Omar Samadzade ischer Sicht rgantransplantation aus islam irntod und O H Samadzade - Hirntod und Organtransplantation Omar aus islamischer Sicht

March 5, 2018 | Author: Anneliese Franke | Category: N/A
Share Embed Donate


Short Description

1 Veröffentlichungen des Islamischen Wissenschafts- und Bildungsinstituts Band 6 Omar Samadzade Hirntod und Organtr...

Description

Veröffentlichungen des Islamischen Wissenschafts- und Bildungsinstituts Band 6

Omar Samadzade - Hirntod und Organtransplantation aus islamischer Sicht

Omar Samadzade

ISBN 978-3-88309-542-4

Hirntod und Organtransplantation aus islamischer Sicht Verlag Traugott Bautz GmbH

a

Hirntod und Organtransplantation aus islamischer Sicht

Veröffentlichungen des Islamischen Wissenschafts- und Bildungsinstituts

herausgegeben von Hans-Christoph Goßmann und Ali-Özgür Özdil

Band 6

Verlag Traugott Bautz

Omar Samadzade

Hirntod und Organtransplantation aus islamischer Sicht

Verlag Traugott Bautz

Bibliografische Information Der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Verlag Traugott Bautz GmbH 99734 Nordhausen 2009 ISBN 978-3-88309-542-4

Inhaltsverzeichnis

1. Einführung in die Thematik

9

2. Leben und Tod im Islam

14

3. Das islamische Menschenbild

23

3.1. Islamische Aqida (arabisch: Glaubensüberzeugung)

25

4. Das islamische Ethikverständnis

29

5. Islamische Medizinethik

36

5.1. Ethisches Verhalten des muslimischen Arztes

37

5.2. Grundsätzliche ethische Prinzipien

40

5.2.1. Autonomie

41

5.2.2. Schadensvermeidung

42

5.2.3. Nutzen

43

5.2.4. Gerechtigkeit

45

5.3. Heutige Realität der islamischen Medizinethik

46

6. Islamische Wissenschaftsgeschichte

49

6.1. Die Blütezeit der islamischen Wissenschaften

52

7. Islamische Medizingeschichte

56

7.1. Errichtung von Krankenhäusern

57

7.2. Organisation der Ärzteschaft

60 5

7.3. Ausgewählte Beispiele bedeutender muslimischer Ärzte

62

8. Das islamische Rechtsverständnis

65

8.1. Al-Fiqh – Die islamische Rechtswissenschaft

66

8.2. Einteilung der islamischen Rechtswissenschaft

67

8.2.1. Quellen des islamischen Rechts

67

8.3. Der islamische Rechtsspruch (arab.: Al-Hukm-u-Schari)

70

8.4. Die selbständige Rechtsfindung im Islam (arab.: Al-Idschtihad)

75

8.4.1. Historische Entwicklung des Idschtihad

77

8.5 Die islamischen Rechtsschulen

82

8.6. Beziehung von Nichtmuslimen zu Muslimen im islamischen Recht

86

8.7. Kompatibilität des islamischen Rechts mit dem bundesdeutschen Recht

89

9. Muslime in Europa

93

9.1. Historische Begegnungen zwischen Muslimen und Europäern

93

9.2. Schlussfolgerungen

96

10. Muslime in Deutschland

100

10.1. Geschichte der Muslime in Deutschland

101

10.1.2. Muslime in Deutschland seit 1945

104

10.2. Probleme einer konkreten zahlenmäßigen Erfassung

107

10.3. Zahlenmaterial über Muslime in Deutschland

109

10.4. Muslimische Organisationen in Deutschland

111

6

10.4.1. Organisationsstrukturen muslimischer Gemeinden

113

11. Organtransplantation und Hirntod

117

11.1. Geschichte der Organtransplantation

118

11.2. Rechtsstatus der Organtransplantation in der BRD

121

11.3. Definition des Hirntodes durch die Bundesärztekammer

125

11.4. Hirntod aus islamischer Sicht

129

11.4.1. Generelle Diskussionen muslimischer Wissenschaftler zum Hirntod

130

11.4.2. Diskussion von Muslimen in Deutschland über den Hirntod

133

11.5. Organtransplantation aus islamischer Sicht

135

11.5.1. Organtransplantation in der muslimischen Welt

136

11.5.1.1. Beispiele der Organspendepraxis aus der muslimischen Welt

138

11.5.1.1.1. Saudi Arabien

139

11.5.1.1.2. Türkei

141

11.5.1.1.3. Iran

143

11.6. Ethische und islamrechtliche Diskussionen zur Organtransplantation in der muslimischen Welt

144

11.7. Diskussion und Praxis der Organtransplantation von Muslimen in der Bundesrepublik Deutschland – Empirische Ergebnisse

158

11.7.1. Datenmaterial von Transplantationszentren der Bundesrepublik

159

11.8. Empirische Erhebung unter der muslimischen Bevölkerung 161 11.9. Standpunkte muslimischer Organisationen in der Bundesrepublik

163

7

11.10. Organhandel

169

12. Hirntod und Organtransplantation aus islamischer Sicht – Diskussion der Ergebnisse

171

13. Zusammenfassung

183

14. Literaturverzeichnis

186

8

Einführung in die Thematik Durch den medizinischen und technologischen Fortschritt der letzten fünfzig Jahre sind neue Therapieoptionen für einst als unbesiegbar geltende Erkrankungen entstanden. So bedeutet z.B. die Diagnose Krebs heutzutage nicht mehr selbstverständlich einen unaufhaltsamen Prozess des baldigen Ablebens, sondern es kann vielmehr den Patienten, die sich mit dieser Diagnose konfrontiert sehen, oftmals ein umfangreiches Potential an therapeutischen Optionen angeboten werden, die zumeist zu einer Verbesserung der Lebensqualität und der Lebensdauer führen. Auch für andere Krankheitsbilder wie z. B. die Tuberkulose, die KHK oder neurologische Erkrankungen bieten sich vielfältigste medikamentöse oder chirurgische Interventionsmöglichkeiten an, die inzwischen zu einer Selbstverständlichkeit für die Patienten und für die behandelnden Ärzte geworden sind. Die Menschheit und insbesondere die Mediziner wurden im Verlauf der Geschichte stets durch neue, als unbeherrschbar geltende Krankheitsbilder immer wieder herausgefordert, adäquate Behandlungsstrategien zu entwickeln, um dadurch dem Leid und der Angst der Betroffenen und der Gesellschaft entgegenzutreten. So ist die Organtransplantation bei z. B. terminalen Nieren- und Herzerkrankungen heute zu einem Routineeingriff geworden. In der Literatur werden Transplantationen schon im 17. Jahrhundert beschrieben, doch spätestens seit der legendären Herztransplantation am Menschen durch den südafrikanischen Herzchirurgen Professor Dr. Christiaan Neethling Barnard 1967 in Kapstadt gehört die Organtransplantation weltweit in vielen Zentren selbstverständlich zu einer Therapieoption. Die Transplantationsgeschichte ist aber immer von dem Disput der Gegner und Befürworter geprägt gewesen. Je nach ideologischer Prägung bedeutet sie z. B. für die einen den Eingriff des Menschen in die göttliche Schöpfung und für die anderen eine legitime Möglichkeit, leidenden Patienten durch den technischen und medizinischen Fortschritt Lebensqualität zurückzugeben.

9

Der Hirntod sowie die Organentnahme und –transplantation werfen insbesondere viele juristische, ethische und damit verbunden religiöse Fragen auf, die gesamtgesellschaftlich beantwortet werden müssen. Die kontroversen Diskussionen behandeln u.a. die Rolle des Menschen als Richter über Leben und Tod, den Eingriff des Menschen in die göttliche Schöpfung, die Entweihung von Leichen, eine Organentnahme gegen den ausdrücklichen Willen des Verstorbenen oder den Organdiebstahl aus den Ländern der sogenannten Dritten Welt. So ist es dann auch nicht allzu verwunderlich, wenn weltweit ein immenser Mangel an Organspendern besteht, und die Wartelisten der Transplantationszentren die vielen möglichen Empfänger oft jahrelang vertrösten müssen oder der progredienten Erkrankung hilflos gegenüberstehen. Die Gründe für die geringe Bereitschaft zur Organspende, seien es Lebenspenden oder postmortale Organspenden, sind vielfältiger Art. In der Bundesrepublik Deutschland und in vielen anderen westlichen Staaten ist es insbesondere ein gesamtgesellschaftliches Phänomen und Realität, dass der Tod tabuisiert wird und alles damit Assoziierte. Die Ängste und Befürchtungen der Bevölkerung hinsichtlich einer Organspende entbehren oftmals einer korrekten Kenntnis der medizinischen Praxis und deuten auf eine mangelnde Aufklärung der Bevölkerung hin. Erst wenn Betroffene zu Patienten werden und nur eine Organverpflanzung ihrem Leiden ein Ende bereiten könnte, beginnen sie und ihre Umgebung, sich mit der Organspende näher zu befassen. In der vorliegenden Arbeit habe ich mir im Speziellen die muslimische Minderheit der Bundesrepublik Deutschland als Untersuchungsgegenstand ausgesucht, weil hier scheinbar eine noch größere Diskrepanz zwischen Organspendern und –empfängern vorliegt. Ich habe versucht, diese Diskrepanz zahlenmäßig unter der muslimischen Bevölkerung in der Bundesrepublik Deutschland annähernd zu erfassen. Dabei sind die vorliegenden begrenzten Datenmaterialien von insgesamt 112 Muslimen vor allem in Lübecker und Hamburger Moscheegemeinden nicht als repräsentatives Ergebnis für die muslimische Bevölkerung in Deutschland zu betrachten. Auch von den mehrfach angeschriebenen Vertretern der offiziellen muslimischen Gemeindevertretern und Dachverbänden in Deutschland gab es eher einen bedingten Rücklauf von Antworten, die ich entsprechend wiedergegeben habe. 10

Gleichfalls trafen von den insgesamt 33 kontaktierten Transplantationszentren der Bundesrepublik die Antworten von lediglich sieben Zentren ein, so dass hier nur ein ungefähres Meinungsbild dargestellt werden kann. Eingang in diese Arbeit haben schließlich auch meine eigenen persönlichen Erfahrungen und Gespräche mit ärztlichen Kollegen und muslimischen Patienten sowie deren Angehörigen in der Transplantationsstation der Medizinischen Universität zu Lübeck gefunden. Insgesamt, das sei ausdrücklich betont, haben die von mir zusammengefassten Ergebnisse keinen Anspruch auf Repräsentativität, vermitteln aber doch einen Eindruck, der durch weitere empirische Studien zu vertiefen ist. Als muslimischer Arzt habe ich die Möglichkeit, nicht nur die Lehre des Islam darzustellen und die islamrechtliche Sicht des Hirntodes, der Organentnahme und –transplantation herauszuarbeiten, sondern zudem die Emotionen und das Denken der muslimischen Bevölkerung in der Bundesrepublik Deutschland transparenter darzustellen, um ihre Einstellungen und ihr Handeln bei der zu untersuchenden Fragestellung zu erfassen. Eine Schwierigkeit, die mir bei meinen Recherchen zwangsläufig begegnet ist, lag in der Tatsache, dass es bisher kaum Literatur oder Forschungsergebnisse über das Organspendeverhalten und die islamrechtlichen Fragen bezüglich Hirntod und Organtransplantation gibt. Weltweit gibt es wenige islamische Rechtsgelehrte, die sich eingehender mit dieser Thematik befasst haben. Vielmehr sind zahlreiche Konferenzen von muslimischen Rechtswissenschaftlern und Medizinern abgehalten worden. In meinen Betrachtungen habe ich auch wesentliche Ergebnisse dieser Veranstaltungen eingehender diskutiert. Das Spektrum der Standpunkte der berücksichtigten Forscher ist ohne Zweifel groß. Neben philologischer Diskreption steht religiöses Engagement. Diese Dissertation bemüht sich um eine wissenschaftlich objektive Darstellung. Die Arbeit hat den Anspruch, die islamische Lebensweise und damit verbunden das Handeln der Muslime hinsichtlich von Hirntod und Organtransplantation herauszuarbeiten, um zum einen die nichtmuslimische Mehrheitsbevölkerung und die ärztlichen Kollegen über das Verhalten der muslimischen Bevölkerung aufzuklären und zum anderen für die 11

Muslime die verschiedenen Rechtsmeinungen von muslimischen Gelehrten zusammenzufassen und zu einem für sie annehmbaren, weil islamrechtlich belegtem, Ergebnis zu gelangen. Die bisher zu dieser Thematik verfügbaren Forschungsergebnisse befinden sich weltweit und gerade auch in der Bundesrepublik im Anfangsstadium ihrer Entwicklung. Insbesondere gibt es so gut wie keine umfangreiche deutschsprachige Literatur. Hinzuweisen ist daher auf die Diskussion um Reproduktionsmedizin, Organtransplantation und Euthanasie aus islamischer Sicht in der Dissertation von Dr. Olga Arbach, die sich in ihrer Untersuchung an der Universität zu Lübeck im Jahre 2002 insbesondere den arabischen Ländern Ägypten, Jordanien und Syrien gewidmet hat. In diesem Zusammenhang seien ebenfalls die Arbeiten von Dr. Thomas Eich und Dr. Ilhan Ilkilic erwähnt, die nützliche Informationen über die Bioethik im Islam und den Umgang mit muslimischen Patienten vermitteln. Dr. Eich beschäftigt sich in seiner kritischen Analyse der modernen Diskussion im islamischen Recht mit der gentechnologischen Forschung, der Beseelungslehre und wann schutzwürdiges Leben beginnt, während Dr. Ilkilic praxisorientiert vor allem für das medizinische Fachpersonal wichtige ethische, medizinische und menschliche Konfliktherde der muslimischen Patienten in der Bundesrepublik veranschaulicht. In der vorliegenden Arbeit diskutiere ich nach einer Darstellung der islamischen Lebensweise und der damit verbundenen Medizinethik die Realität der Muslime in der Diaspora sowie die islamrechtliche Betrachtung des Hirntodes und der Organtransplantation. Dabei gilt zu beachten, dass der Islam keine Trennung der Ethik, des Rechts und der Theologie im westlichen Sinne kennt. Vielmehr versteht sich der Islam als eine Lebensordnung, die umfassend das gesamte Leben eines Muslims regelt. Daher habe ich in dieser Arbeit durch die Darstellung des islamischen Rechtsverständnisses versucht, die Grundlage im ethischen Handeln eines Muslims besser zu veranschaulichen. Für ein besseres Verständnis dieses Sachverhaltes verweise ich auf die rechtstheoretischen Abhandlungen von Dr. Krawietz, die in ihrer Habilitationsschrift der Universität Tübingen über die Hierarchie der Rechtsquellen im tradierten sunnitischen Islam darauf hinweist, dass der Islam keine Trennung von Religion und Recht kennt und die Scharia den Anspruch hat, den muslimischen Alltag umfassend zu regeln. In ihrer Tübinger Dissertationsschrift über Die Hurma: schariarechtlicher Schutz vor Eingriffen in die körperliche 12

Unversehrtheit nach arabischen Fatwas des 20. Jahrhunderts verdeutlicht sie die Bedeutung islamischer Rechtssprüche für die ethischen und alltäglichen Handlungen der Muslime. Zuletzt möchte ich noch die Shorter Encyclopaedia of Islam von Gibb und Kramers und die bedeutende Encyclopedia of Islam and the Muslim world von Martin sowie Professor Gerhard Endreß klassische Einführung in die islamische Geschichte erwähnen, die zwar keine medizinethischen Inhalte und Aussagen über die Organtransplantation und den Hirntod aufweisen, jedoch als Sekundärliteratur zum besseren Verständnis von für diese Arbeit relevanten historischen muslimischen Rechtstheoretikern und der islamischen Geschichte dienlich sind.

13

2. Leben und Tod im Islam Um die Sichtweise der muslimischen Bevölkerung zu Hirntod und Organspende zu verstehen, muss beachtet werden, wie der Islam menschliches Leben definiert und bewertet und welche Überzeugung ein Muslim vom Sterben und vom Tod hat. Der Qur’an sagt hierzu folgendes: „Und Wir haben den Menschen in seinem Ursprung aus den Bestandteilen des Lehms erschaffen. Dann setzten Wir ihn als Samentropfen an eine geschützte Stätte. Dann erschufen Wir aus dem Samentropfen ein Anhängsel und erschufen aus dem Anhängsel ein kleines Gebilde, und hernach formten Wir in dem kleinen Gebilde Knochen und bekleideten die Knochen mit Fleisch. Dann ließen Wir daraus ein anderes Geschöpf entstehen. Gepriesen sei Allah, Der Vortreffliche Schöpfer! Dann werdet ihr später gewiss sterben. Dann werdet ihr fürwahr am Tag der Auferstehung wieder auferweckt.“1 Auch an anderer Stelle werden die biologischen Reifestadien menschlichen Lebens vom „Embryo“ über den „Fetus, teils geformt und teils ungeformt“ bis hin zum Neugeborenen detailliert geschildert und auf Allahs Allmacht hingewiesen, der aus quasi Nichts, aus „Staub“, Leben erschafft und die „Toten zum Leben bringt“.2 Tabari, ein bedeutender klassischer Qur `ankommentator, erklärt das „ungeformt“ beschriebene Stadium des Feten als das Stadium, wo noch „kein individuelles Leben nachzuweisen ist“ und „ihm noch nicht die Seele eingehaucht wurde“.3 Die Differenzierung des Embryos zum menschlichen Wesen findet nach einhelliger Ansicht der muslimischen Rechtsgelehrten erst dann statt, als Allah „ihm von Seinem Geist“4 einhauchte. Dieses Ereignis stellt nach 1

Al-Qur`an: Sure 23, Ayat 12-16.

2

Al-Qur`an: Sure 22, Ayat 5-6.

3

Tabari, I.: 1996, S. 1525.

4

Al-Qur`an: Sure 32, Aya 9.

14

islamischer Auffassung den Beginn eines „vollständigen lebenden Menschen“5 dar. Über den genaueren Termin hierfür gibt es unterschiedliche Meinungen der Gelehrten. Der sicherste Zeitpunkt laut verlässlicher Überlieferung des Propheten Muhammad mit dem stärksten Rechtsbeweis sind 40 bis 42 Tage nach der Befruchtung. Wenn der Fetus geformt wird und einige Organe sich bilden, wie z. B. die Hände, Füße, Augen oder die Nägel, so ist es offensichtlich, dass der Fetus im Begriff ist, ein menschliches Wesen zu werden. So wird in einer Überlieferung (arab.: Hadith) des Propheten Muhammad gesagt: „Wenn 42 Nächte nach der Befruchtung (arab.: Nutfah = Samentropfen) vergangen sind, sendet Allah einen Engel, um es auszuformen. Er erschafft dann sein Gehör, seine Augen, seine Haut, sein Fleisch und seine Knochen. Dann sagt der Engel: Oh Allah! Männlich oder weiblich? Dann wird es ausgeführt...”6 In einer anderen Überlieferung wird der Zeitraum von „40 Nächten” genannt. Diese Überlieferungen verdeutlichen, dass die Organbildung nach 40 oder 42 Nächten nach der Befruchtung beginnt. Daher stellt eine Abtreibung nach diesem Zeitraum einen islamrechtlichen Straftatbestand dar. So wird in einer anderen Überlieferung des Propheten Muhammad berichtet: „Der Prophet hat in einem Fall einer Frau des Stammes der Bani Lahyan gerichtet, die eine Abtreibung vorgenommen hatte. In diesem Fall musste für den Fetus Blutgeld (arab.: Ghurrah, Diya) gezahlt werden.“7 Das Blutgeld ist zu entrichten, wenn der Fetus menschliche Züge annimmt. „Two other Muslim scholars, Ibn Al-Qaim and Al-Asqalani, have linked ensoulment to the commencement of voluntary movements. They 5

Al-Qaradawi, Y.: 1989, S.172.

6

Überliefert von Ibn Mas’ud bei Imam Muslim.

7

Überliefert von Abu Huraira bei Imam Buchari und Imam Muslim.

15

thus link human life to volitation, and to the integration between muscle and nerve to produce voluntary action.”8 Der Qur`an wendet sich gegen die Vorstellung, dass das Universum, das Leben und der Mensch aus einer Mischung von Materie und Spiritualität (Geistigkeit) oder Spirituellem bestehen. Vielmehr ist, wenn von Spiritualität (arab.: Ruh) im Qur`an gesprochen wird, „das Erkennen der Verbindung zu Allah gemeint und nicht das Geheimnis des Lebens.“9 Wenn der Mensch nun seine Verbindung zu Allah, nämlich die Beziehung Schöpfer zu Geschöpf, erkennt, so hat er sich diese Eigenschaft angeeignet, die er aber genauso wieder verlieren kann, wenn er den Schöpfer negiert. Folglich stellt die Spiritualität kein Wesensmerkmal des Menschen dar, denn Menschen, die nicht an einen Schöpfer glauben, bleiben nichtsdestotrotz Menschen. Die spirituelle Seite dagegen „rührt also nicht vom Wesen des Universums, des Menschen und des Lebens her, sondern sie resultiert aus deren Status als Schöpfungen. Diese Beziehung zu Allah stellt die spirituelle Seite dar.“10 Der Qur`an spricht nun auch von „Ruh“ im Sinne von Lebensgeheimnis. Dieser Begriff ist mehrdeutig. So wird hiermit u.a. der Erzengel Gabriel genannt, wenn es heißt: „Und wahrlich, dies ist eine Offenbarung vom Herrn der Welten, die vom treuen Geist (arab.: Al-Ruh Al-Amin) herabgebracht worden ist auf dein Herz, auf dass du einer der Warner sein mögest.“11 An anderer Stelle wird damit das Lebensgeheimnis bezeichnet: „Und sie fragen dich nach der Seele (arab.: Ruh). Sprich: Die Seele ist eine Angelegenheit meines Herren; und euch ist vom Wissen nur wenig gegeben.“12 Auch wird „Ruh“ im Sinne von Scharia (Islamische Gesetzge8

Goolam, N. M. I.: 1999, S. 587.

9

An-Nabhani, T.: Mafahim. 2000, S. 9.

10

A.a.O.: S. 9.

11

Al-Qur’an: Sure 26, Ayat 192-194.

12

Al-Qur’an: Sure 17, Aya 85.

16

bung) verwendet: „Und so haben wir dir nach unserem Gebot ein Wort (arab.: Ruh) offenbart.“13 Im Qur`an steht der Begriff „Ruh“ im Sinne von Spiritualität immer im Zusammenhang mit der Erschaffung der Materie, was darauf hinweisen soll, dass sie von einem Schöpfer erschaffen wurde. Dies soll dem Menschen das Erkennen der Verbindung der Dinge zu einem Schöpfer vergegenwärtigen. Wenn nun der Qur`an auf den „Geist“14 (arab.: Ruh) des Menschen hinweist, der ihn zu einem ehrwürdigen Wesen mache, weil er den Geist Gottes eingehaucht bekommen habe, der heiligsten Dimension des Daseins, dann wird hier ein wesentliches menschliches Attribut gemeint, das „dem Menschen Bewusstsein, Denkfähigkeit, Unterscheidungsfähigkeit und Entscheidungsvermögen verleiht, durch die sich der Mensch von allen anderen irdischen Wesen unterscheidet, eine Persönlichkeit entwickelt und würdig wird, Gottes Statthalter der Erde zu sein.“15 Somit ist aus islamischer Sicht der Mensch zu „Statthaltern auf Erden gemacht“16 worden und folglich Träger des göttlichen Vertrauenspfandes und wegen seiner Willensfreiheit gegenüber sich und der gesamten Schöpfung verantwortlich. Laut Qur`an hat der Mensch treuhändlerisch ein Nießbrauchsrecht an der belebten und unbelebten Natur, deren Substanz er nicht schmälern darf und für deren Bestand er bei seinem Handeln verantwortlich gemacht wird, denn „ein jeder wird für das aufkommen, was er in seinem irdischen Leben begangen hat“17. Aus dem Gesagten wird ersichtlich, dass der Islam die Existenz des Menschen nicht mit seinem körperlichen Ableben beendet sieht. Der Tod wird als ein natürlicher Übergang in ein jenseitiges Dasein gesehen. „Der

13

Al-Qur`an: Sure 42, Aya 52.

14

Al-Qur`an: Sure 32, Aya 9.

15

Maududi, A.: 1996, S. 1993.

16

Al-Qur`an: Sure 6, Aya 165.

17

Al-Qur`an: Sure 74, Aya 38.

17

Tod… führt den Menschen in ein anderes Lebensstadium ein, in dem Glückseligkeit oder Enttäuschung von den guten oder schlechten Taten abhängig sind, die er während seines Lebens vor dem Tod gewirkt hat.“18 „Der Islam ist eine eschatologische Religion in dem Sinne, als der Muslim sein kurzes irdisches Dasein als eine Vorbereitung und Prüfung für seinen Aufenthalt im viel schöneren Jenseits betrachtet.“19 An jenem Tage „kommen die Menschen in Gruppen zerstreut hervor, damit ihnen ihre Werke gezeigt werden. Wer auch nur eines Stäubchens Gewicht Gutes tut, der wird es dann sehen. Und wer auch nur eines Stäubchens Gewicht Böses tut, der wird es dann sehen.“20 Diese Überzeugung der Muslime hat vielerlei Aspekte, so z. B. um die „Selbstkontrolle des Menschen zu verstärken“ und „um die Menschen anzuspornen, für sich und andere mehr Gutes zu tun“ und „ um der Veranlagung entgegenzuwirken, egoistische Tendenzen auszuleben, d.h., für sich selbst nur Vorteilhaftes anzustreben und Nachteilhaftes abzuwehren“ oder aber „die Unterdrückten in der Gewissheit zu bestärken, dass kein Unrecht ungesühnt bleibt“ sowie „den Menschen in Erinnerung zu rufen, dass alle irdischen Güter vergänglich sind und folglich das Streben danach nicht zum eigentlichen Lebenszweck werden darf.“21 Der Islam sieht im Tod eines Menschen eine von Gott bestimmte Lebensfrist (arab.: Adschal) Realität werden. So heißt es hierzu im Qur`an: „Keiner wird sterben ohne Allahs Erlaubnis; denn dies geschieht gemäß einer zeitlichen Vorherbestimmung.“22 An anderer Stelle wird gesagt: „Er ist es, Der euch aus Erde erschuf, dann aus einem Samentropfen, dann aus einem Blutgerinnsel, dann lässt Er euch als Kind daraus hervorgehen, dann lässt Er euch wachsen, auf dass ihr eure Vollkraft erreichen

18

Tabataba`i, S.M.H: 1993, S. 3.

19

Köhler, A. A.: 2000, S. 16.

20

Al-Qur`an: Sure 99, Ayat 6-8.

21

Zaidan, A.M.A.: 1999, S. 165-167.

22

Al-Qur’an: Sure 3, Aya 145.

18

möget, dann lässt Er euch alt werden - wenngleich einige von euch vorher zum Sterben abberufen werden - und Er lässt euch leben, damit ihr eine bestimmte Frist erreichet und damit ihr begreifen lernet. Er ist es, Der ins Leben ruft und sterben lässt. Und wenn Er etwas bestimmt hat, so spricht Er zu ihm nur: „Sei!“ Und es ist.“23 Diese bestimmte Lebensfrist verdeutlicht den Muslimen die Begrenztheit des irdischen Lebens und dient dazu, dass sie in dieser kurzen Zeitspanne ihres Lebens auf dieser Erde möglichst in Einklang mit den Geboten Allahs leben und stets sein Wohlgefallen als oberste Prämisse ihrer Handlungen erlangen sollten, damit sie im ewigen jenseitigen Leben zu den Erfolgreichen zählen. Diese bestimmte Lebensfrist soll nicht nach sich ziehen, dass der Islam fatalistischer Natur sei. So ist die Frage von Schicksal und Vorherbestimmung (arab.: Qadha wa Qadar) von vielen Gelehrten in der islamischen Geschichte zum Teil auch widersprüchlich diskutiert worden. Die Handlungen der Menschen können genau genommen in zwei Bereiche aufgeteilt werden: „Der erste Bereich ist ihm unterworfen, d.h., es ist der Bereich, in dem der Mensch Handlungen aus völlig freien Stücken unternimmt. Was den anderen Bereich betrifft, so ist der Mensch hier derjenige, der sich fügen muss, d.h., es geschehen Handlungen, auf die er keinen Einfluss hat, sei es, dass diese Handlungen ihm widerfahren oder von ihm selbst ausgehen.“24 Der Muslim ist angehalten, daran zu glauben, dass alle Handlungen, die in jenem Bereich geschehen, welchem der Mensch unterworfen ist, sowie die besonderen Eigenschaften in den Dingen und in den Instinkten und Lebensbedürfnissen durch das Schicksal (arab.: Al-Qadha), sei es gut oder schlecht, von Allah stammen. Daher hat der Muslim die Überzeugung, dass die Handlungen, die außerhalb des menschlichen Einflussbereiches liegen, von Allah kommen. Ebenfalls ist er verpflichtet zu glauben, dass die Vorherbestimmung (arab.: Al-Qadar) und „- das Gute wie

23

Al-Qur’an: Sure 40, Aya 67-68.

24

An-Nabhani, T.: Die Lebensordnung des Islam. 2000, S. 19-20.

19

View more...

Comments

Copyright � 2017 SILO Inc.