Rechtliche Fragen zum Verlandungsprozess im Wohlensee sowie zu künstlichen Schüttungen in Seen

October 20, 2017 | Author: Curt Amsel | Category: N/A
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Rechtliche Fragen zum Verlandungsprozess im Wohlensee sowie zu künstlichen Schüttungen in Seen

Gutachten vom 21. Februar 2012 von Dr. Hans Maurer im Auftrag des Amtes für Umweltkoordination und Energie, Bau-, Verkehrs- und Energiedirektion des Kantons Bern

Advokaturbüro Maurer & Stäger, Hans Maurer, Dr.iur. et dipl.chem. Fraumünsterstrasse 17, Postfach 2018, CH-8022 Zürich phone 043 344 72 55; Fax 043 344 72 51 email: [email protected] Website: www.mst-law.ch

Inhalt 1.

2.

Ausgangslage und Fragestellung

1

1.1

Ausgangslage

1

1.2

Fragen

3

Antworten

3

2.1

Antwort auf Frage 1: Wem gehören die Verlandungsflächen (Uferstreifen, Inseln)?

3

2.2

Antwort auf Frage 2: Welche Nutzungsmöglichkeiten bestehen für die Verlandungsflächen?

6

2.3

Antwort auf Frage 3: Welchen Schutz geniessen die Verlandungsflächen als schützenswerte Lebensräume nach NHG?

16

Antwort auf Frage 4: Wie kann man die Verlandungsflächen raumplanerisch besser schützen?

18

Antwort auf Frage 5: Kann der Grundeigentümer die Verlandungsflächen verkaufen, verpachten oder verschenken?

19

Antwort auf Frage 6: Wie können die Zugänglichkeit und die Inanspruchnahme der Verlandungsflächen durch Dritte geregelt werden?

20

Antwort auf Frage 7: Sind bauliche Aktivitäten auf den Verlandungsflächen möglich? In welchem Verfahren?

21

Antwort auf Frage 8: Wie ist das Verhältnis zum Raumbedarf Gewässer nach GschG? Verschiebt sich der Raumbedarf mit wachsendem Uferstreifen zum neuen Ufer? Wenn ja: Wie ist rechtlich damit umzugehen? (analoge Problematik wie beim Wald)?

22

Antwort auf Frage 9: Wie ist die rechtliche Situation bei künstlichen Schüttungen in Seen? Stellen sich dabei dieselben Fragen wie bei der natürlichen Verlandung?

25

2.4 2.5 2.6 2.7 2.8

2.9

Seite 1

1. Ausgangslage und Fragestellung 1.1

Ausgangslage

1.

Der Wohlensee liegt wenige Kilometer westlich von Bern. Er entstand in den Jahren 1917 bis 1920 durch eine künstliche Aufstauung der Aare für die Stromproduktion (Gewichtsstaumauer von 29 Metern Höhe bei Mühleberg). Durch die Aufstauung wurden 300 Hektaren Land überflutet. Bei Vollstau beträgt die totale Fläche des Wohlensees 365 Hektaren und seine Länge 12 Kilometer. An der breitesten Stelle misst er 700 Meter. Eigentlich handelt es sich beim Wohlensee um einen Flussabschnitt. Aufgrund der geringen Strömungsgeschwindigkeit wird dieser aber als See wahrgenommen. Der Wohlensee ist ein beliebtes Naherholungs- und Wassersportgebiet für die Bewohner und Bewohnerinnen der Stadt Bern1.

2.

Für die eigentumsrechtliche Abgrenzung des Wohlensees wurden im Sinne des Schweizerischen Zivilgesetzbuches (ZGB) Grundstücke geschaffen, also Parzellen (Liegenschaften) mit je einem eigenen Grundbuchblatt. Diese Grundstücke erstrecken sich je auf den Seeabschnitt auf dem Gebiet der jeweiligen Standortgemeinde2. Gemäss Auskunft des Grundbuchamtes Bern-Mittelland stehen alle Wohlensee-Parzellen im Eigentum des Kantons Bern3. Wohlen b. Bern

Staumauer b. Mühleberg

Parz. 3338, Wohlen b. Bern Eigentümer: Kt. Bern

Mühleberg

Abb. 1

3.

Parz. 2048, Mühleberg Eigentümer: Kt. Bern

Frauenkappelen

1'000 m

Parz. 3, Frauenkappelen Eigentümer: Kt. Bern Parz. 4340, Stadt Bern Eigentümer: Kt. Bern

Übersicht Wohlensee, Eigentumsverhältnisse

Aus den Geodaten des Kantons Bern geht hervor, dass die Wohlensee-Parzellen des Kantons durchwegs nur bis an die Oberkante der Böschungen (im Zustand

1

http://de.wikipedia.org/wiki/Wohlensee.

2

Wohlen bei Bern, Frauenkappelen, Mühleberg.

3

Telefonische Auskunft vom 8. Februar 2012.

Seite 2

vor der Verlandung) oder einige Meter darüber hinaus reichen4. Daran schliesst sich eine Vielzahl von Parzellen von Privaten oder Gemeinden an. Der Grenzverlauf zeigt, dass die Parzellen anlässlich der Entstehung des Wohlensees gebildet und im Grundbuch eingetragen wurden. 4.

Für die im GIS eingetragenen Grenzpunkte der Parzellen verfügen das Vermessungsamt Bern und die anderen Vermessungszuständigen über die Koordinaten. Obwohl insbesondere bei einem Teil der Grenzen des Wohlensees die Grenzpunkte im Gelände nicht markiert sind (keine Marksteine, keine Bolzen), sind also die Grundstücksgrenzen fest und jederzeit bestimmbar5.

5.

Die Aare führt viel Geschiebe und Feinsedimente mit sich. Die geringe Fliessgeschwindigkeit im Wohlensee (Ziff. 1) bewirkt eine stetige und fortschreitende Verlandung. Seit dem Aufstau des Wohlensees haben sich insgesamt 8.8 Mio. Kubikmeter Feinsedimente abgelagert (jährlich knapp 100'000 m3)6. In den Gebieten, wo der Verlandungsprozess weitgehend abgeschlossen ist, bilden sich kleinere und grössere Inseln sowie ein immer breiter werdender Uferstreifen. Die neuen Flächen werden rasch von Pflanzen und Tieren besiedelt und bilden schützenswerte Lebensräume nach Natur- und Heimatschutzgesetz (NHG). Die neuen Flächen wecken aber auch Begehrlichkeiten bei Nachbarn (Anstössern) und werden zunehmend wild genutzt (Zelten, Grillen etc.). Sie sind weder einer raumplanungsrechtlichen Schutz- noch Nutzungszone zugewiesen.

6.

Das Amt für Umweltkoordination und Energie des Kantons Bern hat den unterzeichnenden Gutachter beauftragt, die nachstehenden Fragen 1 - 8 zum Verlandungsprozess zu beantworten.

7.

Im Kanton Bern werden derzeit künstliche Schüttungen in Seen diskutiert, um Ausbruchmaterial zu entsorgen. Hierzu ist die Frage 9 zu beantworten.

4

http://webmap.be-geo.ch/geodaten.php

5

Signatur im GIS: Doppelkreis in der Grenzlinie = Fixpunkt; Kreise in der Grenzlinie = Markierung im Gelände mit Marksteinen oder Bolzen; schwarze Punkte in der Grenzlinie = keine Markierung im Gelände (Telefonische Auskunft vom 21. Februar 2012 des Vermessungsamtes Bern).

6

Dazu BKW FMB Energie AG, Verlandungsstudie Wohlensee, Kurzfassung, Bern 2011. Bis der See vollständig verlandet sein wird, wird es mindestens 140 Jahre dauern.

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1.2

Fragen

Fragen zum Verlandungsprozess im Wohlensee: 1. Wem gehören die Verlandungsflächen (Uferstreifen, Inseln)? 2. Welche Nutzungsmöglichkeiten bestehen für die Verlandungsflächen? 3. Welchen Schutz geniessen die Verlandungsflächen als schützenswerte Lebensräume nach NHG? 4. Wie kann man die Verlandungsflächen raumplanerisch besser schützen? 5. Kann der Grundeigentümer die Verlandungsflächen verkaufen, verpachten oder verschenken? 6. Wie können die Zugänglichkeit und die Inanspruchnahme der Verlandungsflächen durch Dritte geregelt werden? 7. Sind bauliche Aktivitäten auf den Verlandungsflächen möglich? In welchem Verfahren? 8. Wie ist das Verhältnis zum Raumbedarf Gewässer nach GschG? Verschiebt sich der Raumbedarf mit wachsendem Uferstreifen zum neuen Ufer? Wenn ja: Wie ist rechtlich damit umzugehen? (analoge Problematik wie beim Wald)? Zusatzfrage zu künstlichen Schüttungen in Seen: 9. Wie ist die rechtliche Situation bei künstlichen Schüttungen in Seen? Stellen sich dabei dieselben Fragen wie bei der natürlichen Verlandung?

2. Antworten 2.1

Antwort auf Frage 1: Wem gehören die Verlandungsflächen (Uferstreifen, Inseln)?

8.

Die Frage nach dem Eigentum an den Verlandungsflächen (Uferstreifen, Inseln) beurteilt sich nach dem Sachenrecht des Schweizerischen Zivilgesetzbuches (ZGB) und den dazu gehörenden Bestimmungen des Berner Gesetzes zur Einführung des ZGB (EG ZGB). Wie gleich näher ausgeführt stehen die Verlandungsflächen aus zwei Gründen klar im Eigentum des Kantons Bern.

1. Grund: Bildung von Verlandungsflächen bewirkt keine Änderung von Parzellengrenzen: 9.

Wie erwähnt stehen die Parzellen, die den Wohlensee in seiner ursprünglichen Dimension im Zeitraum der Aufstauung der Aare umfassen (Jahr 1920), im Eigentum des Kantons Bern (Ziff. 2). Wird auf einer Parzelle die Gestalt des Terrains

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verändert, bewirkt dies keine Grenzverschiebung. Das veränderte Terrain gehört vielmehr zum ursprünglichen Grundstück. Nach Art. 660 Abs. 1 ZGB bewirkt nicht einmal das Verschieben von Boden "von einem Grundstück auf ein anderes" eine Veränderung der Parzellen-Grenzen. Die Bildung von Verlandungsflächen, Inseln und neuen Uferbereichen im Wohlensee ist aber nichts anderes als eine Terrainveränderung. Schon aus diesem Grund stehen die Verlandungsflächen, Inseln und neuen Uferbereiche im Eigentum des Kantons Bern. 10. Ob die Verlandungen von Menschen gemacht oder das Ergebnis eines natürlichen Prozesses sind, ist für die Eigentumsfrage ohne Bedeutung. So oder anders werden davon die Parzellengrenzen nicht berührt. 2. Grund: Kulturfähiges Land, das durch Anschwemmung, Anschüttung, Bodenverschiebung, Veränderungen im Lauf oder Stand eines öffentlichen Gewässers entsteht, gehört dem Kanton: 11. Weil bei der Schaffung des ZGB im Jahre 1907 die Grundstücksgrenzen bei Gewässern zum Teil noch nicht vermessen oder sonst klar abgegrenzt waren, regelte der Gesetzgeber ausdrücklich das Eigentum bei der Bildung von "der Ausbeutung fähigem Land" (sprich: kulturfähigem Land) aus öffentlichen Gewässern7:

7

Öffentliche Sachen werden in der juristischen Lehre zum Teil unterschieden in von der Natur geschaffene und künstlich geschaffene öffentliche Sachen (BSK ZGB II-Laim, N 1 zu Art. 659). Der Wohlensee ist ein künstlich geschaffenes öffentliches Gewässer. Weil aber Art. 659 ZGB keine Differenzierung nach von der Natur oder künstlich geschaffenen öffentlichen Sachen vornimmt, ist dies im vorliegenden Fall nicht von Bedeutung.

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12. Der Kanton Bern hat diese Regelung in seinem EG ZGB fast wörtlich wiederholt: Art. 76 EG ZGB B. Neues Land, herrenlose und öffentliche Sachen, dauernde Bodenverschiebung I. Neues Land [Fassung vom 21. 6. 1995] 1

Entsteht durch Anschwemmung, Anschüttung, Bodenverschiebung, Veränderung im Laufe oder Stand eines öffentlichen Gewässers, Rückgang eines Gletschers oder in anderer Weise aus herrenlosem Boden der Ausbeutung fähiges Land, so gehört es dem Staat. 2

Der Staat kann solches Land den Anstössern überlassen oder zu Zwecken des Flussunterhaltes bestimmen.

13. Auch nach Art. 659 Abs. 1 ZGB und Art. 76 Abs. 1 EG ZGB stehen die (kulturfähigen) Verlandungsflächen im Wohlensees im Eigentum des Kantons Bern8. 14. Solange neu entstandene Verlandungsflächen nicht kulturfähig sind, bilden sie öffentliche Sachen und können nicht Gegenstand von Privateigentum sein. In solchen Fällen stellt sich die Eigentumsfrage gar nicht. Solche Flächen stehen ohne weiteres im Eigentum bzw. unter der Hoheit des Kantons (hinten Ziff. 16 ff.). Fazit: Die Verlandungsflächen am Wohlensee stehen aus zwei Gründen klar im Eigentum des Kantons Bern: Erstens bewirken die Verlandungen keine Änderung von Parzellengrenzen. Da die Wohlensee-Parzellen grundbuchlich im Eigentum des Kantons stehen, gehören dazu auch die auf den Parzellen befindlichen Verlandungsflächen, Inseln und neuen Uferbereiche. Zweitens wären nach Art. 659 Abs. 1 ZGB und Art. 76 Abs. 1 EG ZGB sogar Verlandungsflächen, die kulturfähig sind, Eigentum des Kantons (und umso mehr solche, auf denen keine land- und forstwirtschaftliche Nutzung möglich ist).

8

Ohne eine solche Bestimmung hätte der private Nachbar geltend machen können, das angeschwemmte Land sei zufolge Akzession in sein Eigentum übergegangen (BSK ZGB II-Laim, N 1 zu Art. 659). Nach der zitierten Bestimmung ist ihm diese Forderung verwehrt.

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2.2

Antwort auf Frage 2: Welche Nutzungsmöglichkeiten bestehen für die Verlandungsflächen?

2.2.1 Vorabklärungen 15. Bei der Nutzung von Verlandungsflächen ist zu unterscheiden, ob diese durch Dritte (Freizeitnutzer, Anstösser und weitere Private) oder durch den Kanton selbst erfolgt. Im ersten Fall werden die Nutzungsmöglichkeiten durch das öffentliche Recht und das Privatrecht (weil der Wohlensee im Eigentum des Kantons Bern steht und ein öffentliches Gewässer bildet, nachfolgend) bestimmt. Im zweiten Fall sind sie nur durch das öffentliche Recht begrenzt Wohlensee ist öffentliches Gewässer nach Art. 664 ZGB: 16. Gewässer gelten im zivilrechtlichen Sinn als Sachen. Das ZGB unterscheidet zwei Arten von Sachen: die (normalen) "Sachen", welche Gegenstand des Privateigentums sein können, und die "öffentlichen Sachen", die (zwingend) unter der Hoheit des Kantons stehen und an denen kein Privateigentum erworben werden kann9. Die letzteren sind geregelt in Art. 664 ZGB:

17. Die Begründung der Öffentlichkeit einer Sache bedarf grundsätzlich eines Verwaltungsaktes (einer Widmung) der zuständigen Behörde. Bei den öffentlichen Gewässern erfolgt die Widmung von Gewässern als "öffentliche Sache" in allen Kantonen durch einen Akt des Gesetzgebers (kantonal Gesetz)10. In diesen kantonalen Gesetzen werden der Umfang und die Abgrenzung der öffentlichen Gewässer vom Land, das sie umgibt, definiert. Im Zusammenspiel mit Art. 664 Abs. 2 ZGB bewirken diese Gesetze eine "Vermutung der Öffentlichkeit" der so definierten Gewässer. In den meisten Kantonen ist die gesetzliche Regelung schlicht so, dass alle Oberflächengewässer öffentlich erklärt werden. Teilweise folgen dann noch Präzisierungen oder Ausnahmen für Sonderfälle. Im Kanton Bern findet sich die entsprechende gesetzliche Regelung in Art. 2 Wassernutzungsgesetz (WNG):

9

BSK ZGB II-Rey/Strebel, N 1 zu Art. 664.

10

BSK ZGB II-Rey/Strebel, N 1, 25 ff. zu Art. 664.

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Art. 2 Öffentliches und privates Wasser 1

Öffentliches Wasser hinsichtlich der Nutzung sind

a. und b. (…) c. die stehenden und fliessenden Oberflächengewässer mit ständiger Wasserführung und einem festen Gerinne 2

Bestehende private Rechte (Erwerbstitel oder Ausübung seit unvordenklicher Zeit) an öffentlichem Wasser werden anerkannt.

3

Privates Wasser sind die übrigen Gewässer, insbesondere die Quellen, die nicht unter Absatz 1 Buchstabe b fallen.

18. Da der Wohlensee eine ständige Wasserführung und ein festes Gerinne aufweist, bildet er ohne weiteres ein öffentliches Gewässer im Sinne von Art. 1 Bst. c WNG und Art. 664 Abs. 2 ZGB. Eine Frage bleibt allerdings zu klären, nämlich der genaue Umfang des öffentlichen Oberflächengewässers nach Art. 1 Bst. c WNG im Allgemeinen und beim Wohlensee im Besonderen. Namentlich zu klären ist, ob die Verlandungsflächen Teil noch des öffentlichen Gewässers sind (nachfolgend). Klärung der Zugehörigkeit der Verlandungsflächen zum öffentlichen Gewässer "Wohlensee": 19. Gemäss Bundesgericht erlangen Gewässer die Öffentlichkeit (im Sinne von Art. 664 Abs. 2 ZGB) nicht nur aufgrund ihrer natürlichen Beschaffenheit, sondern auch aufgrund der kantonalen Rechtsordnungen (Art. 664 Abs. 3 ZGB)11. Der Kanton Bern hat jedoch nur eine sehr knappe Definition der öffentlichen Oberflächengewässer im Gesetz verankert (vorstehend). 20. Mangels einer näheren Definition der Oberflächengewässer nach Art. 1 Bst. c WNG im Kanton Bern12 ist von den bundesrechtlichen und den von der Rechtsprechung entwickelten Abgrenzungen auszugehen. Soweit sich diese auf den Gewässerumfang im Sinne des Gewässerschutzes (GSchG) beziehen, bilden sie zumindest Indizien für den Umfang des öffentlichen Gewässers. Diese Abgrenzungen werden im Folgenden ausgeführt: - Nach dem Bundesgericht sind der Strandboden eines Sees sowie die Bachund Flusssohle als der kantonalen Hoheit unterstellt zu betrachten, da deren

11

BGer 2C_622/2010 vom 20. Dezember 2010, E. 3.2.

12

Weder im WNG noch WBG finden sich dazu konkrete Abgrenzungsregeln. Art. 3 WBG erwähnt nur, dass der Wasserlauf, der kein Bett gebildet hat, nicht als Fliessgewässer gilt.

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Beschaffenheit mit jener des kulturunfähigen Landes vergleichbar ist13. Generell ist die Unterstellung unter die öffentlichen Sachen danach zu bestimmen, ob eine Fläche der Kultur fähig ist. Lässt sich dort keine planmässige landoder forstwirtschaftliche Nutzung erzielen, liegt eine öffentliche Sache vor. Blosse Vegetationsinseln inmitten eines einen gewissen natürlichen Zusammenhang aufweisenden, die planmässige forst- oder landwirtschaftliche Nutzung ausschliessenden Gebiets ändern an dessen Natur als kulturunfähiges Land nichts14. - Nach einem Entscheid der BVE knüpft das kantonale Recht für die Gewässereigenschaft an der Existenz eines Gewässerbetts an15. Mit anderen Worten kann dort, wo die gestaltende Kraft des Wassers regelmässig wirkt (z.B. bei den jährlichen Hochwassern) von einem Gewässerbett und damit von einem Gewässer ausgegangen werden. - Die Definition der Oberflächengewässer nach Art. 4 Bst. a GSchG erfasst als Gewässer nicht nur den wasserführenden Teil des Gewässerbetts, sondern auch die Böschung des Gewässers und die tierische und pflanzliche Besiedlung. Zum Oberflächengewässer gehören also auch die Ufer mit den dort allenfalls wachsenden Bäumen und anderen Pflanzen. Nebst dem Ufer gehört auch die Böschung zum Gewässer. Aus dem Wortlaut, der Botschaft des Bundesrates zur Gewässerdefinition16 und dem Sinn der Bestimmung (umfassender Gewässerschutz) folgt, dass die gesamte Böschung bis zur Oberkante zum Gewässer gehört. Die Umschreibung von Art. 4 Bst. a GSchG stellt eine Minimalfestlegung der Oberflächengewässer dar, die von den Kantonen nicht unterschritten werden darf. 21. Aus diesen Eckwerten für den Begriff des öffentlichen Gewässers und der öffentlichen Sachen folgt: - Die periodisch (z.B. jährlich mindestens einmal) überschwemmten Teile der Verlandungsflächen gehören ohne weiteres zum Gewässer. Sie bilden einen Teil des Gewässerbettes des Wohlensees.

13

BGer. vom 15.3.2001, ZGBR 2002, 235 ff.; BSK ZGB II-Rey/Strebel, N 1, 34. zu Art. 664.

14

BGer. vom 15.3.2001, ZGBR 2002, 235 ff.; BSK ZGB II-Rey/Strebel, N 1, 39 zu Art. 664.

15

Art. 3 Abs. 2 WBG; Entscheid BVE vom 29. Juni 2010, RA Nr. 140/2009/27, E. 2.

16

In der Botschaft des Bundesrates zum GSchG von 1991 wird dazu ausgeführt (BBl 1987 II 1105): "Die vielfachen Wechselwirkungen, die in einem oberirdischen Gewässer zwischen dem Wasser, der Gewässersohle, der Böschung und der vom Gewässer abhängigen Tier- und Pflanzenwelt bestehen, verlangen eine ganzheitliche Gewässerdefinition. Als Beispiel solcher Zusammenhänge sei der Einfluss des Schattenwurfs der Böschungsbestockung auf die Wasserqualität erwähnt."

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- Verlandungsflächen, die wenigstens alle paar Jahre überschwemmt werden, gehören zum öffentlichen Gewässer, weil sie die Funktion eines Strandes haben und wie eine (flache) Böschung wirken. Zudem wächst auf ihnen eine gewässertypische pflanzliche Besiedlung. - Bei Verlandungsflächen, die seltener (alle 10 Jahre oder seltener) überschwemmt werden, kann die Zugehörigkeit zum Gewässer fraglich sein. Aufgrund der Terrainverhältnisse beim Wohlensee liegen diese Flächen niveaumässig unterhalb der Böschungsoberkante. Dies spräche dafür, sie als Böschungen zu betrachten und dem Gewässer zuzuschlagen. Bei grösseren, selten überschwemmten Inseln kann aber auch argumentiert werden, der innere Teil der Insel (nicht aber die Uferbereiche) hätte keine Wechselwirkung mehr zum Gewässer, denn dies ist das Kriterium, weshalb der Bund auch die Böschungen als Teil der Gewässer definiert (FN 16). Solange auf diesen Flächen nicht durchgehend eine planmässige land- oder forstwirtschaftliche Nutzung möglich ist, bilden sie noch eine öffentliche Sache (gehören aber allenfalls nicht mehr zum öffentlichen Gewässer). 22. Nach meiner Einschätzung17 gehören derzeit mit einer Ausnahme alle Verlandungsflächen im Wohlensee zum Gewässer selbst. Einzig bei der bewaldeten Insel oberhalb der Brücke bei Wohlei (unten Ziff. 27) ist der Charakter als öffentliche Sache fraglich, da diese allenfalls planmässig forstwirtschaftlich genutzt werden könnte. Zweifellos wird es in Zukunft mehr Inseln oder Uferverlandungen geben, deren Zugehörigkeit zum Gewässer oder Charakter als öffentliche Sache fraglich ist. Wie noch gezeigt wird, erlangen dadurch Dritte allerdings keine grösseren Nutzungsrechte.

2.2.2 Nutzungsmöglichkeiten für Dritte bei zum öffentlichen Gewässer gehörenden Verlandungsflächen: 23. Die Nutzung der öffentlichen Gewässer ist ein Regalrecht des Kantons Bern (Art. 3 Abs. 1 WNG). Die Nutzungsmöglichkeiten für Dritte (Freizeitnutzer, Nachbarn und andere Private) sind stark beschränkt. Im Wesentlichen dürfen Gewässer (inkl. Verlandungsflächen) nur wie folgt genutzt werden: I.

17

Ohne Konzession oder Sondernutzungsbewilligung des Kantons dürfen Dritte die Gewässer nur im Rahmen des Gemeingebrauchs nutzen. Nach Art. 7 WNG gehört dazu die "Wassernutzung in geringem Umfang". Analog gilt für die zum Gewässer gehörenden Verlandungsflächen: Nutzung der Verlan-

Basierend auf den im Internet publizierten Fotos und Luftbildern.

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dungsflächen in geringem Umfang. Was darunter zu verstehen, kann der Wassergesetzgebung des Kantons Bern nur sinngemäss entnommen werden. So regelt Art. 4 der Verordnung vom 24. Oktober 1990 über die Erhebung von Abgaben bei gesteigertem Gemeingebrauch oder Sondernutzung von öffentlichen Gewässern (GS 767.25): Art. 4 Benutzungsarten 1

Die Inanspruchnahme von öffentlichen Gewässern in der Form des gesteigerten Gemeingebrauchs ist bewilligungspflichtig, in der Form der Sondernutzung konzessionspflichtig.

2

Bojen und Schiffsliegeplätze sind Benutzungsarten im Rahmen des gesteigerten Gemeingebrauchs, Hafenanlagen und Bootshäuser Benutzungsarten, die eine Sondernutzung darstellen. 3

Kann die Inanspruchnahme von öffentlichen Gewässern keinem der in Absatz 2 typisierten Nutzungstatbeständen zugewiesen werden, ist bei der Zuordnung zu einer der beiden Benutzungsarten vor allem auf die Intensität der Nutzung, die Dauer des erteilten Rechts sowie auf die Entziehbarkeit oder Nichtentziehbarkeit des erteilten Rechts abzustellen.

Danach können etwa noch als Gemeingebrauch gelten: -

das Betreten und zeitlich beschränkte Verweilen auf den Verlandungsflächen (z.B. zum Einnehmen eines Picknick, zum Baden, zum Geniessen der Natur)

-

das Betreten zum Ausüben der Fischerei oder Jagd (soweit fischerei- bzw. jagdrechtlich erlaubt, vgl. aber Ziff. 30 ff.)

-

das Spazierenführen von angeleinten Hunden (Laufen lassen von einzelnen Hunden fraglich),

-

das Aufstellen und Betreiben eines mitgebrachten Grills (und danach dessen Entfernung)

Bereits nicht mehr vom Recht des Gemeingebrauchs gedeckt ist das Zelten, Einrichten von Feuerstellen*, Anlanden von Booten*, Abhalten von Veranstaltungen*, Aufstellen von festen Einrichtungen*, Beweiden der Flächen*, das Ausgraben von Pflanzen, die Entnahme von Steinen oder anderem Material (Kleinstmengen ausgenommen), Terrainveränderungen, Ablagern von Abfällen oder anderen Stoffen, Verschmutzungen etc. * wegen der Intensität der Nutzung und möglichen Beschädigung der Flächen

II. Mittels einer Bewilligung für gesteigerten Gemeingebrauch oder Konzession für Sondernutzung nach Art. 8 ff. WNG könnte der Kanton Dritten weitergehende Nutzungen erlauben, soweit diese nach GSchG zulässig sind und auch keine anderen öffentlichrechtlichen Schutzbestimmungen entgegen stehen (unten Ziff. 28 ff.). Insbesondere ist zu beachten, dass Gewässer im Sinne von Art. 17 des Raumplanungsgesetzes (RPG) Schutzzonen und damit "Nichtbaugebiete" sind.

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Empfehlung: Zur Klärung der Sach- und Rechtslage kann der Kanton Bern in der erwähnten "Verordnung über die Erhebung von Abgaben bei gesteigertem Gemeingebrauch oder Sondernutzung von öffentlichen Gewässern" die zulässigen Tatbestände des Gemeingebrauchs umschreiben. Um die Verlandungsflächen zu erfassen (auch solche, die nicht mehr zum Gewässer gehören), sollte er ausdrücklich regeln, dass sich die Regeln auf Verlandungsflächen beziehen. Anstelle einer solchen Verordnungsänderung kann der Kanton die Nutzung der Verlandungsflächen über das Naturschutzrecht näher regeln (unten Kap. 2.3).

bei nicht mehr zum Gewässer aber als öffentliche Sache geltenden Verlandungsflächen: 24. Die Rechtslage ist grundsätzlich gleich wie bei den Verlandungsflächen, die zum Gewässer gehören (Ziff. 23): ohne Bewilligung für gesteigerten Gemeingebrauch oder Konzession für Sondernutzung dürfen Private diese nur im beschränkten Rahmen des Gemeingebrauchs nutzen. bei Verlandungsflächen, die keine öffentlichen Sachen mehr sind: 25. In der Zukunft werden sich Verlandungsflächen sukzessive in Wald oder begrünte Flächen wandeln. Sobald sie planmässig forst- oder landwirtschaftlich genutzt werden könnten, gelten sie nicht mehr als öffentliche Sache. In diesem Zustand wird das Nutzungsrecht von Dritten insbesondere durch das Eigentumsrecht des Kantons Bern an den Flächen bestimmt. Grundsätzlich kann der Kanton Bern Dritte von jeder Nutzung (auch vom Betreten der Flächen oder vom Laufen lassen von Hunden) abhalten, weil er Grundeigentümer der Flächen ist. Lediglich bei Flächen, die "Wald oder Weide" sind, besteht nach Art. 699 ZGB ein Betretungs- und Aneignungsrecht (für Beeren und Pilze):

26. Das Betretungs- und Aneignungsrecht nach Art. 699 Abs. 1 ZGB besteht nur bei Wald- und Weidegrundstücken. Es stellt sich die Frage, was darunter zu verstehen ist. Art. 699 Abs. 1 ZGB definiert die Begriffe "Wald" und "Weide" nicht näher. Nach der juristischen Praxis und Lehre sind für den Wald die qualitativen Merkmale des Waldbegriffs gemäss Art. 2 WaG und WaV massgebend. Wald ist somit jene Bodenfläche, die mit typischen Waldbäumen bestockt ist und Waldfunktionen erfüllt (namentlich Schutz-, Wohlfahrts- und Nutzfunktionen). Nur aus-

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nahmsweise gelten auch sehr schmale, mit Waldbäumen- oder Sträuchern bewachsene Flächen von einer bestimmten Längsausdehnung als Wald, wenn diese in besonderem Masse Wohlfahrts- oder Schutzfunktionen aufweisen. Quantitative Kriterien (Mindestfläche, -breite, Alter der Bestockung auf einwachsenden Flächen) haben lediglich die Hilfsfunktion, bei kleineren Bestockungen die Qualifizierung als Wald zu erleichtern. Ob der Wald in einer anderen Nutzungszone (z.B. Landwirtschaftsgebiet, Naturschutzzone) liegt, ändert nichts am Waldcharakter18. 27. Als Weide gelten Grundstücke, deren ausschliessliche oder zumindest primäre Nutzung im ausschliesslichen Weidenlassen von Vieh besteht19. Darunter fallen vor allem in den Bergen oder Vorsassen (Voralpen) gelegene, praktisch ausschliesslich durch Weidenlassen des Viehs genutzte Grundstücke20. Solange eine Weidenutzung auf Verlandungsflächen nicht erfolgt (z.B. weil der Kanton dort Naturschutzgebiete eingerichtet hat), besteht kein Betretungsrecht nach Art. 699 Abs. 1 ZGB. Massgebend ist die tatsächliche, nicht die theoretisch mögliche Nutzung. Bewaldete Insel oberhalb der Brücke bei Wohlei allenfalls keine öffentliche Sache mehr: Ausserhalb der Bauzonen, also auch bei den Verlandungsflächen im Wohlensee gilt ein dynamischer Waldbegriff. Damit kann auf Verlandungsflächen mit der Zeit Wald entstehen. Vorausgesetzt sind dafür: Eine Mindestfläche mit Waldsaum von 800 Quadratmetern, eine Mindestbreite 21 von 12 Metern und ein Mindestalter der Bestockung von 20 Jahren . Aus Luftbildern geht hervor, dass bislang erst eine Fläche von rund 170 Metern Länge und 50 Metern Breite oberhalb der Brücke von Wohlei die Qualitäten an Wald erfüllen kann. Dort bestünde ein Betretungsrecht nach Art. 699 Abs. 1 ZGB für Dritte. Im Wesentlichen ist damit aber nur das Betreten 22 und Verweilen erlaubt sowie das Pflücken von Beeren und Pilzen . Das Anlegen von Feuerstellen ist aufgrund der Schädigungswirkung für die Wurzeln und den Boden nicht zulässig, obwohl die ZGB-Kommentatoren dies offen lassen. Das gelegentliche Laufen lassen von Hunden ist vom Betretungsrecht noch gedeckt. Allerdings liegt die Fläche im WZVV-Reservat Nr. 109 Wohlensee, Halenbrücke bis Wohleibrücke, weshalb Hunde anzuleinen sind (unten Ziff. 30 ff.).

18

BSK ZGB II-Heinz Rey, N 7 ff. zu Art. 699 mit Hinweisen.

19

BSK ZGB II-Heinz Rey, N 12 zu Art. 699 mit Hinweisen.

20

Zürcher Kommentar ZGB (Zürich 1977), N 4 zu Art. 699.

21

Art. 3 Abs. 1 Kantonales Waldgesetz vom 5. Mai 1997 (GS 921.11).

22

BSK ZGB II-Heinz Rey, N 14 zu Art. 699 mit Hinweisen. Markus Bossard, in: Zürcher Wald 2/2009, S. 15 f.

Seite 13

Nutzungsbeschränkungen für alle Verlandungsflächen aus dem öffentlichen Recht: 28. Nutzungsbeschränkungen für alle Verlandungsflächen ergeben sich auch aus dem öffentlichen Recht, nämlich einerseits aus Schutzgebietsfestlegungen (Ziff. 29 und 30) und andererseits aus generell-abstrakten Schutzbestimmungen, die an bestimmte Sacheigenschaften (z.B. Ufervegetation) anknüpfen (Ziff. 31 ff.). 29. Nach NHG geschützt sind bislang keine Wasser- oder Verlandungsflächen im Wohlensee. Im Richtplan-Informationssystem des Kantons Bern finden sich lediglich einige an den Wohlensee angrenzende Naturschutzgebiete. 30. Der Wohlensee ist in seinem östlichen Teil (östlich von Wohlen bei Bern) ein Wasser- und Zugvogelreservat von nationaler Bedeutung nach der Verordnung über die Wasser- und Zugvogelreservate von internationaler und nationaler Bedeutung (WZVV; Reservat Nr. 109 Wohlensee, Halenbrücke bis Wohleibrücke). In diesem Teil ist die Nutzung stark eingeschränkt. Namentlich dürfen dort Tiere (Vögel) nicht gestört werden, es gilt eine Leinenpflicht für Hunde, ein Jagdverbot, ein Modellbootverbot usw. (Art. 5 WZVV). Der Kanton hat bei der Erfüllung seiner Aufgaben dafür zu sorgen, dass den Schutzzielen der Reservate Rechnung getragen wird (Art. 6 Abs. 1 WZVV). Da auf neu gebildeten Verlandungsflächen seltene Bodenbrüter wie Flussregenpfeifer brüten können, erscheint es nötig, dass der Kanton Bern diese Flächen im WZVV-Gebiet während der Brutzeit (April bis Juli23) mit einem absoluten Betretungsverbot belegt. Dasselbe gilt für die mit Schilf, Seggen etc. bewachsenen Uferbereiche im WZVV-Gebiet. Der Schutz ist eine Aufgabe des Kantons Bern. Er hat dafür (u.a.) Reservatsaufseher einzusetzen (Art. 11 WZVV) und erhält vom Bund zur Finanzierung eine jährliche Abgeltung von CHF 14'000.- (Art. 14 WZVV). 31. Generell-abstrakte Schutzbestimmungen: Die Gesetzgebung enthält verschiedene Regeln, die den Schutz von Flächen an bestimmte Eigenschaften anknüpfen. Von Bedeutung sind:

23

I.

Gewässer bilden im Sinne von Art. 17 des Raumplanungsgesetzes (RPG) Schutzzonen und damit "Nichtbaugebiete". Der Wohlensee und die Verlandungsflächen sind dementsprechend keiner Bauzone zugeordnet. Es gilt ein grundsätzliches Bauverbot (mehr dazu unter Ziff. 46 ff.).

II.

Schutz der Gewässerräume nach Art. 36a GSchG. Nach den Übergangsbestimmungen der Gewässerschutzverordnung (GSchV) zur Änderung vom 4. Mai 2011 gilt in den Uferstreifen beidseits des Gewässers ein weitgehendes

Brutzeit Flussregenpfeifer: http://de.wikipedia.org/wiki/Flussregenpfeifer; Brutzeit Flussuferläufer: http://de.wikipedia.org/wiki/Flussuferl%C3%A4ufer

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Bauverbot (Art. 41c GSchV). Bei stehenden Gewässern und Fliessgewässern mit mehr als 12 Meter Breite (also auch beim Wohlensee) misst der Uferstreifen 20 Meter (Abs. 2 Bst. b und c der Übergangsbestimmungen). Sobald die Gewässerräume vom Kanton im Sinne von Art. 41 a und b GSchV definitiv festgelegt sind, gilt nach Art. 41c Abs. 3 und 4 GSchV zusätzlich eine Pflicht zur extensiven Gestaltung und Bewirtschaftung. Da die Inseln im Gewässerraum liegen (hinten Ziff. 49 ff.), gelten auf Ihnen die Nutzungsbeschränkungen von Art. 41c GSchV. III. Schutz der Ufervegetation nach Art. 21 NHG. Ufervegetation liegt nach der älteren bundesgerichtlichen Rechtsprechung (Jahr 1984) vor im Schwankungsbereich des Spiegels eines stehenden oder fliessenden Gewässers unter Berücksichtigung von Hochwassern mit Ausnahme "ganz selten vorkommender"24. Die Verlandungsflächen des Wohlensees werden periodisch von Hochwasser überschwemmt. Die auf den Verlandungsflächen wachsende Vegetation gilt schon nach diesem Urteil klar als Ufervegetation nach Art. 21 NHG und ist geschützt. Im Jahre 1997 veröffentlichte das BUWAL (heute: BAFU) eine Publikation zur Ufervegetation. Danach wird die landseitige Begrenzung der (geschützten) Ufervegetation durch Pflanzen gebildet, deren Hauptwurzelraum im Bereich des vom See beeinflussten Grundwassers liegt. Ausschlaggebend sind dabei die Grundwasserspitzen. Der Grundwassereinfluss muss nicht dauernd, sondern kann episodisch sein25. Damit liegt auch noch Ufervegetation auf Verlandungsflächen vor, die nicht mehr regelmässig von Hochwasser überdeckt werden. Nach Art. 21 NHG darf die "Ufervegetation (Schilf- und Binsenbestände, Auenvegetationen sowie andere natürliche Pflanzengesellschaften im Uferbereich) weder gerodet noch überschüttet noch auf andere Weise zum Absterben gebracht werden". Die Bestimmung richtet sich vor allem gegen die Überbauung von Ufern, Terrainveränderungen, Verwendung von Pflanzenschutzmitteln oder Dünger. Sie bildet demgegenüber kein taugliches Mittel gegen vorübergehende Schädigungen wie etwa durch das Feuer machen oder Zelten. IV. Schutz von Hecken und Feldgehölzen nach Art. 27 des kantonalen Naturschutzgesetzes (NSG). Danach sind "Hecken und Feldgehölze in ihrem Bestand geschützt". Wenn auf den Verlandungsflächen Gehölze stocken, stellt sich die Frage, ob diese als Hecken oder Feldgehölze gelten. Handelt es sich um Gehölzstreifen aus niedrigen und hohen Büschen eventuell er-

24

BGE 110 Ib 118 f.; Keller et al, Kommentar zum Natur- und Heimatschutzgesetz, Zürich, N 14 zu Art. 21 mit Hinweisen.

25

BUWAL, Ufervegetation und Uferbereich, Bern 1997, S. 15.

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gänzt mit einzelnen Bäumen dürfte es sich um eine (geschützte) Hecke handeln26. Solche bestehen derzeit insbesondere entlang der Ufer. V.

Rodungsverbot von Wald nach Art. 5 Waldgesetz (WaG). Soweit auf Verlandungsflächen im Wohlensee Wald stockt, geniessen diese Flächen den Rodungsschutz nach Art. 5 WaG.

VI. Nach Art. 1 Abs. 1 Verordnung vom 26. Februar 2003 über den Wildtierschutz (WTSchV) ist jedermann verpflichtet "bei Arbeiten, Freizeitaktivitäten und Veranstaltungen sowie bei der Planung, der Errichtung oder dem Betrieb von Bauten und Anlagen auf die Bedürfnisse der betroffenen Wildtiere gebührend Rücksicht zu nehmen und sie vor vermeidbaren Störungen, vor Verletzung oder vor Tötung zu bewahren".

2.2.3 Nutzungsmöglichkeiten für den Kanton Bern 32. Der Kanton Bern unterliegt nur den öffentlich-rechtlichen Nutzungsbeschränkungen (oben Ziff. 28 - 31).

26

Vgl. zum Heckenbegriff: Keller et al (a.a.O.), N 20 zu Art. 18 mit Hinweis auf einen unveröffentlichten Entscheid des Bundesgerichts.

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Fazit: Die Nutzung der Verlandungsflächen wird durch das Privatrecht und das öffentliche Recht geregelt. Die Möglichkeiten zur Nutzung der Verlandungsflächen sind stark beschränkt. Im Wesentlichen gilt:

Nutzung durch Dritte

Nutzung durch Kanton Bern Tab. 1

2.3

Wirkungen des Privatrechts bei Verlandungsflächen, die öffentliche Sachen sind: - nur Nutzung im Rahmen des Gemeingebrauchs (= Recht, die Flächen zu betreten und für eine beschränkte Zeit dort zu verweilen) - keine weitergehende Nutzung (würde Bewilligung für gesteigerten Gemeingebrauch oder Konzession für Sondernutzung erfordern) bei Verlandungsflächen, die keine öffentlichen Sachen mehr sind: - Betretungsrecht und Aneignungsrecht nach Art. 699 nur bei Flächen, die Wald oder Weide sind - keine weitergehende Nutzung keine Beschränkung der Nutzung

Wirkungen des öffentlichen Rechts - grundsätzliches Bauverbot nach RPG - keine Bauten und Anlagen im Gewässer und Uferstreifen bzw. Gewässerraum; extensive Gestaltung und Bewirtschaftung Gewässerraum - keine Zerstörung Ufervegetation - keine Zerstörung von Hecken - keine Waldrodungen - Rücksichtnahme auf Vögel und andere Wildtiere; Unterlassung von vermeidbaren Störungen - zusätzlich im WZVV-Reservat Nr. 109 (Wohlensee, Halenbrücke bis Wohleibrücke): Einhaltung Reservatsbestimmungen

Übersicht über die Nutzungsmöglichkeiten

Antwort auf Frage 3: Welchen Schutz geniessen die Verlandungsflächen als schützenswerte Lebensräume nach NHG?

33. Die Verlandungsflächen im Wohlensee wurden gebildet aus nährstoffarmen Feinsedimenten und feinem Geschiebe. Bei Hochwasser werden sie periodisch überflutet. Der Pflanzenbewuchs stellt sich nur allmählich ein und ist lückig. Es handelt sich um typische Ruderal- und Sukzessionsflächen, wie sie entlang von Flüssen und in Auengebieten vorkommen. Sie bilden Lebensraum für viele seltene Pflanzen- und Kleintiere, namentlich Vögel, Reptilien und Insekten27. Für zahlreiche ans

27

Verlandungsstudie Wohlensee (FN 6), S. 1; Bau-, Verkehrs- und Energiedirektion des Kantons Bern, Kantonaler Wasserbauplan, Nachhaltiger Hochwasserschutz Aare Thun–Bern, Bern 2009, S. 32; Übersicht über Naturreservate in Wohlen auf der Website: https://secure-wohlen.formatwebagentur.ch/de/stadtverwaltung/dienstleistungen/dokumente/Naturreservate.pdf; so wächst etwa

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Wasser gebundene Tierarten sind vegetationsfreie Uferbereiche von existentieller Notwendigkeit. Gegen 10% der Tierarten sind auf diesen Lebensraum angewiesen28. Die Flachwasser- und Schlickzonen mit Inseln bilden ideale Rastplätze für durchziehenden Limikolen wie Wasserläufer, Schnepfen etc. und überwinternde Wasservögel wie Schnatterente, Krickente etc. Solche Flächen sind im Schweizer Mittelland aufgrund der vielen Gewässerkorrektionen sehr selten geworden. Aufgrund ihrer Seltenheit und Bedeutung als Lebensraum sind sie klar als Biotope von regionaler Bedeutung einzustufen, für deren Schutz und Unterhalt der Kanton nach Art. 18b NHG sorgen muss (möglicherweise erlangen die Flächen in Zukunft sogar die Qualität eines Biotops von nationaler Bedeutung). Die Verlandungsflächen bilden schutzwürdige Biotope im Sinne von Art. 18 NHG29. Art. 18 Abs. 1 bis NHG nennt als schutzwürdige Biotope namentlich die "Uferbereiche". Erforderlich ist ein gebietsbezogener Rechtsakt im Sinne von Art. 18 ff. NHG und Art. 6 NSG (sog. Schutzbeschluss). 34. Eine öffentlich-rechtliche Schutzwirkung für die Verlandungsflächen gegen nicht-bewilligungspflichtige, im Rahmen des Gemeingebrauchs (bei Wald und Weide: des freien Trittrechts nach Art. 699 ZGB) liegende Nutzungen, namentlich Freizeitnutzungen wie das Begehen, das Verweilen oder Laufen lassen von Hunden, entsteht bei solchen Flächen erst, wenn sie mit einem konkreten, gebietsbezogenen Rechtsakt unter Schutz gestellt werden. Dies ist auf kantonaler und nationaler Ebene bislang erst punktuell geschehen (wenige, an den Wohlensee angrenzende Naturschutzgebiete, WZVV-Reservat Nr. 109). Im Übrigen besteht nach NHG bislang nur ein Schutz der Ufervegetation nach der generellabstrakten Schutzregel von Art. 21 (oben Ziff. 31). Bedarf für Schutzmassnahmen nach NHG: 35. Wie in Kap. 2.2 ausgeführt ist die Nutzung der Verlandungsflächen schon nach dem bestehenden Recht stark eingeschränkt. Ein weitergehender Schutz nach dem NHG erscheint trotzdem nötig: - Die bestehenden Nutzungsbeschränkungen sind allgemeiner Art und tragen den besonderen Anforderungen zur Förderung der Artenvielfalt keine Rechnung. Mit einem Schutz nach NHG können die Anforderungen der in unter-

bei frisch gebildeten Inseln die in der Schweiz seltene Wegerichart "Tannenwedel" (Hippuris vulgaris) in Massen (Der Bund, Ausgabe vom 3.11.2011, Aus dem Wohlensee wachsen die Inseln). Zur Bedeutung der Uferbereiche im Allgemeinen: BUWAL, FN 25; S. 31 ff. 28

BUWAL, FN 25; S. 32.

29

Die Anforderungen an ein schutzwürdiges Biotop erfüllt auch die Ufervegetation nach Art. 21 NHG (BUWAL, FN 25; S. 20).

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schiedlichen Sukzessionsstadien befindlichen Verlandungsflächen gezielt formuliert werden. - Die bestehenden Nutzungsbeschränkungen umfassen weder Betretungsverbote noch klare Regeln für das Laufen lassen von Hunden. Bei bestimmten Flächen wird es aber nötig sein, sie vor dem Betreten und vor Hunden zu bewahren, um die Vegetation, brütende Vögel und andere Kleintiere zu schützen. - Mit einem Schutz nach Art. 18b Abs 1 NHG lässt sich die Freizeitnutzung im Gebiet steuern und eine Besucherlenkung einführen. Es kann damit eine Art "Feintuning der Nutzung" erreicht werden. Sinnvollerweise löst der Kanton Bern diese Aufgabe zusammen mit dem Schutz des WZVV Reservats 109. - Last but not least können mit einem Schutz nach Art. 18b Abs 1 NHG Finanzmittel des Bundes und von Privaten beschafft werden. Fazit: Derzeit sind die Verlandungsflächen nicht konkret nach NHG geschützt und damit ohne öffentlich-rechtliche Schutzwirkung nach NHG. Es besteht lediglich ein allgemeiner Schutz der Ufervegetation nach Art. 21 NHG. Da die Verlandungsflächen wertvolle Biotope nach Art. 18 NHG sind, ist der Kanton verpflichtet, sie konkret zu schützen (gebietsbezogener Rechtsakt nach Art. 18 ff. NHG und Art. 6 NSG).

2.4

Antwort auf Frage 4: Wie kann man die Verlandungsflächen raumplanerisch besser schützen?

36. Die Verlandungsflächen gehören wie erwähnt weitestgehend zum Gewässer (Wohlensee) und stellen - nach der raumplanerischen Terminologie - sog. "Nichtbaugebiet" dar. Selbst wenn die Verlandungsflächen dereinst keine öffentliche Sache mehr sind, bleiben sie Nichtbaugebiet. Auf den Flächen dürfen nach RPG schon heute keine Bauten und Anlagen erstellt werden. Ein weitergehender Schutz erscheint weder nötig noch möglich. Die Gewässer werden im Kanton Bern auch nicht von der Richtplanung nach RPG erfasst, sondern von der Gewässerrichtplanung nach Art. 16 ff. WBG. 37. Ein raumplanerischer Schutz (nach RPG und BauG) mit dem Ziel, die naturschützerische Bedeutung der Verlandungsflächen zu sichern, erscheint ebenfalls unnötig. Damit könnte auch nur eine relativ grobe Nutzungsordnung erreicht werden. Die Schutzmöglichkeiten nach NHG und NSG sind viel präziser. Abgesehen davon stellt das geltende Baugesetz gar keine Schutzzonen für öffentliche Gewässer zur Verfügung, die von den Gemeinden oder vom Kanton festgelegt werden könnten. Die Gewässer bleiben vielmehr von der Zonierung ausgespart.

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38. Geeignet erscheint demgegenüber eine Planung des Wohlensees mit der Gewässerplanung nach Art. 15 ff. WBG. Diese ermöglicht differenzierte Lösungen und den Einbezug der dynamischen Entwicklung der Verlandungsflächen. Da die Verlandungsflächen weitestgehend Teil des Gewässers bilden, ist diese Art Planung nicht nur sachlich, sondern auch rechtlich passend. Fazit: Die Verlandungsflächen können raumplanerisch nach RPG und BauG nicht besser geschützt werden. Die Schutzmöglichkeiten nach NHG und NSG sind viel präziser. Zudem ist es sinnvoll, die Entwicklung und den Schutz der Verlandungsflächen mit einer Gewässerplanung nach Art. 15 WBG zu sichern.

2.5

Antwort auf Frage 5: Kann der Grundeigentümer die Verlandungsflächen verkaufen, verpachten oder verschenken?

39. Solange die Verlandungsflächen (einschliesslich Inseln und Uferbereiche) eine "öffentliche Sache" sind (derzeit praktisch alle), kann der Kanton sie weder verkaufen, verpachten, noch verschenken (Art. 664 Abs. 1 ZGB, vorne Ziff. 16 ff.). Für jede über den Gemeingebrauch hinausgehende Nutzung eines Dritten müsste eine Bewilligung oder Konzession nach Art. 8 ff. WNG erteilt werden. Eine solche "Nutzungsbewilligung" müsste allerdings die starken öffentlichrechtlichen Nutzungsbeschränkungen in Ziff. 31 hievor berücksichtigen. Es ist nicht ersichtlich, welche vernünftige Nutzung einem Dritten überhaupt noch eingeräumt werden könnte. 40. Dasselbe folgt aus Art. 659 Abs. 2 ZGB. Danach darf nur kulturfähiges Land an Private überlassen werden. Ob eine Fläche als kulturfähiges Land gilt, ist wie erwähnt danach zu entscheiden, ob diese planmässig land- oder forstwirtschaftlich genutzt werden kann. Steine, Sand, Sümpfe, Sukzessions- oder Ruderalflächen, also typische Flächen, wie sie bei Verlandungen entstehen und während vielen Jahren fortbestehen, bringen keinen nennenswerten land- oder forstwirtschaftlichen Ertrag. Sie können nicht planmässig land- oder forstwirtschaftlich genutzt werden. Eine Überlassung an Private nach Art. 659 Abs. 2 ZGB oder Art. 76 Abs. 2 EG EGB scheidet auch aus diesem Grund aus. 41. Verlandungsflächen, die keine öffentliche Sache mehr sind, könnte der Kanton zwar an Private verkaufen, verpachten oder verschenken. Die öffentlichrechtlichen Nutzungsbeschränkungen würden indes weiter wirken. Eine Nutzung der Flächen durch Private ist weitgehend ausgeschlossen. Es dürften dort zum Beispiel keinerlei Bauten oder Anlagen erstellt werden und die Flächen wären extensiv zu bewirtschaften. Eine solche Entäusserung der Flächen macht keinen Sinn. Abgesehen davon ist der Kanton als Eigentümer der Flächen in einer besseren Stellung, um

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die öffentlichrechtlichen Vorgaben umzusetzen (z.B. extensive Bewirtschaftung der Gewässerräume nach Art. 36a GSchG und 41c Abs. 3 und 4 GSchV). Fazit: Derzeit kann der Kanton Bern die Verlandungsflächen weder verkaufen, verpachten, noch verschenken, weil sie öffentliche Sachen bilden. Sollten einzelne Verlandungsflächen in Zukunft keine öffentliche Sache mehr sein, wären diese Rechtsgeschäfte möglich, aber nicht sinnvoll.

2.6

Antwort auf Frage 6: Wie können die Zugänglichkeit und die Inanspruchnahme der Verlandungsflächen durch Dritte geregelt werden?

42. Diese Frage zielt in zwei Richtungen: Erstens auf das materielle Recht, das die Nutzung der Verlandungsflächen beschränkt, zweitens auf den Vollzug der Nutzungsbeschränkungen durch den Kanton Bern. 43. Wie in Kap. 2.2 ausgeführt bewirkt schon das heutige Recht eine starke Beschränkung der Nutzungsmöglichkeiten. Weitergehende und differenzierte Beschränkungen (z.B. auch ein Wegegebot) wären durch eine präzisere Umschreibung des Gemeingebrauchs oder nach der Naturschutzgesetzgebung festzulegen (vorne Ziff. 23; Kap. 2.3). 44. Sodann wäre ein Vollzugsregime zu installieren. Nebst geeigneten Informationen im Gebiet (Infotafeln), in den Medien und im Internet wäre der Vollzug mit Personal vor Ort zu gewährleisten. In verschiedenen Kantonen werden dafür sog. "Ranger" eingesetzt. Diesen obliegt es, für die Einhaltung der Schutzbestimmungen zu sorgen. Sie haben zudem einen Informationsauftrag. Solche Aufträge werden oft an gemeinnützige Organisationen erteilt, die mit (kostengünstigen) Zivildienstleistenden arbeiten30. Möglich wäre auch, ein Naturzentrum zu errichten, das von einer gemeinnützigen Organisation betrieben wird und dieser als Basis für die Schutzgebietsbetreuung dient (vgl. etwa das Naturzentrum Thurauen in Flaach/ZH31). 45. Zudem wäre ein Konzept für die Besucherlenkung zu entwickeln und umzusetzen. Als Eigentümer der Flächen ist der Kanton ohne weiteres berechtigt, Besucherlen-

30

So zum Beispiel der in verschiedenen Kantonen tätige Verein Naturnetz (www.naturnetz.ch).

31

http://www.naturzentrumthurauen.ch/

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kungsmassnahmen wie Gebietsabschrankungen oder Zutrittserschwernisse zu installieren. Fazit: Die Regelung der Zugänglichkeit und Inanspruchnahme der Verlandungsflächen durch Dritte bedarf zweierlei: materieller Bestimmungen, welche die Nutzung steuern, und eines geeigneten Vollzugsregimes.

2.7

Antwort auf Frage 7: Sind bauliche Aktivitäten auf den Verlandungsflächen möglich? In welchem Verfahren?

46. Bauliche Aktivitäten sind auf den Verlandungsflächen grundsätzlich verboten, weil sie bis auf weiteres Teil des Gewässers sind und Nichtbaugebiete darstellen (oben Ziff. 23). Ganz ausgeschlossen sind bauliche Aktivitäten allerdings nicht. Sie erforderten eine Ausnahmebewilligung nach Art. 24 RPG:

47. Aufgrund des sensiblen Umfelds (Biotopqualität der Verlandungsflächen, geschützte Ufervegetation nach Art. 21 NHG, Gewässerraum, Hochwassergefährdung usw.) käme eine Ausnahmebewilligung nur für streng standortgebundene Bauten oder Anlagen in Frage. 48. Sollten dereinst Verlandungsflächen nicht mehr zum Gewässer gehören, bleiben sie weiterhin Nichtbaugebiet. Theoretisch könnten sie in Bauzonen umgezont werden, wenn sie so weit vom Wasserlauf entfernt sind, dass der Gewässerraum eingehalten ist und sie weder Biotope noch geschützte Ufervegetation nach Art. 21 NHG beherbergen. In den nächsten Jahrzehnten wird dies kaum der Fall sein. Fazit: Bauliche Aktivitäten auf den Verlandungsflächen sind auf lange Sicht unzulässig.

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2.8

Antwort auf Frage 8: Wie ist das Verhältnis zum Raumbedarf Gewässer nach GschG? Verschiebt sich der Raumbedarf mit wachsendem Uferstreifen zum neuen Ufer? Wenn ja: Wie ist rechtlich damit umzugehen? (analoge Problematik wie beim Wald)?

Ausgangslage: 49. Nach Art. 36a Abs. 1 GSchG legen die Kantone bei oberirdischen Gewässern den Raum fest, der erforderlich ist für die Gewährleistung der natürlichen Funktionen des Gewässers, des Schutzes vor Hochwasser und der Gewässernutzung. Art. 36a Abs. 2 GSchG beauftragt den Bundesrat, die Einzelheiten dieser Bestimmung in der Verordnung zu regeln. 50. Am 4. Mai 2011 ergänzte der Bundesrat die GSchV mit Bestimmungen zur Bemessung, Festlegung und Nutzung der Gewässerräume32. Diese stehen seit dem 1. Juni 2011 in Kraft. Die Kantone haben die Gewässerräume nach Art. 41a und 41b GSchV bis zum 31. Dezember 2018 auszuscheiden. Solange sie dies nicht getan haben, geben die Übergangsbestimmungen vom 4. Mai 2011 der GSchV im Sinne einer sichernden Massnahme beidseits der Fliessgewässer (bzw. entlang der Ufer von Seen) sog. Uferstreifen vor, in denen grundsätzlich nicht gebaut werden darf33 (nachfolgend "Übergangsregime" genannt). 51. Die Bemessungsgrundlage für die Uferstreifen ist während des Übergangsregimes die aktuelle, beim jeweiligen Gewässer vorhandene Gerinnesohle34. Deren Breite ist massgebend für die Breite der Uferstreifen. Diese sind sodann zu messen ab der äusseren Begrenzung der Gerinnesohle. Die Uferstreifen sind bei Seen und Flüssen von mehr als 12 Meter Gerinnesohlenbreite - also auch im vorliegenden Fall des Wohlensees - gleich breit, nämlich 20 Meter35. Daher spielt es für die Uferstreifen nach dem Übergangsregime keine Rolle, ob der Wohlensee ein Fluss oder See darstellt (vorne Ziff. 1). 52. Für den vom Kanton bis Ende 2018 festzulegenden Gewässerraum ist dies aber von Bedeutung. Die Art. 41a und 41b GSchV geben dafür Mindestmasse vor. Bei Fliessgewässern umfasst der Gewässerraum das Gewässer selbst und ist

32

Art. 41a bis 41c sowie Übergangsbestimmungen vom 4. Mai 2011.

33

Übergangsbestimmungen vom 4. Mai 2011 i.V. mit Art. 41c Abs. 1 und 2 GSchV.

34

Erläuternder Bericht vom 20. April 2011 zur parlamentarischen Initiative Schutz und Nutzung der Gewässer (07.492) - Änderung der Gewässerschutz-, Wasserbau-, Energie- und Fischereiverordnung etc. (Erläuternder Bericht GSchV), S. 30.

35

Abs 2 Bst. b und c Übergangsbestimmungen vom 4. Mai 2011.

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nach der sog. "natürlichen Gerinnesohlenbreite" zu bestimmen. Gemäss den Erläuterungen des Bundesrats soll für deren Ermittlung je nach Verbauungsintensität eines Gewässers die aktuelle Gerinnesohlenbreite mit einem Korrekturfaktor multipliziert werden36. Demgegenüber ist der Gewässerraum von stehenden Gewässern ab der Uferlinie zu messen37 und umfasst das Gewässer selbst nicht. 53. Der Wohlensee kann für die Bemessung der Breite der Gewässerräume in einem solchen Umfang als stehendes Gewässer gelten, als die Fliessgeschwindigkeit gegenüber der Aare vernachlässigbar ist. Der Übergang in die Aare ist jedoch fliessend. Das Gesetz gibt keine Regeln vor. Es muss eine sinnvolle Abgrenzung getroffen werden. Meines Erachtens kann dort von einem See ausgegangen werden, wo die Fliessgeschwindigkeit gegenüber jener der Aare weniger als 10% beträgt. Der Prozess ist dynamisch, weil sich der Wohlensee zufolge der Verlandungen zunehmend verengt. Bei dem vom Kanton festzulegenden Gewässerraum stehen wir damit vor zwei Problemen: - Erstens wandelt sich im Laufe der Zeit der Wohlensee in einen Fluss, was für die Ermittlung des Gewässerraums einen Systemwechsel bedeutet (Ermittlung nach Art. 41a statt Art. 41b GSchV). Im oberen Teil (östlich Wohlen bei Bern) ist der Wohlensee schon heute ein Fluss. - Zweitens bewirken die Verlandungen eine allmähliche Rückverlegung der Uferlinie zum Wasserkörper, deren Folgen auf festgelegte Gewässerräume der Klärung bedürfen. Gewässerraum während Übergangsregime: 54. Während des Übergangsregimes werden die Uferstreifen ab der Uferlinie gemessen und sind dynamisch: Verändert sich die Uferlinie, ändert sich auch der Uferstreifen. Die Übergangsregelung ist indes nur wirksam, bis der Kanton die Gewässerräume nach Art. 41a und 41b GSchV festgelegt hat (Frist bis Ende 2018). Während diesen paar Jahren erfolgt keine erhebliche Verschiebung der Uferstreifen.

36

Erläuternder Bericht GSchV, S. 11: "Für die Bestimmung der natürlichen Gerinnesohlenbreite eines Fliessgewässers ist daher bei eingeschränkter oder fehlender Breitenvariabilität ein Korrekturfaktor anzuwenden. Dieser beträgt bei eingeschränkter Breitenvariabilität Faktor 1.5, bei fehlender Breitenvariabilität Faktor 2.0."

37

Die von den Kantonen festzulegenden Gewässerräume umfassen bei Fliessgewässern das Gewässer (den Wasserkörper) und beidseits davon einen Uferstreifen. Der Gewässerraum eines stehenden Gewässers entspricht demgegenüber dem Uferbereich entlang des Wasserkörpers (Erläuternder Bericht GSchV, S. 13).

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55. Ganz problemlos ist die Sache aber auch hier nicht, weil der Wohlensee ein ausgeprägtes Flachufer aufweist. Damit dürfte es an vielen Stellen anspruchsvoll sein, eine klare Uferlinie zu bestimmen. Auch hierzu gibt das Gesetz keine Antwort und es muss eine sinnvolle Regel gefunden werden. Bei Flüssen reicht das Ufer bis zur Böschungsoberkante38. Analog könnte beim Wohlensee der Verlauf der oberen Böschungsoberkante als "Uferlinie" gelten. Da aber die Böschungsoberkanten mit zunehmender Verlandung ihre Begrenzungsfunktion für das Wasser des Wohlensees verlieren, führt dieses Vorgehen allein nicht zum Ziel. 56. Es ist daher eine andere Regel zu schaffen. Da die Ufer eine Begrenzungsfunktion für das Wasser haben, scheint es zweckmässig auf die regelmässig vorkommende Wasserbenetzung abzustellen, etwa dergestalt, dass als Uferlinie die Grenze gilt, die bei häufigen Hochwassern (mindestens alle 5 Jahre) vom Wasser des Wohlensees berührt wird. Als Begründung für dieses Mass kann angeführt werden, dass dort auch die obere Grenze der Ufervegetation liegt39. Ich empfehle, den 20 Meter breiten Uferstreifen ab dort zu messen. vom Kanton (künftig) festgelegter Gewässerraum nach Art. 41a und 41b GSchV: 57. Wie erwähnt haben die Kantone die Gewässerräume bis Ende 2018 festzulegen. Aus der Konzeption des Gewässerraums nach der GSchV folgt, dass die Kantone die Gewässerräume konkret auf die einzelnen Gewässer beziehen müssen (demgegenüber bildet das Übergangsregime eine generell-abstrakte Regelung für die Uferstreifen40). Hierzu sind die Verhältnisse beim einzelnen Gewässer einzubeziehen. Nach Art. 46 Abs. 1bis GSchV sind sodann die (festgelegten) Gewässerräume in der Richt- und Nutzungsplanung zu berücksichtigen. 58. Dies bedeutet, dass die Gewässerräume kartografisch exakt (parzellenscharf) auszuscheiden bzw. festzulegen sind. Da davon Rechte von Grundeigentümern betroffen werden (grundsätzliches Bauverbot, Gebot für extensive Gestaltung und Bewirtschaftung41), muss dies mit einem anfechtbaren Rechtsakt (Verfügung, evtl. nutzungsplanerische Festlegung) geschehen. Nach unbenütztem Ablauf der Rechtsmittelfrist oder mit rechtskräftigem Urteil der Rechtsmittelinstanz treten solche Rechtsakte in Rechtskraft. Dies bedeutet zwar nicht, dass die Festlegungen

38

Der Querschnitt eines Flusses wird in den Wasserkörper, die Gewässersohle und das Ufer bis zur Böschungsoberkante unterteilt (http://de.wikipedia.org/wiki/Fluss).

39

BUWAL, FN 25; S. 20. Diese Hochwasser entsprechen den Spitzenhochwassern nach Moor.

40

Ähnlich ist die Regelung in Art. 4a Abs. 5 WBG: "Solange eine genügende Regelung fehlt, gilt ein Uferbereich von 15 Meter als geschützt."

41

Art. 41c GSchV.

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später nicht mehr geändert werden können. Solche Änderungen können indes nur im Rahmen eines förmlichen Verfahrens (Revision) erfolgen, bei dem die betroffenen Personen und Behörden (Grundeigentümer, Gemeinde, kantonale Fachstellen) einbezogen werden (Wahrung des rechtlichen Gehörs nach Art. 29 Abs. 2 Bundesverfassung vom 18. April 1999, SR 101). 59. Ändern sich also nach der Rechtskraft solcher Festlegungen die tatsächlichen Verhältnisse (z.B. Rückgang der Uferlinie wegen Verlandung), bewirkt dies keine Änderung der festgesetzten Gewässerräume. Diese bleiben vielmehr fest, bis der Rechtsakt zum Gewässerraum revidiert wird. Das Prozedere ist insoweit vergleichbar mit den kommunalen Zonenplänen. Diese können angepasst (revidiert) werden, wenn sich die Verhältnisse erheblich geändert haben (in der Regel alle 15 Jahre). Fazit: Der Raumbedarf (Uferstreifen) des Wohlensees ist während der Wirkung der Übergangsregelung vom 4. Mai 2011 der GSchV dynamisch. Die Übergangsregelung ist jedoch nur gültig, bis der Kanton die Gewässerräume nach Art. 41a und 41b GSchV festgelegt hat (Frist bis Ende 2018). Während diesen paar Jahren erfolgt keine erhebliche Verschiebung der Uferstreifen. Hat der Kanton Bern den Gewässerraum nach Art. 41a und 41b GschV mit einem Rechtsakt konkret festgelegt, ist der Gewässerraum bis zu einer Revision dieses Rechtsaktes unveränderlich.

2.9

Antwort auf Frage 9: Wie ist die rechtliche Situation bei künstlichen Schüttungen in Seen? Stellen sich dabei dieselben Fragen wie bei der natürlichen Verlandung?

60. Im Kanton Bern fallen bei Arbeiten im Fels grössere Mengen von Ausbruchmaterial an. Die folgenden Ausführungen klären, inwieweit damit Schüttungen in Seen vorgenommen werden dürfen. Die massgebliche gesetzliche Regelung findet sich in Art. 39 GSchG:

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61. Der zitierte Art. 39 GschG verbietet Schüttungen in Seen grundsätzlich, auch wenn das Ausbruchmaterial keine schädlichen Stoffe enthält. Die Botschaft des Bundesrates zum GSchG von 1991 begründet dieses Verbot wie folgt42: "Schutzobjekt dieser Bestimmung ist insbesondere die vom See überflutete Uferbank. Dank ihrer speziellen Eigenschaften (Ort optimaler Sauerstoffverhältnisse, grosse Temperaturschwankungen, gute Durchlichtung, starker Wellenschlag, dichter Pflanzenwuchs) werden in dieser Zone die von künstlichen und natürlichen Zuflüssen eingebrachten Schmutzstoffe zu einem grossen Teil abgebaut; es ist die eigentliche Reinigungszone des Sees. Auch beherbergt diese Zone den grössten Teil der Tier- und Pflanzenwelt des Sees. Hier finden auch allfällige Austauschvorgänge mit ufernahen Grundwasservorkommen statt."

62. Art. 39 Abs, 2 GSchG lässt (nur) in zwei Fällen Ausnahmen vom grundsätzlichen Schüttungsverbot in Seen zu. Im Folgenden wird geklärt, wann eine derartige Ausnahme zum Tragen kommen kann. Wichtig ist, dass Dritte keinen Rechtsanspruch darauf haben, dass Ihnen der Kanton für Materialschüttungen in Seen eine Bewilligung erteilt. Schüttungen für Standortgebundene Bauten in überbauten Gebieten: 63. Nach Art. 39 Abs. 2 Bst. a GSchG kann der Kanton für Schüttungen in Seen eine Bewilligung erteilen, wenn I.

darauf eine standortgebundene Baute erstellt werden soll,

II. die Schüttung in einem bereits überbauten Gebiet erfolgt, III. überwiegende Interessen die Schüttung erfordern und IV. sich der angestrebte Zweck nicht anders erreichen lässt. Ist nur eine dieser vier Bedingungen nicht erfüllt, kommt eine Schüttung nicht in Frage. 64. Es dürfte nur wenige Fälle geben, wo eine solche Schüttung erfolgen darf bzw. seit 1992 (Inkrafttreten GSchG) erfolgte. Mir sind nur vereinzelte bekannt43. Der Bundesrat nennt in der Botschaft als Beispiel das Erstellen eines öffentlichen, landseitig nicht realisierbaren Uferwegs. Zu berücksichtigen ist insbesondere, ob

42

Botschaft des Bundesrates zum GSchG von 1991, in: BBl 1987 II 1143.

43

Im Entscheid vom 8. November 2001 hiess das Bundesgericht einen Plan für eine neue Hafenmole (mittels Schüttung) im überbauten Gebiet gut (Fall Sigriswil/Kt. BE; Entscheid 1A.244/2000). In BGE 130 II 313 lehnte das Bundesgericht eine Schüttung in der Rhone (Kt. Wallis) für den Bau einer Kantonsstrasse u.a. deshalb ab, weil das Schüttungsgebiet ausserhalb des bereits überbauten Gebiets lag (E. 3.6.). Gemäss Bundesgericht ist (u.a.) erforderlich, dass die vorhandene Überbauung eine landseitige Realisierung nicht zulässt (a.a.O.)

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dabei geschützte Ufervegetation nach Art. 21 NHG, die definitionsgemäss auch seeseitig bis in eine Tiefe von etwa 30 Meter vorkommen kann44, zerstört wird. Der Bundesrat nennt diese ausdrücklich als Schutzobjekt des grundsätzlichen Schüttungsverbots (oben Ziff. 61). Wird Ufervegetation zerstört, ist dies kein absolutes "Killerkriterium" für ein Projekt. Indes sind dann besonders gewichtige öffentliche Interessen an der angestrebten Baute nötig. Beispielsweise erfüllen ein Seerestaurant, ein Damm für eine neue Strasse oder Eisenbahnlinie über einen See diese Kriterien nicht. Schüttungen zur Verbesserung von Flachwasserzonen: 65. Art. 39 Abs. 2 Bst. b GSchG ermächtigt die Kantone, Schüttungen in Seen zu bewilligen, wenn dadurch Flachwasserzonen verbessert werden können. Eine solche Zielsetzung steht im Einklang mit dem Sinn der Bestimmung, die ökologische Qualität der vom See überfluteten Uferbank zu schützen (oben Ziff. Ziff. 61). Soweit ersichtlich bestehen zu Art. 39 Abs. 2 Bst. b GSchG weder juristische Literatur noch Gerichtsentscheide. Nach meiner Kenntnis wurden in der Schweiz seit 1992 (Inkrafttreten neues GSchG) lediglich zwei Schüttungen nach Art. 39 Abs. 2 Bst. b GSchG bewilligt und ausgeführt (unten Ziff. 67 f.). 66. Weil Gewässer zu erhalten sind (Art. 1 und 3 GSchG), kommen für Schüttungen nur grosse Seen in Frage, bei denen der Materialeintrag das Wasservolumen nicht wesentlich verringert. Im Kanton Bern gibt es drei grosse Seen, die vollständig im Kantonsgebiet liegen: - Brienzersee (Volumen 5.15 km3; mittlere Wassertiefe 172 m, grösste Tiefe 259 m) - Thunersee (Volumen 6.42 km3; mittlere Wassertiefe 136 m, grösste Tiefe 217 m) - Bielersee (Volumen 1.12 km3; mittlere Wassertiefe 29 m, grösste Tiefe 74 m) Dazu kommt der Neuenburgersee, der teilweise im Kantonsgebiet liegt. 67. Die seit 1992 grösste Materialschüttung in der Schweiz fand im Urnersee statt (nachfolgend "Urnersee-Schüttung"). Von den Tunnelbauprojekten "N4 Umfahrung Flüelen" und NEAT-Basistunnel Gotthard wurden dort in den Jahren 2001 bis 2007 insgesamt 1.8 Mio. m3 Material abgelagert (0.21 Mio. m3 für Naturschutzinseln, 0.38 mio. m3 für Badeinseln und 1.2 mio. m3 für Flachwasserzonen)45. Hier-

44

BUWAL (FN 25), S. 15 f.

45

Joachim Kleiner et al (HSR Hochschule für Technik Rapperswil), Landschaftsgestaltung mit sauberen Aushub: Beispielkatalog und Auswertung, Rapperswil 2008, S. 10.

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bei wurden insbesondere grosse, durch Kiesabbau entstandene Vertiefungen im Seegrund aufgefüllt. Das in den Urnersee eingebrachte Volumen war (im Vergleich zu den Ausbruchmengen anderer Projekte) sehr gross und entspricht trotzdem nur 0.16 Prozent des Volumens des Bielerersees (kleinster der drei grossen Berner Seen). Die Volumenverringerung von grossen Seen durch eingebrachtes Aushubmaterial scheint bis auf weiteres kein Problem zu bilden. Sie ist im Sinne einer langfristigen Planung von Schüttungen aber im Auge zu behalten. 68. Eine weitere Schüttung erfolgte im Neuenburgersee. Auch diese stand in engem Zusammenhang mit früherem Kiesabbau. Tiefe, trichterförmige Löcher auf der Uferbank waren im untersten Teil verschlammt und wiesen eine schlechte Wasserzirkulation auf. Diese Löcher wurden aufgefüllt und zuletzt mit einer Kiesschicht überdeckt. Der ursprüngliche Zustand des seichten Seebereichs wurde dabei flächenmässig wiederhergestellt. Es stellten sich erhebliche technische Probleme, als es darum ging, das Schüttmaterial ohne riesige Trübungswolken auf den Seegrund zu bringen46. 69. Sodann ist zu klären, wo sich die Seegrundflächen befinden, bei denen mit Schüttungen Flachwasserzonen verbessert werden können. Der Begriff der Flachwasserzone ist im Gesetz nicht definiert. Da Art. 39 GSchG die ufernahen Bereiche von Seen als besonders reichhaltige Lebensräume für Pflanzen und Tiere schützen will, drängt sich eine biologische Definition. Je nach der stofflichen Belastung eines Sees reichen die Flachwasserzonen bis in eine Tiefe von etwa 30 Metern (bei oligotrophen, nährstoffarmen Seen). Bei Seen mit höherem Phosphatgehalt können es auch nur wenige Meter sein47. Um auch künftige Verbesserungen der Wasserqualität zu erfassen, wird folgende Definition vorgeschlagen: "Flachwasserzonen: Als Flachwasserzonen gelten diejenigen Flächen des Seegrunds, wo pflanzliches Leben besteht oder in Zukunft aufgrund besserer Wasserqualität zu erwarten ist."

70. Die Voraussetzung, dass bewilligungsfähige Schüttungen Flachwasserzonen verbessern müssen, bedeutet aber nicht, dass Seeschüttungen nur auf Seegrundflächen stattfinden dürfen, die beim jeweiligen See zur Flachwasserzone gehören. Vielmehr dürften sie dort tendenziell sogar ausgeschlossen sein, weil die Schüttung keine Verbesserung bewirkt. Es ist im Einzelfall abzuklären, ob die Schüttung keine bestehende Flachwasserzone verschlechtert.

46

http://www.parlament.ch/d/suche/seiten/geschaefte.aspx?gesch_id=19963062 (Antwort des Bundesrates auf die Motion 96.3062 von Nationalrat Edi Engelberger zur Änderung des GSchG).

47

BUWAL, (FN 25), S. 15 f.

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71. Es spricht meines Erachtens nichts dagegen und steht im Einklang mit der Zwecksetzung von Art. 39 GSchG, unter der Voraussetzung der "Verbesserung von Flachwasserzonen" auch die "Neuschaffung von Flachwasserzonen" zu verstehen. Daraus folgt, dass heute unter der Flachwasserzone gelegene Teile des Seegrundes mittels Schüttung angehoben werden dürfen, um neue Flachwasserzonen zu schaffen. Weil solche Schüttungen grosse Volumina von Material erfordern, scheint die Verbesserung von Flachwasserzonen nur in den weniger tiefen Bereichen von Seen realistisch. So betrug etwa die maximale Schütttiefe bei der Urnersee-Schüttung 55 Meter48. Das dort versenkte Materialvolumen (1.8 Mio. m3) entspricht einem Würfel mit 121 Meter Kantenlänge. 72. Nach meiner Einschätzung kann die gesetzliche Voraussetzung von Art. 39 Abs. 2 Bst. b GSchG mit Schüttungen in Tiefen von etwa 30 bis 60 Metern generell erfüllt werden. Vorausgesetzt ist, dass die Schüttungen effektiv neue Flachwasserzonen schaffen (0 - 30 Meter Tiefe). Der Seegrund muss damit unter Umständen mehrere 10 Meter angehoben werden. 73. Es spricht im Lichte des GSchG nichts dagegen bzw. ist im Sinne des Naturschutzes als positiv zu werten, wenn durch die Schüttung (ungenutzte) Inseln entstehen. Dabei werden zugleich Flachwasserzonen verschiedener Tiefe geschaffen. 74. Als bevorzugte Standorte für Materialschüttungen drängen sich ehemalige Kiesabbaugebiete in Seen auf, bei denen Flachwasserzonen zerstört wurden. Dort erfolgende Schüttungen bezwecken die Wiederherstellung von zerstörten Zonen. Solche Projekte dürften in der Öffentlichkeit und von Schutzorganisationen am ehesten akzeptiert werden. Solche Projekte können als Revitalisierung von Gewässern nach Art. 38a GSchG verstanden werden49. 75. Nicht in Frage kommt eine Schüttung von Ausbruchmaterial an den tieferen Stellen von Seen (z.B. im Bereich über 60 Meter Tiefe), weil dabei keine Flachwasserzonen geschaffen oder bestehende Zonen verbessert werden. Lediglich für die Materialentsorgung darf der Kanton keine Schüttungen in Seen bewilligen. 76. Erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang noch, dass das Parlament im Jahre 1996 eine Motion ablehnte, die verlangte, dass Schüttungen in Seen auch erfolgen können für die Zwischendeponie von wiederverwertbarem Felsmaterial sowie

48

SIA (FN 53), S. 5.

49

Botschaft des Bundesrates zur GSchG-Änderung vom 11. Dezember 2009, in: BBl 2008 8048. Als Revitalisierung gilt die Wiederherstellung naturnaher Verhältnisse bei verbauten Gewässern.

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zur ökologischen Verbesserung des Seegrundes oder zur Wiederherstellung des ursprünglichen Seegrundzustandes50. Ausbruchmaterial kann stofflich belastet sein: 77. Sind die Voraussetzungen für eine Schüttung erfüllt, muss auch geprüft werden, ob das Ausbruchmaterial keine stofflichen Belastungen aufweist. Verunreinigungen sind möglich. So können im Ausbruchmaterial beim Einsatz von Tunnelbohrmaschinen Hydrauliköle und andere schädliche Rückstände aus dem Maschineneinsatz oder der Vortriebssicherung enthalten sein. Bei der Verwendung von Spritzbeton kommt es durch Rückprall und Auslaugungen zum Eintrag von Zementanteilen und Anteilen von Erstarrungsbeschleuniger in das Ausbruchsmaterial51. Beim Sprengvortrieb kann das Ausbruchmaterial Nitrit oder andere schädliche Stoffe enthalten52. Dies kann dazu führen, dass das Ausbruchmaterial nicht mehr als unbelasteter Aushub im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Bst. a Technische Verordnung über Abfälle (TVA) gilt und anderweitig deponiert oder besonders behandelt werden muss, bevor es für eine Seeschüttung verwendet werden darf. weitere Voraussetzungen: 78. Als weitere Voraussetzungen sind zu nennen (nicht abschliessend): - Erfordernis einer fischereirechtlichen Bewilligung nach Art. 8 Bundesgesetz über die Fischerei (BGF). Das Ausbruchsmaterial ist mit einem bis an den Seegrund reichenden Rohr oder einer gleichwertigen Verklappungsmethode einzubringen, damit möglichst wenig Feinsedimente aufgewirbelt werden, die Fische gefährden (Schutz der Fischlebensräume nach Art. 7 BGF). - Erfordernis einer raumplanungsrechtlichen Ausnahmebewilligung nach Art. 24 RPG, wenn auf der Schüttung eine Baute im Sinne des RPG erstellt werden soll - evtl. Erfordernis einer Bewilligung nach Art. 21 Abs. 2 NHG zur Beseitigung von Ufervegetation

50

Motion 96.3062 von Nationalrat Edi Engelberger.

51

Technische Universität Graz, Festschrift 1969 - 2009 - 40 Jahre Institut für Baubetrieb und Bauwirtschaft, Graz 2009, S. 59, in: http://publik.tuwien.ac.at/files/PubDat_177793.pdf.

52

BAFU, Rohstoff - Der NEAT-Gotthardtunnel war auch eine Kiesgrube, Umwelt 4/2011, S. 29 ff.

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- Ölsperre und weitere Massnahmen im Verklappungsgebiet53, um eine Ölverschmutzung des Wassers zu verhindern bzw. im Ereignisfall rasch zu beseitigen (vorsorgliche Massnahmen im Sinne von Art. 6 GSchG). Schüttungen ab 10'000 m2 unterliegen der UVB-Pflicht: 79. Schliesslich ist noch darauf hinzuweisen, dass Schüttungen in Seen ab einem Volumen von 10'000 m3 der Umweltverträglichkeitsprüfung unterliegen (30.3 Anhang Verordnung über die Umweltverträglichkeitsprüfung). Die UVP ist im Rahmen des massgeblichen kantonalen Leitverfahrens durchzuführen. Allenfalls Gebühr für Schüttungen: 80. Materialschüttungen in Seen beanspruchen dauerhaft Wasservolumen. Aufgrund dieser Nutzungsintensität bilden Materialschüttungen in Seen eine Sondernutzung einer öffentlichen Sache im Sinne von Art. 9 WNG und bedürfen einer Konzession. Für die Erteilung und Nutzung einer Konzession schuldet der Konzessionär dem Kanton in der Regel eine Abgabe (Gebühr) nach Art. 34 ff. WNG. Das Berner Recht enthält für diesen Fall aber nur eine allgemeine Bestimmung54 und keine Berechnungsgrundlagen. Es wird empfohlen, klarere Rechtsgrundlagen zu schaffen. Mit der Festlegung der Höhe solcher Abgaben kann Bestrebungen entgegen gewirkt werden, Seen als günstige Materialdeponien zu betrachten. Fazit: Das GSchG statuiert in Art. 39 Abs. 1 ein grundsätzliches Schüttungsverbot in Seen. Nur in zwei Ausnahmefällen kann der Kanton Schüttungen bewilligen. Der erste Fall ist in Art. 39 Abs. 2 Bst. a GSchG geregelt und betrifft Schüttungen für standortgebundene Bauten. Die Voraussetzungen sind jedoch derart streng, dass auf dieser Grundlage kaum je grössere Mengen von Ausbruchmaterial in Seen geschüttet werden dürfen. Im zweiten Fall dürfen Schüttungen bewilligt werden, um Flachwasserzonen zu verbessern. Solche Schüttungen sind primär in Seetiefen von 30 bis 60 Metern vorzunehmen. Dabei ist der Seegrund soweit anzuheben, dass Flachwasserzonen entstehen. Als pri-

53

Bei der Seeschüttung im Urnersee (Ziff. 66) wurden folgende Massnahmen getroffen. Zur Einschränkung einer möglichen Verschmutzung des Seewassers wurden über grössere Distanzen dem Ufer entlang permanente Ölsperren und Trübungsvorhänge aus Geotextilien installiert. Auf den Tunnelbaustellen erfolgten Rückstandskontrolle. Im Schüttungsgebiet gab es eine Vorratshaltung von Gewässerschutzmitteln für den Ereignisfall (Auffangbehälter und Ölsperren auf der Pontonanlage, Ölskimmer, Bindemittel, Chemiewehrboot; dazu SIA, Seeschüttung Reussdelta, Sonderdruck aus Heft 35/2002, S. 8).

54

Recht, eine einmalige Abgabe zu verlangen in Art. 34 Abs. 1 WNG: " Wird eine Konzession erteilt, geändert oder erneuert, muss eine einmalige Abgabe bezahlt werden."

1

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märe Standorte für Materialschüttungen drängen sich ehemalige Kiesabbaugebiete in Seen auf, bei denen Flachwasserzonen zerstört wurden. Soweit eine Schüttung nach Art. 39 Abs. 2 GSchG erfolgen darf, ist zu prüfen, ob das Ausbruchmaterial nicht verunreinigt ist. Es sind verschiedene weitere Voraussetzungen zu beachten. Schüttungen in Seen von mehr als 10'000 m3 Material bedürfen zudem der Umweltverträglichkeitsprüfung. Dritte haben keinen Rechtsanspruch darauf, dass Ihnen der Kanton für Materialschüttungen in Seen eine Bewilligung erteilt. Materialschüttungen in Seen bilden eine Sondernutzung eines öffentlichen Gewässers und bedürfen einer Konzession (Art. 9 WNG). Die Abgaben (Gebühren) für solche Schüttungen sind im heutigen Recht unklar geregelt. Es wird empfohlen, klarere Rechtsgrundlagen zu schaffen.

Hans Maurer

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Anhang Verzeichnis der Abkürzungen und Erlasse AlgV

Verordnung vom 15. Juni 2001 über den Schutz der Amphibienlaichgebiete von nationaler Bedeutung (Amphibienlaichgebiete-Verordnung; SR 451.34)

BauG

Berner Baugesetz vom 9. Juni 1985 (GS 721.0)

BGF

Bundesgesetz vom 21. Juni 1991 über die Fischerei (SR 923.00]

BSK ZGB

Basler Kommentar zum ZGB, 3. Auflage, Zürich und Bern 2007

EG ZGB

Berner Gesetz vom 28. Mai 1911 betreffend die Einführung des Schweizerischen Zivilgesetzbuches (GS 211.1)

GSchG

Bundesgesetz vom 24. Januar 1991 über den Schutz der Gewässer (SR 814.20)

GSchV

Gewässerschutzverordnung vom 28. Oktober 1998 (SR 814.201)

NHG

Bundesgesetz vom 1. Juli 1966 über den Natur- und Heimatschutz (SR 451)

NSG

Berner Naturschutzgesetz vom 15. September 1992 des Kantons Bern (GS 426.11)

WTSchV

Berner Verordnung vom 26. Februar 2003 über den Wildtierschutz (GS 922.63)

RPG

Bundesgesetz vom 22. Juni 1979 über die Raumplanung (Raumplanungsgesetz, SR 700)

TVA

Technische Verordnung über Abfälle vom 10. Dezember 1990 (SR. 814.600)

UVPV

Verordnung vom 19. Oktober 1988 über die Umweltverträglichkeitsprüfung (SR 814.011)

WZVV

Verordnung vom 21. Januar 1991 über die Wasser- und Zugvogelreservate von internationaler und nationaler Bedeutung (SR 922.32)

WaG

Bundesgesetz über den Wald vom 4. Oktober 1991 (Waldgesetz, SR 921.0)

WBG

Berner Gesetz über Gewässerunterhalt und Wasserbau (Wasserbaugesetz; GS 751.11)

WNG

Berner Wassernutzungsgesetz vom 23. November 1997 (GS 752.41)

ZGB

Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907 (SR 210)

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