessen hat der Vorstandsvorsitzende des Springer-Konzerns, Mathias Döpfner, einen Offenen Brief geschrieben, in dem er sich mit Böhmermann solidarisiert. Er würde, heißt es darin, sollte es zu dem Prozess wegen Beleidigung kommen, gerne mit dem Satiriker auf der Anklagebank sitzen: Er schließe sich dessen „Formulierungen und Schmähungen inhaltlich voll und ganz“ an und mache sie sich „in jeder juristischen Form zu eigen“. Böhmermanns Aktion sei Kunst. Die Staatsanwaltschaft Mainz hatte, nachdem Anzeigen gegen Böhmermann und Verantwortliche im ZDF wegen Beleidigung eingegangen waren, Vorermittlungen aufgenommen. miha.

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Donnerstags nur links In „Alles kein Zufall“ stöbert Elke Heidenreich in ihren Zettelkästen In der Peter-Pan-Verfilmung „Hook“ lebt Tootles, einer der verlorenen Jungs, zu Beginn der Geschichte bereits alt geworden, im Londoner Haus von Wendy Darling und leidet. Sein Schatz, ein Beutel voll bunter Murmeln, ist verloren. Sie stehen für seine Erinnerungen. Am Ende des Films bekommt er den Sack von Peter Pan zurück, findet ein paar Körnchen Feenstaub darin, sprenkelt ihn sich aufs Haupt und reist zurück ins Nimmerland. Ähnlich verhält es sich mit Elke Heidenreichs Buch „Alles kein Zufall“, das sie als Hörbuch selbst eingesprochen hat. Die vielen Miniaturen, oft nur eine Buchseite lang, kommen dahergerollt wie lauter bunte Murmeln. „Alles kein Zufall“ versammelt Erinnerungen, Anekdoten, Flausen, Erkenntnisse, Spöttereien und Liebenswürdigkeiten, die Elke Heidenreich aus Zetteln, Tagebucheintragungen, Kladden zusammengetragen hat – sprich dem ganzen Papierkrieg, der ihr Leben ist. Es beginnt mit der Erinnerung an die Urgroßmutter, von der ihr zweierlei geblieben ist: Der Satz „Friss, Vogel, oder stirb!“ und ein sepiafarbenes Pappfoto, das sie als alte Frau zeigt, mit straffem Haar und kleinen Augen. Sie sah aus wie ein „General, der Widerspruch nicht duldet“. Nur drei ihrer acht Kinder blieben am Leben, darunter Heidenreichs Großvater. Ihre Familie – der Vater verstrickt in etliche Verhältnisse, die Mutter streng, aber nicht ohne Liebe – taucht in den 187 versammelten Texten immer wieder auf. Und wie eine Murmel betrachtet Heidenreich die Erinnerungen, die das Gefühlsrepertoire einer Kindheit mit sich bringt, von allen Seiten: Da findet sich Enttäuschung, Zuneigung, Absurdes und Tragisches. Einmal erklärt die Mutter kalt, sie stürze sich vom Balkon, wenn ihre Tochter (mit Fischallergie) den Fisch nicht esse. Ein andermal freut sie sich über ein Weihnachtsgedicht. Nicht alles ist autobiographisch: So berichtet Heidenreich in „Chakra“ von ihrer „Friseuse“, die ihr rät, donners-

Hörbuch

F R A N K F U RT E R A L LG E M E I N E Z E I T U N G

Wenn ich erwachsen bin, verstehe ich es Irmgard Keun lässt 1938 ein kleines Mädchen sprechen, das durchs Exil vagabundiert: „Kind aller Länder“ Gegen die Verbrennung der eigenen Bücher im Jahre 1933 gerichtlich zu klagen, wagte unter den zahlreichen betroffenen Schriftstellern nur eine einzige: Irmgard Keun forderte 1935 beim Berliner Landgericht Schadensersatz für die Vernichtung ihrer Werke ohne rechtskräftiges Urteil. Das war ungeheuerlich und führte zwangsläufig zu ihrer Verhaftung. Doch die freche Berlinerin ließ sich den Mund auch in der rückeroberten Freiheit nicht verbieten. Aus dem niederländischen Exil von 1936 bis 1940 – bevor sie mit gefälschten Papieren als Illegale zu ihren Eltern nach Köln zurückkehrte – schoss sie gleich vier Exilromane in die Welt. Sich dabei auf historische Themen zurückzuziehen – wie Feuchtwanger auf Nero, Heinrich Mann auf Henri Quatre, Thomas Mann auf Lotte in Weimar oder Zweig auf Erasmus von Rotterdam –, lehnte sie ab. Wie „Nach Mitternacht“ oder „D-Zug dritter Klasse“ spielt auch „Kind aller Länder“ (1938) in der Gegenwart des Nationalsozialismus vor dem Zweiten Weltkrieg. Das Besondere an diesem jetzt erstmals seit 1950 wieder als Buch (Kiepenheuer & Witsch) und nun auch als Hörbuch erschienenen Roman ist die Perspektive: Die Kreuz-und-Quer-Züge durch Europa, im weiten Bogen um Deutschland herum – von Ostende über Brüssel, Amsterdam, Paris, Südfrankreich, Italien, Österreich, Polen und mit einem Abstecher nach Amerika bis zurück nach Amsterdam – werden ausschließlich aus Sicht der zehnjährigen Kully erzählt. Diesen atemlosen bannenden, oft assoziativen, höchst impressionistischen inneren Monolog zu hören statt zu lesen hat viel für sich. Zumal wenn sich für dieses kecke, unerschrockene und dabei erstaunlich zuversichtliche Kind eine so frische, junge, einnehmende Stimme findet wie die der Schauspielerin Jodie Ahlborn. Ihr gelingt es zugleich, die von Kully in ihre Rede eingeflochtenen Zitate der Mutter, des Verlegers, der Hotelangestellten, vor allem aber des äußerst witzigen Vaters, markant abzusetzen und den Monolog so in ein lebendiges Hörpiel zu verwandeln. Die Idee für die konsequente Kindperspektive kam Keun in Ostende. Da lauschte die Autorin einem kleinen Emigrantenjungen aus Berlin, der sich mit seinem berlinischen Französisch pfiffig durchschlug und die Frage nach Heimweh mit Schnauze parierte: „Det is mir ejal, wo ick bin, ick spiel überall mit alle Kinder, ick muß nur immer wieder bei meine Mutter sein, weil die mir kocht.“ So ähnlich geht es Kully. Die Frage nach dem Heimweh am Ende des Romans versteht sie überhaupt nicht, weil das Wort und erst recht das Gefühl ihr unbekannt ist. Höchstens sehnt sie sich an die Côte d’Azur zurück, zu den Weihnachtsbäumen der Großmutter, dem Schnee in Polen, einer Wiese bei Salzburg oder schuhgroßen Riesenmuscheln in Virginia. Mit Heimat hat all das wenig zu tun. Dieses Kind findet eben seine „Behaustheit im Exil“, wie der Emigrant Albert Vigoleis Thelen das einmal nannte. Ohne ihre Mutter und ihren Vater wäre das aber nicht denkbar, eigentlich schafft nur die kleine Familie so etwas Ähnliches wie Heimat.

Angestellte in der Krise: „Kleiner Mann, was nun?“ von Hans Fallada

Als das Foto entstand, war Irmgard Keun 27 Jahre alt und Bestsellerautorin, ein Jahr später wurden ihre Bücher verboten. Genau diese unsentimentale, aus der Distanz beobachtende Perspektive, mit der sich das Kind in einer Mischung aus Naivität und Scharfblick die Welt erschließt, macht den Roman so großartig. Die neue Sachlichkeit, die man dafür gerne als literarische Kategorie aufgerufen hat, scheint hier überhaupt nicht gemacht, sondern ergibt sich wie von selbst aus der kindlichen Neugierde. „Man muß dafür sorgen, daß man alles auf der Welt allein ,rausfindet“, meint Kully: „Ich habe auch schon viel rausgefunden.“ Sie versteht einige Sprachen, darunter Polnisch, was sich dann aber als Jiddisch erweist. Sie weiß, dass der Hotelkoch, bei dem sie Futter für ihre Schildkröte organisiert, nur spaßt, wenn er sie das nächste Mal mitzukochen droht. Aber die Bemerkung ihres Vaters: „heutzutage ist alles Furchtbare möglich“, macht sie dann doch nachdenklich. Die Familie ist zwar nicht jüdisch, wurde aber aus politischen Gründen ins Exil gezwungen: „weil mein Vater es nicht mehr ausgehalten hat“, – so Kully – „denn er schreibt Bücher und für Zeitungen.“

Geld ist nie vorhanden, der Vater ist ein Filou und Charmeur, unentwegt auf der Suche nach Aufträgen, der ungeheuer viel trinkt, auf zu großem Fuße lebt und deshalb ständig Schulden macht, die er dann mit Ausständen anderer bei sich selbst verwechselt. Seine Tochter lässt er gern als Pfand in Restaurants und Hotels zurück, weil sie angeblich „einen höheren Versatzwert als Diamanten und Pelze“ habe. Dieser Vater ist ein argloser Hochstapler und Leichtfuß, der schon mal seine Frau im Hotelzimmer vergisst und das erst merkt, als er mit Kully auf dem Schiff nach Amerika ist. Wenn sie hingegen leise über seine Handküsse für andere Damen klagt, antwortet er mit entwaffnender Schlagfertigkeit: Wer das nicht mache, küsse auch der eigenen Frau nicht die Füße. Mit Witz und Leichtigkeit schnattert Kully so weiter, nie langweilig, immer scharfblickend, durchsetzt von Seitenhieben gegen Hitlerdeutschland. Selbstverständlichkeiten wie ein Pass, ein Visum oder ein Stempel, die nach 1933 alles andere als selbstverständlich, sondern lebens-

Foto Ullstein

entscheidend waren, werden hier mit Kinderaugen neu gesehen und erklärt. Das ist nur scheinbar naiv und wirkt gerade als radikale Infragestellung der Wirklichkeit beklemmend. Es ist der unverstellte Blick einer Zehnjährigen auf eine Welt, die aus den Fugen gerät und deshalb kaum noch zu verstehen ist. Irgendwann fragt Kully den Verleger ihres Vaters, der ein Manuskript hartnäckig einklagt, ob Kinder keine Romane schreiben können. Sie stellt sich nämlich vor, den ausstehenden Text selbst zu tippen. Der Verleger hält das für ausgeschlossen. Nachdem man Kully aber fünf Stunden gelauscht hat und noch nicht bereit ist, den Raum der Fiktion zu verlassen, fragt man sich, ob das auch wirklich stimmt. ALEXANDER KOŠENINA Irmgard Keun: „Kind aller Länder“. Roman. Ungekürzte Lesung von von Jodie Ahlborn. Der Audio Verlag, Berlin 2016. 4 CDs, 259 Min., 19,99 €.

Stracciatella und Pistazie isst man nicht gleichzeitig Erinnerungen an die Familie, Freunde und Feinde: Die Autorin und Kritikerin Elke Heidenreich Foto dpa tags nur auf der linken Straßenseite zu gehen, sich nie auf grüne Korbstühle zu setzen und in Monaten mit „R“ kein Kernobst zu essen. Alles im Umfeld der Autorin wird Teil der Galerie, die sich als Hörbuch mit Hilfe der Shuffle-Funktion aufs schönste durcheinanderwürfeln lässt. Für Katzen hat sie diesmal indes kaum Platz, außer in Form von unliebsamen Kalendern, die sie zuhauf geschenkt bekommt, seit sie „Nero Corleone“ geschrieben hat. Dafür gibt es Hunde wie Mops Vito, Italien-Bilder, Porträts von Liebhabern, Freunden, Feinden. Das Hörbuch gewinnt vor allem in der Figurenzeichnung der Sprecherin, bei der man ihre Kabarettfigur „Else Stratmann“ heraushört. Mitunter ist Elke Heidenreich aber auch ein bisschen selbstgerecht, wenn sie etwa das Verhalten von nicht näher benannten Bekannten und Kollegen verurteilt oder von Leuten, die das Pech hatten, ihr im falschen Moment über den Weg zu laufen. Geweint wird auch gerne. Am liebsten in der Oper. Manchmal überlässt sie das Wort auch Dichtern, wie Robert Walser, der an Carl Seelig schrieb: „Das Glück ist kein guter Stoff für Dichter. Es ist zu selbstgenügsam. Es braucht keinen Kommentar. Es kann in sich zusammengerollt schlafen wie ein Igel. Dagegen das Leid, die Tragödie und die Komödie: sie stecken voll von Explosivkräften. Mann muss sie nur zur rechten Zeit anzünden können. Dann steigen sie wie Raketen vom Himmel und illuminieren die ganze Gegend.“ Das ist dann der Feenstaub in Heidenreichs Murmelbeutel. AXEL WEIDEMANN Elke Heidenreich: „Alles kein Zufall“. Kurze Geschichten. Autorenlesung. Verlag Random House Audio, München 2016. 3 CDs., 224 Min., 19,99 €.

Ausflug mit Goldrand: Frank Goosen feiert in „Förster, mein Förster“ den Alltag als Gipfel der Lebenskunst Bis zum Morgengrauen: Es ist fünf Uhr früh an einem Sonntag, Förster ist auf dem Heimweg nach einer anstrengenden Nacht, als er einen entlaufenen Hamster auf einer Brücke findet. Sein Nachbar Dreffke, vormals Polizist, sieht den übernächtigten Förster und sagt: „Du bist blass wie Edward Cullen.“ Förster hat keine Ahnung, dass es sich bei jenem um einen Protagonisten der Vampir-Serie „Twilight“ handelt – da ist er nicht mehr Zielgruppe, er wird demnächst fünfzig –, aber der Name gefällt ihm so gut, dass er den Hamster Edward Cullen tauft. Aber erst, nachdem er überprüft hat, dass es sich um ein Männchen handelt. Männchen sind auch ansonsten die bevorzugten Charaktere in Frank Goosens siebtem Roman „Förster, mein Förster“, den der Autor für die Hörbuch-Ausgabe selbst eingelesen hat. Neben der vornamenlosen Hauptfigur, einem Schriftsteller, dem nichts einfällt, sind das der besagte Nachbar Dreffke, die Freunde Fränge und Brocki, die sich und Förster seit gemeinsamen Schultagen kennen. Und dann gibt es noch Finn, einen wohlstandsverwahrlosten, aber herzensklugen Teenager, dessen Vater ihm soeben die Freundin ausgespannt hat. Fränge ist Kneipensitzer und fährt gerade die Ehe mit „der Uli“ an die Wand, Brocki ist Lehrer und Sprachkritiker. Alle Herren eint, dass ihr Leben, nimmt man alles nur in allem, auf der Stelle tritt, was aber nicht heißt, dass ihnen das unangenehm wäre. Förster freilich hat den Blues, weil seine Lebensgefährtin Monika – sie spricht ihn am Telefon mit „Förster, mein Förster“ an – auf den Äußeren Hebriden als Fotografin tourt. Obendrein hat ihm Monikas Tochter angekündigt, dass er demnächst „Opa Förster“ wird. Und sein Arzt hat eine Gewebeentnahme verordnet. In dieser wackeligen Lage wird Förster auch noch als seelischer Mülleimer für die Ehekrise Fränge-Uli eingesetzt, und seine betagte Nachbarin Frau Strobel, um die er sich rührend kümmert, zeigt Anzeichen

Komödie der Angst

geistiger Verwirrung. Neben einem verstopften Klo wartet sie mit einem Brief auf, der sie zur Wiedervereinigung der „Tanzkapelle Schmidt“, einer Damencombo, in der die Strobel einst das Saxofon blies, in ein Seebad an die Ostsee beordert. Und so bekommt sogar Förster plötzlich das Gefühl, dass es nicht verkehrt wäre, mal die Tapete zu wechseln. So weit die Ausgangslage. Wer jetzt denkt, am Ende ende das Ganze an der Ostsee in einem Seebad, liegt goldrichtig. Und wer obendrein vermutet, dass bis dahin in Sachen Handlung nicht viel passiert, tut auch dies zu Recht, gleichwohl es Momente in Försters Leben gibt, in denen sich seine Existenz wie ein Kontinuum anfühlt, also wie etwas, das eigentlich mit dem Anbruch der Moderne verlorengegangen ist: Das Leben „tat so, als wäre es eine zusammenhängende Geschichte“. Das soziale Bindemittel zwischen den Figuren ist gerade der Umstand, dass sie sich in- wie auswendig kennen. Sie sind

Kumpel in einer westdeutschen Großstadt, die Bochum heißen könnte. Sie teilen Jahrzehnte gemeinsamer Geschichte, haben nie Mangel an popkulturellen Rechthabereien im Stil von AutoquartettSpielen. Bei Frank Goosen, der wie sein Förster dieses Jahr fünfzig Jahre alt wird, ist das Tableau stets gerahmt vom tiefempfundenen Ruhrgebiet mit Abendsonne. Der Heimatroman ist nie weit und damit einhergehend die Skepsis gegenüber der Gegenwart, auch wenn der allwissende Erzähler der Vergangenheit nicht zugesteht, in allem besser gewesen zu sein – den Gelenken, dem Augenlicht, das schon. Goosens Figuren wollten jedenfalls damals schon nicht erwachsen werden, und sie wollen es im Grunde auch heute nicht, weil das bedeuten würde, sich als der zu erkennen, der Mann ist. Nämlich im Falle Försters einer, der sich permanent selbst beobachtet beim Älterwerden, damit er wenigstens aus Selbstzweifel eine Produktivkraft schöpfen kann, um sich in Text zu verwandeln. Dabei hilft die permanente

Besteht hier Schnitzelpflicht? Blick auf die A1 aus dem Brückenrestaurant der Raststätte Dammer Berge, an der Frank Goosens Romanpersonal haltmacht. Foto Andreas Pein

Selbstvergewisserung durch Abtauchen in der eigenen Biographie – und gelegentlich wird diese in Form der Ex-Freundin Martina lebendig. Sie ist als „Tatort“-Kommissarin im Fernsehen erfolgreich und mit Förster emotional durchaus noch nicht fertig. So häkelt Goosen mit vielen reminiszierlichen Platzdeckchen aus dem abgenudelten Genre „Schriftsteller, dem nichts einfällt“, einen Roman, der einen Bogen um die Schilderung dieser geistigen Leere macht. Muss man auch können. Wenn an dieser Stelle von der Lektüre abgeraten wird, dann aus einem einfachen Grund: Man sollte Frank Goosen zuhören. Denn in der gelesenen Version holt er mehr aus seinem Text heraus, auf eine sehr einnehmende Weise fühlt man sich alsbald mit seinem Personal wohl. Goosen liest, ohne dialektal auf den Putz zu hauen, mit leicht angerauhtem Timbre und einem melancholischen Flor in der Stimme, der gut zu den defensiv agierenden Herren passt. Ob Kneipe, Eisdiele, Auto, Supermarkt, Fensterbank – geredet wird viel in diesem Buch, weil Goosen die ihm vertrauten Stimmen nur abzurufen braucht. Er tut das stets menschenfreundlich, trägt eine aufgeräumte, schrecklich sympathische Literatur vor, die harmlos tut und keine wirklichen Abgründe kennt. Zu guter Letzt geht es eben mit Frau Strobel im restaurierten VW-Bulli gen Ostsee, viele Erinnerungen an Urlaubsfahrten vergangener Jahrzehnte reisen mit und werden mit Besuchen bei Zwischenstopps reanimiert. Was aber bleibet, stiftet der Förster: Es ist die Erkenntnis, dass auch ein vampirbleicher Jammerlappen die Chance auf mindestens eine große Liebe hat. Er muss nur so eine wie die MoniHANNES HINTERMEIER ka finden. Frank Goosen: „Förster, mein Förster“. Roman. Ungekürzte Autorenlesung. Verlag tacheles!, Roof Music, Bochum 2016. 5 CDs, 313 Min., 19,99 €.

Es ist das Durchbruchswerk Hans Falladas, ein Bestseller des Jahres 1932, Zeitbildnis der niedergehenden Weimarer Republik und, bis zur triumphalen Wiederentdeckung von „Jeder stirbt für sich allein“, das erfolgreichste Buch des Autors. In einigen Wochen wird eine Neuausgabe von „Kleiner Mann – was nun?“ erscheinen, die erstmals ohne Glättungen und Kürzungen die Originalfassung nach dem Manuskript bietet; man darf gespannt sein. Unterdessen kann man sich mit einem Hörspiel auf das Werk einstimmen. Johannes Pinneberg, der Kleinbürger mit der ungeliebten Mutter aus Berliner Halbweltkreisen, und die Arbeitertochter Emma Mörschel („Lämmchen“) sehen in der Provinzstadt Ducherow der Geburt ihres „Murkel“ entgegen. Nico Holonics und Laura Maire spielen mit heller Herzhaftigkeit das Paar, das im Strudel der Weltwirtschaftskrise das Floß einer Kleinfamilie in ruhiges Wasser zu bringen versucht; sie finden überzeugende Töne für den Schlingerkurs aus Hoffnung und Desillusion, Lebensfreude und Alltagsverdruss der beiden Figuren, wobei Pinneberg zu vorschneller Entmutigung, Lämmchen zu Es-wird-schonwerden-Optimismus neigt. Zwar ist es riskant, einen Roman von 400 Seiten auf siebzig Hörspielminuten herunterzukürzen. Aber hier gelingt die Komprimierung auf knappe, suggestive Szenen, in denen sich um das Liebespaar ein skurriler Reigen von Nebengestalten formiert. Es sind zugleich Charakterporträts der Epoche, ohne dass durch die Typisierung die Glaubwürdigkeit und Lebendigkeit der Figuren geschmälert würde. Da ist die inflationstraumatisierte Witwe Scharrenhöfer, bei der das Paar die Schrecken des Untermieterdaseins erfährt, da ist der clevere Kollege Heilbutt, der sich durch seine Neigungen zur „Freikörperlehre“ und Aktfotografie angreifbar macht. Da ist der Nationalsozialist Lauterbach, der regelmäßig mit schweren Saalschlacht-Blessuren zur Arbeit erscheint; Jens Wawrczeck spricht ihn mit einer dünnen, hohen Stimme, die nicht gerade zu einem Kämpferkörper zu gehören scheint. Der Düngemittelhersteller Kleinholz ist nicht begeistert über seinen lädierten Angestellten, übt sich aber in vorauseilendem Opportunismus: „Politik ist ja ganz gut, und Nationalsozialismus vielleicht sehr gut, werden wir sehen nach den Wahlen. Aber dass ausgerechnet ich die Kosten dafür tragen soll.“ Falladas Ingenium, das Zeittypische mit leichter Hand zu fixieren, trägt dem Hörspiel immer wieder Momente historischer Triftigkeit ein. Wolf-Dietrich Sprenger als Kleinholz bringt den Sadismus eines Chefs zur Geltung, der in der Massenarbeitslosigkeit nach Belieben über Schicksale verfügen kann: „Die Herren haben nichts zu tun? Werde ich einen abbauen! Rationalisieren! Wo drei faul sind, können zwei fleißig sein.“ Pinneberg verschont er nur so lange, wie er auf ihn eine Option als Ehemann für seine schwer verheiratbare Tochter zu haben meint. Die Lebenswelt der Angestellten in der Dauerkrise – das ist Falladas Thema, inspiriert durch bittere Eigenerfahrung und Siegfried Kracauers Studie „Die Angestellten“. Dank der schlitzohrigen Intervention Jachmanns, des neuen Geliebten seiner zu Alkohol und Hysterie neigenden Mutter, erhält Pinneberg in Berlin eine neue Stelle als Verkäufer. Im Kaufhaus Mandel gibt es allerdings den forschen „Organisator“ Spannfuß, Prototyp des schreckenverbreitenden Unternehmensberaters, der den Angestellten kaum erfüllbare Umsatzquoten abverlangt. Fallada beschreibt Verkaufsgespräche als Komödie der Angst – wahre Panik erfasst Pinneberg, als der Filmschauspieler Schlüter viele Anzüge anprobiert, aber keinen kaufen will. Burghart Klaußner spricht den in Selbstherrlichkeit gehüllten Star, dessen arrogante Beschwerde („Komische Verkäufer haben Sie hier! Die notzüchtigen einen ja, damit man ihnen ihr Zeug abkauft“) Pinnebergs Entlassung zur Konsequenz hat. „Das gerade ist ja nun nicht nötig“, setzt Schlüter im sonoren Klaußnerton nach; ein bisschen Moral ist man sich als Künstler schuldig. Klaußners Auftritt ist ein Beispiel dafür, wie das Hörspiel mit vorzüglichen Sprechern auch kleinen Rollen Präsenz und Gewicht gibt; etwa Matthias Brandt als gemütvoll an der Kriminalität entlangschlitternder Lebenskünstler Jachmann. Pinneberg reiht sich ein ins Millionenheer der Arbeitslosen. Mit Frau und Kind lebt er illegal in einer Laube, während die Republik dem Untergang entgegentaumelt. Kleines Hörspiel, ganz groß – das darf man dieser NDR-Inszenierung attestieren, die durch die guten Stimmen und die vielfältigen Stimmungen, die Sabine Worthmanns Musik dezent und ausdrucksstark vermittelt, überzeugt. WOLFGANG SCHNEIDER Hans Fallada: Kleiner Mann – was nun?“ Hörspiel mit Laura Maire, Matthias Brandt u.a. Verlag Osterworld Hamburg 2016, 1 CD, 74 Min., 12,– €.

FRANKFU RT ER A L LG EM E I NE Z E I TU NG

Feuilleton

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Nichts Neues aus der Gulaschkanone Zeit zum Träumen in einer langen Nacht: Mit „Švejk“ schickt Frank Castorf seine Darsteller am Residenztheater in München auf einen Hochleistungsparcours. ine halbe Stunde vor Mitternacht klettert Bibiana Beglau in die Gulaschkanone. Frank Castorfs Münchner Inszenierung des „Švejk“, die mit dem berühmten, 1921 erschienenen Weltkriegsroman von Jaroslav Hašek kaum etwas zu tun hat, dauert zu diesem Zeitpunkt bereits mehrere Ewigkeiten. Bibiana Beglau, eine Schauspielerin, die für ihren Wagemut und ihre unbändige Lust an Grenzüberschreitungen bekannt ist, geht jetzt dorthin, wo noch niemand war, nicht einmal ihr Regisseur. Ist nicht das Innere einer k. u. k. Gulaschkanone aus dem Ersten Weltkrieg womöglich der letzte unerforschte Ort des postdramatischen Theaterpauschalreisebetriebs? Was könnte, was müsste jetzt nicht alles passieren! Eigentlich sollte, wie immer bei Castorf, dort bereits ein Videokameramann auf sie warten, der in grobkörnigen Bildern dokumentiert, wie die Schauspielerin im unterseebootartig eingerichteten Gulaschkanoneninnenraum ihren Körper mit den dort reichlich vorhandenen Erbsensuppenresten einschmiert, während sie zentrale Szenen aus kanonischen U-Boot-Kriegsfilmen wie „Das Boot“, „Jagd auf Roter Oktober“ und „Unternehmen Petticoat“ nachspielt. Ein großer Teil des Publikums hat das Residenztheater bereits verlassen, nicht wenige sind schon vor der Pause gegangen. Wer geblieben ist, blinzelt nun in gebanntem Halbschlaf mit schweren Lidern auf die beiden Videoeinspielflächen, die Aleksandar Denić gewohnt souverän in

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seinem Bühnenbild untergebracht hat. Müsste man nicht dort mitansehen können, wie das Erbsensuppenunterseeboot jetzt erzittert, die Bolzen reißen und statt Wasser eine bräunlich-klebrige, von einem bösen amerikanischen Weltkonzern produzierte Brühe namens Coca-Cola in den Innenraum eindringt? Castorfs Gulaschkanone ist die „Titanic“ unter den Theatergulaschkanonen, müsste also zügig untergehen. Bibiana Beglau würde das Schiffsunglück als Einzige überleben und sofort weiterspielen. Während Suppenreste und Colafluten auf ihrem Körper langsam trockneten, könnte sie etwas Schönes singen, zum Beispiel „Das kann doch einen Seemann nicht erschüttern“. Aber ach, all das ist ja gar nicht passiert. Castorf, jetzt auch noch Beinahe-Feldküchenchefkoch deutscher Bühnen, hat es sich entgehen lassen. Er hat aus dem Einfall, Bibiana Beglau in der Gulaschkanone verschwinden zu lassen, einfach nichts gemacht. Sie klettert hinein, spricht ein paar Sätze, und klettert wieder heraus. Das ist schon alles. Gehen dem alten Volksbühnen-Kaleu etwa die Ideen aus? Andererseits herrscht an wirren Einfällen auch an diesem Abend kein Mangel. Das fängt damit an, dass der Regisseur seinen Hauptdarsteller Aurel Manthei als Švejk über weite Strecken des Abends von der Bühne verbannt. Das Zentrum der knapp fünfstündigen Inszenierung bildet eine Leerstelle, die sich von ihren ausgefransten Rändern her nicht auffüllen lässt. Švejk, der Prager Hundehändler, der in die Maschinerie des Ersten Weltkriegs gerät und sich ihr mit berechnender Naivität zu entziehen versucht, der sich um Sieg oder Niederlage nicht schert und kein höheres Ziel kennt, als die eigene Haut zu retten, ist die durch und durch unheroische Symbolfigur des Widerstands gegen Diktaturen jeglicher Art. Immer wieder, etwa in der Verfilmung mit Heinz Rühmann im Jahr 1960, musste Švejk Verhunzung durch Verharmlosung über sich ergehen lassen. Jetzt, bei Castorf, wird er nicht verharmlost, sondern marginalisiert. Das geschieht vermutlich aus zwei Gründen: Das Loblied des sogenannten

Tröstliche Traurigkeit, wuchtiges Wetterleuchten Thomas Sanderling dirigiert in Berlin die fünfte Symphonie von Mieczysław Weinberg Keine Live-Musik-Erfahrung ähnelt der anderen. Jede ist für sich einzigartig, unwiederholbar. Doch was sich am Freitagabend im Berliner Konzerthaus am Gendarmenmarkt ereignete, fiel aus der Reihe dergestalt, dass wir uns zwischendurch, etwa, als im zweiten Satz das tief eindringliche Unisono der Bratschen aufglomm, eine mit slawischen Wendungen pathosgefütterte, schlichte Melodie, unterminiert von seltsam tröstlicher Traurigkeit, oder wenigstens doch für das wuchtige Fugato im Finale eine Repeat-Taste gewünscht haben. Der Dirigent Thomas Sanderling, geboren in Nowisibirsk, heute in London lebend, ältester Sohn aus der Sanderling-Dynastie, trat ans Pult und dirigierte das letzte Orchester seines Vaters. Er hatte die fünfte Symphonie f-moll op. 76 von Mieczysław Weinberg einstudiert. Auch wenn das nicht großartig so angekündigt worden war, so handelte es sich gleichwohl um das, was man „Wiedergutmachung“ nennt. Nun heißt zwar das vormalige Berliner Sinfonie-Orchester (BSO), von Kurt Sanderling siebzehn Jahre lang geprägt, gedrillt und für seine SchostakowitschRezeption berühmt gemacht, nicht nur seit der Wende anders, nämlich Konzerthausorchester. Es machte auch harte (Spar-)Zeiten durch und ist erst in den letzten Jahren, seit nämlich Iván Fischer ans Chefdirigentenpult trat, wieder zu einer ernstzunehmenden Konkurrenz geworden für Staatskapelle, Philharmoniker und Rundfunkorchester. Außerdem hat sich dieses Orchester personell verjüngt: Hier ist gewiss keiner mehr an Bord, der noch unter dem alten Sanderling spielte. Auch hätten sie weiland dieses Repertoire, diese vom Gros des sowjetischen Musikestablishments weitgehend ausgegrenzte ironische Klagemusik, nie gespielt.

Weinbergs Fünfter, entstanden 1962, ist, wie all seinen im quasi klassischen Formenkorsett formulierten Werken (in den Streichquartetten etwa) die Nähe zu Dmitri Schostakowitsch direkt anzumerken. Im Aufbau, im Gestus, in den verborgenen politischen Pointen, den wuchtigen Lamenti, den Gewaltausbrüchen ebenso wie in der folkloristischen Einbindung der Aussage sind die beiden geistes- und seelenverwandt. Doch zugleich hat Weinberg, der aus Warschau geflohene Jude, der die längste Zeit seines Lebens als Exilant in Moskau lebte, einen eigentümlich elegischen, gesanglichen Grundton entwickelt, der seiner Musik persönliches Profil verleiht. Alles, auch die kleinteilige Motorik, scheint letztlich aus dem Gesang entwickelt. Der erste Satz, Allegro Moderato, rauscht als unheimliches Wetterleuchten vorbei. Das ferne Trompetensignal und die rhythmischen Pattern sprechen von Krieg, Streicher und Holzbläser von Hoffnung, die unerbittlichen Bässe von Schicksal. Thomas Sanderling, der sich einst, als junger Mensch, von seinem Vater und der Sowjetunion losgeeist hatte, lenkt das Konzerthausorchester mit sparsamer, aber entschiedener Geste, er muss weder den Bläsern noch Streichern lange erklärt haben, wozu diese Musik ein so romantisches Superlegato braucht. Spitz führt die Militärpikkoloflöte das Scherzo an, weich wiegt sich im Wiegenlied-Trio der Schmelz der Klarinette. Zuvor, im ersten Teil des Konzertes, spielte der junge, tschechische, kurzfristig eingesprungene Geiger Josef Špaček den Solopart im Beethovenschen Violinkonzert, mit schön altmodischem Brio, aber nicht zu großem Ton. Sanderling, seinerseits, hielt sich ans ELEONORE BÜNING Tempo Giusto.

Weichen gestellt

Bausch, eine Produktionsstätte für Gastchoreographen, das „Forum Wupperbogen“ als Ort für Forschung und Bildung sowie die Pina Bausch Foundation untergebracht werden, soll 2022 stattfinden. Die Kosten bezifferte der Oberbürgermeister auf 58,4 Millionen Euro. Bereits im November hatte der Bund eine Förderung in Höhe von 29,2 Millionen Euro bewilligt, die andere Hälfte teilen sich das Land Nordrhein-Westfalen und die Stadt. Das denkmalgeschützte Schauspielhaus, ein 1966 entstandenes Gebäude des Architekten Gerhard Graubner, war 2013 geschlossen worden, weil die verschuldete Kommune sich Sanierung und Unterhalt nicht leisten konnte. aro.

Pina-Bausch-Zentrum Wuppertal Die Stadt Wuppertal hat für ihr Vorhaben, das Schauspielhaus zum PinaBausch-Zentrum umzubauen, erste Weichen gestellt. „Es ist ausgesprochen positiv, dass wir so zügig vorankommen“, kommentierte Oberbürgermeister Andreas Mucke (SPD) den Verlauf des Verfahrens, im nächsten Jahr werde mit den konkreten Planungen und 2019 mit der Sanierung des maroden Theaters und der Errichtung eines ergänzenden Neubaus begonnen. Die Eröffnung des Zentrums, in dem das Tanztheater Pina

Schwerstarbeit: Aurel Manthei, Franz Pätzold, Katharina Pichler und Götz Argus in Frank Castorfs Münchner Adaption von Jaroslav Hašeks „Švejk“ „kleinen Mannes“, der mit Witz, Chuzpe, und einem unreflektierten, anarchischen, aber völlig unpolitischen Instinkt die stupende Mechanik des Militärs entlarvt, wollte Castorf gewiss nicht singen, die anekdotische Form des unvollendet gebliebenen Romans, der Geschichtchen um Geschichtchen aneinanderreiht, liegt ihm ebenso wenig. Deshalb flüchtet er sich mit seinem Ensemble auf seinen Privatabenteuerspielplatz, eine wandelbare Bretterburg mit Coca-Cola-Leuchtreklame (versehen mit dem Zusatz „Migrants free“), Latrine, Stacheldrahtverhau, Gal-

gen und Grenzerhäuschen. Auf der einen Seite ist sie ein Güterwaggon für den Soldatentransport, auf der anderen ein Kunsttempel, den Denič der Berliner Volksbühne nachempfunden hat, den großen Kronleuchter eingeschlossen und zur späteren Nutzung als Gartenlaube für den Intendanten im Ruhestand durchaus geeignet. Castorf gefällt sich in Selbstreferentialität, lauen Witzen und müden Provokationen. Die Energie, die seinen nach einem Rechtsstreit mit den Brecht-Erben im letzten Jahr abgesetzten „Baal“ durchzuckte,

scheint spurlos verschwunden. Stattdessen kokette Verweigerung, die Beliebigkeit mit Unabhängigkeit verwechselt. Der Regisseur überlässt es seinen Zuschauern, herauszufinden, was sie an Hašeks Roman interessieren könnte, treibt ihnen aber alle Lust aus, es zu versuchen. Wenn Jeff Willbusch, der zunächst wie der junge Maxim Gorki aussieht, später als Kadett Biegler mit heruntergelassener Unterhose und baumelndem Geschlechtsteil über der Latrine steht und einen Song der Achtziger-Jahre-Band „Trio“ mitsummt, die auf der Videoeinspielfläche auftaucht,

Foto Matthias Horn

muss das niemanden schockieren. Aber Mitleid regt sich in solchen Momenten. Vielleicht ist dies das Einzige, was Castorf noch provozieren kann. Die Schauspieler, allen voran Valery Tscheplanowa als irrlichternde Witwe im Kostüm einer brasilianischen Sambatänzerin, leisten überwiegend Schwerstarbeit. Und tatsächlich: Auch an einem solchen Abend gelingen Castorf noch immer einige betörende Bilder, in denen hinter einem Wall von Routine, erschöpfter Wut und der schütteren Allüre der Selbstgefälligkeit etwas wie Sehnsucht erkennbar wird. HUBERT SPIEGEL

1,1 Terabyte wollen aufbereitet sein Erschließung digitaler Nachlässe: In welche Richtung entwickelt sich die Zukunft der Literaturarchive? Hätten Schriftsteller wie Thomas Mann oder Ingeborg Bachmann bereits soziale Netzwerke wie Facebook oder Whatsapp genutzt – was wüssten wir über die politische Haltung der großen Denker, was über ihre glücklichen und unglücklichen Lieben? „Nichts, was an die Ausführlichkeit von Briefwechseln heranreicht“, vermutet Dirk Weisbrod, der an der Humboldt Universität in Berlin über digitale Autorennachlässe promoviert wurde. Obwohl digitale Nachlässe in ihrem Umfang den eines analogen häufig deutlich überschreiten, seien zum Beispiel die über soziale Netzwerke laufenden Konversationen pragmatischer und weniger ausführlich geworden. Würde man jedoch den digitalen Nachlass eines Schriftstellers in seiner Gesamtheit auswerten, zu dem E-Mail-Postfächer, Einträge in sozialen Netzwerken, aber auch mehrere Festplatten gehören können, wüsste man wahrscheinlich eine ganze Menge. Vor seiner Dissertation arbeitete der Diplom-Bibliothekar Weisbrod sechs Jahre lang als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Informationswissenschaft der damaligen FH Köln, seit 2006 ist er bei einem IT-Dienstleister angestellt und dort zuständig für Content- und Dokumentenmanagement. Mit dem resultierenden Wissen sowohl um Informationstechnik als auch um die Archivars- und Bibliothekarstätigkeit versucht Weisbrod in seiner Freizeit, Archive durch Vorträge und Publikationen für das Thema digitaler Langzeitarchivierung zu sensibilisieren. Er beschäftigt sich mit der Zukunft deutscher Nachlässe. Die wird in absehbarer Zeit eine digitale sein. Sobald die ersten Autoren und Künstler digitale Nachlässe anstelle von kistenweise beschriebenem Papier hinterlassen, werden Archivare und Literaturwissenschaftler so stark auf technische Hilfe angewiesen sein wie nie zuvor. Das Deutsche Literaturarchiv in Marbach (DLA), das Fontane-Archiv in Potsdam oder das Archiv der Akademie der Künste in Berlin: sie alle kümmern sich um die Konservierung und Aufbereitung verstorbener Künstlernachlässe, um diese für Öffentlichkeit und Forschung zugänglich zu machen. Bevor das möglich ist, müssen zunächst die Rechte am jeweiligen Nachlass geklärt und das Hinterlassene chronologisch sortiert und inhaltlich erschlossen werden. „In manchen Archiven in Deutschland werden E-Mails aus Nachlässen noch ausgedruckt, weil man es gewohnt ist, ausschließlich mit Papier zu arbeiten“, sagt Weisbrod. Manchmal fänden sich auch Bierdeckel oder Servietten in den Nachlässen, wenn Autoren darauf künstlerisch tätig wurden. Aber digitale Daten werden laut Weisbrod größtenteils erst in zehn bis zwanzig Jahren in den Archiven erwartet. Das digitale Zeitalter ist ja „erst“ 35

Jahre jung und immer noch nicht in allen Nachlassarchiven angekommen. Eine der wenigen Ausnahmen stellt der Nachlass von Thomas Strittmatter dar. Der 1995 im Alter von 33 Jahren verstorbene Schriftsteller und Drehbuchautor begann bereits in den achtziger Jahren am Computer zu schreiben. Als das DLA im Jahr 2000 seinen Nachlass übernahm, begann man dort Strategien für den Umgang mit digitalen Nachlässen zu entwickeln. Neun Festplatten, 648 Disketten, 100 CD-Roms – ungefähr 1,7 Millionen Dateien im Umfang von 1,1 Terabyte vererbte später der Medien- und Literaturwissenschaftler Friedrich Kittler dem DLA. „Darunter sind Privatfotos, E-Mails und andere persönlichkeitsrechtlich relevante Daten, wie Texte über noch lebende Personen. So etwas kann man ja nicht einfach an die Öffentlichkeit geben“, erklärt Heinz Werner Kramski, der sich im DLA um digitale Nachlässe kümmert. Auch Dirk Weisbrod sieht die größten Probleme im Bereich Datenschutz. Würde zu einem digitalen Nachlass zum Beispiel das Facebook-Profil des Verstorbenen gehören, wäre die Frage nach den Bildrechten nicht zwischen dem Nachlasser oder dessen Erben und dem Archiv zu klären, sondern läge beim Anbieter, in diesem Fall bei Facebook.

Die Datenträger aus einem Nachlass müssen in Marbach zunächst in Form einer sogenannten Image-Datei gesichert werden. Dabei geht es darum, die Datenträger als gesamte Einheit zu kopieren. Nur so können eines Tages gelöschte Daten nachvollzogen werden. Wo Schriftsteller einst in ihren Handschriften Passagen durchstrichen, überschreiben sie heute ihre Dateien auf Festplatten. Diese müssen wiederhergestellt werden, will die Forschung die Textgenese nachvollziehen. Anschließend müssen die Originaldaten gesichert werden. „Wir benötigen dringend sogenannte Digitalkuratoren“, erklärt Kramski, der seit dreizehn Jahren im Literaturarchiv Marbach mit seinen Kollegen Programme entwickelt, um digitale Nachlässe zu sichern. Das habe in der Vergangenheit zwar gut funktioniert, aber es fehle an ausgewiesenem Personal, das die aktuellen und künftigen Datenmengen bewältigen und inhaltlich erschließen kann. Der digitale Teil des Kittler-Nachlasses, der 2012 ins DLA kam, sei dafür ein gutes Beispiel: Aufgrund seines enormen Umfanges und der neuen Herausforderungen ist er erst zu einem gewissen Teil inhaltlich erschlossen worden. Der erste Band einer Kittler-Gesamtausgabe soll im Herbst dieses Jahres beim Wilhelm Fink Verlag erscheinen. Er wird Foto The Denver Post

Die Floppy-Disc, einst digitales Speichermedium der Zukunft, kennt inzwischen nur noch, wer älter als vierzig ist. Archivare, mit digitalen Materialien in dieser oder anderer Form konfrontiert, müssen nicht nur das Medium kennen, sondern auch Zugang zu einem entsprechenden Abspielgerät haben. Das Deutsche Literaturmuseum in Marbach, das mit dem Nachlass von Friedrich Kittler in dieser Hinsicht einiges zu tun hat, sammelt diese Geräte, um gewappnet zu sein.

die Dissertation „Der Traum und die Rede“ enthalten. Sie erschien 1977, ist aber heute vergriffen. Zurzeit arbeiten außerdem Bernhard Doltzer und Moritz Hiller am ersten Band mit Nachgelassenem, „Musik und Mathematik II“, dessen Erscheinung ebenfalls für den Herbst angekündigt ist. Darin sollen bislang unveröffentlichte Vorträge Kittlers publiziert werden, die größtenteils nur in digitaler Form vorliegen. Insgesamt soll die von Martin Stingelin herausgegebene Gesamtausgabe rund 25 Bände umfassen. Vor allem die vielfältigen Medienformate stellen eine Herausforderung im Umgang mit Kittlers digitalem Nachlass dar. „Natürlich wird es noch einige Jahre dauern, bis das gesamte digitale Material ediert werden kann“, sagt Susanne Holl, die Witwe Friedrich Kittlers. „Aber andersherum betrachtet: Dank des ,KittlerIndexers‘ konnten die Daten in einem Rekordtempo von zwei Jahren durchforstet, evaluiert und ein Editionsplan ausgearbeitet werden.“ Der Informatiker Jürgen Enge hat zusammen mit dem DLA das Suchmaschinenprogramm „Kittler-Indexer“ entwickelt, das es ermöglicht, durch die ganzen 1,1 Terabyte Daten zu „browsen“. Damit diese enorme Datenmenge anschließend aber auch inhaltlich aufbereitet werden kann, bedarf es eines Teams, das im Umgang mit digitalen Nachlässen geschult ist. Um diese Lücke in den Archiven zu schließen, fehle es noch an finanziellen und personellen Ressourcen, sagt Kramski vom DLA. In Stuttgart wird an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste seit mittlerweile zehn Jahren ein Studiengang namens „Konservierung Neuer Medien und Digitaler Information“ angeboten. Dort beschäftigt man sich mit Fragen wie „Was ist ein vertrauenswürdiges digitales Archiv?“ – Fragen, die für einen Archivar der Zukunft, der im Umgang mit digitalen Daten geschult sein sollte, essentiell sein werden. Mit Abschluss des Studiengangs nennt man sich „Preservation Manager“. Die Absolventen lernen, sowohl die Originaldaten und deren Digitalisate zu konservieren als auch mit den Daten umzugehen. In einigen Jahrzehnten werden Interessierte wohl nicht mehr den Briefwechsel zweier Autoren, sondern deren Facebook-Verläufe untersuchen, um biographische Hintergründe nachvollziehen zu können. „Digitale Nachlässe bieten auch Chancen“, sagt Dirk Weisbrod. Unter den richtigen Voraussetzungen könne die Textgenese eines Werks anhand überschriebener digitaler Daten schneller und präziser nachvollzogen werden als bei Nachlässen auf Papier. Das böte den Literaturwissenschaftlern in Zukunft die Möglichkeit, sich bei Editionen wesentlich stärker auf die Kommentierung eines Werkes konzentrieren zu können, statt zuvor aufwendig dessen Entstehungsstufen zu rekonstruieren. NADJA AL-KHALAF

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F R A N K F U RT E R A L LG E M E I N E Z E I T U N G

Zum Schluss noch einmal Körper und Seele Ein Lebenswerk wird abgebaut: Österreichs größtes Privatmuseum schließt wegen Finanzierungsproblemen WIEN, im April Selten dauerte der Applaus nach einer Eröffnungsrede so lang: In seiner bewegten und doch um Contenance bemühten Rede gab der Kunstsammler Karlheinz Essl am Abend bekannt, was die Vernissage-Gäste bereits mittags aus den Medien erfahren hatten. Die Schließung des Essl Museums zum 1. Juli ist der Schlussstrich unter ein in Österreich einmaliges privates Kulturengagement. „Wir haben die Kunst nie als unseren persönlichen Besitz betrachtet“, betonte der Museumsgründer, der mit seiner Frau Agnes in den siebziger Jahren Malerei zu kaufen begann. Fast siebzehn Jahre lang fuhr man zu Vernissagen oder auf Sonntagsausflügen „hinaus zum Essl“. Mal ging es im Auto zu dem unprätentiösen und doch eleganten Museumsbau am Fuß des Stifts Klosterneuburg, mal mit der Schnellbahn, selten im kostenlosen Shuttlebus, der pinkfarben vor der Oper Touristen köderte. Dort bei den grünen Donauauen, in den großzügig auf einen Innenhof hin verglasten Ausstellungshallen, schien stets mehr Licht vorhanden als in Wien, wo die Moderne im fast fensterlosen Mumok gebunkert wird. Das Essl Museum ist ein Opfer der Wirtschaftskrise – und doch auch wieder nicht. Das Geld für seine Errichtung stammte aus der Heimwerkerkette BauMax, mit der die Essls zunehmend stark gen Osten expandierten. Als die Konkurrenz nachzog, geriet der zu schwach eigenfinanzierte Konzern ins Schleudern. Im Frühjahr 2014 wurde klar, dass die Gläubigerbanken bereits die Hände nach dem Kunstschatz der Essls ausstreckten. Damals versuchte das Sammlerpaar, sein, je nach Zählweise, 5000 bis 7000 Arbeiten umfassendes Lebenswerk an den Staat zu verkaufen. Aber der höchst umstrittene Ankauf, gegen den sogar die Künstler der Secession in Wien protestierten, kam nicht zustande. Stattdessen wurden im Oktober 2014 bei Christie’s in London die vierzig höchsttaxierten Gemälde – von Gerhard Richter, Polke, Fontana und anderen – versteigert. Bereits kurz zuvor war der Bauindustrielle Hans Peter Haselsteiner in die Sammlung Essl eingestiegen und hatte mit seiner Privatstiftung sechzig Prozent daran erworben. Bis zuletzt galt Haselsteiner als der Retter der sonst womöglich in alle Winde zerstreuten Kollektion, wobei auch immer das Museum eingeschlossen schien. Mit den 66 Millionen Euro aus der Auktion und dem Teilverkauf schien die Gefahr für Essls Lebenswerk gebannt. In Wahrheit aber hatte Haselsteiner wenig Interesse, die 3200 Quadratmeter Ausstellungsfläche in der Peripherie zu finanzieren. Der Baulöwe sah sich bald nach eigenen Hallen in Wien um und wurde mit dem heruntergekommenen Ringstraßenbau des Künstlerhauses fündig. In die Renovierung dieses neben dem Wiener Musikverein gelegenen Ausstellungsgebäudes, die dreißig Millionen Euro kosten soll, wird Haselsteiner nun investieren. Außerdem hat er den Direktor der Albertina, Klaus Albrecht Schröder, eingeladen, bei der Programmgestaltung der Kunstinstitution mitzumischen, die 2018 ihr 150. Jubiläum feiert. Essl muss dieser

Schachzug besonders sauer aufstoßen, hatte er doch bereits 1995 dieselbe Idee: Mitte der neunziger Jahre suchte der niederösterreichische Unternehmer nach einer Präsentationsmöglichkeit in der Hauptstadt, erhielt aber beim geplanten Museumsquartier ebenso eine Abfuhr wie beim Künstlerhaus. Nachdem auch noch öffentlich Zweifel an der Qualität seiner Sammlung laut wurden, zog Essl nahe seiner Firmenzentrale ein Museum mit seinem Namen darauf hoch. Im vergangenen Jahr hat das Land Niederösterreich kolportierte 460 000 Euro an Subventionen für das Essl Museum bereitgestellt. Die notwendige Summe für den Ausstellungsbetrieb in dem VierzigMitarbeiter-Haus dürfte bei mehr als dem Vierfachen liegen. Aber das Land errichtet derzeit für rund 35 Millionen Euro in Krems ein neues Kunstzentrum und wollte Essl daher nur weiterfördern, wenn der Bund sich gleichermaßen beteiligt. Wie es aussieht, schloss Kulturminister Josef Ostermayer („ich habe nie mit Essl persönlich darüber gesprochen“) diese Option von vornherein aus. Die aktuelle Sammlungsschau „Body & Soul“ wird also der letzte Akt in der Geschichte des größten österreichischen Privatmuseums sein – und sie offenbart abermals seine Schwächen. Der in der Kunsttheorie rauf und runter behandelte Topos Körper tritt dort als Allerweltsthema auf, das eine Menge nackter Tatsachen in Öl zeitigt. Dieser wilde Mischmasch, der die Wiener Aktionisten mit Jörg Immendorff, Nan Goldin und Jonathan Meese in einem Atemzug nennt, wirkt nach dem Motto „Das haben wir auch noch“ addiert und lässt einen roten Faden vermissen. Erst von 1989 an kaufte das Sammlerpaar auch internationale Kunst, zuvor galt der Fokus der heimischen österreichischen Malerei. Die Essls setzten nie Trends, aber sie holten die Neue Leipziger Schule, die angesagten Zeitgenossen chinesischer oder indischer Metropolen nach Österreich, als es kein Wiener Museum tat. Durch die enge Zusammenarbeit mit den Künstlern entstanden tadellose Einzelausstellungen, sei es zu Georg Baselitz, Elke Krystufek oder Alex Katz. Und auch die Nachwuchsförderung war dem Essl Museum ein Anliegen. Aber der Sammlung fehlten die Kanten, die durch persönliche Setzungen entstehen, durch formale oder inhaltliche Liebhaberei. Oft dankte der gläubig-demütig auftretende Protestant Essl bei Reden Gott für sein Museum, er studierte im Fernstudium Malerei und erzählte stolz, wie er in Neo Rauchs Küche zu Spaghetti eingeladen wurde. Galeristen und Künstler kannten hingegen das andere Gesicht des Unternehmers, der sich mit dem Herunterhandeln von Preisen in der Szene unbeliebt gemacht hat. Das Essl Museum war nie ein Hotspot der Kunstschickeria, eher ein niederschwelliges Familienmuseum mit Bildungsanspruch. Es mag seltsam klingen, aber der schöne Museumsbau federte enttäuschende Ausstellungen ab, der offene Charakter des Hauses ließ über so manches mittelmäßige Bild hinwegblicken. Dass es in Zukunft nur mehr als Depot dienen wird und zum Geister-Museum wird, tut bestimmt nicht nur Karlheinz Essl „in NICOLE SCHEYERER der Seele weh“.

Kino-Wegweiser

bewerb seien die „interessanteren Filme“, so Carsten Spicher, der die Sektion verantwortet, „fast durchweg außerhalb der Film-Ausbildungsstätten entstanden“. Ein großes thematisches Programm ist unter dem Titel „El pueblo“ einer „Neuen Welle“ des lateinamerikanischen Kinos gewidmet; mit Retrospektiven werden Sun Xun (China), Josef Darbernig (Österreich), Anne Haugsgjerd (Norwegen), Jeanne Faust (Deutschland) und Raquel Chalfi (Israel) gewürdigt. Die Vielfalt des Ausdrucks, der Erzählungen, Formen und Experimente sei enorm, betonte Festivalleiter Lars Henrik Gass: „Wer verstehen will, wo sich das Kino hin entwickelt und welche Alternativen eine Gesellschaft besitzt, kann heute in kurzen Filmen besser als in langen eine Vielzahl von Entwürfen entdecken.“ aro.

Kurzfilmtage in Oberhausen Größer, neuer, bunter. Das Programm der diesjährigen 62. Internationalen Kurzfilmtage Oberhausen, die vom 5. bis zum 10. Mai veranstaltet werden, zählt fast 550 Arbeiten. Das ist ein Rekord in der Geschichte des Festivals. Knapp die Hälfte der Beiträge in den fünf Wettbewerben sind Weltpremieren. „Im Auswahlprozess haben wir festgestellt, dass die traditionelle Dominanz von Ländern wie den Vereinigten Staaten oder Großbritannien abnimmt“, sagte Hilke Doering, Leiterin des Internationalen Wettbewerbs, so seien vermehrt Filme von den Philippinen, aus Südafrika, Algerien, Paraguay oder Neuseeland zu sehen. Im deutschen Wett-

Wir trauern um unseren langjährigen ehemaligen Beiratsvorsitzenden

Dr. Joachim Harms der im Alter von 86 Jahren verstorben ist. Herr Dr. Harms hat die Entwicklung von Lenze über viele Jahre mit großem Einsatz begleitet. Die Gesellschafter und Geschäftsführer der Lenze-Gruppe konnten immer auf seinem fundierten und fairen Rat bauen und haben ihn als sehr engagierten Freund und Begleiter erlebt und geschätzt. Wir werden Herrn Dr. Harms nicht vergessen.

Lenze Gesellschafter, Vorstand und Mitarbeiter der Lenze-Gruppe

Da wollen westliche Modehäuser, die einen großen Markt wittern, doch auch mithalten: Präsentation von „islamischer Bademode“ in Istanbul n Frankreich leben mehr Muslime als in jedem anderen europäischen Land. Das stellt die Grande Nation des Laizismus immer wieder vor Herausforderungen: Politiker und Intellektuelle suchen den richtigen Umgang mit den Kleidungsgewohnheiten der Musliminnen. Bisher endete das meist im Verbot. Seit 2011 sind Burkas untersagt, religiöse Symbole an Schulen, also auch Kopftücher, seit 2004. Jetzt werden Rufe nach einem Verbot islamischer Kleidung laut. Doch das, was westliche Designer darunter verstehen, ist schwer als religiös motiviert zu identifizieren, so dass der französische Weg hier erstmals scheitern dürfte: Der Begriff islamische Mode dient vor allem Marketingzwecken und wird vielfältig ausgelegt. Mit der Kleidung bedeckt der Mensch seine Blöße – und gibt sich eine neue. Denn kein Kleidungsstück ist ohne Aussage; mindestens besagt es, dass sich hier jemand Mühe gebe, keine Aussage zu treffen. Es muss also nicht das Dirndl sein, es reicht das graue T-Shirt, um etwas über den Menschen darin zu verraten. Das ist der Segen der Mode, und es ist ihr Fluch. Denn sich über seine Kleidung auszudrücken und sie daher gezielt auszuwählen bedeutet auch: auf alles, was zum Selbstbild nicht passt, zu verzichten. Vorausgesetzt ist selbstverständlich, dass es diese Ausdrucksfreiheit gibt und keine sanktionierte Kleiderordnung – für Frauen –, wie sie in islamischen Ländern herrscht. Die Aufgabe der Modeindustrie ist es, für jedes Selbstbild die richtige Kleidung zu liefern. Manche Designer schneidern nur für schlanke Frauen. Manche entwerfen, was als islamische Kleidung gilt. Die Kollektionen richten sich an Musliminnen, die sich als modisch, aber auf traditionelle Art religiös verstehen – und daher darauf verzichten, kurze Röcke und enge Jeans zu tragen. Pierre Bergé, Mitbegründer des Modehauses Yves Saint Laurent, warf den Desi-

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Nicht immer der alte Schleier Frankreich streitet um islamische Mode, die nun auch westliche Designer entwerfen: Dient sie allein dem Verhüllungszwang, oder schafft sie Freiräume? gnern vor, sie seien „Komplizen einer Diktatur, die Frauen dazu zwingt, sich zu verstecken“. Seine Kollegen sollten auf das Geld verzichten, das auf diese Weise zu verdienen sei, bat der Fünfundachtzigjährige. Die Ministerin für Frauen und Sport, Laurence Rossignol, verstieg sich auf den Hinweis hin, manche Frauen verhüllten sich schließlich freiwillig, zu der Aussage: „Es gab auch amerikanische Neger, die für die Sklaverei waren.“ Später entschuldigte sich Rossignol für ihre Wortwahl, blieb jedoch bei ihrer Forderung nach einem Verbot für islamische Mode. Die Philosophin Élisabeth Badinter sagte in „Le Monde“, die Toleranz gegenüber Verhüllungen wende sich nun gegen die muslimischen Frauen, denen man ursprünglich zu helfen geglaubt habe. Einzig das Gesetz könne sie von dem Druck zur Verschleierung befreien, unter dem sie stünden. Diese Diskussion lässt die Modefirmen jedoch völlig kalt: Der Markt geht dahin, wo das Geld ist. DKNY war das erste große westliche Unternehmen, das diesen Bereich erschließen wollte. 2014 offerierte es eine Ramadan-Kollektion, fließende Stoffe, weite Hosen, geschlitzte Röcke – nicht aufreizend, aber auch nicht gerade betont

defensiv. Tommy Hilfiger zog ein Jahr später nach mit einer Kollektion, die elegante Kleider und Röcke in Schwarz und Petrol an die Frau bringen wollte. Sie alle sind bodenlang. Aber auch eine knallenge Jeans fand das Unternehmen passend. Inzwischen führen auch Net-a-Porter, Zara, Oscar de la Renta und Mango islamische Mode. Die Entwürfe zeigen keine nackten Schultern oder Beine, doch sie betonen zumeist die Taille. Die religiöse Zuschreibung ist auf den ersten Blick nicht erkennbar. Das stellt die Forderung nach einer legislativen Lösung vor Probleme: Wie sollte man diese Art islamischer Mode verbieten, ohne das Verdecken von Knien im Allgemeinen zu verbieten? Die Kleider würden sich ganz sicher auch hierzulande in den Modeketten gut verkaufen, landeten jedoch direkt in den orientalischen Ländern, auf die sie zugeschnitten waren. Bei fast allen gibt es einen Bezug zum Fastenmonat Ramadan, aber nicht aus religiösen Gründen. Der Ramadan mit seinen feierlichen Essen im Familienkreis wurde in den letzten Jahren mehr und mehr zum Anlass für Konsumräusche. Marks & Spencer ging unterdessen viel weiter als DKNY mit einem Burkini, ei-

Foto Panos Pictures/VISUM

nem Ganzkörperbadeanzug, der sogar die Knöchel der Hände und Füße bedeckt. Dieser allenfalls körpernahe blaue Anzug mit Blumenmuster auf der Brustpartie macht die Abstufung zwischen Männern und Frauen in der islamischen Welt besonders deutlich: Männer tragen im Schwimmbad keine spezielle Kleidung. Damit steht der Burkini deutlicher für die Verhüllung des weiblichen Körpers als jeder bodenlange Mantel. Nach von Thomson Reuters erhobenen Finanzdaten lohnt sich der Markt für die Modeunternehmen. 2013 gaben Muslime weltweit 266 Milliarden Dollar für Kleidung und Schuhe aus. Das meiste Geld fließt in den Vereinigten Arabischen Emiraten, Saudi-Arabien und der Türkei. Es wird geschätzt, dass es 2019 schon 484 Milliarden Dollar sein werden. Denn die junge, konsumfreudige Zielgruppe wächst rasch nach: Gegenwärtig sind 62 Prozent der Muslime jünger als dreißig Jahre. Für 2030 wird erwartet, dass 29 Prozent aller jungen Leute muslimisch sind. Aus ökonomischer Sicht wäre es geradezu fahrlässig, wenn die Modebranche sich darauf nicht einstellte. Allerdings definieren nicht alle Musliminnen ihren Kleidungsstil über ihre Religion. Und selbst unter jenen, die es tun, herrscht Vielfalt. Zu islamischer Kleidung zählt nicht nur das Kopftuch oder der Tschador, sondern auch der Salwar Kamiz, die Kombination aus Hose, langem Hemd und Schal, die etwa in Indien häufig getragen wird – sowohl von Frauen als auch von Männern. Auch die Strenge der Verhüllung wird unterschiedlich gehandhabt: Die Kollektionen von Tommy Hilfiger und Zara dürften strenggläubigen Muslimen ebenso wenig gefallen wie der Gedanke, den Fastenmonat Ramadan zum Shopping zu nutzen. So können die westlichen Designer zumindest behaupten, im Konsumverhalten zu Feiertagen neue Gemeinsamkeiten der Religionen JULIA BÄHR geschaffen zu haben.

Was Rembrandt wohl dazu sagen würde? Ein Algorithmus lässt den alten Meister wieder malen, sein neuestes Werk kommt aus dem 3D-Drucker „Der Mann mit dem Goldhelm“ war bekanntlich kein echter Rembrandt, selbst wenn er lange dafür gehalten wurde. Und der Mann mit dem schwarzen Hut, der uns aus dem in Amsterdam enthüllten Bild entgegenblickt? Er stammt ebenso wenig von der Hand des Meisters, will aber die Essenz seines Schaffens darstellen. Dabei stammt er nicht einmal von Menschenhand, sondern aus dem 3D-Drucker und ist computergeneriert. „The Next Rembrandt“ wird von den Kunsthistorikern, Informatikern und Ingenieuren, die hinter ihm stehen, als wahr gewordener Traum gefeiert: einen Ausnahmekünstler 347 Jahre nach seinem Tod „zurückzuholen“ und ein weiteres Gemälde schaffen zu lassen – mit Hilfe eines Algorithmus. Anderthalb Jahre hat ein Team, das sich aus Mitarbeitern des Museums Het Rembrandthuis in Amsterdam, des Mauritiushuis in Den Haag, der Delfter University of Technology und von Microsoft zusammensetzte, an der Fertigstellung gearbeitet. Wie, zeigt ein Promo-Film der ebenfalls beteiligten Werbeagentur J. Walter Thompson. 3D-Scans von 346 Originalen lieferten die Datengrundlage. Die digitale Auswertung der Bildsujets kam zu dem Schluss: Ein typischer Rembrandt ist das Porträt eines kaukasischen Mannes zwischen dreißig und vierzig Jahren mit Bart, dunkler Kleidung und Hut, dessen Gesicht nach rechts weist. Als Nächstes frästen sich eine Statistikund eine Gesichtserkennungssoftware durch die Werke und erfassten Farben, Art und Höhe des Farbauftrags, Geometrie

der Kompositionen, Größenverhältnisse sowie typische Nasen, Augen und Ohren. Eine gigantische Datenmasse häufte sich so auf, fünfzehn Terabyte – das ist fast sechsmal so viel, wie die Panama Papers zählen. Je größer die Menge an Informationen über einen Menschen, desto besser die Voraussetzungen, sein Handeln möglichst präzise zu simulieren und vorauszusagen. Das ist die Logik, die auch hinter der Datensammelwut der Netzkonzerne

steht. Und der Glaube daran, dass die Summe statistisch häufiger Gesten und Gesichtsausdrücke das Repertoire einer Person ausmachten, steckt ebenfalls im Bestreben, toten Schauspielern neues Leinwandleben einzuhauchen. Doch obwohl „The Next Rembrandt“ sich aus 148 Millionen Pixeln und 168 263 Rembrandt-Bildfragmenten zusammensetzt, obwohl der 3D-Drucker dreizehn Farbschichten übereinanderlegte, um möglichst überzeugend

Big-Data-Art aus dem 3-D-Drucker: „The Next Rembrandt“ ist enthüllt

Foto dpa

die Anmutung eines Ölgemäldes zu simulieren, obwohl das Gesicht des Herrn im Bild tatsächlich sofort an eine RembrandtFigur denken lässt und die Garderobe an Hollands Goldenes Zeitalter – von Leben ist doch keine Spur. Wie sollte es auch anders sein. Schließlich liegt der Reiz eines echten Rembrandts darin, dass das Bild einen Kontakt herstellt von Mensch zu Mensch, über Jahrhunderte und Kulturen hinweg, zu einem Künstler, der sich der Erforschung des Selbst verschrieben hat wie kaum ein anderer und gar nicht anders konnte, als in seine Bilder zu packen, dass hier einer malte, der gelebt, geliebt und gelitten hat wie alle Menschen. Die statistisch wahrscheinliche Computercollage ist für einen Rembrandt unwahrscheinlich glatt: eine perfekte Simulation nach Rembrandtart. Brauner Hintergrund, helle Schattierungen, knubbelnasiger Mann mit weißer Halskrause. Rembrandtstyle zum Selbstausdrucken wie Falschgeld. Der Künstler sei besonders geeignet gewesen, weil er so große Datenmassen hinterlassen habe, sagte einer der Initiatoren. Das lässt Schlimmes befürchten für Shakespeare, Picasso und andere. Aber vielleicht ist „The Next Rembrandt“ auch einfach nur der Beweis dafür, dass der Mensch schlicht nicht zu ersetzen ist und ein Genie unberechenbar bleibt. Es müssten nur ein paar Künstler kommen, die den Repro-Algorithmus gehörig in die Mangel nähmen um etwas gänzlich Eigenes, Neues damit anzustellen, dann würde die Sache sogar URSULA SCHEER richtig interessant.

FRANKFU RT ER A L LG EM E I NE Z E I TU NG

ch gehöre zu den trotzig Deutschen: Ganz gleich, wie oft jemand nachfragt, woher ich denn in Wirklichkeit stamme oder – noch indiskreter – woher meine Eltern kommen, stets antworte ich: aus Köln. Im Laufe von fast fünf Jahrzehnten habe ich gelernt, Kommentare, die in Richtung „Du siehst gar nicht aus wie ein Kölner“ gehen, höchstens mit einem Lächeln zu kommentieren. Damit bin ich bisher ganz gut gefahren. Ich habe sogar meine Scheu überwunden, mit anderen nicht deutsch aussehenden Deutschen öffentlich zu verkehren. Diese Macke entstand in meiner Kölner Kindheit. Damals wurde ich in der Regel für ein Gastarbeiterkind gehalten, und das bedeutete: Mein Status war denkbar niedrig. Das empörte und beleidigte mich, denn ich war kein Gastarbeiterkind, ich war von dort, wo ich zur Welt gekommen war, und das hat sich nie geändert. Heute weiß ich, dass man das „Ius Solis“ – Gesetz des Bodens – nennt. Es ist das einzige Gesetz, dass Kinder da abholt, wo sie stehen: an ihrem Geburtsort. Natürlich lag in meiner Empörung der Kern meines eigenen Rassismus: Ich wollte nicht zur unteren Kaste gehören, sondern Brahmane sein. Vermutlich spreche ich deshalb so betont korrektes Deutsch, damit man zumindest, wenn ich den Mund öffne, gleich eines Besseren belehrt wird. Diese Strategie habe ich bei vielen beobachtet, deren Äußeres sich in ähnlicher Differenz zum „normalen“ Deutschen befindet. Meistens funktioniert sie. Die Ausfälle derer, die einen für die tollen Sprachkenntnisse loben, muss man achselzuckend hinnehmen. Im Laufe der Jahrzehnte sind es immer weniger geworden, und das ist eine gute Nachricht. Neuerdings aber haben sich die Dinge rasant verschoben, und das Schlimmste ist, dass ich nicht genau erkennen kann, in welche Richtung die Reise geht. In meiner Kindheit waren die Koordinaten der Straße festgelegt: Es gab die Altnazis, die mich im Vorbeigehen beleidigten. Sie achteten genau darauf, dass es keine Zeugen gab, und sie waren nicht handgreiflich. Es gab die Gleichaltrigen, die naiv genug waren, Parolen von Erwachsenen zu wiederholen. Sie zu ignorieren war schwierig bis unmöglich. Und es gab die angespannte Öffentlichkeit, die immer nicht genau wusste, wie sie mit einem wie mir kommunizieren sollte, um nicht rassistisch zu sein. Dieses watteartige Gefühl der Fremdheit, das mir überall entgegengebracht wurde, war vielleicht am schwerwiegendsten, und das lag daran, dass ich lange nicht wusste, woran es lag: an mir oder an den anderen? Deutschland befand sich bis zur Wiedervereinigung gewissermaßen unter Quarantäne. Sowohl in der DDR als auch in der Bundesrepublik war Rassismus als Folge des Holocausts und vor allem des daraus resultierenden Gesichtsverlusts nach der totalen Niederlage im Zweiten Weltkrieg tabuisiert. In der DDR war das Tabu absolut – es gab keine nennenswerten Kontakte mit Fremdarbeitern, und in der offiziellen Lesart lebten die Faschisten in Westdeutschland, während die sozialistische DDR bereits daran arbeitete, einen neuen Menschen zu erschaffen. Auf diese Weise fand keine brauchbare Auseinandersetzung mit der Vergangenheit statt. In Westdeutschland gab es dasselbe Tabu, aber die Strategie, derer sich die Gesellschaft bediente, um zur Normalität zurückzukehren, war eine andere. Sie lautete, grob gesagt: Vergangenheitsbewältigung. Was die Amerikaner gleich nach dem Krieg betrieben – die Menschen aus der Umgebung von KZs zwingen, sich diese von innen anzusehen –, wurde nach und nach zur kulturellen Ausrichtung einer ganzen Gesellschaft. Unter dem Motto der Wiedergutmachung wurde Geld an Israel gezahlt – ein Novum in der Rechtsgeschichte. Noch nie waren Reparationen an einen Staat gezahlt worden, der als solcher überhaupt nicht geschädigt worden war, weil er zum Zeitpunkt des Holocausts noch gar nicht existierte, und weil die Geschädigten Privatpersonen waren. Als die düsteren fünfziger Jahre end-

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lich zu Ende gingen, begann die zunehmend schonungslose Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus. All die Schuldbewusstheit und Aufklärung und Wiedergutmachung, die seitdem um sich griff, war von dem dringenden Wunsch angetrieben, wieder ein vollwertiges Mitglied in der Gemeinschaft der Völker zu werden. Normalität war die große Meta-Erzählung der Deutschen und ist es, zumal seit dem Fall der Mauer und der Wiedervereinigung, bis auf den heutigen Tag geblieben. Als Barometer diente der Blick von außen. Die Frage „Wie sehen uns die anderen?“ wurde mit manischer Regelmäßigkeit in den Medien gestellt und von Politikern beantwortet – möglichst positiv natürlich. Das Problem an der Motivation, Normalität zu erlangen, bestand darin, dass die Westdeutschen glaubten, sie könnten, nach getaner Vergangenheitsbewältigung, einen Schlussstrich unter die unangenehme Nazi-Zeit mit ihren Völkermorden ziehen. Diese Haltung setzte unmittelbar nach Kriegsende ein und hat sich bis heute nicht geändert. Sie prägt das historische Bewusstsein vieler Deutscher. Auf diese Weise konnte es auch in Westdeutschland nicht zu einer wirklichen Überwindung des Rassismus kommen. Das zeigte sich bereits am Umgang mit den Gastarbeitern. Weil viele von ihnen nach getaner Arbeit nicht in ihre Heimatländer zurückkehren wollten, wurden sie zähneknirschend als dauerhafte Gäste akzeptiert – und so blieb es erst einmal. Bis ins 21. Jahrhundert hinein haben namhafte Politiker behauptet, Deutschland sei kein Einwanderungsland, obwohl dies bereits seit einem halben Jahrhundert nicht mehr der Wahrheit entsprach. Ein wichtiger Grund für diese Blindheit war die Tabuisierung des real existierenden Rassismus in der Gesellschaft. Was in der DDR zu einem völligen Ausblenden führte, erzeugte im schuldbewussten Westdeutschland allgemeine Verunsicherung. Viele Menschen fühlten sich in der Gegenwart von ausländisch aussehenden Menschen, die aber offenbar Deutsche waren, eher unwohl, weil sie nicht wussten, wie man sich nichtrassistisch verhält. Die meisten überspielten ihre Verlegenheit, indem sie mich einfach nicht beachteten. Das führte in Geschäften oft zu recht wort- und blicklosen Kontakten. In den Achtzigern gab es dann eine eigenartige Gegenreaktion. So konnte es mir passieren, dass ich ahnungslos auf einer Bonner Café-Terrasse saß und sich plötzlich jemand ungebeten zu mir setzte, um mir davon vorzuschwärmen, was für prima Menschen Türken doch seien. Oder aber ich wurde von wildfremden Leuten auf eine höchst aufdringliche Weise angelächelt, als wollten sie mir sagen: Gut, dass du unter uns weilst. Das passiert mir heute übrigens auch wieder verstärkt. Ich habe nie gewusst, wie ich darauf reagieren soll, meistens habe ich einfach nur verblüfft zurückgeglotzt und mir anschließend Sorgen gemacht, ob meine Reaktion nicht unfreundlich rüberkam und qua Enttäuschung aus einem positiven einen negativen Rassisten macht. ls Deutschland sich wiedervereinigte und nur wenige Jahre später eine Welle von ausländerfeindlichen Attacken durch das Land ging, war die große Mehrheit der Deutschen geschockt, hatten sie doch gedacht, den Rassismus überwunden zu haben. Meinesgleichen dagegen spürte eine große Erleichterung, denn endlich war das Geleugnete sichtbar geworden. In der Folgezeit erlebte ich, wie die Menschen sich in Lichterketten und Solidaritätsbekundungen vom Damoklesschwert, allesamt Fremdenfeinde zu sein, befreiten. Das Verhalten der Öffentlichkeit entspannte sich. Der Rassismus wurde zwar wieder hoffähig, Rassisten zogen in Landesparlamente und Rathäuser ein, alles sehr unerfreulich.

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Feuilleton

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Die Sache mit den Fremden Ich werde selten als Deutscher angesehen, aber nun nehme auch ich, der gebürtige Kölner, den deutschen Blick an. Von Steven Uhly

Die Kleidung mag normal sein, wir achten aber auf die Hautfarbe. Foto Lucas Wahl

Aber sie verkörperten zugleich die Sichtbarkeit des Rassismus, und das war für alle, die ansonsten an sich selbst gezweifelt hätten, eine gute Sache. Und so wurde ich tatsächlich nach drei Jahrzehnten, die ich in meiner unsichtbaren Nische zugebracht hatte, doch noch in die Gesellschaft integriert. Verkäuferinnen und Kassiererinnen sahen mich an, in der Öffentlichkeit ging man erst einmal davon aus, dass ich der Landessprache mächtig bin. Eine Zeitlang vergaß ich fast, dass ich eigentlich kein echter Deutscher bin. Bis jetzt. Während andere Deutsche mit Sorge die Nachrichten verfolgen und sich entweder auf die Angst vor Terroristen, Frauenvergewaltigern, Kulturzersetzern, Schmarotzern, Krankheitsüberträgern oder das Auseinanderfallen der EU durch die Flüchtlingskrise spezialisieren, versuche ich stets mit einem Auge abzuschätzen, was das für meinen und den Status meiner Kinder in der anonymen Öffentlich-

keit, das heißt auf der Straße, im Alltag bedeutet. Wie sicher sind wir vor dem Pöbel? Wie stark ist die zivilisatorische Schicht, die die Groben, die Radikalvereinfacher, die Hetzer, die kollektiven Psychopathen in Schach hält, während ich einkaufen oder spazieren gehe, meine Kinder zur Schule fahren oder einfach nur mit Freunden draußen herumlaufen? Ich kann diese Frage nicht beantworten, weil sich in meiner Umgebung augenscheinlich nichts verändert hat. Doch ich bemerke, dass mein eigenes Verhalten nicht mehr dasselbe ist. War in der Vergangenheit stets eine Art Frühwarnsystem für plötzlich auftauchende Neonazis mit Gewaltabsichten in mir aktiv, so merke ich heute auch auf, wenn plötzlich muslimisch anmutende Männer auf der Bildfläche erscheinen. Werden sie Waffen ziehen, Bomben schmeißen, Frauen angrapschen? Alarmstufe Gelb! Das dauert meistens nur ein paar Sekunden, bis sich die Neuankömmlinge als vollkom-

men harmlos entpuppen. Doch der bedingte Reflex ist da. Ärgerlich nur, dass auch ich als nicht deutsch aussehender Deutscher wieder einmal zum Objekt ebendieser besonderen Aufmerksamkeit durch andere Leute werde. Und ich kann es ihnen nicht einmal verübeln. Vermutlich würde ich mir selbst erst einmal misstrauen, wenn ich mir als Fremder über den Weg liefe. Diese Furcht, die einerseits durch die Flüchtlingswelle und andererseits durch die terroristischen Attacken islamistischer Fundamentalisten in westeuropäischen Städten entstanden ist, hat anscheinend nichts mit dem pathologischen Rassismus gemein, in dem die Ausländerhasser gefangen sind. Das Besondere an den Neonazis ist ja, dass im Urgrund ihrer Haltung nicht das gemeinsame politische Ansinnen liegt, sondern die gemeinsame psychische Störung, und die erst führt sie zusammen. Ursache und Wirkung ins Gegenteil zu verkehren und die Ausländer als Grund zu sehen, entspricht dann bloß dem gewöhnlichen Selbsterhaltungstrieb, dem auch andere Störungen gehorchen. Ich bin sicher, diese Menschen sind sich eigentlich selbst fremd. Der neue Rassismus, dem auch ich anheimgefallen bin, funktioniert anders. Man könnte ihn als traumatisch bezeichnen, denn er hat viel mit den Ereignissen in Paris im letzten Jahr und während der Kölner Silvesternacht zu tun. Mit anderen Worten: Dieser Rassismus reagiert zwar, wie der pathologische, auf das Äußere eines Menschen, doch er basiert auf tatsächlichen Ereignissen, und das macht ihn für viel mehr Menschen ansteckend, als dies bislang der Fall war, denn er scheint gar nicht rassistisch zu sein. Es ist eine neue Variante des unsichtbaren Rassismus, die als berechtigte Sorge in Erscheinung tritt. Und wer wollte dem widersprechen? Die Grenzen verschwimmen hier gleich in mehrfacher Hinsicht. IS-Terroristen und vergewaltigende Flüchtlinge stammen beide aus dem islamischen Kulturkreis. Der Islam als gemeinsamer Nenner des Übels – allein da strömen so viele Ressentiments zusammen, dass die Unterschiede zwischen Neonazis, Islamisierungsgegnern und „besorgten Bürgern“ zu verschwinden drohen. Man darf eines nicht vergessen: An der Entstehung dieses traumatischen Rassismus war die mediale Vermittlung der dramatischen Ereignisse maßgeblich beteiligt. Das bedeutet: Die meisten von uns haben selbst gar nichts erlebt. Das erinnert ein wenig an den pathologischen Rassismus, der bekanntlich dort am stärksten ausgeprägt ist, wo es die wenigsten Ausländer gibt. Die mediale Vermittlung lässt uns teilhaben an Ereignissen, die in unmittelbarer Umgebung – in unserem Land – geschehen und dennoch für unsere Augen unsichtbar bleiben. Ich habe noch keinen IS-Terroristen gesehen, war bei keinem Massaker zugegen, musste nicht mitansehen, wie Nordafrikaner deutsche Frauen sexuell belästigen. Aber gerade die Dopplung aus medialer Allgegenwart und Unsichtbarkeit im Alltag schürt meine Furcht. Wenn ich derzeit in die Stadt fahre, tasten meine Sinne unablässig die Umgebung nach Anzeichen von Gefahr ab, und nur beim Anblick von Polizisten verspüre ich Momente der Erleichterung. Auch das ist mir neu. Als im weitesten Sinne muslimisch anmutender Mann stehe ich, wie gesagt, auch selbst unter Beobachtung, aber es gibt noch eine weitere Furcht, die unmittelbar damit zu tun hat. Ich frage mich: Wird der massive Zuzug südlich aussehender Menschen nicht den pathologischen Rassisten Auftrieb geben? Die Antwort muss Ja lauten, denn es gibt konkrete Zahlen über den Zulauf, den die Rechten derzeit genießen. Mit diesem Gedanken leiste ich abermals einen Offenbarungseid, denn meine Angst vor Rassisten ist selbst rassistisch. Mit der linken Herzkammer heiße ich die

armen Flüchtlinge willkommen, während ich mit der rechten Herzkammer das Erstarken des Rassismus eben durch die Gegenwart der Flüchtlinge befürchte. Ich würde dies als Rassismus zweiter Ordnung bezeichnen oder als über die Bande gespielten Rassismus. Das gibt es leider auch: Leute, die etwas gegen Flüchtlinge haben, weil sie selbst Einwanderer der ersten oder zweiten Generation sind. assistischer Antirassist, der ich bin, glaube ich, dass eine „Durchrassung“ der Deutschen dem arischen Wahn ein für alle Male den Garaus machen könnte. Deshalb: Nur her mit den dunklen Leuten! Am liebsten würde ich ganz Deutschland mit Ausländern fluten, damit auch die Menschen im hintersten Winkel der Republik endlich zur Vernunft kommen und lernen, mit Leuten zusammenzuleben, die anders aussehen. Gleichzeitig aber war ich als Kind zu oft das Opfer von blöden deutschen Normalrassisten und will nicht, dass diese Gruppe noch weiter anwächst. Und wenn muslimische Männer deutsche Frauen vergewaltigen, geschieht das gewiss. Wie ich sie hasse, diese Hasskranken! Und es wird immer schlimmer mit mir: Inzwischen traue ich auf Anhieb keinem mehr, der mir allzu deutsch daherkommt. Denn wer weiß schon, ob der traumatische Rassismus der Verängstigten sich nicht jederzeit zu einem krankhaften Hassrassismus auswachsen kann? Wie gern würde ich Menschen einfach nur als Individuen betrachten! Ein jeder anders als der andere, wäre das nicht phantastisch? Aber es gibt zu viele Schemata in meinem Kopf, zu viele Wahrnehmungsgewohnheiten, zu viele Ängste und Ängste vor Ängsten. Ach, wir sind alle Rassisten. Dabei ist es ganz müßig. Eine Mutter aus dem Kindergarten, in den meine jüngste Tochter geht, ist weißer als die meisten Deutschen, ihr Haar ist hellblond, sie würde niemals von einem hiesigen Rassisten ausgeguckt werden. Doch sie ist das Kind bosnischer Einwanderer, ihre Eltern waren Muslime. Der Vater eines dreijährigen Jungen aus demselben Kindergarten, genauso hell und blond, ist Brasilianer, Nachfahre italienischer, finnischer und russischer Auswanderer. Und überhaupt die Russen, von denen gibt es so viele in München, aber man kann sie nicht erkennen, wenn sie nichts sagen. Ganz zu schweigen von den Polen. Auf der Straße, in der anonymen Öffentlichkeit sehen sie alle deutsch aus, was immer das sein mag: deutsch aussehen. Ein Freund von mir ist neulich nachts beim Trampen in München von zwei Nazis mitgenommen worden. Er ist der Sohn portugiesischer Einwanderer, sein Name ist Carlos, kleine Statur, schwarze Haare, dunkle Augen. Als die Nazis ihn fragten, wie er heiße, sagte er: „Stefan.“ Damit waren sie zufrieden. Kein Wunder. Mancher Kölner sieht aus wie ein Nachfahre der römischen Stadtgründer, viele Urbayern sind so dunkel, dass ich meinen Ohren nicht traue, wenn sie den Mund aufmachen und heraus kommt dieser Dialekt, den ich kaum verstehe. Was also ist der Rassismus wert, wenn seine Adepten so unfähig sind? Als echtes Ausschlusskriterium taugt er jedenfalls nicht. Im Gegenteil, er fördert geradezu die Vermischung der Ethnien, weil er das Deutsche nicht an der Sprache festmacht, sondern am Anschein, und der ist so subjektiv und so vage, dass er mindestens die Hälfte der potentiellen Zersetzer unserer wertvollen deutschen Kultur schlicht übersieht. Nun ja, so gesehen hat es auch wieder sein Gutes.

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Steven Uhly, geboren 1964 in Köln, ist Schriftsteller. Zuletzt erschienen sein Flüchtlingsroman „Königreich der Dämmerung“ und die Gedichtsammlung „Tagebuch“ (beide Secesssion Verlag für Literatur). Der von uns abgedruckte Text entstand für das Goethe-Institut und wird im kommenden Monat auf Arabisch in dessen Zeitschrift „Fikrun wa Fann“ (Denken und Kunst) erscheinen.

Medien

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6.15 Medizin in fernen Ländern 6.45 ARTE Reportage 7.35 Journal Junior 7.45 Der Rhein von oben 8.30 X:enius 8.55 Das Geschäft mit dem Artenschutz. Franz. Dokumentarfilm, 2010 10.40 360° Geo Reportage 13.20 ARTE Journal 13.35 Reisen für Genießer. Wales – Großbritannien 14.05 Cocktail für eine Leiche. Amerik. Thriller mit James Stewart, 1948 15.25 Medizin in fernen Ländern. Uganda: Das Leben in Händen halten 15.50 Magische Gärten. Valsanzibio 16.20 Drohnen – Von der Waffe zur Überwachung. Dokumentation 17.10 X:enius. Grün, Rot, Blau – Wie Farben die Welt erobern 17.40 Die Donau – Lebensader Europas. Vom Schwarzwald zum Schwarzen Meer 18.25 Dänemark – Glück und Meer (1/2) Auf dem Festland 19.10 ARTE Journal 19.30 Zauberhaftes Albanien (1/2) Der Norden – Von den Bergen in die Hauptstadt

6.20 Kulturzeit. Kunst und Panama 7.00 nano. Atomausstieg 7.30 Alpenpanorama 9.00 ZIB 9.05 Kulturzeit 9.45 nano 10.15 Riverboat 12.15 sonntags 12.45 Schätze der Welt 13.00 ZIB 13.15 Auf euch hat hier niemand gewartet (1/2) 14.05 unterwegs 14.45 Vierwaldstättersee, da will ich hin! 15.15 Unterwegs in den Hohen Tauern. Dokumentation 15.30 Chinas Grenzen (1/2) Tiger, Schmuggler, Festungsinsel 16.15 Chinas Grenzen (2/2) Wüsten, Pässe, wilde Reiter 17.00 Chinas explodierende Städte. Doku 17.45 ZDF-History. Auf einmal Prinzessin 18.15 Can Can und Champagner – Das Moulin Rouge. Dokumentation 18.30 nano. Bakterienschleuder – der Arztkittel soll kurzärmelig werden. Moderation: Kristina zur Mühlen 19.00 heute 19.20 Kulturzeit. Paradiesgarten – André Hellers Projekt Anima in Marokko

6.00 Guten Morgen Deutschland. Magazin 8.30 Gute Zeiten, schlechte Zeiten. Soap 9.00 Unter uns. Soap 9.30 Betrugsfälle. Doku-Soap 10.00 Die Trovatos – Detektive decken auf. Doku-Soap 11.00 Die Trovatos – Detektive decken auf. DokuSoap 12.00 Punkt 12. Das RTL-Mittagsjournal 14.00 Der Blaulicht-Report. Aufregende Geschichten aus dem Berufsalltag von Polizisten, Sanitätern und Notärzten 15.00 Der Blaulicht-Report. Aufregende Geschichten aus dem Berufsalltag von Polizisten, Sanitätern und Notärzten 16.00 Verdachtsfälle. Doku-Soap 17.00 Betrugsfälle. Doku-Soap 17.30 Unter uns. Soap. Mit Tabea Heynig 18.00 Explosiv – Das Magazin 18.30 Exclusiv – Das Star-Magazin 18.45 RTL aktuell 19.03 Wetter 19.05 Alles was zählt. Soap. Mit Silvan-Pierre Leirich 19.40 Gute Zeiten, schlechte Zeiten. Soap. Mit Janina Uhse

5.05 Schicksale. Ein Vater sinnt auf Rache 5.30 Sat.1-Frühstücksfernsehen. Moderation: Marlene Lufen, Jan Hahn 10.00 Auf Streife – Die Spezialisten. Reportagereihe 11.00 Richterin Barbara Salesch. Show 12.00 Richter Alexander Hold. Show 14.00 Auf Streife. Reportagereihe 15.00 Auf Streife. Reportagereihe 16.00 Anwälte im Einsatz. Doku-Soap 17.00 Mein dunkles Geheimnis. Showtime im Wohnzimmer 17.30 Schicksale – und plötzlich ist alles anders. Papa undercover 18.00 Auf Streife – Die Spezialisten. Reportagereihe 19.00 Einsatz in Köln – Die Kommissare. Detektiv Deerek Soost wird erschossen in seinem Auto aufgefunden. Zuletzt betreute der Lebemann einen vermeintlichen Routinefall: Er musste den Ehemann einer wohlhabenden Kölner Autohausbesitzerin beschatten. 19.55 Sat.1 Nachrichten

20.00 Tagesschau 20.15 Der Reise-Check Traumschiffe im Mittelmeer. Mit Susanne Gebhardt. Ein Expertenteam nimmt drei Veranstalter von Kreuzfahrten unter die Lupe. 21.00 Hart aber fair Terror im Namen Gottes – hat der Islam ein Gewaltproblem? Zu Gast: Constantin Schreiber (Moderator), Holger Münch (BKA), Katrin GöringEckardt (B’90/Grüne), Aiman Mazyek (Zentralrat der Muslime in Deutschland), Michael Wolffsohn (Historiker), Dominic Musa Schmitz (ehem. Salafist) 22.15 Tagesthemen 22.45 Im Land der Lügen Wie uns Politik und Wirtschaft mit Zahlen manipulieren 23.30 Akte D (1/3) Die Macht der Pharmaindustrie 0.15 Nachtmagazin 0.35 Tatort Die Geschichte vom bösen Friederich. Dt. Krimi, 2016

20.15 Ein gefährliches Angebot Dt. Thriller mit Petra SchmidtSchaller, Armin Rohde, André Hennicke. Regie: Hannu Salonen, 2016. Ina, eine junge, ehrgeizige Polizistin, ist gelangweilt von ihrem Polizeialltag. Da bekommt sie ein Job-Angebot von ihrem Ex-Ausbilder: sie soll für seine Sicherheitsfirma arbeiten. Doch dort gelten andere Regeln. 21.45 heute-journal Mit Wetter 22.15 The Cold Light of Day Amerik./Span. Actionthriller mit Henry Cavill, Bruce Willis, Sigourney Weaver. Regie: Mabrouk El Mechri, 2012 23.40 heute+ Magazin 23.55 Die langen hellen Tage GEO/ Dt./Franz. Drama mit Lika Babluani, Mariam Bokeria, Zurab Gogaladze. Regie: Nana Ekvtimishvili, Simon Groß, 2013 1.30 ZDF-History Global Players – die Superreichen

20.15 Der Tod steht ihr gut Amerik. Komödie mit Meryl Streep, Bruce Willis, Goldie Hawn. Regie: Robert Zemeckis, 1992. Nachdem ihr ihre langjährige Freundin Madeline den Verlobten ausgespannt hat, sinnt Helen auf Rache. Mit Hilfe eines Elixiers will sie sich unwiderstehlich mache. Doch das hat Nebenwirkungen. 21.50 Die Gräfin Franz./Dt. Historienfilm mit Julie Delpy, Daniel Brühl Regie: Julie Delpy, 2009 Die mächtige ungarische Gräfin Erzebet Bathory verliebt sich in den jungen Istvan Thurzo. Als dessen Vater Istvan zwingt, die Beziehung zu beenden, steigert sich die Gräfin in einen Jugendwahn hinein. 23.25 Frankenstein Amerik. Gruselfilm mit Boris Karloff, Colin Clive, Mae Clarke. Regie: James Whale, 1931 0.35 Noch hier. Schon da Dt. Dokufilm. Regie: Roswitha Ziegler, ’13

20.00 Tagesschau 20.15 Netz Natur Vom Ursprung des Lernens. Tiere sind sehr lernfähig. Das beweist der Tiertrainer Heini Gugelmann, der für seinen Zirkus verschiedene Haustiere trainiert. Auch in der freien Wildbahn zeigen viele Tiere ein enormes Lernvermögen. 21.05 Universum Libellen – Die Himmelsjäger 22.00 ZIB 2 22.25 Boris Nemzow – Tod an der Kremlmauer Dt. Dokufilm, 2015 Am 27. Februar 2015 wurde der russische Oppositionspolitiker Boris Nemzow in der Nähe des Kreml ermordet. In der Dokumentation wird der Frage nachgegangen, was bisher zur Aufklärung der Tat geschehen ist. 23.55 Ohne Eltern im fremden Land Jugendliche auf der Flucht 0.25 10vor10 0.55 Willkommen Österreich

20.15 Wer wird Millionär? Show Moderation: Günther Jauch In der beliebten Quizshow haben Kandidaten die Möglichkeit, bis zu einer Million Euro zu gewinnen. Zuvor müssen sie jedoch etliche knifflige Fragen aus allen Bereichen des Lebens richtig beantworten. 21.15 Rach sucht: Deutschlands Lieblingsrestaurant (2/6) Dokureihe 22.15 Extra – Das RTL Magazin Moderation: Birgit Schrowange 23.30 30 Minuten Deutschland Letzte Hoffnung Zivilklage – Wenn mutmaßliche Mörder frei herumlaufen 0.00 RTL Nachtjournal / Wetter 0.30 Meine Gesundheit (1/5) Das gefährliche Knirschen mit den Zähnen in der Nacht – Ein MassenPhänomen, das nicht unbehandelt bleiben sollte. Zu Gast: Prof. Dr. Dr. Dr. Robert Sader 0.55 CSI: Den Tätern auf der Spur

20.15 Detective Laura Diamond Krimiserie. Laura und der mysteriöse Besucher. Mit Debra Messing. Das IT-Wunderkind Zac Romero wird tot in seinem Appartement gefunden. Jemand hat ihn geradezu niedergemetzelt. Aber wie konnte der Täter in die mit allen Schikanen gesicherte Wohnung gelangen? 21.15 Detective Laura Diamond Laura und der ungelöste Fall 22.15 Elementary Krimiserie. Die Mistgabel im Heuhaufen. Dennis Hicks wurde erschossen. Er arbeitete für ein College, das auch entlassenen Straftätern eine Ausbildung verspricht. Für die Studiengebühren mussten die Bewerber jedoch hohe Schulden anhäufen. 23.10 Navy CIS Krimiserie. Neben der Spur. Mit Mark Harmon 0.05 Criminal Minds Krimiserie Das Geschäft der Lust 1.00 Detective Laura Diamond

Pro Sieben 6.10 Marie Antoinette. Amerik./Franz./ Japan. Drama, 2006 8.25 Die Bestimmung – Divergent. Amerik. Sci-Fi-Film, 2014 10.55 Mike & Molly 11.45 How I Met 12.35 Two and a Half Men 14.20 2 Broke Girls 15.15 The Big Bang Theory 17.00 taff 18.00 Newstime 18.10 Die Simpsons 19.05 Galileo 20.15 The Big Bang Theory 21.10 Prankenstein 22.15 Circus Halligalli 23.15 Studio Amani 0.15 The Big Bang Theory 1.10 Family Guy 1.35 Futurama

Phoenix 5.50 Al Capones Valentinstag 6.35 Hexenjagd in Salem 7.30 Wilde Türkei 9.00 Vor Ort 9.10 Bon(n)jour 9.30 Anne Will 10.35 Augstein und Blome 10.45 Thema 12.00 Vor Ort 12.45 Thema 14.00 Vor Ort 14.45 Thema 16.00 Wie gerecht sind unsere Steuern? 16.45 Schuften bis zum Schluss 17.15 Auf der Suche nach dem alten Russland 17.30 Vor Ort 18.00 Aktuelle Reportage. Die „Frankfurt“ und die Flüchtlinge im Mittelmeer 18.30 Wilde Türkei 20.00 Tagesschau 20.15 Terra X 21.45 heute journal 22.15 Unter den Linden 23.00 Der Tag 0.00 Unter den Linden

Tele 5 5.10 Reich und schön 5.50 Serien-Insider 6.00 Joyce Meyer 6.24 Dauerwerbesendung 7.25 Joyce Meyer 7.54 Dauerwerbesendung 14.05 Star Trek – Deep Space Nine 15.05 Star Trek – Das nächste Jahrhundert 16.05 Star Trek – Raumschiff Voyager 18.05 Star Trek – Deep Space Nine. Sci-Fi-Serie 19.05 Star Trek – Das nächste Jahrhundert. Sci-Fi-Serie 20.15 Das Phantom (1-2/2) Kanad./Amerik. Actionfilm, 2009 23.55 Saint Sinner. Amerik. Horrorfilm, 2002 1.35 WWE RAW

KIKA 6.30 Charlie & Lola 6.55 Ene Mene Bu 7.05 Tobys Traumtoller Zirkus 7.25 Die Sendung mit dem Elefanten 7.50 Bing 8.00 Sesamstraße 8.30 Das Zauberkarussell 8.50 Mein Bruder und ich 9.00 Tilly und ihre Freunde 9.25 Jim 9.45 Dreckspatzplatz 9.55 Au Schwarte! 10.18 Kikaninchen 10.25 Briefe von Felix 10.50 Kokosnuss 11.10 Der kleine Prinz 11.35 Yakari 12.00 Nils Holgersson 12.25 Die Maus 12.55 Sherlock Yack 13.15 Die Wilden Kerle 13.40 Die Pfefferkörner 14.10 Schloss Einstein 15.00 Dance Academy 15.25 H2O 15.50 Zoom 16.20 Lassie 17.15 Das Dschungelbuch 17.35 Yakari 18.00 Shaun, das Schaf 18.15 Kokosnuss 18.40 Dinotaps 18.50 Sandmännchen 19.00 Der kleine Prinz 19.25 Wissen macht Ah! 19.50 logo! 20.00 Ki.Ka Live

Hessen 5.30 Meine peinlichen Eltern 5.55 Horizonte 6.25 Hessen-Reporter 6.55 Rote Rosen 7.45 Sturm der Liebe 8.35 Herkules 9.05 Sportschau – Bundesliga am So. 9.25 heimspiel! Bundesliga 9.35 hessenschau 10.05 Eisbär, Affe & Co. 10.55 2 durch Deutschland 11.25 In aller Fr. 12.10 Alle Zeit der Welt. Dt. Komödie, 2011 13.40 Die Sache mit der Wahrheit. Dt. Drama, 2014 15.10 Verrückt nach Meer 16.05 hallo hessen 16.45 hessenschau 17.00 hallo hessen 17.50 hessenschau 18.00 Maintower 18.25 Brisant 18.50 Service: Zuhause 19.15 Alle Wetter! 19.30 hessenschau 20.00 Tagesschau 20.15 Wunderschön! 21.45 Zu Gast in ... Rheinland-Pfalz 22.30 hessenschau 22.45 Heimspiel! 23.30 Hecht und Haie 0.20 Bottle Shock. Amerik. Komödie, 2008

NDR 5.50 Lindenstraße 6.20 Die Fallers 6.50 Lieb und teuer 7.20 Rote Rosen 8.10 Sturm der Liebe 9.00 Nordmagazin 9.30 Hamburg Journal 10.00 Schleswig-Holstein Magazin 10.30 Regional 11.00 Hallo Niedersachsen 11.30 Wölfe! Zurück in Deutschland 12.15 In aller Fr. 13.00 Einfach genial 13.30 Eisenbahn-Romantik 14.00 NDR//aktuell 14.15 Bilderbuch Deutschland 15.00 NDR//aktuell 15.15 An der Nordseeküste 16.00 NDR//aktuell 16.10 Mein Nachmittag 17.10 Am Kap der wilden Tiere 18.00 Regional 18.15 Die Nordreportage. Die Helikopter-Männer 18.45 DAS! Zu Gast: Nelson Müller 19.30 Regional 20.00 Tagesschau 20.15 Markt 21.00 plietsch. Vitamin D 21.45 NDR// aktuell 22.00 45 Min 22.45 Kulturjournal 23.15 Männerpension. Dt. Komödie mit Til Schweiger, 1996 0.45 Anne Will

HÖRSPIEL

Ein Angebot, das sie nicht ablehnen kann Das ZDF schickt eine Polizistin als Datenspionin durch einen Thriller und landet beim Wolf und den sieben Geißlein Stumm sitzt eine junge Frau im Abendkleid in einem finsteren Keller. Ein Lichtkegel beleuchtet ihre zarten Züge. Während ein Mann, der erst gegen Ende des Films entlarvt wird, ihr eine verdrehte Version des Märchens vom Wolf und den sieben Geißlein erzählt, legt er von hinten seine Hände auf ihre nackten Schultern. Entscheiden soll sie sich, ob sie lieber Geißlein oder Wolf sein will. Die Szene könnte bedrohlich wirken. Schließlich scheint die Frau gefangen zu sein, ein anzugtragender Aufpasser steht im Hintergrund – wer weiß, was der Peiniger noch mit ihr zu tun gedenkt. Von Bedrohlichkeit aber keine Spur. Am Ende des Films wird die Szene mit veränderter Perspektive noch einmal gezeigt. Nun ist zu sehen, wie der Zeigefinger des Mannes besitzergreifend ihr Schlüsselbein berührt. Doch zu diesem Zeitpunkt ist der Spannungsaufbau längst an das Desinteresse verschenkt. Ina Roth guckt stoisch vor sich hin. Zudem ist die Geschichte vom Wolf – der für skrupellose Manager steht – einfach zu schlicht gestrickt und wirkt die Bösewichtanmutung gewollt. Petra Schmidt-Schaller spielt Ina Roth, eine junge Polizistin mit Ambitionen, die gerade die Prüfung für den höheren Polizeidienst absolviert hat. Ohne Abi, klagt sie ihrem Freund und Kollegen Martin Stutz (Fabian Busch), könne man bei der Polizei ohnehin nichts werden. Beim Joggen ruft ihr Exkollege Theissen (Armin Rohde) an. Er biete genau die Chance, auf die sie warte. Seine Sicherheitsfirma Cerberus – wie der Höllenhund in der griechischen Mythologie – habe sich auf das Makeln mit Daten und Informationen spezialisiert. Das Geschäft laufe blendend. Man arbeite nur mit den größten Kunden, wie der Firma Ecotecs, die erneuerbare Energien zu Geld macht. Er biete ihr die Stellung ihres Lebens, sagt Theissen. Im Übrigen sei sie durch die Prüfung gerasselt.

RBB 6.20 Rote Rosen 7.10 Sturm der Liebe 8.00 Brandenburg aktuell 8.30 Abendschau/Brandenburg aktuell 9.00 Zurück in die Armut 9.30 Täter – Opfer – Polizei 9.55 ARD-Buffet 10.40 Willkommen in Kölleda. Dt. Komödie, 2012 12.10 Verrückt nach Meer 13.05 Schloss Einstein 13.30 Auf Leben und Tod – Die jungen Ärzte14.15 Planet Wissen 15.15 Tiere, die Geschichte schrieben (6/6) 16.00 rbb UM4 17.05 Panda, Gorilla & Co. 18.00 rbb um 6 18.30 zibb 19.30 Abendschau/Brandenburg aktuell 20.00 Tagesschau 20.15 Tatort. Rabenherz. Dt. Krimi, 2009 21.45 rbb aktuell 22.15 Wo unser Wetter entsteht (2/2) 23.00 Polizeiruf 110. Das habe ich nicht gewollt. Dt. Krimi, 1986 0.20 Nordisch herb 1.10 Täter – Opfer – Polizei

WDR 6.10 Tiere suchen ein Zuhause 7.20 Du bist kein Werwolf 8.10 ¡Pregunta Ya! 8.20 Achtung! Experiment 8.30 Planet Wissen 9.30 Mit Bock durchs Land 10.15 Aktuelle Stunde 10.35 Westpol 11.05 Seehund, Puma & Co. 11.55 Leopard, Seebär & Co. 12.45 Planet Wissen 13.45 WDR aktuell 14.00 Servicezeit Reportage 14.30 Sylt – eine Insel, ein Mythos 15.15 Geheimnis 16.00 WDR aktuell 16.15 daheim & unterwegs 18.00 WDR aktuell / Lokalzeit 18.15 Servicezeit. Magazin 18.45 Aktuelle Stunde. Magazin 19.30 Lokalzeit. Magazin 20.00 Tagesschau 20.15 Mord mit Aussicht 21.45 WDR aktuell 22.10 Hier und heute 22.40 West ART 23.25 Ich und du. Ital. Drama, 2012 1.00 Domian

MDR 6.15 LexiTV 7.15 Rote Rosen 8.00 Sturm der Liebe 8.50 In aller Freundschaft – Die jungen Ärzte 9.40 Kripo live 10.05 Panda, Gorilla & Co. 11.00 MDR um elf 11.45 In aller Fr. 12.30 Der Kotzbrocken. Dt. Tragi-

Radio am Montag 15.10 „Macbeth“ (1) – MDR Figaro Nach William Shakespeare Mit Fred Düren, Marion van de Kamp u.a. Regie: Fritz Göhler, ca. 20 Min. 21.30 „Rolltreppen ins Nichts“ – DKultur Von Hans Delbruck Mit Mira Partecke, Gustav-Peter Wöhler u.a. Regie: Judith Lorentz, ca. 60 Min. 22.00 „Das Massaker von Paris“ – MDR Figaro Nach Christopher Marlowe Mit Klaus Mertens, Jürgen Holtz u.a. Regie: B. K. Tragelehn, ca. 90 Min.

KLASSIK 13.00 Klassik à la carte – NDR Kultur Gast: Maria Schneider, künstlerische Leiterin des Festivals "Movimentos"., ca. 60 Min. 20.00 NDR-Sinfonieorchester – NDR Kultur Ludwig van Beethoven: Leonoren-Ouvertüre Nr. 3 C-Dur; Peter Tschaikowski: Francesca da Rimini, sinfonische Fantasie aus Dantes „Göttliche Komödie“ op. 32 Arien von Mozart, Verdi und Francesco Cilea (Margaret Price, Sopran; NDR-Sinfonieorchester, Klavier und Ltg.: Christoph Eschenbach) ca. 120 Min. 20.03 Konzertabend – BR-Klassik Alberto Ginastera: „Pampeana Nr. 1“ op. 16 (Arabella Steinbacher, Violine; Peter von Wienhardt, Klavier); „Cinco canciones populares argentinas“ (Ofelia Sala, Sopran; Donald Sulzen, Klavier); Sonate Nr. 1 op. 22 (Haochen Zhang, Klavier); Streichquartett Nr. 1 op. 20 (Henschel-Quartett); „Canción a la lunanca“ (Philharmonische Cellisten) ca. 57 Min. 20.03 Abendkonzert – SWR 2 Carl Nielsen: „Pan und Syrinx“, sinfonische Dichtung für Orchester; Bent Sørensen: „L’Isola Della Citta“ für Violine, Violoncello, Klavier und Orchester; György Ligeti: „Atmosphères“ für großes Orchester; Claude Debussy: „La Mer“, 3 sinfonische Skizzen für Orchester (Trio con Brio; Dänisches Nationalorchester, Leitung: Joshua Weilerstein); Wolfgang Amadeus Mozart: Violinkonzert G-Dur KV 216 (Dänisches Nationalorchester, Solist und Leitung: Leonidas Kavakos), ca. 117 Min. 20.04 Schöne Stimmen – RBB Kulturradio Der Tenor Cesare Valletti, ca. 56 Min. 20.04 Konzert – SR 2 Erich Wolfgang Korngold: Violinkonzert D-Dur op. 35; Gustav Mahler: Das Lied von der Erde (Vilde Frang, Violine; Alisa Kolosova, Mezzosopran; Christian Elsner, Tenor; Ochestre Philharmoniwue de Radio France, Leitung: Marzena Diakun), ca. 146 Min. 20.05 Konzert – HR 2 Dvorák: „Stabat Mater“ (Layla Claire, Sopran; Karen Cargill, Mezzosopran; Garrett Sorensen, Tenor; John Relyea, Bass; Chor des Orchestre Métropolitain; Orchestre Métropolitain, Leitung: Yannick Nézet-Séguin) ca. 90 Min. 21.05 Schleswig-Holstein Musik Festival 2015 – DLF Köln Peter Tschaikowski: Ausschnitte aus „Eugen Onegin“, lyrische Szenen op. 24 (Michaela Kaune, Sopran; Markus Eiche, Bariton; Schleswig-Holstein-Musik-Festival-Orchester, Ltg.: Christoph Eschenbach), ca. 55 Min.

JAZZ, POP, ROCK 19.35 Jazz Lounge – MDR Figaro Mit Tony Bennet, ca. 25 Min. 20.03 In Concert – DKultur The Roger Cicero Jazz Experience, ca. 87 Min. 20.05 Figaro im Konzert – MDR Figaro Ein Konzertabend für Herbert Grönemeyer zum 60. Geburtstag, ca. 115 Min.

FEATURE & MAGAZIN

Droht hier Gefahr? Wenigstens Ina Roth (Petra Schmidt-Schaller) scheint sich da sicher. Als Thriller ist der Fernsehfilm „Ein gefährliches Angebot“ von Sven Poser (Buch) und Hannu Salonen (Regie) etikettiert. Das setzt ein Mindestmaß an Unvorhersehbarkeit und gefährlichen Wendungen voraus. Hier aber ahnt man gleich, wohin die Reise geht. Das Handlungsmuster ist im Prinzip seit 1748 bekannt, als in England der empfindsame Briefroman „Clarissa“ von Samuel Richardson erschien. Zahllose Nachahmungen und Parodien folgten, auch in Deutschland. Die verfolgte Unschuld Clarissa wird da von dem Libertin und Verführer Lovelace durchs Land gejagt. Der Triumph der Tugend über die Verderbtheit ist die

komödie, 2015 14.00 MDR um zwei 15.00 LexiTV 16.00 MDR um vier 17.45 MDR aktuell 18.10 Brisant 18.54 Unser Sandmännchen 19.00 MDR Regional 19.30 MDR aktuell 19.50 Mach dich ran! 20.15 Eins ist nicht von dir. Dt. Komödie, 2015 21.45 MDR aktuell 22.05 Fakt ist ...! Weg mit dem Knast? 23.05 Nackt unter Wölfen. Dt. Drama, 2015 0.45 Buchenwald – Heldenmythos und Lagerwirklichkeit

SWR 5.45 Der Schwarzwald 6.00 natürlich! 6.30 Grünzeug (1/2) 7.30 Eisbär, Affe & Co. 8.20 Eisenbahn-Romantik 8.50 Landleben 4.0 in Kusterdingen 9.35 Expedition in die Heimat 10.20 Bekannt im Land 10.50 ARD-Buffet 11.35 Elefant, Tiger und Co. 13.15 Planet Wissen 14.15 EisenbahnRomantik 15.15 Länder – Menschen – Abenteuer 16.05 Kaffee oder Tee 18.00 Landesschau 18.15 Mensch, Leute! 18.45 Landesschau BW 19.30 Landesschau 20.00 Tagesschau 20.15 Das Traumhotel. China. Dt./Österr. TV-Familienfilm, 2008 21.45 Landesschau 22.00 Sag die Wahrheit 22.30 Meister des Alltags 23.00 Die Quiz-Helden 23.45 Schlauberger 0.10 Dings vom Dach 0.55 Wer weiß es?

Bayern 6.30 Sturm der Liebe 7.20 Tele-Gym 7.35 Panoramabilder 8.30 Tele-Gym 8.45 Pinguin, Löwe & Co. 9.35 Eisbär, Affe & Co. 10.30 Tausche Firma gegen Haushalt. Dt. Komödie, 2003 12.00 Ein Gauner Gottes. Dt. Gaunerkomödie, 2004 13.30 In aller Freundschaft 14.15 Bärenkinder 15.00 Das ist mein Tagwerk 15.35 Café Meineid 16.00 Rundschau 16.15 Wir in Bayern 17.30 Abendschau – Der Süden 18.00 Abendschau 18.30 Rundschau 19.00 Unkraut 19.30 Dahoam is Dahoam 20.00 Tagesschau 20.15 Bayern erleben 21.00 Lebenslinien 21.45 Rundschau Magazin 22.00 Blickpunkt Sport 22.45 nacht:sicht

Pointe des Buchs. „Ein gefährliches Angebot“ wirkt, als habe man das Clarissa-Konzept in eine Version, in der das gehobene Management eines Erfolgsunternehmens die Lovelace-Rolle übernimmt, übertragen. Dabei verdiente die Geschichte hinter der Geschichte – Inspirationen für das Drehbuch lieferten die Skandale bei der HSH Nordbank – durchaus eine fiktionale Aufarbeitung. Im Fernsehfilm geht es um den Ecotecs-Vorstand Michael Dithardt (Christian Berkel) und seinen Gegenspieler Ronald Klostermeier (Anian Zollner). Erst verwanzt und überwacht Cerberus seine Privaträume, dann wird ein fiktiver Zugang zu

23.15 Sena Jurinac – Jedes Ding hat seine Zeit 0.15 Rundschau Nacht 0.25 Ein Gauner Gottes. Dt. Gaunerkomödie, 2004

RTL 2 5.25 Privatdetektive im Einsatz 9.15 Frauentausch 11.15 Family Stories 13.15 Köln 50667 14.15 Berlin – Tag & Nacht 15.15 Hilf mir! Jung, pleite ... 16.10 Die Straßencops Süd – Jugend im Visier 17.05 KLUB 18.00 Köln 50667 19.00 Berlin – Tag & Nacht 20.00 RTL II News 20.15 Die Geissens 21.15 Daniela Katzenberger – Mit Lucas im Hochzeitsfieber 22.15 Sarah & Pietro ... im Wohnmobil durch Italien 23.15 Scary Movie III. Amerik./Kanad. Horrorkomödie mit Anna Faris, 2003 0.50 Privatdetektive im Einsatz. Doku-Soap

Super RTL 6.00 Olivia 6.35 Der kleine Tiger Daniel 7.00 Peter Hase 7.30 Caillou 8.00 Die Oktonauten 8.25 Der phantastische Paul 8.50 Wow! Wow! Wubbzy! 9.15 Zeo 9.35 Kati & Mim-Mim 9.45 Thomas und seine Freunde 10.00 Lazy Town 10.30 Angelo! 10.55 Die Tom & Jerry Show 11.20 Scooby-Doo! 11.45 Inspector Gadget 12.10 Camp Sumpfgrund 12.35 Go Wild! 13.05 Coop gegen Kat 13.30 Bugs Bunny & Looney Tunes 14.00 Dinotrux 14.30 Der gestiefelte Kater – Abenteuer in San Lorenzo 14.55 DreamWorks: Die Drachenwächter von Berk 15.20 Zig & Sharko 15.50 Familie Fox 16.15 Scooby-Doo! 16.40 Go Wild! 17.10 Dinotrux 17.40 Inspector Gadget 18.10 Bugs Bunny & Looney Tunes 18.45 WOW 19.15 Der gestiefelte Kater 19.45 Die Drachenwächter von Berk 20.15 Monk 22.05 Fairly Legal 23.55 Monk 0.40 Infomercials

Kabel 1 5.50 Numb3rs 6.35 Without a Trace 7.30 Cold Case 8.30 Navy CIS 9.25 The Men-

Foto ZDF

Kinderpornoseiten geschaffen. Informationsbeschaffer Torsten Gütschow (André Hennicke) leitet die Operation. Einzelverbindungsnachweise, Kreditkartenabrechnungen, Ina Roth erhält Datensätze sonder Zahl, um den Mann in den Dreck zu ziehen. Ihre einmalige Chance ist, wie sollte es anders sein, die Chance für eine einmalige kriminelle Karriere. Das Ganze aber ist so schludrig erzählt und auf Effekt gebürstet, dass weder die unterforderten Darsteller noch die Kameraarbeit von Wolf Siegelmann viel retten. HEIKE HUPERTZ Ein gefährliches Angebot, heute um 20.15 Uhr im

Zweiten.

talist 10.20 Castle 11.15 Without a Trace 12.05 Numb3rs 13.00 Cold Case 14.00 Navy CIS 14.55 The Mentalist 15.50 News 16.00 Castle 16.55 Abenteuer Leben 17.55 Mein Lokal, dein Loka 18.55 Achtung Kontrolle! 20.15 Rocky Balboa. Amerik. Boxerfilm, 2006 22.20 Rambo. Amerik. Actionfilm, 1982 0.15 Rocky Balboa. Amerik. Boxerfilm, 2006

Vox 5.15 CSI: NY 6.50 Verklag mich doch! 11.00 Mein himmlisches Hotel 12.00 Shopping Queen 13.00 4 Hochzeiten und eine Traumreise 14.00 Spa Wars 15.00 Shopping Queen 16.00 4 Hochzeiten und eine Traumreise 17.00 Mein himmlisches Hotel 18.00 mieten, kaufen, wohnen 19.00 Das perfekte Dinner. Tag 1: Manu, Bergisches Land 20.00 Prominent! 20.15 Night Shift 22.10 Suits 23.55 vox nachrichten 0.15 Medical Detectives

ARD-alpha 6.15 Kirchenfenster erzählen Geschichten 6.45 Dossier 7.00 Willi wills wissen 7.30 Meilensteine 7.45 Great Moments in Science and Technology 8.00 Englisch für Anfänger 8.30 Russisch bitte! 9.00 Telekolleg Biologie 9.30 Die Geschichte der Homöopathie (6/6) 10.00 alphaCentauri 10.15 quer 11.00 Planet Wissen 12.05 Tagesgespräch 13.00 alpha-Forum 13.45 Meilensteine 14.00 Grundlagen der Genetik 14.15 Enzyme und Organismus 14.30 Willi wills wissen 15.00 Planet Wissen 16.00 Kulturjournal 16.30 nano 17.00 Das Einstein-Projekt (4/6) 17.15 Geschichte Mitteldeutschlands 18.00 Ich mach’s! 18.15 Ich mach’ weiter 18.30 Telekolleg Geschichte 19.00 alpha-Campus 19.30 X:enius 20.00 Tagesschau 20.15 alpha-Forum 21.00 Ostwärts – eine Reise durch Georgien (1/2) 21.45 Die Magie der Farben (2/6) 22.00 Planet Wissen 23.00 alpha Österreich 23.45 Die Tagesschau

vor 25 Jahren 0.00 alpha-Forum 0.45 Phase 3 1.15 Bob Ross 1.45 Space Night

N24 Stündlich Nachrichten 5.15 Die UFOAkten 12.45 Börse am Mittag 13.05 Catching Hell – Die Speerfischer von Florida 14.05 Top Gear USA 15.25 N24 Cassini 16.05 Die UFO-Akten 18.15 Börse am Abend 18.25 N24 Cassini 19.10 Welt der Wunder 20.05 Apokalypse – Der Erste Weltkrieg 0.50 Raketenwerfer und Haubitzen – Die Artillerie der Bundeswehr

n-tv Stündlich Nachrichten 5.35 Auslandsreport 7.10 Telebörse 12.30 News Spezial 13.10 Telebörse 13.30 News Spezial 14.10 Telebörse 14.30 News Spezial 15.20 Ratgeber – Test 15.40 Telebörse 16.05 Katastrophen – Der Düsseldorfer Flughafenbrand 17.10 Das Duell 18.20 Telebörse 18.35 Ratgeber – Hightech 19.15 „Spiegel“-TV 20.15 Die fünf Besten 22.10 Giganten der Luftfahrt 23.10 Das Duell 0.05 Katastrophen – Der Düsseldorfer Flughafenbrand 1.00 Die fünf Besten

CNN 5.30 Supercharged 6.00 CNN Newsroom (with World Sport) 10.30 The Best of Quest 11.00 Political Mann 11.30 African Voices 12.00 CNNMoney View with Nina Dos Santos 13.00 CNN Newsroom 13.30 World Sport 14.00 News Stream (with World Sport) 15.00 CNNMoney with Maggie Lake 16.00 International Desk (with World Sport) 17.00 Connect the World with Becky Anderson 18.00 International Desk 18.45 Marketplace Africa 19.00 Wolf 20.00 Amanpour 20.30 CNN Newsroom 21.00 The World Right Now with Hala Gorani 22.00 Quest Means Business 23.00 Amanpour 23.30 World Sport 0.00 CNN Today (with World Sport)

6.05 Kulturfrühstück – HR 2 Darin: „Alcina“ von G. F. Händel im Staatstheather Wiesbaden 8.30 kulturWelt – BR 2 U.a.: Die Neuverfilmung von „The Jungle Book“ / Muss der Staat den Glauben an die Leine legen?, ca. 30 Min. 10.05 Notizbuch – BR 2 Bewegungstraining für Parkinson-Patienten ca. 55 Min. 10.10 Kontrovers – DLF Köln Europa in Zeiten des Umbruchs: Sind die Populisten auf dem Vormarsch?, ca. 80 Min. 11.55 Verbrauchertipp – DLF Köln Tintenkombinationen für Farbdrucker im Test, ca. 5 Min. 12.05 Doppelkopf – HR 2 Am Tisch mit Christine Schornsheim, Cembalistin, ca. 55 Min. 14.55 Die Buchkritik – SWR 2 Reinhard Kaiser: Der glückliche Kunsträuber. Das Leben des Vivant Denon, ca. 5 Min. 16.05 Eins zu Eins – BR 2 Gast: Carl Fechner, Dokumentarfilmer ca. 55 Min. 16.10 Büchermarkt – DLF Köln U.a.: John Irving: Straße der Wunder ca. 20 Min. 16.35 Forschung aktuell – DLF Köln Blutfette sagen Krebs voraus / Der Klimawandel verschiebt die geographischen Pole, ca. 25 Min. 17.05 Forum – SWR 2 Wer zahlt den Atomausstieg?, ca. 45 Min. 17.35 Kultur heute – DLF Köln „Plasters“ – die große Henry Moore-Retrospektive im Skulpturenpark Wuppertal ca. 25 Min. 17.45 Politikum – WDR 5 Darin: Bargeldlose Zukunft?, ca. 15 Min. 18.05 Der Tag – HR 2 Tolle Geschichte, oder? Die Panama Papers und die Folgen, ca. 55 Min. 18.05 IQ – Wissenschaft und Forschung – BR 2 U.a.: Gefährliches Schmerzmittel. Warum Fentanyl tödlich sein kann, ca. 25 Min. 19.05 Zündfunk – BR 2 Die Situation der Sinti und Roma, ca. 55 Min. 19.15 Andruck – DLF, SR 2 U.a.: Garance Le Caisne: Codename Caesar. Im Herzen der syrischen Todesmaschinerie ca. 45 Min. 19.30 Feature – DKultur Einschüchtern, isolieren, zermürben. Wie Arbeitnehmervertreter aus Unternehmen gedrängt werden, ca. 30 Min. 20.30 Das Forum – NDR Info Frauen auf der Flucht – der schwere Weg nach Europa, ca. 20 Min. 21.05 Theo.Logik – BR 2 Erotik-, Selfie- und Star-Wars-Gottesdienste Muss sich die Kirche zum Affen machen? ca. 55 Min. 22.03 Essay – SWR 2 Bilderverbote in Philosophie, Literatur und Kunst, ca. 57 Min.

LESUNG 8.30 Am Morgen vorgelesen – NDR Kultur Pierre Jarawan: „Am Ende bleiben die Zedern“ (1/10), ca. 30 Min. 9.05 Lesezeit – MDR Figaro Bruno Frank: „Cervantes“ (3/20), ca. 40 Min. 9.30 Lesezeit – HR 2 Frankfurt liest ein Buch: Dieter David Seuthe: „Frankfurt verboten“ (1), ca. 30 Min.

Wirtschaft

FRANKFU RT ER A L LG EM E I NE Z E I TU NG

M O N TAG , 1 1 . A PR I L 20 1 6 · N R . 8 4 · S E I T E 17

Streit über Bonuszahlungen für VW-Vorstände F.A.Z. FRANKFURT, 10. April. Die Mission ist heikel. Wenn an diesem Montag die sechs Personen des Aufsichtsratspräsidiums von Volkswagen zusammenkommen, geht es um die Bonuszahlungen an die Vorstände des Konzerns. Millionensummen stehen im Raum, obwohl das Jahr 2015 eine Katastrophe für den Autohersteller war. Die 120 000 Mitarbeiter im VW-Haustarif haben keinen Anspruch auf ihre gewohnte Erfolgsbeteiligung. Die Aktionäre müssen sich auf eine drastisch zusammengestrichene Dividende einstellen. Doch für die aktuellen und ehemaligen Vorstände, darunter auch der ausgeschiedene Vorstandsvorsitzende Martin Winterkorn, gelten andere Regeln. Ihre Vergütungen orientieren sich nicht an kurzfristigem Erfolg – und damit auch nicht am Misserfolg. Für sie werden mehrjährige Betrachtungen zu Rate gezogen. Der Aufsichtsrat ist sich jedoch der verheerenden Signale bewusst, die üppige Bonuszahlungen in der Öffentlichkeit auslösen würden. Sie werden schließlich auch Erfolgsbeteiligung genannt, aber dem Konzern drohen wegen des Abgasskandals Milliardenstrafen, und viele Kunden sind verärgert. Das Einsehen der Vorstände scheint jedoch kaum vorhanden. Ein kompletter Verzicht gilt als ausgeschlossen. Matthias Müller, im September von Porsche an die VW-Spitze gewechselt, will dem Vernehmen nach aber einen Verzicht auf 30 Prozent der Ansprüche vorschlagen. (Winterkorn lässt VW-Präsidium zappeln, Seite 23.)

hig. KRONBERG, 10. April. Die wachsende öffentliche Kritik an der Nullzinspolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) aus Deutschland treibt auch Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) um. Auf dem Treffen der Finanzminister und Notenbankchefs der 20 wichtigsten Industrie- und Schwellenländer (G 20) Ende dieser Woche in Washington will Schäuble für einen Ausstieg aus der extrem lockeren Geldpolitik werben. Das sagte Schäuble am Freitagabend auf einer Veranstaltung der Stiftung Marktwirtschaft zu seinen Ehren. Er habe gerade mit dem amerikanischen Finanzminister Jack Lew telefoniert und ihm gesagt: „Ihr solltet die Federal Reserve ermutigen, und wir die Europäische Zentralbank und die Bank of England ermutigen, mit den Amerikanern im Geleitzug, aber doch langsam rauszugehen.“ Man müsse bei Drogenabhängigen behutsam rausgehen. Nach Schäubles Ansicht sind auch die Amerikaner inzwischen „hochbesorgt“ über die Volatilität an den Finanzmärkten, die durch die extrem lockere Zinspoli-

Wertvolle Ansprüche: Dem ehemaligen VW-Vorstandsvorsitzenden Martin Winterkorn stehen weiter hohe Boni zu.

Foto dpa

tik der großen Notenbanken entstanden ist. Die Einsicht wachse, dass das „Übermaß der Liquidität inzwischen mehr Ursache als Lösung des Problems“ sei. Zur Verteidigung des ökonomischen Mainstreams, der diese Geldpolitik stützt, gebe es aber nur das Argument, dass der Ausstieg aus der Niedrigzinspolitik noch schwerer werde als die Beibehaltung. Schäuble hätte sich auch gewünscht, „dass die Fed etwas mehr Mut gehabt hätte mit dem Ausstieg aus der ungewöhnlichen Geldpolitik“. Die amerikanische Notenbank hat vor einigen Monaten nach langem Zögern mit einer kleinen Zinserhöhung die Wende eingeleitet. Weitere Schritte lassen aber auf sich warten. Mit Blick auf die deutschen Vorwürfe an die EZB und deren Präsidenten Mario Draghi warnte er, die Unabhängigkeit der EZB sei ein hohes Gut. Er verteidige Draghi nicht. Aber „wenn wir nun den Fehler machen, die Unabhängigkeit der EZB in Deutschland anzugreifen, wären die Schäden größer als der Nutzen“, sagte der Minister, aus dessen Fraktion ebenfalls Unmut laut wird. Die Deutschen seien für die Unabhängigkeit der EZB eingetreten. „Dann muss man ihre Entscheidungen auch akzeptieren, wenn sie einem nicht gefallen. Die Unabhängigkeit der EZB in Frage zu stellen, halte ich nicht für klug.“ Er wies darauf hin, dass das Inflationsziel von „unter, aber nahe 2 Prozent“, das die EZB seit drei Jahren verfehlt, von deren einstigem deutschen Chefvolkswirt Otmar Issing durchgesetzt wurde. Obwohl die niedrigen Zinsen den Haushalt stark entlasten und maßgeblich dazu beitragen, dass der Finanzminister diese

Wahlperiode wohl keine neuen Schulden machen muss, versicherte Schäuble, ihm seien höhere Zinsen lieber als niedrige. Sein Augenmerk gilt den vom fehlenden Zins ausgehenden Fehlanreizen für private Vorsorge. Aus dieser Sicht gelte: „3 Prozent Zins bei 3 Prozent Inflation ist nicht dasselbe wie 0 Prozent Zins bei 0 Prozent Inflation.“ Schäuble zog auch eine Linie von der Niedrigzinspolitik der EZB zum Erstarken der AfD. Er habe Draghi gesagt, er könne „stolz“ sein – die Hälfte ihres Wahlergebnisses könne er der Auslegung seiner Geldpolitik zuschreiben. Draghi sucht nun das Gespräch mit Schäuble, um zu diskutieren, wie den Attacken zu begegnen sei. Den Angriffen aus der Versicherungswirtschaft und den Sparkassen hat sich jetzt für die privaten Banken der künftige Präsident des Bankenverbands, Hans-Walter Peters, angeschlossen. Er sagte der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung, der Negativzins bestrafe Banken, die hohe Liquiditätsreserven halten. „Das wäre an und für sich gesund. Insofern wird die Stabilität des Finanzsystems durch die EZB bedroht.“ Schäuble sagte, er sei diese Woche mit Draghi verabredet, „um zu überlegen, wie man in Deutschland der Kritik an der EZB entgegenwirken kann“. Seiner Meinung nach könnten die niedrigen Zinsen nur ein vorübergehendes Phänomen sein. Sehr skeptisch äußerte sich der Minister auch über die Ansiedelung der Bankenaufsicht der Euroländer in der EZB. Das sei wegen der möglichen Interessenkonflikte zwischen Geldpolitik und Aufsicht „hochproblematisch“. „Ich sehe die ,Chinese Walls‘ nicht zwischen Bankenaufsicht und EZB“, sagte Schäuble. Aber alle anderen

Lösungen hätten eine einstimmige Änderung der EU-Verträge erfordert. Schäuble wurde in Kronberg mit dem Wolfram-Engels-Preis der privaten Stiftung Marktwirtschaft ausgezeichnet für seine Verdienste um die Konsolidierung der Staatsfinanzen und sein Bemühen, im Euroraum das Haftungsprinzip zu wahren. Der neue Präsident des Ifo-Instituts, Clemens Fuest, lobte Schäuble als „überzeugten Europäer, der auch bereit ist, aufzustehen und sich bei Freunden und Partnern unbeliebt zu machen“. Trotz mancher Fortschritte zum Beispiel mit der Bankenunion, sei die Governance im Euroraum problematisch. Die Schuldenaufsicht in Brüssel „ist eher ein Meinungsaustausch als Kontrolle“, kritisierte Fuest. Der Freiburger Ökonom Lars Feld nannte Schäuble den „ordnungspolitischen Anker im Kabinett“. Der Gelobte ließ freilich durchblicken, wie begrenzt sein Einfluss in der Koalition ist. Entscheidungen würden zunehmend allein von den Parteivorsitzenden getroffen. So sei er gegen die Kaufprämie für Elektroautos. Hier drehe sich ihm der Magen um. „Was sind das für Leute in der Autoindustrie?“, fragte der Minister erbost. An der Kaufzurückhaltung bei Elektroautos werde eine Prämie nichts ändern. „Die Interessenvertretung der Wirtschaft ist kein Ruhmesblatt in der Ordnungspolitik“, schrieb er den versammelten Unternehmern, Ökonomen und Bankern ins Stammbuch. Aber als Minister lege man sich nur eine bestimmte Zeit mit seinem Parteichef an. Manchmal sei er zwar überrascht, was er sich leiste, sagte der Minister augenzwinkernd. Aber: „Ich bin nicht der Diktator der Bundesregierung.“

Deutschland setzt Länder wie Panama unter Druck Zehn-Punkte-Plan gegen Steuerhinterziehung und Geldwäsche vorgelegt mas. BERLIN, 10. April. Finanzminister Wolfgang Schäuble hat einen Zehn-Punkte-Plan zur Bekämpfung von Geldwäsche und Steuerhinterziehung auf globaler Ebene erarbeitet. Der CDU-Politiker will Länder wie Panama, aber auch Banken und Berater unter Druck setzen, die noch in großem Umfang Geschäfte mit Briefkastengesellschaften machen. Kern des Konzepts ist ein weltweites Register der wirtschaftlich Berechtigten solcher Firmen, „um die Hintermänner von Unternehmenskonstruktionen transparenter zu machen“, heißt es in seinem Aktionsplan. Kombinieren will Schäuble dies mit einer Ausweitung des Informationsaustauschs: „Einhundert Staaten sind nicht genug.“ Wenn alle Länder und Jurisdiktionen mitmachten, erhielten die Finanzbehörden den vollen Durchblick: Am Ende stünde der gläserne Firmeninhaber. Ergänzend plant der Ressortchef unter der Überschrift „Steuerbetrug, trickreiche Steuervermeidung und Geldwäsche konsequent bekämpfen“ eine drastische Verschärfung des Steuerstrafrechts. Seit bekanntwurde, dass die panamaische Kanzlei Mossack Fonseca in mehr als 200 000 Fällen geholfen haben soll, Briefkastenfirmen zu gründen, dringt der deutsche Minister darauf, den internatio-

Der Verbotsminister

Von Heike Göbel

Von Joachim Jahn

ür die politische Unabhängigkeit eutschland schreitet voran auf F D der Europäischen Zentralbank dem Weg in einen bevormundenhat sich Deutschland bei der Grün- den „Nanny-Staat“. Ernährungsminis-

Schäuble will höhere Zinsen Der Finanzminister sagt, die Zeit der extrem lockeren Geldpolitik müsse enden. Mit EZBPräsident Draghi will er Antworten auf die heftige Kritik suchen.

Reden und hoffen

nalen Druck auf das kleine Land zu erhöhen. „Wenn Panama nicht rasch kooperiert, werden wir dafür eintreten, bestimmte in Panama getätigte Finanzgeschäfte international zu ächten.“ Das Land müsse möglichst rasch dem automatischen Informationsaustausch in Steuersachen beitreten. Auch müsse es sein Gesellschaftsrecht so weiterentwickeln, dass inaktive und substanzlose Gesellschaften und deren Gesellschafter identifiziert werden könnten. Dazu soll die OECD Kriterien entwickeln. „Wir müssen unterscheiden können zwischen unschädlichen leeren Firmenmänteln und sogenannten Briefkastengesellschaften.“ Schäuble will seinen Plan Ende dieser Woche in Washington vorstellen. Das Konzept soll er in engem Kontakt mit europäischen Partnern und der Industrieländerorganisation OECD entwickelt haben. Wie bei der Initiative gegen aggressive Steuergestaltung internationaler Konzerne hofft er auf eine gemeinsame Initiative mit seinen europäischen Amtskollegen, nicht zuletzt den Ministern aus Frankreich und Großbritannien, Michel Sapin und George Osborne. Die OECD soll nach Schäubles Vorstellungen eine zentrale Rolle bei der Erarbeitung einer einheitlichen „schwarzen Lis-

Preisbremse für Arznei Die Regierung will Verbraucher vor Mondpreisen für neue Medikamente schützen. Seite 19

te“ spielen, auf der Länder geführt werden, die beim Kampf gegen Geldwäsche und Steuerhinterziehung nicht mitmachen. Möglichst alle Staaten sollen sich am Informationsaustausch beteiligen. Dazu müssten die ehrlichen Staaten den Druck erhöhen: „Es darf sich nicht mehr lohnen, eine Heimat für Schwarzgeld zu bieten.“ Das „Global Forum“ der OECD sollte die konsequente Umsetzung des Austauschs überwachen und wirksame Sanktionen für nachlässige oder nicht kooperierende Staaten entwickeln. Eine entsprechende Feststellung wäre dann auch eine Rechtsgrundlage für nationale Abwehrmaßnahmen. Um die Hintermänner von Briefkastengesellschaften identifizieren zu können, sollen in jedem Land Register aufgebaut werden, wie es Europa derzeit mit der vierten Anti-Geldwäsche-Richtlinie vereinbart hat. Nicht nur neue, sondern auch bestehende Firmen sollen flächendeckend erfasst werden. Die nationalen Verzeichnisse sollten miteinander vernetzt werden. Einheitliche Standards sollten dafür zügig entwickelt werden. „Zudem brauchen die Steuerverwaltungen Zugriff auf dieses Geldwäscheregister.“ Die Informationen sollten Nichtregierungsorganisationen und Fachjournalisten offenstehen

Bekanntes Flugobjekt gelandet Eine Rakete ist unbeschadet aus dem Weltraum zurückgekehrt – ein Meilenstein der Raumfahrt. Seite 22

können. „Umgekehrt erwarten wir, dass diese Nichtregierungsorganisationen und Journalisten die Ergebnisse ihrer Recherchen auch den zuständigen Behörden zur Verfügung stellen.“ Auch Unternehmen und Finanzinstitute nimmt Schäuble in den Blick. „Wir werden dafür sorgen, dass Banken und Berater die Rechtsrisiken aus dem Anbieten oder Vermitteln solcher Modelle künftig nicht mehr eingehen wollen“, heißt es drohend. Man brauche für Unternehmen schärfere Verwaltungssanktionen. Eine wirksame strafrechtliche Verfolgung von Fehlverhalten scheitere oft am Nachweis persönlichen Verschuldens. Schließlich sollen Steuerhinterzieher nicht länger hoffen können, dass ihre Taten verjähren: Schäuble plant eine generelle „Anlaufhemmung“. Die Verjährung soll erst beginnen, wenn ein Steuerpflichtiger seinen Meldepflichten für Auslandsbeziehungen nachgekommen ist. Bisher gibt es eine solche Anlaufhemmung nur für bestimmte Kapitalerträge außerhalb Europas, zudem endet diese spätestens nach zehn Jahren. Sie soll nun erheblich verschärft werden, denn von einer Frist ist nicht mehr die Rede. Bisher wurden in Deutschland nur für Mord und Völkermord die Verjährungsfristen aufgehoben. (Amerikas eigene Steueroase, Seite 20.)

Der zweite Musk Der Bruder des Tesla-Gründers ist auch erfolgreich. Er steckt sein Geld in etwas ganz anderes. Seite 24

dung der Währungsunion eingesetzt wie kein anderes Land. Am Ende war man stolz darauf, dass die EZB formal unabhängiger wurde als die hochgeschätzte Bundesbank. Nun ist das Unbehagen über die geldpolitische Festung am Main groß, in der Präsident Mario Draghi ohne Rücksicht auf die Befindlichkeiten deutscher Sparer und Banken herrscht. Das öffentliche Maß ist voll, seit die EZB selbst den Schlüsselzins auf null gesetzt und die Strafzinsen erhöht hat, mit denen sie Banken zwingen will, überschüssiges Geld nicht bei der Notenbank zu halten, sondern an Investoren zu verleihen. Auch diese Kosten spüren die Sparer. Wie sehr dies die Bundesregierung umtreibt, zeigen die freimütigen Äußerungen ihres Finanzministers. Wolfgang Schäuble wagt sich rhetorisch weit vor, doch mehr als reden und hoffen bleibt ihm nicht – solange die EZB ihren Auftrag, die Sicherung der Preisstabilität bei 2 Prozent, nicht verletzt. Juristisch ist Draghi bisher mit seiner unerträglich weiten Auslegung der Handlungsspielräume durchgekommen. In einer Währungsunion gilt ebender alte Spruch: mitgegangen, mitgefangen . . .

ter Schmidt (CSU) will der Tabakreklame gänzlich den Garaus machen, sein Justizkollege Maas (SPD) „sexistische“ Werbung unterbinden. Maas will keineswegs nur pornographieähnliche Plakate verbieten. Selbst ein Slogan wie „Auch Männer haben Gefühle: Durst“ sind nach Ansicht eines von Genossen dominierten Verbands künftig unzulässig. Die Sprach- und Denkpolizei lässt grüßen. Bemerkenswert ist, wie sehr sich ausgerechnet ein linker Sozialdemokrat, der sonst eher die Freiheit des Bürgers vor der Obrigkeit propagiert, zum Vorreiter bei immer neuen Verbots- und Strafgesetzen aufschwingt. So bei der stärkeren Kriminalisierung von Doping und Wettbetrug. Nach der Kinderpornoaffäre eines Parteifreundes hat er „bloßstellende Bilder“ so weitgehend verboten, dass dies ahnungslose Partyfotografen treffen kann. Und mit Blick auf die Ereignisse in der Kölner Silvesternacht will Maas den Straftatbestand der Vergewaltigung drastisch ausweiten. Das Verbot „geschlechterdiskriminierender Werbung“ hatte der SPD-Parteivorstand übrigens aus demselben Anlass zum Programm erhoben.

Zweckgemeinschaft Bankenverband Von Markus Frühauf s gibt eigentlich mehr als drei SäuE len in der deutschen Bankenlandschaft, wenn man genauer auf die privaten Banken blickt. Die Interessen von Großbanken, Häusern mit ausländischen Eigentümern und kleinen Regionalbanken sind oft sehr unterschiedlich. Ihnen fehlt die Klammer, die Sparkassen und Volksbanken eint. In der Sparkassengruppe sorgen die öffentlich-rechtlichen Eigentümer, bei den Volksbanken das genossenschaftliche Prinzip für die Bindung. Dagegen erinnert der Bundesverband deutscher Banken (BdB), der die privaten Häuser unter seinem Dach versammelt, an eine Zweckgemeinschaft. An diesem Montag wird Hans-Walter Peters, der Chef der Hamburger Privatbank Berenberg, neuer Bankenpräsident. Er löst Jürgen Fitschen ab, den noch bis Mitte Mai amtierenden Ko-Vorstandsvorsitzenden der Deutschen Bank. Deren Bilanzsumme ist fast 350 Mal so groß wie die der 1590 gegründeten ältesten deutschen Privatbank Berenberg Das verdeutlicht, welche unterschiedlichen Institute der Bankenverband vertreten muss. Eine Gemeinsamkeit, die beide derzeit verbindet, ist alles andere als erfreulich: Beide Häuser wurden in den Enthüllungen der „Panama-Papiere“ an vorderster Stelle bei der Vermittlung von Briefkastenfirmen genannt. Mit Skandalen musste der Bankenverband in den vergangenen Jahren öfters umgehen. Das lag daran, dass an der Verbandsspitze ein prominenter Vertreter der Deutschen Bank stand. An Fitschen sind die vielen Rechtsprobleme nicht spurlos vorüber gegangen. Er steht noch immer in München vor Gericht, weil ihm mit anderen früheren Führungskräften Betrug im Kirch-Prozess vorgeworfen wird. Doch Vertreter aus anderen privaten Banken behandeln Fitschen mit Nachsicht. Sie halten ihm zugute, dass er die unterschiedlichen Lager im Bankenverband nicht noch weiter auseinanderdriften ließ. Dazu dürfte auch beigetragen haben, dass die Streitereien zwischen den beiden wichtigsten Mitgliedern, Deutsche Bank und Commerzbank, abgeklungen sind. Als Josef Ackermann für die Deutsche Bank und Klaus-Peter Müller oder Martin Blessing für die Commerzbank im Vorstand des Verbandes saßen, war es rauher zugegangen. Die Deutsche Bank hatte sich damals an der staatlichen Rettung der privaten Commerzbank gerieben, was diese zu Retourkutschen veranlasst hatte. Ein Streit zwischen den wichtigsten Beitragszahlern kann den Verband lähmen. Unter Fitschen und seinem Hauptgeschäftsführer Michael Kemmer haben sich die privaten Banken jedoch nach außen überraschend einig darstellen können. Unter den Großbanken gibt es auch wieder mehr gemeinsame Interessen. Doch innerhalb des Verbands bestehen die Gegensätze fort. Sie können durch die Heraus-

forderungen aus Digitalisierung, Regulierung und niedrigen Zinsen rasch wieder offen zutage treten. Nun verlaufen die Konfliktlinien vor allem zwischen groß und klein. Das zeigt sich in der gemeinsamen Einlagensicherung. Die kleinen Institute sind auf den Bankenverband angewiesen. Doch den Großbanken wird die freiwillige Einlagensicherung zu teuer. Der Schutz von Kundengeldern oberhalb der gesetzlichen Garantie von 100 000 Euro betrifft vor allem das Geschäft mit institutionellen Kunden, also Kommunen oder Unternehmen. Der jüngste Schadensfall der über das Dividendenstripping gestol-

Die privaten Banken müssen die Interessen deutscher Sparer in Europa verteidigen. perten Maple Bank kostete 2,6 Milliarden Euro, die an institutionelle Kunden flossen. Es gibt im Bankenverband Bestrebungen, die Garantien für institutionelle Kunden zu senken. Als wichtigste Beitragszahler schützen Deutsche Bank und Commerzbank Einlagen von Wettbewerbern – und stärken diese so im Geschäft mit Großkunden. Ohne diesen Schutz können die kleinen privaten Banken in der Konkurrenz um Unternehmen gegenüber Sparkassen oder Volksbanken nicht bestehen. Deren Verbünde versprechen den vollen Schutz der Einlagen. Die Größenunterschiede schlagen sich auch in der Aufsicht nieder. Die Großbanken werden von der Europäischen Zentralbank (EZB) überwacht. Für die kleinen Banken sind weiterhin die deutschen Aufseher Bafin und Bundesbank zuständig, auch wenn die EZB die Vorgaben definiert. An der Spitze des Bankenverbandes wird mit Peters der Vertreter eines Hauses stehen, das nicht von der EZB beaufsichtigt wird. Der Bedeutungsverlust des Verbandes zeigt sich daran, dass die Großbanken gegenüber der EZB zunehmend eigene Unterhändler einsetzen. Eine stärkere Rolle spielt auch der Europäische Bankenverband EBF, der seit kurzem mit einem Büro in Frankfurt am EZB-Sitz Flagge zeigt. Peters muss beweisen, dass eine nationale Interessenvertretung in Zeiten einer europäischen Bankenaufsicht noch sinnvoll ist. Es ist erfreulich, dass ihn der neue Deutsche-BankChef John Cryan im Vorstand des Verbandes unterstützen wird. Aus Sicht der Kunden gibt es deutsche Interessen, die private Banken zusammen mit Sparkassen und Volksbanken in Europa verteidigen müssen. Denn den Brüsseler Versuch, die Einlagensicherung in Europa und damit die Bankrisiken zu vergemeinschaften, lehnen alle deutschen Sparer ab.

SE IT E 18 · M O N TAG , 1 1 . A P R I L 2 0 1 6 · N R . 8 4

Wirtschaft

F R A N K F U RT E R A L LG E M E I N E Z E I T U N G

Europlatz Frankfurt

DER BETRIEBSWIRT

Rückkehr einer alten Gefahr

Die Nadel ohne den Heuhaufen

Von Holger Schmieding eschichte wiederholt sich nicht. Aber manchmal klingt im aktuelG len Geschehen doch ein Echo vergange-

Transparente Kapitalmarktkommunikation in Zeiten der Informationsüberflutung kann nicht heißen: immer mehr. Man muss den Geschäftsbericht eher entschlacken. Von Ralf Thomas aron Fürstenberg hatte mit seinem berühmten Bonmot Unrecht: Aktionäre sind weder „dumm“ noch „dreist“. Sie sind intelligent, kennen ihre Rechte und haben Zugriff auf eine Vielzahl von Informationsquellen. Unternehmen müssen sich bei den Anlegern Gehör verschaffen, nicht umgekehrt. Das wird immer schwieriger. Die Digitalisierung hat nicht nur ein Überangebot an Musik, Bildern und Filmen mit sich gebracht, sondern auch an Informationen über Unternehmen. Investoren stehen vor derselben Qual der Wahl wie Musikliebhaber oder Cineasten. Die Frage lautet nicht länger: „Wie und wann gelange ich an die nötigen Informationen?“, sondern: „Welchen Informationen soll ich meine Aufmerksamkeit widmen und welchen kann ich trauen?“ Zugleich belegen Studien, dass die Aufmerksamkeitsspanne der Menschen abnimmt, während die Informationsfülle zunimmt. Sowohl die Standardsetter, die vorgeben, wie viel Informationen Unternehmen bereitstellen müssen, als auch die Unternehmen müssen unter diesen Bedingungen Transparenz für die Adressaten gewährleisten. Kapitalmarktinformationen müssen heute und zukünftig vor allem übersichtlich, verständlich und zielgruppengerecht sein. Aber nicht nur die Empfänger der Information haben die Aufgabe, für sich Relevantes aus der Fülle der Informationen herauszuarbeiten, sondern auch die Sender sind mehr denn je gefragt, adressatengerecht zu kommunizieren. Die Unternehmen setzen dazu heute eine Vielzahl von Instrumenten ein, um sämtliche Kommunikationserfordernisse abzudecken. Längst vorbei sind die Zeiten, in denen Investoren einmal im Jahr auf den Geschäftsbericht der Unternehmen angewiesen waren, der ihnen als Hauptinformationsquelle für ihre Anlageentscheidungen diente. Inzwischen gibt es einen konstanten Informationsfluss, durch den Anleger, Analysten und Journalisten rund um die Uhr eine Vielzahl immer umfangreicherer Pakete an Informationen über Unternehmen erhalten. Infolgedessen hat sich auch die Rolle des Geschäftsberichts geändert. War er früher ein, wenn nicht der zentrale Baustein der Kapitalmarktkommunikation, ist er heute nur noch eines von vielen Instrumenten. Dennoch ist der Umfang der Geschäftsberichte vieler Unternehmen in den letzten Jahren erheblich angestiegen. Die Gründe reichen von einer Vielzahl an neuen regulatorischen Vorgaben, die im Zuge verschiedener Unternehmens-, Wirtschafts- und Finanzkrisen verabschiedet wurden, bis hin zum Versuch, ein möglichst breites Spektrum an Adressaten mit einem einzigen Bericht zu bedienen. Die Folge: Adressaten haben es zunehmend schwerer, wesentliche von unwesentlichen Informationen zu unterscheiden. Siemens hatte sich daher schon im Geschäftsjahr 2015 zum Ziel gesetzt, basierend auf den gegenwärtig einschlägigen Regelungen, aktiv den Trend umzukehren. Durch die Fokussierung auf vor al-

ner Zeiten mit. Die große Depression ab 1929 läutete einen Aufstieg radikalster Nationalpopulisten ein, der in der von Deutschland angezettelten Katastrophe der Jahre 1939 bis 1945 endete. Zum anhaltenden Elend, dem Nährboden der Radikalpopulisten, hatten zwei politische Kardinalfehler beigetragen. Zum einen hatte die Fed nach der Finanzkrise von 1929 einen Einbruch der Geldmenge zugelassen, statt energisch gegenzusteuern. Die Analyse dieses Fehlers machte Milton Friedman später zum Gründervater des Monetarismus. Zum anderen hatten die Vereinigten Staaten mit den „Smoot-Hawley-Zöllen“ von 1930 eine Protektionsspirale in Gang gesetzt und so den Wachstumsmotor Welthandel schwer beschädigt. Den ersten Fehler hat die Geldpolitik nach dem Finanzinfarkt vom September 2008 vermieden, auch wenn die Europäische Zentralbank ein derart mickriges Wachstum der Geldmenge M3 toleriert hat, dass unser Wiederaufschwung auch deshalb störanfällig und wacklig geblieben ist. Seit die EZB Anfang 2015 zur klassischen Offenmarktpolitik mit dem Ankauf von Anleihen auf dem offenen Markt übergegangen ist, hat der Zuwachs der Geldmenge M3 das angemessene Tempo von rund 5 Prozent erreicht. Auch vor dem zweiten Fehler war die Wirtschaftspolitik auf beiden Seiten des Atlantiks bisher auf der Hut. Trotz schmerzhafter Wirtschaftsprobleme sind wir nach der Finanzkrise von 2008 nicht der protektionistischen Versu-

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Illustration Peter von Tresckow

lem entscheidungsrelevante Informationen konnte der Umfang der Finanzberichte deutlich verringert, zugleich aber die Transparenz erhöht werden. Dazu wurde ein Bündel an Maßnahmen eingesetzt. Allein der Finanzteil des Geschäftsberichts konnte um mehr als 100 Seiten gekürzt werden. Viele der nicht mehr enthaltenen Angaben, darunter die Mehrjahresübersicht zu einigen Kennzahlen, werden nun hauptsächlich über andere geeignete Kanäle, vor allem den Internetauftritt, bereitgestellt. Die Reaktion darauf war bei nahezu allen Adressatengruppen positiv. Doch der Ansatz von Unternehmensseite, die Informationen, die bereitgestellt werden müssen, zu bündeln oder auf verschiedene Kommunikationskanäle zu verteilen, ist nur ein Weg, um sie im Sinne der Adressaten verständlicher und zugänglicher zu machen. In einem weiteren Schritt gilt es auch da anzusetzen, wo entschieden wird, welche Informationen in welchem Umfang offengelegt werden sollen: bei den Standardsettern und Regulatoren. Vorab sei unmissverständlich gesagt, dass die Existenz von strengen Rechnungslegungsstandards und Offenlegungspflichten per se zweifelsohne Errungenschaften sind, an die es in jedem Falle festzuhalten gilt. Doch auch hier muss man immer wieder aufs Neue abwägen, ob einzelne Standards tatsächlich zu der gewünschten Transparenz beitragen oder gar das Gegenteil bewirken. Denn die Zunahme an Regelungen hat zu einem Phänomen geführt, das in Fachkreisen als „Disclosure Overload“ bezeichnet wird. Auch die Standardsetter und Regulatoren haben dies mittlerweile erkannt und erste Initiativen gestartet, die sich mit Lösungsansätzen dieser Fra-

gestellung beschäftigen. Allerdings haben zahlreiche Projekte der Standardsetter in den vergangenen Jahren gezeigt, dass sie sich lange hinziehen und häufig mit einer Einigung auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner enden. Um dem „Disclosure Overload“ entgegenzuwirken, muss der regulatorische Rahmen angepasst werden. Es wäre wünschenswert, wenn Politik und Standardsetter eine zukünftige Entwicklung in diesem Sinne begleiten würden. Hier sind drei Beispiele, wo ein Umdenken stattfinden muss: 쐍 Neue beziehungsweise überarbeitete Vorschriften sollten wirklich prinzipienorientierte Vorgaben statt zahlreiche Einzelfallregelungen enthalten, welche die Interpretation der bereitgestellten Informationen auch ohne umfangreiche zusätzliche Angaben in Form von „Fußnoten“ ermöglichen. 쐍 Die Zusammenarbeit der nationalen und internationalen Standardsetter und Regulatoren muss deutlich intensiviert werden. Gleich mehrere Institutionen machen den Unternehmen Vorgaben, was teils zu erheblichen Redundanzen führt. So werden deutsche Regelungen zur Verwendung von Leistungskennzahlen im Konzernlagebericht, die in den Rechnungslegungsstandards nicht definiert sind, durch neue Vorgaben auf europäischer Ebene erweitert. 쐍 Eine stringente Abwägung von Kosten und Nutzen einer Vorschrift sollte nicht nur vor der Einführung einer neuen Angabe, sondern regelmäßig auch einige Jahre danach stattfinden. Die Welt ändert sich laufend, viele Produkte und Prozesse veralten immer schneller und werden nicht mehr benötigt. Auch bei Bilanzierungsstandards und anderen Offenlegungsvor-

schriften sollte regelmäßig überprüft werden, ob die Vorschriften noch zeitgemäß sind. Ein weiterer Punkt, der zu mehr Transparenz führen soll, wird noch dieses Jahr durch die nationale Umsetzung der EUAbschlussprüferreform eingeführt: die Erweiterung des Bestätigungsvermerks um sogenannte Key Audit Matters. In diesem neuen Abschnitt hat der Wirtschaftsprüfer künftig nicht nur darzustellen, was er geprüft hat, sondern wie und welche Prüfungsfelder besonders viel Aufmerksamkeit bedurften. Hier lohnt ein Blick nach Großbritannien oder in die Niederlande, wo der erweiterte Bestätigungsvermerk bereits zum Einsatz kommt. Je nach bilanzierendem Unternehmen und Wirtschaftsprüfungsgesellschaft sind große Differenzen im Detailgrad der Erläuterung der Prüfungshandlungen festzustellen. Insbesondere bei den ausführlichen Erläuterungen erschließt sich nicht immer unmittelbar, warum die Ausführungen so detailliert sind, da zahlreiche dargestellte Prüfungshandlungen für den Laien wenig verständlich und den Experten selbstverständlich erscheinen. Die Erweiterung des Bestätigungsvermerks ist als weiterer Beitrag zur Steigerung der Transparenz zu begrüßen, sollte sich aber auf die wirklich wesentlichen Informationen beschränken. Vertrauen ist das höchste Gut der erfolgreichen Kapitalmarktkommunikation. Aspekten der aktuellen Kapitalmarktkommunikation und den neuen Anforderungen an das Zusammenspiel von Aufsichtsrat, Vorstand und Wirtschaftsprüfer widmet sich die Schmalenbachtagung der Schmalenbach-Gesellschaft für Betriebswirtschaft am 28. April in Köln. Ralf P. Thomas ist Finanzvorstand der Siemens AG.

Revenue Management heißt die in der Luftfahrt erfolgreich angewandte Methode / Von Danilo Zatta

W

Der Autor ist Chefvolkswirt bei Berenberg.

WIRTSCHAFTSBÜCHER

Mehr Gewinn durch Preis- und Kapazitätssteuerung ie können Unternehmen bei Nachfrageschwankungen bessere Preise erzielen und dabei Kapazitäten optimal auslasten? Die Antwort auf diese Frage lautet Revenue Management (RM). Revenue Management umfasst eine Reihe von quantitativen Methoden zur Entscheidung über Annahme oder Ablehnung unsicherer, zeitlich verteilt eintreffender Nachfrage unterschiedlicher Werthaltigkeit. Ziel ist es, in einem begrenztem Zeitraum verfügbare, unflexible Kapazität durch Preismanagement so effizient wie möglich zu nutzen – mit dem Ziel der Erlösmaximierung. RM wird bereits erfolgreich in der Luftverkehrsindustrie eingesetzt. So konnte die Lufthansa in nur einem Jahr durch Revenue Management 105 Millionen Euro an zusätzlichem Ertrag erwirtschaften. Bisher galt jedoch Revenue Management als unerforscht, wenn es um Anwendungen im produzierenden Gewerbe ging. Die Technischen Universität München in Zusammenarbeit mit der Unternehmensberatung Simon-Kucher & Partners hat jetzt die Anwendung von RM in der Prozessindustrie erforscht. Hierbei wurden mehr als 600 Manager aus Europa und Nordamerika befragt. Wiederholt

chung erlegen. Leider droht sich dies zu ändern. Viele Briten lehnen heute eine der vier Grundfreiheiten des Gemeinsamen Marktes, die Freizügigkeit für Arbeitnehmer, derart vehement ab, dass ein britisches Votum gegen den Verbleib in der Europäischen Union am 23. Juni möglich geworden ist. Wir sehen ein Risiko von 35 Prozent für einen Brexit. Schlimmer noch: Ein Brexit könnte all den Populisten am linken und rechten Rand in anderen EULändern Auftrieb geben, die in der Wirtschaftsfreiheit innerhalb der EU statt der Basis unseres Wohlstandes vor allem ein kapitalistisches Übel sehen. Selbst in Amerika gerät die wirtschaftliche Vernunft in die Defensive. Vor den Wahlen geben Protektionisten immer mehr den Ton an. Auf republikanischer Seite möchte Spitzenreiter Trump gemäß manch wirrer Aussage bei einem Einzug ins Weiße Haus als Erstes einen Handelskrieg mit China und Mexiko anzetteln. Auf demokratischer Seite setzt Linkspopulist Sanders der Favoritin Clinton derart zu, dass auch die ohnehin nur sehr begrenzt liberale Clinton kaum noch ein gutes Wort für freien Handel findet. Im Kongress erfreuen sich Protektionisten regen Zulaufs. Ob das geplante Freihandelsabkommen mit Europa jemals abgeschlossen werden kann, ist eine offene Frage. Stattdessen droht selbst bei einem Wahlsieg gemäßigter Kräfte eher eine protektionistische Tendenz. Gerade für das weltoffene Europa wäre das eine Gefahr, die den verhaltenen Aufschwung dämpfen und damit auch die Geldpolitik vor neue Probleme stellen könnte.

wurde von den Befragten ausgeführt, dass durch Revenue Management erzeugtes Umsatzwachstum auch unmittelbar zu Ertragswachstum führe. Als Begründung wurden das Setzen von höheren Preisen für Aufträge mit knappen Lieferterminen sowie die Generierung zusätzlicher Deckungsbeiträge durch die Vermarktung nicht genutzter Kapazitäten zu niedrigen Preisen genannt. 3 bis 6 Prozent Ertragssteigerung lässt sich mit RM im Durchschnitt erzielen. Die Ertragssteigerung beträgt im ersten Jahr nach der Einführung im Durchschnitt 3 Prozent. Wenn man Unternehmen aus Nordamerika mit denen aus Europa vergleicht, dann sticht die höhere durchschnittliche Ertragssteigerung nach dem ersten Jahr von 3,6 Prozent im Vergleich zu 2,5 Prozent hervor. Eine Erklärung dafür könnten folgende drei Fakten sein: In Amerika erfolgt die Steuerung von Revenue Management stärker durch Preise und in Europa stärker durch Kapazitäten. Der Preis-Faktor hat jedoch einen stärkeren Einfluss auf den Ertrag als die Mengen. Ein zweiter Einflussfaktor ist, dass in Amerika RM systemgestützt erfolgt, während es in Europa noch teilweise manuell gestaltet wird und somit ineffizienter ist.

Die empirische Befragung zeigt, dass die Mehrheit der Unternehmen RM als ein wichtiges und zukunftsfähiges Managementkonzept erachtet. Als wesentliche Hindernisse bei der Einführung werden das Fehlen einer klaren Preisstrategie, die begrenzten Erfahrungen sowie das Fehlen geeigneter Ansätze genannt. Thyssen-Krupp VDM ist ein global führender Anbieter metallischer Hochleistungswertstoffe aus Nickellegierungen, Sonderstahl oder Titan, aus denen Bleche, Bänder, Stangen und Drähte hergestellt werden. Diese Produkte werden in zahlreichen Industrien eingesetzt. Die Einführung von RM wurde von der Thyssen-Krupp VDM Geschäftsführung beschlossen, weil man sich davon eine Verbesserung der Auftragsannahmeentscheidung bei hoher Nachfrage versprach. Ausgehend von einer hohen Varianz der Deckungsbeiträge einzelner Aufträge, die auf der hohen Anzahl angebotener Produkte sowie der Preisverhandlungen zurückzuführen ist, war das Ziel, den erwirtschafteten Ertrag zu erhöhen. Vor der Einführung wurden mit positivem Ergebnis die Einsatzvoraussetzungen geprüft: Kapazitätsanpassungen zur kurzfristigen Befriedigung von Nachfrageschwankungen

sind nicht möglich. Die Nachfrage ist heterogen, stochastisch und kann unterschiedlichen Kundensegmenten zugeordnet werden. Weiterhin können Kundenanfragen auf Basis der Zielmarge einzelner Aufträge abgelehnt werden, was voraussetzt, dass der Entscheidungsprozess wirtschaftlich und legal unabhängig ist, Die Kundenanzahl ist sehr hoch (mehrere tausend Kunden), einzelne Kunden sind sehr unterschiedlich, und die Auftragshöhe ist in der Regel relativ gering. Zudem ist nur ein geringer Anteil der Kapazität an langfristige Verträge gebunden. RM hat bei Thyssen-Krupp VDM zu folgenden Ergebnissen geführt: 1) Marge und Qualität sind jeweils um 13 Prozent und 8 Prozent gestiegen. 2) Der Auftragsannahmeprozess wurde effizienter, weil die Kapazitätsanforderungen aller einzelnen Aufträge geprüft wurden. 3) Die Anzahl der abgewiesenen Kundenanfragen wurde reduziert, und die Anzahl der aufgenommenen Aufträge wurde gleichzeitig erhöht. 4) Im Vergleich zu einer „first come, first serve“-Annahme von Aufträgen wurde die Kapazitätsauslastung optimiert. Danilo Zatta ist Partner bei Simon-Kucher & Partners

Einser-Abitur für alle? Ein Streifzug durch den ORDO-Band In den letzten sechs Jahren hat die Zahl der Einser-Abiturienten in Deutschland um 40 Prozent zugenommen. Ist dieser Trend Ausdruck einer gesteigerten Leistungsfähigkeit, oder handelt es sich um eine galoppierende Noteninflation? Fabian Schleithoff weist für die Jahre 2000 bis 2012 einen statistisch signifikanten Trend der Notenverbesserung nach. Am stärksten ist er in den Leistungskursen – also dort, wo Lehrer um Schüler konkurrieren –, vor allem in Latein sowie in Musik, Informatik und Mathematik. Interessant ist auch, dass sich die Noten in den Grundkursen besonders in mündlichen Prüfungen signifikant verbessert haben. Hat sich auch die Leistungsfähigkeit erhöht? Die Ergebnisse sind uneinheitlich. Aber die Studienabbruchquoten an der Universität sind gerade in Mathematik und in den naturwissenschaftlichen Fächern drastisch gestiegen. Der Erfolg oder Misserfolg einer Gesellschaft hängt nach Hayek entscheidend davon ab, ob sie in der Lage ist, vorhandenes Wissen effizient zu nutzen und neues Wissen hervorzubringen. Ist diese Theorie im Sinne der Popperschen Wissenschaftslehre falsifizierbar? Diese Frage stellt Erich Weede. Gibt es Beobachtungen, die Hayeks Wissenstheorie verbietet? Ja, meint Weede, sie verbietet „das Gelingen großflächiger oder gesamtgesellschaftlicher Zentralisierungsversuche des Wissens und von darauf beruhenden Entscheidungen“. Hayeks Theorie hat viele Falsifizierungsversuche überstanden. Für eine Anomalie hält Weede den ökonometrischen Befund, dass es wichtiger ist, von anderen Ländern zu lernen, als selbst durch rechtsstaatliche Institutionen die Bedingungen für eigene Wissensproduktion zu schaffen. Sein Beispiel ist China. Aber verbietet Hayeks Theorie die Nachahmung? Charles Blankart sieht das historische Erfolgsgeheimnis Europas im friedlichen Wettbewerb der Staaten. Sein Untersuchungszeitraum reicht von den römischen Kaisern bis zur Französischen Revolution. Die mangelnde Eigenständigkeit der Provinzen habe wesentlich zum Untergang des Römischen Reiches beigetragen. Das Vertragssystem des Feudalismus habe einen Aufschwung er-

möglicht, der aber bald durch politische Kartelle und regionale Machtmonopole erstickt wurde. Der Westfälische Friede habe erneut ein kooperatives Wettbewerbssystem etabliert, aber die Zentralisierung Frankreichs habe zu Angriffskriegen, Ausbeutung, Revolution und weiteren Kriegen geführt. Vier Beiträge behandeln die Ordnung Europas: den möglichen EU-Austritt Großbritanniens (Renate Ohr), den Wettbewerb in der Unternehmensbesteuerung (Marco C. Melle) und die Bankenunion (Uwe Vollmer und Alfred Schüller). Ohr sieht in der EU-weiten Zentralisierung der Arbeits- und Finanzmarktregulierung und in der Fehlentwicklung der Eurozone die Hauptgründe für das britische Referendum. Vollmer begrüßt, dass marode Banken in Zukunft nicht mehr nur auf Kosten der Steuerzahler saniert werden sollen, aber die für die Finanzstabilität zentralen Fragen hält er für unbeantwortet. Schüller sieht die Bankenunion kritisch: „Sanierungs-, Abwicklungs- und Einlagensicherungsfonds sind bei den einzelnen Mitgliedstaaten besser aufgehoben, wenn Fehlanreize vermieden werden sollen.“ Ein weiterer Schwerpunkt ist die Ordnung der Internetökonomie. Am Beispiel der Taxi-Plattform Uber zeigen Heidi Dittmann und Björn Kuchinke, wie das Internet bestehende Regulierungen auf den Prüfstand stellt und hilft, Deregulierungspotentiale aufzudecken. Problematisch ist, dass solche Plattformen keine Steuern zahlen. Um einen unverfälschten Wettbewerb zu ermöglichen, schlagen die Autoren vor, Plattformen ab einem gewissen Jahresumsatz zur Anmeldung eines Gewerbes und damit zur Steuerzahlung zu verpflichten. Oliver Budzinski und Karoline Köhler legen dar, dass die Kritik an Amazon weitgehend unberechtigt ist. Sie wenden sich dagegen, Amazon zu entflechten oder einer besonderen Regulierungsbehörde zu unterstellen. Gegen irreführende Preisinformationen, Unterbietungsverbote und vertikale Quersubventionierung könne und solle die Wettbewerbsbehörde vorgehen. ROLAND VAUBEL ORDO: Jahrbuch für die Ordnung von Wirtschaft und Gesellschaft. Band 66. Lucius & Lucius, Stutt-

gart 2014, 450 Seiten, 110 Euro

Cyberkrank Gegen ein Multitasking ohne Muße Es fehlt nicht an euphorischen Kommentierungen der schönen neuen digitalisierten Welt, die anscheinend nur Vorteile im Geschäfts- und Privatleben verheißt. Da ist es nicht verkehrt, wenn auch einmal auf die möglichen Kehrseiten des digitalisierten Lebens hingewiesen wird. Dies tut der bekannte, streitbare Gehirnforscher Manfred Spitzer mit der vorliegenden, in jedem Falle nachdenklich stimmenden Schrift. Seine Diagnose: Wir werden cyberkrank, wenn wir den digitalen Medien die Kontrolle aller Lebensbereiche überantworten, stundenlang uns mit OnlineSpielen vergnügen, in Permanenz in sozialen Netzwerken unterwegs sind und

am Arbeitsplatz Multitasking ohne Mußezeit praktizieren. Hieraus entsteht eine gefährliche Form von Stress: Cyberstress. Dieser macht cyberkrank. Trotz seiner vehement vorgetragenen Warnungen sieht sich Spitzer nicht als Digitaltechnikstürmer. Er verurteilt jedoch die Auswüchse der Techniknutzung, denn wie in der Medizin mache die Dosis das Gift. Man muss Spitzer nicht überall folgen, muss ihm aber attestieren, dass er ein wichtiges gesellschaftliches Problem, das nur langfristig zu lösen sein wird, ROBERT FIETEN adressiert hat. Manfred Spitzer: Cyberkrank! Wie das digitalisierte Leben unsere Gesundheit ruiniert. Droemer,

München 2015, 448 Seiten, 22,99 Euro

Wirtschaft

FRANKFU RT ER A L LG EM E I NE Z E I TU NG

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Verbote für sexistische Werbung und Tabakreklame SPD kämpft gegen frauenverachtende Anzeigen, CSU gegen Zigarettenplakate jja. BERLIN, 10. April. Die Bundesregierung plant neue Verbote für die Werbewirtschaft: Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) will „sexistische“ Reklame verbieten, Bundesernährungsminister Christian Schmidt (CSU) Zigarettenwerbung auf Plakaten und im Kino. Beide Gesetzentwürfe stehen offenbar kurz vor der Fertigstellung. Das Justizministerium wollte einen entsprechenden Bericht zwar nicht ausdrücklich bestätigen und sprach von einer „Prüfung“. Doch hat die Initiative starken Rückhalt in der SPDBundestagsfraktion. Ihr rechtspolitischer Sprecher Johannes Fechner sagte dieser Zeitung, „frauenverachtende Werbung“ solle ausdrücklich verboten werden. Anknüpfungspunkt ist das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG), das bisher „aggressive geschäftliche Handlungen“ untersagt. Juristen zählen dazu auch „menschenverachtende“ Werbung. Das aber reicht den Sozialdemokraten nicht. Auch wenn sexistische Werbung kein Massenphänomen sei, komme sie doch vor. „Wir brauchen eine klare Definition im Gesetz, damit die Wettbewerbszentrale in solchen Fällen einschreiten kann.“ Diese kann Unternehmen dann abmahnen und – wenn sie nicht nachgeben – vor Gericht auf Unterlassung verklagen. Treiber ist der Verein „Pinkstinks“, wie der „Spiegel“ am Wochenende berichtete.

Aufreger: Werbung wie dieser für Tangas droht nach Regierungsplänen das Aus.

Er hat einen konkreten Gesetzesvorschlag ausgearbeitet. Öffentlich unterstützt wird er bislang von 18 SPD-Bundestagsabgeordneten, darunter Generalsekretärin Katarina Barley und vier Männer aus den Ausschüssen für Menschenrechte, Bürgerengagement, Familie und Frauen sowie Umweltschutz. Sie wollen Reklame verbieten, die Menschen aufgrund ihres Geschlechts bestimmte Eigenschaften oder Rollen zuordnet. Unzulässig sein sollen Anzeigen, Werbespots und Plakate zudem, wenn sie „sexuelle Anziehung als ausschließlichen Wert von Frauen“ darstellen oder diese optisch „auf einen Gegenstand zum sexuellen Gebrauch“ reduzieren. Als Negativbeispiel sieht der Verein etwa Werbung für die Kräuterlimonade Almdudler mit dem Slogan: „Auch Männer haben Gefühle: Durst.“ Der Gesetzentwurf zum Tabakwerbeverbot werde in Kürze im Kabinett behandelt, sagte Ernährungsminister Christian Schmidt der Funke Mediengruppe. Rauchen sei das größte vermeidbare Gesundheitsrisiko. „Vor allem Kinder und Jugendliche sollen nicht den Eindruck bekommen, Rauchen sei ein harmloser Spaß.“ Das geplante Verbot ab 2020 schließt demnach auch E-Zigaretten ein und erstreckt sich auf Außenflächen wie Plakatwände oder Litfaßsäulen; zulässig bleibt Werbung an Außenflächen von Fachge-

schäften und innerhalb von Verkaufsstellen wie Trinkhallen oder Tankstellen. In Kinos soll das Verbot bei allen Filmen gelten, die für Zuschauer unter 18 Jahren freigegeben sind. Deutschland sei das letzte Land in der EU, in dem noch uneingeschränkt Außenwerbung für Tabakerzeugnisse zulässig ist. Der Deutsche Zigarettenverband DZV reagierte empört. „Die Ausweitung der schon seit Jahrzehnten bestehenden Werbeverbote im Fernsehen, Radio, Internet, Zeitungen und Zeitschriften auf die Außen- und Plakatwerbung und die Einschränkungen bei der Kinowerbung kommen einem Totalverbot gleich“, bemängelt die Branchenvereinigung. Damit dürfe erstmals nicht mehr für ein legales und gegenüber Erwachsenen frei handelbares Produkt geworben werden. Der DZV sieht in diesem „Neopuritanismus“ eine Einschränkung des Eigentumsrechts. Dem Gesetzentwurf stehe „die Verfassungswidrigkeit auf der Stirn geschrieben“; er sei ein „Anschlag auf die ordnungspolitischen Prinzipien der Marktwirtschaft“. Nach Ansicht der Tabaklobby ist das Vorhaben überdies eine „Regulierungsblaupause für alle Genussmittel“, von denen potentiell gesundheitliche Gefahren ausgingen – etwa Zucker. „Dieser Tugendfuror wird auch vor Wein, Bier, Spirituosen und fetthaltigen Erzeugnissen keinen Halt machen.“

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Preisbremse für neue Arznei geplant Gesundheitsminister Gröhe will Mondpreise der Pharmahersteller bei der Markteinführung künftig unterbinden. ami. BERLIN, 10. April. Für neuartige Arzneimittel kann deren Hersteller in Deutschland im ersten Jahr der Einführung jeden Preis verlangen, erst danach greift der mit den Kassen verhandelte Erstattungsbetrag. Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) will das nun ändern. Um Missbrauch zu Lasten der Kassen und Beitragszahler vorzubeugen, will er den Umsatz, den der Hersteller mit den neuen Mitteln im ersten Jahr machen kann, begrenzen. Dafür soll ein „Schwellwert“ in das Arzneimittelrecht aufgenommen werden. Wird der erreicht, würden Kassen und private Versicherer dann nur noch den verhandelten und damit niedrigeren Preis erstatten. Der Vorschlag gehört nach Informationen dieser Zeitung zu den Änderungen, die Gröhe am Dienstag vorschlagen will. Dann werden die Ministerien für Gesundheit, Forschung und Wirtschaft offiziell eine Bilanz ihres mehr als zwei Jahre laufenden „Pharmadioalogs“ ziehen. Der geplante Schwellwert ist eine direkte Folge der Debatte um „Mondpreise“ für neue Arzneien. Stellvertretend dafür steht das hochwirksame HepatitisC-Präparat „Sovaldi“, für das der Hersteller zunächst 700 Euro je Pille verlangte. Auch nach Preissenkungen kostete die Therapie für einen Patienten mehr als 40 000 Euro. „Sovaldi“ gehört zu den zwei oder drei neuen Präparaten, für die die Kassen im vergangenen Jahr mehr

als 500 Millionen Euro ausgeben mussten. Nach Erhebungen des Ministeriums machen ein halbes Dutzend Pillen im Jahr nach der Einführung mehr als 100 Millionen Euro Umsatz, rund ein Dutzend kommt auf mehr als 50 Millionen Euro. Auf welchem Umsatzniveau Gröhe den neuen Schwellwert ansetzen will, bleibt einstweilen ebenso so offen, wie die Frage, wann die Änderung eingeführt werden soll. Mit der neuen Ausgabenbremse soll verhindert werden, dass die Hersteller in der Erwartung schwieriger Preisverhandlungen mit den Kassen ihren Gewinn im ersten Jahr rücksichtslos maximieren. Die Krankenkassen verlangen deshalb sogar, dass der verhandelte Preis rückwirkend zum Tag der Einführung, spätestens aber ein halbes Jahr danach gelten solle. Mit dem Schwellwert käme Gröhe ihnen ein Stück entgegen. Die Pharmahersteller hoffen im Gegenzug auf eine Regelung, nach der der verhandelte Preis in Deutschland nicht mehr veröffentlicht wird. Dann könnten sie in anderen Ländern, die sich am deutschen Markt orientieren, höhere Preise durchsetzen und die Mindereinnahmen am deutschen Markt kompensieren. Ein persönliches Anliegen ist Gröhe die Erforschung und Bereitstellung neuer Antibiotika. Im Rahmen der deutschen G-7-Präsidentschaft hatte er voriges Jahr dafür auch international geworben, die Bundesregierung dafür eine „Strategie“ beschlossen. Denn die eingeführten Präparate erweisen sich bei Patienten immer öfter als wirkungslos. Für solche Resistenzen gibt es unterschiedliche Ursachen: Zum einen verordnen Ärzte Patienten zu oft und unnötig Antibiotika, zum anderen werden allein in Deutschland im Jahr rund 1500 Tonnen Antibiotika in der Tier-

mast eingesetzt, die damit indirekt und ungewollt auf Menschen wirken – die Belastung des Grundwassers mal ganz außer Acht gelassen. Hinzu kommt, dass es laut Regierung an neuen Präparaten fehlt. Die Industrie forsche nicht intensiv genug daran, weil sie dafür keinen lukrativen Markt sehe. Deshalb sollen nicht nur die Anstrengungen in Forschung und Entwicklung verstärkt und Ärzte angehalten werde, die Präparate den Leitlinien gerecht zu verordnen. Auch sollen die Krankenkassen angehalten werden, für bestimmte „Reserveantibiotika“ die bisherigen Preisgrenzen aufzuheben. Konkret geht es darum, solche Antibiotika von den Festbeträgen, die die Kassen als obere Erstattungsgrenze festlegen, freizustellen. Ein weiteres Ergebnis des „Pharmadioalogs“ ist die Idee, niedergelassene Ärzte über Wirkungen und Preise der Arzneimittel besser zu informieren. So könnten die Bewertungen des Gemeinsamen Bundesausschusses, der den Nutzen der Präparate für unterschiedliche Patientengruppen ermittelt, in die Arzneimittelsoftware der Ärzte eingespeist werden. Damit würde den Medizinern geholfen, jedem Patienten genau das für ihn beste Präparat zu verordnen und sich zugleich wirtschaftlich zu verhalten. Die von den Ärzten gefürchteten Regresse der Kassen wegen „zu teurer“ Verschreibungen könnten damit überflüssig werden. Überflüssig werden könnten damit aber auch die Arzneimittelabmachungen der Kassenärztlichen Vereinigungen und Kassen auf regionaler Ebene. Der Pharmaindustrie gelten sie als ärgerliche zweite Preishürde, nachdem auf Bundesebene schon einmal der Nutzen der Präparate und der Preis dafür ausgehandelt worden ist.

Italien erhöht wieder mal das Defizit Die Ausgaben steigen, und der Haushaltsausgleich wird verschoben auf 2019 tp. ROM, 10. April. Die italienische Regierung von Ministerpräsident Matteo Renzi will im Haushalt für 2017 wieder das Defizit vergrößern, das Ziel des Haushaltsausgleichs hinausschieben und gegenüber der Europäischen Kommission auf Flexibilität für Italiens Haushaltsziele bestehen. Zur Entwicklung des Haushaltsdefizits hatten Renzi und sein Finanzminister Pier Carlo Padoan vor einem Jahr geschrieben, dass ohne Korrekturen 2016 ein Defizit von 1,4 Prozent des Bruttoinlandsprodukts erreichbar sei, 2017 von 0,2 Prozent. Die Regierung hatte danach aber für 2016 das Defizit kräftig erhöht, um Raum für zusätzliche Ausgaben zu haben. Die Zielgröße für 2016 lautet nun 2,3 Prozent des BIP. Daher ergäbe sich automatisch auch für 2017 ein höheres Defizit ohne Korrekturen von 1,1 Prozent.

Wirtschaft fordert von Mexiko mehr Reformen jja. BERLIN, 10. April. Vor dem Staatsbesuch des mexikanischen Präsidenten Enrique Peña Nieto fordert die deutsche Wirtschaft Reformen in dem lateinamerikanischen Land. Dort gebe es zu viel ungeschultes Personal, beklagt der Bundesverband der Deutschen Industrie. Die Regierung Mexikos müsse das Bildungssystem stärken, sagte BDI-Geschäftsführer Stefan Mair dieser Zeitung. Zudem gebe es zu wenig Transparenz, zu viel Korruption und in einigen Bundesstaaten große Armut. „Mangelnde Rechtssicherheit ist ein großes Problem“, mahnte auch der Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK), Eric Schweitzer. Nieto wird an diesem Montag von Bundespräsident Joachim Gauck begrüßt. Am Dienstag stehen Treffen mit Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und Unternehmern auf dem Programm.

Die Regierung will jedoch wiederum zusätzlichen Spielraum für Ausgaben und plant für 2017 mit einem Defizit von 1,8 Prozent des BIP. Der Haushaltsausgleich, der im Fiskalpakt als Gegenleistung für den europäischen Staatsrettungsfonds versprochen worden war, muss damit ein weiteres Jahr hinausgeschoben werden. Im vergangenen Jahr war im Rahmenplan für den Haushalt 2018 ein ausgeglichenes Budget in Aussicht gestellt worden, nun soll dieses Ziel 2019 erreicht werden. Die Regierung hat zugleich ihre Prognosen für das reale Wachstum reduziert, für das Jahr 2016 von 1,6 auf 1,2 Prozent, für das Jahr 2017 von 1,6 auf 1,4 Prozent. Wegen des geringen Wachstums und der niedrigen Inflation wird es nun schwierig, wie versprochen, die Schuldenquote von 2016 an zu verringern. Nachdem der Schuldenstand

Ende 2015 den Wert von 132,7 Prozent des BIP erreicht hat, wird für 2016 nun der Wert von 132,4 Prozent des BIP versprochen, unter anderem mit Hilfe von Privatisierungseinnahmen in Höhe von 0,5 Prozent des BIP. Mit der zusätzlichen Schuldenaufnahme will die italienische Regierung im kommenden Jahr versprochene Steuererleichterungen finanzieren. Medienberichten zufolge wird auch überlegt, mit staatlichen Mitteln einen flexibleren und damit früheren Renteneintritt zu finanzieren. Schatz- und Finanzminister Padoan wies jeglichen Verdacht zurück, dass Italien bei den Wünschen nach Flexibilität bei den Haushaltszielen unersättlich sei. „Italien hat alles Recht, Flexibilität zu verlangen und zu erhalten“, sagte Padoan. Italien gehöre zu den europäischen Staaten mit der besten Haushaltsführung.

„Schuldenerlass gegen Grexit“ Alfa-Partei will Griechenland aus dem Euro drängen jja. BERLIN, 10. April. Die eurokritische „Allianz für Fortschritt und Aufbruch“ (Alfa) macht sich für einen Schuldenschnitt zugunsten von Griechenland stark. Dafür solle Athen aus der Gemeinschaftswährung aussteigen, forderte der Europa-Abgeordnete Hans-Olaf Henkel gegenüber dieser Zeitung. In der Partei haben sich insbesondere Ökonomen und Unternehmer versammelt, die sich zuvor – wie der Alfa-Vorsitzende Bernd Lucke – in der AfD engagiert hatten. Henkel glaubt, dass die Milliarden, die Deutschland in die bisherigen drei Finanzspritzen für Griechenland gesteckt hat, ohnehin verloren seien. Durch einen Ausstieg Athens bliebe den Steuerzahlern wenigstens „das fünfte bis siebte Rettungspaket“ erspart. Umgekehrt könne Ministerpräsident Alexis Tsipras bei seiner Bevölke-

rung damit werben, dass das Land mit Wiedereinführung der Drachme seine Währung abwerten und auf schmerzhafte Reformen verzichten könne. Allerdings vermutet Henkel, dass Tsipras seine entsprechenden Zusagen an die internationalen Kapitalgeber ohnehin nicht mehr einhalten wird. Denn Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) habe sich in der Flüchtlingspolitik zu sehr erpressbar gemacht, um die Reformen noch durchzusetzen. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) weigere sich aber noch immer, die Kredite und Bürgschaften abzuschreiben, um auf dem Papier an der „schwarzen Null“ im Haushalt festhalten zu können. „Zuzugeben, dass das Geld sowieso weg ist, überlässt er seinem Nachfolger nach der Bundestagswahl im kommenden Jahr.“

STINAG Stuttgart Invest AG Stuttgart – Wertpapier-Kenn-Nummer: 731 800 – Wir laden hiermit unsere Aktionärinnen und Aktionäre zu unserer ordentlichen Hauptversammlung für das Geschäftsjahr 2015 am Mittwoch, 25. Mai 2016, um 10.00 Uhr, in den Schiller-Saal des Kultur- & Kongresszentrums Liederhalle, Berliner Platz 1 – 3 in 70174 Stuttgart, ein. Tagesordnung der ordentlichen Hauptversammlung der STINAG Stuttgart Invest AG, Stuttgart, am Mittwoch, 25. Mai 2016, um 10.00 Uhr 1. Vorlage des festgestellten Jahresabschlusses und des gebilligten Konzernabschlusses für das Geschäftsjahr 2015, des zusammengefassten Lageberichtes für die STINAG Stuttgart Invest AG und den Konzern sowie des Berichtes des Aufsichtsrates für das Geschäftsjahr 2015. 2. Beschlussfassung über die Verwendung des Bilanzgewinns des Geschäftsjahres 2015. 3. Beschlussfassung über die Entlastung der Mitglieder des Vorstandes für das Geschäftsjahr 2015. 4. Beschlussfassung über die Entlastung der Mitglieder des Aufsichtsrates für das Geschäftsjahr 2015. 5. Wahl des Abschlussprüfers und Konzernabschlussprüfers für das Geschäftsjahr 2016. Die vollständige Tagesordnung mit den Beschlussvorschlägen der Verwaltung kann bei der STINAG Stuttgart Invest AG, Vorstandssekretariat, Böblinger Straße 104, 70199 Stuttgart, kostenfrei angefordert werden und ist auf der Internetseite der Gesellschaft unter www.stinag-ag.de/investor_relations/hauptversammlung zugänglich. Ebenfalls sind die vollständigen Angaben zur Einberufung der Hauptversammlung im Internet unter der Adresse www.stinag-ag.de/investor_relations/ hauptversammlung zugänglich. Voraussetzungen für die Teilnahme an der Hauptversammlung und die Ausübung des Stimmrechtes (1) Zur Teilnahme an der Hauptversammlung und zur Ausübung des Stimmrechtes sind nur diejenigen Aktionäre berechtigt, die sich bis zum Ablauf des 18. Mai 2016, 24.00 Uhr, in Textform (§ 126b BGB) in deutscher oder englischer Sprache bei der folgenden für die Gesellschaft empfangsberechtigten Stelle zur Hauptversammlung angemeldet und ihre Berechtigung zur Teilnahme an der Hauptversammlung und zur Ausübung des Stimmrechtes durch die Bescheinigung ihres Anteilsbesitzes durch das Depot führende Institut nachgewiesen haben: STINAG Stuttgart Invest AG c/o Landesbank Baden-Württemberg, 4035 H Hauptversammlungen, Am Hauptbahnhof 2, 70173 Stuttgart, Telefax: +49 (0) 711 127 79264 E-Mail: [email protected] mit allen Filialen der Baden-Württembergische Bank (2) Der Nachweis der Berechtigung zur Teilnahme an der Hauptversammlung und zur Ausübung des Stimmrechtes hat durch eine in Textform (§ 126b BGB) in deutscher oder englischer Sprache erstellte Bescheinigung des Depot führenden Institutes über den Anteilsbesitz zu erfolgen. Der Nachweis hat sich auf den Beginn des 04. Mai 2016 (d. h. 00.00 Uhr) zu beziehen. Wie die Anmeldung muss auch der Nachweis des Anteilsbesitzes der Gesellschaft unter der vorgenannten Adresse spätestens am 18. Mai 2016, 24.00 Uhr, zugehen. Wir weisen darauf hin, dass im Verhältnis zur Gesellschaft für die Teilnahme an der Hauptversammlung und die Ausübung des Stimmrechtes als Aktionär nur gilt, wer den Nachweis der Berechtigung zur Teilnahme an der Hauptversammlung und zur Ausübung des Stimmrechtes erbracht hat. Die Gesellschaft ist berechtigt, bei Zweifeln an der Richtigkeit oder Echtheit des Nachweises einen geeigneten weiteren Nachweis zu verlangen. Wird dieser Nachweis nicht oder nicht in gehöriger Form erbracht, kann die Gesellschaft den Aktionär zurückweisen. Die Berechtigung zur Teilnahme an der Hauptversammlung und der Umfang des Stimmrechtes richten sich ausschließlich – neben der Notwendigkeit zur Anmeldung – nach dem Aktienbesitz zum 04. Mai 2016, 00.00 Uhr (Nachweisstichtag). Mit dem Nachweisstichtag ist keine Sperre für die Veräußerung von Aktien verbunden. Auch bei vollständiger oder teilweiser Veräußerung von Aktien nach dem Nachweisstichtag ist für die Teilnahme und den Umfang des Stimmrechtes ausschließlich der Aktienbesitz zum Nachweisstichtag maßgebend; d. h. Veräußerungen von Aktien nach dem Nachweisstichtag haben keine Auswirkungen auf die Berechtigung zur Teilnahme und auf den Umfang des Stimmrechtes. Entsprechendes gilt für Erwerbe und Zuerwerbe nach dem Nachweisstichtag. Personen, die zum Nachweisstichtag keine Aktien besitzen und erst danach Aktionär werden, sind für die von ihnen gehaltenen Aktien nur teilnahme- und stimmberechtigt, soweit sie sich bevollmächtigen oder zur Rechtsausübung er-mächtigen lassen. Der Nachweisstichtag hat keine Bedeutung für die Dividendenberechtigung. Nach ordnungsgemäßem Eingang der Anmeldung und des Nachweises werden den Aktionären Eintrittskarten für die Hauptversammlung übersandt. Diese Eintrittskarten enthalten auch ein Formular für die Erteilung einer Vollmacht zur Stimmrechtsabgabe bei der Hauptversammlung. Um den rechtzeitigen Erhalt der Eintrittskarten sicher zu stellen, bitten wir die Aktionäre frühzeitig für die Übersendung der Anmeldung und des Nachweises ihres Anteilsbesitzes an die Gesellschaft Sorge zu tragen. Verfahren für die Stimmabgabe durch einen Bevollmächtigten Aktionäre, die nicht persönlich an der Hauptversammlung teilnehmen möchten, können ihr Stimmrecht auch durch einen Bevollmächtigten, z. B. durch ein Kreditinstitut, eine Aktionärsvereinigung oder einen sonstigen Dritten, ausüben lassen. Auch in allen Fällen der Bevollmächtigung bedarf es der ordnungsgemäßen Anmeldung durch den Aktionär oder den Bevollmächtigten; ferner ist auch in diesen Fällen der Nachweis des Anteilsbesitzes des Vollmachtgebers erforderlich. Sofern nicht Kreditinstitute oder diesen nach § 135 Abs. 8 bzw. Abs. 10 AktG i.V.m. § 125 Abs. 5 AktG gleichstehende Aktionärsvereinigungen, Personen, Finanzdienstleistungsinstitute oder Unternehmen bevollmächtigt werden, bedarf die Erteilung der Vollmacht, ihr eventueller Widerruf und der Nachweis der Bevollmächtigung gegenüber der Gesellschaft der Textform (§ 126b BGB). Bevollmächtigt der Aktionär mehr als eine Person, so kann die Gesellschaft eine oder mehrere von diesen zurückweisen. Aktionäre, die einen Vertreter bevollmächtigen möchten, werden gebeten, zur Erteilung der Vollmacht das Formular zu verwenden, das die Gesellschaft hierfür bereithält. Es ist in der Eintrittskarte enthalten, die der Aktionär bei rechtzeitiger Anmeldung und Nachweiserbringung erhält. Dieses Formular steht ebenfalls unter www.stinag-ag.de/investor_relations/hauptversammlung zum Download zur Verfügung. Die Bevollmächtigung kann auch auf beliebige andere formgerechte Art und Weise erfolgen. Die Bevollmächtigung kann nachgewiesen werden durch Vorweisen der Vollmacht bei der Einlasskontrolle am Tag der Hauptversammlung oder durch die vorherige Übermittlung des Nachweises der Bevollmächtigung oder der

Bevollmächtigung selbst per Post oder Telefax an STINAG Stuttgart Invest AG, Postfach 10 43 51, 70038 Stuttgart, Böblinger Straße 104, 70199 Stuttgart, Telefax-Nummer: 0711 93313 604 sowie durch die Übersendung des Nachweises der Bevollmächtigung oder der Bevollmächtigung selbst an die folgende E-Mail-Adresse: [email protected]. Entsprechendes gilt für den Nachweis eines etwaigen Widerrufs der Bevollmächtigung. Für die Bevollmächtigung von Kreditinstituten und diesen nach § 135 Abs. 8 bzw. Abs. 10 AktG i.V.m. § 125 Abs. 5 AktG gleichstehenden Aktionärsvereinigungen, Personen, Finanzdienstleistungsinstituten und Unternehmen gelten die gesetzlichen Bestimmungen, insbesondere § 135 AktG, die von den vorgenannten Bestimmungen über Bevollmächtigungen abweichen. Die genannten Institutionen und Personen müssen beispielsweise die Vollmacht nachprüfbar festhalten und können zum Verfahren für ihre eigene Bevollmächtigung besondere Anforderungen vorsehen. Gesamtzahl der Aktien und Stimmrechte Zum Zeitpunkt der Einberufung der Hauptversammlung beträgt das Grundkapital der Gesellschaft EUR 39.000.000,00 und ist eingeteilt in 15.000.000 Stückaktien. Jede Stückaktie gewährt eine Stimme. Die Gesamtzahl der zum Zeitpunkt der Einberufung der Hauptversammlung bestehenden Stimmrechte beträgt damit 15.000.000. Die Gesellschaft hat 113.342 Stück nennbetragslose eigene Aktien im Bestand, aus der ihr keine Rechte zustehen. Das stimmberechtigte Grundkapital beträgt damit zum Zeitpunkt der Einberufung der Hauptversammlung 38.705.310,80 Euro, dies sind 14.886.658 stimmberechtigte Aktien. Fragen zu einzelnen Tagesordnungspunkten, insbesondere Tagesordnungspunkt 1 Im Interesse eines zügigen und effizienten Ablaufes der Hauptversammlung bitten wir die Aktionäre, Fragen zu einzelnen Tagesordnungspunkten, wenn möglich, vorab schriftlich oder per Telefax, ausschließlich an die Verwaltung der STINAG Stuttgart Invest AG, Vorstandssekretariat, Böblinger Straße 104, 70199 Stuttgart, oder per Telefax (nur +49 (0)711 93313-604), zu übermitteln. Dieses empfehlen wir insbesondere bei Fragen zum Jahresabschluss und zum Konzernabschluss. Die Beantwortung der vorab gestellten Fragen erfolgt in der Hauptversammlung. Durch eine sorgfältige Vorbereitung der Beantwortung Ihrer Fragen möchten wir das Verständnis der sehr komplexen rechtlichen Materie erleichtern und den Ablauf der Versammlung verbessern. Rechte der Aktionäre nach §§ 122 Absatz 2, 126 Absatz 1, 127, 131 Absatz 1 Aktiengesetz Ergänzungsanträge zur Tagesordnung gemäß § 122 Absatz 2 AktG Gemäß § 122 Absatz 2 Aktiengesetz können Aktionäre, deren Anteile zusammen den zwanzigsten Teil des Grundkapitals oder den anteiligen Betrag von EUR 500.000,00 erreichen, verlangen, dass Gegenstände auf die Tagesordnung gesetzt und bekannt gemacht werden („Ergänzungsanträge“). Jedem neuen Gegenstand muss eine Begründung oder eine Beschlussvorlage beiliegen. Das Verlangen muss bei der Gesellschaft unter der nachfolgend bekannt gemachten Adresse spätestens am 30. April 2016, 24.00 Uhr schriftlich zugehen. Es wird darum gebeten, Ergänzungsanträge von Aktionären zu richten an: STINAG Stuttgart Invest AG Vorstand Postfach 10 43 51, 70038 Stuttgart Böblinger Straße 104, 70199 Stuttgart Gegenanträge gemäß § 126 Abs. 1 AktG und Wahlvorschläge gemäß § 127 AktG Jeder Aktionär kann einen Gegenantrag zu einem Vorschlag von Vorstand und Aufsichtsrat zu einem bestimmten Punkt der Tagesordnung übersenden. Gegenanträge müssen mit einer Begründung versehen sein. Jeder Aktionär kann außerdem der Gesellschaft einen Wahlvorschlag zur Wahl von Aufsichtsratsmitgliedern oder von Abschlussprüfern übermitteln. Wahlvorschläge müssen nicht begründet werden. Gegenanträge und Wahlvorschläge von Aktionären sind ausschließlich zu richten an: STINAG Stuttgart Invest AG Postfach 10 43 51, 70038 Stuttgart Böblinger Straße 104, 70199 Stuttgart Telefax: 0711 93313-604 · E-Mail: [email protected] Zugänglich zu machende Gegenanträge und Wahlvorschläge von Aktionären werden einschließlich des Namens des Aktionärs sowie zugänglich zu machender Begründungen nach ihrem Eingang auf der Internetseite der Gesellschaft unter www.stinag-ag.de/inves-tor_relations/hauptversammlung zugänglich gemacht. Dabei werden die bis zum 10. Mai 2016, 24.00 Uhr, bei der Gesellschaft über einen der vorgenannten Zugangswege zugehenden Gegenanträge und Wahlvorschläge zu den Punkten dieser Tagesordnung berücksichtigt. Eventuelle Stellungnahmen der Verwaltung werden ebenfalls unter der genannten Internetadresse veröffentlicht. Es wird darauf hingewiesen, dass Gegenanträge und Wahlvorschläge nur dann gestellt sind, wenn sie während der Hauptversammlung mündlich gestellt werden. Das Recht eines jeden Aktionärs, während der Hauptversammlung Wahlvorschläge oder Gegenanträge zu verschiedenen Tagesordnungspunkten auch ohne vorherige oder fristgerechte Übermittlung an die Gesellschaft zu stellen, bleibt unberührt. Auskunftsrecht in der Hauptversammlung gemäß § 131 Absatz 1 AktG Nach § 131 Absatz 1 AktG ist jedem Aktionär auf Verlangen in der Hauptversammlung vom Vorstand Auskunft über Angelegenheiten der Gesellschaft, die rechtlichen und geschäftlichen Beziehungen der Gesellschaft zu verbundenen Unternehmen sowie der Lage des Konzerns und der in den Konzernabschluss einbezogenen Unternehmen zu geben, soweit sie zur sachgemäßen Beurteilung eines Gegenstandes der Tagesordnung erforderlich ist (§ 131 Abs. 1 Aktiengesetz). Das Auskunftsrecht kann in der Hauptversammlung ausgeübt werden, ohne dass es einer vorherigen Ankündigung oder sonstigen Mitteilung bedarf. Unterlagen zur Hauptversammlung und Informationen entsprechend § 124a AktG Ab dem Tag der Einberufung der Hauptversammlung liegen die unter Tagesordnungspunkt 1 genannten Unterlagen (der Jahresabschluss und der Konzernabschluss für das Geschäftsjahr vom 01. Januar 2015 bis 31. Dezember 2015, der zusammengefasste Lagebericht für die STINAG Stuttgart Invest AG und den Konzern und der Bericht des Aufsichtsrates), der Vorschlag des Vorstandes für die Verwendung des Bilanzgewinnes sowie die Informationen entsprechend § 124a AktG in den Geschäftsräumen der Gesellschaft, Böblinger Straße 104, 70199 Stuttgart, aus und sind auf der Webseite www.stinag-ag.de/investor_relations/publikationen als pdf.-Datei abrufbar. Die Unterlagen zum Tagesordnungspunkt 1 sowie der Vorschlag des Vorstandes für die Verwendung des Bilanzgewinnes werden auch in der Hauptversammlung am Versammlungsort zur Einsichtnahme zugänglich gemacht. Stuttgart, im April 2016 Der Vorstand Sitz der Gesellschaft: Stuttgart Registergericht Stuttgart, HRB 66

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F R A N K F U RT E R A L LG E M E I N E Z E I T U N G

Wirtschaft

Briefe an die Herausgeber Auf dem Prüfstand

Amerikas eigene Steueroase

Zum Artikel „Dem Terror trotzen“ (F.A.Z. vom 2. April): Reinhard Müller hat recht. Der RAF-Schrecken ist verflogen. Verflogen ist auch das Bewusstsein, dass sich der Staat im Herbst 1977 genötigt sah, ein Menschenleben preiszugeben. Die Berufung auf die Stärke des Rechtsstaats verbrämte vorhergegangenes Unterlassen des Gesetzgebers. Selbst der zwei Tage nach der Ermordung von Hanns Martin Schleyer vom damaligen Bundeskanzler Helmut Schmidt im Bundestag geäußerte Wunsch verhallte, „Vorschläge zur besseren Bekämpfung des Terrorismus in eine gemeinsame Gesetzgebungsinitiative der drei Bundestagsfraktionen zusammenzufassen“. Auch der Appell von Bundespräsident Walter Scheel zu einem „tiefgreifenden

Der Bundesstaat Delaware ist bekannt für seine Briefkastenfirmen. Was passiert, wenn man am Sitz von 285 000 Unternehmen klingelt? Von Winand von Petersdorff WILMINGTON, 10. April. In den Panama-Papieren ist bisher kein prominenter Amerikaner aufgetaucht. Eine Erklärung dafür lautet, dass eine Exkursion nach Mittelamerika nicht nötig scheint, liegt das Gute doch so nahe: im Bundesstaat Delaware zum Beispiel, speziell in Wilmington, der mit 72 000 Einwohnern größten Stadt des mit knapp einer Million Bürgern nicht allzu großen Bundesstaates. Verdachtsmomente gegen Wilmington kommen allein deshalb auf, weil wohl niemand freiwillig in diese Stadt käme, wenn er hier nicht dringende Geschäfte zu erledigen hätte oder vielleicht noch Verwandte besuchen müsste. Die Stadt ist von einer eher schäbigen Durchschnittlichkeit. Die Ausnahme bildet das gepflegte Geschäfts- und Finanzviertel. Versicherungen und Banken haben hier große Bürotürme errichtet. Dann gibt es noch einige Hochhäuser, die gar kein Firmenschild tragen. Dazwischen stehen bemerkenswert viele Parkhäuser, die einem zügiges Her- und Wegkommen erlauben – und überwachtes Parken, wonach offenbar Nachfrage herrscht. Letztes Jahr wurde in Wilmington im Schnitt an jedem Tag ein Auto geklaut. Wilmington ist keine anheimelnde Stadt. Wer sich nur einen Kilometer vom Finanzviertel weg bewegt, wittert Armut. Im Supermarkt Fresh Grocer zahlt die Kundin in der Schlange vor dem Reporter mit staatlichen Essenmarken. Kein Weißer verliert sich hierher. Wenn Wilmington eine Steueroase ist, was die Regierung vehement bestreitet, dann keine mondäne. Viel Geld bleibt nicht kleben, zumindest nicht so, dass man es den Vierteln dieser derben Stadt ansehen könnte. Für 2015 notiert die öffentliche Datenbank 131 Schießereien, bei der 151 Menschen verletzt und 26 erschossen wurden. Die Zeitschrift „Newsweek“ hat Wilmington/Delaware 2014 in einem Bericht Amerikas Mörderhauptstadt getauft, was einen Aufschrei der Empörung unter den braven Bürgern provozierte. Dieser Erregungsgrad wurde nur noch übertroffen, als Ende vergangenen Jahres Überlegungen des Fernsehsenders ABC publik wurden, die Stadt zum Schauplatz eines Fernsehdramas mit dem Titel „Murder Town“ werden zu lassen, im dem die Hauptfigur, eine schwarze Staatsanwältin, für Gerechtigkeit kämpft. Da gaben 20 religiöse Führer der Stadt eine Pressekonferenz, um ihre tiefempfundene Ablehnung des Film-Projektes klarzumachen. Welche Prüfungen will der Herrgott dieser Stadt noch auferlegen? Wilmington ist die Stadt der Briefkasten-Firmen, einige hunderttausend sind hier registriert. Der ganze Bundesstaat Delaware hat nach Angaben des Zensus knapp eine Million Einwohner, aber etwas mehr als eine Million hier gemeldete Unternehmen. Die Regierung des Bundesstaates meldet in werbender Absicht, dass 65 Prozent der im Börsenindex Fortune 500 notierten Unternehmen ihren rechtlichen Sitz in Delaware haben, in der Regel aber nicht ihre Firmenzentrale. Daran ist im Prinzip nichts Verwerfliches. Der Bundestaat hat sich in 200 Jahren eine besondere Reputation im Wirtschaftsrecht angeeignet, ein eigenes Gesellschaftsrecht entwickelt und eine – einzigartig in Amerika – eigene für Wirtschaftsfragen zuständige Gerichtsbarkeit aufgebaut, in der allein eine Jury aus Fachjuristen die Urteile zügig spricht. In anderen Bundesstaaten müsse man lan-

DR. HARALD PEIPERS, ESSEN

Krisen, Krisen und kein Ende Zum Leserbrief „Politische Entgleisung“ von Dr. Florian Keisinger (F.A.Z. vom 5. April): Seit über zehn Jahren verfolgen nicht nur wir mit zunehmender Verzweiflung die Politik Angela Merkels und können den Krankheitsbefund (der CDU/ CSU) von Markus Buschmann („Differenzieren statt assimilieren“, F.A.Z. vom 30. März) nur bestätigen. Die CDU ist nicht mehr die konservativ-liberale Partei von Ludwig Erhardt hätten sich sonst so viele ehemalige treue Parteifreunde inzwischen enttäuscht verabschiedet. Angela Merkel hat es verstanden, aus dem Bundestag einen parlamentarischen Einheitsbrei zu machen, in dem „originäre Ideen zu einem konstruktiven Wettstreit der Konzepte“ verlorengegangen sind.

Alle unter einem flachen Dach: Der Firmensitz „1209 North Orange Street in Wilmington, Delaware“

ge auf sein Urteil warten, und wenn man Pech hat, fällt ein Verkehrsrichter den Spruch, schreibt Jennifer Reuting, Unternehmerin und Autorin des Buches „Limited Liability Companies for Dummies“, was grob übersetzt heißt: „GmbHs für Blödmänner“. In Delaware dagegen finden die Unternehmer zudem ein umfassendes Netz an Wirtschaftsjuristen, das ihnen beisteht. Der größte Freund der Unternehmer ist aber die Regierung des Bundesstaates: Sie hat eine eigene Abteilung für Firmen, die auf der Regierungs-Website so beschrieben wird: „Sie wurde eingerichtet, um Unternehmen und ihren Beratern auf schnelle und effiziente Weise Dienstleistungen zu erbringen. Der Staat Delaware bezieht einen erheblichen Anteil seines Umsatzes aus Unternehmensgründungen und nimmt diese Rolle daher sehr ernst. Die Mitarbeiter der Division of Corporations sehen sich selbst als Dienstleister.“ Hier endet das Zitat. Die Absicht dieser Botschaft ist klar: Diese Dienstleistungsorientierung sei es, die Delaware so sexy für Firmen mache, und nicht etwa das laxe Steuerrecht. „Steueroase“ ist ein Begriff, der in den vergangenen Tagen recht freihändig eingesetzt wurde. Delaware wehrt sich dagegen mit der Argumentation, dass Unternehmen hier Steuern zahlen müssen, auf dem Papier sogar mehr als in einigen anderen Bundesstaaten. Die Lage schien unübersichtlich, als sich 2012 die drei Wissenschaftler Scott Dyreng, Bradley Lindsey und Jacob Thornock darangemacht haben, die Frage abschließend zu klären mit einer Untersuchung, die den Titel trägt: „Exploring the Role Delaware Plays as a Domestic Tax Haven“. Welche Rolle spielt Delaware als heimische Steueroase? Eine ziemlich eindeutige, ist das Resultat. Die Verlagerung von rechtlichen Hauptsitzen nach Delaware mag der besonders wirtschaftsfreundlichen Rechtskultur des Bundesstaates geschuldet sein, die Ansiedlung von Tochterge-

sellschaften dagegen hat demzufolge steuerliche Gründe. Sie sparen nach Schätzung der Wissenschaftler bis 9,5 Milliarden Dollar, weil sie eine besondere Lücke nutzen. Der Trick ist bekannt. Delaware verlangt zwar Unternehmensteuern, aber nicht auf alle Einkommensklassen: Erträge aus Patenten, Markenrechten oder anderen immateriellen Vermögenswerten sind steuerfrei. Das hat zahllose Firmen veranlasst, eine Tochtergesellschaft in Delaware zu gründen und ihr Markenrechte oder Patente zu übertragen. Für die Nutzung dieser immateriellen Rechte zahlt die Firma eine Lizenzgebühr, die ihren Gewinn und damit ihre Gewinnsteuern in einem anderen Bundesstaat schmälert. Nachbar-Bundesstaaten wie Pennsylvania sind deshalb höchst verstimmt über Delawares Aktivitäten. Viele ÖlförderUnternehmen aus Pennsylvania scheinen die Möglichkeit zu nutzen. Die Form der Steuerreduzierung ist ärgerlich für Nachbarn, die ihrerseits mit Steuerrechtsänderungen dagegen arbeiten. Doch es handelt sich um eine ziemlich transparente Angelegenheit. Die Panama-Papiere aber werfen das Schlaglicht auf ein anderes Phänomen, das der Briefkastenfirmen. Und hier spielen Delaware und speziell sein staatlicher Dienstleister eine wichtige Rolle. An kaum einem Ort der Welt ist es so einfach, ein Unternehmen rechtlich zu gründen. Die Regierungsabteilung für Firmengründungen, die 15 Stunden am Tag geöffnet hat, kennt mehrere Klassen: Es gibt den Ein-Stunden-Service, den ZweiStunden-Service oder den 24-StundenService. Man muss nicht in Delaware wohnen, um dort eine Firma zu haben, ein Business-Agent kann damit betraut werden. Dieser Business Agent muss kein Mensch aus Fleisch und Blut sein, er kann ein Dienstleistungsunternehmen wie CT Wolter-Kluwer sein, das in Wilmington unter der berüchtigten Adresse 1209 North Orange Street zu finden ist und als Marktführer im Metier gilt. Hin-

ter der Adresse verbirgt sich ein etwas heruntergekommenes ockerfarbenes Gebäude. Auf das Klingeln des Reporters wird nicht reagiert, später taucht ein privater Sicherheitsmann auf, der aber kein Gespräch vermitteln kann. Die „New York Times“ berichtet, dass 285 000 Firmen 1209 North Orange Street als Adresse angeben. Wer hinter diesen Unternehmen steckt, ist nicht immer transparent. Die Namen der Eigentümer müssen nicht angegeben werden. Delawares Regierung sagt, dass aber die Direktoren des Unternehmens namentlich und mit Adresse genannt sein müssen. Das sind oft Rechtsanwälte, welche die Rolle des Direktors in zahllosen Firmen wahrnehmen. Viele bekannte Unternehmen nutzen die Adresse, aber auch echte Schurken wie ein gesuchter Waffenhändler und ein Betrüger haben sie verwendet für ihre Geschäfte. Das Weiße Haus arbeitet jetzt an einer Regelung, die Banken und andere Finanzinstitutionen zwingt, die natürliche Person hinter jedem Konto zu identifizieren. Das könnte je nach Ausgestaltung Delawares Geschäfte trüben oder die anderer Steueroasen in den Vereinigten Staaten. Doch bisher sind vergleichbare Transparenzregeln stets am politischen Widerstand gescheitert. So muss es doch ein Hedgefonds-Unternehmer richten. Paul Singer, der Gründer von Elliott Management und Gläubiger von Argentinien-Anleihen, vermutete, dass Argentinien Millionen-Beträge in 123 Firmen versteckt, welche die panamaische Kanzlei Mossack Fonseca in der aufstrebenden Steueroase Nevada gegründet hatte. Er erzwang vor einem Gericht in Nevada Informationen von den verdächtigen Firmen, wenn auch noch kein Geld. Doch er will weiter kämpfen. Was heißt das für Diskretion suchende Unternehmer? Wenn Nevada nicht mehr sicher ist, dann kommt noch Wyoming in Frage, sagt Gründungs-Expertin Jennifer Reuting, der „versteckte Diamant“ unter Amerikas Steueroasen.

Der aufgeflammte Kaukasus-Konflikt lenkt von wirtschaftlichen Problemen der Beteiligten ab flation aufgrund des Absturzes der Landeswährung Manat. Deren Kurs musste von der Zentralbank unter dem Druck des fallenden Erdölpreises zunächst abgewertet und Ende 2015 ganz freigegeben werden. Der Preisverfall hat für Aserbaidschan einschneidende Folgen: Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) des drittgrößten Ölproduzenten im postsowjetischen Raum wird laut Weltbank 2016 um 2 Prozent schrumpfen; schon 2015 ist es nur um rund 1 Prozent gewachsen. Der größte Teil des aserbaidschanischen BIP hängt direkt vom Erdöl ab – und weite Teile des Rests von der staatlichen Verteilung der Öleinnahmen. Der Staat hat die Ausgaben schon stark gekürzt, was ihn aber nicht vor einem hohen Defizit bewahren wird. Laut Internationalem Währungsfonds (IWF) wäre 2016 für ein ausgeglichenes Budget ein Preis von 60 Dollar je Fass nötig. Der Gesellschaftsvertrag, basierend auf wachsendem Wohlstand für die Bürger im Austausch für unangefochtene Macht des Alijew-Clans, ist in Gefahr. Auch in Armenien könnte die Lage schöner sein. Im vergangenen Sommer erlebte das Land die größten Proteste seit Jahren, als in Eriwan Bürger gegen die Belastungen durch steigende Strompreise demonstrierten. Die Regierung

entschloss sich, die Erhöhung zunächst selbst zu zahlen, was den Haushalt stark ins Minus drückte. Die Sensibilität der Bevölkerung ist verständlich: Zwar ist die Armut seit der Jahrhundertwende deutlich gesunken, aber zuletzt stockte der Prozess. Laut der Weltbank liegt der Anteil der Personen, die mit (kaufkraftbereinigt) weniger als 2,50 Dollar pro Tag auskommen müssen, seit 2009 zwischen 25 Prozent und 30 Prozent. Drei UKRAINE

RUSSLAND

KASACHSTAN Kaspisches KAU Meer KA SU Schwarzes Meer TURKS MENISTAN TÜRKEI 500 km

Krim

Südossetien

GEORGIEN

Kaspisches Meer

RUSSLAND

Tiflis

ARMENIEN Eriwan

Stepanakert

ASERBAIDSCHAN Baku Nagornyj Karabach von Armeniern besetztes Gebiet

Nachitschewan (zu Aserbaidschan) 100 00 km

F.A.Z Karte lev. F.A.Z.-Karte

IRAN

Die FDP Führung ist in ihrer vierjährigen Regierungsmitarbeit ebenso unter die Merkelschen „Räder“ gekommen wie die SPD in den sogenannten „Großen Koalitionen“. Für die FDP war das Ergebnis dieser Mitwirkung tödlich, für die SPD bedeutet es Abschied von dem Status „Volkspartei“. Wie sollen aus diesem Einheitsbrei noch vernünftige Konzepte entstehen können? Die Ergebnisse dieser desaströsen Politik seit 2005 sind: die verkorkste EU-Politik, Griechenland und die verschuldeten Südländer Europas, die Euro-Krise und kein Ende, die Energiewende und kein Ende, die Flüchtlingskrise und kein Ende. Es soll Leute geben, die sagen: Es kann erst besser werden, wenn die CDU an der Fünfprozenthürde scheitert. RÜDIGER UND FRAUKE DIERKE, LINGEN

Das Gegenteil ist richtig Foto Winand von Petersdorff

Krieg mit Gewinn bet. MOSKAU, 10. April. Mit den schwersten Kämpfen seit 1994 ist in der vergangenen Woche die Gewalt in den Südkaukasus zurückgekehrt. Die Gefechte zwischen aserbaidschanischen und armenischen Truppen rund um die abtrünnige Region Nagornyj Karabach haben Dutzende Tote gefordert, bevor eine brüchige Feuerpause die Lage etwas entspannte. Ein unmittelbarer Auslöser für die Auseinandersetzung um die völkerrechtlich zu Aserbaidschan gehörende, aber von einem armenischen Regime kontrollierte Gegend ist nicht ersichtlich. Manche Analysten sehen als möglichen Grund die Absicht der Regierungen, vor allem jener in Baku, von wirtschaftlichen Problemen abzulenken. Das Aufflammen des alten Konflikts hat in beiden Ländern eine Welle der Propaganda und des Patriotismus ausgelöst. In Baku und in Eriwan versammelten sich Hunderte, um Unterstützung für den Waffengang zu demonstrieren. Zuvor waren eher Proteste zu beobachten gewesen: Besonders in Aserbaidschan, das vom repressiven Regime des autokratischen Präsidenten Ilham Alijew kontrolliert wird, kam es nach dem Jahreswechsel zu sonst seltenen Unmutsbekundungen. Im ganzen Land demonstrierten Bürger gegen Kaufkraftverlust und hohe In-

Wandel“ fand beim Gesetzgeber keinen Widerhall. Angesichts der Schreckensereignisse von Brüssel und der seit Jahren wachsenden Terrorgefahren ist ein Rekurs auf den „Deutschen Herbst“ hoch aktuell und sollte nicht mit dem Hinweis auf die Unterschiedlichkeit von Ursachen und Bedingungen zurückgewiesen werden. In beiden Fällen steht das Verständnis vom Rechtsstaat auf dem Prüfstand. Das höchste von ihm zu schützende Gut ist das menschliche Leben. In Zeiten des Terrors muss er seine Organe in die Lage versetzen, effektiv zu handeln. Unterlässt er das, so verfälscht er die rechtsstaatlichem Denken zugrunde liegende Idee, die auch und gerade in der liberalen Demokratie der Freiheit Grenzen auferlegt.

Viertel haben weniger als 5 Dollar am Tag zur Verfügung. Bis 2018 erwartet die Weltbank keine Besserung der Armut. Eine Rolle spielt der Sog durch die Wirtschaftskrise beim engen Partner Russland: Wenn das russische BIP um 4 Prozent schrumpft, fällt die armenische Wirtschaftsleistung um 3 Prozent, schätzte der IMF im Oktober. Damit ist der „Russland-Schock“ für kaum ein Land in der Region so groß wie für Armenien. Vor allem die Heimatüberweisungen armenischer Gastarbeiter fallen ins Gewicht. Rücküberweisungen trugen 2014 rund ein Fünftel zum BIP bei, der Großteil kam aus Russland. Die Gastarbeiter erwirtschaften ihre Einnahmen vor allem in Wirtschaftszweigen mit international nicht handelbaren Gütern, zum Beispiel am Bau. Dieser Sektor hängt in Russland aber noch stärker als die Gesamtwirtschaft vom Ölpreis ab, ist sehr volatil, und die Arbeitsverhältnisse sind laut Experten besonders unsicher. Kehren die Migranten nach Hause zurück, suchen sie dort nach Stellen, was sich in steigender Arbeitslosigkeit oder sinkenden Löhnen bemerkbar machen kann. Offiziell sind schon ein Fünftel der Armenier ohne Arbeit, tatsächlich dürfte die Zahl höher liegen. Für 2016 erwartet die Weltbank ein Wirtschaftswachstum von nur knapp 2 Prozent.

Der Replik von Leserin Dr. Anuscheh Farahat „Wer sich verändert, bleibt sich treu“ (F.A.Z. vom 5. April) auf den Gastbeitrag „Ein neues Staatsvolk“ von Ferdinand Weber (F.A.Z. vom 31. März) im Zusammenhang mit dem Staatsangehörigkeitsrecht ist Gedanke für Gedanke schärfstens zu widersprechen, da genau das Gegenteil richtig ist. Deutschland hat mit seiner Abkehr vom Abstammungsprinzip (Ius sanguinis) beim Einbürgerungsrecht hin zum Geburtsortsprinzip (Ius soli) sehenden Auges einen fatalen und anhaltenden Fehler begangen. Dies just in einer Zeit, in der namhafte französische Politiker seinerzeit – leider vergeblich – dafür eintraten, deren Ius-soli-Prinzip der deutschen Handhabung anzupassen. Dies vor dem Hintergrund der Rechtslage, dass eine Ausweisung nicht integrierbarer, da nicht inte-

grationswilliger Mitbürger vorwiegend nordafrikanischer Herkunft die französische Gesellschaft zu spalten drohte und dies bis heute tut. Für besonders bedauerlich halte ich die zahlreichen Behauptungen von Frau Farahat, die einer Überprüfung nicht standhalten. So weist sie in ihrem Brief unter anderem auf die fehlende Flankierung der rechtlichen Gleichbehandlung in Frankreich hin. Da fragt man sich als Kenner des Landes aus eigener Anschauung doch, ob sie weiß, wovon sie schreibt. Dass eher in sich geschlossene demokratische Gesellschaften, Japan, Südkorea und so weiter durchaus erfolgreich sind, kann wohl kaum geleugnet werden. Deren Gesellschaftsprobleme sind zumindest „hausgemacht“ und nicht noch zusätzlich importiert. CHRISTIAN KARL RIMEK, FRANKFURT AM MAIN

Breslau einst und heute Zum Beitrag „Alles fließt ineinander“ (F.A.Z. vom 30. März): Das Porträt der heute polnischen Stadt Breslau ist in mancherlei Hinsicht äußerst lesenswert. Der Autor weist auf den „offenen Geist“ hin, der – nicht zuletzt dank des liberalen Stadtpräsidenten Dutkiewicz – in der Odermetropole lebendig ist. Hier, wo ein liberales Klima selbst eine „anarchistische Spaßgesellschaft“ duldet, haben nationalkonservative, ja deutschfeindliche Stimmen keinen fruchtbaren Nährboden, auch wenn es aus dieser Ecke freilich Anfeindungen gibt. Von polnischer Seite wird diese Offenheit damit begründet, dass die Stadt, die mit zehn deutschen Nobelpreisträgern verbunden ist, 1945 durch Zuwanderer aus allen Teilen Polens zum „Schmelztiegel“ wurde – im positiven Sinne des Wortes. Der Autor betont, dass heute in Breslau die deutsche Geschichte der Stadt – schon der originalgetreue Wiederaufbau der Altstadt zeugt davon – in keiner Weise geleugnet wird: Verwiesen wird auf das Denkmal des Widerstandskämpfers Dietrich Bonhoeffer an der Elisabethkirche am Ring oder an das Eichendorff-Denkmal im Scheitniger Park; ferner auf die Wiederaufnahme der alten Namen „Königsschloss“ und „Jahrhunderthalle“. Nicht zuletzt wird an einen Akt der Wiedergutmachung erinnert: Anstelle der einst geschändeten deutschen Friedhöfe wurden die noch auffindbaren Grabsteine in eine Gedenkwand an der Gräbschener Straße vermauert. Soweit der Blick in das heutige Breslau, der kenntnisreich vorgenommen wird und positiv ausfällt. Ergänzungsbedürftig scheinen dagegen manche geschichtlichen Rückblicke zu sein. Was das Mittelalter angeht, so mag der Übergang Breslaus an die böhmische Krone am Rand vielleicht auch eine finanzielle Aktion gewesen sein. Wesentlich jedoch war für alle schlesisch-piastischen Teilfürstentümer die Abwendung vom Königreich Polen und – über Böhmen – die Hinwendung zum deutschen Reichs- und Kulturraum. Schließlich hatte im 13. Jahrhundert in Breslau unter Herzog Heinrich I. die friedliche, großflächige Besiedlung Schlesiens durch Mönche, durch Bauern,

durch Handwerker und Kaufleute aus dem Westen und Süden Deutschlands begonnen, eine Entwicklung, die Schlesiens Gesicht für 700 Jahre prägte und – durch Verschmelzung mit alteingesessenen Slawen – den ostdeutschen Neustamm der Schlesier schuf. Seit dem Verzicht der polnischen Krone auf Schlesien (1335) gab es zwar im Laufe der Jahrhunderte so manchen Herrscherwechsel, aber Schlesien blieb, wie es seit dem Hochmittelalter geworden war. Was das 20. Jahrhundert angeht, so ist auch da einiges ergänzungsbedürftig. Wenn es heißt, im Jahr 1945 hätten „die Alliierten das Land (Polen) nach Westen“ verschoben, so dürfte man doch nicht die Anmerkung außer Acht lassen, dass Polen nicht nur hilflos den Großmächten ausgeliefert war, sondern selbst schon seit langem expansive Machtpläne hatte, die bereits nach dem Ersten Weltkrieg rücksichtslos umgesetzt wurden. Und wenn von „zwei Massenvertreibungen“ gesprochen wird, so sollte doch differenziert werden: Schließlich gab es zwar viele Vertreibungen von einzelnen Menschen und ethnischen Minderheiten in Europa, aber es gab nur eine flächendeckende Vertreibung, die eine millionenfache, homogene Bevölkerung ihrer angestammten Siedlungsgebiete beraubte. Am Ende sei noch der „Versöhnungsbrief“ der polnischen Bischöfe von 1965 erwähnt, der seinen Ausgang von Breslau, von Erzbischof Kominek nahm. Dieser Brief bedeutete – wie es wenig später in einem gemeinsamen Hirtenbrief der Bischöfe Polens hieß – keinerlei Anerkennung von Schuld auf polnischer Seite; dies wurde sogar energisch bestritten. Der Brief war – und das ist längst kein Geheimnis mehr – in der Absicht verfasst, die deutschen Amtsbrüder noch vor den sogenannten Ostverträgen zur Anerkennung der gewaltsam von Staat und Kirche geschaffenen Fakten in Ostdeutschland zu bewegen. Ein Akt keineswegs von „welthistorischer Größe“. Wie dem auch sei, diese Ergänzungen mindern nicht den Wert des Beitrags über Breslau, sieht man ihn als Ganzes. DR. JOHANNES SZIBORSKY, JANDELSBRUNN

Technik-und-Motor-Lesevergnügen „Der Technik-und-Motor-Teil“ der F.A.Z. vom Dienstag ist mir ein wöchentlicher Lesehöhepunkt, und erst wenn auch der letzte Beitrag gelesen ist, wandert die Beilage ins Altpapier. Was ich nicht schaffe, wird später gelesen. Ich möchte Ihnen einmal danke sagen für viele Jahre großes Lesevergnügen und schier unzählige gute Tipps. Noch nie hat mich ein Ding enttäuscht, das ich aufgrund Ihrer „Empfehlung“ angeschafft

habe. Es erweist sich einfach, dass die praxisnahe Herangehensweise an Produkte tausendmal hilfreicher ist als scheinbar objektive Testergebnisse, die Leistungswerte zwar bis auf die dritte Nachkommastelle ermitteln, aber völlig außer Acht lassen, welchen Nutzen ein Ding im Alltag haben kann. Machen Sie alle bitte weiter so! Ich freue mich schon jetzt auf den nächsten Dienstag! EBERHARD HEUSEL, FREIBURG I. BRG.

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Unternehmen

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Deutsche Unternehmen im Ausverkauf So viele Übernahmen und Fusionen wie noch nie

Heil wiederkommen: Start einer SpaceX-Rakete in Cape Canaveral

Foto AFP

Elon Musk erreicht weiteren Meilenstein Eine Rakete von SpaceX landet auf einer schwimmenden Plattform im Ozean. Damit kann sie wiederverwertet werden. Auch Barack Obama gratuliert. lid. NEW YORK, 10. April. Im fünften Anlauf hat es geklappt: Dem von Elon Musk geführten Raumfahrtunternehmen SpaceX ist es am Freitag zum ersten Mal gelungen, eine Trägerrakete nach absolvierter Mission auf die Erde zurückzubringen und auf einer schwimmenden Plattform im Ozean landen zu lassen. Das ist ein Meilenstein auf dem Weg, solche Raketen wiederverwertbar zu machen und damit die Kosten von Flügen in den Weltraum erheblich zu senken. Das könnte zum Beispiel auch dabei helfen, Weltraumtourismus erschwinglicher zu machen. Musk nannte die geglückte Landung in einer Pressekonferenz „einen weiteren Schritt zu den Sternen“, an dem SpaceX hart gearbeitet habe. Selbst der amerikanische Präsident Barack Obama

gratulierte dem Unternehmen und twitterte: „Wegen Innovatoren wie Ihnen und der Nasa spielt Amerika weiter eine führende Rolle in der Erkundung des Weltraums.“ Die zurückgekehrte Rakete könnte nach Musks Worten im Juni wieder abheben. In der Zukunft wolle SpaceX seine Raketen innerhalb weniger Wochen wiederverwerten. Musk schätzte, dass seine Raketen zehn- bis zwanzigmal genutzt werden könnten und mit „geringfügiger Instandsetzung“ sogar einhundertmal. Traditionell werden Weltraumraketen nur für eine einzige Mission verwendet. Erst im Dezember war SpaceX ein ähnlicher Erfolg gelungen. Auch damals brachte das Unternehmen eine Rakete zurück. Sie landete aber auf festem Grund in der Nähe der Startrampe. Eine Landung auf dem Wasser, die nach Darstellung von Musk für viele Missionen notwendig ist, hat sich dagegen als deutlich schwierigeres Unterfangen herausgestellt. Mehrere Versuche von SpaceX schlugen fehl, zuletzt im Januar, als eine zurückgeholte Rakete bei der Landung auf der Plattform umkippte und explodierte. Die jetzt zurückgebrachte Rakete war im Auftrag der Raumfahrtbehörde Nasa

unterwegs. Sie brachte die Raumkapsel „Dragon“ mit Ausrüstung für die Raumstation ISS ins All. Space X ist zu einem wichtigen Partner für die Nasa geworden und fliegt schon seit einigen Jahren in ihrem Auftrag zur ISS. Bislang handelt es sich dabei um unbemannte Versorgungsflüge, aber von Ende nächsten Jahres an will SpaceX auch Astronauten ins All bringen. Damit würde das Unternehmen die Rückkehr der Vereinigten Staaten in die bemannte Raumfahrt ermöglichen. Seit dem Ende des Spaceshuttle-Programms im Jahr 2011 müssen die Amerikaner Plätze in russischen Sojus-Maschinen buchen, wenn sie Astronauten ins All bringen wollen. SpaceX ist indessen nicht nur für die Nasa im Einsatz, sondern arbeitet auch für kommerzielle Kunden und bringt zum Beispiel Satelliten für sie ins All. Neben SpaceX gibt es mittlerweile auch eine Reihe anderer junger privater Raumfahrtunternehmen, die von sich reden machen. Für Schlagzeilen hat in jüngster Zeit vor allem Blue Origin gesorgt, das Zweitunternehmen des sonst vor allem als Gründer des Online-Händlers Amazon bekannten Jeff Bezos. Zwi-

schen Musk und Bezos ist derzeit eine aufkeimende Rivalität zu beobachten. Bezos gelang es mit Blue Origin schon im vergangenen Herbst, eine Rakete nach dem Start wieder auf die Erde zurückzubringen, wobei Musk darauf hinwies, dass dies für die Missionen von SpaceX ungleich schwieriger sei. Vor weniger als einem Jahr musste Elon Musk mit SpaceX noch einen herben Rückschlag hinnehmen, als eine Trägerrakete nur kurz nach Start explodierte. Seither schwimmt er aber auf einer Erfolgswelle, und das nicht nur wegen der gelungenen Starts und Landungen von SpaceX. Neben dem Raumfahrtunternehmen führt Musk auch den Elektroautohersteller Tesla Motors. Vor wenigen Tagen stellte er ein neues Tesla-Modell vor, das deutlich billiger sein soll als die bisherigen Fahrzeuge des Unternehmens. Innerhalb weniger Tage hat Tesla 325 000 Vorbestellungen für das Auto bekommen, weit mehr, als der Hersteller von seinen bisherigen Modellen insgesamt verkauft hat. Seine größte Herausforderung ist derzeit nicht die Nachfrage, sondern das Überwinden von Schwierigkeiten in der Produktion der Autos.

Die fliegende Werbetrommel Der goldene Haribo-Flieger ist nun blau und wirbt für TUI selbst / Sonderbemalungen als beliebtes Marketingmittel kpa. FRANKFURT, 10. April. Wer das goldfarbene Haribo-Flugzeug noch nie zu Gesicht bekommen hat – sei es als Passagier oder als Zaungast an einem Flughafen, der wird es auch künftig nicht mehr am Himmel finden. Denn diese Boeing 737 der Ferienfluggesellschaft TUIfly wurde im Februar umlackiert. Verschwunden sind der Goldbär auf dem Leitwerk, die Gummibärchen auf dem Rumpf sowie der rot-schwarze Haribo-Schriftzug. Inzwischen leuchtet die Maschine in sattem dunklen Blau und trägt in weißen Lettern den Namen „TUI Blue“. Sie soll künftig zusammen mit anderen Flugzeugen für den TUI-Konzern selbst und seine Kernmarken wie zum Beispiel Robinson- oder RIU-Hotels werben. Besonders lackierte Flugzeuge gibt es auf der Welt viele, auch die großen und kleinen Fans sind zahlreich. Manche Fluggesellschaften zeigen sich rege, andere dagegen wie Lufthansa, Air France oder British Airways bleiben zurückhaltend. Eher selten werden die Flugzeugrümpfe allerdings als reine Werbefläche verkauft wie zum Beispiel von TUIfly. Viele Fluggesellschaften werben für ihr Land oder sportliche Ereignisse, wie Etihad Airways für Reisen nach Abu Dhabi oder das dortige Formel-1-Rennen. Auch Air China wirbt mittels Flugzeugen des Typs Boeing 777 mit 40 lächelnden Porträts und der Aufschrift „Smiling China“ oder der „Love China“-Bemalung für Sympathie. Daneben steht häufig auch der Sport oder das Sponsoring im Mittelpunkt. Air New Zealand zum Beispiel hat aktuell drei Flugzeuge zu Ehren der wohl bekanntesten Rugby-Mannschaft der Welt, den neuseeländischen „All Blacks“, vollständig in Schwarz lackiert – mit Ausnahme des Silberfarns auf dem Leitwerk. Andere Konzerne wiederum begehen durch Sonderbemalungen Jubiläen der verschiedensten Art wie Turkish Airlines. Die türkische Gesellschaft hat das 300ste Flugzeug ihrer Flotte, einen Airbus 330, mit einer besonderen Aufschrift versehen. Emirates wiederum setzt sich auf zwei Airbus-Flugzeugen des Typs A 380 für den Schutz wilder Tiere ein und bildet dort Elefanten, Löwen, Tiger oder Gorillas ab. „Fluggesellschaften haben den Wert dieser Marketingmaßnahmen erkannt und nutzen sie entsprechend vielfältig“, sagt Jens Grefen, Kreativdirektor der Markenberatung Interbrand Deutschland. Sei es, um neue Streckenverbindungen oder ein Jubiläum zu feiern, oder einfach nur, um das Image aufzubessern. Auch Partnerschaften mit anderen Marken seien

gängig, um zum Beispiel Spenden einzusammeln. „Mit Maschinen im Retro-Look wiederum wird zudem der Mythos des Fliegens wiederbelebt“, sagt Grefen. Diese Individualisierung rücke Unternehmen in den Blickpunkt, ohne dass diese selbst darüber sprechen müssten. In manchen Flugzeugen reicht das besondere Design bis in das Innere, wie bei den inzwischen drei Boeings der japanischen Gesellschaft All Nippon Airlines, die passend zum jüngsten Kinofilm au-

ßen und innen im Star-Wars-Design gestaltet sind. Bekanntes Beispiel sind auch Jets der taiwanischen Eva Air, wo sich inklusive der Uniformen des Flugpersonals alles um die Kultfigur „Hello Kitty“ dreht (F.A.Z. vom 8. August 2015). Und wie geht es mit Haribo und TUIfly weiter? Haribo bleibe ein enger Kooperationspartner, sagt Jan Hillrichs, Pressesprecher von TUIfly. Denn noch immer sei in der 40 Maschinen umfassenden Flotte der bunte „Paradiesvogel“ unter-

D-ATUD bisher: Dieses TUI-Flugzeug machte Werbung für Haribo.

Seit Februar: Die Boeing ist Werbeträger für den TUI-Konzern selbst.

Foto Haribo

Foto Kerstin Papon

wegs, der seit rund einem Jahr für Tropifrutti von Haribo werbe. Weiterer Werbepartner des Unternehmens ist der Fotospezialist Cewe Colour mit einer überwiegend in Rot lackierten Maschine. Man habe sich nun entschieden, den eigenen Konzern stärker zu bewerben, auch wenn man Werbeanfragen jederzeit offen gegenüberstehe, sagt Hillrichs. Solche Kooperationen dauerten bisweilen auch nur ein Jahr. Der Haribo-Flieger sei seit dem Jahr 2010 auf europäischen Strecken im regulären Flugbetrieb unterwegs gewesen. Ein früherer Kunde von TUIfly war unter anderen auch die Deutsche Bahn mit einem als ICE lackierten Flugzeug und einer Regio-Maschine. Über die Preise schweigt sich Hillrichs jedoch aus. Das Haribo-Flugzeug habe ohnehin neu lackiert werden müssen, sagt der Sprecher von TUIfly. Dies müsse regelmäßig geschehen, da sich der Lack durch die starke UV-Strahlung, Reibung mit hoher Geschwindigkeit und das deutliche Temperaturgefälle während des Fluges abnutze. Eine Standardlackierung koste von rund 80 000 Euro an, besondere Bemalungen entsprechend mehr. Sie würden von eigenständigen Lackierbetrieben durchgeführt, wie für „TUI Blue“ im britischen Norwich. Kleinere Details könnten mit Folien aufgeklebt, größere Flächen müssten aber lackiert werden, da die Flugzeuge sonst zu schwer würden und dadurch zu viel Kerosin verbrauchten. Von Haribo heißt es, man habe im vergangenen Jahr den Schwerpunkt auf die neue Werbefigur Michael Bully Herbig gelegt. Daher habe man den Vertrag über das goldfarbene Flugzeug mit TUIfly Ende Oktober 2015 auslaufen lassen, sagt ein Sprecher von Haribo. Mit dem Erfolg dieser Art des Marketings sei man aber sehr zufrieden, denn die beiden Marken ergänzten sich auch mit Blick auf ihre Familieorientierung ideal. Die Haribo-Flugzeuge seien nicht nur bei den Fluggästen mit viel Begeisterung aufgenommen worden. Der Vertrag für den „Paradiesvogel“ laufe auf jeden Fall noch bis April 2017. Die neuen TUI-Sonderlackierungen wiederum werden in dieser Woche in Hannover der Öffentlichkeit präsentiert. Die Flugdaten einiger bunter Vögel veröffentlichen Gesellschaften wie TUIfly als Kundenservice im Internet. Eine Sonderbemalung schaffe Sympathie und Fans und gebe dem Fliegen ein Stückchen Faszination zurück, sagt Grefen. Auf jeden Fall fällt sie auf.

chs. PARIS, 10. April. Auf dem deutschen Markt gab es im vergangenen Jahr so viele Fusionen und Übernahmen wie nie zuvor. Zu diesem Ergebnis kommen die Wirtschaftsprüfer von Price Waterhouse Coopers (PWC) auf Basis der M&A-Datenbank Zephyr. Die Zahl von Fusionen und Übernahmen wuchs in Deutschland gegenüber dem Vorjahr um 57 Prozent auf mehr als 2500 Transaktionen. Das sind auch etwa 400 Transaktionen mehr als im bisherigen Rekordjahr 2007. „Deutschland ist wahrscheinlich das Land in Europa, das in den nächsten fünf Jahren für Übernahmen und Fusionen am attraktivsten ist“, sagt Erik Hummitzsch, Partner von PWC in Deutschland, gegenüber dieser Zeitung. 54 Prozent der Transaktionen kamen durch einen ausländischen Investor zustande, gegenüber nur 39 Prozent im Vorjahr. Der Grund liegt zum einen auf der Nachfrageseite, die „maßgeblich vom aktuellen Nullzins-Umfeld getrieben wird“, sagt Hummitzsch. Schuldenfinanzierte Übernahmen seien wegen der günstigen Finanzierung interessant. So seien jetzt wieder viele amerikanische und britische Fonds in Deutschland unterwegs, ergänzt durch Investoren aus China, Singapur und dem Mittleren Osten. Reiche Privatinvestoren aus Deutschland sowie neugegründete deutsche Private-Equity-Gesellschaften kämen hinzu. Konzerne, die sich strategisch erweitern wollen, blickten ebenfalls auf Deutschland, weil dort noch etliche Unternehmen mit Weltmarktführerstatus zu finden seien. Firmen aus dem Internet- und E-Commerce-Bereich bereicherten das Angebot. PWC rechnet wieder mit einem „starken Jahr“, kann aber nicht sagen, ob es das vergangene Jahr übertrifft. „Das

hängt nicht zuletzt von den Folgen des britischen Referendums über die EU-Zugehörigkeit und von der allgemeinen wirtschaftlichen Entwicklung im zweiten Halbjahr ab.“ Auch im zweitgrößten Land des Euroraumes, Frankreich, ist der Aufschwung bei den Übernahmen zu spüren. Dort nahm ihre Zahl im vergangenen Jahr um ein gutes Drittel auf rund 2700 Transaktionen zu. Vom Rekordjahr 2007 ist Frankreich dabei allerdings noch ein gutes Stück entfernt. Deutsche Unternehmen hätten „häufig Respekt vor Investitionen in Frankreich, nicht zuletzt aufgrund des komplexeren Arbeitsrechts“, sagt Hemmitzsch. „In der Wahrnehmung vieler Unternehmen entstehen bei einer Übernahme in Frankreich andere Herausforderungen, als man sie aus Deutschland gewohnt ist.“ Dennoch stiegen die Investitionen deutscher Unternehmen auf dem französischen Markt im Jahr 2015 um ein gutes Drittel. In umgekehrter Richtung ist die rege Szene französischer Kapitalbeteiligungsgesellschaften stark an Deutschland interessiert. Frankreich realisierte im vergangenen Jahr 59 Übernahmen oder Fusionen auf dem deutschen Markt, gut die Hälfte mehr als im Vorjahr. Nach der Transaktionszahl investierten in Deutschland 2015 nur Kanada, Luxemburg und die Niederlande mehr. Zu den größten deutsch-französischen Übernahmen gehörte im vergangenen Jahr nach Angaben von PWC der Kauf des deutschen Anbieters von Laboren und Gesundheitspraxen, Amedes, durch den französischen Infrastrukturfonds Antin für 700 Millionen Euro sowie die schon 2014 eingeleitete Übernahme der französischen Filmgesellschaft Wild Bunch durch Senator Entertainment für 360 Millionen Euro.

SAP übertrumpft Oracle Gewinn legt deutlich zu / Umsatz wächst nur schwach fib. FRANKFURT, 10. April. Trotz Rückschlägen zum Jahresstart hat der Softwarekonzern SAP im ersten Quartal einen deutlichen Gewinnsprung verbucht. Das operative Ergebnis legte nach vorläufigen Zahlen gegenüber dem Vorjahr um 28 Prozent auf 810 Millionen Euro zu. Das teilte SAP in der Nacht zum Samstag mit. Damit ging das im kurpfälzischen Walldorf bei Heidelberg ansässige Softwarehaus abermals deutlich besser durchs Quartalsziel als der kalifornische Erzrivale Oracle. Den Amerikanern hatte zuletzt der starke Dollar zugesetzt. Im abgelaufenen Geschäftsquartal sank der Überschuss, verglichen mit dem Vorjahreswert, um 14 Prozent auf 2,1 Milliarden Dollar (1,8 Milliarden Euro). Der Umsatz ging um 3 Prozent auf 9 Milliarden Dollar zurück. Auch für die Deutschen liefen die Geschäfte im Eröffnungsquartal des Jahres indes nicht so gut wie erwartet. Kunden hätte einige Aufträge, die bis Ende März eingeplant waren, erst für den April gebucht. Das erste Quartal fällt im Softwaregeschäft üblicherweise schwächer aus, weil die Unternehmen in der Regel zum Jahresende in IT investieren. Die Gesamterlöse stiegen um fünf Prozent auf 4,7 Milliarden Euro. Die Umsätze mit klassischen Softwarelizenzen gingen zurück, wäh-

rend das neue Geschäft mit Mietsoftware abermals zweistellig gewachsen ist. Seine endgültige Quartalsbilanz für das erste Quartal legt SAP nächste Woche am 20. April vor. Der Konzern ist seit einigen Jahren dabei, sein Geschäftsmodell umzustellen. Statt Softwarelizenzen zu verkaufen, werden den Kunden vermehrt Programme zur Miete angeboten. Das bringt den Walldorfern stetigere und von der Konjunktur unabhängigere Einnahmen. Das Cloudgeschäft hat allerdings niedrigere Gewinnspannen als der Verkauf, die Implementierung und Wartung von verkauften Softwarepaketen. In den vergangenen Jahren hatte SAP außerdem Arbeitsplätze in weniger zukunftsträchtigen Abteilungen gestrichen, die nicht so stark wie das Neugeschäft wuchsen. Ein dafür gestartetes Abfindungsprogramm in Europa hatte im vergangenen Jahr auf den Gewinn gedrückt. Zuletzt hatte SAP seine Erlöse auch dank Übernahmen gesteigert. Für das laufende Jahr hatte der Konzern schon prognostiziert, dass sich das Wachstum abschwächen wird. Der Kurs der Aktie legte in den vergangenen sechs Monaten von 56 auf vorübergehend mehr als 70 Euro zu. Vergangene Woche wurde das Papier zu einem Stückpreis von rund 68 Euro verkauft.

Brillen aus dem 3D-Drucker Die Branche steht vor völlig neuem Geschäftsmodell MÜNCHEN, 10. April (dpa-AFX). Brillen aus dem 3D-Drucker sind in Deutschland auf dem Vormarsch. Nach anfänglicher Skepsis bieten einige Optikgeschäfte bereits gedruckte Brillengestelle nach den Wünschen des Kunden an. „Der 3D-Druck hat keinen Exotenstatus mehr und wird seinen Platz am Markt finden“, sagt Ingo Rütten vom Zentralverband der Augenoptiker. Richtig in Schwung soll das Geschäft durch die individuelle Anpassung der gedruckten Brillengestelle an die Gesichtsform kommen. Auf der Optikmesse opti in München stellt das hessische Unternehmen Framelapp Anfang des Jahres einen Kopf-Scanner vor, der die Form der Nase und andere Merkmale des Gesichts erfasst und den Drucker mit diesen Daten speist. „Der 3D-Druck wird die Optikbranche über kurz oder lang revolutionieren“, meint Geschäftsführer Hendrik Wieburg, der im Auftrag von Optikgeschäften mehrere tausend Brillen im Jahr per 3D-Druck herstellt. Gemessen am gesamten Markt ist das zwar noch sehr wenig – die großen Mitspieler verfolgen die Entwicklung aber genau: Brillengestelle aus dem 3D-Drucker seien eine spannende technologische Entwicklung, heißt es beim Online-Brillenhändler Mister Spex. „Noch bieten wir keine Brillengestelle aus dem 3D-Drucker an, evaluieren aber regelmäßig die relevanten Technologien“, sagt Gründer und Geschäftsführer Dirk Graber. Ähnlich äußert sich Konkurrent Brille-24. Auch die größte AugenoptikerKette Fielmann mit ihren rund 700 Niederlassungen behält die 3D-Technologie im Blick: „Wir beobachten die Entwick-

lung“, sagt Vorstandsmitglied Stefan Thies. Für Design-Brillen und Prototypen sei der 3D-Druck bereits interessant. Als Knackpunkt für den Massenmarkt gilt bislang unter anderem der Preis von rund 300 Euro für ein Brillengestell. Für stationäre Optiker könnte der Kopf-Scanner in Kombination mit einem Brillen-Drucker aber eine Chance sein, die Kunden in die Geschäfte zu locken. Denn in den vergangenen Jahren haben viele Menschen ihre Brille im Internet bestellt: 2014 wurden nach Angaben des Augenoptikerverbandes 650 000 Korrektionsbrillen online verkauft – fast ein Drittel mehr als im Vorjahr. Grundsätzlich muss sich die Optikbranche in nächster Zeit aber keine Sorgen um ihre Kunden machen: Rund 40 Millionen Menschen tragen in Deutschland einer Allensbach-Studie zufolge eine Brille. Die Alterung der Gesellschaft spielt den Optikern in die Hände: Selbst wer als junger Mensch keine braucht, muss meist ab Mitte 40 beim Lesen zur Brille greifen. Bei den 45- bis 59-Jährigen beträgt der Anteil der Brillenträger 73 Prozent und steigt danach weiter an. Aber auch bei jüngeren Leuten ist der Anteil der Brillenträger in den vergangenen Jahrzehnten stark gewachsen. Wie sich der Smartphone-Boom auf das Sehvermögen auswirkt, ist unter Experten noch immer umstritten: Langzeitstudien über die gesundheitlichen Auswirkungen der Geräte stehen noch aus. Aber ein Spaziergang ist das permanente Fixieren eines kleinen Monitors für die Augen wohl nicht.

Unternehmen

FRANKFU RT ER A L LG EM E I NE Z E I TU NG

M O N TAG , 1 1 . AP R I L 2 0 1 6 · NR . 8 4 · S E I T E 23

Hannover fordert Verbesserungen für Bahnreisende zur Messezeit

Winterkorn lässt VW-Präsidium zappeln Der Aufsichtsrat ringt um einen öffentlichkeitswirksamen Verzicht auf Boni. Doch der einstige Vorstandsvorsitzende will sich alles auszahlen lassen. Den Anspruch hat er. F.A.Z. FRANKFURT, 10. April. Der Umgang mit den Bonuszahlungen an seine Vorstände beschäftigt den VW-Konzern wohl noch bis zum 28. April. Auf diesen Termin hat der Konzern die Vorstellung der Bilanz und auch die Veröffentlichung des Geschäftsberichts verschoben. Reichlich mehr als einen Monat nach allen anderen Dax-Konzernen muss der Konzern zu heiklen Themen Farbe bekennen. Dazu gehören die Bonuszahlungen an die Vorstände wie auch die Dividende an die Aktionäre – beides im Lichte drohender Milliardenstrafen wegen des Abgasskandals. An diesem Montag wird sich das aus sechs Personen bestehende Präsidium des Aufsichtsrats mit den Themen befassen. Mit endgültigen Entscheidungen wird nicht gerechnet, wohl aber mit lebhaften Diskussionen. Die Krux aus Sicht des Aufsichtsrats ist die Rechtslage. Alle Vorstände haben Verträge, aus denen ihre Bonusansprüche eindeutig abgeleitet werden können. Auch der Vertrag des im September zurückgetretenen Martin Winterkorn läuft weiter. Millionenzahlungen stehen im Raum. Gerade er, so berichtet es die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, ist zu keinerlei Kompromissen bereit. Die Unterhändler des Konzerns beißen sich gegenwärtig daran die Zähne aus, ihren ehemaligen Chef zum Einlenken zu bewegen, heißt es. „Ich kann bestätigen, dass er einen gültigen Vertrag hat“, ließ die Konzernzentrale am Sonntag wissen. Winterkorn ist zwar „im Interesse des Unternehmens“ zurückgetreten, fügte damals aber an, „obwohl ich mir keines Fehlverhaltens bewusst bin.“ Auf sein Gehalt wollte er nicht verzichten. Es wird ihm nach dem Abtritt weiterhin gezahlt. Bonusansprüche erwirbt er damit auch weiterhin. Die Details für 2015 werden wohl Ende April bekannt. 2014 war Winterkorn mit einem Jahressalär von 16 Millionen Euro Spitzenverdiener im Dax. Seine Pensionsvorsorge wurde auf 29 Millionen Euro taxiert. Ob nun der neue Aufsichtsratsvorsitzende Hans Dieter Pötsch der geeignete Mann ist, um ein Maßhalten der Vorstände in der schwierigen Lage des Konzerns

Niedersachsen setzt das Management der Bahn unter Druck BRAUNSCHWEIG, 10. April (dpa). Niedersachsens Wirtschaftsminister Olaf Lies fordert von der Bahn während der angekündigten Sperrung der wichtigen Strecke Kassel–Hannover Verbesserungen für Reisende. Die Bahn hatte erst Ende März angekündigt, die Strecke vom 23. April an für rund zwei Wochen zu sperren. In dieser Zeit findet auch die Industrieschau Hannover Messe statt. Im Fernverkehr verlängern sich die Fahrzeiten wegen der Umleitungen um rund 60 Minuten. Lies sagte am Wochenende, er habe der Bahn seine Verärgerung mitgeteilt und setze nun noch auf qualitative Verbesserungen bei der nun gefundenen Kompromisslösung. Danach will die Deutsche Bahn an den Messetagen vom 25. bis zum 29. April morgens zwei zusätzliche ICE von Frankfurt Flughafen über Frankfurt Süd ohne weiteren Halt nach Hannover Messe fahren. Am Nachmittag und frühen Abend geht es dann mit zwei ICE auf derselben

Modemarken gibt es jetzt auch im Discounter Aldi Süd heuert Jette Joop an und geht nun in die Offensive

Beschädigt: Das Image von VW hat in den vergangenen Monaten erheblich gelitten.

einzufordern, wird bezweifelt. Wie die F.A.S. berichtet, wurde dem vorherigen Finanzvorstand der Wechsel an die Aufsichtsratsspitze zur Kontrolle seiner ehemaligen Vorstandskollegen im Herbst mit einer Ausgleichsprämie von zehn Millionen Euro schmackhaft gemacht. Das Land Niedersachsen hat als Großaktionär nun schon wissen lassen, es gebe ein großes Problembewusstsein bei der Boni-Frage. Der IG-Metall-Vorsitzende und VW-Aufsichtsrat Jörg Hofmann will mit den Vorständen diskutieren, was in der jetzigen Situation angemessen ist. Er gehe davon aus, dass der Vorstand der Ankündigung des Vorstandsvorsitzenden Matthias Müller folge, der angemahnt hatte, den Gürtel enger zu schnallen. Die Rede ist nun von dem Vorschlag, auf 30 Prozent der Bonuszahlungen zu verzich-

ten. Doch dem Aufsichtsrat bleibt nichts anderes übrig, als auf ein Einsehen der Vorstände zu hoffen. Die Bonuszahlungen basieren nicht auf kurzfristigen Erfolgen oder Misserfolgen, sondern sind längerfristig ausgelegt, und vor dem Abgasskandal ging es dem VW-Konzern ausgezeichnet. Die Signalwirkung wäre Ende April gleichwohl verheerend, würden die Vorstände auf der vollen Höhe ihrer mitunter millionenschweren Bonuszahlungen beharren. Denn gleichzeitig wird der Konzern die Höhe seiner Dividende bekanntgeben müssen. Gerechnet wird mit einer drastischen Reduzierung. Die zwischenzeitlich diskutierte Komplettstreichung wird jedoch für eher unwahrscheinlich gehalten, schließlich hängen von der Tatsache, ob eine Dividende gezahlt wird, auch

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die Vergütungen der Führungsriege ab. Außerdem würden die Vorzugsaktionäre nach zwei dividendenlosen Jahren ein Stimmrecht bekommen, was aus Sicht der großen Stammaktionäre Porsche und Niedersachsen zu vermeiden wäre. Aber auch den 120 000 Mitarbeitern im VW-Haustarif muss irgendwann mitgeteilt werden, ob und in welcher Höhe sie eine Anerkennungsprämie erhalten. Auf die gewohnte Erfolgsbeteiligung – vergangenes Jahr 5900 Euro je Mitarbeiter – haben sie wegen des ausgebliebenen Erfolgs im Jahr 2015 keinen Anspruch. Auch über mögliche Einsparungen beim Personal wird derzeit heftig gestritten. Die Sitzung des gesamten Aufsichtsrats zu den Themen findet wohl nicht am 20. April statt, sondern mindestens zwei Tage später.

Vivendi und Mediaset greifen gemeinsam Netflix an Fernsehserien stehen hoch im Kurs / Europäer wollen den Markt daher nicht den Angelsachsen überlassen tp./chs. ROM/PARIS, 10. April. Der französische Medienkonzern Vivendi nimmt den Kampf mit Netflix und Sky auf. Dazu verbündet sich der französische Unternehmer und Vivendi-Chef Vincent Bolloré mit Silvio Berlusconi und seinem italienischen Sender Mediaset. So soll ein neuer Gigant im Bezahlfernsehen mit stark südeuropäischen Akzenten entstehen, der sowohl dem amerikanischen VideoAnbieter Netflix als auch dem Bezahlfernsehen Sky von Rupert Murdoch die Stirn bietet. Geplant ist, in einigen Jahren gemeinsam vor allem TV-Serien zu produzieren, die ähnlich wie bei Netflix je Episode Millioneneinnahmen erwirtschaften. Doch bis dahin dürfte noch eine Weile vergehen, auch wenn die französische Presse schon von einem Sendestart in diesem September schreibt. Nach dem Plan, der noch von den Wettbewerbsbehörden genehmigt werden muss, übernimmt Vivendi das Bezahlfernsehen „Mediaset Premium“ aus dem Mediaset-Konzern von Berlusconi vollständig. Gleichzeitig erhält Mediaset eine Beteiligung von 3,5 Prozent am größeren Vivendi-Konzern, während Vivendi den gleich hohen An-

teil an Mediaset bekommt. Zudem wollen die Unternehmen bei der Produktion von Fernsehinhalten zusammenarbeiten. Auch eine Beteiligung amerikanischer Sender sowie eine Erweiterung der Achse um den Telefonica-Konzern in Spanien halten Pariser Unternehmenskreise künftig für möglich. Vivendi und Mediaset ergänzen sich vor allem in Südeuropa. Die Gesellschaft von Berlusconi ist in Italien und Spanien präsent. Zudem besitzt Mediaset den auch im Kinogeschäft erfolgreichen Filmproduzenten Medusa und ein Drittel des holländischen Fernsehprogrammgestalters Endemol. Vivendi wiederum sucht eine neue Plattform für seine Tochtergesellschaft Studiocanal, den größten Filmproduzenten Europas, der jetzt auch stark ins Seriengeschäft einsteigen will und kürzlich Beteiligungen an unabhängigen Filmfirmen in Spanien und Großbritannien angekündigt hat. Im Bereich von Videos auf Abfrage ist Vivendi in Deutschland mit der Gesellschaft Watchever unterwegs, die vor einiger Zeit noch verkauft werden sollte, nun aber im Konzernkreis entwickelt werden soll. In Frankreich bearbeitet die Tochtergesell-

schaft Canal Plus diesen Markt. Berlusconis Bezahlfernsehen konzentrierte sich bisher vor allem auf Italien und hatte nach der Gründung 2005 einige Achtungserfolge gegen den Konkurrenten Sky errungen. Denn bei Mediaset mussten die italienischen Fußballfans nicht wie bei Sky langfristige Abonnements abschließen, sondern konnten für einzelne Fußballspiele eine Codekarte am Zeitungskiosk oder im Tabakladen erwerben. Zuletzt steckte Mediaset Premium jedoch in einer Sackgasse. Der Sender bekam keine Lizenzen für zusätzliche terrestrische Digitalkanäle, um damit Sky Konkurrenz zu machen. Die zuständigen Minister, zuletzt politische Gegner von Silvio Berlusconi, haben dabei trotz Mangels an Bewerbern für die zur Verfügung stehenden Kanäle auf die Vergabe neuer Lizenzen verzichtet und darauf verwiesen, dass Mediaset ja schon über elf freie terrestrische Kanäle verfüge. Mediaset hat sich daher im Bezahlfernsehen auf das Internet konzentriert, doch steht man damit vor einem zweiten Problem: in Italien ist schnelles Internet noch immer nicht so verbreitet, dass damit Bezahlfernsehen rentabel wird. Die Toch-

tergesellschaft Mediaset Premium weist daher für 2015 einen Umsatz von 641 Millionen Euro und einen Nettoverlust von 83,9 Millionen Euro aus. Dennoch wurde diese Gesellschaft im Abkommen zwischen Mediaset und Vivendi großzügig bewertet, derzeit mit rund 740 Millionen Euro. Der Wert ergibt sich aus der Differenz der beiden Aktienpakete, die in Höhe von jeweils 3,5 Prozent zwischen Vivendi und Mediaset ausgetauscht werden. Berlusconis Holding Fininvest gibt dabei ein Paket ihres Mediaset-Aktienbesitzes von 41,3 Prozent an Vivendi ab und sichert Vivendi in einem Aktionärspakt ein Mitspracherecht zu. Die ausgetauschten Aktienpakete haben sehr unterschiedlichen Wert. Mediaset erzielt an der Börse eine Marktkapitalisierung von 4 Milliarden Euro; Vivendi hat dagegen einen Börsenwert von 25 Milliarden Euro. Mediaset kann mit dem Verkauf des Bezahlfernsehens eine große Verlustquelle stopfen. Nur dank guter Geschäfte in Spanien ergaben sich für die Gruppe ein Umsatzplus von 3,2 Prozent auf 3,52 Milliarden Euro und ein magerer Nettogewinn von 4 Millionen Euro.

Die Flucht vor dem Filmteam Dreharbeiten auf dem Traumschiff sind ein Reisemangel / Ein Gericht sprach einem Ehepaar Entschädigung zu casc. FRANKFURT, 10. April. Mit dem ZDF-„Traumschiff“ verbinden viele Menschen Flucht aus dem Alltag und Entspannung. Für ein Berliner Ehepaar war es das Gegenteil. Dieses hatte eine 26 Tage umfassende Kreuzfahrt von Vietnam nach Neuseeland auf der „MS Amadea“ für 11 080 Euro gebucht. Was die erfahrenen Kreuzfahrer nicht wussten: Das relativ kleine Schiff mit 600 Passagieren ist seit Anfang 2015 Drehkulisse fürs „Traumschiff“ gewesen. Entsprechend waren immer Teile des Luxusliners, vor allem das Promenadendeck, für Aufnahmen mit Sascha Hehn als Kapitän und Heide Keller als Chefstewardess gesperrt. Das Ehepaar fühlte sich auch gestört durch lautes Hämmern und Sägen und Megafon-Anweisungen. Als Passagier sei man stets auf der Flucht vor dem Filmteam gewesen. Wegen Beeinträchtigung durch den Dreh während ihrer Kreuzfahrt sollte das Ehepaar nun Geld zurückbekommen. Das Amtsgericht Bonn gab ihrer Klage auf Reisepreisminderung im Januar 2016 statt. Das betreffende Bonner Reiseunternehmen wurde angehalten, den 82 und 79 Jahre alten Eheleuten für die Reisetage, an denen auf ihrem Kreuz-

Strecke wieder zurück. Die Züge fahren auf einer Umleitungsstrecke und brauchen rund drei Stunden. Die Hannover Messe ist die größte Industriemesse der Welt. Zehntausende Besucher werden Ende April über den Flughafen in Frankfurt in Deutschland einfliegen und dann mit dem ICE nach Hannover auf die Messe fahren. Die Bahn wies unterdessen Medienberichte zurück, wonach sie bereits vor Jahren vom Eisenbahn-Bundesamt (EBA) zur Sanierung der ICE-Strecke aufgefordert worden sein soll. „Die Strecke wurde zu jedem Zeitpunkt in den vergangenen Jahren regelwerkskonform betrieben. Anordnungen seitens der Aufsichtsbehörde EBA sind in dieser Zeit nicht eingegangen“, sagte ein Sprecher der Bahn. Eine große Erneuerungsmaßnahme sei für 2019 vorgesehen. Bis dahin bestehe der aktuell anstehende Sanierungsbedarf in einem Schottertausch, um die Gleislagestabilität sicherzustellen.

Für manchen kein Traumschiff

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fahrtschiff gedreht wurde, 1022,76 Euro zurückzahlen. Das ist eine Minderung um 20 Prozent an zwölf Drehtagen. Es gehöre zum Vertrag einer ordnungsgemäßen Reise, so das Urteil der Bonner Amtsrichterin im Januar, dass Passagiere jederzeit alle Freizeitmöglichkeiten nutzen könnten. Einschränkungen beispielsweise durch die Absperrungen des Promenadendecks für die Dreharbeiten seien ein Reisemangel und müssten nicht hingenommen werden (Az: Amtsgericht Bonn 101C 423/15). Das Reiseunternehmen legte aber Berufung ein. Nun muss das Landgericht Bonn sich Ende Mai (Az. Landgericht Bonn 8S5/16) mit dem Fall beschäftigen. Enttäuschte Urlauber und Reisemängel – das ist in Deutschland seit Jahren ein Evergreen. Es fängt schon vor der Reise an. Ein Terroranschlag oder politische Unruhen im Urlaubsland – die persönlichen Ferien können mit vielen Ungewissheiten beginnen. Man hat aber schon längst seinen Urlaub gebucht, und es stellt sich dann die Frage: Was tun? Stornieren oder trotzdem fahren? Das ist die eine Seite. Ein anderes Problem stellt sich, wenn man seinen Urlaub wie das betreffende Ehepaar auf dem Kreuzfahrt-

schiff angetreten hat und man schon vor Ort mit den Leistungen nicht zufrieden ist. Was passiert dann? Der ADAC bietet hierzu Hilfe an. Auf der Homepage des Automobilclubs findet sich ein Musterschreiben für die Mängelanzeige, in der jeder Urlauber den Sachverhalt schildern und die Mängel festhalten kann, um es dem Veranstalter zuzuschicken. Wichtig ist zu wissen, dass der Reisemangel spätestens innerhalb eines Monats nach dem Urlaubsende beim Reiseveranstalter schriftlich zu melden und die Reisepreisminderung zu verlangen ist. Auch hierzu bietet der ADAC ein Musterformular an. Stellt sich dann nur die Frage: Was ist ein Reisemangel? Eine aktuelle Übersicht über die bundesweite Rechtsprechung zur Reisepreisminderung aus den letzten zehn Jahren findet man ebenfalls beim ADAC. Hier wurden mehr als 270 Urteile zu einem systematischen und vereinfachten Überblick zusammengefasst.

B.K. DÜSSELDORF, 10. April. Wenn ein sonst so überaus verschwiegener Handelskonzern wie der Discounter Aldi Süd plötzlich einen Presserummel veranstaltet, der bis in die einschlägigen Frauenzeitschriften und Modeblättchen schwappt, hat dies handfeste Gründe. Zum einen wird der Preiskampf unter den beiden Marktführern Aldi und Lidl immer härter. Und zwar nicht zuletzt, weil der deutsche Pionier des Discounts nun ebenfalls immer mehr Markenartikel ins Sortiment aufnimmt. Zum anderen haben die klassischen Supermarktketten von Edeka und Rewe zuletzt deutlich Boden gutgemacht und den beiden großen Discountern sogar Marktanteile abgejagt. Da gilt es, mit neuen Aktionen und Dienstleistungen weitere Kundengruppen anzulocken, und zwar auch solche, die bisher nicht im Discountsegment eingekauft haben. Genau das versucht die Mülheimer Aldi-Süd-Gruppe nun mit einer eigenen Damenmodekollektion, welche die Handschrift der Schmuck- und Modedesignerin Jette Joop trägt. Am vergangenen Dienstag hatte das Unternehmen schon die Filiale an der Düsseldorfer Königsallee kurzfristig für eine Rote-Teppich-Veranstaltung umgerüstet und zwischen Kühl- und Getränkeregalen die ersten Modelle präsentiert. Zum Wochenstart geht der Verkauf in allen Filialen los. Mode, Gartengeräte, Babywindeln, das ist die bunte Mischung, die die Werbung für die aktuelle Aktionsware bestimmt. Die limitierte, unter der Eigenmarke Blue Motion verkaufte Damenkollektion ist breit gefä-

chert und reicht von Blusen und Kleidern bis zu Handtaschen und Halstüchern. Mit der Ware, deren Preise sich in der Bandbreite zwischen 7,99 Euro und 19,99 Euro bewegen, will das Unternehmen nach eigenen Angaben Kundinnen aus allen Bevölkerungsschichten bedienen. Aldi Süd und Aldi Nord zählen nach einer Auflistung des Fachblattes „Textilwirtschaft“ trotz ihres in der Regel begrenzten Angebots an Bekleidung zu den zehn größten Textilhändlern Deutschlands. Vor allem bei Kinderkleidung besetzen die Discounter starke Positionen. Offenbar bieten sich hierzulande gerade im Segment der Billigtextilien noch Chancen in einem insgesamt eher schwierigen Marktumfeld. So setzt die vor allem auf junge Mode konzentrierte irische Billigkette Primark ebenso auf Expansion wie der zur Mülheimer Tengelmann-Gruppe gehörende Textildiscounter Kik. Dass sich eigentlich mehr auf preisgünstige, sich schnell drehende Mode konzentrierte Handelsketten für besondere Aktionen mit den Namen prominenter Designer schmücken, ist nicht neu. Die schwedische Modekette H&M beispielsweise lockt seit vielen Jahren auch Nichtstammkundinnen mit Sonderkollektionen in die Läden, die mit international renommierten Modemachern – von Karl Lagerfeld über Stella McCartney bis hin zu Balmain – entwickelt wurden. Auch Lidl hat schon mit Designern kooperiert und beispielsweise Schmuck von Harald Glööckler entwerfen lassen. Schlagersängerin und Echo-Preis-Gewinnerin Helene Fischer gibt ihren Namen für eine Modekollektion des Kaffeerösters Tchibo.

Neue Runde im iPhone-Streit Washington drängt Apple zu Hilfe für Entschlüsselungen NEW YORK, 10. April (Reuters). Im Streit mit Apple über die Entschlüsselung von iPhones lässt die amerikanische Regierung nicht locker. Obwohl den Behörden zuletzt gelungen war, das Smartphone eines Attentäters zu knacken, pocht das Justizministerium in einem anderen Fall weiterhin auf Schützenhilfe des Konzerns. Es bekräftigte in einem Schreiben an ein Bundesgericht in New York, Apple müsse seinen Beitrag leisten, dass die Ermittler Zugriff auf die HandyDaten eines Drogendealers erhalten. Der Konflikt hatte sich an der Aufklärung des Anschlags im kalifornischen San Bernardino entzündet. Das Justizministerium wollte Apple per Gerichtsurteil zwingen, eine neue Software zu schreiben, um den Passwort-Schutz auszuhebeln. Nach wochenlangem juristischem Schlagabtausch nahmen die Strafverfolger aber die Klage zurück, da die Bundespolizei FBI das Smartphone ohne Hilfe des Unternehmens entsperren konnte. Die Ermittler wollen über das Gerät herausfinden, ob die Attentäter in Kontakt zur Islamisten-Miliz IS standen. Bei dem Anschlag wurden im Dezember 14 Menschen getötet. Gerichtsdokumenten zufolge hat Apple den Strafermittlern in etwa 70 früheren Fällen Zugang zu Daten ermöglicht. Ein weiterer Rechtsstreit dreht sich um das iPhone eines Bandenmitglieds. Hier-

zu ordnete ein Gericht in Boston an, dass der Konzern die Staatsanwaltschaft unterstützen müsse, wie gerade veröffentlichte Dokumente zeigen. Apple lehnt es ab, den Forderungen der Behörden widerspruchslos Folge zu leisten. Das Management will nicht dazu beitragen, dass Hacker Sicherheitsvorkehrungen umgehen können, und sieht sich darin von der Technologiebranche unterstützt. Es sei bereit, den Streit bis vor dem Obersten Gericht auszutragen. Hintergrund ist ein Richterspruch, der Apples Position stärkt. So befand Richter James Orenstein laut dem Ende Februar bekanntgemachten Urteil, das Unternehmen könne nicht auf der Grundlage eines Gesetzes aus dem 18. Jahrhundert zu einer Mitwirkung in solchen Prozessen gezwungen werden. Die Frage ist, welche Erkenntnisse die Strafermittler aus der Entschlüsselung des iPhones von San Bernardino ziehen können. Laut FBI funktioniert diese Methode nicht bei anderen iPhone-Modellen. Im New Yorker Fall geht es um eine frühere Variante der Smartphones aus dem Hause Apple, die einfacher zu knacken wäre. Die Entwicklung einer eigenen Software wäre nicht nötig. Das schwächt die Position der Regierung. Denn sie muss nun nachweisen, dass sie nicht auch selbst an die gewünschten Informationen kommen kann.

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Österreich verpasst Heta-Bank einen Schuldenschnitt

Der Weltverbesserer Der Name Musk ist bekannt von Tesla, Hyperloop und Co. Doch der zweite der erfolgreichen Brüder steckt sein Geld in etwas ganz anderes. Von Anna Steiner tändig blinkt das LED-Lämpchen des Smartphones und kündigt eine neue Nachricht an. An fast allen Ereignissen auf der ganzen Welt kann man über irgendeinen Kanal mindestens passiv teilnehmen. Das, was als Erstes unter dieser schnellen Taktung leidet, ist der Mensch. Zwar sind alle gut vernetzt – über Instagram, Twitter und Co. Doch in der Realität haben viele Menschen weniger Zeit für echte Kontakte. Sie schlafen schlecht und ernähren sich falsch. Einer, der diese Entwicklung umkehren will, ist Kimbal Musk. Geboren 1972, wuchs Kimbal Musk in Pretoria in Südafrika auf. Seine Mutter ist eine dort bekannte Ernährungsspezialistin, sein Vater ein Ingenieur. Nach der Highschool wanderten beide Söhne nach Kanada aus. Kimbal begann ein Studium der Wirtschaft. Elon Musk, Kimbals älterer Bruder, gilt heute als einer der innovativsten Manager Amerikas und macht als Tesla-Gründer und Vorstandsvorsitzender von Space X regelmäßig Schlagzeilen mit innovativen Ideen, die die Welt zu einem besseren Ort machen sollen. Auch Kimbal sitzt im Vorstand von Tesla und dem privaten Weltraumunternehmen Space X. Wie Elon setzte er in den Neunzigern auf Internet und Digitalisierung. Das erste Musk-Start-up gründeten die beiden Brüder 1995 gemeinsam: Aus einem Roadtrip, dem Startkapital von 38 000 Dollar, das ihnen ihr Vater zur Verfügung gestellt hatte, und einem gebrauchten BMW entstand Zip2, ein Online-Stadtführer, der ein Verzeichnis von Unternehmen aufbauen und in Karten einbauen sollte. Die Idee war damals revolutionär. 1999 verkauften die MuskBrüder ihr Unternehmen für über 300 Millionen Dollar an Compaq. Es war bis dahin der höchste für ein Internetunternehmen gezahlte Preis. Über die Beteiligung blieb beiden Brüdern ein zweistelliger Millionenbetrag, den sie in neue Projekte investierten. Elon in Paypal und Tesla, Kimbal zudem in seine Ausbildung als Küchenchef. In den Neunzigern war Kimbal Musk von der Zugkraft des Internets überzeugt. Es war die Chance für die junge Unternehmergeneration, Geld zu verdienen und es zu etwas zu bringen. Heute ist die Sache für Kimbal klar: Die größte Chance der jungen Generation liegt in

S

Kimbal Musk der gesunden, bewussten Ernährung und in gutem Essen. 2004 eröffnete Kimbal gemeinsam mit zwei Freunden das Restaurant „The Kitchen“ in Boulder, Colorado. „Wir haben den Namen ausgewählt, weil die Menschen hier zusammenkommen sollen“, sagt Kimbal Musk. „Wie in einer Familie, wo man sich zum Essen um einen Tisch in der Küche versammelt.“ Das hochpreisige Feinschmeckerrestaurant zeichnet sich durch eine Besonderheit aus, die Musk so wichtig ist: Die Küchenchefs arbeiten eng mit den Produzenten vor Ort zusammen, und richten ihre Speisenauswahl nach dem Produktangebot der Region und der Saison. „Echtes Essen“ (real food), so nennt Musk das Konzept. Im Gegensatz zur Effizienz und Kostensenkung, Zielen der industriellen Nahrungsmittelproduktion, steht hier die Erfahrung des Genusses im Fokus. Effizienz ist ein Wort, das Musk ohnehin nicht leiden kann. „Heutzutage wird alles in Plastik verpackt angeliefert, ist vorgeschnitten und schockgefrostet.“ Oft wird es um den halben Globus geflogen, um dann verkocht zu werden. Die industrielle Produktion mache hungrig und

Foto Andreas Müller

fett, so der Südafrikaner. Sie sei darauf ausgelegt, dass die Menschen schnell wieder Hunger haben und noch mehr kaufen. „Denn so verdienen die Lebensmittel-Konzerne ihr Geld.“ Das führe jedoch nur dazu, dass je nach Studie zwischen 15 und 30 Prozent der Weltbevölkerung übergewichtig seien. Bereits unter den Kindergartenkindern in den Vereinigten Staaten seien zwanzig Prozent durch Fehlernährung zu dick. Kimbal Musk selbst musste erst eine schmerzhafte Erfahrung machen, bevor er sich entschied, „zu den Wurzeln“ zurückzukehren. 2010 brach er sich bei einem schweren Unfall das Genick und verbrachte mehrere Monate im Krankenhaus. Statt immer neuen Ideen nachzujagen oder schlicht weitere Gourmet-Restaurants zu eröffnen, gründete er gemeinsam mit seinem Partner Matheson die „Kitchen Community“. Die Non-Profit-Organisation speist sich aus Abgaben der Kitchen-Restaurants, die mittlerweile in mehreren Städten von Denver bis Chicago zu finden sind. Das Ziel: Gemeinschaft durch Essen. „Viele Kinder haben zwar mal eine Tomate gesehen – vielleicht in einem Comic –, aber bei ei-

ner Kartoffel wird es oft schon schwierig“, sagt Kimbal Musk. „Wenn die Kids dann selbst Beete bepflanzen und unter ein bisschen Grün über der Erde bei der Ernte plötzlich eine Karotte zum Vorschein kommt, ist das fast wie Zauberei.“ An Dutzenden Schulen wurden Lerngärten angelegt und Familien dazu angehalten, wieder zu Hause zu kochen. Über 120 000 Schüler haben jeden Tag Zugang zu den Gärten und lernen Grundlegendes über Ernährung, Kochen und Landwirtschaft. „Das klingt zwar nach viel, aber eigentlich ist es nur ein Tropfen im Ozean“, so Musk. Auch Kimbal Musk weiß, dass er die Technologisierung nicht aufhalten kann, und das ist auch nicht sein Ziel – im Gegenteil. Er glaubt daran, dass es gerade in der Lebensmittelbranche ein enormes Potential für Entwicklungen gibt. „Die neueste Erfindung in der Küche ist aus den Siebzigern – die Mikrowelle“, so Musk. „Vor lauter industriellem Essen haben wir die Küche ganz vergessen.“ Das sei schon längst nicht mehr zeitgemäß. Anstatt ständig zu vermarkten, wie wenig Zeit die Menschen haben und wie sehr sie daher von Fastfood und Fertigge-

richten abhängig seien, sollte mehr Energie in neue Erfindungen investiert werden, die Zeit sparten und dennoch nicht ungesund seien. „Es wird viele spannende Entdeckungen in der Küche geben, wenn die Menschen nur wieder dorthin zurückkehren.“ Doch nicht nur die Gesundheit ist dem Kitchen-Gründer wichtig: Eine gute Ernährung wirke zudem produktivitätssteigernd. Nicht zuletzt weil Musk dort im Vorstand sitzt, setzt der Elektroauto-Hersteller Tesla daher in seiner Kantine seit langem auf das Konzept von „echtem Essen“ und Gemeinschaft durch Essen. Anstatt sich in einer Reihe anzustellen, wie es rund um die Welt heute in vielen Kantinen üblich ist, wird das Essen dort direkt an großen und langen Tischen ausgegeben und so die Kontakte der Mitarbeiter gestärkt. „Es wird eine Welle kommen, seid euch da sicher“, so Musk. „Denn die heutige junge Generation ist postmateriell. Sie legt keinen Wert mehr auf Geld und Besitz, sondern sucht nach einer echten Erfahrung.“ Und die kann sie – laut Musk – im Essen finden. ANNA STEINER

Zwischen künstlerischer Freiheit und Zensur Die Schwestern Selma Wels und Inci Bürhaniye gründeten in Berlin den Kleinverlag Binooki und haben Großes im Blick egen eines Theaterprojektes reiste W Selma Wels im November 2010 zur Istanbuler Buchmesse. Ihre Schwester Inci Bürhaniye begleitete sie vor allem aus Liebe zur Literatur. Als die in Pforzheim geborenen Schwestern, deren Eltern Mitte der sechziger Jahre aus der Türkei nach Deutschland kamen, vor Ort feststellten, wie digitalisiert und modern der türkische Buchmarkt vertreten war, beschlossen sie, endlich eine Plattform für türkische Literatur in Deutschland zu schaffen. Sie entschieden sich, den Binooki Verlag zu gründen, um türkische Literatur in deutscher Übersetzung verlegen zu können. Der Name kommt vom türkischen Wort „Binokel“, der altmodischen Lesehilfe, auch als Zwicker bekannt.

Die Gründer Der 2011 gegründete Binooki Verlag sitzt heute in der Motzstraße im Berliner Bezirk Schöneberg. Neben den Schwestern Wels und Bürhaniye hilft eine Studentin im Verlag aus. Die Juristin und Mitbegründerin Inci Bürhaniye steht dem Verlag heute hauptsächlich beratend zur Seite. Übrig bleiben also eineinhalb Mitarbeiter, die sich um das Marketing, den Druck, die Übersetzungen und um die Suche nach geeignetem Stoff kümmern: „Eine normale 40-Stunden-Woche ist das nicht“, gibt die Verlegerin Selma Wels zu. Auf die Frage, ob es ihr schwerfiel, vom Angestelltenverhältnis in die Selbständigkeit zu wechseln, antwortet sie trotzdem, ohne zu zögern, mit einem klaren Nein. Den hohen Arbeitsaufwand nimmt sie in Kauf. Dank des Internets, meint sie, sei das heute überhaupt erst machbar. Die studierte Betriebswirtin Wels und ihre Schwester Bürhaniye schrieben 2010 einen Business-Plan, den sie dem Berliner Gründer-Center vorlegten, um einen Kredit zu beantragen. Vor allem Kleinverlage wie Binooki müssen ein starkes Profil vorweisen, um zwischen alteingesessenen Verlagen und dem Online-Versandhandel aufzufallen. Zeitgleich stellten die Schwestern ihr erstes

Lesestunde mit Selma Wels und Inci Bürhaniye in den Räumen des Binooki Verlags in Berlin Verlagsprogramm auf. Als das GründerCenter das Startkapital genehmigt hatte, begannen sie, Lizenzen von türkischen Autoren und Verlegern einzuholen und Übersetzer zu finden. All das funktionierte besser, als die beiden es erwartet hatten. In der Türkei hatte man sich schon gewundert, warum das Interesse aus Deutschland bis dahin so gering war. „Es geht darum, Mauern in den Köpfen der Menschen abzubauen“, sagt Selma Wels sechs Jahre später. Den Vorurteilen gegenüber türkischer Literatur entgegenzutreten, empfindet sie seit der Ver-

lagsgründung als die größte Herausforderung. Deshalb hat sich das Verlagsmotto „Achtung Klischeefreie Zone“ auch seit ihrer ersten Buchmesse 2012 nicht mehr verändert. In Deutschland wird häufig davon ausgegangen, dass es in türkischer Literatur ausschließlich um Themen wie das Kopftuch oder den Islam gehe, erzählt Selma. Viele können sich kaum vorstellen, dass türkische Literatur genau wie deutsche Literatur Geschichten erzählt, die über die Landesgrenzen hinweg funktionieren. Vor allem gab es bis zur Gründung des Binooki Verlages die

Foto Julia Zimmermann

meisten Werke türkischer Autoren überhaupt nicht in deutscher Übersetzung zu kaufen. Eine Marketing-Abteilung hat der kleine Verlag auch heute noch nicht. Um trotzdem medienwirksam aufzutreten, bewarb Wels den Binooki-Verlag seit seiner Gründung in den sozialen Netzwerken. Im Rahmen der Frankfurter Buchmesse bekamen sie den Virenschleuderpreis 2012 für ihre innovativen Marketing-Maßnahmen im Social Web verliehen. Aber nicht nur virtuell ging Binooki kreativ vor: Für das Verlagsprogramm

warben sie auch vor den Türen des Berliner Buchkaufhauses Dussmann, bis man dort auf den Verlag aufmerksam wurde und ihn in das Sortiment aufnahm. Selma Wels geht es um „die inneren Werte der Bücher“. Um gehaltvolle Literatur aus der Türkei, die auch jenseits der türkischen Grenze etwas zu sagen hat. Deshalb freut sie sich besonders, dass Binooki mit Ehrungen – wie 2013 mit dem Kurt-Wolff-Förderpreis – ausgezeichnet wurde. „Das ist sehr wichtig, um sowohl bei den Buchhändlern als auch bei den Kunden auf sich aufmerksam zu machen.“ Fünf Jahre nach der Gründung hat der Binooki Verlag heute 27 Titel im Programm. In der Regel gehen sie mit einer Startauflage von maximal 2000 Büchern in den Druck. Autoren, die bei Binooki bereits eine Stammleserschaft haben, werden teilweise auch 3000 Mal gedruckt. Das Programm des Verlages bewegt sich zwischen türkischen Klassikern wie Oguz Atay und zeitgenössischen Autoren. Die Leser seien fast ausschließlich Deutsche, entnimmt Selma Wels der Kundenkartei der Online-Bestellungen. Und Stammkunden. Wer einmal bestellt hat, mache das in der Regel immer wieder. Der Beruf des Verlegers ist seit jeher auch ein politischer Beruf – zwischen künstlerischer Freiheit und Zensur. Das bekommt auch Binooki zu spüren, seit der Verlag im Mai 2014 die „Gezi-Anthologie“ veröffentlichte. In dem Buch nehmen junge Autoren Stellung zu den Protesten, die 2013 in Istanbul stattfanden. Seit Erscheinen des Buches bekommt der Verlag keine Übersetzungsförderung mehr aus der Türkei. Die Anträge auf Förderung werden so lange verzögert, bis sie als „nicht mehr förderfähig“ eingestuft werden. Vor allem kleine Verlage, die wie Binooki ohne Rücklagen publizieren, profitieren jedoch enorm von solchen Förderungen. Aber der kleine Berliner Verlag hat sich inzwischen freigeschwommen. „Es gehe auch so, aber schwieriNADJA AL-KHALAF ger“, sagt Wels.

itz. WIEN, 10. April. Die Gläubiger der österreichischen Krisenbank Hypo Alpe Adria müssen sich auf kräftige Verluste einstellen. Nach dem Scheitern einer Einigung zwischen den Geldgebern und dem Bundesland Kärnten als Garantiegeber für die Anleihen hat die österreichische Finanzmarktaufsichtsbehörde FMA am Sonntag einen Schuldenschnitt verordnet. In ihrer Eigenschaft als Abwicklungsbehörde für das jetzt Heta genannte Institut bestimmte die FMA, dass Käufer nachrangiger Schuldverschreibungen vollständig auf deren Rückzahlung verzichten müssen. Für vorrangige Verbindlichkeiten beträgt der Schuldenschnitt knapp 54 Prozent. Zuvor hatte Kärnten die Rückzahlung von 30 beziehungsweise 75 Prozent angeboten, das aber hatten die Gläubiger abgelehnt. Auch bestätigte die Behörde einen früheren Beschluss, wonach die Heta seit dem 1. März 2015 keine Zinsen mehr bezahlen muss. Seit diesem Tag unterliegt die „Bad Bank“ einem neuen Gesetz zur nationalen Umsetzung einer EU-Richtlinie. Diese sieht für den Umgang mit existenzbedrohten Geldhäusern eine höhere Gläubigerbeteiligung vor, damit nicht mehr die Steuerzahler dafür aufkommen müssen. Die FMA legte darüber hinaus fest, dass die Fälligkeiten der Verbindlichkeiten einheitlich auf den 31. Dezember 2023 gelegt werden. Gemäß dem bisher gültigen Plan sollten eigentlich alle verbliebenen Vermögensgegenstände der Heta bis 2020 verwertet und das Haus dann endgültig abgewickelt werden. Die FMA teilte am Sonntag mit: „Die Rückführung all ihrer Forderungen sowie der rechtskräftige Abschluss aller offenen Rechtsstreitigkeiten sind aber realistischerweise erst bis Ende 2023 zu erwarten. Erst dann kann das Vermögen letztgültig aufgeteilt und die Gesellschaft liquidiert werden.“ Gegen die Heta sind mehrere Klagen anhängig, vor allem aus Deutschland, wo die wichtigsten Gläubiger für die Verbindlichkeiten von fast 11 Milliarden Euro sitzen.

Vodafone schafft fast alle Roaming-Gebühren ab DÜSSELDORF, 10. April (dpa). Der Telefonkonzern Vodafone Deutschland will für viele seiner Kunden die Extragebühren für die Handynutzung im EU-Ausland abschaffen. „Noch in diesem Monat heißt es Goodbye Roaming: Dann schaffen wir für Neukunden und Vertragsverlängerer in den meisten Tarifen die Roaming-Zuschläge in der EU ab“, sagte der Vorsitzende der Vodafone-Geschäftsführung, Hannes Ametsreiter, der in Düsseldorf erscheinenden „Rheinischen Post“. Zudem werde Vodafone sein schnelles LTE-Netz für alle Privatkunden öffnen. LTE-Netze können binnen Sekundenschnelle mehr Daten auf einmal übertragen als alle bisherigen KommunikationsANZEIGE

MORGEN IN TECHNIK UND MOTOR Hissen lassen Assistenzsysteme auf der Segelyacht

Nüsse raspeln Muskatmühlen schonen die Finger

Watt wandern Wie weit kommt der elektrische Nissan?

Deutsche Augen Im Huawei P9 steckt Kameratechnik von Leica

Kostenloses Probeabo 0180 2 52 52*, www.faz.net/probeabo * 6 Cent pro Anruf aus dem deutschen Festnetz, Mobilfunkhöchstpreis 42 Cent pro Minute.

netze. Kunden mit neuen wie bestehenden Verträgen sowie Prepaidkunden könnten dann mit maximaler LTE-Geschwindigkeit surfen, sagte Ametsreiter. Der Wegfall der Roaming-Gebühren für die Tarifkunden komme zum 14. April, ergänzte ein Vodafone-Sprecher. Bei Prepaid-Karten sei dieser Schritt für Ende April vorgesehen. Die Öffnung des LTENetzes komme ebenfalls am 14. April. Die Roaming-Gebühren in der EU fallen nach einem Beschluss des Europaparlaments am 15. Juni 2017 weg. In einem Zwischenschritt sinken die Kosten für das mobile Telefonieren, den SMS-Versand und das Internetsurfen im EU-Ausland bereits zum 30. April dieses Jahres. Dann sind Aufschläge von 5 Cent je Minute für abgehende Anrufe, 2 Cent je SMS und 5 Cent je Megabyte digitaler Daten jeweils plus Mehrwertsteuer erlaubt. So will Vodafone den deutschen Markt fit für die „Datengesellschaft“ machen, in der alles und jeder miteinander verbunden sind und riesige Mengen digitaler Daten zu kleinen Preisen ausgetauscht werden.

Unternehmen

FRANKFU RT ER A L LG EM E I NE Z E I TU NG

M O N TAG , 1 1 . AP R I L 2 0 1 6 · NR . 8 4 · S E I T E 25

Das Unternehmergespräch: Klaus Steger, Vorstandsvorsitzender des Textilkonzerns Erwo

„Wir mussten aus der Ecke des Garnherstellers heraus“ Textilien made in Germany – das kann funktionieren. Wenn man sich wie Erwo mehrfach neu erfindet. SCHWAIG, 10. April ein Onkel Erhard, erinnert sich Klaus Steger, ist in den achtziger Jahren ins Rheinland aufgebrochen und hat zwei Wochen Kunden besucht. Damals hat man sich noch viel Zeit genommen. Steger erledigt das heute, wenn überhaupt, an einem Tag. Nicht, weil die Verkehrsmittel schneller geworden sind – es gibt einfach nicht mehr so viele Abnehmer hierzulande, dreißig Jahre und zahlreiche Existenzkrisen mit dem Auszug der Textilindustrie aus Deutschland später. Steger kennt die Welten von Weberei, Spinnerei, Wirkerei oder Textilveredelung vor und nach der Krise. Zwischen ihnen lag der Untergang einer traditionsreichen deutschen Branche, in der zwischen 1955 und 1980 rund 400 000 Arbeitsplätze verlorengingen, dann noch einmal 450 000 Stellen seit 1980. Nur 5 Prozent der heute in Deutschland verkauften Textilien sind made in Germany. In diesem Niedergang hat sich die Erwo Holding AG gehalten und ist eines der größten verbliebenen deutschen Textilunternehmen. Warum das so ist? „Wir mussten uns immer wieder neu erfinden.“ Er ist Vorstandsvorsitzender eines Unternehmensgeflechts, in dem sich eine Fülle von Marken wiederfinden, die Garne und Textilien für verschiedenste Einsatzbereiche herstellen. Steger ist in Personalunion Geschäftsführer der Südwolle-Gruppe als größter Hersteller von Kammgarnen; der mit Abstand bedeutendste Teil der Holding. Als Vorstandschef leitet er die börsennotierte Hoftex, bei der Erwo mit 85 Prozent das Sagen hat. Hinter Hoftex verbirgt sich die in den neunziger Jahren in Insolvenz gegangene, traditionsreiche Textilgruppe Hof. Sie hat sich als Anbieter von Industrietextilien der Marke Tenowo zur Perle entwickelt. Onkel Erhard und Vater Wolfgang hatten die erste große und vermutlich lebenserhaltende „Erfindung“ schon zu Zeiten, als sie die Geschicke der 1966 gegründeten Südwolle als Vorläufer der Erwo bestimmten. Mit der „Just-in-time-Weberei“, wie Steger es nennt, konnten sie Bekleidungshersteller auf Abruf mit Garnen beliefern. Waren es damals drei unterschiedliche Weberei-Produkte, sind es heute 1000. Noch immer liegen die meisten auf Lager und sind sofort verfügbar. Allerdings produziert Südwolle heute in China, Polen, Rumänien oder Bulgarien. Technische Textilien und industrielle Vliesstoffe kommen indes aus Hof. Es war Glück im Spiel, dass die Textilgruppe nicht nur die Krisen überlebt hat, sondern auch floriert. „Wir haben Schlüsselentscheidungen getroffen, die sich im Nachhinein als richtungsweisend für unsere Zukunft erwiesen haben“, sagt Steger,

S

muss aber zugeben: „Auch wenn die Motive und Argumente für sie anfangs ganz andere waren.“ Das fing mit durchaus Banalem an. „Die örtliche Trennung von Verwaltung und Produktion von Beginn an war entscheidend für die Entwicklung unserer heutigen Unternehmensstruktur.“ Verwaltet wird die Gruppe von Schwaig bei Nürnberg aus, weit entfernt von der nächsten Produktionsstätte in Hof. Diese Distanz machte eine Holdingstruktur für Steger erst möglich, in der viele, zum Teil akquirierte Marken für unterschiedliche Märkte ausgerichtet werden. „Das gab uns die nötigen Freiheiten und die Flexibilität in wichtigen Standortentscheidungen.“ Zum Beispiel, wenn es um tiefe Einschnitte, etwa die Verlagerung von Produktion ins Ausland, ging, ohne die es Erwo in dieser profitablen Form nicht gäbe. „Als die große Krise in Deutschland losbrach, konnten wir schneller und unkomplizierter Entscheidungen treffen.“ Davon gab es viele. „Wir hatten mehr als zehn Jahre lang immer mindestens einen Betrieb auf dem Lkw oder Schiff“, beschreibt der Erwo-Chef den Wandel. Schnell waren von einer Verlagerung 500, 600 Mitarbeiter betroffen. Für Steger war es die Antwort auf die Krise. Damit einher ging eine andere zufallsbedingte Erfolgsentscheidung. „Wir haben Märkte erschlossen, ohne dass wir das eigentlich beabsichtigt hatten“, erinnert sich Steger. „Statt Indien haben wir China ausgewählt. Wir haben auch durch die Investition in eine eigene Färberei dort begonnen, Garne für den Strickmarkt herzustellen.“ Über die Produktion hinaus habe sich dann ein großer, eigenständiger Markt aufgebaut. „Wir waren schon längst da, bevor unsere Abnehmer dorthin gezogen sind.“ Heute hat Südwolle einen Betrieb in Deutschland, aber sechs in China. So ist über 50 Jahre aus dem Ein-Produkt-Unternehmen ein breit aufgestellter Textilkonzern geworden, zu dem neben Südwolle und Hoftex auch Van Delden, Designer Textiles, Biella Yarn, Richter, Stöhr oder Safil gehören. Flachstrick-Produkte für elegante Kleidung, die nicht nur für Strümpfe verwendet werden; Rundstrick-Textilien nicht nur für Pullover oder T-Shirts, sondern auch für Funktionswäsche für Sport und Outdoor. Eigenschaften von Wolle wie Wärme- oder Kälte-Isolation wird mit Windschutz über die Beimischung synthetischer Elemente verbunden. Wolle ist so einfacher zu waschen und gar für Trockner geeignet. Erst im vergangenen Herbst kaufte Erwo die italienischen Unternehmen Safil und Gruppo Tessile Industriale (GTI). Damit ist der Einstieg in das Luxussegment gelungen. Nun gehören Kaschmir, Seide und gar die Rarität Vikunya zum Programm. Die Luxusmarke Hermès etwa hat mit den Italienern Stoffe entwickelt. „Wir mussten aus der Ecke herauskommen, einfach nur Hersteller von Garnen zu sein. Durch die Akquisitionen sind wir auch moFIRMENINDEX

Seite

Das Unternehmen

Der Unternehmer

Die Erwo Holding AG mit Sitz in Schwaig bei Nürnberg und ihren tragenden Säulen Südwolle und Hoftex ist eine klar strukturierte Gruppe mit vielen Marken und Beteiligungen. Insgesamt 650 Millionen Euro Umsatz erzielt die Textilgruppe pro Jahr. Südwolle, im Jahr 1966 gegründet, ist dabei das Herzstück und auf Bekleidung konzentriert, sie erzielt rund 450 Millionen Euro Umsatz. Auf Hoftex mit ihren technischen Textilien entfallen nach einem schmerzhaften Umbau etwa 180 Millionen Euro, der Rest wird mit Immobilien bestritten. Die meisten der insgesamt 4500 Mitarbeiter sind in den ausländischen Werken beschäftigt, davon allein 1500 in China.

Für Klaus Steger, 57 Jahre alt, ist die Familie die Klammer. Fünf Mitglieder, außer ihm noch zwei Brüder und zwei Cousins, sind die Eigentümer von Erwo. Operativ hat er das Sagen, einer der Brüder ist Aufsichtsratsvorsitzender. Der Wirtschaftsingenieur Steger wurde im Jahr 1989 Geschäftsführer von Südwolle, später Vorstandschef von Erwo und der 1997 erworbenen Textilgruppe Hof (später Hoftex). Für ihn kam trotzdem alles viel zu schnell, wie er sagt. Gerne hätte er „draußen“, also außerhalb des Familienunternehmens, noch mehr Erfahrungen gesammelt. Weil sein Vater krank wurde, übernahm er die Führung dann aber früher als geplant.

discher und kreativer geworden.“ Das Kontrastprogramm liefert Hoftex. Die Gruppe hat vor zwei Jahren ihren tiefgreifenden Umbau abgeschlossen und sich auf technische Textilien konzentriert. Vergessen ist die Zeit, in der eine Spinnerei in Hof klassische Textilien herstellte. Mit deren Schließung gingen 250 Arbeitsplatz verlo-

Apple ..............................................................23 Binooki Verlag ..........................................24 Edeka ...............................................................23 H&M .................................................................23

Aldi Süd ........................................................23

Die F.A.Z.-Wetterinformationen

Foto Tobias Schmitt

Kik ......................................................................23 Lidl ....................................................................23 Mediaset .......................................................23 Medusa ...........................................................23

Rewe .................................................................23 SAP ...................................................................22 Senator Entertainment ....................22 Sky ....................................................................23

NORDAMERIKA

Messwerte und Prognosen

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s = sonnig, h = heiter, w = wolkig, b= bedeckt, G = Gewitter, N = Nebel, R = Regen, Rs = Regenschauer, Sr = Sprühregen, S = Schnee , SR = Schneeregen, Ss = Schneeschauer, -- = keine Meldung. Alle Tabellen zeigen als Prognose die Tages-Höchsttemperatur, als gestrigen Wert die Messung mittags Ortszeit.

torhaube oder im Radkasten eines Autos sollen Lärm dämmen, Schmutz und Öl abweisen und vor Brand schützen. Stoffbahnen unter Hausdächern isolieren. Textilien werden für Luft- und Wasserfiltration eingesetzt. Vliese halten hohe Traglasten aus. Hochentwickelte technische Textilien aus Deutschland sind eine Antwort auf SpaceX ..................................................22, 24 Tesla ..................................................................24 Vivendi ...........................................................23 Vodafone .....................................................24

die Billigkonkurrenz aus Asien und Nordafrika. Doch es gibt neue Herausforderungen. „Die Zukunft der Textil- und Bekleidungsindustrie liegt in der Lieferkette.“ Es dürfe nicht allein um den Preis gehen. „Wir müssen Zusatznutzen anbieten, der aber bezahlbar bleibt.“ Dazu gehöre, dass Lieferanten und Kunden enger zusammenarbeiteten. „Sie müssen offener miteinander umgehen und auf Augenhöhe reden“, sagt Steger. Denn: „Die Zeiten des FrissVogel-oder-stirb mit einer bedingungslosen Abhängigkeit sind vorbei.“ RÜDIGER KÖHN

im Internet: www.faz.net/wetter

DEUTSCHLAND

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ren. Nukleus ist Tenowo geworden – verbunden mit großen Perspektiven. In drei Jahren sollen 65 Millionen Euro investiert werden, überwiegend in Forschung und Entwicklung; bei einem Umsatz von 110 Millionen Euro ein stolzes Budget. Es geht um einen anspruchsvollen Wachstumsmarkt. Textilien unter der Mo-

Vorhersagekarten für heute, 11.4.2016 (Tagesmaximum)

Tiefdruckgebiete lenken wärmere Luft nach Deutschland und sorgen allmählich für wechselhaftes Wetter.

12 Hamburg 14 5 Bremen 14 Hannover 18 Essen 18 Köln

Bremen, Niedersachsen, Hamburg, Schleswig-Holstein, Mecklenburg-Vorpommern: Vor allem im Westen zeigt sich heute die Sonne öfter. Nach Osten zu sind die Wolken zeitweise dichter, es bleibt aber trocken. Die Temperaturen erreichen 9 Grad an der Ostsee und im Harz, sonst 12 bis 14 Grad. Dazu weht mäßiger, teils auffrischender Ostwind.

Baden-Württemberg und Bayern: Stellenweise beginnt der Tag mit etwas Nebel, vor allem Richtung Donau und Bodensee. Dann scheint häufig die Sonne und meist ziehen nur lockere Wolken durch. Die Temperaturen liegen bei 11 bis 19 Grad. Gegen Abend sind im Schwarzwald einzelne Schauer oder auch Gewitter möglich. In Ostbayern weht böiger Ostwind, sonst weht er nur schwach.

Sonne & Mond 06:36/20:15Uhr 09:38/01:13Uhr Auf- und Untergang in Mitteleuropäischer Sommerzeit (MESZ) für Frankfurt/Main.

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Quelle: wetter.com GmbH -5 bis -1

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Berlin, Brandenburg, SachsenAnhalt, Thüringen, Sachsen: Es wechseln sich heute den ganzen Tag teils lockere, teils dichte Wolken und Sonnenschein ab. Bei Temperaturen um 14 Grad bleibt es trocken. Es weht schwacher bis mäßiger Wind aus östlichen Richtungen.

Nordrhein-Westfalen, Hessen, Rheinland-Pfalz, Saarland: Zunächst scheint verbreitet die Sonne und nur lockere Wolken ziehen vorbei. Am Nachmittag und gegen Abend wird es wolkiger, meist bleibt es aber trocken. Dabei weht schwacher bis mäßiger Südost- bis Ostwind. Die Höchstwerte liegen zwischen frühlingshaften 14 und 19 Grad.

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Aussichten

Biowetter und Pollenflug

Reisewetter in Europa - Vorhersage für die nächsten Tage

Am Dienstag ist es leicht unbeständig mit Sonne, Wolken und gelegentlich einzelnen Schauern. Auch gewittrige Schauer sind möglich. Dabei liegen die Temperaturen zwischen 9 und 20 Grad. An den Küsten weht teils frischer Wind aus Ost, sonst meist schwacher Wind aus westlichen Richtungen. Am Mittwoch bleibt es weiterhin durchwachsen. Von Südwesten her breiten sich dichte Wolken aus und immer wieder fällt Regen, dazwischen zeigt sich die Sonne.

Heute überwiegen in weiten Teilen Deutschlands positive Wetterreize. Viele Menschen fühlen sich fit und vital. Kopfschmerzen und Migräne halten sich in Grenzen. Nur Allergiker klagen über teils hohe Pollenkonzentrationen. Gebietsweise tritt starker Flug von Birkenpollen auf, vor allem an Rhein, Neckar und Mosel. Der Flug von Pappel-, Weiden-, Ulmen- und Buchenpollen ist meist schwach bis mäßig. In den nächsten Tagen nimmt der Tiefdruckeinfluss wieder zu.

Österreich, Schweiz: Heute oft sonnig, gegen Abend in der Westschweiz einzelne gewittrige Schauer. Dann wechselhaft mit Sonne, Wolken und Schauern. 3 bis 21 Grad. Frankreich, Benelux: Wechselhaft mit Wolken, Sonne und zeitweise Regen. Teils gewittrige Schauer bei 9 bis 22 Grad. Griechenland, Türkei, Zypern: Sonne, Wolken und gelegentlich einzelne Schauer oder Gewitter. 16 bis 28 Grad. Spanien, Portugal: Viele Wolken und immer wieder Schauer und Gewitter. Am Mittelmeer öfter sonnig. 10 bis 23 Grad.

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Antalya

Balearen, Sardinien, Korsika: Sonne und Wolken im Wechsel. 16 bis 26 Grad. Italien, Malta: Verbreitet Sonnenschein, später in Oberitalien einzelne Schauer und Gewitter. 12 bis 26 Grad. Großbritannien, Irland: Oft unbeständig mit Wolken und Regen, dazwischen sonnige Phasen. Windig bei 6 bis 14 Grad. Skandinavien: Teils Sonne, teils Wolken. In Finnland zeitweise Regen. 2 bis 14 Grad. Polen, Tschechien, Slowakei: Sonne, Wolken und gelegentlich einzelne Schauer. Temperaturen zwischen 11 und 23 Grad.

So. 10.4. Amsterdam 10° h Athen 20° h Barcelona 14° h Belgrad 11° R Bordeaux 12° w Bozen 16° h Brüssel 9° h Budapest 10° w Bukarest 17° w Dublin 5° h Dubrovnik 13° Rs Edinburgh 5° Rs Faro 16° Rs Helsinki 7° h Innsbruck 10° h Istanbul 17° h Kiew 18° h Kopenhagen 8° h Larnaka 22° h Las Palmas 21° h Lissabon 13° w Ljubljana 11° w Locarno 14° h London 9° h Madrid 9° w Mailand 16° h Malaga 17° h Mallorca 17° h Moskau 18° h Neapel 15° w Nizza 15° h Oslo 8° h Ostende 8° h Palermo 14° h Paris 9° h Prag 6° R Reykjavik 5° h Riga 7° h Rom 10° h Salzburg 9° h Sofia 14° Rs Stockholm 8° h St.Petersburg 5° w Venedig 15° h Warschau 9° R Wien 9° b Zürich 9° h

Europa

Mo. 11.4. 17° h 20° h 19° w 16° b 15° h 23° h 18° h 16° h 16° Rs 9° R 19° h 8° w 15° w 10° h 19° h 17° h 18° h 11° h 21° Rs 20° h 13° Rs 19° h 16° w 14° R 13° w 20° h 18° w 19° h 11° b 19° h 16° h 12° h 18° h 16° h 16° R 13° w 7° h 11° h 23° h 18° h 11° Rs 12° h 9° h 19° h 13° b 15° w 16° h

Di. 12.4. 14° Rs 23° h 18° w 24° h 16° Rs 22° h 14° h 20° h 20° h 9° b 18° h 8° b 17° Rs 10° h 17° h 16° w 19° w 11° h 19° G 21° h 14° Rs 20° h 16° h 13° Rs 12° Sr 19° h 19° Rs 20° h 13° h 21° h 17° h 13° h 13° h 22° h 16° h 16° w 9° h 14° h 24° h 16° R 21° h 13° h 10° h 19° h 14° b 17° h 16° Rs

Mi. 13.4. 15° h 23° h 20° h 25° h 17° R 19° R 15° h 20° h 24° h 11° w 20° h 8° R 18° h 10° h 17° h 19° h 18° Rs 9° w 21° Rs 21° h 16° Rs 19° h 14° R 14° h 14° w 17° w 20° h 20° h 15° h 24° h 17° h 11° h 12° h 24° h 15° w 17° h 8° h 11° h 23° s 18° h 24° h 11° h 11° h 17° R 16° h 21° h 12° R

33° h 23° h 19° h 22° h 21° h 29° h 24° h 31° w

34° h 22° h 20° w 22° h 23° h 23° h 23° h 30° h

33° h 21° h 20° h 24° h 25° h 23° h 22° h 31° h

Afrika Accra Algier Casablanca Dakar Johannesb. Kairo Kapstadt Kinshasa

32° h 11° h 18° h 22° h 19° h 27° h 28° h 29° h

Afrika Lagos Nairobi Tunis

So. 10.4. 30° w 24° w 21° b

Mo. 11.4. 32° h 25° w 27° h

Di. 12.4. 33° h 25° w 30° h

Mi. 13.4. 33° h 25° w 27° h

22° w 10° w 15° h 28° w 21° h 26° h 6° h 12° b 18° h 9° Rs 13° h 20° b

22° Rs 7° h 20° h 28° w 22° h 28° h 7° h 13° Rs 16° Rs 5° h 13° Rs 16° R

18° w 13° h 22° h 20° w 22° h 29° h 7° h 11° w 16° h 6° h 12° Rs 14° w

20° w 19° w 31° h 26° h 29° h 30° h 32° h 22° h

19° w 20° w 31° h 25° h 30° h 30° h 32° h 21° h

19° w 20° h 31° h 25° h 29° h 30° h 33° h 21° h

13° Rs 17° h 33° h 30° h 34° h 31° h 20° w 28° h

20° h 21° w 31° h 32° h 31° w 35° h 20° w 26° h

16° Rs 23° h 29° h 35° h 31° w 30° b 19° w 20° w

16° w 25° h 24° Rs 32° w 28° w 27° w 19° Rs 21° h

11° h 37° h 33° h 32° h 28° w 22° G 32° h 38° h 32° h 34° h 16° w 18° h 17° s 32° h 25° Rs 22° h 21° h

17° h 37° h 34° h 32° h 27° w 25° w 33° h 41° h 34° h 35° h 12° h 18° h 20° h 33° Rs 21° R 14° h 23° w

16° h 38° h 34° h 33° h 27° w 24° R 33° h 40° h 34° h 34° h 16° Rs 20° h 23° h 32° G 25° w 14° h 24° h

13° w 38° h 33° h 33° h 28° w 28° Rs 34° h 38° h 34° h 35° h 22° w 18° h 26° s 32° h 27° R 18° h 26° h

Nordamerika Atlanta Chicago Denver Houston Los Angeles Miami Montreal New York San Francisco Toronto Vancouver Washington

13° h 1° R 17° h 25° b 17° w 23° h -5° h 4° h 16° R -7° h 10° h 4° w

Lateinamerika Bogota B.Aires Caracas Lima Mexiko-Stadt Recife Rio de Janeiro Santiago(Ch.)

17° w 19° w 22° h 25° h 27° h 29° h 31° h 19° h

Naher Osten Ankara Antalya Baghdad Dubai Kuwait Riad Teheran Tel Aviv

Asien Astana Bangkok Mumbai Colombo Hanoi Hongkong Jakarta Kalkutta Manila Neu Delhi Peking Seoul Schanghai Singapur Taipeh Tokio Xian

Australien und Neuseeland Melbourne Sydney Wellington

21° h 19° w 18° w 18° h 26° h 24° h 21° h 22° h 19° h 19° h 20° w 15° h

SE IT E 26 · MONTAG , 11. APRIL 2016 · N R . 8 4

Unternehmen

F R A N K F U RT E R A L LG E M E I N E Z E I T U N G

Der Streit im Europäischen Patentamt eskaliert Unversöhnlich stehen sich der Präsident und Arbeitnehmervertreter gegenüber. Jahrelange Machtkämpfe behindern dringend benötigte Reformen des Amtes. Von Rüdiger Köhn MÜNCHEN, 10. April ie Hoffnung auf Frieden währte nur kurz. Vor einem Jahr setzten sich Benoît Battistelli, Präsident des Europäischen Patentamtes (EPA), sowie die Repräsentanten der beiden Hausgewerkschaften Suepo und FFPE an einen Tisch. Sie redeten erstmals über die gegenseitige Anerkennung und über Reformen in dieser exterritorialen Organisation, an der 38 europäische Staaten beteiligt sind. Für den darauffolgenden Herbst wurde gar eine Grundsatzvereinbarung über einen „sozialen Dialog“ ins Auge gefasst. Es hätte eine historische Zäsur in der 1977 gegründeten Behörde mit Sitz in München und Den Haag bedeuten können. Vergangenen Donnerstag allerdings gab es einen Streik im Hause des EPA. Der eintägige Arbeitskampf ist ein neuer Höhepunkt im Streit zwischen Verwaltung und Suepo um Einfluss und Besitzstandswahrung gewesen. Selbst wenn es sich bei den Falken der Gewerkschaft um eine vergleichsweise kleine Gruppe handeln mag, einer breiteren Rückendeckung scheint sie sich dennoch sicher. Nach Angaben des EPA haben 2058 Mitarbeiter oder 30,6 Prozent der Belegschaft den ganzen Tag und 579 Beschäftigte oder 8,5 Prozent einen halben Tag die Arbeit niedergelegt. Im Mittelpunkt der Auseinandersetzung am Donnerstag und der vielen Jahre zuvor stehen zwei unversöhnliche Widerstreiter: Der Franzose Battistelli, 65 Jahre, ausgebildet in Frankreichs Eliteschmieden, hat einen Hang zum Autokratischen. Die Patentprüferin Elizabeth Hardon, Suepo-Vorsitzende und seit 28 Jahren im Patentamt, hat es verstanden, ihrerseits Macht und Einfluss zu sichern. Manche sprechen davon, Hardon sei Battistelli in weiblich. Der Grund des Streiks vor vier Tagen ist symptomatisch für das Klima in der Behörde. Die Suepo fordert, die Disziplinarmaßnahmen gegen drei Arbeitnehmervertreter aufzuheben. Zwei von ihnen, darunter Elizabeth Hardon, wurden entlassen, ein Mitarbeiter degradiert. Ihnen hat die Verwaltung „schwere Verstöße“ vorgeworfen. Die Gewerkschaftsvertreter hätten nicht wohlgesinnte Mitarbeiter bedroht sowie Interna des Amtes lanciert. Der Präsident spricht von einer sehr schädlichen Verleumdungskampagne gegen die Organisation. Und er sagt: „Ein einziges Nicht-Suepo-Mitglied war in den zentralen Personalausschuss gewählt worden, sah sich aber nur ein halbes Jahr nach der Wahl im Dezember 2014 zum

D

Haus in Aufruhr: Das Europäische Patentamt in München

Rücktritt gezwungen, weil es nach eigener Aussage von den übrigen Personalvertretern gemobbt wurde.“ Sogar die Staatsanwaltschaft München ist eingeschaltet. Etliche Strafanzeigen würzen den Konflikt. Das Patentamt hat unter anderem auch eine Anzeige gegen unbekannt wegen Verleumdung erstattet, die gegen einen suspendierten irischen Patentrichter gerichtet zu sein scheint. Bei ihm soll laut einer internen Untersuchung diffamierendes Material, Nazi-Schriften und Schlagstöcke im Büro gefunden worden sein. Ihm wird zudem vorgeworfen, durch Indiskretionen Interna lanciert zu haben. Der Ire wiederum reichte gegen das Patentamt Anzeige wegen Verleumdung ein. Elizabeth Hardon soll ebenso Anzeige gegen unbekannt erstattet haben, weil etwa ihr privates E-Mail-Konto durchsucht worden sei. Obwohl sie entlassen ist, bleibt sie im Spiel. Die Suepo hat die Statuten geändert, damit Nicht-Mitarbeiter, also ihre Führerin, weiterhin Mitarbeiterinteressen vertreten können. Den Konfliktstoff liefern die Reformen, die Batti-

stelli auf den Weg gebracht hat. Mit ihnen will der Präsident die zwischenstaatliche Behörde etwas aus ihrem betulichen Dasein holen und auf den harten internationalen Wettbewerb mit den Vereinigten Staaten und den asiatischen Ländern um ein lukratives Patentgeschäft einstellen. Pfründe und Privilegien der rund 7000 Mitarbeiter stehen zur Disposition. Sie verdienen bei einem Steuersatz von nur 6 Prozent durchschnittlich 120 000 Euro, haben bei einer 40-Stunden-Woche drei Monate Urlaub im Jahr. Für Ärzte und die Ausbildung der Kinder müssen sie nicht viel oder nichts bezahlen. Nun gibt es neue Kriterien für Leistungsbewertungen. Es wird die Vorlage eines Attestes im Krankheitsfall von mehr als drei Tagen verlangt. Unangemeldete Kontrollbesuche zu Hause sind möglich. Im Disput geht es aber auch um die bis dato verwehrte Anerkennung der Gewerkschaften als mitbestimmende Gesprächspartner. Der Streik am Donnerstag kam nur drei Wochen nachdem der Verwaltungsrat des Patentamts, der sich aus Vertretern der 38

Foto Andreas Müller

Mitgliedsländer zusammensetzt, die Konfliktparteien aufgerufen hatte, konstruktiv und rasch auf eine Einigung und eine Anerkennung der Gewerkschaften ohne Vorbedingungen hinzuarbeiten. Die Verwaltungsräte nahmen dabei nicht nur die Suepo in die Pflicht. Auch Battistelli bekam einen Schuss vor den Bug, auch wenn dieser nicht ganz so laut ausgefallen war wie zunächst erwartet. Im Vorfeld der Sitzung am 16. März wurde, als Teil einer im Grunde seit Jahren stattfindenden Schlammschlacht, eine drohende Absetzung des Präsidenten kolportiert. Ganz so schlimm kam es jedoch nicht. Die Mehrheit im Gremium stellte sich immer noch hinter den Franzosen. Sechs bis sieben Länder sollen ihm aber klar ihr Misstrauen ausgesprochen haben. Geholfen hat Battistelli womöglich, dass rechtzeitig vor der Sitzung mit der kleineren Gewerkschaft FFPE – sie vertritt die Mitarbeiter am Sitz in Den Haag – Anfang März eine Absichtserklärung für die Anerkennung als Verhandlungspartner vereinbart worden ist; ein tak-

tisch cleverer Schachzug, wollte der Präsident dies doch als Meilenstein gegenüber dem Verwaltungsrat verkaufen. Beobachter werten die Vereinbarung indes als Mogelpackung. Denn vom Schutz der Gewerkschaftsführung vor arbeitsrechtlichen Maßnahmen ist nicht die Rede, was aber normalerweise zu einer Anerkennung gehört. Die Gewerkschaft darf zudem allenfalls zwei E-Mails im Jahr an die Mitarbeiter versenden. „Für die Suepo steht die Tür weiterhin offen, sollte sie sich diesem Prozess anschließen wollen“, sagte Battistelli dieser Zeitung. „Mit einer Einigung würde sie in unserem Rechtsrahmen sofort als Gewerkschaft und Sozialpartner anerkannt.“ Für die Suepo scheint das derzeit aber indiskutabel. Mit rund 3400 Mitgliedern weiß sie jeden zweiten Angestellten hinter sich; die FFPE soll gerade einmal 100 Mitglieder vertreten. Die Voraussetzungen für eine Befriedung sind denkbar schlecht. Die Zeichen stehen auf Konfrontation, angeheizt durch die Arbeitsniederlegung. Die Suepo stellt für die Aufnahme

eines Dialogs rigide Vorbedingungen. Die Gewerkschaft verlangt ein Vetorecht bei Entscheidungen, und sie erwartet die Rücknahme der in den vergangenen fünf Jahren eingeleiteten Reformen. Für Battistelli ist das inakzeptabel. Die Warnungen aus dem Verwaltungsrat im Kopf, will er dennoch auf die Gegner zugehen und hält sich mit Angriffen zurück. „Oberstes Ziel bleibt die Unterzeichnung eines Memorandum of Understanding durch alle im EPA vertretenen Gewerkschaften“, sagt der Präsident. „Gegenstand des Dialogs könnten dann wichtige Reformen der Personalpolitik und die Beschäftigungsbedingungen der Gesamtheit oder eines Teils des Personals sein.“ Korrekturen der eingeleiteten Reformen will er nicht ausschließen. Eine Unternehmensberatung soll diese auf Härten überprüfen. Es werde mit dem Verwaltungsrat eine Sozialstudie erstellt, die die Reformen analysiert und Schlüsse für die nächsten Schritte ziehe, kündigt Battistelli an. „Die Ergebnisse werden wir im Herbst auf einer Sozialkonferenz mit Gewerkschaften, Personal- und Managementvertretern sowie Delegierten des Verwaltungsrats erörtern“, schlägt er vor. „Schließlich hat das Amt bereits im Januar entschieden, seine internen Ermittlungsrichtlinien und seine Vorschriften zu Disziplinarverfahren zu überprüfen.“ Zu weit aber liegen die Kontrahenten auseinander. Das Grundproblem liegt in den Genen des Patentamts als überstaatliche Organisation, die keiner nationalen Rechtsprechung unterliegt. Sie entzieht sich einer Kontrolle von außen und der Transparenz. Machtbiotope konnten ihr Eigenleben entwickeln und die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) in Genf zum Verzweifeln bringen. Arbeitnehmer können ihre Rechte nämlich nur dort einklagen. Die ILO beschwerte sich 2015 über die Arbeitsbelastung durch Fälle aus dem Patentamt. In 37 Jahren seien rund 760 Entscheidungen zu treffen gewesen. Bei der Weltgesundheitsorganisation WHO mit ähnlich vielen Mitarbeitern habe es in 66 Jahren knapp 450 Fälle gegeben. Und noch ein fehlerhaftes Gen steckt im System Europäisches Patentamt. Es finanziert sich mit einem Budget von mehr als 2 Milliarden Euro selbst. Die Mittel werden auf die 38 Mitgliedsländer verteilt. Manche sagen dem Präsidenten nach, dass er auf die Verteilung der Mittel Einfluss nehmen würde. So könne er sich Länder, insbesondere kleinere Staaten, gewogen machen – was autokratische Strukturen fördert, lautet die Kritik. Denn unabhängig von Bedeutung, Größe oder Zahl der eingereichten Patente, egal ob Albanien oder Deutschland: Jedes Mitgliedsland hat eine Stimme. Die Geduld besonders größerer Mitgliedsländer könnte angesichts der jahrelangen Querelen jedoch allmählich aufgebraucht sein, der Druck durch den Verwaltungsrat zunehmen. Die Erkenntnis mag reifen, dass eine Befriedung mit den derzeit handelnden Personen nicht mehr möglich ist. Es ist nicht auszuschließen, dass aus sechs oder sieben Ländern zwanzig werden, die die Stimme auch gegen Battistelli erheben, dessen Vertrag bis 2018 läuft. Die nächste Verwaltungsratssitzung ist für den Juni anberaumt.

NETZWIRTSCHAFT

Deutsche Daddler geben weniger Geld für Kaufspiele aus Der Spielemarkt hierzulande wächst trotzdem / Das liegt vor allem an zwei digitalen Hoffnungsträgern / Von Martin Gropp FRANKFURT, 10 April. ie sich das Kaufverhalten der Computerspieler in Deutschland verändert, lässt sich auf der Internetseite des Online-Händlers Amazon ablesen. Der amerikanische Internetversender hat dort die in diesem Jahr bisher am häufigsten verkauften Produkte aus der Kategorie „Games“ aufgelistet. Die ersten drei Plätze belegen allesamt Guthabenkarten des Spielkonsolenherstellers Sony. Mit den Karten mit Nennwerten von 50, 20 oder 10 Euro können die Käufer im Online-Shop der SonySpielgerätereihe Playstation einkaufen. Erst auf dem vierten Platz der AmazonVerkaufsrangliste folgt ein Computerspiel auf einem physischen Datenträger. Zwar sind Online-Händler wie Amazon nur einer von vielen Absatzwegen für Computerspiele. Doch spiegelt die Beliebtheit der Guthabenkarten eine Tendenz im Spielemarkt wider. Wie auch bei den Kollegen aus der Musikbranche sehen sich die Hersteller von Computerspielen sinkenden Verkaufszahlen für physische Datenträger gegenüber. Vor sieben Jahren standen diese anfassbaren Produkte noch für einen Anteil von 80 Prozent des gesamten Jahresabsatzes. Vor drei Jahren war die Zahl schon auf deutlich weniger als zwei Drittel gesunken. Heute dürfte sie noch tiefer liegen. Genaue Zahlen liegen noch nicht vor. Andere aktuelle Marktdaten, die der Bundesverband Interaktive Unterhaltungssoftware in der vergangenen Woche veröffentlicht hat, bestätigen indes eine zweite Entwicklung, die sich schon seit einigen Jahren in der Branche abzeichnet. Generell haben die Spieleproduzenten mit dem Verkauf ihrer Produkte Jahr für Jahr weniger erlöst – egal ob

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die Spieler sie nun auf Datenträgern oder per Download erstanden haben. Setzte die Branche hierzulande im Jahr 2014 noch etwa 1,26 Milliarden Euro über den Verkauf von Spielen um, waren es im vergangenen Jahr nurmehr rund 1,2 Milliarden Euro – ein Rückgang um fast 4 Prozent. Im Fünfjahresvergleich ist der Teilmarkt „Verkauf“ sogar um fast ein Viertel geschrumpft. 2011 erlösten die Hersteller darüber noch fast 1,6 Milliarden Euro. Dass das gesamte Geschäft mit digitalen Spielen trotz dieses Rückgangs um immerhin 2 Prozent gewachsen ist, liegt an zwei Hoffnungsträgern der Branche. Zum einen setzten die Hersteller im vergangenen Jahr mit Spiele-Abonnements 145 Millionen Euro um, und damit gut 4 Prozent mehr als noch 2014. Zum anderen gewinnen virtuelle Güter und Zusatzinhalte immer mehr an Bedeutung. Auch wegen der Kostenloskonkurrenz auf Smartphones oder im Internet bieten viele etablierte Programmierer heute schon Grundversionen ihrer Spiele kostenlos an. Ihre Hoffnung ist, Geld zu verdienen, indem sie die Nutzer dazu bringen, innerhalb der Spiele bestimmte Fähigkeiten oder zusätzliche Inhalte zu kaufen. Die sollen sie beim Daddeln weiterbringen oder das Spielerlebnis erweitern. Im vergangenen Jahr hat die Branche hierzulande mit virtuellen Gütern und Zusatzinhalten nun erstmals mehr als eine halbe Milliarde Euro umgesetzt. 2014 lagen die Erlöse bei 477 Millionen Euro, 2015 waren es 562 Millionen Euro. Das entspricht einer Steigerung um fast 20 Prozent. Ein Gutteil davon dürften Zusatzinhalte für Spiele einbringen, die auf Smartphones laufen. Auch wegen dieser Entwicklung haben verschiedene Unternehmen der Branche begonnen, sich verstärkt für die internetfähigen Mobiltelefone als Spieleplattform

Faszination Computerspiele: Besucher der Messe Gamescom im Sommer 2015 in Köln

Foto dpa

zu engagieren. So hat der japanische Konsolenfertiger Sony Ende März angekündigt, eine eigene Tochtergesellschaft für Smartphone-Spiele zu gründen. Das Unternehmen mit dem Namen Forwardworks soll dabei auf Inhalte und Spielfiguren zurückgreifen, die bisher auf der Playstation laufen. Wann Sony erste Spiele auf den Markt bringt, steht noch nicht fest. Festgelegt hat das Unternehmen dagegen die Region, für die es zuerst Smartphone-Spiele produzieren will. Im Fokus stehen Nutzer in Japan sowie in anderen asiatischen Ländern. Japan ist derzeit auch das einzige Testfeld für ein Unternehmen, das sich lange dem Trend zu Handy-Spielen widersetzt hatte. Der japanische Konsolen- und Spielehersteller Nintendo hat in Japan vor knapp zwei Wochen die SmartphoneAnwendung Miitomo veröffentlicht. Deren Nutzer können digitale Wiedergänger ihrer selbst gestalten, um sich dann in der App mit Freunden auszutauschen, die das Programm ebenfalls auf ihr Handy geladen haben. Die Grundversion von Miitomo ist wie branchenüblich umsonst, Nintendo schielt auf Einnahmen aus dem Verkauf digitaler Güter. Wer sein digitales Abbild besonders gestalten will, muss sich ein Guthaben zulegen, um dem Avatar zum Beispiel hervorstechende Kleidungsstücke anzuziehen. Obwohl Nintendo lange daran festgehalten hat, eigene Inhalte nur für die hauseigenen Spielkonsolen zur Verfügung zu stellen, scheint der erste Versuch einer Handy-App durchaus vielversprechend zu verlaufen. Drei Tage nach der Veröffentlichung hatte die Anwendung schon mehr als eine Million Nutzer gewonnen. Derzeit steht sie auf Platz zehn der am häufigsten geladenen Anwendungen für das iPhone-Betriebssystem iOS in Japan.

Sport

FRANKFU RT ER A L LG EM E I NE Z E I TU NG

M O N TAG , 1 1 . A PR I L 20 1 6 · N R . 8 4 · S E I T E 27

Werders Dilemma

Ratlos in der Wagenburg

Wieder auf Bewährung Zum dritten Mal in dieser Saison diskutiert Werder Viktor Skripniks Entlassung. Wieder darf er bleiben – vorerst. Dabei bekommt er das Bremer Grundproblem nicht in den Griff. Von Frank Heike

Verfranst: Die Diskussionen um seine Arbeit nehmen Viktor Skripnik mit.

HAMBURG. Das Irritierende an den Diskussionen um Viktor Skripnik ist, dass sie zum dritten Mal in dieser Saison geführt werden. Nach fünf Niederlagen zwischen dem 19. September und dem 17. Oktober 2015 fragten sich die Bremer Verantwortlichen um Thomas Eichin und Klaus Filbry, ob der 46 Jahre alte Trainer noch der Richtige für den SV Werder sei. Es folgte ein 3:1-Sieg beim FSV Mainz 05. Skripnik durfte weitermachen. Am 20. Februar 2016 verlor Werder 0:2 beim FC Ingolstadt. Skripnik hatte sich bei der Einund Aufstellung vergriffen. Wieder kam die Frage auf, ob der Klub den Abstiegskampf mit diesem Trainer überstehen könne. Schmucke Siege in Leverkusen und gegen Hannover folgten; der Schulterschluss zwischen Fans, Mannschaft und Trainer war beeindruckend. Die Bremer, vor allem Sportchef Eichin, schienen das richtige Rezept gefunden zu haben – der Werder-Weg erwies sich als der einzig gangbare. Hier wird keiner so schnell gefeuert, schon gar nicht, wenn er so viele Verdienste für den Verein hat wie Viktor Skripnik, seit 20 Jahren dabei. Doch der Coach mit der lustig-listigen Sprechweise und den stahlblauen Augen stand nun schon unter argwöhnischer Beobachtung. Vor allem der lokalen Medien. Im Weserstadion wurden Fans vor Geduldsproben gestellt. Zwei Siege sind Werder erst daheim gelungen. Der dritte wurde am Samstag beim 1:2 gegen den FC Augsburg vergeben, verspielt, verschenkt. Gegen eine verunsicherte Mannschaft mit vielen Verletzten gab Werder die 1:0-Führung durch Florian Grillitsch her und versenkte sich nach Alfred Finnbogasons Ausgleich in der 53. Minute

selbst – Jeong-Ho Hong schoss Augsburg in der 87. Minute zum Sieg. Werder ist 16., dem Abstieg wieder ein Stück näher, und dass Skripnik offenbar nicht entlassen wird, ist eine Überraschung, nimmt man Eichins erste Aussagen vom Samstag zum Maßstab. Am Sonntag klang das anders. „Alle Mannschaften unten haben eine Trainerdiskussion“, sagte Eichin, „die muss man aushalten. Viktor kann das. Er ist unser Trainer. Ich gehe davon aus, dass er auch am Samstag gegen Wolfsburg auf der Bank sitzt.“ Eichin traf die Entscheidung

Foto pixathlon

nach einem Analysegespräch mit dem Vorstandskollegen Filbry, Ressort Finanzen. Doch einen breiten Handlungskorridor hielt sich Eichin offen, als er weitere Klausuren für Montag und Dienstag ankündigte: „Unser Ziel ist es nicht, den Trainer zu wechseln, aber wir müssen die Gespräche abwarten.“ Will sich Eichin Zeit verschaffen, weil Verhandlungen mit Skripniks Nachfolger andauern? Der Ukrainer leitete unterdessen wie immer nach Spielen zusammen mit seinem Stab das Auslaufen der Profis und Training der Reservisten. Was von ihm in

Entscheidung im Weserstadion: Gebre Selassie liegt flach, Hong trifft.

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den letzten fünf Partien gefordert ist, formulierte Eichin deutlich: „Bei uns muss jetzt eine Wagenburgmentalität wachsen. Wir sind in einer prekären Situation, aber wir sind noch nicht abgestiegen.“ In seinen Analysen und Gesprächen will Eichin herausgefunden haben, dass es keinen Keil zwischen Trainer und Mannschaft gebe. So wirkt das Werder-Team auch tatsächlich nicht. Skripnik kommt an. Aber durch das Ausbleiben des Trainerwechsels verzichtet die Bremer Führung auch darauf, ein Zeichen zu setzen und auf einen frischen Impuls von außen zu vertrauen. Strategien und Konzepte spielen ohnehin keine Rolle mehr. Es geht einzig darum, mehr aus der Mannschaft herauszukitzeln, als sie zuletzt zu zeigen in der Lage war. Manchmal reicht die andere Ausstrahlung eines neuen Mannes auf der Bank ja, um die Dinge wieder in eine bessere Richtung laufen zu lassen – ein gewogener Pfiff, ein abgefälschter Ball, eine gelungene Auswechslung. Fußball-Psychologie eben, schwer erklärbar. Viktor Skripnik darf weitermachen. Wie sehr ihn das Ganze mitnimmt, erlebten die Reporter nach der Partie, als Skripnik zur Medienschelte ausholte: „Ich kämpfe in der Bundesliga gegen 17 Fußballmannschaften und eine Medienmannschaft. Immer wird spekuliert, dass ich auf einem heißen oder wackligen Stuhl sitze“, sagte er. Nun muss niemand auf Seiten der Schreiber zu empfindlich sein; wer austeilt, muss auch einstecken können. Aber trotzdem verfranst sich Skripnik (bei allem Verständnis für seinen Frust), wenn er die Trainerdiskussionen jetzt den gut informierten und wohltuend sachlichen lokalen Tageszeitungen anlas-

tet, die täglich und leidenschaftlich über Werder berichten. Dass es die dritte Erörterung in dieser Saison gibt, liegt an seinen Spielern, den Ergebnissen – und an ihm. Denn Skripnik hat es nicht verstanden, Werder eine vernünftige Defensive zu verordnen: 58 Gegentore. Ein Bremer Grundproblem, das unabhängig vom jeweiligen Chefcoach besteht. Die angeknacksten Augsburger zurück ins Spiel zu holen, hätte erfahrenen Leuten wie Theodor Gebre Selassie und Jannik Vestergaard nicht passieren dürfen. Beim 1:1 lässt der Däne dem Augsburger Finnbogason den Raum zum Ausgleich. Vorher darf Caiuby ungehindert flanken. Beim 2:1 kann Gebre Selassie den Koreaner Hong nicht hindern. Dass Felix Wiedwald im Bremer Tor keine „Unhaltbaren“ abwehrt und Werder so nie Punkte schenkt, ist gerade im Vergleich mit der Konkurrenz schmerzhaft: Der Hoffenheimer Oliver Baumann errang den Sieg beim HSV in der Woche vor Ostern fast allein, Darmstadts Mathenia spielt eine grundsolide Saison. Marwin Hitz im Augsburger Tor hält immer mal wieder spektakulär. Man kann Wiedwald nichts vorwerfen. Aber der ganzen Mannschaft fehlen die Profile, die öfter mal hervorstechen in solchen „Do-or-die“-Spielen. Claudio Pizarro musste nach seiner ärgerlichen Bauchmuskelverletzung aus den Spielen mit Peru passen. Pizarro, Clemens Fritz, Zlatko Junuzovic, Vestergaard, Fin Bartels, Anthony Ujah – das sind Namen, die für mehr stehen als Abstiegskampf. Und so landet man doch wieder beim Trainer, der nach wie vor Viktor Skripnik heißt. Doch ein Trainer auf Bewährung ist fünf Spieltage vor Schluss keine gute Lösung.

Torschütze dringend gesucht Ohne den verletzten Alexander Meier übertreffen sich die Eintracht-Profis an Harmlosigkeit / Nach dem 0:2 gegen Hoffenheim naht der Abstieg FRANKFURT. Wenn das kein schlechtes Omen ist: Seit 1996 dauert es im Schnitt fünf Jahre, dass sich der Traditionsverein Eintracht Frankfurt aus der Bundesliga verabschiedet, um umgehend wieder zurückzukehren. 1996, 2001, 2004, 2011 – und jetzt 2016? Noch kann es die Eintracht schaffen. „Doch die Spiele werden weniger“, sagte Niko Kovac. Der neue Frankfurter Trainer, seit Anfang März im Amt, hat die Hessen gehörig durcheinandergewirbelt. Allein: Die Punkte fehlen. Nach dem 1:0 gegen den designierten Absteiger Hannover vor drei Wochen wähnte sich die Eintracht gewappnet, auch die nächste diffizile Heimaufgabe gegen Hoffenheim siegreich zu gestalten. Doch am Ende hieß es nach Toren von Nadiem Amiri (62.) und Mark Uth (90.) 0:2. Das zarte Pflänzchen Hoffnung, gegen 1899 den dringend benötigten Befreiungsschlag zu schaffen und sich vom ersten Abstiegsplatz zu entfernen, erhielt einen herben Dämpfer. Heribert Bruchhagen, der nach dem Saisonende von seinem Amt scheidende Vorstandsvorsitzende der Eintracht, sprach von einer „schweren Stun-

de.“ Der Zeitraum ist damit zu knapp bemessen. Die Eintracht steht vor schweren Wochen. Sie hat nur noch fünf Spiele Zeit, den drohenden fünften Abstieg der Vereinsgeschichte zu vermeiden. Natürlich hat der Trainernovize Kovac recht mit seiner Einschätzung, „dass für uns noch alles drin ist“. Doch dafür müsste seine bemühte Mannschaft, der es gelang, die Partie gegen Hoffenheim lange zu dominieren, endlich ihrer fußballerischen Hauptaufgabe nachgehen: Tore zu schießen. Lediglich acht Treffer sind den Hessen in der Rückrunde geglückt. Drei davon hat Alexander Meier in einem einzigen Spiel gegen Wolfsburg erzielt, ein weiteres gegen Stuttgart und eines gegen Köln. Der Torschützenkönig der vergangenen Bundesligasaison aber ist verletzt, und noch ist nicht absehbar, wann der dienstälteste Frankfurter Fußballprofi wieder aktiv in den Abstiegskampf eingreifen kann. Kovac versicherte zwar, dass es mit der Personalie Meier „noch klappen wird“. Doch vielleicht könnte es dann schon zu spät sein. „Auch wir können die Tabelle lesen“, sagte Bruchhagen nach

Madrid leichter als Mainz Wolfsburger Paradox: Der Ballnacht gegen Real folgt ein weiterer trister Bundesliga-Kick. Seite 28

dem Tiefschlag gegen Hoffenheim. Das aktuelle Klassement hat sich weiter zuungunsten der Eintracht entwickelt, denn mit ihren Siegen in Bremen und Hamburg haben sich Augsburg und Darmstadt von den Frankfurtern abgesetzt. Bis zur 62. Minute, als die Eintracht die Partie bestimmte, herrschte in der lautstarken Frankfurter Arena Zuversicht. Doch als sich Marc Stendera den Ball von Amiri in Höhe der Mittellinie abnehmen ließ, dieser über den halben Platz sprintete und Kurs auf das 0:1 nahm, kippte die Stimmung. Es herrschte eine Art Totenstille in der mit 51 000 Zuschauern fast ausverkauften Arena. Und als kurz vor dem Abpfiff noch das 0:2 fiel, wendeten sich noch mehr Anhänger von der Eintracht ab. Pfiffe, Schmährufe – der Unmut brach sich Bahn. „Wir waren heute nicht die zwei Tore besser“, sagte der Hoffenheimer Trainer Julian Nagelsmann. „Aber wir sind trotzdem glücklich, dass wir gewonnen haben.“ Glück, Fortüne, Entschlossenheit – es ist das „letzte Quentchen“, das Kovac bei seiner geplanten Rettungsmission ver-

Jugend schreibt Fürchterlich dumme Roboter: Im Hörsaal der Kinderuni sind sie nicht so süß wie im Film. Seite 30

Wieder nichts: Der Frankfurter Luc Cas-

misst. „Der Rest stimmt. Was die Mannschaft im Abstiegskampf braucht, bringt sie mit. Sie ist klar im Kopf. Sie braucht keine Tricks und auch keinen Psychologen.“ Aber sie trifft das Tor nicht. Offensivmann Sonny Kittel hat es zweimal gegen Hoffenheim nicht geschafft, Abwehrchef Carlos Zambrano mit einem abgeblockten Kopfball auch nicht. Was also tun? „Wir müssen die Ruhe bewahren“, empfahl Vorstandsmitglied Axel Hellmann. „Wir dürfen unseren Fightingspirit auf der Zielgeraden nicht verlieren.“ Hellmanns Hoffnung – und womöglich auch die der anderen Mitstreiter im zitternden Frankfurter Verein: „Die letzten Spiele einer Saison funktionieren nach eigenen Regeln. Sie haben ihre eigene Dramaturgie, ihr spezielles Muster. Es zählt nicht mehr, was vorher war.“ Tatsächlich zählt jetzt, was kommt. Schwere Aufgaben gegen Leverkusen, Mainz, Darmstadt und Dortmund. Und dann, am 14. Mai, am letzten Spieltag, das große Finale in Bremen. Vielleicht ist die Eintracht bis dahin noch im Rennen. Vielleicht aber auch nicht.

Foto Reuters

RALF WEITBRECHT

taignos hat versucht zu treffen.

Zum Schluss noch eine Ohrfeige Arthur Abraham scheitert krachend bei seinem Ausflug in die große Box-Welt. Seite 31

Von Christian Kamp m Samstagabend schien das Ende in Bremen schon ziemlich A nah. Die Lage in der Tabelle: dramatisch verschlechtert. Die Stimmung im Stadion: gegen Mannschaft und Trainer gekippt. Und dann, natürlich, die Frage nach der Zukunft von Viktor Skripnik: Da deutete alles darauf hin, dass zumindest für ihn Schluss sein würde nach dem 1:2 gegen den FC Augsburg. An so einem Tag, sagte Sportchef Thomas Eichin, könne man gar nichts ausschließen – berühmte (vor-)letzte Worte. So mancher dürfte sich also die Augen gerieben haben, als Skripnik dann am Sonntagmorgen doch das Training leitete. Eine klare Positionierung allerdings vermied Eichin auch diesmal. Und so lautet die Frage, was Skripnik betrifft, weiter: Wie lange noch? Das Bremer Dilemma ist, dass es eigentlich schon viel zu lange dauert. Skripnik hat längst eine Reihe von Gründen geliefert, die ihn an einem ungeduldigeren Standort wohl schon früher den Job gekostet hätten. Während Trainer wie Ralph Hasenhüttl und Dirk Schuster es geschafft haben, aus bescheidenen Mitteln erstaunlich viel zu machen, hat Skripnik aus gar nicht mal so wenig nur ziemlich Dürftiges produziert. Zumindest, wenn man so etwas wie Struktur und System als Maßstab nimmt. Sowohl die desaströse Heimbilanz als auch die notorische Unfähigkeit, ein Spiel ohne Gegentor zu beenden, deutet auf mangelnde Lernfähigkeit hin – vielleicht auch auf eine Fehleinschätzung des Personals. Eine spielerische (Weiter-)Entwicklung ist nicht zu erkennen, zumindest nicht im eigenen Stadion. Aus den vier Spielen gegen direkte Konkurrenten – Hoffenheim, Darmstadt, Hannover, Augsburg – holten die Bremer einen Sieg, gegen 96, der Rest war viel Quälerei. Was Werder über Wasser gehalten hat, waren zum einen lichte Momente einzelner Akteure, vor allem aber ein in so einer Lage beachtlicher positiver Spirit. Für Skripnik bedeutete er schon zweimal in dieser Saison die Lizenz zum Weitermachen. Jetzt also auf ein Drittes? Für Eichin und die Klubführung ist es zu diesem fortgeschrittenen Zeitpunkt eine Entscheidungslage, die an Glücksspiel grenzt. Denn eines ist klar: Selbst wenn ein neuer Mann käme, würde er kaum noch eine fundamentale spielerische Wende einleiten können. Auf das Muster des verführerischen Hoffenheimer Vorbilds zu setzen wäre allzu trügerisch. In Bremen ist nicht zu erkennen, dass die Mannschaft für ein bestimmtes Spielprinzip zusammengestellt wäre, das ein anderer Trainer freilegen könnte so wie Julian Nagelsmann. Es ist eher eine Lage, die mit der in Frankfurt vergleichbar ist: wo Niko Kovac ein paar frische Reize gesetzt haben mag, den Trend Richtung zweite Liga damit aber nicht stoppen oder gar umkehren konnte. Also vielleicht doch lieber auf den Faktor Zusammenhalt und Skripnik setzen? Eichin scheint der Bremer Wagenburg allerdings selbst nicht (mehr) recht zu trauen. Es wäre auch kein Wunder. Nach außen jedenfalls vermittelt Skripnik nicht den Eindruck, dass er mit der Drucksituation souverän umgehen kann. Schon lange nicht mehr.

Restprogramm im Abstiegskampf 쑺 12. VfB Stuttgart (33 Pkte.): Augs-

burg (A), Dortmund (H), Bremen (A), Mainz (H), Wolfsburg (A). 쑺 13. Darmstadt 98 (32 Pkte.): Ingolstadt (H), Köln (A), Frankfurt (H), Hertha (A), M’gladbach (H). 쑺 14. 1899 Hoffenheim (31 Pkte.): Hertha (H), Mönchengladbach (A), Ingolstadt (H), Hannover (A), Schalke (H). 쑺 15. FC Augsburg (30 Pkte.): Stuttgart (H), Wolfsburg (A), Köln (H), Schalke (A), Hamburg (H). 쑺 16. Werder Bremen (28 Pkte.): Wolfsburg (H), Hamburg (A), Stuttgart (H), Köln (A), Frankfurt (H). 쑺 17. Eintracht Frankfurt (27 Pkte.): Leverkusen (A), Mainz (H), Darmstadt (A), Dortmund (H), Bremen (A). 쑺 18. Hannover (17 Pkte.): Mönchengladbach (H), Ingolstadt (A), Schalke (H), Hoffenheim (H), München (A)

Millionenpreis für Billigflieger Michael O’Learys Hengst Rule The World gewinnt das Grand National in Aintree. Seite 32

Sport

SE IT E 28 · M O N TAG , 1 1 . A P R I L 2 0 1 6 · N R . 8 4

F R A N K F U RT E R A L LG E M E I N E Z E I T U N G

INGOLSTADT – MÖNCHENGLADBACH 1:0

FCI: Gut genug für mutige Scherze

Foto dpa

INGOLSTADT (dpa). Moritz Hartmann wusste sofort, dass sein neuntes Saisontor viel bedeutender war als alle anderen zuvor. Er wollte sich schon das Trikot vom Leib reißen, als er sich nach seinem späten Schuss ins Glück in der 88. Minute zum Jubellauf durch das bebende Stadion aufmachte. Nach dem 1:0 gegen die Gladbacher Champions-League-Anwärter erklomm der Matchwinner mit einem Megafon den Fanblock und gab den lautstarken Einpeitscher bei der spontanen Nichtabstiegsparty des verblüffenden Aufsteigers FC Ingolstadt. „39 Punkte fühlen sich verdammt nach Klassenerhalt an“, schwärmte Hartmann. Der Liganeuling bleibt im FußballOberhaus. Daran mochte am Samstag niemand mehr rechnerische Zweifel äußern. Schließlich ist noch kein Verein im Zeitalter der Drei-Punkte-Regel mit 39 Zählern abgestiegen. Die Oberbayern sind den Europapokalplätzen deutlich näher als der Abstiegszone. „Jetzt wollen wir oben angreifen“, kündigte HartMoritz Hartmann mann grinsend an – es war ein Scherz des Angreifers. Spontan gab es immerhin eine Nichtabstiegsprämie des Trainers: Ralph Hasenhüttl belohnte seine Spieler mit zwei freien Tagen. „Wir haben ein überragendes Spiel gemacht“, sagte er. Eine überragende Saison spielt der Neuling. Und eine besonders starke Rückrunde im eigenen Stadion. Vor einer Woche wurde der FC Schalke 04 3:0 nach Hause geschickt, nun wurde Gladbach „verdient“ geschlagen, wie Borussen-Trainer André Schubert einräumte. „Wir waren über 90 Minuten die bessere Mannschaft. Gladbach hatte nichts zu melden“, sagte Hartmann – und kein Gladbacher hätte dagegen Einspruch erheben können. „Wir haben es mittlerweile im Kreuz, auch gegen solche Mannschaften zu Hause zu gewinnen“, sagte Hasenhüttl stolz. Ingolstadt war nicht nur gieriger, aggressiver, entschlossener, der FCI spielte auch besser Fußball. „Ingolstadt hat einen klaren Plan“, lobte der Gladbacher Manager Max Eberl. Über die eigene Niederlage, die miese Auswärtsbilanz mit nur zwei von 24 Punkten aus den vergangenen acht sieglosen Spielen in der Fremde, echauffierte sich Eberl: „Es ist zum Kotzen, dass du wieder ohne Punkte nach Hause fährst. Wir werden auswärts nicht belohnt.“ Wofür auch? André Hahn vergab die Chance zur Führung. Seinen Kapitän Granit Xhaka musste Schubert zur Pause wegen Gelb-Rot-Gefahr auswechseln. Insgesamt bot Gladbach zu wenig für einen Platz in der Champions League. „Wir sind glücklich, dass wir dabei sein dürfen bei dem Kampf“, sagte Eberl.

ZWEITE LIGA

Der „Club“ kann doch verlieren FRANKFURT (dpa). Der SC Freiburg steht ein Jahr nach dem Abstieg vor der Rückkehr in die Fußball-Bundesliga. Der Zweitliga-Spitzenreiter gewann am Sonntag gegen den FC St. Pauli 4:3, es war der achte Sieg nacheinander. Die Breisgauer haben bei noch fünf ausstehenden Ligaspielen 15 Punkte Vorsprung vor Platz vier und die wesentlich bessere Tordifferenz als der VfL Bochum. Zumindest Platz drei hat der SC damit praktisch sicher. Freiburg startete furios. Das frühe 1:0 besorgte Marc-Oliver Kempf (3.). Freistoß-Spezialist Vincenzo Grifo traf mit seinem 13. Saisontreffer zum 2:0 (36.). Überraschend kam St. Pauli durch Bernd Nehrig zum 1:2-Anschlusstreffer (55.), fünf Minuten später antwortete der SC durch Maximilian Philipps Tor mit dem 3:1 (60.). Enis Alushi gelang zwar das 2:3 (75.). Kempf beendete mit dem 4:2 (85.) die Hamburger Hoffnungen auf einen Punkt. Lasse Sobiechs Foulelfmeter-Treffer zum 3:4 kam zu spät (90.). Der 1. FC Nürnberg kassierte durch das überraschende 1:2 gegen den MSV Duisburg einen Dämpfer im Aufstiegsrennen, zugleich endete die „Club“-Serie von 18 ungeschlagenen Spielen. Als Dritter haben die Franken drei Punkte Rückstand auf Platz zwei. Sollte RB Leipzig an diesem Montag bei Fortuna Düsseldorf gewinnen, sind es sechs Punkte. Der MSV schöpfte wieder etwas Hoffnung im Abstiegskampf. Der Revierklub hat nur noch drei Punkte Rückstand auf den Relegationsplatz 16. Der FSV Frankfurt ist nach zuletzt sieben sieglosen Spielen in Abstiegsgefahr und trennte sich von Trainer Tomas Oral. Einen Tag nach der 1:4-Heimniederlage gegen Bochum teilte der Verein mit, man sei sich nach eingehender Analyse über eine Veränderung einig gewesen.

HERTHA BSC WANKT

Er macht das für Darmstadt Und im Sommer zur EM? Die Geschichte des Innenverteidigers der „Lilien“ wird immer schöner umindest in den Augen eines mitgereisten Darmstädter Reporters hatte sich Aytac Sulu am Samstagabend einen neuen Ehrentitel erworben: „Torgefährlichster Innenverteidiger Europas“. Sein meistens angenehm ruhiger Trainer Dirk Schuster nahm die schwer nachzuprüfende Auszeichnung gelassen, leicht schmunzelnd hin und lobte Sulu in diesem Zuge gleich noch ein bisschen: „Wir wissen, was wir an ihm haben. Sollten wir am 14. Mai über dem Strich stehen, hat Aytac einen großen Anteil daran. Er ist einer der besten Innenverteidiger der Bundesliga.“ Schon das ist ja erstaunlich genug, betrachtet man Sulus Karriere, die sich zum größten Teil in der unterklassigen Provinz abspielte. Und mehr als einmal spielte der gebürtige Heidelberger mit dem Gedanken, zurück in den erlernten Beruf als Automobilkaufmann zu gehen – zuletzt vor nicht einmal drei Jahren. Darmstadt 98 war mit ihm und Schuster als Letzter der Dritten Liga abgestiegen. Am grünen Tisch wurde anders entschieden, Darmstadt durfte im Profifußball weitermachen, und die Cinderella-Story Sulus und Schusters begann.

te Sulu. Doch allzu viel Beistand brauchten die famosen Aufsteiger gar nicht für diesen nächsten Erfolg in der Fremde. Sieben Tore oder eines, Sulu sagte am Samstag, das interessiere ihn nicht sonderlich: „Ich mache das für Darmstadt und die Mannschaft.“ Diese Mannschaft wirkt so bissig, unnachgiebig und kompakt wie ihr Anführer. Besonders in Hamburg staunt man immer über märchenhafte Aufstiegsgeschichten Namenloser – weil sie sich hier so gut wie nie zutragen. Deswegen gab Schuster am Samstag auch ein bisschen Nachhilfeunterricht in Sachen Sulu: „Er kam Anfang 2013 auf Empfehlung zu uns. Damals ging es für ihn in Altach nicht weiter, weil Trainer Rainer Scharinger entlassen worden war, das war in der zweiten Liga in Österreich. Damals konnten wir natürlich noch nicht wissen, wie wichtig er einmal für uns wird.“ Bei allen Aufstiegen spielte Sulu seine Rolle. Furchtlos, zweikampfstark. Als Mann mit der schwarzen Maske machte er nach nur zwei Spielen Pause weiter, als er sich in der vergangenen Zweitligasaison nach einem Zusammenprall mit dem eigenen Torwart vier Knochen im Gesicht brach. Auch spielerisch hat er sich im Alter noch verbessert. „Ich habe davon profitiert, dass die Trainingsleistungen bei uns im Laufe der Jahre immer besser geworden sind“, sagt Sulu. Mit 29 Jahren durfte er dann in der Bundesliga spielen. Aytac Sulu passt bestens in diesen Klub der Aussortierten. Marcel Heller, Konstantin Rausch, Luca Caldirola, Slobodan Rajkovic, auch Jan Rosenthal – sie alle haben ihr Glück in Darmstadt gefunden, nachdem andere Vereine keine Verwendung mehr für sie gefunden hatten. Die Geschichte Sulus ist aber noch ein bisschen attraktiver als die der anderen. Eines der teuren, prämierten Jugendinternate der Bundesligaklubs hat er nie von innen gesehen. Stattdessen unter anderem für Bahlingen, Sandhausen und Aalen gespielt. Bis 2015 der Aufstieg mit Darmstadt in die Bundesliga folgte und Sulus Karriere richtig an Fahrt aufnahm. Nun ist zu hören, er sei sogar ein Kandidat für den türkischen Kader bei der Europameisterschaft in Frankreich. Dann lernen vielleicht noch ganz andere Kaliber den torgefährlichsten Innenverteidiger Europas kennen als die armen HSV-Profis. fei.

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Ein Herz für den Underdog: Aytac Sulu nach seinem siebten Tor in der ersten Liga. Foto Huebner

MANN DES SPIELTAGS AYTAC SULU Sieben Tore sind dem 30 Jahre alten Deutschtürken schon gelungen in dieser Spielzeit, sechs davon mit dem Kopf. In Hamburg hatten sie unter der Woche extra Defensivkopfbälle nach FreistoßFlanken und Eckbällen geübt. Gebracht hat das wenig – zwar sei der Hamburger Dennis Diekmeier bei der Aktion in der 38. Minute Sulu zugeordnet gewesen, wie HSV-Trainer Bruno Labbadia später kleinlaut zugab, doch wer sich so halbherzig mit Käpt’n Sulu duelliert, zieht den Kürzeren. Das 1:0 der Darmstädter brachte den ganzen HSV gehörig durcheinander, Jerome Gondorfs 2:0 in der 54. Minute besiegelte im Grunde schon den erstaunlichen sechsten Auswärtssieg der Lilien. Dass Lewis Holtby in der Nachspielzeit noch zum 2:1 traf, erinnerte nicht nur Sulu an späte Tore und bittere Punktverluste der jüngeren Vergangenheit. „Wir wollten nach den letzten Erlebnissen das Glück auf unsere Seite zwingen“, sag-

VFL WOLFSBURG – MAINZ 05 1:1

Madrid ist leichter als Mainz Wolfsburger Paradox: Der Ballnacht in der Champions League folgt ein weiterer grauer Bundesliga-Kick WOLFSBURG. Keiner von ihnen mochte es laut aussprechen. Zwischen den Zeilen stand aber eindeutig: Ja, das stimmt. Gegen Real Madrid zu spielen ist im Grunde leichter als gegen Mainz 05. Die Profis des VfL Wolfsburg, eben noch Helden in der Champions League und am Dienstag schon wieder in Madrid am Ball, waren nach ihrem enttäuschenden 1:1 gegen Mainz 05 nur bedingt zu Späßen aufgelegt. „Gegen Real, da rennt man von ganz allein und hat mehr Räume. Gegen Mainz, das war ganz schön eng und schwierig“, sagte André Schürrle. Sein Tor zum 1:0 (53. Minute) hatte die Wolfsburger hoffen lassen, in der Tabelle der Fußball-Bundesliga noch einmal den Anschluss nach oben zu finden. Am Ende mischte sich aber viel Frust über ein Remis unter die große Vorfreude auf das bevorstehende Spektakel in Spanien. Wenn diese Partie gegen Mainz wirklich als Generalprobe für Madrid herhalten soll, muss sie als misslungen eingestuft werden. Vor allem jene Szene, die in der 66. Minute zum Ausgleich durch den starken Mainzer Einwechselspieler Jairo geführt hatte, bleibt ein abschreckendes Beispiel. Ein missglücktes Zusammenspiel zwischen Joshua Guilavogui und Schürrle in der Offensive war der Ursprung des Unglücks. Vorne zu mutig, hinten zu weit aufgerückt: Als Jairo den aufgerückten Wolfsburger Verteidiger Christian Träsch problemlos überlaufen konnte und traf, dürfte allen Beteiligten beim eben noch so euphorischen VfL klargeworden sein, welche Fehler sich für eine Spitzenmannschaft besser nicht gehören. „Das sind die Momente, in denen du als Trainer verzweifelst“, gestand Cheftrainer Dieter Hecking. Er steht vor dem Dilemma, in der Champions League Real Madrid dank eines 2:0-Vorsprungs im Viertelfinale ausschalten zu können, aber in der Bundesliga sämtliche Saisonziele krachend zu verpassen. Das passt natürlich überhaupt nicht zusammen, das steht für einen bitteren Karriereknick auf dem angestrebten Weg nach oben. Die Tücke des Ruhms, den sich der VfL Wolfsburg in die-

ser Saison mit seinen Siegen in der Champions League bereits erspielt hat, bleibt eine ärgerliche Konstante. Großen Taten in großen Momenten sind in der Bundesliga stets ernüchternde Partien gefolgt. Wie sind zwei solch verschiedene Gesichter einer Mannschaft zu erklären? „Das ist schwer. Und solche Fehler wie gegen Mainz dürfen einfach nicht passieren“, findet Nationalspieler Schürrle. Auch ihm hatte vor 27 844 Zuschauern das Zwingende, das Besondere gefehlt, mit dem Wolfsburg drei Tage zuvor beim Kräftemessen mit Madrid noch geglänzt hatte. Aber es ist eben auch immer einfacher, nicht agieren, sondern reagieren zu müssen. Wenn sich die Wolfsburger als Außenseiter fühlen dürfen und als Kollektiv funktionieren müssen, spielen sie konsequenter und effektiver. Gegen Mainz 05 dagegen, Tabel-

lensechster und auf der Zielgeraden der Saison nicht nachlassend, muss dem VfLEnsemble der Blick auf das Wesentliche und die prekäre Konstellation in der Tabelle wieder einmal verschleiert gewesen sein. Die besten unter den guten Mannschaften können das: vom Besonderen umschalten auf das Normale, ein paar Prozent Elan weglassen und am Ende doch irgendwie noch gewinnen. Hecking hatte aus seiner Stammformation neben Torhüter Diego Benaglio zunächst auch Vieirinha und Ricardo Rodriguez weggelassen, um sie zu schonen. Julian Draxler stand wegen einer Gelb-Sperre nicht zur Verfügung. Nach dem fatalen Fehler vor dem 1:1 sahen sich die Wolfsburger sogar noch weiteren Mainzer Großchancen ausgesetzt. Schlussmann Koen Casteels musste sein ganzes

Können aufbieten, um eine Heimniederlage abzuwenden. Verteidiger Dante hatte zu viele Fouls begangen, so dass er in der Schlussminute die Gelb-Rote Karte sah. „Wir müssen aus unseren Fehlern lernen. Und das schnell“, findet Klaus Allofs. Der Geschäftsführer des VfL Wolfsburg ist nach dem verpassten Sieg in der Bundesliga nicht laut geworden. Aber er hat vor der Dienstreise bezüglich der Champions League klare Worte verloren. „Man muss sich als Mannschaft auch mal verbessern. Das haben wir in dieser Saison nicht hinbekommen“, sagte Allofs. Seine negativ klingende Analyse trifft den Kern. Es ist eine eindringliche Botschaft mitten in jener Woche, in der die Wolfsburger angesichts ihres spannenden Duells mit Real Madrid weltweit für Aufsehen sorgen. CHRISTIAN OTTO

Dárdai gereizt: Berliner Nervenspiele BERLIN (dpa). Pál Dárdai ist genervt. „Ihr braucht einen Psychologen“, riet der Trainer von Hertha BSC Journalisten auf die Frage, ob seine Spieler dem Druck in der Fußball-Bundesliga als Dritter auf einem Champions-LeagueRang nicht standhalten würden. Das 0:5 gegen Borussia Mönchengladbach und das 2:2 am vergangenen Freitag gegen den Tabellenletzten Hannover 96 haben Spuren hinterlassen. „Ihr redet über die Dinge, und das ärgert mich, das sind eure Probleme. Ihr redet seit einem halbem Jahr davon, mich belastet das nicht. Ihr kommt mit der Situation nicht klar“, sagte Dárdai. Seit dem 16. Spieltag liegt Hertha mit einer Ausnahme auf dem dritten Platz. Fünf Spiele stehen noch aus: auswärts gegen Hoffenheim, zu Hause gegen die Bayern, auswärts gegen Leverkusen, zu Hause gegen Darmstadt, auswärts gegen Mainz. Die Fans sehnen sich nach der Wiederholung der Saison 1998/99. Damals hatte die Hertha als krasser Außenseiter unter anderen mit Dárdai und dem heutigen Manager Preetz als Spieler Platz drei erreicht. Der Wunsch nach den großen Spielen im europäischen Fußball ist wieder da. Die Verantwortlichen bemühen sich, dem Team den Druck zu nehmen, die Erwartungshaltung dem Umfeld zuzuschreiben. Dárdai räumte ein, dass „die Situation da oben die Jungs belastet“. Dass die Fans ihrem Unmut über eine schwache erste Hälfte gegen Hannover Luft gemacht hatten, nervte Dárdai gewaltig. „Wir sind schon so weit, dass das Publikum zur Halbzeit pfeift. Wir können nicht mal mehr einen Querpass spielen“, sagte er. Im Schlussspurt um die Teilnahme an der Champions League wankt Hertha. Zum Berliner Glück unterlag Gladbach 0:1 in Ingolstadt. „Vielleicht ist der eine Punkt noch wichtig“, sagte Julian Schieber mit Blick auf das 2:2.

Bundesliga Hertha BSC – Hannover 96 Hamburger SV – SV Darmstadt 98 VfB Stuttgart – FC Bayern München SV Werder Bremen – FC Augsburg Eintr. Frankfurt – 1899 Hoffenheim FC Ingolstadt 04 – M'Gladbach VfL Wolfsburg – 1. FSV Mainz 05 FC Schalke 04 – Borussia Dortmund 1. FC Köln – Bayer 04 Leverkusen

29. Spieltag

2:2 1:2 1:3 1:2 0:2 2:1 1:1 2:2 0:2

Verein Sp. g. u. v. Tore Punkte 1. Bayern München 29 24 3 2 69:14 75 쎲 2. Bor. Dortmund 29 21 5 3 69:30 68 쎲 3. Hertha BSC 29 14 7 8 39:34 49 쎲 4. Bayer Leverkusen 29 14 6 9 44:33 48 쎲 5. Bor. M'Gladbach 29 14 3 12 59:45 45 쎲 6. 1. FSV Mainz 05 29 13 6 10 40:36 45 쎲 7. FC Schalke 04 29 13 6 10 41:40 45 8. VfL Wolfsburg 29 10 9 10 40:38 39 9. FC Ingolstadt 04 29 10 9 10 27:31 39 10. Hamburger SV 29 9 7 13 35:40 34 11. 1. FC Köln 29 8 10 11 29:37 34 12. VfB Stuttgart 29 9 6 14 46:59 33 13. SV Darmstadt 98 29 7 11 11 32:44 32 14. 1899 Hoffenheim 29 7 10 12 33:44 31 15. FC Augsburg 29 7 9 13 37:48 30 16. Werder Bremen 29 7 7 15 39:59 28 쎲 17. Eintr. Frankfurt 29 6 9 14 29:46 27 쎲 18. Hannover 96 29 5 3 21 24:54 18 쎲 쎲 Champions League 쎲 Champions-League-Qualifikation 쎲 Euro-League-Quali. 쎲 Relegation 쎲 Abstiegsplätze Nächste Spiele: Fr., 15.4., 20.30 Uhr: Hannover 96 – Borus-

sia M'Gladbach; Sa., 16.4., 15.30 Uhr: Bayer 04 Leverkusen – Eintracht Frankfurt, FC Augsburg – VfB Stuttgart, SV Werder Bremen – VfL Wolfsburg, 1899 Hoffenheim – Hertha BSC, SV Darmstadt 98 – FC Ingolstadt 04; Sa., 16.4., 18.30 Uhr: FC Bayern München – FC Schalke 04; So., 17.4., 15.30 Uhr: Borussia Dortmund – Hamburger SV; So., 17.4., 17.30 Uhr: 1. FSV Mainz 05 – 1. FC Köln

Zweite Bundesliga

29. Spieltag

SC Paderborn – 1. FC Union Berlin 0:4 TSV München 1860 – Greuther Fürth 0:1 Heidenheim – Braunschweig 2:2 VfL Bochum – FSV Frankfurt 4:1 SV Sandhausen – Arminia Bielefeld 1:4 SC Freiburg – FC St. Pauli 4:3 1. FC Kaiserslautern – Karlsruher SC 0:0 1. FC Nürnberg – MSV Duisburg 1:2 Fortuna Düsseldorf – RB Leipzig Mo., 20.15 Uhr Verein Sp. g. u. v. Tore Punkte 1. SC Freiburg 29 19 5 5 65:34 62 쎲 2. RB Leipzig 28 18 5 5 47:27 59 쎲 3. 1. FC Nürnberg 29 16 8 5 58:34 56 쎲 4. VfL Bochum 29 12 11 6 49:31 47 5. FC St. Pauli 29 13 7 9 37:33 46 6. 1. FC Heidenheim 29 10 11 8 37:32 41 7. 1. FC Union Berlin 29 10 10 9 50:41 40 8. Greuther Fürth 29 11 7 11 40:44 40 9. Eintr. Braunschw. 29 10 9 10 36:30 39 10. Karlsruher SC 29 10 9 10 28:32 39 11. FC Kaiserslautern 29 9 8 12 38:39 35 12. Arminia Bielefeld 29 6 16 7 30:34 34 13. SV Sandhausen 29 10 6 13 35:42 33 14. FSV Frankfurt 29 7 8 14 30:50 29 15. Fort. Düsseldorf 28 7 7 14 25:38 28 16. München 1860 29 5 10 14 26:42 25 쎲 17. SC Paderborn 29 5 9 15 24:50 24 쎲 18. MSV Duisburg 29 4 10 15 25:47 22 쎲 쎲 Aufstiegsplätze 쎲 Relegation 쎲 Abstiegsplätze Wegen Verstößen gegen die Vorschriften der Lizenzverordnung werden dem SV Sandhausen drei Punkte auch in der Zweitliga-Saison 2015/16 abgezogen.

Nächste Spiele: Fr., 15.4., 18.30 Uhr: Rasen Ballsport Leip-

Zuweilen verkrampft: Naldo (2. v. l.) versucht sich gegen die Mainzer Überzahl zu behaupten.

Foto dpa

zig – SV Sandhausen, FSV Frankfurt 1899 – SC Paderborn, MSV Duisburg – TSV München 1860; Sa., 16.4., 13.00 Uhr: Karlsruher SC – 1. FC Nürnberg, FC St. Pauli – VfL Bochum 1848; So., 17.4., 13.30 Uhr: 1. FC Union Berlin – 1. FC Heidenheim 1846, SpVgg Greuther Fürth – Fortuna Düsseldorf, DSC Arminia Bielefeld – 1. FC Kaiserslautern; Mo., 18.4., 20.15 Uhr: Eintracht Braunschweig – SC Freiburg

FRANKFU RT ER A L LG EM E I NE Z E I TU NG

Leverkusen rückt vor Souveräner 2:0-Sieg im Derby beim 1. FC Köln r.z. KÖLN. Sie hätten ihrem Trainer Peter Stöger, der trotzdem in seinen fünfzigsten Geburtstag an diesem Montag hineinfeierte, liebend gern ein Geschenk gemacht. Dabei jedoch spielte der Gegner nicht mit, so dass der 1. FC Köln am Ende eines bewegten rheinischen Derbys ohne Punkte und ohne Tore dastand. Der Wiener Stöger konnte es verschmerzen, weil seine Mannschaft am Sonntagnachmittag zumindest kämpferisch alles versucht hatte, dem spielerisch besseren Nachbarn in diesem rheinischen Derby ein Bein zu stellen. Weil Leverkusen vor der Pause in den entscheidenden fünf Minuten seine Qualitäten effektiv ausspielte und durch Brandt (39. Minute) und Calhanoglu (44.) die Treffer zum 2:0-Sieg schoss, verbesserte sich die Werkself auf den Champions-League-Qualifikationsplatz vier und ist nur noch einen Punkt vom Dritten, Hertha BSC, entfernt. Zwei Derbyniederlagen in einer Bundesligasaison hat es für Bayer gegen den FC noch nie gegeben. Dass das so bleibt, war nach dem 1:2 im Hinspiel ein erster Antrieb für die Mannschaft, diesmal vieles besser zu machen. Die drei Zu-Null-Siege in den vorangegangenen Spielen dienten als zweiter Ansporn, diese verheißungsvolle Serie zum Saisonende auszubauen. Drittens motivierten die mäßigen Wochenendergebnisse der Konkurrenz die Spieler von Trainer Roger Schmidt in ihrem Drang, weitere Big Points auf dem Weg in Richtung Direktqualifikation für die Champions League einzusammeln. Nach einer ersten halben Stunde, in der der Nachbar sich mit viel Leidenschaft gegen die höhere Spielkunst der Leverkusener gewehrt hatte, machte Bayer dann ernst. Zuerst wurde der freistehende Brandt, einer der besten aus Schmidts Offensivabteilung, so haargenau von Calhanoglu angespielt, dass er den Ball unbedrängt volley ins Tor schießen konnte. Das 1:0 beflügelte den Tabellenvierten noch mehr, so dass fünf Minuten später der mexikanische Torjäger Chicharito nach Bellarabis formvollendetem Zuspiel das 2:0, sein 16. Saisontor, erzielte. Der qualitative Unterschied zwischen einem Spitzenteam und einer Elf aus dem gehobenen Mittelstand der Liga wurde in diesen Minuten deutlich sichtbar. Spielte sich Bayer auch auf engem Raum mit großer Leichtigkeit durch die Kölner Defensive, hofften die Kölner auf ein, zwei präzise Konter. Die aber versandeten vor der Pause, weil vor allem der freche Bittencourt seine sehenswert herausgespielten Gelegenheiten nicht abschließen konnte. Nach dem Wechsel wurden die Kölner zwar konkreter, ohne damit erfolgreicher zu sein. Bayer verteidigte seinen Vorsprung und hatte auch etwas Glück, dass der FC eine Reihe von Chancen nicht nutzen konnte. Zoller (59./69.), Bittencourt (68.), Hartel (86.) und Hosiner (89.) gingen leer aus. Der Schlusspunkt der Auseinandersetzung war dann sehr farbig: Bittencourt sah nach einem brutalen Foul an Hosiner (90.+5) die Rote und Wendell wegen eines Faustschlags die Gelb-Rote Karte.

Real gelingt Frustbewältigung, Barcelona patzt SAN SEBASTIÁN/MADRID (dpa). Real Madrid hat sich mit einem Pflichtsieg über Eibar auf das Rückspiel in der Champions League gegen den VfL Wolfsburg eingestimmt. Der FC Barcelona macht die spanische FußballMeisterschaft derweil noch mal spannend. Das Team um den argentinischen Weltstar Lionel Messi musste sich am Samstag bei Real Sociedad San Sebastián 0:1 geschlagen geben. Der Vorsprung in der Primera División vor dem Tabellenzweiten Atlético Madrid schmolz durch die Niederlage auf drei Punkte zusammen. Die Mannschaft aus der Hauptstadt siegte 3:1 bei Espanyol Barcelona. Für den einzigen Treffer in San Sebastián sorgte Mikel Oyarzabal nach fünf Minuten. Der deutsche Nationaltorwart Marc-André ter Stegen saß bei Barcelona wie gewohnt in der Liga 90 Minuten auf der Bank. Für Atlético wendeten nach einem frühen Rückstand noch Fernando Torres (35.), Antoine Griezmann (58.) und Koke (89.) die Partie bei Espanyol und sicherten den Erfolg. Drei Tage nach dem 0:2 in der Königsklasse in Wolfsburg betrieb Real mit einem 4:0-Heimsieg Frustbewältigung. Die Königlichen bleiben Tabellendritter mit allerdings nur noch vier Punkten Rückstand auf Barcelona. James Rodríguez brachte Real schon nach vier Minuten per Freistoß in Führung. Lucas Vázquez (18.), Cristiano Ronaldo mit seinem 30. Saisontor (19.) und Jesé (39.) sorgten noch vor der Pause für die Entscheidung. RealTrainer Zinédine Zidane hatte vor dem Rückspiel im Champions-League-Viertelfinale gegen Wolfsburg am Dienstag in Madrid Stammspieler wie Weltmeister Toni Kroos und den Waliser Gareth Bale auf der Bank gelassen.

Sport

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Özils Treffer zu wenig

Und der Sieger heißt FC Bayern Erst engmaschige Kontrollen, dann offene Tore: Schalke und Dortmund kommen im Revierderby spät in Fahrt. Nach dem 2:2 beträgt der Rückstand des BVB auf den Tabellenführer sieben Punkte. Von Richard Leipold GELSENKIRCHEN. In der zweiten Hälfte wurde das Revierderby auch für die Zuschauer interessant. Als Hauptgewinner durfte sich nach dem 2:2 zwischen Schalke 04 und Borussia Dortmund aber der FC Bayern München fühlen. Da der Bundesliga-Zweite in Gelsenkirchen zwei Punkte liegenließ, ist der Vorsprung des Tabellenführers fünf Runden vor dem Saisonende auf sieben Punkte gewachsen. Das dürfte für den BVB als einzigen Verfolger nicht mehr aufzuholen sein. Das Derby nahm erst nach der Pause Fahrt auf, wurde dann aber zu einem spannungsgeladenen Nachbarschaftsduell von hohem Unterhaltungswert. Shinji Kagawa (49. Minute) und Matthias Ginter (56.) brachten Dortmund zweimal in Führung, doch Schalke ließ sich diesmal nicht einschüchtern, sondern schlug zurück und sicherte sich dank der Tore von Leroy Sané (51.) und Klaas-Jan Huntelaar (66.) den verdienten Ertrag von einem Punkt, den der eingewechselte Max Meyer kurz vor Schluss sogar hätte verdreifachen können. Nach dem schwachen Auftritt zuletzt in Ingolstadt hatten die Fans des FC Schalke 04 die Profis des Klubs plakativ darauf hingewiesen, worauf in diesem Malocherklub traditionell viel Wert gelegt wird. „Spieler in unseren Farben laufen, grätschen, spielen & kämpfen bis zum Umfallen“, stand in dicken Lettern auf einem Spruchband, das fast die gesamte Länge der Nordkurve ausfüllte. Als die Profis nach dem Warmmachen wieder in der Kabine verschwunden waren, rollten die Anhänger das Transparent wieder ein und widmeten sich mit Schmährufen dem ungeliebten Nachbarn. Der Kritik am eigenen Personal sollte ein gemeinsamer Kraftakt gegen den Lieblingsfeind der Schalker folgen. Um dieses Ziel zu erreichen, hatte Cheftrainer André Breitenreiter die Mannschaft aufgeboten, die er für die bestmögliche hielt. Sein Dortmunder Gegenüber Thomas Tuchel dagegen schickte eine Art B-Elf auf den Rasen der ausverkauften Arena. Die Bank des BVB war für lauter Stars reserviert: Ilkay Gündogan, Henrich Mchitarjan, Marco Reus, Pierre-Emerick Aubameyang, Lukasz Piszczek, Gonzalo Castro und Roman Weidenfeller: Alle sieben „Ersatzmänner“ hatten zuletzt in der Europa League gegen den FC Liverpool von Anfang an gespielt und sollen am kommenden Donnerstag vermutlich auch dazu beitragen, Dortmund trotz des 1:1 aus dem Hinspiel noch ins Halbfinale zu bringen. Marcel Schmelzer und Julian Weigl, zwei weitere Stammkräfte, standen nicht einmal im Aufgebot für diesen Ruhrgebietsklassiker, den viele als „Mutter“ al-

Vardy trifft für Leicester

Im Derby geht’s zur Sache: Leitner bekommt die Gegenwehr von Geis und Caicara zu spüren.

ler deutschen Fußball-Derbys betrachten. Woraus solche Spiele ihren besonderen Reiz beziehen, ließ sich aus dem Geschehen auf dem Platz zunächst nicht erschließen. Das Rasengeviert wirkte wie eine große neutrale Zone, in der es weitgehend unaufgeregt zuging. Die erste Halbzeit war schon zur Hälfte vorbei, als zum ersten Mal sichtbar wurde, dass die engmaschigen Kontrollen der Ordnungskräfte in blauen und gelben Trikots nicht alles unterbinden konnten. So nutzte Christian Pulisic eine Lücke im Gelsenkirchener Sicherheitssystem, um in den Strafraum einzudringen und den ersten gefährlichen Torschuss der Partie abzugeben. Der Ball verfehlte aber knapp das lange Eck. Auch der Heimelf fehlte es zumeist an Ideen und Intuition, und doch hätte Schalke gegen Ende des ersten Durchgangs in Führung gehen können. Erst traf Sané mit einem Distanzschuss den Pfosten, dann nahm Junior Caicara Tempo auf, verfehlte aus vollem Lauf aber das Ziel.

Diese Torschüsse wirkten wie das Versprechen für die zweite Hälfte. Und beide Mannschaften hielten dieses Versprechen. Nach Wiederanpfiff gingen sie sofort dazu über, den Unterhaltungswert zu steigern – zunächst mit drei Toren innerhalb von sieben Minuten. Den Anfang machten die Borussen mit einem Treffer, der das Prädikat „künstlerisch wertvoll“ verdiente. Moritz Leitner, ein talentierter, aber nicht etablierter Spieler, leistete mit der Hacke die Vorarbeit, und Kagawa hob den Ball mit viel Geschick ins Eck. Gegen ihre Gewohnheit, sich von Rückständen aus der Bahn werfen zu lassen, schlugen die Schalker schon zwei Minuten später zurück. Nachdem BVB-Torhüter Roman Bürki einen scharfen Schuss von Caicara hatte abwehren können, gelang Sané im Nachschuss der Ausgleich. Aber auch Dortmund zeigte sich widerstandsfähig. Matthias Ginter verwertete einen Freistoß von Mchitarjan, der Mats Hummels

Foto dpa

abgelöst hatte, mit dem Kopf zur abermaligen Führung. Inzwischen hatte sich ein Schlagabtausch entwickelt, den beide Parteien mit Lust und Laune führten. Auch Klaas-Jan Huntelaar, zuletzt weder in der niederländischen Nationalelf noch bei Schalke berücksichtigt, war mitten im Geschehen. Als er in einem der vielen Duelle mit Sokratis den gegnerischen Verteidiger zu einem Foul zwang, erkannte Schiedsrichter Felix Zwayer zu Recht auf Elfmeter. Huntelaar trat selbst an, verzögerte den Anlauf und beförderte die Kugel flach ins rechte Eck. Alles war wieder offen und das Spiel blieb bis zum Ende spannend. Für die Schlussphase wechselte Tuchel noch Aubameyang und Gündogan ein. Die beiden nutzten zwar die Gelegenheit, sich für Liverpool noch ein wenig einzuspielen, vermochten aber nicht zu verhindern, dass der FC Bayern seinem vierten Meistertitel nacheinander wieder ein Stück näher gekommen ist.

Ein Prise der alten Effizienz Guardiola schützt den Rekordmeister vor Vidal, dann läuft alles wie immer gegen den VfB Stuttgart STUTTGART. Vier Tage zuvor, beim 1:0-Sieg des FC Bayern München im Viertelfinalhinspiel der Champions League über Benfica Lissabon, hatte alle Welt Arturo Vidal eine reife Leistung bescheinigt. Der 28 Jahre alte Chilene erzielte das Tor des Tages, bewahrte seine Mannschaft vor Gegentreffern und war immer dann und dort zur Stelle, wo er dringend gebraucht wurde. Am Samstag, beim 3:1-Erfolg des Meisters und BundesligaPrimus in Stuttgart gegen den VfB, drängte es den sperrigen Südamerikaner mit der hahnenkammartigen Kampffrisur aufs Neue in den Vordergrund: diesmal in der Rolle des bockigen Kindskopfs. Statt den Ball wie gegen Benfica ein paarmal perfekt zu treffen, grätschte er diesmal seinen Gegenspieler Didavi um und trat Sekunden später, für sein erstes grobes Foul verwarnt (22. Minute), Insúa auf den Fuß (23.). Der Rostocker Schiedsrichter Bastian Dankert schien fast ein wenig erschrocken, dass sich der aggressive Vidal von der Signalfarbe Gelb nicht bremsen ließ, und ermahnte den Heißsporn, dem sein spanischer Kollege Xabi Alonso ob dessen Unbeherrschtheit den Vogel zeigte, ein letztes Mal. Auf der Münchner Bank hatte sich unterdessen eine spürbare Unruhe breitgemacht, da eine frühe Gelb-Rote Karte für einen der Schlüsselspieler aus den eigenen Reihen die Gefahr einer Niederlage im Südklassiker der Fußball-Bundesliga heraufbeschworen hätte. Damit wäre die Rekordmission vierter Titelgewinn in Serie womöglich aufs Spiel gesetzt worden angesichts des hartnäckigen Verfolgers Borussia Dortmund. Also reagierte Trainer Pep Guardiola folgerichtig, holte den wilden Vidal vom Platz und ersetzte ihn durch den auf reguläre Weise stürmischen Thomas Müller (27.). Damit aber war der Fall Vidal längst nicht erledigt.

Demonstrativ schlug der selbsternannte „Krieger“ einen Schmollweg hinter der Mannschaftsbank in Richtung Kabine ein, weil er genug hatte von einem Spiel, in dem er vor sich selbst geschützt werden musste. Der diesmal geschonte Kapitän Philipp Lahm nahm sich des beleidigten Vidal zumindest so fürsorglich an, dass der Mittelfeldspieler knapp neben der Bank Platz nahm – auf dem kalten Boden der mit 60 000 Zuschauern ausverkauften Arena. Es spricht für Vidal, dass alle Münchner, die nach Spielschluss den Spezialauftritt dieses Profis bewerteten, milde bis verständnisvoll urteilten. „Arturo ist ein guter Junge“, sagte Assistenztrainer Hermann Gerland über den Fighter, der zunächst nicht verstehen wollte, warum

man ihm sein liebstes Spielzeug weggenommen hatte. „So gefährlich, wie er oftmals aussieht, und so extrem, wie er manchmal aussieht, Arturo ist ein ganz Lieber“, hob Sportvorstand Matthias Sammer in beinahe väterlicher Fürsorge hervor. „Er will immer spielen, er will nie runter, das ist doch klar. Die Gestik des Schiedsrichters war jedoch eindeutig, also musste man reagieren.“ Franck Ribéry, der beste Münchner in einem durchwachsenen Bayern-Spiel, beschrieb Vidal als einen „sehr wichtigen Spieler“ und einen „großen Charakter“, der am Mittwoch im Rückspiel gegen Lissabon „hoffentlich wieder zu hundert Prozent auf dem Platz ist“. Vidal selbst gab sich, als der Sieg in Stuttgart gesichert war, endlich auch einsichtig: „Ich

Das schmerzt: Vidal langt hin, Didavi bekommt es zu spüren.

Foto AFP

habe gleich gemerkt, dass mir die nächste Karte drohte.“ Das allerdings hat er in den Momenten, da er zum Risikofaktor wurde, gut zu verbergen gewusst. Schließlich setzte sich auch an diesem Stuttgarter Nachmittag mit Nebenschauplätzen die Normalität durch. Die Bayern gewannen auch diesmal gegen den VfB wie in den 14 Pflichtspielen zuvor, wurden dabei von dem ehemaligen Münchner Georg Niedermeier durch dessen Eigentor (31.) unterstützt, erhöhten durch Alabas widerstandslos in Kauf genommenen Treffer zum 2:0 (52.), gerieten nach Didavis künstlerisch wertvollem 1:2 (63.), einer Sitzfußball-Bogenlampe, noch einmal in Bedrängnis und sicherten ihren 3:1-Sieg durch Costas haltbaren Distanzschuss (89.) ab. Eine frische Prise der alten Effizienz nehmen die Münchner also mit nach Lissabon, wo es am Mittwoch einen 1:0-Vorsprung zu verteidigen oder auszubauen gilt. Sonst aber wirkte wie so oft in den vergangenen Wochen so manches am Münchner Spiel wackliger und labiler als gewohnt. Mag sein, dass der permanente Siegzwang in der entscheidenden Saisonphase hier und da seine Spuren hinterlässt. Sammer zumindest wünscht sich für den Schlussspurt dieser Spielzeit wieder ein bisschen mehr Kür als Pflicht. „Man muss den Spielern die Freude an der Möglichkeit, etwas zu gewinnen, wieder ein bisschen mehr anmerken“, sagte er beim Blick zurück auf ein Spiel, in dem Guardiola mit der frühen Auswechslung von Vidal die beste Entscheidung des Tages getroffen hatte. „Mit Müller“, stellte der Stuttgarter Verteidiger Emiliano Insúa richtigerweise fest, „waren die Bayern stärker als vorher.“ Aber auch nicht so stark, um schon lebhaft an die alte Souveränität aus dem Herbst des vorigen Jahrs erinnern zu können. ROLAND ZORN

LONDON (dpa). Der FC Arsenal muss die letzten Hoffnungen auf die Meisterschaft in der englischen Premier League wohl begraben. Trotz eines Treffers von Weltmeister Mesut Özil sind die Gunners nur zu einem 3:3 bei West Ham United gekommen. Sie bleiben mit dreizehn Punkten Rückstand auf Spitzenreiter Leicester City Tabellendritter. „Wenn wir noch eine Chance auf die Meisterschaft haben sollten, haben wir es für uns heute noch schwerer gemacht“, sagte Arsenal-Trainer Arsène Wenger nach dem spektakulären Londoner Derby. „Was für ein verrücktes Spiel. Aber ein Punkt ist besser als keiner“, schrieb Nationalspieler Özil bei Twitter. Der Spielmacher brachte sein Team in der 18. Minute in Führung, Alexis Sanchez erhöhte nach 35 Minuten auf 2:0. Doch dann kam der große Auftritt von West-Ham-Stürmer Andy Carroll. Mit einem Hattrick innerhalb von acht Minuten (44./45.+2/52.) drehte der Angreifer die Partie. Arsenal kam in der 70. Minute durch Laurent Koscielny noch zum 3:3-Ausgleich. „Wir haben eine Reaktion gezeigt und sind wieder zurückgekommen. Dennoch sind wir enttäuscht, dass wir die Tore nicht verhindern konnten“, erklärte Wenger. Sein Kollege Slaven Bilic schwärmte: „Es war ein großartiges Spiel. Unglaublich.“ Leicester gewann das Auswärtsspiel beim FC Sunderland durch zwei Tore des englischen Nationalstürmers Jamie Vardy am Sonntagnachmittag mit 2:0. Nach torloser erster Hälfte drehte der überragende Spieler der Saison gegen den Abstiegskandidaten aus dem Nordosten, für den der frühere Bayern-Profi Jan Kirchhoff spielte, auf. Vardy traf in der 66. Minute und der fünften Minute der Nachspielzeit. Holt Leicester City, für die wieder der frühere deutsche Nationalspieler Robert Huth verteidigte, aus den ausstehenden fünf Spielen neun Punkte, ist der Mannschaft die Meisterschaft nicht mehr zu nehmen. Manchester City hat das Arsenal-Remis ausgenutzt. Vor dem ViertelfinalRückspiel in der Champions League gegen Paris Saint-Germain am Dienstag gewann Manchester gegen West Bromwich Albion mit 2:1 und verkürzten den Rückstand als Tabellenvierter auf Arsenal auf zwei Punkte. Sergio Agüero (19./Foulelfmeter) und Samir Nasri (66.) trafen für das künftige Team von Bayern-Trainer Pep Guardiola. Zuvor hatte Stéphane Sessegnon nach sechs Minuten die Albions in Führung geschossen. Das 0:1 bei Swansea City bedeutete die erste Niederlage für Chelseas Interimstrainer Guus Hiddink im 15. Premier-League-Spiel. Sie beendete zudem die Hoffnungen auf die Teilnahme an einen internationalen Wettbewerb. Den Treffer für Swansea erzielte der frühere Hoffenheimer Profi Gylfi Sigurdsson in der 25. Minute.

Fußball-Notizen Benfica müht sich Benfica Lissabon hat die Generalprobe für das Rückspiel im ChampionsLeague-Viertelfinale gegen den FC Bayern München mit Mühe bestanden. Beim 2:1-Sieg des portugiesischen Fußball-Rekordmeisters bei Abstiegskandidat Académica Coimbra gelang der Siegtreffer durch den Mexikaner Raúl Jiménez erst in der 85. Minute. Nach Coimbras Führungstor durch Pedro Nuno (17.) hatte der Grieche Konstantinos Mitroglou (39.) am Samstag den zwischenzeitlichen Ausgleich erzielt. Der Titelverteidiger konnte an der Spitze den Drei-Punkte-Vorsprung gegen Stadtrivale Sporting, der 3:1 gegen Marítimo gewann, fünf Runden vor Meisterschaftsende verteidigen. BenficaTrainer Rui Vitória schonte keinen Stammspieler. (dpa)

Juventus schlägt Milan Juventus Turin bleibt an der Tabellenspitze der italienischen Serie A souverän. Ohne den gesperrten Nationalspieler Sami Khedira feierte der Spitzenreiter am Samstagabend einen 2:1-Sieg beim AC Mailand. Der frühere BayernProfi Mario Mandzukic (27. Minute) und Paul Pogba (65.) sicherten den Erfolg, nachdem der Brasilianer Alex (18.) die Gastgeber in Führung gebracht hatte. (dpa)

Dresden und Aue vor Aufstieg Statt es bei einer wilden Aufstiegsparty krachen zu lassen, war beim FußballDrittligaklub Dynamo Dresden nach dem 0:0 gegen Holstein Kiel die Luft raus. Dynamo ist dem Aufstieg nahe, aber praktisch noch nicht durch. Stürmer Justin Eilers vergab in der Nachspielzeit die größte Chance, zudem rettete Kiel gleich zweimal auf der Linie. Fünf Spieltage vor Saisonende hat Dynamo 15 Punkte Vorsprung und eine um 27 Treffer bessere Tordifferenz gegenüber dem drittplazierten VfL Osnabrück, der 2:4 bei Rot-Weiß Erfurt verlor. Die Rückkehr in die Zweite Bundesliga nach drei Jahren Abwesenheit ist nur eine Frage der Zeit. Auch für den FC Erzgebirge Aue ist der Wiederaufstieg nach dem 1:0 gegen den SV Werder Bremen II und nunmehr acht Punkten Abstand zu Osnabrück nah. (dpa)

Jugend schreibt

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Lernen lässt sich überall

Fürchterlich dumme Roboter Im Hörsaal der Kinderuni haben Roboter ihren großen Auftritt. Sie seien nicht so süß wie im Film, erklärt der Dozent und führt Roboter Gerhard vor. Der malt im Akkord und macht nie Pause.

Faszination Technik: Kinderuni an der PH in Schwäbisch Gmünd. Lernort Bauernhof: Ziegenwirt Felix stellt eigenen Käse her. Musik machen an einem magischen Ort: Besuch auf dem Jolimont.

oboter sind ein bisschen wie Einhörner. So gibt es sie nicht wie im Film, und sie sehen auch nicht so toll und süß aus wie im Film“, erklärt Dozent Armin Ruch seinen 150 aufmerksamen kleinen Gästen in der Pädagogischen Hochschule Schwäbisch Gmünd. Im großen Hörsaal sind die Sitzbänke im Halbrund angeordnet, so dass alle eine gute Sicht auf die große Leinwand haben. Neben zwei Computerbildschirmen greift ein gelber Roboterarm ins Leere. Eine Handvoll Mütter und Väter befindet sich unter den Zuhörern. In Sneakers, Hemd und Jeans ist Lars Windelband, der seit drei Jahren an der PH die Fächer Technik und ihre Didaktik unterrichtet, zusammen mit dem Dozenten für Technik Armin Ruch für die heutige Vorlesung der Kinderuni verantwortlich. Dreimal im Semester, jeweils samstagvormittags gibt es eine Vorlesung für Kinder im Alter von acht bis zwölf Jahren. Ziel sei es, die Kinder für Themen rund um die Technik, Kunst und Politik zu begeistern und sie an das Hochschulleben heranzuführen, erklärt Windelband. Der Professor für Sprachwissenschaft und -didaktik Manfred Wespel gründete vor sieben Jahren die Kinderuniversität an der PH. Damit seien sie „dem damaligen Trend“ gefolgt, sagt Wespel. Die Eberhard-Karls-Universität Tübingen veranstaltete 2002 gemeinsam mit dem „Schwäbischen Tagblatt“ die erste Kindervorlesung, um Kinder für wissenschaftliche Themen zu begeistern. Viele Hochschulen gründeten danach eigene Kinderunis. Daniela Simm, Mutter von drei Kindern, berichtet, dass sie ihren ältesten Sohn Dominik allein zu den ersten Veranstaltungen geschickt hat. Wenn sie einmal mitkommen konnte, sei sie jedes Mal fasziniert gewesen, wie selbständig Dominik nach der Vorlesung zur Mensa ging, um dort mit den anderen zu essen. Heute ist sie mit ihrer Tochter Tamara, deren Freundin und ihrem zehnjährigen Sohn hier. „Wie stellt ihr euch einen Roboter vor?“, fragt Windelband die Kindermeute und fordert sie dazu auf, einen Roboter zu malen. „Wie in der Schule, nicht abgucken!“, fügt der Dozent mit der kleinen, runden Brille lächelnd hinzu. Alle Kinder, konzentriert über ihr weißes Blatt Papier gelehnt, befolgen brav die Anweisung des Professors. „Es gibt auch kein Richtig oder Falsch. Wir geben hier keine Noten, wir sind die Uni und nicht die

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Klingender Zauberberg Musik macht den Jolimont zu einem magischen Ort ine halbe Stunde muss man für den Aufstieg rechnen, denn einen Bus gibt es nicht, um auf den 603 Meter hohen Tafelhügel oberhalb des Bieler Seelandes zu gelangen, doch nicht nur die Abgeschiedenheit macht den Jolimont zu einem magischen Ort. Am Anfang haben immer alle Lagerteilnehmer Respekt vor dem altehrwürdigen Gut, in dessen im holländischen Landhausstil gebauter Villa seit mehr als 50 Jahren Musikferienwochen stattfinden. Dann klingt von überallher Musik, aus der Küche und dem Salon, aus dem Badezimmer, den Schlafsälen, von den Balkonen und aus dem Garten. Es wird getanzt, Theater gespielt oder sogar ein Film gedreht. Die Gäste füllen das Haus mit Witzen, Streichen, Gelächter und bezaubernder Musik. Die zwanzigjährige Annina Bühlmann schwärmt: „Auf dem Jolimont gibt es keinen Leistungsdruck. Und egal, wie gut man spielt, jeder wird akzeptiert.“ Die ein Jahr jüngere Carla Vasella stimmt ihr zu. „Man kann total selbständig arbeiten, niemand wird gezwungen, irgendwo mitzumachen, und man kann selbst entscheiden, wann und wie oft man üben möchte, und trotzdem bekommt man immer Unterstützung, wenn man sie braucht.“ Die Musik ist beinahe ausschließlich klassisch. Es gibt keine E-Gitarren, aber fünf Klaviere und zwei Flügel. Man kann nicht in die Stadt. Aber wer die Freiheit hat, zu tun, was er möchte, verbringt die Nachmittage lieber am Bielersee oder im Salon. „Es ist einfach eine kleine Welt für sich, in der man vergisst, dass überhaupt noch etwas außerhalb dieses Bergs existiert“, sagt die vierzehnjährige Mira Billeter. Es gibt auch keine großen Lautsprecher oder gar einen Fernseher, nein, dafür gibt es aber im Sommerlager vier Ballabende, an denen manchmal bis vier Uhr morgens Walzer und Salsa zu selbstgespielter Musik getanzt wird. In Kostümen aus den letzten fünf Jahrhunderten sitzen dann Mädchen und Jungen da, warten, bis sich die Flügeltüren zum Cheminee-Zimmer öffnen, hinter denen die ersten Takte des Kaiserwalzers hervorklingen. Die Familie Gex bewirtschaftet zurzeit in der vierten Generation das Jolimontgut, das im Besitz der Familie de Pury ist. Der Zufall wollte es, dass David Tillmann im Jahre 1961 in einer Gewitternacht die Zwillingsschwester der jungen Frau de Pury kennenlernte, als er mit einigen Kindern in einem ausgemusterten Hotel eines seiner ersten Musiklager veranstaltete. So entstand die Verbindung zum Jolimont, 1963 fand das erste Musiklager in der Villa statt. Kurz danach brachte David Tillmann seine Schulklasse ein paar Wochen auf den Berg und lernte dabei seine zukünftige Frau Regine Tillmann-Pfaehler kennen, mit der er eine Familie und die Jolimont-Schule gründete. Kinder der sechsten Klasse, vor allem solche mit Schwierigkeiten in der Schule, konnten sich im Semester auf dem Berg neu orientieren, und herausfinden, auf was sie hinarbeiten möchten. Barbara Tillmann, Tochter von Regine und David, erzählt: „Die Kindheit, die wir erlebt haben, war für uns nichts Außergewöhnliches. Im Winter lebten wir in Zürich in der kleinen Wohnung im sechsten Stock und im Sommer auf dem Jolimont, im großen Haus inmitten von Bäumen, Feldern und dem Wald. Jeden Frühling packten wir unsere Sachen.“ 33 Jahre, bis 1997, bestand die Schule, bevor die Tillmanns sich entschlossen, nur noch Musiklager anzubieten. Geweckt werden die Schüler, damals wie heute, von der Morgenmusik; zu jener Zeit spielte David Tillmann selbst noch im Gang ein Stück auf der Geige, heute sind es die Leiter oder einer der rund 200 Teilnehmer, die in jedem Jahr aus allen Ländern, von Holland bis zu den Vereinigten Staaten, auf den Jolimont reisen. Kinder und Jugendliche der Musiklager, die erst seit einem Jahr ihr Instrument kennen oder demnächst ihr Musikstudium beginnen werden, bezahlen je nach Lager 580 bis 1050 Schweizer Franken. Und bei jedem einzelnen Lager, egal, ob im Herbst für Kinder von sieben bis zwölf Jahren oder dem Musikwochenende für Erwachsene, die Tillmanns sind immer dabei. Die Warteliste ist ellenlang. Spätestens wenn die letzten Töne von Kreislers Liebesleid verklungen sind, das letzte Mal die Aussicht auf die Dreiseenlandschaft bewundert worden und die Zeit des Abschieds gekommen ist, kullern die Tränen.

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Christiane Palm

Kantonsschule Zürcher Oberland, Wetzikon

F R A N K F U RT E R A L LG E M E I N E Z E I T U N G

Schule“, scherzt Ruch. Anfangs sind die Kleinen noch zurückhaltend, und nur ein Mädchen zeigt auf, als der Professor fragt, wer denn sein Bild vorne an der Leinwand zeigen möchte. Die mutige Achtjährige in rosa Kleid und mit braunem Zopf stellt sich neben die Dozenten und präsentiert stolz ihren selbstgemalten Roboter. Von den zu Beginn schüchternen Kindern fliegen immer mehr Hände in die Luft. Als Nächstes kommt ein rothaariger Neunjähriger und präsentiert einen ähnlichen Roboter. Alle applaudieren. Es folgt eine Elfjährige. Ihr Roboter unterscheidet sich deutlich von den Zeichnungen, es ist ein runder, flacher Kasten. „Habt ihr so einen Zu Hause?“, fragt Ruch neugierig. Darauf ein Nicken. Windelband übergibt das Wort an seinen akademischen Mitarbeiter: „Wisst ihr, Kinder, ich kann zaubern, ich weiß nämlich, was ihr für Roboter gemalt habt.“ Er fragt die Kinder, was ihnen auffalle, wenn sie sich ihre Zeichnungen genauer anschauen. „Sie sehen alle aus wie Menschen und haben alle einen Kopf“, sagt ein Kind. „Einen viereckigen Kopf“, ergänzt Ruch. „Aber so sehen höchstens eure Augen aus, wenn ihr zu viel fernseht.“ Lautes Lachen. „Sie haben auch alle Arme“, schreit einer aus der ersten Reihe. Ruch gibt den Kindern recht und zeigt einen uralten Film: eine vor 100 Jahren entstandene Zukunftsvision, wie sich die Menschen damals Roboter vorstellten. Genau die gleiche Vorstellung, die Kinder haben, wenn sie an Roboter denken. Ruch ist der festen Überzeugung, das sei eindeutig den Kinderfilmen zu verdanken, aus denen er anschließend den Kindern auf der großen Leinwand kurze Ausschnitte zeigt. „O Wall-E“, hört man die Kinder begeistert aufschreien, und sie zeigen mit dem Finger auf den kleinen süßen Roboter mit den großen Glupschaugen. Auch die Star-Wars-Szene, bei der ein furchteinflößender Roboter auf der Leinwand erscheint, lässt die Kinder nicht kalt. Dann führt Ruch ein Video von Industrierobotern vor: Es erscheinen Roboterarme, die fleißig Bauteile zusammenzufügen, aber auch tanzende Industrieroboter, die die Belegschaft zum Lachen bringen. „So, Kinder, und das hier ist der fleißige Gerhard.“ Armin Ruch schiebt den unbeachtet etwas abseits stehenden gelben Roboterarm direkt vor die Leinwand. „Damit er freundlicher aussieht, habe ich ihm einen Kopf aufgesetzt, dass auch alle Kinder schön lachen.“ Der fleißige Gerhard ist ein gelber Roboterarm mit hellbraunem Holzkasten, von dem ein freundliches Smiley herüberlacht. Er hält einen roten Filzstift in seinem Greifarm und beginnt zu malen, sobald Ruch ihn von seinem Board aus steuert. Auf ein weißes Blatt Papier zeichnet Gerhard einen roten Roboter mit Kopf, Armen und Beinen. Windelband erklärt: „Er kann tagelang arbeiten, ohne dass er essen oder schlafen muss.“ Glück gehabt, das heißt nämlich, dass jedes Kind nachher auch ein solches Roboterbild bekommt. Auf der Leinwand erscheinen nun Bilder von alten Fabriken, die die Arbeitsbedingungen vor hundert Jahren zeigen.

Schwere Arbeiten hätten die Menschen damals in Handarbeit oder nur mit geringer Unterstützung von Maschinen verrichten müssen, erklärt er. „Heute gibt es überall Roboter, wo es gefährlich ist“, erklärt Ruch und zeigt ein Bild, auf dem ein Roboter zu sehen ist, der Wartungsarbeiten an einer Raumstation verrichtet. „Roboter gibt es auch überall dort, wo es schmutzig ist, dort, wo man schwer arbeiten muss, und dort, wo es echt langweilig ist.“ Er zeigt ein Bild, auf dem ein Roboter am Laufband ständig dieselbe Bewegung macht, ein Werkstück greift, anhebt und es auf einem anderen Laufband wieder ablegt. Dem Roboter aber sei das egal, wie lange er dasselbe machen müsse. Als Nächstes erscheint ein Bild von Adam und Eva. „Was haben wohl Adam und Eva in der Technik zu suchen, wir sind ja nicht bei Kunst oder Religion?“ Das E stehe für Eingabe, das V für Verarbeitung und das A für Ausgabe. „Roboter sind eigentlich furchtbar dumm, sie sind nicht ganz so, wie sie in den Filmen immer dargestellt werden. Einhörner gibt es schließlich auch nicht wirklich.“ Um zu verdeutlichen, wie Roboter auf Befehle reagieren und diese verarbeiten, spielt er ein Spiel: Wenn ein blaues Feld auf der Leinwand erscheint, müssen alle im Hörsaal eine Hand in die Luft strecken, sobald ein rotes Feld erscheint, bedeutet das für alle, beide Hände in die Höhe zu heben. Es wird still. Rot – alle Kinderhände im Saal fliegen hoch. Gegen Ende bringt Ruch die Kinder nochmals richtig zum Lachen. Er zeigt ihnen, wie dumm Roboter auch sein können. Auf der Leinwand erscheinen Videos von torkelnden Robotern, Roboter, denen es nicht gelingt, durch „eine blöde Tür zu laufen“, bis hin zu Robotern, die einfach umfallen, auf Eis ausrutschen, nicht Fußball spielen können oder einfach explodieren. Zur Krönung erscheint ein Roboter, der über einen Tisch flitzt und den Ketchup quer über den Tisch verteilt, anstatt den Burger, der in der Mitte des Tisches steht, zu treffen. Die Kinder toben vor Lachen. Vor allem das Mittagessen nach der einstündigen Vorlesung sei für ihre Kinder jedes Mal ein Highlight, sagt Daniela Simm. Besonders für ihre achtjährige Tamara, der in der Stunde im Hörsaal oft zu lange geredet wird. Ihrer Tochter sei es die ersten Male schwergefallen, sich längere Zeit zu konzentrieren. Während Tamara und ihre Freundin darauf warten, ein Bild von dem fleißigen Gerhard gemalt zu bekommen, und Patrick ungeduldig seine Mama mit in die Mensa schleppen will, erzählt Daniela Simm von den bisherigen Themen der Kinderuni: Es reicht von „Hat Mozart auch Fußball gespielt?“ über „Schriften der Welt“ bis hin zu Vorlesungen über Zaubertricks. Besonders toll fand sie die Vorlesung über Wahlen und Parteien, bei der jedes Kind zum Schluss eine Stimme für seinen Parteifavoriten abgeben durfte. Und an die Vorlesung über gesunde Ernährung werde sie jedes Mal erinnert, wenn sie am Kühlschrank die magnetische Ernährungspyramide kleben sieht. Aileen Heselich

Rosenstein-Gymnasium, Heubach

Schüler und Ziegenkäseproduzent Täglich füttert, tränkt und melkt Felix seine Ziegen und berichtet gern übers Hofleben ie Hühner picken im Gras nach Nahrung oder plustern sich in ihrem Freilaufgehege unter einem wolkenlosen Himmel. Enten dümpeln im Bach, Ziegen grasen mit ihren Jungtieren auf der Weide hinter dem Hof. Auf dem Bauernhof der Familie Würtz in Dierbach im Landkreis Südliche Weinstraße in Rheinland-Pfalz ist das noch Realität. Hier lebt Felix Würtz, ein 16-jähriger Schüler und Ziegenkäseproduzent, mit seiner Familie. Äußerlich ähnelt der junge Mann in Jeans mit Brille und braunen Haaren seinen Altersgenossen. Nur die robusten Arbeitsschuhe fallen auf. Der Betrieb wird von seinem Vater Bernhard, der hauptberuflich Schulsozialarbeiter ist, im Nebenerwerb bewirtschaftet. An seinem elften Geburtstag bekam Felix seine erste Ziege geschenkt und begann seit diesem Tag die Ziegenmilch zu Käse zu verarbeiten. Was als Rettung der nahrhaften Milch vor dem Wegwerfen begann, endete mit der Käseproduktion zur Aufbesserung des eigenen Taschengelds, erzählt der Schüler. Er hilft gerne auf dem Bauernhof mit, aber seine Hauptaufgabe ist die Versorgung seiner Ziegen. Täglich füttert, tränkt und melkt er sie. Im Sommer treibt er sie auf die Weide, und im Winter, wenn die Tiere im Stall stehen, mistet er diesen aus. Zu einer Art Sport scheint der junge Ziegenwirt das Melken auserkoren zu haben. In dieser Disziplin ist er einer der Schnellsten auf dem Hof. Nur eine Minute und 16 Sekunden benötigt er, um zwei Liter Milch von einer Ziege zu erhalten. Fast jeder, der im Urlaub auf einem Bauernhof schon einmal selbst Hand anlegen durfte, weiß, wie schwierig das Melken sein kann. Felix’ ebenfalls landwirtschaftlich interessierte Bekannten tauschen sich daher gerne mit ihm aus. Anders sei es in seiner Schulklasse, dort könne man seine Interessen oft nicht nachvollziehen. Über mitgebrachten Käse zum Klassenfrühstück würden sich trotzdem alle freuen. „Meine Klasse hat nie über mich gelacht, aber fragte öfters, ob die Arbeit mit den Tieren nicht zu viel für mich sei“, berichtet Felix. Seine Begeiste-

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Illustration Claudia Weikert

ZEITUNG IN DER SC HULE

Verantwortlich: Dr. Ursula Kals Pädagogische Betreuung: IZOP-Institut zur Objektivierung von Lern- und Prüfungsverfahren, Aachen Ansprechpartner: Norbert Delhey An dem Projekt „Jugend schreibt“ nehmen teil: Aalen, Justus-von-Liebig-Schule 앫 Ahrensburg, Stormarnschule 앫 Bad Homburg, Kaiserin-Friedrich-Gymnasium 앫 Bad Kreuznach, Berufsbildende Schule Wirtschaft 앫 Bergisch-Gladbach, Albertus-Magnus-Gymnasium 앫 Berlin, LilienthalGymnasium, Wilma-Rudolph-Oberschule 앫 Blaubeuren, Evangelisches Seminar Blaubeuren 앫 Brixen (Italien), Oberschulzentrum J. Ph. Fallmerayer 앫 Bühl, Windeck-Gymnasium 앫 Celle, Hermann-Billung-Gymnasium 앫 Cottbus, Pücklergymnasium 앫 Deggendorf, Robert-Koch-Gymnasium 앫 Dortmund, Konrad-Klepping-Berufskolleg 앫 Dresden, Romain-Rolland-Gymnasium 앫 Duisburg, Städtische Gesamtschule DuisburgMeiderich Sekundarstufen I und II 앫 Eppingen, Hartmanni-Gymnasium 앫 Erkelenz, Gymnasium 앫 Euskirchen, Gymnasium Marienschule 앫 Frankenthal, Albert-Einstein-Gymnasium 앫 Frankfurt am Main, Aktive Schule Frankfurt, Liebigschule 앫 Freigericht, Kopernikusschule Fulda, 앫 Marienschule – Gymnasium für Mädchen 앫 Germersheim, Johann-Wolfgang-Goethe-Gymnasium 앫 Gifhorn, Humboldt-Gymnasium 앫 Göppingen, Justus-von-Liebig-Schule 앫 Großkrotzenburg, Franziskanergymnasium Kreuzburg 앫 Hamburg, Christianeum, Friedrich-Ebert-Gymnasium, Immanuel-Kant-Gymnasium 앫 Hameln, AlbertEinstein-Gymnasium 앫 Hamm, Galilei-Gymnasium 앫 Hannover, Helene-Lange-Schule 앫 Hannover, Wilhelm-Raabe-Schule 앫 Heidelberg, Bunsen-Gymnasium 앫 Hennef, Carl-Reuther-Berufskolleg 앫 Herxheim, Pamina-Schulzentrum 앫 Heubach, Rosenstein-Gymnasium 앫 Heusenstamm, Adolf-Reichwein-Gymnasium 앫 Hilden,

Dietrich-Bonhoeffer-Gymnasium 앫 Hofgeismar, Albert-Schweitzer-Schule 앫 Jade, Jade-Gymnasium 앫 Kaiserslautern, Heinrich-Heine-Gymnasium (Sportgymnasium) 앫 Kamp-Lintfort, GeorgForster-Gymnasium 앫 Karlsruhe, Max-PlanckGymnasium 앫 Kassel, Herderschule 앫 Kenzingen, Gymnasium 앫 Köln, Elisabeth-von-Thüringen-Gymnasium, Erzbischöfl. Liebfrauenschule 앫 Lampertheim-Hüttenfeld, Privates Litauisches Gymnasium 앫 Lauf, Christoph-Jacob-Treu-Gymnasium 앫 Leverkusen, Städtisches Berufskolleg für Wirtschaft und Verwaltung 앫 Limburg an der Lahn, Tilemannschule 앫 Lindau, Bodensee-Gymnasium 앫 Lörrach, Hebel-Gymnasium 앫 Ludwigsburg, Goethe-Gymnasium 앫 Ludwigshafen, Berufsbildende Schule Wirtschaft I 앫 Lübeck-Kücknitz, Trave-Gymnasium 앫 Mainz, Rabanus-Maurus-Gymnasium 앫 Marburg, Freie Waldorfschule 앫 Mayen, Megina-Gymnasium 앫 Monheim am Rhein, Otto-Hahn-Gymnasium 앫 München, Asam-Gymnasium, Städtisches Adolf-WeberGymnasium, Werner-von-Siemens-Gymnasium, Wilhelm-Hausenstein-Gymnasium 앫 Münster, Marienschule – Bischöfliches Mädchengymnasium, Schillergymnasium 앫 Nieder-Olm, Gymnasium 앫 Nordhausen, Staatliches Gymnasium Wilhelm von Humboldt 앫 Nürnberg, JohannesScharrer-Gymnasium 앫 Nürtingen, HölderlinGymnasium 앫 Öhringen, Richard-von-Weizsäcker-Schule 앫 Oldenburg, Freie Waldorfschule 앫 Paderborn, Goerdeler-Gymnasium 앫 Plauen, Diesterweg-Gymnasium, Lessing-Gymnasium 앫 Regensburg, Albertus-Magnus-Gymnasium, St.Marien-Gymnasium 앫 Rosenheim, Finsterwalder-Gymnasium, Ignaz-Günther-Gymnasium 앫 Rostock, Christophorus-Gymnasium 앫 Saarbrücken, Ludwigsgymnasium 앫 Schwalmtal, Gymnasium St. Wolfhelm 앫 Schwanewede, Waldschule 앫 Schwarzenbek, Europagymnasium 앫 Schweinfurt, Bayernkolleg, Friedrich-Fischer-Schule 앫 Schwetzingen, Carl-Theodor-Schule 앫 Sokal (Ukraine), Schule Nr. 3 앫 Sterzing (Italien), Oberschulzentrum Sterzing 앫 Stuttgart, SolitudeGymnasium 앫 Teheran (Iran), Österreichisches Kulturforum 앫 Trier, BBS EHS 앫 Weinheim, Johann-Philipp-Reis-Schule 앫 Welzheim, LimesGymnasium 앫 Werl, Ursulinengymnasium 앫 Wetzikon (Schweiz), Kantonsschule Zürcher Oberland 앫 Wiesbaden, Friedrich-List-Schule 앫 Zagreb (Kroatien), XVIII. Gimnazija

rung überrascht, da laut einer Umfrage des Internetportals Statista im vergangenen Jahr der Beruf des Landwirts mit 22 Prozent auf dem fünften Platz der zehn unbeliebtesten Berufe in Deutschland steht. Den Grund für die häufige Abneigung der jüngeren Generationen gegenüber diesen Berufen sieht Felix in Vorurteilen. Viele seien überzeugt, dass man als Land- oder Viehwirt den ganzen Tag arbeiten müsse und kaum Geld verdiene. Dass die Realität manchmal auch anders aussehen kann, verlieren besonders jüngere Menschen leicht aus den Augen. Außerdem bemängelt der Schüler, dass dieser Beruf, der ein wichtiges Standbein unserer Gesellschaft bildet, oft geringschätzt wird und unter der Bezeichnung Bauer deklariert wird. Dieses Wort habe seit dem Mittelalter eine abwertende Wirkung, da zu dieser Zeit der Beruf mit einem niedrigen sozialen Stand verbunden war. „Man muss für diesen Beruf mehr Werbung machen und über Vorurteile aufklären, um wieder mehr Interessenten zu finden“, sagt Felix Würtz. In RheinlandPfalz gibt es immer weniger landwirtschaftliche Betriebe: Waren es 1950 noch 200 000 Höfe, waren es nach Angaben des SWR 2014 nur noch 19 000 Höfe, die Anzahl halbiert sich alle 20 Jahre. Diese Entwicklung birgt Herausforderungen. Eine davon besteht darin, immer mehr Menschen auf gleich bleibender Fläche zu ernähren. Laut Deutschem Bauernverband erzeugte ein Bauer im Jahre 2012 Nahrungsmittel zur Ernährung von 129 Menschen, wohingegen er 1950 nur Nahrung für 10 Menschen produzieren musste. Ein Hektar brachte vor etwas mehr als 100 Jahren etwa 18,5 Dezitonnen ein. Heutzutage liegt der Ertrag viermal so hoch bei 74,1 Dezitonnen. Der Druck auf die Landwirte wird durch neue Auflagen und Anforderungen stetig höher, wohingegen der Preis oft nicht dem Arbeitsaufwand entspricht. Landwirte sind nun Manager ihrer immer professioneller werdenden Betriebe. Wer keine Nischen besetzen kann, wie zum Beispiel mit der Ziegentierhaltung,

muss sich diesem ungeschriebenen Gesetz unterwerfen. Felix lässt sich von solchen Fakten nicht beunruhigen. Für ihn steht der ganz besondere Reiz der Viehwirtschaft und die abwechslungsreiche Arbeit mit den Tieren im Vordergrund. „Klar sind sie Nutztiere, aber man baut trotzdem eine Beziehung zu ihnen auf. Das gibt es bei einer Pflanze nicht“, sagt er. Wenn die Tiere zu alt für die jährliche Befruchtung sind, die die Milchleistung erhalten soll, werden sie geschlachtet. Das fällt Felix nicht immer leicht. Seiner Meinung nach verkümmere das Wissen über die Land- und Viehwirtschaft und im Allgemeinen über die Natur zusehends in der Bevölkerung, das sei in der Stadt wie auch auf dem Land gleich. Dagegen setzt sich der „Lernort Bauernhof“ ein, oft nehmen Schulklassen an diesen Programmen teil. Bei einer dieser Mitmachaktionen bestellen die Teilnehmer ihr eigenes Feld, um die Ernte einzubringen. Außerdem werden, wenn erwünscht, Erkundungstouren über den Hof gemacht. Begeistert berichtet Felix von einer Klasse, die den Hof im vergangenen Jahr besucht hat. Die Schüler sollten mit einer Schnur schätzen und abmessen, wie viel Raum einem Schwein in der konventionellen Masthaltung und wie viel auf dem Hof der Familie Würtz zur Verfügung steht. „Da haben sich aber einige ganz schön verschätzt.“ Die Schüler würden so lernen, woher ihr Essen stammt und mit welchem Arbeitsaufwand die Produktion verbunden ist. Ein weiterer Programmpunkt für kleinere Gruppen ist die Ziegenmilchverarbeitung. Den Ziegenkäse stellt Felix selbst von Hand in der hofeigenen Küche her. Die aufwendige Produktion nimmt mehrere Stunden in Anspruch, erfordert Geduld und präzise Einhaltung der Arbeitsschritte. Nächsten Herbst kommt Felix seinem Traum vom eigenen Betrieb wieder einen Schritt näher. Dann beginnt er eine Ausbildung zum Land- und Viehwirt an der Landwirtschaftsschule in Ettlingen. Anna Fribiczer, Gymnasium im Alfred-Grosser-

Schulzentrum, Bad Bergzabern

Sport

FRANKFU RT ER A L LG EM E I NE Z E I TU NG

„Ich höre auf mit dem Volleyball“ Rückzug der Sponsoren – Rückzug ins Private FRANKFURT. Man kann nun wirklich nicht behaupten, dass Karine Muijlwijk ein Typ ist, der verbrannte Erde hinterlässt, wenn sie irgendwo ein Engagement beendet. Auffallend fröhlich tritt die 28 Jahre alte Niederländerin auf, äußerst beliebt ist die Diagonalangreiferin bei Fans und Mitspielerinnen. Und dazu auch eine erfolgreiche Volleyballspielerin. Dennoch fällt ihre Bilanz nach fünf Jahren Profi-Volleyball in Deutschland erschütternd aus: Zwei von drei Vereinen, für die sie spielte, werden im kommenden Jahr aus dem Ligabetrieb verschwunden sein. VT Hamburg findet keine Sponsoren mehr, die Ladies in Black Aachen haben Insolvenz angemeldet. Und auch der dritte, der VC Wiesbaden, stand schon mal kurz vor dem Aus. Karine Muijlwijks Konsequenz aus dieser Misere: „Ich höre auf mit Profi-Volleyball.“ Es sei ein großer Schritt, sagte sie im Gespräch mit dieser Zeitung. „Ich werde Volleyball vermissen.“ Aber die Entscheidung müsse sein. Das Aus ihres aktuellen Vereins hat ihren Lebensplan komplett durcheinander geworfen. Nach mehreren Wanderjahren war die aus Gouda stammende Sportlerin erst vor der Saison nach Hamburg gezogen, um endlich mal mit ihrem Freund zusammenzuwohnen. „Jetzt kann ich doch nicht nach einem Jahr wieder ausziehen, um wieder irgendwo neu anzufangen.“ Vermutlich würde es ihr sportlich sogar gelingen: Egal, wo sie bislang spielte, gehörte die ebenso sprung- wie schlagkräftige 1,82-Meter-Frau sofort zur Stammsechs. Meistens war sie eine der besten, wenn nicht die beste Punktesammlerin ihrer Mannschaft. In ihrer stärksten Saison beim VC Wiesbaden 2013/14 zählte sie mit 303 Punkten aus 20 Spielen sogar zu den drei besten

Am Ende noch eine Ohrfeige

Sport live im Fernsehen EUROSPORT1: 16.30 Uhr und 19.30 Uhr:

Gewichtheben, EM in Førde/Norwegen, Finale. SPORT1: 20.15 Uhr: Fußball, zweite Bundesliga:

Fortuna Düsseldorf – RB Leipzig. (Durch kurzfristige Absagen oder Verschiebungen können sich Übertragungszeiten ändern.)

Ergebnisse 쐽 Basketball Bundesliga, Männer, 29. Spieltag: Gießen –

Arthur Abraham scheitert krachend bei seinem Ausflug in die große Box-Welt. Der WM-Titelverteidiger gewinnt keine einzige Runde gegen Ramirez. Von Michael Eder, Las Vegas it 36 Jahren fühlte sich Arthur Abraham – oder wenigstens sein Management – reif für Las Vegas. Reif dafür, seinen Weltmeistergürtel nach Version der World Boxing Organization (WBO) in der Spielerstadt zu verteidigen. Doch nach zwölf einseitigen Runden in der legendären MGM Grand Garden Arena trug nicht er den Gürtel aus dem Ring, sondern der 12 Jahre jüngere Mexikaner Gilberto Ramirez. Der WM-Titel im Supermittelgewicht war futsch, und der Traum des späten Glücks in Amerika war ausgeträumt. Am Ende von zwölf schmerzlichen Runden stand auch die Erkenntnis, dass nicht nur Abraham, der eine offensive Kampfführung und einen deutlichen Sieg angekündigt hatte, sondern auch sein Berliner Promoter Sauerland und Trainer Ulli Wegner danebenlagen. Offensichtlich hatten sie Ramirez falsch eingeschätzt, auch wenn Wegner das nach dem Schlussgong heftig bestritt. Die Analyse des Gegners sei in Ordnung gewesen, sagte er, die Taktik auch, Abraham habe sie nur nicht umgesetzt: „Das war eine Leistung, die Arthur nicht gebührt.“ Abraham selbst war gezeichnet und tief enttäuscht. Ramirez sei „viel gelaufen“, sagte er. Er habe gehofft, ihn ausknocken zu können, „aber ich bin nicht rangekommen. Es war nicht mein Tag.“ Die geplanten zwei Wochen Urlaub in Las Vegas und Los Angeles strich Abraham noch vor der Pressekonferenz. Die Stimmung war dahin, und sobald die Schwellungen im Gesicht abgeklungen sind, in zwei, drei Tagen, will er den Flieger heim nach Berlin nehmen. Sauerland hatte den Kampf, eine WBOPflichtverteidigung, ersteigert und hätte ihn auch in Deutschland, in Berlin, veranstalten können, wo Abraham zu Hause ist und wo er sich zu Hause fühlt. Doch weil die ARD als TV-Partner und als großer Geldgeber ausgestiegen ist und Nachfolger Sat 1 seither nur kleine Box-Brötchen backt, hat Sauerland den Kampf nach Amerika weiterverkauft und damit auch den Heimvorteil. Ob der gereicht hätte, den starken Rechtsausleger zu schlagen? In Las Vegas jedenfalls hatte Abraham gegen Ramirez mit seinen mexikanischen Fans im Rücken nicht den Hauch einer Chance. Die Punktrichter werteten alle

Braunschweig 73:71, Hagen – Mitteldeutscher BC 102:81, Bayreuth – Bremerhaven 99:89, Berlin – Bonn 94:73, Crailsheim – Ludwigsburg 74:75, Göttingen – Oldenburg 74:79, Bamberg – Ulm 100:67. – Tabellenspitze: 1. Bamberg 29 Spiele/54:4 Pkt., 2. Oldenburg 29/46:12, 3. München 28/44:12. 쐽 Boxen Ergebnisse Boxen, Profi-Veranstaltung in Potsdam, WBA-Weltmeisterschaft im Halbmittelgewicht (12 Runden): Culcay (Darm-

stadt) – Prada (Venzuela) T.K.o. 10. Runde. WBA-Intercontinental-Meisterschaft im Halbschwergewicht (12 Runden): Kölling

(Berlin) – Tscherwiak (Ukraine) einst. Punktsieg. 쐽 Eishockey

M

Meisterschaftsrunde, Halbfinale, 6. Spieltag: Nürnberg – Wolfsburg 1:2 (Stand 2:4, Wolfsburg im Finale). 쐽 Fußball England, 33. Spieltag: West Ham – Arsenal

3:3, Swansea – Chelsea 1:0, Aston Villa – Bournemouth 1:2, Watford – Everton 1:1, Southampton – Newcastle 3:1, Crystal Palace – Norwich 1:0, Manchester City – West Bromwich 2:1, Sunderland – Leicester 0:2. – Tabellenspitze: 1. Leicester City 33 Spiele/72 Pkt., 2. Tottenham Hotspur 32/62, 3. FC Arsenal 32/59, 4. Manchester City 32/57, 5. Manchester United 31/53. Italien, 32. Spieltag: Frosinone – Inter Mailand 0:1, Chievo Verona – Carpi 1:0, Sassuolo – CFC Genua 0:1, AC Mailand – Juventus Turin 1:2, Empoli – Florenz 2:0, FC Turin – Bergamo 2:1, Neapel – Hellas Verona 3:0, Sampdoria Genua – Udinese 2:0. – Tabellenspitze: 1. Juventus Turin 32 Spiele/76 Pkt., 2. Neapel 32/70, 3. AS Rom 31/63, 4. Inter Mailand 32/58, 5. AC Florenz 32/56. Spanien, 32. Spieltag: Granada – Málaga

Im Rückwärtsgang: Arthur Abraham hat der Wucht von Gilberto Ramirez nicht viel entgegenzusetzen.

zwölf Runden für den Mexikaner – am Ende noch eine Ohrfeige für Abraham und für Sauerland. Abrahams Taktik, Ramirez aus einer Doppeldeckung heraus anzugreifen, seine Kreise einzuengen und ihm möglichst wenig Raum zu lassen, erwies sich schon nach zwei Runden als Illusion. Ramirez bestimmte den Kampf nach Belieben. Schnell auf den Beinen und mit glänzender Übersicht hielt er Abraham auf Distanz und deckte ihn mit präzisen Schlägen ein. Schon in Runde zwei musste der Deutsche eine harte Rechte einstecken, ein Wirkungstreffer, der ihn durchschüttelte. Abraham fand kein Mittel gegen seinen 14 Zentimeter größeren Gegner, schaffte es kaum einmal, die Distanz so weit zu verkürzen, dass er mit seiner Schlaghärte Eindruck machen konnte. Schlug er zu, war der trotz seiner Größe wendige Mexikaner meist längst woanders. Es war ein Klassenunterschied und erinnerte an die Auftritte

Abrahams vor sechs Jahren im Super-SixTurnier des Supermittelgewichts, in das er mit großen Erwartungen gegangen war, dann aber einsehen musste, dass die Allerbesten eine Nummer zu groß für ihn sind. Die Helden von damals, die Amerikaner Andre Ward und Andre Direll, der Brite Carl Froch und der Däne Mikkel Kessler, sind mittlerweile zurückgetreten oder eine Gewichtsklasse aufgestiegen, allein Abraham ist übrig geblieben und so verbandsübergreifend zur Nummer eins im Supermittelgewicht geworden – bis zu diesem Samstag in Las Vegas, wo er seinem Alter und wohl auch wieder einer Portion Selbstüberschätzung Tribut zollen musste. Ramirez kam mit einer Bilanz von 33 Siegen aus 33 Kämpfen, davon 24 durch K. o., nach Las Vegas. Bei Sauerland hatte das keine Alarmglocken schrillen lassen. Der Junge, der so leise spricht und so brav und wohlerzogen daherkommt, sollte Abraham besiegen, den Weltmeister, der

Foto dpa

schon so viele Schlachten geschlagen hat? Irgendwie hatte das keiner auf der Rechnung. Den Unterschied zur ganz großen Box-Bühne zeigte der Hauptkampf in Las Vegas, für den Abraham und Ramirez das Vorspiel bestritten hatten. Der philippinische Superstar Manny Pacquiao besiegte den Amerikaner Timothy Bradley nach einem begeisternden Kampf eindeutig nach Punkten. Bradley musste dabei zwei Niederschläge einstecken. Und Abraham? Das war’s wohl mit großen Kämpfen in Amerika, auch wenn er tapfer ankündigte, wiederkommen zu wollen. Der Versuch allerdings, in den Staaten „ein Statement zu setzen“, wie es Promoter Kalle Sauerland erhofft hatte, war krachend gescheitert. Abraham wurde ordentlich verprügelt. In Las Vegas zu kämpfen sei ein Traum für jeden Boxer, hatte er vor dem Fight gesagt. Am Ende stand die bittere Erkenntnis: Manchmal kann es auch ein Albtraum sein.

„Ich hab’s probiert, den Sport und das Private zu trennen. Manchmal ging’s nicht. In den schwierigen Zeiten zum Training zu gehen ist mir leichter gefallen, als einen Wettkampf zu fahren. Ich hatte manchmal nicht so den freien Kopf. Ich hatte in Gedanken immer sie.“ 2014 ließ er die Weltmeisterschaft aus, um der Freundin im Krankenhaus beizustehen. Bei der WM im September 2015 trat er an. Nach drei Torstangen-Berührungen war schon im Halbfinale Schluss. Die Aufs und Abs im Heilungsprozess. Immer wieder Rückschläge, weil das Immunsystem in der Krebstherapie niedergemacht wird. Schließlich die verheerende Lungenentzündung. Sideris Tasiadis kämpfte zwei Jahre Seite an Seite mit Claudia Bär. Vergeblich. Seine Freundin starb am 28. September 2015. Der Augsburger erhielt viel Zuspruch in der Zeit danach. Von Vereinskameraden – von Paddlern weltweit.

„Letztlich musste ich selbst klarkommen. Ich bin mit der ganzen Geschichte erst zurechtgekommen, wenn ich viel trainiert habe.“ Also trainierte er. Dreimal am Tag, neben der Ausbildung. Wenn er im Boot kniete, konnte er alles ausblenden – gedanklich abtauchen zwischen den Wellen. Tasiadis zog die Solo-Vorbereitung dem Training mit der Nationalmannschaft vor. Er mied direkte Vergleiche. Ließ die Frühjahrswettkämpfe aus. Flog nach Dubai ins Training. Die Mannschaft flog nach Sydney. „Vor ein paar Jahren hätte ich mich nicht getraut, einfach mein Ding durchzuziehen. Aber mein Trainer hat immer

gesagt, er vertraut mir, wenn er mich auch nicht jeden Tag sieht. Er weiß, dass ich ohnehin mehr mache, als er mir aufgibt.“ Sideris Tasiadis ist erwachsen geworden. Er konnte sich schon immer im Training quälen. Der Schicksalsschlag hat ihn zum Taktiker gemacht. „Niemand weiß, wie ich drauf bin, und genau das war das Ziel: Ich wollte mir nicht in die Karten schauen lassen.“ Bei den Leistungstests im Frühjahr überragte er. Auch Bundestrainer Michael Trummer bescheinigt ihm, er sei so stark wie nie. Die Konkurrenz, vor allem Franz Anton aus Leipzig, ist es vermeintFoto dpa

„Tu alles dafür, dass du deine Ziele erreichst“:

Der Spruch seiner verstorbenen Freundin Claudia begleitet Sideris Tasiadis durch die einsamen Trainingseinheiten, ihr Bild hat er ins Boot geklebt.

Dritte Liga, 33. Spieltag: Wiesbaden – Mag-

deburg 0:0, Großaspach – Rostock 0:1, Mainz II – Fortuna Köln 0:1, Aue – Bremen II 1:0, Dresden – Kiel 0:0, Münster – Cottbus 3:0, Stuttgart II – Aalen 1:1, Würzburg – Stuttgarter Kickers 2:1, Erfurt – Osnabrück 4:2, Halle – Chemnitz 1:2. – Tabellenspitze: 1. Dresden 33 Spiele/67 Pkt., 2. Aue 33/60, 3. Osnabrück 33/52, 4. Würzburg 33/51, 5. Großaspach 33/50. 쐽 Golf US Masters, in Augusta/Georgia (10 Mio. Dollar/Par 72), Stand nach der 3. Runde: 1.

Spieth (USA) 213 (66+74+73) Schläge, 2. Kaufman (USA) 214 (73+72+69), 3. Langer (Anhausen) 215 (72+73+70) und Matsuyama (Japan) 215 (71+72+72), 5. Willett (England) 216 (70+74+72), Johnson (USA) 216 (73+71+72) und Day (Australien) 216 (72+73+71), 8. Kjeldsen (Dänemark) 217 (69+74+74), Snedeker (USA) 217 (71+72+74) und Westwood (England) 217 (71+75+71), ... 52. Kaymer (Mettmann) 228 (74+75+79). Marathon in Hannover, Ergebnisse Männer: 1. April (Südafrika) 2:11:27 Std., 2. Kos-

Der Krebs hat dem Slalom-Kanuten Sideris Tasiadis die Freundin genommen – jetzt ist er stärker denn je AUGSBURG. Plötzlich sieht alles wieder so leicht aus, wie vor vier Jahren in London. Wie er übers reißende Wasser fliegt, sich durch die Tore windet, spielerisch, fast anstrengungslos – unbeschwert. Sideris Tasiadis lacht im Ziel wieder sein charmantes Lächeln. Wie 2012, als er bei Olympia im Kanuslalom Silber gewann. Dabei ist nichts mehr wie damals – vor allem nicht Tasiadis selbst. Zwischen größtem Triumph und Schicksalsschlag lag kaum ein Jahr. Sie bekamen die Diagnose im Herbst 2013: Blutkrebs bei Tasiadis’ Freundin, Claudia Bär. Sie ist ebenfalls Kanutin. Von einem auf den anderen Tag stand das Leben kopf: die kräftezehrende Therapie und die Folgen, das Organisieren des neuen Alltags im Angesicht der Diagnose, der ungewissen Zukunft, von der sie plötzlich nicht wussten, wie lang sie sein würde. Leistung und Sport wurden für zwei Leistungssportler nebensächlich. Die Belastung, psychisch wie physisch extrem. Tasiadis, damals 23, versuchte trotzdem, alles zusammen zu stemmen: da sein für die Freundin, Polizeiausbildung und Training. Pendeln zwischen Klinik, Kanal und daheim. Zwischen Ulm, Dachau, Augsburg und Kissing. Wo auch noch Hund Milou wartete.

0:0, Real Madrid – Eibar 4:0, Espanyol Barcelona – Atlético Madrid 1:3, San Sebastián – FC Barcelona 1:0, Betis Sevilla – Levante 1:0, Gijon – Vigo 0:1. – Tabellenspitze: 1. FC Barcelona 32 Spiele/ 76 Pkt., 2. Atlético Madrid 32/73, 3. Real Madrid 32/72, 4. Villarreal 31/57, 5. Vigo 32/52.

쐽 Leichtathletik

Mit der Kraft der Erinnerung

Immer positiv gestimmt, doch jetzt hat Karine Muijlwijk genug. Foto Hübner Scorern der ganzen Liga. Zudem avancierte sie dank ihrer mitreißenden Art sowohl in Aachen als auch in Wiesbaden umgehend zum Publikumsliebling. In Wiesbaden wie in Hamburg agierte sie als Teamkapitän. Doch mit knapp 30 muss sie nun auch mal an ihr eigenes weiteres Leben denken: „Leicht wird es nicht, den Berufsstart im Ausland zu schaffen“, sagt sie über ihren Einstieg, den sie sich im FitnessBereich oder mit veganer Küche vorstellen kann. Keinen Plan B gibt es mehr für den VT Hamburg. Der Klub zieht sich aus der Bundesliga zurück, weil sich nach dem lange angekündigten Rückzug des Metallverarbeiters Aurubis als Hauptsponsor in der ganzen großen Sportstadt Hamburg bis Anfang April kein Geldgeber fand, der Verantwortung für die Volleyball-Frauen übernehmen wollte. 370 000 Euro fehlen dem Vernehmen nach, um den Etat zu decken, der sich insgesamt auf nicht viel mehr als 600 000 Euro beläuft. Nach 25 Jahren endete die Ära Bundesliga-Volleyball im Stadtteil Fischbek mit einer 1:3-Heimniederlage in den Pre-Playoffs gegen den Köpenicker SC. Karine Muijlwijk konnte an jenem März-Samstag auch nichts mehr retten, denn sie hatte sich Anfang Februar einen Bänderriss zugezogen und musste neben 979 Zuschauern den Untergang von außen angucken. Als beinahe ebenso schmerzhaft betrachtete sie nun das Aus der Ladies in Black. „Da lebte Volleyball so sehr“, erinnerte sie sich gerne an ihre Aachener Zeit zurück. Doch offenbar nicht genug. Die Betreibergesellschaft des Bundesligateams stellte am Freitag einen Insolvenzantrag beim Amtsgericht Aachen wegen drohender Zahlungsunfähigkeit. Die Verbindlichkeiten, die bis Ende Juni auflaufen, werden bei 160 000 Euro liegen. ACHIM DREIS

M O N TAG , 1 1 . AP R I L 2 0 1 6 · NR . 8 4 · S E I T E 31

lich ebenso. Am Ende darf nur ein Boot nach Rio. Aber Rio reicht nicht. Tasiadis will Gold. Er paukte im Winter mehr Grundlagen, erhöhte die Umfänge. Setzte neue Reize, an der Kletterwand. Die Suche nach der Route beim Bouldern schult das strategische Denken, das es auch beim Paddeln im Wildwasser braucht. Und es bringt noch härtere Unterarme. Die braucht er, um mit dem Stechpaddel im Stangenwald Vollgas zu geben, 100 Sekunden lang. Dabei ist Claudia ihm noch immer Motivation: Trotz der Krankheit hatte sie in all der Zeit stets Zuversicht und Lebensfreude ausgestrahlt, trotz allem, was sie in verzehrender Therapie durchleiden musste – der Kampfgeist hatte sie schon als Kanutin für viele zum Vorbild gemacht. Ein Bild von ihr klebt nun im Boot von Tasiadis. „Erinnerungen zum Fokussieren“ steht darunter. „Claudia hat mir mal gesagt: ,Tu alles dafür, dass du deine Ziele erreichst.‘ Ich habe das Bild angeschaut, und der Satz ist mir in den Kopf geschossen. Mit der Erinnerung konnte ich mich mehr aufs Paddeln konzentrieren. Und die ganze Geschichte so verarbeiten, dass mein Leben weitergeht, weitergehen soll.“ Inzwischen ist das Lächeln zurück. Er habe die Dinge akzeptiert, wie sie sind, sagt er, und vor kurzem ein anderes Mädchen kennengelernt. Er denke zwar immer noch oft an Claudia. Aber sei inzwischen wieder glücklich. Und es scheint alles aufzugehen: Im ersten Teil der nationalen Olympiaqualifikation brillierte er auf dem heimischem Eiskanal, während die Konkurrenz Nerven zeigte. . Tasiadis gewann beide Rennen – eine glänzende Ausgangssituation, ehe am kommenden Wochenende in Markkleeberg in den Rennen drei und vier die Entscheidung fällt. Die Chancen stehen gut, dass Sideris Tasiadis sich seinen Wunsch erfüllen kann: Eine zweite Medaille würde ihm viel bedeuten, erst recht nach allem, was geschehen ist. Die olympischen Ringe hat er seit London als Tattoo auf dem Oberarm. Dazu das Bild im Boot – und den Spruch im Herzen. Sie werden ihn auf dem Weg nach Rio begleiten. ANNE ARMBRECHT

gey (Kenia) 2:11:54, 3. Masai (Kenia) 2:15:43, 4. Habarurema (Frankreich) 2:16:33, 5. Niyonkuru (Burundi) gleiche Zeit, 6. Zuniga (Kolumbien) 2:21:36. Ergebnisse Frauen: 1. Kwambai (Kenia)

2:29:17 Std., 2. Anna Hahner (Rimmels), 2:30:35, 3. Biwott (Kenia) 2:30:47, 4. Koech (Kenia), 2:31:16, 5. Zusinaite (Litauen) 2:32:50, 6. Lisa Hahner (Rimmels) 2:34:56. Marathon in Rotterdam, Ergebnisse Männer: 1. Kipserem (Kenia) 2:06:11 Std., 2. Deksi-

sa (Äthiopien) 2:06:22, 3. Kirui (Kenia) 2:07:23. Ergebnisse Frauen: 1. Gebreslasea (Äthio-

pien) 2:26:15 Std., 2. Kebede (Äthiopien) 2:28:04, 3. Korir (Kenia) 2:29:16. 쐽 Tennis ATP-Turnier in Houston/Texas (577 860 Dollar/Sandplatz), Halbfinale: Sock (USA) – Is-

ner (USA) 7:6 (7:4), 6:3, Monaco (Argentinien) – López (Spanien) 6:4, 6:2. ATP-Turnier in Marrakesch/Marokko (520 070 Euro/Sandplatz), Finale: Delbonis (Argentinien) – Coric (Kroatien) 6:2, 6:4. WTA-Turnier in Charleston/South Carolina (753 000 Dollar/Sandplatz), Halbfinale: Ste-

phens (USA) – Kerber (Kiel) 6:1, 3:0 Aufgabe, Wesnina (Russland) – Errani (Italien) 6:4, 4:6, 6:2. WTA-Turnier in Kattowitz/Polen (250 000 Dollar/Hartplatz), Halbfinale: Giorgi (Ita-

lien) – Ostapenko (Litauen) 6:4, 6:3, Cibulkova (Slowakei) – Parmentier (Frankreich) 7:5, 6:0. 쐽 Volleyball Bundesliga, Frauen, Meisterschaftsrunde Halbfinale, Play-off (Best of 3), 2. Spieltag:

USC Münster – Dresdner SC 0:3 (Play-offStand 0:2, Dresden im Finale), MTV Stuttgart – Schweriner SC 3:0 (Play-off-Stand 1:1). 쐽 Gewinnzahlen Lottozahlen: 1, 4, 38, 39, 46, 47 Superzahl: 2 Spiel 77: 0, 1, 7, 7, 1, 8, 4 Super 6: 2, 5, 5, 8, 1, 8 Eurojackpot, Gewinnzahlen 5 aus 50: 1, 2,

16, 31, 50 Eurozahlen 2 aus 10: 1, 7

Glücksspirale, Wochenziehung: 0 gewinnt 10 Euro, 82 gewinnt 20 Euro, 398 gewinnt 50 Euro, 5815 gewinnt 500 Euro, 44 853 gewinnt 5 000 Euro, 260 312 gewinnt 100 000 Euro, 530 132 gewinnt 100 000 Euro. – Prämienziehung: 2 013 355 und 6 017 282 gewinnen 7500 Euro monatlich als Sofortrente. (Ohne Gewähr.)

Sport

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F R A N K F U RT E R A L LG E M E I N E Z E I T U N G

Alba Berlin: Keilerei und Verschwörung

Auf alten Pfaden: Immerhin spielt das Wetter am Sonntag im französischen Norden mit, so dass das Kopfsteinpflaster in bestmöglichem Zustand ist. Meistens jedenfalls.

ie „Königin der Klassiker“ zeigt sich nicht gerade spendabel gegenüber ihrem ersten Bezwinger. Muss sie auch nicht. Radsport-Ruhm und Ehre sind Matt Hayman nach seiner imposanten Fahrt am Sonntag gewiss. Nicht genug, dass die mythisch aufgeladene Strecke Paris–Roubaix alle Kraft aus Beinen und Armen, Schultern und Rücken saugt. Sie hielt für den staub- und matschbedeckten australischen Überraschungssieger nach 257,5 Rennkilometern auch noch eine finale Prüfung bereit. Er musste erst noch begreifen, was geschehen war. Doch auch diese letzte Herausforderung des für Radprofis zermürbendsten Tages des Jahres meisterte der 37-jährige Veteran, der in der Siegerliste nun auf den derzeit verletzten Deutschen John Degenkolb folgt. Hayman vom Team Orica-GreenEdge brauchte eine ganze Weile, bis er zu einer Jubelgeste imstande war. Erst als ihm zwei Betreuer ins Ohr flüsterten „Ja, du hast es gewonnen“, löste sich die Anspannung. Hayman, der sich in einem aufregenden Sprint auf der alten Betonpiste des Velodroms vor dem Belgier Tom Boonen durchsetzte, war fraglos der glücklichste Mann der Radsportwelt. Dahinter nur noch Enttäuschte und, ja, Davongekommene. Viele Profis verspüren eine Art Hassliebe zur Schinderei in der „Hölle des Nordens“. Gegenüber dieser quälenden Rüttelpartie – 52,5 Kilometer werden die Profis bei ihrer gnadenlosen Wettfahrt über jahrhundertealte, grob gepflasterte Feldwege gejagt. Zu jenem zweiten Sonntag im April, in dem das Peloton seit 1896 in die Steinzeit zurückfällt. Kaum ein Ren-

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Höllische Ankunft Der Australier Mathew Hayman, ein Außenseiter, gewinnt den Radklassiker Paris–Roubaix. Erst im Schluss-Sprint scheitert Tom Boonen. Fabian Cancellara stürzt beim letzten Karriere-Auftritt. Von Alex Westhoff, Roubaix nen löst so widerstrebende Gefühle im fahrenden Volk der Radprofis aus. Paris–Roubaix ist archaisch, ein bisschen anarchisch und auf jeden Fall anachronistisch. Es hat aber auch etwas Klares, Einfaches: Da wird nicht nach Schema F gefahren, sondern volle Kanne schon weit vor dem Zielstrich. Immer wieder diese schon zu Napoleons Zeiten angelegten Pavés, eine einzige Strapaze: Ist das Rennen bekannt dafür, dass es je nach Witterung extrem matschig oder extrem staubig und meist windig daherkommt, gab es in diesem Jahr von allem etwas. Jeder der 27 KopfsteinSektoren barg seine tückische Überraschung. Was auch die besten Steuerkünstler ihres Fachs bisweilen überforderte. Nach den Regenfällen der vergangenen Tage waren manche Pflasterpassagen abgetrocknet, andere noch glitschig, und auf einigen standen noch Pfützen. Mit Fabian Cancellara erwischte es auch einen der großen Favoriten auf einem rutschigen Teilstück. Der zweimalige Roubaix-Gewinner aus der Schweiz stürzte und musste bei seinem letzten Karriereauftritt auf den Pavés seine Hoffnungen begraben.

Am Samstag gehörten die Pavé-Passagen noch den Hobbyradlern, die sich zu Hunderten auf der Strecke tummelten. Die nicht nur sehen, sondern fühlen wollten, was dieses grobe Pflaster mit Mensch und Maschine, Leib und Rad anstellt. Die sich Schlag für Schlag wunderten, wie das Vorderrad hin- und herhüpft, die Trinkflasche aus der Halterung holpert, der ganze Körper im Nu schmerzt, wie viel Krafteinsatz nötig ist, das Rad auf dieser steinernen Buckelpiste überhaupt vorwärtszudrücken. Lachend und feixend wechselten sie ihre durchlöcherten Schläuche, beobachtet von Anwohnern in dieser strukturschwachen Region, die ihre Gartenstühle schon vor der Haustür plaziert hatten. Schon seit Tagen standen die Wohnmobile der Fans aufgereiht am Carrefour de l’Abre, einem Pavé-Stück, das 17 Kilometer vor dem Ziel schon so viele Paris-Roubaix-Ausgaben mitentschieden hat. Volksfeststimmung zwischen den Äckern. Hier fährt es sich in der Mitte des Pflasters wie auf einem Berggrat mit steil abfallenden Seitenrändern. Hinter jedem grob gefugten Stein kann sich eine klare Kante, ein

kleiner Abgrund auftun. Für die Fahrer mag dies die „Hölle des Nordens“ pur sein, für die Fans ist es paradiesisch. Schmale Kopfsteinpflasterpassagen wie Carrefour de l’Abre oder der Wald von Arenberg, in denen die Fahrer voller Adrenalin mit 65 Kilometern pro Stunde regelrecht einschießen in das Spalier der Zuschauer, haben in der Szene einen ähnlichen Klang wie Wembley oder Maracanã für Fußballer. „Wahnsinn, dieser Schmerz, wenn der Körper im Laufe des Rennens langsam nachgibt und jedes Gelenk und jeder Knochen weh tut“, erzählt der Norddeutsche Nikias Arndt vom Team GiantAlpecin. „Aber du weißt: Irgendwo da hinten wartet das Velodrom auf dich.“ Wer bei Paris–Roubaix um den Sieg mitfahren will, kann sich nicht lange im Feld verstecken. Zumal, wenn es wie auch in diesem Jahr von vielen Stürzen, die so sicher kommen, wie sich das Profiräderwerk dreht, zerrissen wird. Vorne sein, vorne fahren ist die Devise vor den wichtigsten Kopfsteinpflasterstücken. Alle wissen dies, alle wollen dies, dementsprechend hart ist der Verdrängungswettbewerb. Der

Foto Getty Images

Eschborner Tony Martin fuhr bei seinem Debüt auf den Pavés ein auffälliges Rennen, schloss mit Teamkollegen Tom Boonen (Etixx-Quickstep) am Hinterrad fast im Alleingang die Lücke zu den lange führenden Ausreißern. Und verankerte den belgischen Großmeister erfolgreich in der letzlich fünfköpfigen Spitzengruppe, wo der 35-Jährige 30 Kilometer vor dem Ziel anfing, antrittsstarke Nadelstiche zu setzen. Letztlich vergeblich. Im Sprint auf der Rennbahn wurde er von Hayman geschlagen und damit Zweiter. Auch 2016 brauchte es für den Sieg im Velodrome nicht nur starke Beine, einen großen Willen, einen kühlen Kopf und ein starkes Team. Es hat immer auch mit Glück zu tun, dass nur die anderen stürzen und der Drahtesel hält. Nirgendwo sonst können die Radhersteller die Robustheit ihres Materials besser zur Schau stellen. Der „Hölle des Nordens“ begegnen die Profis nicht mit ihren angestammten Rennmaschinen. Quasi nur für Paris–Roubaix bekommt jeder ein neues Rad, besser gesagt: neue Räder. Der häufigen durch das Pflaster hervorgerufenen Defekte wegen. Dickere Reifen, veränderter Radstand, Extrabremse(n) am Oberlenker, weniger Carbon, mehr Stahl im Rahmen. Dazu tapen sich viele Berufsfahrer die Handgelenke, wickeln doppeltes Band um den Lenker. Der richtige Luftdruck in den Reifen ist vor Paris–Roubaix im Peloton eine ähnliche Wissenschaft wie das Skiwachs bei den Langläufern. Tony Martin beispielsweise fuhr mit, wie er sagt, „butterweichen“ 5 Bar statt sonst 7,5, „damit sich der Reifen schön an das Pflaster schmiegt“.

Ovationen für Langer

Millionenpreis für Billigflieger

Der deutsche Golf-Senior beeindruckt in Augusta

Michael O’Learys Wallach Rule The World gewinnt das Grand National

AUGUSTA. „Golf“, behauptet Bernhard Langer, „ist ein bisschen anders. Wir spielen nicht Tennis, Fußball oder Football, Sportarten, in denen Schnelligkeit und Kraft entscheidend sind. Golf erfordert viel mehr. Man muss die richtige Technik beherrschen. Man muss seinen Weg über den Golfplatz genau planen und dann auch noch die richtigen Schläge ausführen.“ Am Samstag gelang das dem Altmeister beim Masters in Augusta so gut, dass sich an etlichen Löchern die Zuschauer erhoben und ihm applaudierten. „Da habe ich eine Gänsehaut bekommen“, sagte Langer, der nach der zweitbesten Tagesrunde von 70 Schlägen die Anerkennung sichtlich genoss. „Viele Fans kommen hier seit Jahren her. Die kennen sich im Golf aus.“ Diese Fachleute wussten, dass der Platzstandard an diesem kühlen (18 Grad) und windigen Tag nicht bei 72, sondern eher bei 75 Schlägen lag.

AINTREE. Michael O’Leary ist ein Erfolgsmensch. Mit der Billigfluglinie Ryan Air bringt der 55-jährige Ire seit Mitte der neunziger Jahre die großen europäischen Luftfahrtgesellschaften ins Schwitzen. Aber auch in seiner Freizeit will er gewinnen. Der Fan von Manchester City, der seine neuesten Flugideen gerne mal im Vereinstrikot präsentiert, frönt einem Hobby, das sehr kostspielig sein kann. Zumindest, wenn man es wie O’Leary in größerem Stil pflegt. Er besitzt Rennpferde, die unter dem Namen seiner Farm in Gigginstown House im irischen County Westmeath laufen. Seine Liebe gilt dem Hindernissport; über das Hafergeld muss er sich in jüngster Zeit aber wahrlich keine Gedanken machen. Denn innerhalb weniger Wochen haben seine Pferde einige der größten Rennen in England und Irland gewonnen: Mitte März den Cheltenham Gold Cup mit dem in Deutschland gezüchteten Don Cossack, dann das Irish Grand National mit Rogue Angel und am Samstag nun die Krönung durch den neunjährigen Wallach Rule The World: Das Grand National im englischen Aintree, das berühmteste Hindernisrennen der Welt. „Ich werde jetzt aufhören“, jubilierte O’Leary. „Ein Gold Cup und zwei Grand Nationals innerhalb einer Saison – das geht nicht mehr besser.“ Der Cheltenham Gold Cup ist aus sportlicher Sicht das wertvollste Rennen, denn hier tragen alle Starter das gleiche Gewicht. Das Grand National hingegen ist ein Handicap, so dass die Pferde je nach Vorleistung unterschiedlich viele Kilos über die Hindernisse schleppen müssen. Das ist der Grund, weshalb es seit 1974 und dem legendären Red Rum kein Pferd mehr geschafft hat, das Rennen zweimal nacheinander zu gewinnen. Auch in diesem Jahr scheiterte Vorjahressieger Many Clouds am Höchstgewicht und dem weichen Geläuf. Er führte zwar eine Zeitlang, doch am Ende landete er abgeschlagen auf dem 16. Platz. Er erreichte als letzter der insgesamt 39 Starter das Ziel. Viele stürzten, einige wurden angehalten. Die gute Nachricht aber lautete, dass es offenbar weder für Ross noch Reiter ernsthafte Verletzungen gegeben hat. Das Grand National ist mit einer Million Pfund Preisgeld dotiert – umgerechnet 700 000 Euro gewinnt allein der Sieger. Aber wichtiger noch ist das Prestige. „Es gibt kein grandioseres Gefühl, als im Grand National zu siegen“, sagt der ehemalige Championjockey Tony McCoy, der immerhin mehr als 4350 Rennen gewann und 2010 in Aintree triumphierte: „Millionen schauen zu- und für Jockeys gibt es keinen größeren Tag.“ Für die Wetter offenbar auch nicht: Allein in dem Rennen werden schätzungsweise 200 Millionen Euro gewettet – das Fünf- bis Sechsfache

Chapeau, Herr Langer: Weder die Längennachteile noch neue PutterRegeln verderben ihm den Lieblingsplatz. Foto AP

Langer hatte nicht nur im direkten Duell den australischen Weltranglistenersten Jason Day mit 70 gegenüber 71 Schlägen besiegt. „Das war ein gutes Gefühl“, sagte Langer, der die Hackordnung bei der Einführung im April 1986 angeführt hatte. Der aus Anhausen stammende Wahlamerikaner hatte sich gemeinsam mit dem 24 Jahre alten Japaner Hideki Matsuyama auf den dritten Rang vorgeschoben. Langer hatte vor der Schlussrunde (bei Redaktionsschluss noch nicht beendet) nur zwei Schläge hinter dem Spitzenreiter Jordan Spieth gelegen, der mit einem Schlag Vorsprung vor dem krassen amerikanischen Außenseiter Smylie Kaufman am Sonntagabend (MESZ) auf die letzten 18 Löcher ging. Ein Profi, der im August 59 Jahre alt wird, in der Spitzengruppe des ersten Majors – das hatte außer Langer selbst kaum jemand für möglich gehalten. Denn alles sprach gegen den Routinier, wie er selbst ganz offen zugibt: „Mit meinen Abschlägen liege ich 40, 50 Meter, wenn es gut geht auch mal nur 30 Meter hinter den Longhittern wie Day. Das ist schon ein gewaltiger Nachteil.“ Vor allem auf einem Platz, der mit 6800 Metern viel länger ist als die Plätze auf der PGA Tour Championship. Langer dominiert diese Altherren-Serie (Ü 50), wie seine bisher 29 Siege bewei-

sen, darunter fünf Majors dieser Tour. Aber nicht wegen des Längennachteils gab dem deutschen Masters-Champion von 1985 und 1993 beim Masters kaum jemand eine Chance, vorn mitzumischen. Langer hat im Laufe seiner Karriere viermal unter dem schlimmsten Golferleiden, den „Yips“ gelitten. Langer hatte dieses unwillkürliche Muskelzucken mit dem Wechsel zum überlangen „Besenstiel-Putter“, den er ans Brustbein drückte, endgültig in den Griff bekommen. Am 1. Januar trat eine Regeländerung in Kraft, die das sogenannte „Anchoring“ verbietet, das Fixieren des Putters am Körper. Langer hatte nach Ende der Saison der Altherren-Tour im vergangenen November mit 25 bis 30 verschiedenen Puttern experimentiert, hatte jede erdenkliche Putting-Technik ausprobiert. Selbst in Augusta war er sich noch nicht sicher, ob er mit dem „Besenstiel“ auf die erste Runde gehen sollte. Am Dienstag spielte er die ersten neun Löcher einer Proberunde mit dem „Langen“ und die zweiten neun mit einem herkömmlichen Putter. Letztlich blieb er seinem gewohnten Arbeitsgerät treu, ohne ganz auf Altbewährtes zu verzichten: Beim Probeschwung fixiert er den Putter am Brustbein, hält ihn dann aber bei der Schlagausführung regelkonform ein paar Zentimeter vom Körper entfernt. Dass er auf den extrem schnellen und stark gewellten Grüns, die in der Welt des Profigolfs als die schwierigsten gelten, so gut zurecht kam, hat alle, nicht nur den aktuellen Primus Jason Day, erstaunt: „Es war unheimlich beeindruckend zu sehen, was Bernhard auf dem Platz macht, besonders, wenn man bedenkt, wie weit er nach dem Abschlag zurückliegt.“ Doch Langer hat sich weder von der Regeländerung noch von seinem Längennachteil von seiner Meinung abbringen lassen, dass er auf seinem Lieblingsplatz noch immer wettbewerbsfähig ist. Er weiß, dass er im Spätherbst seiner Profikarriere angekommen ist. Aber da er noch immer Freude am Wettkampf empfindet, tut er alles, um sie so lange wie möglich fortzusetzen. Mit 73 Kilogramm hat der 1,77 Meter große bayrische Schwabe das Gewicht seiner jungen Jahre über seine nunmehr vierzig Jahre währende Karriere gehalten. Er trimmt seinen Körper im Fitnessraum seines Hauses in Florida. Er geht seinem Job noch immer mit dem gleichen Elan und Trainingsfleiß nach. Als sich am Samstag schon die Dämmerung über den Platz senkte, stand Langer noch immer auf dem Übungsgrün. Diesen Ehrgeiz spürte auch Martin Kaymer, der nach drei Runden auf Platz 52 weit zurücklag und anerkannte, wer in Augusta der Bessere ist: „Auf jedem anderen Platz spiele ich gerne gegen Bernhard. Nur nicht hier.“ WOLFGANG SCHEFFLER

des Jahreswettumsatzes im gesamten deutschen Turf. Das Grand National ist aber auch berüchtigt schwierig: Es geht über die ungewöhnlich lange Distanz von 6900 Metern mit 30 schweren Sprüngen, um die sich viele Geschichten ranken. Sie tragen Namen wie Becher’s Brook – eine 1,50 Meter hohe Hecke, deren Landepunkt aber 2,40 Meter tiefer liegt als der Absprung – Canal’s Turn oder The Chair. Die Hindernisse sind mit losen Tannenzweigen abgedeckt, die von den Pferden beim Sprung leicht heruntergefegt werden. Doch im Kern bestehen sie aus einer festen Holzhecke, die kaum Fehler verzeiht. Doch ohne Fehler kommt kaum jemand über die zwei Runden. So auch nicht der Sieger, der beinahe am 27. Sprung zu Boden gegangen wäre. Doch der erst 19 Jahre alte Jockey David Mullins konnte sich im Sattel halten. Und der 33:1-Außenseiter Rule The World hatte auch nicht die Lust verloren. Ganz im Gegenteil – auf den letzten Metern legte er entscheidend zu und siegte am Ende mit sechs Längen vor dem Mitfavoriten The Last Samurai

(8:1) und dem größten Außenseiter im Feld Vics Canvas (100:1). „Es ist ein seltsames Gefühl“, berichtete Jockey Mullins, eine Neffe des irischen Erfolgstrainers Willie Mullins, nach seinem ersten Ritt im Grand National. „Du kannst es eigentlich nicht glauben. Der Sieg gehört dem Trainer. Mouse ist ein Genie. Keiner kann wie er ein Pferd so punktgenau vorbereiten.“ Es war in der Tat eine erstaunliche Trainingsleistung des 65-jährigen Iren Michael „Mouse“ Morris. Denn Rule The World hatte bei 13 Starts zuvor noch nie über Jagdhindernisse gewonnen. „Er hat sich zweimal das Becken gebrochen. Man kann sich gar nicht ausmalen, wie gut er wohl wäre, wenn er einen gesunden Hintern hätte“, sagte Morris, der selbst ein erfolgreicher Hindernisjockey war und seit 1981 trainiert. Für O’Leary gewann er 2006 den Cheltenham Gold Cup und kürzlich auch das Irish Grand National. Den Sieg im März widmete er seinem Sohn Christopher, der im vergangenen Jahr in Argentinien tödlich verunglückte. PETER MÜHLFEIT Foto dpa

BERLIN (dpa). Kresimir Loncar hatte dringenden Bedarf, sich nach seiner Disqualifikation beim 94:73-Erfolg über Bonn zu rechtfertigen. „Ich habe nichts gemacht“, sagte der 2,08-MeterMann von Alba Berlin. „Ich bin sicher nicht der heiligste Spieler der Welt. Aber heute gab es viele schmutzige Sachen, die die Schiedsrichter nicht sehen und die man auch im Fernsehen nicht sieht“, sagte der vor wenigen Wochen eingebürgerte Center. Er hatte nach einem Zweikampf dem Bonner Sean Marshall im Umdrehen einen Schlag versetzt und damit eine Prügelei ausgelöst, an deren Ende gleich sieben Spieler von den Schiedsrichtern disqualifiziert wurden. Neben den beiden Streithähnen wurden auch Loncars Kollege Will Cherry sowie vier weitere Bonner des Parketts verwiesen. „In meinem Zuhause lasse ich so etwas nicht zu. Da muss ich mich verteidigen“, sagte Loncar. Am kommenden Samstag wird er genauso wie Cherry gegen den abgeschlagenen Tabellenletzten Crailsheim aller Voraussicht nach gesperrt sein – ob die Sperre verlängert wird, entscheidet die Spielleitung der BBL in den kommenden Tagen. Bei Alba beschäftigt man sich mit der Behandlung des eigenen Teams durch Gegner und Schiedsrichter. „Loncar macht einen Schritt auf dem Feld und hat sofort drei Fouls. Man muss sein Niveau respektieren“, forderte Trainer Sasa Obradovic. Manager Marco Baldi sieht einen Trend, dass die Konkurrenten gegen Alba besonders brutal agieren: „Seit Wochen spielen die Gegner extrem hart und physisch gegen uns.“ Obradovic will seinen Stil angesichts der harten Gangart bei Alba-Spielen jedoch nicht ändern: „Ich werde meine Spieler weiterhin ans Maximum pushen.“

Grizzlys Wolfsburg im DEL-Finale NÜRNBERG (dpa). Die Grizzlys Wolfsburg haben zum zweiten Mal nach 2011 das Finale der Deutschen Eishockey Liga erreicht. Durch einen 2:1-(0:0-, 0:2-,1:0-)Sieg bei den Nürnberg Ice Tigers entschieden die Niedersachsen am Sonntag die „Best of Seven“-Serie im sechsten Match 4:2 zu ihren Gunsten. Gegner im Finale ist der EHC München, der sich gegen die Kölner Haie mit 4:1 Siegen durchsetzte. Damit steht fest, dass die DEL-Saison 2015/16 mit einem Premierenmeister enden wird. Das erste Endspiel findet am Freitag, 15. April, in München statt. In Nürnberg dominierte das HeimTeam am Sonntag nach zwei Siegen in den vergangenen beiden Play-off-Duellen nur im ersten Drittel. Danach waren die Gizzlys besser eingestellt und gingen durch das dritte Play-off-Tor von Sebastian Furchner in der 27. Minute in Führung. James Sharrow ließ neun Minuten später in 3:5-Unterzahl den zweiten Treffer folgen. Zwar gelang Daniel Heatley in der 53. Minute der Anschlusstreffer und leitete damit eine Drangphase ein, doch der Ausgleich fiel nicht mehr.

In Kürze Carlheinz Rühl gestorben Carlheinz Rühl, langjähriger Pressechef von Adidas und späterer Geschäftsführer bei der Stiftung Deutsche Sporthilfe, ist nach kurzer, schwerer Krankheit im Alter von 72 Jahren gestorben. Der gelernte Werbekaufmann aus Offenbach wurde 1971 erster Pressechef von Adidas, profitierte später von seinen Kontakten zur Sportwelt als Geschäftsführer der Fördergesellschaft der Stiftung Deutsche Sporthilfe, bevor er 1994 zur Deutschen Sport Marketing Gesellschaft wechselte. Von 1996 an betreute er mit eigener Marketingagentur den Deutschen Behindertensportverband. (re.)

Contador siegt und grübelt Der zweimalige Tour-de-France-Gewinner Alberto Contador hat zum vierten Mal die Baskenland-Rundfahrt gewonnen. Der Spanier setzte sich in der Gesamtwertung gegen den Kolumbianer Nairo Quintana und dessen Landsmann Sergio Henao durch. Der Erfolg, den der Radprofi durch seinen Sieg im Zeitfahren am Samstag sicherstellte, lässt ihn sogar sein für Ende 2016 prognostiziertes Karriereende überdenken. „Höchstwahrscheinlich werde ich weiterfahren“, sagte der 33-jährige Tinkoff-Kapitän. (dpa)

Wasserballer verpassen Rio Tückische Hürden: Die Tannenzweige fliegen locker davon, doch darunter verbirgt sich eine feste Holzhecke. Die späteren Sieger, Jockey David Mullins und sein Wallach Rule the World, wären am 27. Sprung fast gestürzt.

Die Olympischen Spiele finden wieder ohne deutsche Wasserballteams statt. Nachdem die Frauen bereits im März das Rio-Ticket verpasst hatten, folgte nun in Triest auch für die Männer das Aus. Nach einer enttäuschenden Vorrunde mit nur einem Sieg und einem Unentschieden in fünf Spielen verloren die Deutschen das entscheidende Viertelfinale gegen den favorisierten EM-Dritten Ungarn 7:8. (dpa)

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