Neubewertung der MdE bei unfallchirurgisch-orthopädischen Arbeitsunfall- und BK-Folgen in der gesetzlichen Unfallversicherung (GUV)

June 27, 2017 | Author: Christian Frank | Category: N/A
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1 E. Ludolph, J. Schürmann Neubewertung der MdE bei unfallchirurgisch-orthopädischen Arbeitsunfall- und BK-Fol...

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Originalbeiträge

E. Ludolph, J. Schürmann

Neubewertung der MdE bei ­unfallchirurgisch-orthopädischen ­Arbeitsunfall- und BK-Folgen in der gesetzlichen Unfallversicherung (GUV) Vorschläge der MdE-Gruppe der Kommission „Gutachten“ der Deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie (DGU) Mitglieder: Dr. U. Freudenberg, Dr. V. Kaiser, Dr. E. Ludolph, Dr. J. Schürmann (Leiter), Dr. A. Voigt Vorsitzender der Kommission „Gutachten“ der DGU: Prof. Dr. med. K. Weise, Tübingen

Vorwort Seit mehr als 100 Jahren sind die MdEWerte in den Tabellenwerken der deutschen und österreichischen unfallchirurgisch-orthopädischen Gutachtenliteratur überwiegend unverändert [1]. Beispielhaft bewertete das Reichsversicherungsamt bereits 1904 den Verlust eines Beines im Oberschenkel mit einer Erwerbsminderung von 66 2/3 % und den Verlust eines Armes im Schultergelenk mit 80 % [2]. Auf einer Tagung des Hauptverbandes der Gewerblichen Berufsgenossenschaften im Jahre 2001 wurde festgestellt, dass die MdE-Erfahrungswerte den aktuellen Gegebenheiten des Erwerbslebens und den Anforderungen an die Rechtssicherheit nicht mehr entsprechen. Konkret wurde von Wiester [3] entsprechend den Anforderungen an ein antizipiertes Sachverständigengutachten

Anschrift der Verfasser Dr. med. E. Ludolph Arzt für Chirurgie/Unfallchirurgie Sportmedizin, Sozialmedizin, Chirotherapie Institut für Ärztliche Begutachtung Sonnenacker 62 40489 Düsseldorf Dr. jur. J. Schürmann An der Bellekuhl 14 42781 Haan

gefordert, dass die MdE-Tabellenwerte nicht nur ◾◾ Sachkunde auf medizinisch-wissenschaftlichem Gebiet, sondern auch nachweisbare Befähigung auf dem Gebiet der Berufskunde und Arbeitsmarktforschung bedingen, und darüber hinaus ◾◾ Neutralität und Unabhängigkeit, ◾◾ Konkretheit durch klare Formulierungen, inhaltlich stimmig und mit ausreichenden Informationen für die Anwendung im Einzelfall, ◾◾ Aktualität (neuester Stand) der Erkenntnisse und ◾◾ eine besondere Organisationsform erfordern, die sicher stellt, dass die für die MdE-Bewertung maßgeblichen Fachkreise bei der Festlegung und Pflege der aktuellen Tabellenwerte umfassend beteiligt werden.

Zusammenfassung Zur Diskussion werden vorgestellt Vorschläge der Kommission „Gutachten“ der Deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie zur Neubemessung der MdE-Erfahrungswerte in der gesetzlichen Unfallversicherung unter Berücksichtigung des medizinischen Fortschritts, insbesondere der Hilfsmittel, und des gewandelten Allgemeinen Arbeitsmarktes.

Schlüsselwörter MdE-Erfahrungs-

werte – gesetzliche Unfallversicherung – Hilfsmittel – Allgemeiner Arbeitsmarkt – Begutachtung

Anforderungen des allgemeinen Arbeitsmarktes bedürfen.“ Eine Reform der MdE-Einschätzung ist von der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV) 2015 auf den Weg gebracht worden. Der GFK- (Geschäftsführerkonferenz) Ausschuss „Rehabilitation“ der DGUV hat eine Expertengruppe unter Leitung von Schiltenwolf, Heidelberg, einberufen, die im August 2015 zum ersten Mal zusammen gekommen ist. Mit Ergebnissen ist jedoch nicht vor 2017 zu rechnen. Dies wohl deshalb, weil eine eventuelle Absenkung bisheriger MdE-Werte für die paritätische Selbstverwaltung der DGUV sozialpolitische Brisanz hat. Die ebenfalls gestartete Reform der GdSGrade dürfte insoweit wegweisend sein [7].

Allgemeine Vorgaben Dies fand auch Niederschlag in mehreren Entscheidungen der Sozialgerichte [4] und in kritischen Stellungnahmen in der Literatur [5]. Den Abschluss der langen Diskussion bildete der Beschluss der „Kommission Unfallversicherung“ auf dem Deutschen Sozialgerichtstag Potsdam [6] im November 2012, wonach „2. Die MdE-Erfahrungswerte zu den Folgen von Arbeitsunfällen einer umfassenden und systematischen Überprüfung und Neubewertung nach dem Vorbild der (...) MdE-Empfehlungen zu Berufskrankheiten unter Einbeziehung fachkundiger Personen in Bezug auf die

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Die berechtigte Kritik an den MdETabellenwerten war 2008 auch für die Kommission „Gutachten“ der Deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie (DGU) Veranlassung, eine Überarbeitung der chirurgisch-unfallchirurgisch- orthopädischen MdE-Erfahrungswerte in die Wege zu leiten. Für die Überarbeitung wurde eine Gruppe aus Verwaltungsjuristen, Sozialrichtern und ärztlichen Gutachtern gebildet. Deren Ergebnisse wurden in den Kommissionssitzungen jeweils erörtert, umfassend diskutiert und letztlich als Grundlage für die weitere Umsetzung beschlossen [8].

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Originalbeiträge

Ziel der Bemühungen der MdEArbeitsgruppe der DGU in der Besetzung mit Ärzten und Juristen war es, den Nachweis zu erbringen, dass die aktuellen Empfehlungen zur MdE-Bewertung gegenwärtig keine „Allgemeinen Erfahrungssätze“ mehr sind [9], weil sie ◾◾ die aktuelle ständige Rechtsprechung des BSG nicht beachten, ◾◾ den Wandel des Erwerbslebens nicht berücksichtigen, ◾◾ den medizinischen Fortschritt nicht abbilden, ◾◾ keinen Konsens der einschlägigen Fachkreise darstellen, ◾◾ widersprüchliche und uneinheitliche Bewertungen beeinhalten und ◾◾ nicht in einem modernem Verfahren erstellt, aktualisiert und validiert werden. Zum Anstoss einer breiten Diskussion zur notwendigen MdE-Neubewertung für Arbeitsunfall- und BK-Folgegesundheitsschäden wurde 2014 bereits ein umfassender Beitrag in der Zeitschrift „Trauma und Berufskrankheit“ unter dem Titel „MdE nach Hilfsmittelversorgung oder Medikation“ veröffentlicht [9].

Rechtliche Grundsätze der MdE-Bewertung in der GUV (§ 56 SGB VII) 1. Als Bestimmungsfaktor für die Höhe der Rente (neben dem Jahresarbeitsverdienst) zielt die MdE nicht auf den Ausgleich eines geminderten Erwerbseinkommens ab. Vielmehr soll die Minderung der Erwerbsfähigkeit entschädigt werden. Gegenstand dieser finanziellen Kompensation ist eine durch den Arbeitsunfall/die Berufskrankheit geminderte Erwerbsfähigkeit, nämlich die eingeschränkte Möglichkeit zur Einkommenserzielung „auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens“ (§ 56 Abs. 2, S. 1, SGB VII). Diese sog. „Abstrakte Schadensbemessung“ stellt weder auf den Eintritt eines Minderverdienstes ab, noch berücksichtigt sie die konkrete Chance des Versicherten, wieder bestimmte Arbeitsplatzbedingungen zu erfüllen bzw. eine Beschäftigung zu finden (Vgl. auch „Falkensteiner Empfehlung“ [10]).

2. Für die MdE ist deshalb vor allem maßgeblich das Gesamtbild der gesundheitlichen Schäden bzw. die umfassende Leistungseinschränkung (auch unter Berücksichtigung der Wechselwirkung einzelner Störungen). Die MdE-Bemessung hat u. a. nach der Rechtsprechung des BSG [11] auch alle negativen oder positiven Auswirkungen der ärztlichen Behandlungen und sonstiger Heilmaßnahmen (z. B. durch Physiotherapie) – über die unmittelbaren Heilergebnisse hinaus – auf den Leidenszustand insgesamt bzw. die Gesamtbeeinträchtigung (soweit von gewisser Dauer) zu berücksichtigen.   Ebenso [12] ist zu berücksichtigen ein (Teil-)Ausgleich von Gesundheitsschäden bzw. funktioneller Beeinträchtigungen durch besondere Therapiemethoden sowie mittelbare Rehabilitationserfolge (soweit durch eine zumutbare Mitwirkung des Versicherten erzielbar – z. B. Überbrückung einzelner Funktionseinbußen durch besondere Medikation zur Steigerung einer beeinträchtigten Leistungsfähigkeit des Gehirns), durch Hilfs- und Heilmittel (Tragen von Körperersatzstücken, (Teil-)Ausgleich der Seh- oder Hörbeeinträchtigung durch Brille/Kontaktlinse oder Hörgerät oder durch eine orthetische/ prothetische Versorgung) [13].  Wird eine medizinisch indizierte und individuell geeignete und zumutbare Orthese/Prothese nicht getragen, so wirkt sich dies nicht auf die (mit

einer ausreichenden Akzeptanz bemessene) MdE aus – vor allem nicht erhöhend [14].

Wandlungen der Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens Eine konkrete individuelle Bilanzierung des Anteils der verminderten Arbeitsmöglichkeiten eines Versicherten aufgrund der Gesundheitsschäden infolge seines Arbeitsunfalls/seiner BK (also sein „negatives Leistungsbild“) gegenüber der Gesamtheit der ihm sonst zur Verfügung stehenden Arbeitsmöglichkeiten ist nicht durchführbar. Allerdings sind Erkenntnisse darüber möglich, welche qualitativen und quantitativen Anforderungen die im Erwerbsleben üblichen Arbeitsmöglichkeiten an den Gesundheitszustand und an die Leistungsfähigkeit der Beschäftigten stellen. Wegweisend sind insoweit die Daten des „Qualifikationsstrukturberichts 2000“ [15] des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) und die Aussagen, die im Bericht „Erwerbstätigenbefragung 2006“ des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) alle sechs Jahre bei der Befragung von 1 ‰ der Erwerbstätigen (ca. 33 000) ermittelt werden [16]). Auf der Basis dieser Daten wurden durch die DGUV erstmals 2005 neue MdE-Werte für Bandscheiben-Folgeschäden der BK Nr. 2108 ermittelt, die bei den MdE-Neuvorschlägen berücksichtigt wurden [17]. Die Ergebnisse der

Abb. 1:   Der Wandel der Berufsstruktur von 1939 bis 1998 nach zwölf Berufsbereichen ­(Angaben in %, [15])

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Originalbeiträge

Abb. 1a:  Tätigkeiten, die häufig vorkommen ([16], gewichtete Daten)

„Erwerbstätigenbefragung 2012“ haben die Zahlen von 2006 voll bestätigt. Allenfalls geringe Änderungen im Bereich der psychischen Belastungen sind hinzugekommen [18].

Konkrete Wandlungen der Arbeitsmöglichkeiten durch moderne Technik und Einsatz technischer Hilfsmittel (Neue Strategien im Arbeitsschutz) Der Entwicklungsstand des Einsatzes von technischen Arbeitsmitteln zur Reduzierung bzw. Ersatz der körperlichen Arbeit besonders durch Heben und Tragen oder Dauerzwangshaltungen ist bestimmt durch das Inkrafttreten der Lastenhandhabungsverordnung (LastenhandhabV) im Dezember 1996 und der Umsetzung von belastungsmindernden Gefährdungsanalysen im Arbeitsschutz. Typische neue Hilfsmittel sind Minibagger für den Aushub, Transporthilfen verschiedenster Art (Hubfahrzeuge, Rolleinrichtungen, Sackkarren), Miniund Autokräne zum Auf- und Abladen, deckengeführte Transporthilfen und -bänder, Versetzhilfen für großformatige Steine oder Bauelemente, hüfthohe Hubarbeits- und Montageplätze, aber auch vielfältige Maßnahmen zum Ersatz von Stahl -/Metallbauteilen durch Plastik- oder andere Leichtbaustoffe. Ebenso wurde der Einsatz von Aufzügen

und Rolltreppen flächendeckend Standard zur Garantie der Mobilität nicht nur von Gehbehinderten – beginnend mit der Gewährleistung eines barrierefreien Zugangs im Außenbereich (Absenkung von Gehwegen an Kreuzungen, Rampen statt Treppen etc.). Es entstanden jedoch in den letzten Jahrzehnten in einzelnen Bereichen auch erheblich erhöhte Arbeitsanforderungen wie z. B. die immer stärkere Abhängigkeit vom Ablesen und der Bedienung von Displays und Tastaturen vielfacher Art, nicht nur am Notebook, PC oder Terminal, weshalb besonders Hand- und Fingerverletzungen sowie Sehbeeinträchtigungen eine neue MdE-Bewertung erfordern können. Auch die Auswirkung von psychischen Belastungen auf die Teilhabefähigkeit im allgemeinen Erwerbsleben bedarf einer MdE-Neubewertung. Sie war/ist jedoch nicht Gegenstand des Auftrags der MdE-Gruppe der DGU.

Medizinische Fortschritte bei Arbeitsunfall- und BK-bedingten Gesundheitsschäden unter besonderer Berücksichtigung der Versorgung mit modernen „Hilfsmitteln“ (Prothesen) In den letzten Jahrzehnten haben die Diagnostik (Sonographie, Computertomographie, Kernspintomographie) und die Therapie von unfallbedingten Gesund-

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heitsschäden enorme Fortschritte erzielt – z. B. in der Endoprothetik. Eine ähnliche Entwicklung haben die „Hilfsmittel“ erfahren. Es handelt sich insbesondere um Medikamente, Brillen, Kontaktlinsen, digitale Hörgeräte, Orthesen und Prothesen. Eine Lähmung z. B. des Wadenbeinnervs führt zu einem sog. Fallfuß mit einer dadurch bedingten erheblichen Stand- und Gangunsicherheit. Durch eine Orthese (Peronäusschiene, Finnenwinkel) kann die lähmungsbedingte Funktionseinbuße weitgehend kompensiert werden. Die modernen Prothesen (C-Leg, Genium) ermöglichen ein Stehen und Gehen ohne Hilfsmittel - auch unter Last, so dass dies mit den Auswirkungen auf das allgemeine Erwerbsleben einen enormen funktionellen Gewinn darstellt [19].

Allgemeine medizinische Ausgangsvoraussetzungen für die neuen MdE-Bewertungen der MdE-Gruppe der DGU Für alle Fallgestaltungen gilt als generelle Ausgangsvoraussetzung, dass ◾◾ der gesamte Arbeitsunfall-/BKbedingte Gesundheitsschaden im Rahmen des Vollbeweises exakt beschrieben und bildgebend, klinisch (Messbogen, Foto), labormäßig bzw. histologisch dokumentiert ist, ◾◾ Arbeitsunfall- und BK-Folgen konkret zu benennen und eindeutig verständlich mit deutschen Worten (zumindest in Klammern) zu beschreiben sind, ◾◾ ein vorläufiger Ausheilungszustand erreicht ist, ◾◾ ein bestmöglicher Ausgleich/Teilausgleich der unfallfolgebedingten Funktionsverluste für den Bereich des allgemeinen Erwerbslebens vorliegt, ◾◾ die Grundlage der Bewertung allein die isolierten Unfall-/BK-Folgen bezogen auf einen durchschnittlichen Versicherten (m/w) mittleren (Erwerbs-)Alters sind, ◾◾ es nicht darauf ankommt, ob aktuell tatsächlich eine Beschäftigung ausgeübt wird, Arbeitslosigkeit oder ein Rentnerstatus vorliegt, ◾◾ bei Orthesen und Prothesen vom aktuellen Stand der Technik und einer bestmöglichen Versorgung ausgegangen wird,

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Originalbeiträge

◾◾ die allgemeine Anerkennung der neuen MdE-Werte durch alle Beteiligten angestrebt, jedoch der Status eines „Antizipiertes Sachverständigengutachten“ nicht erreicht wird, ◾◾ die „Versorgungsmedizinischen Grundsätze“ für die neuen MdE-Werte weitestgehend ohne Belang sind, ◾◾ Schmerzen, sonstige Beschwerden und Erlebensvorgänge, die mit dem Gesundheitsschaden medizinisch regelhaft verbunden sind, bereits in den MdE-Werten enthalten sind, ◾◾ in Grenzfällen auch ein zusätzlicher, einvernehmlicher EFL-Test [20] als Aktivitätsnachweis für das „negative Leistungsbild“ bzw. die Teilhabedefizite hilfreich sein kann (Ebenso: ERGOS, IMBA, MELBA der Bundesagentur für Arbeit), ◾◾ Hinweise auf ergänzende Geldleistungen wie Pflegegeld und wegen Kleider-/Wäscheverschleiß vom Gutachter dokumentiert werden sollten. Genereller Hinweis: In der Spalte „Bisher“ sind die aktuellen MdE-Werte – soweit vorhanden – aus den Standardwerken Schönberger/Mehrtens/Valentin [21], Schiltenwolf [22] und Mehrhoff/ Ekkernkamp/Wich [23] ausgewiesen.

MdE-Bewertungen nach Gesundheitsschäden an den oberen Extremitäten

Gelenkgewichtung: Ob die Mittelgelenke (z. B. Ellenbogengelenk gegenüber Schultergelenk und Handgelenk) die funktionell wichtigsten Gelenke der jeweiligen Extremität sind, ist diskussionswürdig. Neutral-0-Messmethode: Die zulässige Messtoleranz beträgt +/– 10 % des ermittelten Wertes bei Fehlen negativer Funktionsbeeinträchtigungen (vgl. DGUV „Messblatt für obere Gliedmaßen“ [24]).

Schultergelenk Vorbemerkung Die Schulter (Schulterhauptgelenk und Schulternebengelenke) ermöglicht Bewegungen in vier Freiheitsgraden. Nach Verletzungen ist die Gebrauchsfähigkeit betroffen beim Heben, Tragen, Stemmen, Autofahren, Richtunggeben zum Einsatz der Hand, Klemmgriff zwischen Arm und Brustkorb.

MdE v. H.

Bisher

– Verlust oder vollständige Gebrauchsunfähigkeit beider Arme im Schulterhauptgelenk (nicht prothesenfähig)

100

100

– Verlust oder vollständige Gebrauchsunfähigkeit eines Armes im Schulterhauptgelenk (nicht prothesenfähig)

70

80

– Versteifung beider Schultern in Funktionsstellung (Oberarmkopf erhalten)

70

– Versteifung einer Schulter in Funktionsstellung (Oberarmkopf erhalten)

35

– Versteifung beider Schulterhauptgelenke in Funktionsstellung (bei frei beweglichen Nebengelenken)

40

– Versteifung eines Schulterhauptgelenkes in Funktionsstellung (bei frei beweglichen Nebengelenken)

20

30

– Einschränkung aller Bewegungsmöglichkeiten eines ­Schulterhauptgelenkes konzentrisch um die Hälfte (bei frei beweglichen Nebengelenken)

10

25

< 10

10

Schultergelenk Eckwerte

Einzelwerte

Vorbemerkungen

– Bruch eines Schlüsselbeins knöchern oder mit straffer ­Pseudarthrose verheilt

Eckwerte geben feste MdE-Werte wieder. Sie bilden auch den Rahmen für die Bewertung von Einzel- oder MehrfachGesundheitsschäden auf der Grundlage von MdE-Einzelwerten für die jeweilige Extremität ab. Gebrauchsbeeinträchtigungen: Die Objektivierung erfolgt durch die Bewertung der Beweglichkeit gemäß den Freiheitsgraden im jeweiligen Gelenk: Funktionell bedeutsam sind nur die Bewegungsausschläge nach der Neutral-0-Methode in Bezug auf die Normalwerte und die Ausprägung der Muskulatur, der Beschwielung und des Kalksalzgehaltes im Seitenvergleich. Armlängendifferenzen: Diese sind im üblichen Ausmaß nach Verletzungen im Gegensatz zu den unteren Extremitäten in der Regel funktionell unbeachtlich.

– Einschränkung der Schulterbeweglichkeit – Arm vorwärts-/ seitwärts bis 60° (Rotation frei)

25

–  wie zuvor bis 90°

15

–  wie zuvor bis 60° (Rotation aufgehoben)

30

–  wie zuvor bis 90°

20

20

20

30

20

Nervenschäden/Lähmungen –  Vollständiger Ausfall eines Achselnervs

Amputation/Prothetische Versorgung – Funktions- (Myoelektrische) Prothese als Ersatz eines Armes im Schultergelenk

50

– Prothetischer Ersatz eines Schulterhauptgelenkes mit Einschränkung aller Bewegungsmöglichkeiten konzentrisch um die Hälfte

30

– Prothetischer Ersatz beider Schulterhauptgelenke mit guter Funktion (Vor-/Seitwärtshebung bis 120°)

20

– Prothetischer Ersatz eines Schulterhauptgelenkes mit guter Funktion

20

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Originalbeiträge

Oberarm/Ellenbogengelenk Vorbemerkung Der Ellenbogen ermöglicht Bewegungen in einem Freiheitsgrad.

Oberarm/Ellenbogengelenk

MdE

Bisher

70

75

Eckwerte – Verlust eines Armes im Oberarm (ab mittlerem Schaftdrittel bis Ellenbogen) – nicht Prothesenfähig –  Funktionsverlust der langen Bizepssehne (proximal)

< 10

–  Funktionsverlust der distalen Bizepssehne

10

Unterarm

– Versteifung eines Ellenbogengelenkes in Funktionsstellung bei freier Unterarmdrehung

20

30

Vorbemerkung

Einzelwerte

Der Unterarm ermöglicht Bewegungen in einem Freiheitsgrad. Typisch sind dafür die Schraubendreherbewegung, der Schlüsselgriff und die Positionierung der Hand (des Handgelenkes). Der erhebliche Rückgang der händischen Arbeit (Lastenhandhabung, Schaufeln, Bohren, Schrauben, Montieren) wird ausgeglichen durch Werkzeug- und Tastaturbedienung (vgl. BIBB-Erwerbstätigenbefragung 2012 [17] und CUELA-Messungen [25] des Instituts für Arbeitssicherheit (IFA) der DGUV).

– Bewegungseinschränkung im Ellenbogengelenk (Streckung/Beugung: 0-30-120)

< 10

10

– Bewegungseinschränkung in einem Ellenbogengelenk (0-30-90) mit hälftiger Einschränkung der Unterarmdrehung (auswärts/einwärts)

25

–  wie zuvor bei freier Unterarmdrehung

10

20

Amputation/Prothetische Versorgung –  Verlust eines Armes im Oberarm, Funktionsprothese

50

–  Prothetischer Ersatz eines Speichenkopfes mit guter Funktion

10

Unterarm

MdE

Bisher

65

Eckwerte

Handgelenk

– Verlust eines Armes im Unterarm/im Handgelenk – nicht ­prothesenfähig

60

Vorbemerkung

– Aufgehobene Unterarmdrehung in Funktionsstellung (auswärts/einwärts: 0-40-40)

25

Das Handgelenk hat drei Freiheitsgrade.

– Aufgehobene Unterarmdrehung in Pronationsstellung (auswärts/einwärts: 0-80-80)

25

–  Aufgehobene Unterarmdrehung in Neutralstellung (0-0-0)

30

30

–  Aufgehobene Unterarmdrehung in Supination (80-80-0)

40

40

45

60

MdE

Bisher

Finger Vorbemerkung Die Neubewertung der MdE hinsichtlich der Folgen von Fingerverletzungen berücksichtigt besonders den gewandelten Allgemeinen Arbeitsmarkt. Im Kern sind händische Arbeiten wie schweres Heben und Tragen, Schaufeln, Bohren sowie Montieren umfassend durch den Einsatz von Maschinen abgelöst worden, lediglich im Handwerk und Haushaltsbereich sind Greif-, Halte- und Druckbewegungen noch weit verbreitet oder alltagsüblich. Das Bedienen von Tastaturen, insbesondere von Buchstaben- und Zahlenfeldern oder sonstigen Tasten oder Drucktasten durch Berühren, ist nahezu flächendeckend Teil der jeweiligen Arbeitstätigkeit. Elementar ist insoweit das „10-Finger-Schreiben“ auf den Schreibfeldern mit QUERTZ-TastaturAnordnung. Dabei werden jedem Finger bestimmte Buchstaben im Tastatur-

Amputation/Prothetische Versorgung – Verlust eines Armes im Unterarm/im Handgelenk – prothesenfähig

Handgelenk Eckwerte –  Versteifung beider Handgelenke in Funktionsstellung

30

– Versteifung eines Handgelenks (10° hohlhandwärts, 10° speichenwärts)

25

30

– Versteifung eines Handgelenks in Funktionsstellung (10–15° handrückenwärts, 5–10° ellenwärts)

20

30

– Einschränkung der Beweglichkeit in einem Handgelenk um die Hälfte (konzentrisch) z. B. nach handgelenksnahem Speichenbruch, Kahnbein-Falschgelenk (Pseudarthrose) oder Mondbeinnekrose (Mondbeintod)

10

15

– In schlechter Stellung oder mit Falschgelenkbildung verheilte Brüche mehrerer Mittelhandknochen mit Beeinträchtigung der Fingerfunktionen

20

Amputation/Prothetische Versorgung – Totalendoprothetischer Ersatz eines Handgelenkes mit guter Funktion

64 

20

MED SACH 112 2/2016

Originalbeiträge

Finger

MdE

Bisher

–  Verlust aller Finger einer Hand

50

50

–  Verlust aller Finger beider Hände

80

Eckwerte

Fingerverluste (×) Isoliert

Daumen

Zeigefinger

Mittelfinger

Ring­ finger

Klein­ finger

MdE v. H.

Bisher

25

20

20

10

20

10

20

10

10

10

35

30

30

30

30

30

25

30

40

45

40

40

×

40

40

40

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×

40

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×

40

40

50

50

× × × × ×

Daumen + zweiter Finger

×

×

×

×

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×

× Daumen + zwei weitere Finger

×

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× Daumen + drei weitere Finger

× ×

×

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×

×

×

×

×

×

× Zeigefinger + ein weiterer Finger

×

× ×

× ×

50

×

×

50

×

×

×

×

×

× Zeigefinger + zwei weitere Finger

×

× ×

×

× ×

×

×

×

×

×

Mittelfinger + ein weiterer Finger

×

×

Mittelfinger + zwei weitere Finger

×

Zeigefinger + drei weitere Finger

×

feld zugeordnet (z. B. den Zeigefingern die Tasten F und J, dem linken Kleinfinger die Bedienung der Großschreibungstaste). Fehlende oder erheblich verkürzte Finger können diesem Tastdruck oder diesen Berührungsaufgaben beim Normal-/Schnellschreiben mit Tastatur nicht nachkommen.

×

50

keiten am Gerät dadurch ganz oder teilweise beeinträchtigt werden. Fingerteilverluste im LangfingerMittelgelenk werden dem Gesamtfingerverlust gleichgestellt. Der Daumen hat gegenüber allen anderen Fingern eine herausragende Funktion und Bedeutung für händische Greif-und Haltebewegungen. Alle übrigen Finger werden unter dem Aspekt der Bedeutung im Tast-(Touch) und Schreibfeld gleich bewertet. Die vollständige Versteifung eines Fingers ist dem Verlust gleichzusetzen, da ein gesteuerter Funktionseinsatz z. B. bei Tastaturbedienung nicht mehr möglich ist. Haut- und Nervenschäden an verbliebenen Fingern sind ggf. zusätzlich zu berücksichtigen. Es wird von Narbenverhältnissen ohne weitere Funktionsbeeinträchtigungen und dem Fehlen sonstiger Gesundheitsschäden an der jeweiligen Hand/am jeweiligen Finger ausgegangen. Die Einzelbewertung der MdE ist mit dem DGUV-Messblatt für Finger [26] vorzunehmen.

Funktionsbeeinträchtigungen nach Gesundheitsschäden an der Wirbelsäule und am Rückenmark

50

50

25

25

Vorbemerkung

30

25

20

25

30

40

Die Objektivierung erfolgt durch Prüfung der Deformierung, der Achsabweichung, der Muskelverhältnisse und der Beweglichkeit der Wirbelsäule (DGUV „Messblatt Wirbelsäule“ [27]). Die bildtechnischen Befunde stehen bei der Beurteilung der Funktionsprüfung von Gesundheitsschäden an der Wirbelsäule und dem Rückenmark im Vordergrund. Insoweit kommt dem Messblatt „Wirbelsäule“ nur nachrangige Bedeutung zu. Gesundheitsschäden auf neurologischem, psychischem und urologischem Gebiet erfordern eine entsprechende Befundung bzw. Begutachtung und danach ggf. eine „Gesamt“-MdE-Bewertung. Hilfreiche Abgrenzungskriterien ergeben sich aus den HVBG/DGUV„Anhaltspunkten zur Bemessung des Pflegegeldes (§ 44 SGB VII)“ [28]: Z. B. „Verletzungsfolge 5: Verletzte mit vollständiger Halsmarklähmung (Tetraplegiker) – bei erhaltener Eigenatmung.

×

30

40

×

30

40

×

50

45

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20

×

25

25

×

30

35

Für die jeweilige MdE-Neubewertung ist deshalb nachhaltig darauf abgestellt worden, welche Griffe (Spitzgriff, Grobgriff etc.) und welche Tastaturen bewegungsmäßig nicht oder nur noch teilweise bedient werden können (Funktionsverlust). Außerdem wurde berücksichtigt, welche konkreten (Halte-)Tätig-

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Originalbeiträge

In Abhängigkeit von der Höhe der Schädigung an der HWS sind die Bewegungsmöglichkeiten des Verletzten vollständig bis fast vollständig aufgehoben. Die Funktionseinschränkungen hängen ab von den restmotorischen Fähigkeiten: –  Verletzte mit Tetraplegien unterhalb C4 sind bewegungsunfähig. –  Verletzte mit Tetraplegien unterhalb C5 sind in äußerst geringem Maße bewegungsfähig (Schulterbewegung, aktive Ellenbogengelenksbeugung, aber ohne Handfunktion). Die Verletzten benötigen bei geeigneten Alarmsystemen keine Pflege rund um die Uhr. –  Verletzte mit Tetraplegien unterhalb C6 können nach entsprechender Übung teilweise Handfunktionen ausführen. –  Verletzte mit Tetraplegien unterhalb C7/C8 können Funktionen im Bereich von Schulter, Ellenbogen und Handgelenk ausführen. Verschiedene Griffformen sind möglich, jedoch stark abgeschwächt und ausdauernde Sitzstabilität besteht nicht. Bei allen Lähmungshöhen besteht vollständige Rollstuhlabhängigkeit.“

Wirbelsäule und Rückenmark

MdE

Bisher

– Halsmarkschädigung ohne Atemlähmung mit vollständiger ­Lähmung beider Arme und Beine (Tetraplegiker)

100

100

– Rückenmarkschädigung, beide Beine gelähmt, vollständige ­Blasen- und Mastdarmlähmung (Paraplegiker), rollstuhlfähig

80

100

– Rückenmarkschädigung mit vollständiger Lähmung beider Beine (Paraplegiker), rollstuhlfähig, ohne Blasen- und Mastdarmlähmung

70

–  Versteifung beider oberer Halswirbelsegmente (C0/C2)

30

– Versteifung von zwei Wirbelsegmenten (2. Hals- bis 1. Brust­wirbel, 12. Brustwirbel bis Kreuzbein)

20

– Verheilter Bruch eines oder mehrerer Wirbel mit Achsenknick (Keilwirbel > 30°)

20

Eckwerte

Wirbelbrüche

MdE

Bisher

– Mit Achsabweichung der HWS (C2 bis C7) oder LWS (Th10 bis L5/S1) stabil verheilter Bruch eines oder mehrerer ­Wirbel (Achsabweichung > 20° bis < 30°),

20

30

–  Achsabweichung (BWS) > 20° bis < 30

10

20

– Ohne Achsabweichung der Wirbelsäule stabil verheilter Bruch eines oder mehrerer Wirbel

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