Nicole C. Karafyllis Willy Moog ( ): Ein Philosophenleben

January 9, 2022 | Author: Benedict Diefenbach | Category: N/A
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1 Nicole C. Karafyllis Willy Moog ( ): Ein Philosophenleben VERLAG KARL ALBER A2 Zum ersten Mal wird ein Buch zu Willy M...

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Nicole C. Karafyllis Willy Moog (1888–1935): Ein Philosophenleben

VERLAG KARL ALBER

A

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Zum ersten Mal wird ein Buch zu Willy Moog vorgelegt, der sich 1935 als Philosophieprofessor der TH Braunschweig mit 47 Jahren das Leben nahm. Die quellenreiche Studie geht auf Spurensuche zu seinem Leben und umfangreichen Werk, das in Grundzügen vorgestellt wird. Sie stellt darüber hinaus Fragen an die jüngere Philosophiegeschichtsschreibung: Warum manche Autoren bis heute vergessen werden und auf welche Weise Philosophiegeschichte von Philosoph(inn)en erzählt werden kann. Die Geschichte Moogs führt u. a. zu den Universitäten in Gießen, Greifswald und Braunschweig, dabei typische Problemfelder eines Professorenlebens im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts verdeutlichend: von der Teilnahme am Ersten Weltkrieg und dem politischen Druck, sich für die Lehrerbildung nützlich zu machen, bis hin zur Berufungspraxis an Technischen Hochschulen. Die Autorin Nicole C. Karafyllis zeichnet ein Lebensporträt von Willy Moog, dem Anhänger von Georg Simmel und Bewunderer von Husserls Phänomenologie. Unter Rückgriff auf bislang unbekannte Quellen werden zentrale Debatten in der deutschsprachigen Philosophie der 1910er und 1920er Jahre rekonstruiert, so unter anderem zum Psychologismusstreit, zu dem Moog 1919 an der Universität Greifswald seine Habilitationsschrift Logik, Psychologie und Psychologismus vorlegte, die jüngst wieder in den Fokus der Forschung getreten ist. Mit der vorliegenden Studie wird somit eine wichtige Lücke geschlossen. Im Anhang beigefügt ist eine Liste von Moogs Werken und Lehrveranstaltungen.

Die Autorin: Nicole C. Karafyllis, geb. 1970, ist seit 2010 Professorin am Seminar für Philosophie an der TU Braunschweig, das 1924 von Willy Moog begründet wurde.

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Nicole C. Karafyllis

Willy Moog (1888–1935): Ein Philosophenleben

Verlag Karl Alber Freiburg / München

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Originalausgabe © VERLAG KARL ALBER in der Verlag Herder GmbH, Freiburg / München 2015 Alle Rechte vorbehalten www.verlag-alber.de Satz: SatzWeise GmbH, Trier Herstellung: CPI buch bücher.de GmbH, Birkach Umschlagmotiv: Willy Moog, 1919 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier (säurefrei) Printed on acid-free paper Printed in Germany ISBN 978-3-495-48697-9

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Inhalt

Danksagung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.

9

Ein ungeklärter Tod – ein vergessenes Leben? Einleitende Bemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . .

13

1.1 Biografie und Philosophie: Möglichkeiten eines Philosophenlebens im Lichte von Moogs Das Leben der Philosophen (1932) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

13

1.2 Institutionengeschichte: Wie die Technische Hochschule Braunschweig zu ihrem ersten geisteswissenschaftlichen Ordinariat kam (1924) . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

39

1.3 Theoretische Überlegungen zur Biografie eines Philosophen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

60

1.4 Quellenlage und Legendenbildungen 2.

. . . . . . . . . . . 105

Moogs letzte Jahre an der TH Braunschweig (1929–1935): Die Philosophie im Kampf ums Überleben . . . . . . . . .

125

2.1 Kurz vor der Anklagebank: Moog und die Würde des Hochschulprofessors . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

125

2.2 Vorgeschichten und Nachwirkungen: Victor Klemperer (Dresden) und Theodor Vahlen (Greifswald/Berlin) . . . .

157

2.3 Moog und der Fabrikant Carl Helle: Die Braunschweiger Kant-Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

170

2.4 Die Kollegen: Von Stellengerangel, Parteipolitik und Zwangsentlassungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

174

2.5 Angst, Anpassungsversuche und das Hegel-Buch . . . . .

243

2.6 Bewerbungen in Tübingen und Breslau (1928/29): Warum der Philosoph kein Schriftsteller mehr sein soll . . . . . .

301 5

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Inhalt

2.7 Die Berufung von Friedrich Berger (1934): Der Umbau der Braunschweiger Philosophie zur völkischen Pädagogik . .

315

2.8 Schüler und Studenten Moogs, oder: 1935 prüfe ich erst recht zum Liberalismus! . . . . . . . . . . . . . . . . . .

380

2.9 Gefährliche Bibliophilie: Moogs Aufbau der Institutsbibliothek und ihre Rettung 1933 . . . . . . . . . . . . .

416

2.10 Transdisziplinär: Moogs Reihe »Geschichte der Philosophie in Längsschnitten« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

429

3.

439

Der junge Moog: Lebensweg und philosophische Entwicklung

3.1 Im Schoß der hessischen Familie

. . . . . . . . . . . . . 439

3.2 Darmstadt: Willy Moog und Herman Schmalenbach machen Abitur (1906) . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

459

3.3 Gießen, Berlin und München (1906–1909): Orientierung an Georg Simmel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

463

3.4 Die Berliner Jahre (1913–1915): Die Dilthey-Schule und die Ästhetik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

524

3.5 Mit Kant: Ansichten über Krieg und Frieden (1915–1917) .

540

3.6 Im Krieg »etwas polnisch«: Die kritische Hinwendung zu Husserls Phänomenologie (1915–1918) . . . . . . . . . .

561

3.7 Ordnung im Psychologismusstreit und im Philosophenleben: Die Greifswalder Habilitation (1919/20) . . . . . .

606

3.8 Die frühen 20er Jahre: Für und gegen die Suche nach einer neuen Metaphysik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

631

4. 5.

6

Vorläufiger Schluss: Über das Schweigen und wer das Schweigen bricht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

647

Nachworte von Victor Klemperer, Tilly Moog-Buss und Hermann Glockner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

675

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Inhalt

Anhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

679

. . . . . . . . . . . . 679 B. Liste der Lehrveranstaltungen von Willy Moog . . . . . . 692 C. Tabellarischer Lebenslauf . . . . . . . . . . . . . . . . . 697 A.

Willy Moog: Werkliste 1905–1935

Personen- und Autorenverzeichnis

. . . . . . . . . . . . . . . 703

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Willy Moog (1888–1935)

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Danksagung

Das Projekt zur Rekonstruktion von Leben und Werk Willy Moogs wurde fast ausschließlich in meiner ›akademischen Freizeit‹ jenseits des Hochschulbetriebs durchgeführt. Erste Nachforschungen durfte ich während eines Forschungsaufenthaltes als Senior Fellow 2010/11 am Internationalen Forschungszentrum Kulturwissenschaften (IFK) in Wien vornehmen. In dieser Zeit schrieb ich die Unterseite »Historie« für die neue Webpage des Braunschweiger Seminars für Philosophie, die in gebotener Kürze die Geschichte des Seminars an der TU Braunschweig seit der ursprünglichen Gründung durch Willy Moog 1924/1925 wiedergeben sollte. Dazu begann ich mit Recherchen. Bei meinem Dienstantritt im Sommer 2010 in Braunschweig interessierte ich mich das erste Mal für Moog, nachdem mir zugetragen wurde, dass es die Philosophie an der TU erst seit Inklusion der Pädagogischen Hochschule Ende der 1970er Jahre geben würde – was nachweislich falsch ist. Ich bin dankbar für diese kleine Provokation, hätte ich mich doch sonst womöglich nicht mit Willy Moog und seinem Werk beschäftigt. Moogs Philosophie ist nicht nur in philosophiehistorischer, sondern auch in systematischer Hinsicht relevant und vor allem angesichts gegenwärtiger Arbeiten zum Psychologismusproblem, zur Philosophie der Bildung und zum Theoriegerüst der »Kulturwissenschaften« erstaunlich aktuell. Seitdem habe ich fast unentwegt Material gesammelt und verwertet. Auf einiges stieß ich im beruflichen Alltag, als ich mich um die Inventarisierung des Buchbestandes der philosophischen Seminarbibliothek kümmerte. Die Bücher Moogs waren, wie so viele, nicht digital erfasst. Zum Teil waren sie auch falsch zugeordnet, zum Teil gestohlen. Mittlerweile hat Moog eine eigene Signatur, seine Werke sind ordentlich versammelt, fehlende Bücher wurden antiquarisch nachgekauft. Aber viele Fragen zu Leben und Werk blieben offen, die ich mit tatkräftiger Hilfe von außen angehen konnte. 9

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Danksagung

Denn die Arbeit an der Biografie von Willy Moog brachte ihn auch für die Familie wieder ins unmittelbare Leben zurück. Sie hat die Arbeit vorbehaltlos wie geduldig unterstützt, wofür ich sehr dankbar bin. Willy Moogs Verwandten Heinz Willy Moog in Mainz (Patensohn und als Sohn von Moogs Bruder Heinrich ein Neffe von Willy Moog) und seiner Tochter Dr. Stefanie M. Moog, dem Ehepaar Peter und IlseMarianne Zipf geb. Moog (Patentochter von Moogs Tochter Marianne und als Tochter von Moogs Bruder Ludwig eine Nichte von Willy Moog) in Riedstadt-Leeheim und Willy Moogs Enkeln Berit Hoff, Karin Moog-Hoff und Jon-Erik Hoff in Oslo verdanke ich wichtige Auskünfte, anregende Telefonate und eine Fülle von Material. Darunter ist der 1929 geborene Heinz Willy Moog der einzige, der Willy Moog noch als Kind persönlich gekannt hat. Peter Zipf, der dankenswerterweise den Kontakt zur norwegischen Familie für mich herstellte, hat ferner mit eigenen Recherchen zur anfangs noch im Dunklen liegenden Herkunft von Tilly Moog-Buss (Moogs Ehefrau) die biografische Arbeit unmittelbar begleitet und befördert. Hinzu kommen weitere jüngere Verwandte der Moog-Familie, die Fotos scannten und per E-Mail an mich übermittelten. Die umfassende Kooperation der weiten Familie Moog und ihr Mut zur Erinnerung sind für die Fertigstellung des Buches unschätzbar wertvoll gewesen. Besonders danke ich auch dem selbsterklärten ›Moog-Fan‹ und Braunschweiger Universitätshistoriker Uwe Lammers für die Übergabe wichtiger Materialien der Jahre 2002/2003 an das Seminar für Philosophie der TU Braunschweig im Frühsommer 2013. Seine Vorarbeit in den Recherchen im Rahmen seiner Magisterarbeit Dunkle Vergangenheit zu Wissenschaftlerkarrieren an der vormals VIII. Abteilung der TH Braunschweig legte Spuren, die ich weiter verfolgen und um neue ergänzen konnte. Wichtige Quellen, zusammen mit dem 2013 komplettierten Werkbestand von Moog, sind nun in Kopie im provisorisch angelegten Moog-Archiv in Braunschweig auch zukünftigen Forscher(inne)n leichter zugänglich. Kein Buch entsteht ohne eine umsichtige Verlagsbetreuung. Ein herzliches Dankeschön geht stellvertretend an Lukas Trabert vom Verlag Karl Alber, der das Projekt von Anfang an wohlwollend unterstützt hat. Ich danke ferner den vielen Mitarbeiter(inne)n der Archive für Auskünfte und Hilfe bei Recherchen sowie den Mitarbeiter(inne)n des Braunschweiger Seminars für Philosophie, Michael Medzech, Steffen Fortmann, Dr. Jakob Meier, Alexander Gunkel, Christiane Dill-Müller 10

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Danksagung

und Nils Reichert für Unterstützung bei meinen Arbeiten an diesem Buch. Ohne die Hilfe von Dr. Friedrich Wilhelm Knieß vom Stadtarchiv Darmstadt, der Universitätsarchive der Universität Gießen (dort v. a. Lutz Trautmann), der Universität Halle (dort v. a. Karin Keller), der Universität Greifswald, der HU Berlin und der LMU München hätten mir wichtige Belege zum Leben des jungen Moog gefehlt. Frau Katja Matussek und Frau Britta Moneke vom Stadtarchiv Braunschweig und Herr Michael Wrehde vom Universitätsarchiv der TU Braunschweig sowie die Mitarbeiter(innen) der Niedersächs. Landes- und Staatsarchive in Wolfenbüttel und Hannover lieferten wichtige Dokumente zum Leben des älteren Moog und seiner Kollegen. Frau Margit Hartleb vom Universitätsarchiv Jena sowie die Mitarbeiter des Universitätsarchivs Göttingen und des Universitätsarchivs Basel, v. a. auch Dr. Hermann Wichers vom Staatsarchiv Basel-Stadt, unterstützten meine Recherchen zu Moogs Klassenkamerad Herman Schmalenbach. Das Universitätsarchiv Tübingen leistete ausgezeichnete Arbeit beim Beschaffen von Unterlagen zu u. a. Moogs Doktorvater Karl Theodor Groos und dem späteren NS-Philosophen Friedrich Berger. Zusätzlich sei auch den Universitätsbibliotheken und Bildarchiven und ihren Mitarbeitern gedankt, die Bilddokumente und Autographen-Kopien bereitstellten. Großer Dank gebührt auch denjenigen, die mir bei einigen ›Spezialproblemen‹ zur Seite standen. Dem Feuerwehrmann Karsten Preiss und seiner Familie ist es zu verdanken, dass wir nun Näheres zu Moogs Todestag wissen. Sein Großvater Hermann Günther von der Braunschweiger Berufsfeuerwehr machte wichtige berufliche und private Notizen, die ich einsehen durfte. Diese Feuerwehrfamilie durch Hinweise von Braunschweigern ausfindig gemacht zu haben, kann als einer der glücklichsten Zufälle für dieses Buch angesehen werden. Mit Expertenwissen zu den wasserbaulichen und physischen Gegebenheiten des Flüsschens Oker im Jahr 1935 hat Herr Wilske von der Stadtentwässerung Braunschweig geholfen, Moogs Tod genauer zu rekonstruieren. Das Schlossmuseum Braunschweig und dessen wissenschaftlicher Berater Dr. Bernd Wedemeyer halfen mit, Moogs Institut zu lokalisieren. Nicole Holzhauser vom Theodor-Geiger-Archiv an der TU Braunschweig hat mir mit großem Engagement einen ganzen Arbeitstag geschenkt, um in gemeinsamer Detailarbeit Moogs Verhältnis zu dessen Kollege Geiger zu erahnen. Stéphanie Lachat von der Uhrenfirma Longines konnte Moogs Taschenuhr spezifizieren und aus den Firmenregistern noch das Kaufdatum eruieren. Der Ernst Reinhardt 11

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Danksagung

Verlag in München, bei dem Moogs Hegelbuch erschien, hat sich ausgiebig (doch leider vergeblich) bemüht, noch Dokumente zu finden, mir aber für weitere Forschungen dankenswerterweise seine Verlagschronik überlassen. Für juristische Beratung zum Dienststrafverfahren gegen Moog sowie zur Hinterbliebenenversorgung, noch mehr für die ›allgemeineren‹ Hinweise zur Geschichte Moogs danke ich Kurt-Hartwig Richter. Alfred Dunshirn war mein kundiger Berater für gräzistische Fragen. Viele weitere Menschen haben geholfen, die hier nicht genannt, aber in meinen Dank eingeschlossen sind. Auch danke ich meinen Braunschweiger Kollegen, v. a. Prof. Dr. Dr. Claus-Artur Scheier, Prof. Dr. Bettina Wahrig, Prof. Dr. SteenOlaf Welding, Prof. Dr. Matthias Steinbach, Prof. Dr.-Ing. Udo Peil und insbesondere Prof. Dr. Jochen Litterst, für ihre Diskussionsbereitschaft und Anregungen zum Buchprojekt und dass sie mich stets ermutigt haben, damit weiterzumachen. Prof. Dr. Hans-Christoph Schmidt am Busch verdanke ich darüber hinaus wichtige Erläuterungen zum Leben von Heinrich Scholz, einem Autor in der von Moog konzipierten Buchreihe. Prof. Dr. Gerald Hartung in Wuppertal half mit einer Verlagsanfrage im Umfeld zu Ueberwegs Grundriß der Geschichte der Philosophie sowie der Möglichkeit der Teilhabe an seiner philosophiehistorischen Expertise, u. a. zu Nicolai Hartmann. Gedankt sei auch Prof. Dr. Wolfdietrich Schmied-Kowarzik (Kassel/Wien) für Auskünfte zu den Forschungen über seinen Vater Walther Schmied-Kowarzik, der ein philosophischer Zeitgenosse Moogs war. Nicht zuletzt möchte ich meiner 80-jährigen Mutter Karin Karafyllis (geb. Wahlen) dafür danken, dass sie auf meine Nachfragen hin bereit war, sich an einige, zum Teil schmerzhafte Details aus der Zeit ihrer Kindheit zu erinnern und mir dadurch die ›Zeitreise‹ imaginativ erleichtert hat. Ihr sei dieses Buch gewidmet. Das vorliegende Buch erscheint eingedenk des 90-jährigen Bestehens der Philosophie an der TU Braunschweig, für das Willy Moog das Fundament gelegt hat. Mit dem hier vorliegenden Überblick, der den aktuellen Forschungsstand wiedergeben soll, bitte ich gleichzeitig um Benachrichtigung zu weiteren Fundstellen zum Leben und Werk Moogs. Nicole C. Karafyllis

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Braunschweig, im September 2014

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1. Ein ungeklärter Tod – ein vergessenes Leben? Einleitende Bemerkungen

1.1 Biografie und Philosophie: Möglichkeiten eines Philosophenlebens im Lichte von Moogs Das Leben der Philosophen (1932) Das »Leben der Philosophen«, so schreibt Willy Moog in seinem gleichnamigen Buch von 1932, hat »eine Bedeutung für die Geschichte der Philosophie, weil Geschichte der Philosophie selbst ein lebendiger Prozeß ist und weil im Leben der Philosophen schon ein philosophischer Sinn steckt«. Der Versuch einer »Lebensanschauung« vor einer zu vermittelnden Weltanschauung erscheint aus heutiger Sicht – eben weil Geschichte der Philosophie selbst ein lebendiger Prozess ist – sympathisch. Dabei geht es aber nicht um subjektive Innerlichkeit oder angesammelte Selbstzeugnisse von Philosophen, aus denen dann ein biografischer Sinn rekonstruiert würde. Eine der Pointen in Moogs Satz ist vielmehr, dass nicht nur im Leben eines individuellen Philosophen ein Sinn stecken könnte, sondern dass schon im Begriff des »Philosophen« eine Vorentscheidung für die Philosophiegeschichte getroffen wurde, wer überhaupt ein Philosoph ist und daher zur Erzählung der Geschichte gehören darf. Moog selbst durfte nach dem Zweiten Weltkrieg nicht dazugehören. 1 Einen guten Grund gibt es dafür nicht. Aber es gibt Gründe, die im vorliegenden Buch thematisiert werden sollen. Gut drei Jahre nach dem Schreiben der obigen Zeilen ist der Philosoph und Universitätsprofessor Willy Moog tot. Er hat sich selbst das Leben genommen. In dem Flüsschen Oker, das Braunschweig umfließt, hat er sich am 24. Oktober 1935 um die Mittagszeit ertränkt. 2 Feuer1 2

Die wenigen Ausnahmen werden im Folgenden genannt. Auf einer Karteikarte (Nr. 2063) des Sterberegisters im Archiv des Braunschweiger

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Alber (48697) / p. 14/18.12.2014

Ein ungeklärter Tod – ein vergessenes Leben? Einleitende Bemerkungen

wehrmänner ziehen seinen Leichnam, der auf Höhe der Bahn-Badeanstalt 3 im Wasser treibt, ans Ufer. Der Fundort liegt im Bürgerpark, wo die Braunschweiger gerne ihren Nachmittagsspaziergang machen. Laut Totenschein bestimmt man den Todeszeitpunkt auf 14.25 Uhr. Moogs goldene Taschenuhr ist um 12.17 Uhr stehengeblieben. 4 Dies könnte der Zeitpunkt sein, an dem er ›ins Wasser ging‹. Aufgrund der vormaligen baulichen und physischen Gegebenheiten der Oker, des Fundortes der Leiche sowie der zeitlichen Eckdaten ist anzunehmen, dass Moog von der Holzbrücke am »Eisenbütteler Wehr« gesprungen ist. Dort ist das Wasser etwa eineinhalb Meter tief. Das Wehr mit angeschlossenem Kraftwerk hatte große Mühlendurchlässe, durch die sich das Wasser mit Gewalt ergoss und die Oker an dieser Stelle zu einem reißenden Fluss machte. Direkt unterhalb des Wehres wurde man regelrecht unter Wasser gedrückt. Bei der Wassertemperatur von

Gesundheitsamts ist mit Datum 25. Oktober 1935 festgehalten: »Tod durch Ertrinken«, »Begleiterkrankung: Selbstmord«. Unter »Tag, Monat und Stunde des Todes« steht: »24. 10., 14.25 Uhr«. Ein Hinweis auf eine pathologische Untersuchung findet sich nicht. Die Überlassung einer Kopie verdanke ich Uwe Lammers, Braunschweig. Das korrekte Todesdatum ist auch angegeben im Bogen zur Einwohnermeldung in Darmstadt, auf dem sich oben rechts ein handschriftl. Vermerk findet: »starb 24. 10. 1935 in Braunschweig«. Vgl. Anmeldung zur Einwohnerliste der Haupt- und Residenzstadt Darmstadt, Großh. Polizeiamt Darmstadt, mit dem ursprünglichen Meldedatum 3. 11. 1911, als sich Moog erstmals in Darmstadt anmeldete (Stadtarchiv Darmstadt, Sign. ST 12–18, Blatt 1 des Meldebogens). Dasselbe Todesdatum findet sich auf der im Stadtarchiv Braunschweig archivierten Meldekarte von Moog (Sign. D I 12:500). Die Quellen seien deshalb genannt, weil sich in mehreren, auch aktuellen Publikationen immer noch ein falsches Sterbedatum Moogs findet, das auf einer fehlerhaften Auskunft der TH Braunschweig in den 1950er Jahren beruht (enth. in PA Moog, UniA BS, Sign. B 7 : 387), s. Kap. 1.4. 3 Die Eisenbahn-Badeanstalt war ein »offenes Flußbad« an der Oker, finanziert durch die Reichsbahn und im 19. Jahrhundert ursprünglich für Eisenbahner und ihre Familien zur Erholung vorgesehen. Ab 1924 wurde es ein öffentliches Familienbad, gelegen im Südwesten des Bürgerparks (Werkstättenweg). Eine in Braunschweig damals geläufige Abkürzung für das 1951 geschlossene Oker-Bad ist »Bahn-Bade«. Vgl. Kurt Hoffmeister: Zeitreise durch die Braunschweiger Sportgeschichte. Books on Demand (24. 05. 2013), S. 36 u. S. 59. 4 Die Uhrzeitangabe ist ein imaginativer Hinweis, kein Beleg. Die rotgoldene Taschenuhr der Marke Longines (Paris) mit 5 cm Durchmesser verwahrte Moogs Tochter Marianne lebenslang in einer Schachtel mit Briefen. Seit 1999 ist sie im Besitz ihres Sohnes; die Uhrzeit wurde nach seiner Kenntnis nie verstellt und die Uhr auch weder benutzt, noch technisch überprüft (Auskunft und Foto der Uhr übermittelt von Jon-Erik Hoff, Oslo, per E-Mail an Verf. am 24. Juli 2014).

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Biografie und Philosophie

maximal 10 Grad Celsius hat die Bewusstlosigkeit relativ schnell eingesetzt. Fest steht: Gegen Mittag hat Moog noch gelebt, denn vormittags hatte er einen überlebenswichtigen Termin beim Rektor der Technischen Hochschule Paul Horrmann in der Pockelsstraße, den er nachweislich noch wahrgenommen hat (vgl. Kap. 2.7). 5 Danach wurde er sogar noch im Stadtarchiv gesehen, das damals am Steintorwall Nr. 15 und somit auf dem Weg zum Eisenbütteler Wehr lag. Genauere Angaben zu Moogs Tod verdanken wir den Erinnerungen des Feuerwehrmanns der Berufsfeuerwehr Braunschweig, Hermann Günther (1912– 1998), dem wohl letzten Zeugen: »Am 24. Oktober [1935] saß ich vormittags im Stadtarchiv, als kurz vor Mittagsschluß Professor Willi [sic!] Moog in den Lesesaal kam und sich am Ausgabetisch über Familiengeschichte unterhielt. 6 Ich war beim Mittagessen, 7 als um 14.20 die Weckerglocke zweimal rasselte. Also auf zur Hauptwache, von dort zum Herzogin-Elisabeth-Heim, Hochstraße 11, wo es im Heizungskeller eine Zelluloidexplosion gegeben hatte. Alle Züge waren vor Ort, auch der Rüstwagen, 8 der aber plötzlich zum Werkstättenweg gerufen wurde. In Nähe der Eisenbahn-Badeanstalt trieb eine Leiche in der Oker; es war Professor Willi Moog. – Am Vormittag hatte man ihm eröffnet, daß er ›wegen eines schwebenden Verfahrens‹ dispensiert sei.« 9

Vom Rektoramt in der Pockelsstraße bis zum Eisenbütteler Wehr sind es (ohne Umweg) ca. 45 Gehminuten. 6 In einem anderen Typoskript ergänzt mit dem Zusatz in Klammern »(Ahnenforschung!)« als Thema der Unterhaltung (H. Günther: Das war mein Leben, Bd. I, a. a. O.). 7 In einem anderen Typoskript genauer: »zuhause beim Mittagessen« (H. Günther, Feuerwehrmann aus Leidenschaft, a. a. O., S. 22a). 8 Der Rüstwagen enthielt damals das Schlauchboot, das für Moogs Bergung benötigt wurde. Dank an Feuerwehrmann Karsten Preiss für die freundliche Erläuterung. 9 Vgl. Hermann Günther: Persönliche Erinnerungen an die Braunschweiger Berufsfeuerwehr und ihren Branddirektor Fritz Lehmann. Unveröffentl. Typoskript, Goslar 1994, S. 36 (im Privatbesitz). Dieses Typoskript fertigte Günther 1994 zusammen mit seinem Enkel Karsten Preiss (* 1964) an, indem Preiss ihm die dafür vorhandenen Notizzettel aus dem Originalzeitraum sortierte (schriftl. Mitt. von Karsten Preiss an Verf. vom 19. Aug. 2014). Günther schreibt dieses Manuskript eingedenk des von ihm verehrten Branddirektors Fritz Lehmann, der ihm ermöglicht habe, »auf Wache III« »ungestört arbeiten« zu können. Die Kenntnis, dass Moogs Tod mit einem »schwebenden Verfahren« zusammenhing, ist im Nachhinein von Günther rekonstruiert worden und belegt nicht sein ursprüngliches Wissen am 24. Okt. 1935 (vgl. Kap. 2.5). 5

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Ein ungeklärter Tod – ein vergessenes Leben? Einleitende Bemerkungen

Zufälligerweise war dieser freiwillige Feuerwehrmann auch Student an der Kulturwissenschaftlichen Abteilung der Technischen Hochschule Braunschweig und kannte Moog deshalb. Er war »Feuerwehrmann aus Leidenschaft«, wie er ein Typoskript mit Lebenserinnerungen später tituliert. Schon als Kind war er bei der Turner-Feuerwehr und der Freiwilligen Feuerwehr mitgefahren. Weil Feuerwehrmänner eine Berufsausbildung haben mussten, hatte sich Günther für den Lehrerberuf und entsprechend ein Lehramtsstudium an der TH entschieden. Zahlreiche Veranstaltungen zu Philosophie und Pädagogik hat er bei Moog gehört; zu ihm und seinen Kollegen hat er uns persönliche Eindrücke in seinem Tagebuch hinterlassen (vgl. Kap. 2.5). Eines seiner Lieblingsfächer war Geschichte. Deshalb sitzt er damals im Stadtarchiv, um für seine Examensarbeit über Die Großfeuer der Stadt Braunschweig und Maßnahmen zu ihrer Verhütung und Bekämpfung zu recherchieren. 10 Er liest dort Dokumente zur Geschichte der lokalen Feuerwehr, als der soeben vom Dienst suspendierte Moog hereintritt. 11 Was Moog noch Die Arbeit war die Abschlussarbeit für die Prüfung zum Mittelschullehrer an der TH Braunschweig (Datum des Zeugnisses: 19. Sept. 1936) und wurde von Professor Ernst August Roloff folgendermaßen bewertet: »Die Arbeit ist nicht nur für die Geschichte der Stadt Braunschweig, sondern allgemein für die Geschichte von Kultur und Technik (Löschtechnik, Bautechnik usw.) aufschlußreich und interessant. […] Überall zeigt der Verfasser eine gründliche Beherrschung der Arbeitsmethoden der Geschichte und eine geradezu überraschende Sachkenntnis. Die Arbeit stellt alle bisher vorhandenen Teildarstellungen – wie Pfeiffer, Sack, Hänselmann – weit in den Schatten. Wenn auch einige stilistische Härten vorliegen, kann die Arbeit, die fast den Wert einer Dissertation besitzt, dennoch ohne Einschränkung als sehr gut bezeichnet werden« (gez. Roloff am 18. 5. 1936) (zit. nach den Angaben in Günthers Tagebuch: Das war mein Leben. Bd. I, a. a. O.). Die Arbeit des Feuerwehrmanns verbrannte im Zweiten Weltkrieg, ebenso wie seine Materialsammlung, die er bereits für eine Dissertation in Geschichte angelegt hatte. Nach dem Krieg gab er die Idee einer Promotion auf. Im Krieg war er ab 1941 zunächst als Funker in Hannover, dann bei der Feuerwehr beim Oberkommando der Wehrmacht (OKW) eingesetzt. In der zweimonatigen US-amerikanischen Kriegsgefangenschaft war er organisatorisch für den Aufbau des »Fire Department« im Camp Bad Hibling/Bayern mit verantwortlich, von wo er mit wärmsten Empfehlungen entlassen wurde (dem Tagebuch beigefügt). Vor und nach dem Krieg arbeitete er als Lehrer und vor allem: als Feuerwehrmann (beides zuletzt in Goslar). 11 Ich danke Britta Moneke vom Stadtarchiv Braunschweig, die per E-Mail vom 18. Aug. 2014 meine Fragen zur obigen Rekonstruktion sachkundig beantwortete. Moog war im noch existierenden Nutzerbuch des Stadtarchivs am 24. Okt. 1935 nicht als Benutzer eingetragen, hat also dem Lesesaal der Stadtbibliothek nur einen kurzen Besuch abgestattet. Er wurde gemeinsam von Stadtbibliothek und -archiv genutzt. Laut den zuletzt verfügbaren Angaben (von 1910) schloss das Stadtarchiv zur Mittagspause 10

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Biografie und Philosophie

im Stadtarchiv gewollt haben könnte, wissen wir nicht. Offenbar ist dem Philosophen aber nicht anzumerken, dass er sich wenige Minuten später das Leben nehmen wird. Moog bewahrt bis zuletzt Haltung.

Abb.: Feuerwehrmann und Lehrer Hermann Günther (1912–1998). Ausweis der Braunschweiger Feuerwehr (1938) mit dem handschriftl. Zusatz: »Mein erster Dienstausweis!« 12

Gut zwei Stunden später ist Feuerwehrmann Günther mit dem Einsatz zu Moogs Bergung wieder in der Gegenwart angekommen. Er selbst bleibt zwar bei den Löscharbeiten zur oben genannten Zelluloidexplosion und ist froh, dass er seinen toten Professor nicht aus der Oker hat ziehen müssen, wie er später in seinem Tagebuch festhält. Aber er schreibt alle Einzelheiten zu diesem Paralleleinsatz in seinem dienstlichen Notizbuch auf, das er für jeden Tag akribisch und minutengenau führt. Zum Zeitpunkt des Einsatzes hat er noch keine Ahnung, dass seine von der Löschstelle abberufenen Kollegen Willy Moog bergen um 13.00 Uhr und öffnete wieder um 15.00 Uhr. Allerdings kann nicht ausgeschlossen werden, dass im Jahr 1935 bereits um 12.00 Uhr Mittagsschluss war. Zwischen 1910 und der Nachkriegszeit (wieder 13.00 Uhr) hat das Stadtarchiv keine Dokumentation über seine Öffnungszeiten. 12 Reproduktion erstellt nach dem Originalausweis, der auf ein A4-Blatt im Typoskript Feuerwehrmann aus Leidenschaft, a. a. O., von H. Günther eingeklebt wurde (im Privatbesitz, Kopie im Bes. d. Verf.).

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Ein ungeklärter Tod – ein vergessenes Leben? Einleitende Bemerkungen

werden. Günther notiert bei Schichtende »14.20: Freiwache alarmiert! […] Rüstwagen z. Unfallstelle a. d. Eisenbahnbadeanstalt: Lebensmüder geborgen. Züge ein: 14.50«. 13 Es gibt daher keinen Zweifel, dass Moog um 14.20 Uhr bereits tot in der Oker lag. Dies bedeutet auch, dass der Todeszeitpunkt (14.25 Uhr) im Totenschein falsch ist. Hinweise auf eine medizinische Bestimmung des Todeszeitpunkts finden sich nicht. Man hat einfach die Uhrzeit der Bergung eingetragen. Nur 47 Jahre alt ist Moog geworden. Er war nicht nur ein überaus disziplinierter wie produktiver Vertreter seines Fachs, sondern auch ein romantisch veranlagter Genussmensch, der gerne gelebt hat. Davon und von den Umständen, die ihn lebensmüde werden ließen, erzählt dieses Buch. Denn welcher Sinn auch immer hinter einem Philosophenleben stecken mag: Er kann nicht gefunden werden, wenn das Leben nicht aufgeschrieben wird. Hier liegt es nun als ein biografisches Lebensbild vor, das eine mögliche Geschichte über ihn erzählt, die nicht seine Geschichte sein kann. Geschichten von sich hat er uns selbst nicht hinterlassen. Moog hat ein Philosophenleben des stillen, beharrlichen Denkens und Schreibens vertreten, das keine politische Bühne suchte und kaum zu den weltanschaulichen Heilungsbemühungen der deutschen Philosophie nach dem Ersten Weltkrieg beitragen wollte. 14 Eine politische Haltung hat er, der unfreiwillig eingezogen wurde, sehr wohl gehabt, und sie zeigt sich schon in seinen jugendlichen Veröffentlichungen vor dem Ersten Weltkrieg. Es ist die Haltung eines liberalen Humanismus, der vom Kulturfortschritt und der Aufklärungsphilosophie ausgeht. Es liegt an der Ökonomie der Aufmerksamkeit, dass die stilleren und ausgewogenen Vertreter eines Fachs in dessen Geschichtsschreibung eher vergessen werden als die Lauten und Radikalen. Nicht selten geschieht diese Ausblendung ungeachtet der Wichtigkeit für den Er»Züge ein« bedeutet, dass die Feuerwehr mit Fahrzeugen wieder eingerückt ist. Zit. nach dem unpaginierten Dienstnotizbuch (ca. 20 Blatt, liniert, Kleinformat 10  16 cm, blauer Pappeinband, handschriftl. Bleistifteinträge) von Hermann Günther, Notizbuch Nr. VI, Titel: Berufsfeuerwehr Braunschweig 1934–35, Laufzeit ab 15. 11. 1934; Eintrag: 24. 10. 1935 (Unterstr. i. Orig.). Im Privatbesitz von Karsten Preiss, Evessen. 14 So fehlt Moog auch in dem bislang vorgelegten Werk von Ulrich Sieg, der als kenntnisreicher Historiker der deutschsprachigen Philosophie des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts mit zahlreichen Schriften hervorgetreten ist. Vgl. jüngst Ulrich Sieg: Geist und Gewalt. Deutsche Philosophen zwischen Kaiserreich und Nationalsozialismus. München: Hanser 2013. 13

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kenntnisgewinn und die institutionelle Entwicklung des Faches, in diesem Fall: die Philosophie. Dass Moog so lange vergessen wurde, rührt auch mit daher, dass das Fach selbst sich bestimmte Narrative über ein Philosophenleben erzählt, in die man zu passen hat. Diese Narrative, v. a. das des vergeistigten Genius, sind erstaunlich inert, wenngleich sie historische Wandlungen durchlaufen haben. So werden gesellschaftliche Erwartungshaltungen generiert, wie man als Philosoph zu sein und was man zu tun und noch mehr zu lassen hat. Das asketische Ideal des Philosophenlebens und der Anspruch einer »Logik der Geschichte« sollten aber in der Biografie über einen Philosophen gerade nicht erfüllt werden: weil Biografien von Menschen handeln. Der Satz ist alles andere als trivial zu verstehen. Die vorliegende Biografie hebt demnach nicht darauf ab, eine »intellektuelle Biografie« zu sein; vielmehr ist sie als »Mikrogeschichte« konzipiert, die ein mögliches Philosophenleben in seiner Zeit im Detail nachzuzeichnen versucht (soweit es die Quellen erlauben). Dazu kommt das philosophische Anliegen des Buches, mit dem Philosophenleben von Moog nach den hegemonialen Narrativen der westlich tradierten Philosophie über Philosophen und die entstehenden Kontingenzen wenigstens zu fragen. Denn typisch für das moderne Philosophenleben scheint zu sein, dass mit dem Topos des »Philosophen« lebenslang gerungen wird, innerhalb und außerhalb des akademischen Lebens. Und auch noch nach dem Tod. Am 25. Oktober 1935 wird die Stadt Braunschweig durch einen kurzen Artikel im Braunschweiger Allg. Anzeiger über den Tod des Philosophen informiert. Der hiesige Ordinarius für Philosophie und Pädagogik, Willy Moog, sei einen Tag zuvor »plötzlich verstorben«. 15 Man listet seine akademischen Stationen Gießen, Berlin, München, Greifswald, Braunschweig auf, verliert aber kein anerkennendes Wort über seine Lebensleistung. Ungenannt bleibt etwa seine Rolle bei der Neuauflage des Standardwerks Ueberwegs Grundriß der Geschichte der Philosophie, dessen Band III zum 18. Jahrhundert Moog für die 12. Auflage (1924) fertig bearbeitete, weil sein schon von Krankheit gezeichneter Freund Max Frischeisen-Köhler (1878–1923), ein Schüler Wilhelm Diltheys, ihn darum gebeten hatte. 16 Seit dem knappen Nachruf, der lediglich Moogs »zahlreiche Artikel« anstatt seine vierzehn Vgl. Braunschweiger Allgemeiner Anzeiger Nr. 250, Freitag, 25. Oktober 1935, S. 2. Moog bearbeitet die großen Abschnitte 2 bis 4, was in der Rezension der 12. Aufl. des Ueberweg (Bd. III+IV) von Arthur Liebert in den Kant-Studien (Jg. 29, 1924, S. 501–

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Monographien würdigt und auch keinen Hinweis auf die Greifswalder Habilitationsschrift Logik, Psychologie und Psychologismus (veröffentl. 1920) enthält, welche die damaligen Psychologismusdebatten im Reflex auf Edmund Husserl wesentlich beeinflusste, ist auch drei Generationen später wenig über Moog bekannt geworden. 17 Die Lücke, die Moog hinterließ, soll nun für die philosophieund universitätsgeschichtliche Forschung verkleinert werden. Die Forschungslücke betrifft aber bei weitem nicht nur die Geschichte der Philosophie, sondern auch ihre Gegenwart. Erst jüngst hat der Wissenschaftsphilosoph Martin Kusch Moogs klare Analyse der erkenntnistheoretischen Positionen herausgestellt und ihn für die Zeit um 1919 in die argumentative Nähe des jungen Moritz Schlick (1882–1936) gerückt. Moog ging es damals mit anti-subjektivistischer Stoßrichtung um das systematische Sichtbarmachen der Differenz, die sich aus den Geltungsbeziehungen der Erkenntnis einerseits und den psychischen Akten des Erkennens andererseits ergibt, ohne den Anspruch auf Gültigkeit des Erkannten (»Wahrheit«) aufzugeben. Moog und Schlick hatten wenigstens einmal Brief-Kontakt, wie im Zuge des Entstehens der Moritz-Schlick-Gesamtausgabe vor kurzem offenbar wurde. 18 Auch zu anderen philosophischen und pädagogischen Kontexten erreichten das Braunschweiger Seminar für Philosophie, das er aufgebaut hat, in den letzten Jahren Anfragen zu Moog, mit Bitte um genauere Auskünfte zu Leben und Werk. Bis in die jüngste Zeit konnten wir ihnen nicht hinreichend nachkommen. Mit dem vorliegenden Buch sollen nun Antworten gegeben, vor allem aber die verwobenen Geschichten eines Philosophenlebens erzählt werden. 505) gewürdigt wird. Weitere Rezension von Heinz Heimsoeth, in: Deutsche Literaturzeitung 46 (1925), S. 963 f. 17 Kurz nach dem 2. Weltkrieg wird Moogs Habilitationsschrift z. B. zu Rate gezogen von Wilhelm Raimund Beyer: Der Spiegelcharakter der Rechts-Ordnung. Meisenheim/Glan: Hain 1951, S. 23 f. 18 Vgl. Martin Kusch: Psychologism. A case study in the sociology of philosophical knowledge. London: Routledge 1995, insb. S. 67–69, S. 86–89 und S. 108 f. Vgl. auch Michael Sukale: »Logik und Psychologismus«, in: Journal for general philosophy of science, Vol. 19, Nr. 1 (1988), S. 62–85. Mit Bezug auf Moogs Kritik an den psychologistischen Elementen in der Philosophie Hermann Cohens hat Andrea Poma (The Critical Philosophy of Hermann Cohen, Albany/New York: SUNY Press 1997; ital. Orig. Milano: Mursia 1988) in jüngerer Zeit ausführlich auf Moogs Schrift hingewiesen; siehe in der engl. Ausgabe S. 148 f. und S. 151 f. (inkl. längerer Moog-Zitate in englischer Übersetzung).

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Denn Moog fehlt in allen jüngeren Philosophen-Lexika, als hätte er nicht gelebt, geforscht, gelehrt und geschrieben. Wohl findet man ihn in Werken zur Geschichte der Pädagogik erwähnt. Die Wissenslücke betrifft nicht nur die philosophische Zunft, sie gilt auch für einen Großteil der universitätsgeschichtlichen Forschung zu den Universitäten Gießen, Greifswald und vor allem Braunschweig. Eines der beiden großen Kapitel des Buches beschäftigt sich deshalb mit seiner Braunschweiger Zeit, die seine letzte bleiben sollte. Geschildert wird in Kap. 2 das Leben des etablierten Braunschweiger Professors und sein institutionelles Agieren, begleitet von Informationen zur familiären Situation. Deren Anfänge, Strukturen und Entwicklung werden hingegen in Kap. 3 hervorgehoben, das sich Moogs Jugend, Studium und Privatdozentenzeit in den 1910er und 1920er Jahren widmet – und damit einer Zeit, in der die philosophische Landschaft und die behandelten Themen so ›bunt‹ und anregend waren wie meines Erachtens in keiner anderen Zeit des 20. Jahrhunderts. Der amerikanisch-britische Pragmatismus, der logische Positivismus, die Phänomenologie, die Kulturphilosophie, die philosophische Anthropologie, die ›neue Mystik‹, die Psychoanalyse und die Anthroposophie, die Reformpädagogik und die Institutionalisierung der Psychologie und Soziologie als Wissenschaften: Sie alle nehmen in jener Zeit ihren Ausgang. Die Lebensphilosophie und die Technikphilosophie erreichen in den 1920er Jahren ihre vorläufigen Höhepunkte. 19 All dies erlebt Moog hautnah mit und verarbeitet es in seinem Denken und Schreiben, soweit ihm der Schuldienst, der Kriegsdienst und später die Pflichten in Lehre und Verwaltung an der Hochschule Zeit lassen. Für die Philosophie hat er sich in allen Lebenslagen immer Zeit genommen, wie die dichte, fast atemlose Aufeinanderfolge seiner Schriften zeigt. Und hier sind wir bereits in einem etablierten Narrativ über ein Philosophenleben, demgemäß der Dienst an der Philosophie über allem Anderen zu stehen hat. In der NS-Zeit, die für Moog in Braunschweig schon 1930 beginnt, kann Moog dieses Ideal immer weniger leben. Moog war seit seinem Dienstantritt am 1. November 1924 fast elf Jahre an der TH Braunschweig als ordentlicher Professor tätig. Der oben genannte Nachruf zu Moog aus der Braunschweiger Presse verschweigt geradeVgl. Nicole C. Karafyllis: »Lebensführung als problematisches Konzept«, in: dies. (Hg.): Das Leben führen? Lebensführung zwischen Technikphilosophie und Lebensphilosophie. Berlin: edition sigma 2014, S. 15–54.

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zu, dass Moog 1927 bis 1930 als Dekan 20 der neuen Kulturwissenschaftlichen Abteilung der TH Braunschweig vorstand und maßgeblich zum dortigen Aufbau der Geistes- und Sozialwissenschaften beigetragen hat. 21 Das mit ihm gegründete Institut für Philosophie, Pädagogik und Psychologie ist das erste geisteswissenschaftliche Institut der TH; die Institute für Geschichte und Germanistik folgen wenige Jahre später und dank seiner Mithilfe. Moogs umfangreiche Aufbauarbeit der universitären Bibliothek als Forschungsbibliothek, eine seiner Leidenschaften, bildete ferner den Grundbestand der philosophischen, psychologischen, soziologischen und pädagogischen Schriften, die die Universitätsbibliothek der heutigen TU Braunschweig beherbergt. Moogs Tochter Marianne (1921–1999) wollte nach dem Tod ihres Vaters Bibliothekarin werden – so sehr hat Moog die Anderen seine Passion für das Lesen, Sammeln und Ordnen von Büchern und der in ihnen enthaltenen Erkenntnisse spüren lassen; sicherlich auch seine zahlreichen Doktoranden und Studenten, über die das vorliegende Buch ebenfalls Auskunft geben möchte. Er selbst muss auch in seiner Braunschweiger Zeit ein häufiger Besucher der damaligen Deutschen Lehrerbücherei bzw. heutigen Bibliothek für bildungsgeschichtliche Forschung 22 in Berlin gewesen sein, wie sein zweibändiges Werk Geschichte der Pädagogik nahelegt. Über all dies wird in Braunschweig direkt nach seinem Tode nichts geschrieben. Ein weiterer Nachruf in der Braunschweigische[n] Landeszeitung, 23 damals Organ der NSDAP, unterschlägt am 3. November 1935 ebenfalls alle Veröffentlichungen und stellt Moogs akademisches Höchstwahrscheinlich war Moog auch schon bei der Gründung der Kulturwissenschaftlichen Abt. Ostern 1927 Dekan. Dies konnte nicht ausfindig gemacht werden, da die Dekanatsakten der VIII. Abt. verschollen sind und Moogs Personalakte im UniA BS für seine Dekanzeit eine Lücke aufweist. Dass Moog schon im Nov. 1927 Dekan war, geht aus einer befürwortenden Stellungnahme zu einem Brief von Bernhard Herwig vom 29. Nov. 1927 hervor. Enth. in Akte 12 Neu 16 Nr. 422 im NLA Staatsarchiv Wolfenbüttel. 21 Vgl. Bettina Gundler, Claudia Schüler: Catalogus Professorum der Technischen Hochschule Carolo-Wilhelmina zu Braunschweig. Teil 2: Lehrkräfte 1877–1945. Braunschweig 1991, S. 179. 22 Sie wurde 1876 als Deutsches Schulmuseum gegründet und 1908 in Deutsche Lehrerbücherei umbenannt. Seit 1890 umfasste sie eine umfangreiche Handschriftensammlung zur deutschen Bildungsgeschichte. 23 Vgl. Nachruf Willy Moog in Braunschweiger Landeszeitung vom 3. Nov. 1935. Stadtarchiv Braunschweig, Sign. Z 3 : 3. 11. 1935. 20

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Leben verzerrt in den ausschließlichen Dienst an der Lehrerbildung. Hinzu kommt die ›Spitze‹, dass der bei den Nationalsozialisten beliebte Psychologe und Philosoph Oswald Kroh als Vorgänger Moogs auf dem angeblichen »Lehrstuhl« explizit genannt wird. Ein Ordinariat für Philosophie gab es allerdings erst mit Moog. »Der ordentliche Professor der Technischen Hochschule, Dr. Willy Moog, ist am 24. Oktober 1935 in Braunschweig verschieden. Professor Moog wurde am 22. Januar 1888 als Sohn eines Lehrers in Neuengronau im Regierungsbezirk Kassel geboren. Nach dem Besuch des Gymnasiums in Darmstadt studierte er in den Jahren 1906 bis 1910 Philosophie, deutsche und klassische Philologie an den Universitäten Gießen, Berlin und München. Im Jahre 1924 wurde er als ordentlicher Professor auf den durch Weggang von Professor Kroh freigewordenen Lehrstuhl für Philosophie und Pädagogik an der Technischen Hochschule Braunschweig berufen. Hier in Braunschweig hat Professor Moog seitdem im Dienst der hochschulmäßigen Lehrerbildung ununterbrochen gewirkt. Zum Gedächtnis des Entschlafenen fand am Sonnabend, dem 26. Oktober, in der Kapelle des Friedhofs eine Trauerfeier statt. Die Beisetzung erfolgte am Dienstag 24 auf dem Waldfriedhof in Darmstadt.«

Zur Zeit der Nachrufe waren zwei Professoren an der Pressestelle bzw. »Nachrichtenabteilung« der TH Braunschweig beschäftigt, 25 die Moog sehr gut gekannt haben und durchaus andere, würdigendere Informationen hätten geben können: der Mathematiker Heinrich Emil Timerding und der Germanist Karl Hoppe, der noch dazu Dekan war, als das Abteilungsmitglied Moog starb. Beide Personen spielen für die Braunschweiger Geschichte Moogs noch eine besondere Rolle. Aber Moog war nicht nur der Philosoph, der in Braunschweig starb, sondern auch der junge Lehrer am Humanistischen Gymnasium in Darmstadt, der einst hoffnungsfroh nach Berlin aufbrach, um dort erst zum Philosophen zu werden. Davon soll dieses Buch gleichermaßen erzählen. In selbstverordneter Aufbruchstimmung wurde das Foto von Moog und seinen beiden jüngeren Brüdern Heinrich (1892–1943) und Ludwig (1898–1987) gemacht, denen er eng verbunden war. Der Weltkrieg war gerade vorbei, die Weimarer Republik noch in den Kinderschuhen und Willys Hochzeit mit Mathilde »Tilly« Buss stand an. Die Gebrüder Moog blicken zuversichtlich, zum Teil gespannt, zum Dienstag, der 29. Oktober 1935. Vgl. Daniel Weßelhöft: Von fleißigen Mitmachern, Aktivisten und Tätern. Die Technische Hochschule Braunschweig im Nationalsozialismus. Hildesheim: Olms 2012, S. 108.

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Teil gelassen in die Kamera, hatten sie doch das Leben noch vor sich. Willy Moog wusste zu jener Zeit endlich genau, was er wollte: Philosoph sein.

Abb.: Die Gebrüder Moog: Heinrich (1892–1943; links), Ludwig (1898–1987; rechts im Vordergr.) und Willy (1888–1935; rechts im Hintergr.). Aufn. entst. 1919 in Darmstadt, wahrschl. anl. der Verlobung (Jan. 1919) mit Mathilde Buss. Aufnahme: Fotograf Kuebeler, Ludwig-Str., Darmstadt. 26

Neben seinen Brüdern und seiner willensstarken Ehefrau Tilly MoogBuss (1884–1958), die ihn in seinem Philosophenleben unterstützte, hatte Moog wenigstens einen guten Freund. Lange Jahre in Hessen und Berlin an seiner Seite war, bislang gänzlich unbekannt, Herman Schmalenbach (1885–1950), der wiederum mit Georg Simmel und Stefan George in Berlin gut bekannt war. Schmalenbach wird ebenfalls Philosophieprofessor werden. 27 Die Spur der Gemeinsamkeiten führt in Kap. 3.2 zurück nach Darmstadt, wo auch George Abitur machte. Selbst während Moogs Zeit in Braunschweig blieb der Phänomenologe Schmalenbach durch Zufall geographisch an seiner Seite, denn er lehrte seit 1920 in Göttingen und ab 1928 zusätzlich an der TH Hannover. 26 27

Vorlage im Besitz von Jon-Erik Hoff, Oslo. Der Nachlass Herman Schmalenbach befindet sich in der UB Basel (Sign. NL 106).

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1931 erhielt Schmalenbach gleich drei Rufe: nach Prag, Königsberg und Basel. Wohl auch, weil er mit einer ›Jüdin‹ verheiratet war, entschied er sich für Basel und wurde als Nachfolger von Karl Joël berufen. Mit dem Aufenthaltsort in der Schweiz hatte Schmalenbach in den Folgejahren vordergründig ein leichteres Schicksal als Moog im Deutschen Reich, aber die Judenverfolgung zog sich durch die gesamte Familie Schmalenbach. Der getaufte, aber auch einigermaßen überzeugte Protestant Moog und seine Familie waren davon leiblich nicht direkt betroffen. Dennoch musste er zuletzt mit ansehen, wie fast sein gesamtes philosophisches Netzwerk wegen Zwangsentlassungen und Emigrationen zerbrach. Akademisch konnte er ab 1933 nicht mehr richtig arbeiten, Schmalenbach auch nicht. Die inhaltliche Nähe der frühen Philosophien Moogs und Schmalenbachs ist bestechend: der Fokus auf Logik und Erkenntnistheorie im Ausgang von Platons Metaphysik und Kants Transzendentalphilosophie, das starke philosophiegeschichtliche Interesse (u. a. mit Fokus auf das 18. Jahrhundert), die strikte Ablehnung einer »Psychologie ohne Seele« (Moog), die gemeinsame Begeisterung für Literatur und v. a. die Lyrik und die Verehrung für die beiden ›Newcomer‹ der damaligen philosophischen Landschaft: die fast gleichaltrigen Vordenker Edmund Husserl (1859–1938) und Georg Simmel (1858–1918). Schmalenbach wird heute systematisch dem frühen Münchner Phänomenologenkreis zugeordnet, aber seine philosophische Ausbildung und seine Leidenschaft für die Philosophie beginnen mit der Hörerschaft bei Simmel in Berlin, in der Bank neben Moog sitzend. Als Moog 1924 nach Braunschweig kommt, besitzt er alle damals verfügbaren Schriften von Schmalenbach und komplettiert sie in den Folgejahren. 28 Zu Schmalenbach liegen bislang zwar mehrere Überlieferungen, aber ebenfalls keine vollständigen biografischen Daten vor. Weil es sich um einen engeren Freund Moogs gehandelt hat und weil die beiden jeweils von Darmstadt aus ein eigenes Philosophenleben zu gestalten versuchten, werden im vorliegenden Buch die recherchierten Daten zu Schmalenbach denen zu Moog an die Seite gestellt, ohne Im Bestand der Bibliothek des Braunschweiger Philosophischen Seminars sind bzw. waren die ab 1914 in der Reihe Bibliotheka philosophorum erschienenen ausgewählten Schriften von Leibniz, Schmalenbachs publizierte Habil.schrift zu Leibniz (München 1921), das Buch Das Mittelalter: sein Begriff und Wesen (1926) (heute im Bestand der UB im Lesesaal) und Kants Religion (Berlin 1929). Allerdings tauchen diese Bücher nicht in der Anschaffungsliste des Seminars auf (s. Kap. 2.9).

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dabei, anders als bei Moog, den Anspruch auf Vollständigkeit verfolgt zu haben. 29 Denn gemeinsam ist beiden auch, dass sie, obwohl einst als Professoren institutionell fest in der Philosophie verankert, heute nahezu vergessen sind. In der Heimat Hessen blieb Moog länger in aktiver Erinnerung als in Braunschweig, noch dazu in ausdrücklich positiver. 30 Sein einstiger Lehrer an der Gießener Universität, der berühmte Germanist und Mediävist Otto Behaghel (1854–1936), bewahrte die Todesanzeige von Moog bis zu seinem eigenen Tod auf. 31 Und zu Moogs 50. Geburtstag am 22. Januar 1938, den er nicht mehr erlebte, findet sich endlich ein würdigender Nachruf, wohl in der Hessischen Landes-Zeitung (inkl. Darmstädter Anzeiger). 32 Der Nachruf betont zwei Tatsachen: die Fülle von Moogs Werken sowie die Klarheit seines Denkens und auch seiner geschriebenen Sprache. Rezensionen seiner Werke – über 25 konnten bislang recherchiert werden – sind bis 1933 durchweg positiv. Immer wieder betont man Breite und Tiefe seiner historischen Kenntnisse sowie sein systematisches Denken. Moogs geschriebene Sprache ist auf eigenartige Weise sachlich und doch elegant. Abgesehen vom Jugendwerk fehlt ihr der Gestus der Erbaulichkeit, den das Bildungsbürgertum seiner Zeit so schätzte – aber für sie hat er nicht geschrieben, sondern für die zeitgenössische Jugend, die es zu bilden galt, und für den weiteren Kollegenkreis. Dass er ein mitreißender Redner war, lässt sich allerdings bezweifeln. Moog hielt vergleichsweise wenig öffentliche Vorträge und soll Für Schmalenbachs Biografie ist nach wie vor maßgeblich die Schilderung seines Schülers Michael Landmann, der in Basel bei Schmalenbach, ab 1948 dann bei Karl Jaspers studierte. Vgl. M. Landmann: »Herman Schmalenbach 1885–1950«, in: ders.: Figuren um Stefan George. Castrum Peregrini Nr. 151/152. Amsterdam 1982, S. 80– 87; »Herman Schmalenbach 1885–1950«, in: Studia Philosophica. Jahrbuch der Schweizerischen Philosophischen Gesellschaft 10/1950, S. 1–4. Vgl. ferner Hans Brinkmann: »Herman Schmalenbach †«, in: Jahrbuch für die Sozialwissenschaften 2, 1951, S. 92 f. 30 Womöglich erfolgte der Nachruf auf Initiative von Moogs Witwe Tilly, die seit Mitte März 1936 wieder in Darmstadt lebte. Dass sie den Nachruf selbst verfasst hat, ist auszuschließen, weil der Vorname ihres Mannes falsch geschrieben ist (»Willi«). 31 Vgl. Wolfgang Georg Bayerer: Findbuch zum Nachlaß Otto Behaghel (1854–1936). Gießen: Universitätsbibliothek 1993, S. 115 (Archivalien Nr. 60/62). 32 Die Quelle des Nachrufs wurde bis jetzt nicht recherchiert. Die vermutete Quellenangabe verdanke ich der schriftl. Mitt. von Dr. F. W. Knieß (Stadtarchiv Darmstadt) vom 27. 08. 2013. 29

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Abb.: Nachruf vom 22. Januar 1938 in Hessen. Vorlage: Stadtarchiv Darmstadt ST 61 Dr. Willy Moog. 33

beim Vortragen gestottert haben. 34 Auf Konferenzen hat er sich jedoch häufig getummelt. Sie werden im Buch genannt, soweit seine Teilnahme recherchiert werden konnte. Das Foto ist auch separat verzeichnet: Stadtarchiv Darmstadt ST 53 Fotosammlung. Zu studentischen Überlieferungen vgl. Kap. 2.5. Hinzu kommt der an anderer Stelle (Kap. 2.2) genannte Tagebucheintrag von Victor Klemperer, der sich über Moogs Probevortrag bei der Bewerbung an der TH Dresden 1923 jenseits von Inhalten lustig macht. Ersichtlich ist ferner, dass Moog, der ein eifriger Kongressteilnehmer war, dort meist als Mitberichterstatter und Diskutant eingeladen wird, aber nicht zu größeren Einzelvorträgen. Besonders ins Auge fällt, dass er bei den zahlreichen Vorträgen in Ortsgruppen der Kant-Gesellschaft, in der Moog seit 1914 Mitglied war, im ausgewerteten Zeitraum 1914 bis 1935 nicht als Vortragender auftritt, obwohl sich fast alle Philosophen der Zeit – auch weitaus weniger prominente als Moog – gegenseitig zu Vorträgen in die Ortsgruppen einladen. Die Nachfahren von Moog und seinen Brüdern erinnern sich wiederum nicht daran, dass Moog im privaten Raum gestottert habe oder darüber berichtet worden sei.

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Das undatierte Foto des Nachrufs zeigt Moog im Alter von etwa 40 Jahren mit angegrauten Schläfen, d. h., es dürfte um die Mitte seiner Braunschweiger Amtszeit entstanden sein. 35 In Braunschweig gründet Moog in jener Zeit die Ortsgruppe der Kant-Gesellschaft (vgl. Kap. 2.3). Die offizielle Geschäftsstelle der Ortsgruppe war die Herzogin-Elisabeth-Straße 3, wo die Moogs seit Sommer 1925 wohnten – eine Vermengung von Berufs- und Privatleben, die typisch für ein damaliges Philosophenleben ist, als die Schüler auch zuhause im Privatissimum beim Lehrer hörten. Als Moog nach Braunschweig wechselt, trifft ihn nicht nur die angespannte Wohnsituation in der Stadt; sondern er ist auch mit einer politischen Haltung zum Status von Diensträumen an einer Universität konfrontiert, die damals vom »Verband der Deutschen Hochschulen« (mit Sitz in Münster) vorangetragen wird. An vielen Universitätsstandorten waren die Wohnungen knapp. Es ist deshalb die Privatwohnung, die nun für dienstliche Belange herausgestellt wird, um Professoren bevorzugt Wohnraum zuweisen zu können: »Beim Hochschullehrer liegen die Verhältnisse nun aber ganz besonders schwierig: während anderen Beamten für ihre Arbeitstätigkeit Diensträume in den Behörden zur Verfügung stehen, sie also während der Zeit der Wohnungslosigkeit nur für ihre Unterkunft ein Provisorium (Pension, möbliertes Zimmer) in Anspruch zu nehmen brauchen ist für den Hochschullehrer die eigene Wohnung berufsnotwendig, denn er ist als einziger hoher Beamter auf Arbeit im Hause, also in eigener Wohnung angewiesen; ein Studierzimmer ist Vorbedingung für seine wissenschaftliche Leistungsfähigkeit. Es dürfte ohne weiteres zugegeben werden müssen, daß ein Hochschulprofessor, der seinen Beruf ausüben will, nicht längere Zeit auf das Wohnen in einem möblierten Zimmer oder einer Pension angewiesen sein kann, wo er weder die erforderliche Ruhe finden, noch das nötige Handwerkszeug, seine Privatbibliothek, zur Hand haben kann.« 36 Es könnte sich um das Foto handeln, das im UniA BS heute fehlt. Vergleichsfotos aus den 1930er Jahren (s. das erste Moog-Foto in der Titelei dieses Buches vom Sommer 1935 sowie das Foto aus dem Nachruf in Hessen von ca. Ende der 1920er Jahre) zeigen, dass Moog zwischen Anfang und Mitte der 1930er Jahre vorschnell gealtert ist. 36 Vgl. Abschrift des Schreibens des Vorsitzenden des Verbandes der Deutschen Hochschulen (B. Nr. 1314/21), Münster, Johannisstraße 7, den 7. Okt. 1921, an das Preußische Ministerium für Volkswohlfahrt in Berlin. Auf S. 2 findet sich der Zusatz, dass das Braunschweig. Staatsministerium, Abt. für Schulangelegenheiten, die Eingabe an das Preuß. Ministerium für Volkswohlfahrt »nach Kräften unterstützen« möge. NLA Staatsarchiv Wolfenbüttel, Sign. 12 Neu 9 Nr. 4619, S. 3 f. des Vorgangs. Unterstreichungen im Original. 35

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Dass auch ein neuberufener Professor schon über eine umfangreiche Privatbibliothek verfügt, wird standesgemäß vorausgesetzt; dass das Philosophieren ein »Handwerk« sei und des Handwerkszeugs bedarf, ist einem neuen Fachverständnis geschuldet, das sich bereits mit Blick auf die Praxis versteht. 37 Moogs äußerst intensive Rezensionstätigkeit – fast 70 Rezensionen zeigt seine Werkliste hier im Anhang – lässt sich auch im ökonomischen Sinne verstehen, denn Rezensionsexemplare sind gemeinhin kostenlos. Und finanzielle Probleme gehörten zu Moogs Philosophenleben wie auch zu dem von Schmalenbach. Damit nun angesichts der Wohnungsnot die Privatwohnung für berufliche Belange aufgewertet werden kann, muss im Gegenzug das Dienstzimmer an einer Universität abgewertet werden. Entsprechend heißt es in einem Schreiben vom 19. Oktober 1921 vom damaligen Rektor der TH Braunschweig an die Abteilung Volksbildung im Braunschweiger Staatsministerium, das darauf abhebt, sich stärker um die Wohnungsbeschaffung für neuberufene Professoren zu kümmern und die eigene Wohnung als »berufsnotwendig« herauszustellen: »Die Dienstzimmer der Professoren in der Hochschule können die Arbeitszimmer in den Wohnungen nicht ersetzen. Jene dienen ganz vornehmlich der Vorbereitung und Führung des Unterrichts. In der Regel sind sie zugleich die Arbeitszimmer der Assistenten und Sprechzimmer für den gesamten Betrieb des einzelnen Professors. An die Einhaltung besonderer Sprechstunden kann bei der Kompliziertheit des Betriebes in der Regel nicht gedacht werden. Auch sind die Handbibliotheken in der Regel auf das Notwendigste beschränkt und können in keiner Weise die eigenen Büchereien, deren die Professoren für ihre forschende Tätigkeit bedürfen, ersetzen. Der Professor ist demnach, um mit seinem Fache mitzugehen und etwaige eigene Forschungen mit Erfolg zu betreiben, in der Regel auf ein eigenes Arbeitszimmer in der Wohnung durchaus angewiesen.« 38

Beschwerden über Raumnot bildeten ein konstantes Thema von Moogs Verwaltungstätigkeit an der Hochschule. Wie groß die Moog zugewiesenen Diensträume im Braunschweiger Schloss waren, wissen wir Vgl. Nicole C. Karafyllis: »Handwerk, Do-it-yourself-Bewegung und die Geistesgeschichte der Technik«, in: Zeitschrift für Kulturphilosophie 2/2013, S. 305–328. 38 Brief des Rektors der TH Braunschweig (Az.: B. Nr. 2374) vom 19. Okt. 1921 an das Braunschweigische Staatsministerium, Abt. f. Volksbildung (maschinenschriftl. Unterschrift: Fricke). NLA Staatsarchiv Wolfenbüttel, Sign. 12 Neu 9 Nr. 4619, S. 3 und 4 des Vorgangs. Der Brief des Rektors nimmt Bezug auf eine Verfügung vom 13. Okt. 1921 Nr. V 2931 unter Rückgabe derselben. 37

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nicht genau; für den Studentenandrang Ende der 1920er Jahre waren sie auf jeden Fall zu klein. Es war damals üblich für einen Professor, sich das Dienstzimmer mit Assistenten zu teilen. Moogs Diensträume im ehemaligen Residenzschloss erinnerten ihn täglich daran, dass die Kaiserzeit vorbei war. Ab Frühjahr 1925 hatte Moog endlich auch sein Arbeitszimmer in der familiären Wohnung mit Privatbibliothek. Als die Moogs ihre Wohnung beziehen, heißt die Straße noch »HerzoginElisabeth-Straße« (wie sie auch heute heißt), im Laufe der Weimarer Zeit dann »Friedrich-Engels-Straße«. Moog hat noch miterlebt, dass sie 1935 teilweise in »Hermann-Göring-Allee« umbenannt wurde. Die Straßennamen veranschaulichen bereits, in welchen Zeiten Moog gelebt hat und dass es ein Philosophenleben ist, das durch die Kaiserzeit, den Ersten Weltkrieg und die Weimarer Zeit geprägt wurde und die NS-Zeit noch erfahren hat. Als Moog mit seiner Frau Tilly und Tochter Marianne im Frühjahr 1925 in die Herzogin-Elisabeth-Straße zieht, mag er vielleicht auch wehmütig an seine Berliner Zeit in den Jahren 1913–1915 gedacht haben, denn sein Vorbild Georg Simmel wohnte dort in der KöniginElisabeth-Straße (Nr. 14). Die in den Straßennamen ausgedrückte Hierarchie zwischen Königin und Herzogin ist auch für das aufzumachende Verhältnis zwischen beiden Philosophen angemessen. Ein König der Philosophie wie Simmel, der in Berlin quasi eine ganze Studentengeneration als Untertanenschar hatte, ist Moog nicht geworden. Aber er bewirtschaftete sein ›akademisches Herzogtum‹, d. h. das Institut für Philosophie, Pädagogik und Psychologie an der TH Braunschweig, über viele Jahre mit Erfolg. Die ersten Jahre in Braunschweig bis 1930 sind für die Moogs glückliche Jahre. Jeden Morgen bringt Willy seine Tochter Marianne scherzend zu Fuß in die Mädchenschule, am Nachmittag bringt sie ihm manchmal ein Stück Kuchen aus der Bäckerei zur Kaffeepause an der Universität vorbei. 39 Am Sonntag machen die Moogs häufig einen langen Spaziergang nach Riddagshausen. Man speist mittags in der heute noch betriebenen Gaststätte »Grüner Jäger«, und auf dem Rückweg gönnt der Süßigkeiten liebende Herr ProDabei holte sie den Kuchen wahrscheinlich von der traditionsreichen »Bäckerei Eckhardt«, unweit von ihrer »Höheren Töchterschule Kleine Burg« und von Moogs Büro im Schloss gelegen (heute: Landbäckerei Sander, Adresse: Sack 24). Die Bäckerei Eckhardt war auch nach dem Krieg noch bekannt dafür, mehrmals am Tag frisch Blechkuchen zuzubereiten, die noch warm verkauft wurden. (Ich danke Cornelia Klingner, Braunschweig, für diesen Hinweis vom 2. Sept. 2014.)

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Biografie und Philosophie

Abb.: Das Wohnhaus der Fam. Moog in der Herzogin-Elisabeth-Str. 3 in Braunschweig (wohnhaft im Hochparterre: 28. April 1925 bis 15. März 1936). Aufn. Nils Reichert, Okt. 2013. Vorlage im Besitz des Seminars für Philosophie der TU Braunschweig.

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fessor sich und Marianne gerne im Prinz-Albrecht-Park ein Eis vom Stand. 40 Moogs Braunschweiger Wohnhaus mit Blick auf jenen Park hat den Zweiten Weltkrieg überstanden und steht heute noch. Die Erinnerungen an ihn und sein Werk gleichen hingegen einem Trümmerhaufen, der nur selten noch als Steinbruch genutzt wird. Dass Moog zentralen Philosophen seiner Zeit wie z. B. Ernst Cassirer (1874– 1945) 41 und Nicolai Hartmann (1882–1950) 42 ein wichtiger Diskussionspartner war, lässt sich heute ebenso wenig erahnen wie die weitreichende Rezeption seines Buches Hegel und die Hegelsche Schule (1930) schon kurz nach dessen Veröffentlichung, v. a. auch im Ausland. 43 Es wurde 1931 von José Gaos (1900–1969), dem Schüler von José Ortega y Gasset (1883–1955), ins Spanische übersetzt und in Madrid verlegt. Der 1938 nach Mexiko emigrierte Gaos machte Moog in Lateinamerika bekannt. 44 Von den spanischsprachigen Rezipienten ist auch Julián Marías Aguilera (1914–2005) zu nennen, mit Ortega Begründer der Madrider Schule der Philosophie. 1941 erschien Marías’ Lehrbuch zur Geschichte der Philosophie (Historía de la Filosofía, 22. Aufl. 1966), das für die spanischsprachige Welt bis weit in die 1970er Jahre grundlegend war und Moogs Hegelbuch als wichtige Sekundärliteratur nennt. 45 Moogs Werk stand ferner in der PrivatbiblioErzählung laut den mündlich überlieferten Erinnerungen von Moogs Tochter Marianne (1921–1999), übermittelt von ihrem Sohn Jon-Erik Hoff an Verf. per Brief aus Oslo vom 14. März 2014. 41 Vgl. den Mitbericht zum Vortrag von Ernst Cassirer: »Das Symbolproblem und seine Stellung im System der Philosophie« auf dem III. Kongress für Ästhetik und Allg. Kunstwissenschaft in Halle 1927. Zeitschrift für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft 21 (1927), S. 315–319. Cassirers Originalveröffentlichung des Aufsatzes »Erkenntnistheorie nebst den Grenzfragen der Logik und Denkpsychologie« findet sich in dem von Moog hg. Band III der Jahrbücher der Philosophie (1927). 42 Vgl. Moogs Erwiderung auf Hartmanns Vortrag »Zum Problem der Realitätsgegebenheit«, in: Philosophische Vorträge, Bd. 32, hg. von Paul Menzer u. Arthur Liebert, Berlin 1931, S. 70. 43 Siehe z. B. Young Sidney Hook, Journal of Philosophy 28 (27 Aug. 1931), S. 497–500 (Sammelrez.); Hans Wenke, Kant-Studien 36 (1931), S. 341; Georg Lasson, Archiv für Rechts- und Wirtschaftsphilosophie 25, 1931/32, S. 112 f.; L. L. Bernard, Social Forces 15, 1/4 (1936/1937), S. 431 (Sammelrez.); Kurt Ollsen, Grundwissenschaft, 1932, S. 267 f.; Anonym in: Neue Bahnen. Zeitschrift für Erziehung und Unterricht 42 (1931), S. 478, sowie die Nennung in Philosophia (1944), S. 373. 44 Ein Exemplar von Moogs spanischem Hegelbuch steht heute noch in der Universitätsbibliothek der UNAM in Mexico City. 45 Julián Marías: Historía de la Filosofía. Madrid: Revista de Occidente, 22. Aufl. 1966. 40

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Biografie und Philosophie

thek des russisch-französischen Philosophen Alexandre Kojève (1902– 1968), die heute in der Pariser Nationalbibliothek verwahrt wird. 46 Der Heidelberger Theologieprofessor Robert Jelke (1882–1952) 47 urteilt in einer Rezension im Theologischen Literaturblatt über Moogs Hegelbuch: »Kein Stück gewöhnlicher Philosophiegeschichte, sondern ein inneres kongeniales Erfassen eines der großen Meister der Philosophie«. 48 Und die Bonner Philosophin Else Wentscher (1877–1946), Übersetzerin von John Stuart Mill, schreibt im Archiv für die gesamte Psychologie: »Heute, wo es wenige gediegene Historiker der Philosophie gibt, begrüßen wir dieses Werk mit besonderer Freude. Es ist als hätte der Verf. alle die Anforderungen, die BENNO ERDMANN einst an die Methode der Geschichtsforschung stellte, gekannt und treu berücksichtigt.« 49 Auch Herbert Marcuse (1898–1979) hat Moogs Hegelbuch berücksichtigt, als er 1940 in den USA Reason and Revolution schrieb. 50 Gleiches gilt für Gotthard Günther (1900–1984) und sein Buch Grundzüge einer neuen Theorie des Denkens in Hegels Logik (Meiner 1933, 2. Aufl. 1978). Moogs auf dem III. Internationalen Hegelkongreß in Rom 1933 gehaltener Vortrag zum Bildungsbegriff Hegels (veröffentl. 1934) wird in Jean Hyppolites (1907–1968) Kommentar zu Hegels Phänomenologie des Geistes zitiert. 51 Moogs pädagogische Schriften wurden von Zeitgenossen ebenfalls aufmerksam rezipiert. Unter den vielen sei der Philosoph und Pädagoge Theodor Litt (1880–1962) hervorgehoben, der für seine Vorlesung »Die pädagogische Bewegung von

Vgl. die Nennung bei Marco Filoni: »La bibliothèque philosophique d’Alexandre Kojève«, in: Hommage à Alexandre Kojève. Actes de la »Journée A. Kojève« à du 28 Janvier 2003. Paris: Éditions de la Bibliothèque Nationale de France 2007, S. 105–132. 47 Jelke war nach seinem Studium der ev. Theologie acht Jahre Pfarrer, 1918 Privatdozent in Halle, erhielt zum Sommer 1919 einen Lehrstuhl für systematische Theologie an der Universität Rostock, wechselte aber zum WS 1919/1920 auf ein Ordinariat an der Universität Heidelberg. Details zu Jelkes Vita in Matthias Wolfes: Protestantische Theologie und moderne Welt. Berlin, New York: De Gruyter 1999, S. 292, Fn. 113. 48 Robert Jelke, in: Theologisches Literaturblatt Nr. 5, 1930. 49 Else Wentscher, in: Archiv für die gesamte Psychologie, Bd. 85, 1932, S. 565. 50 Herbert Marcuse: Reason and Revolution, Oxford University Press 1941. Nachdruck der erw. Ausgabe 1951: Routledge 1977, S. 422. 51 Jean Hyppolite: Genèse et structure de la Phénoménologie de l’esprit de Hegel. Paris: Aubier (Editions Montaigne) 1946. 46

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1850 bis zur Gegenwart« im WS 1934/35 nachweislich Moogs Geschichte der Pädagogik (Bd. III, 1933) zu Rate gezogen hat. 52 Die Namen zeitgenössischer Rezipienten deuten bereits an, dass Moog nicht nur politisch, wie es immer mal wieder versucht worden ist, sondern auch philosophisch schwer einzuordnen ist, zumal er sich keiner Schule zugehörig fühlte und im engeren Sinne auch aus keiner hervorging. Dieses zum Teil selbst gewählte, zum Teil Zufällen geschuldete ›Schicksal‹ teilt er mit demjenigen Philosophen, der den größten gedanklichen Einfluss auf ihn ausübte: mit Georg Simmel (1858–1918). Moog selbst zeigt im unten folgenden Zitat, dass er die Philosophiegeschichte nicht vom Biografischen reinigen möchte. Werk und Leben eines Philosophen sollen derart eine Einheit bilden, dass sie im Rückblick die Persönlichkeit zur Geltung bringen – das ist der idealistische Anspruch, den Moog in philosophiegeschichtlicher Hinsicht verfolgt hat. In geschichtsphilosophischer Hinsicht soll in dieser Persönlichkeit ein Typus des Philosophierens aufscheinen. Bereits in einer seiner ersten Rezensionen hatte Moog kritisch vorgebracht: »Eine Geschichte der Philosophie muß zugleich eine Entwicklungsgeschichte des philosophischen Denkens bieten, nicht eine äußere Nebeneinanderreihung der Systeme.« 53 Zwanzig Jahre später setzt er hier wieder an. Moogs vorletzte Monographie trägt, wie zu Anfang erwähnt, den denkwürdigen Titel Das Leben der Philosophen (1932) und bildet Band 8 seiner eigenen Buchreihe »Geschichte der Philosophie in Längsschnitten« (s. Kap. 2.10). Wie passt ein derartiger, biografie-historisch anmutender Titel in die Buchreihe, die sich philosophiesystematisch gliedert? Moog interessiert eine philosophische Problemgeschichte, und zu der gehören auch diejenigen inneren wie äußeren Entwicklungen, in denen das Leben dem Philosophen selbst zum Problem wird. In der Einleitung begründet Moog: »Eine bloß biographische Darstellung der Philosophiegeschichte kann dazu verführen, daß man Äußerlichkeiten der Lebensumstände eines Philosophen und Äußerlichkeiten seines literarischen Schaffens hervorhebt, zu denen jedoch der Problemgehalt seines Systems selbst kaum irgendwelche BeziehunVgl. Heidi Bremer: Theodor Litts Haltung zum Nationalsozialismus. Bad Heilbrunn: Klinkhardt 2005, S. 151. 53 Moog in seiner Rezension zu Thomas Cunz’ Geschichte der Philosophie in gemeinverständlicher Darstellung, in: Pädagogisches Archiv, 54. Jg, Heft 7, 1912, S. 438. 52

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Biografie und Philosophie

gen aufweist, so daß zwischen dem individuellen Menschen und dem über ihn hinaus dauernden Werk eine Diskrepanz zu bestehen scheint. […] Viel mehr als etwa in einer Literaturgeschichte oder sonst einer Wissenschaftsgeschichte scheint in der Philosophiegeschichte das bloß Biographische irrelevant zu sein, denn philosophische Problematik und Systematik zeigen gerade die Tendenz zur Allgemeingültigkeit.«

Moog wäre aber nicht ein Schüler Simmels, wenn er nicht sofort eine historisierende und dadurch auch die Allgemeingültigkeit relativierende Sicht auf den Fuß folgen ließe, die auf den Wertbegriff abhebt: »Ein philosophisches System kann man nun auch als Ausdruck einer bestimmten Zeitepoche betrachten. Aber es genügt keinesfalls, wenn man eine Philosophie aus irgendwelchen wirtschaftlichen, sozialen oder politischen Verhältnissen zu erklären sucht, denn damit erfaßt man doch nur eine und meist nicht einmal eine für die betreffende Philosophie besonders wesentliche Seite. […] Philosophiegeschichte ist keine Kulturgeschichte, aber sie ist auch mehr als eine abstrakte Ideengeschichte. Das ›Leben der Philosophen‹ hat darum eine Bedeutung für die Geschichte der Philosophie, weil Geschichte der Philosophie selbst ein lebendiger Prozeß ist und weil im Leben der Philosophen schon ein philosophischer Sinn steckt. Dieses Leben ist ja nicht durch eine Zusammenstellung äußerer Daten gekennzeichnet, sondern durch die innere Wertrichtung, die sich in der ganzen Struktur des Lebens auswirkt.« 54

So schließt Das Leben der Philosophen (1932) mit einer Würdigung Simmels, an dem Moog gerade schätzte, dass er einen »festen Standpunkt« vermieden, aber eine »eigene Stellungnahme zu den Problemen« vorgenommen habe – mit einer gewissen »Neigung zum Paradoxen«. Nach Simmels Tod an Leberkrebs im Herbst 1918 kommt für Moog offenbar kein Philosophenleben im eigentlichen, d. h. lebendigen Sinne einer philosophierenden Persönlichkeit mehr nach. Zu dieser Lebendigkeit gehört, dass der Philosoph eine Entwicklung durchmachen muss: »Ein Denker, der den Relativismus geradezu zur philosophischen Methode ausgestaltete, war der Berliner Georg Simmel (1858–1918), der in Berlin Privatdozent und dann außerordentlicher Professor war, 1914 als ordentlicher Vgl. Willy Moog: Das Leben der Philosophen, Berlin: Junker & Dünnhaupt 1932, S. 1–3 (für beide Zitate aus der Einleitungspassage). Rezensionen von: Helmut Minkowski, in: Deutsche Literaturzeitung, Bd. 54, 1933, Sp. 1451 f.; Seweryna Osetowska, in: Przeglad Filozofniczy 1934, z. II, S. 211; Nennung im Journal of Philosophy (1934), S. 45.

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Professor nach Straßburg ging. Er steht ganz auf dem Boden modernen kulturellen Lebens, ja man kann ihn einen Vertreter modernen großstädtischen Geistes nennen. Seine Arbeiten sind meist geistreich geschriebene Essais, die eine eigene Stellungnahme zu den Problemen zeigen und bei denen mehr die Art der Auffassung als das positive Resultat bedeutungsvoll ist. Eine Neigung zum Paradoxen ist dabei unverkennbar. Simmel besaß eine starke Fähigkeit kritischer Analyse, die er Menschen, Zuständen, Kulturen wie philosophischen Systemen gegenüber anwandte, aber eben infolge dieses kritischen Indietiefegehens erblickte er die verschiedenen mehr oder weniger gleichwertigen Möglichkeiten, gewann er eine gewisse skeptische Haltung gegenüber allen dogmatisch sich widerstreitenden Ansichten, mußte er es vermeiden, sich auf einen festen Standpunkt zu verlegen und ein letztes Absolutes anzuerkennen. Die unendliche Relativität des Lebens untersuchte er, und überall entdeckte er Relationen und Relatives, nirgends Absolutes. Wie Max Scheler war er ungemein wandlungsfähig und hat eine starke geistige Entwicklung durchgemacht. In seinen ersten Werken war er durch den Positivismus und Evolutionismus beeinflusst, so in seiner ›Einleitung in die Moralwissenschaft‹ (1892–1893), in der ethische Grundbegriffe einer psychologischen und soziologischen Analyse unterzogen werden. Aber auch Gedanken des kantischen Kritizismus nimmt er auf, nur sind ihm die Formen der Erkenntnis mehr psychologisch und historisch bedingt. In seinen ›Problemen der Geschichtsphilosophie‹ (1892) lehnt er den historischen Realismus ab und zeigt, wie der Geist nach seinen eigenen Kategorien die Geschichte als Bild des geistigen Daseins formt. Bahnbrechend hat Simmel auf dem Gebiet der Soziologie gewirkt, die er als eigene Wissenschaft, als Lehre von den Formen der Vergesellschaftung, zu konstituieren suchte, wie er in seinem Werk ›Soziologie‹ (1908) darlegte. In seiner letzten Lebenszeit wandte sich Simmel Problemen einer Metaphysik des Lebens zu, wie seine Schrift ›Lebensanschauung‹ (1918) zeigt. Einflüsse von Nietzsche, Bergson, aber auch Hegel lassen sich da nachweisen. Für Simmel macht dies das Wesen des Lebens aus, daß es stetig über die Grenze gegen sein Jenseits hinausgreift, daß ihm die Transzendenz immanent ist. Es findet ›sein Wesen, seinen Prozeß darin, Mehr-Leben und Mehrals-Leben zu sein, sein Positiv ist als solcher schon sein Komparativ‹. 55 Simmel hat auf die meisten jüngeren Philosophen irgendwie anregend gewirkt, auch wenn sie in systematischer Hinsicht ganz andere Wege gegangen sind.« 56

Auf den »jüngeren Philosophen« Moog hat Simmel in der Tat anregend gewirkt, vor allem durch die im obigen Absatz zitierten Werke, zuvorderst durch die Probleme der Geschichtsphilosophie, die Moog 55 56

Zitatverweis auf Georg Simmel: Lebensanschauung. Leipzig 1918, S. 27. Moog, Das Leben der Philosophen, a. a. O., 1932, S. 247 f.

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1907/08 gelesen hat, als er bei Simmel hörte. In seinem philosophiegeschichtlichen Spätwerk versucht Moog, die Persönlichkeit der gegenwärtig bedeutsamen, da für die Gegenwart typischen Philosophen zu skizzieren. Er tut dies mit nur wenigen Strichen wie z. B., dass Simmel ein »Berliner« war, »großstädtischen Geist« hatte und sich gegen Dogmatismen wehrte, dabei aber auch eine innere Entwicklung durchmachte. Das Philosophenleben Simmels dient Moog als Überleitung für die nun folgende Schlusspassage seines Buches, die versucht, das »moderne Leben« in der Gegenwartsanalyse ihrer philosophischen Problematik festzuschreiben, welche sowohl vor- als auch zurückgreift und durch die Philosophenpersönlichkeit und deren Entwicklung als Teil einer Typik verkörpert wird. »Eine große Mannigfaltigkeit der Gedankenrichtungen und der Persönlichkeiten offenbart uns schon diese fragmentarische Übersicht über die Philosophie der Gegenwart. Die Reihe der Namen ließe sich leicht vermehren. Ja, man könnte meinen, die Vielgestaltigkeit der modernen Philosophie bedeute doch ein Chaos, in dem jede einheitliche Tendenz fehle. Aber das wäre eine irrige Meinung. Bei näherem Zusehen treten bei aller Mannigfaltigkeit, ja Gegensätzlichkeit doch gewisse Grundprobleme und Grundtendenzen hervor. Und aus der Reihe der Persönlichkeiten lösen sich dominierende heraus, die eine typische Bedeutung besitzen. Die Problematik der Philosophie ist verflochten mit der Problematik der modernen Kultur und des modernen Lebens, des Lebens der Gemeinschaft wie des Lebens der Individuen. Aber echte Philosophie ist niemals bloß ein temporäres Produkt einer bestimmten Zeitepoche oder einer bestimmten Persönlichkeit, sie birgt zeitlosen Problemgehalt in sich, sie ist Künderin der Gegenwart, aber auch Deuterin der Vergangenheit und Wegweiserin der Zukunft.« 57

In diesem Sinne wäre ein Philosophenleben, das in der »modernen Kultur« und ihrer Vielgestaltigkeit gelebt wird, für eine entsprechende Philosophiegeschichtsschreibung selbst durch Vielgestaltigkeit, zum Teil auch durch Ambivalenz, wenn nicht gar Paradoxie gekennzeichnet – wenn es typisch für seine Epoche sein soll. Dies gilt zuvorderst für die zeitgenössische Moderne. In Moogs philosophiehistorischem Zugriff geht die Analyse der Zeitlichkeit eines Philosophendaseins der seiner Persönlichkeit voraus und bildet dessen Form. Inhaltlich geprägt ist es aber durch einen philosophischen Problemgehalt, der überzeitlich ist und der sich in seiner Bezugnahme auf konkrete Problemstellungen 57

Ebd., S. 248.

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wiederum als ein subjektiv-zeitlicher erweist. Dazu gehört der gesamte Fragekomplex des Bildungsgangs, d. h. den umfassenden Bedingungen der Gestaltung von Leben und Werk unter der Prämisse des Wertewandels. Moog schreibt damit eine Philosophiegeschichte der Moderne. Die innere Wertrichtung, die sich im Leben des Philosophen Willy Moog ausgewirkt zu haben scheint, ist die einer weitgehenden Ablehnung von Vereinnahmungsstrategien und das Beharren auf einer möglichst freien Persönlichkeitsentfaltung. Dies wurde ihm zuletzt sehr schwer gemacht. Das merkwürdige Schweigen zu Moog setzt fast unmittelbar nach seinem Tode ein. Ein zu ausführlicher Nachruf auf Moog im Jahre 1935 wäre womöglich schon eine Solidaritätsbekundung mit dem Gegner gewesen, wobei noch unklar bleibt, in welcher Form der stets als unpolitisch gewähnte Moog überhaupt ein Gegner hätte sein können. Ein toter Philosophieprofessor ist zu der Zeit ohnehin nicht vieler Worte wert. Herman Schmalenbach fasst die anti-intellektuelle Haltung bei seiner Antrittsvorlesung im ausländischen Basel 1931 folgendermaßen: »Dem Erkennen des Erkennens ist die Zeit nicht günstig. Denn das Ethos der Zeit ist dem Erkennen nicht günstig.« 58 Dieses gegen eine aktionistische »Philosophie der Tat« gerichtete und damit für den Erhalt der vita contemplativa votierende Diktum wird das Leben und Sterben des Erkenntnistheoretikers Moog betreffen, zumal es von seinem Freund kam. Nach der Machteroberung Hitlers entschied sich Schmalenbach mit fast zweijähriger Verzögerung, die Rede drucken zu lassen. 59 Wie Schmalenbach war auch Moog definitiv kein »Philosoph der Tat«, sondern schätzte das Philosophenleben im Sinne der theoría, das sich im Schreiben und Halten von Vorlesungen verwirklicht. Die Verbindung zur Praxis suchte er vor allem in der Pädagogik. Anders sieht dies aus, wenn wir den jungen Moog betrachten, der mit kulturpazifistischem Impetus im Krieg schriftstellerisch für den Frieden kämpfte, weil er (mit Kant) den Frieden seiner eigenen Kulturstufe für würdig ansah.

Herman Schmalenbach: Das Ethos und die Idee des Erkennens. Akademische Antrittsrede von Herman Schmalenbach. Reihe: Philosophie und Geschichte Bd. 44. Tübingen: Mohr 1933. 59 Der Verlagsvertrag mit J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) wurde zwischen dem 3. und 15. März 1933 abgeschlossen, wie einem Dokument in der Staatsbibliothek Berlin zu entnehmen ist (vgl. Stabi Berlin, Nachlass 488, Archiv des Verlages Mohr-Siebeck, B 1,2 M 15, Blatt 113). 58

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Institutionengeschichte

Abb.: Herman[n] Schmalenbach (1885–1950), Entstehungszeit 1940–1950. Foto im Besitz der UB/Staatsarchiv Basel, Ringier-Bildarchiv. Rechte: ATP Bilderdienst A. Pfister, Zürich.

1.2 Institutionengeschichte: Wie die Technische Hochschule Braunschweig zu ihrem ersten geisteswissenschaftlichen Ordinariat kam (1924) Die kryptischen Nachrufe in der damaligen Braunschweiger Presse geben Anlass, auf die bislang unbekannte Gründungsgeschichte des philosophischen Seminars in Braunschweig einzugehen, denn sie wirft für das weitere Leben von Moog einige Schatten voraus. Zunächst ist festzuhalten: Der im zweiten Braunschweiger Nachruf genannte Oswald Kroh war nicht »Vorgänger« auf »dem Lehrstuhl« von Moog, 60 denn Kroh hatte im strengen Sinne noch keinen Lehrstuhl. Der als Volks60

U. a. reproduziert bei Sandfuchs, a. a. O., 1978.

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