MIGRATION UND FLUCHT INHALTSÜBERSICHT RAHMENBEDINGUNGEN: VORBEREITUNGSDOSSIER: MIGRATION UND FLUCHT
April 10, 2018 | Author: Karl Müller | Category: N/A
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1 MIGRATION UND FLUCHT INHALTSÜBERSICHT 1. Flüchtlinge: Begriffe und Fakten 2. Gründe für die Flucht...
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VORBEREITUNGSDOSSIER: MIGRATION UND FLUCHT
MIGRATION UND FLUCHT INHALTSÜBERSICHT 1. Flüchtlinge: Begriffe und Fakten 2. Gründe für die Flucht 3. Probleme auf der Flucht 4. Osman und Abu auf der Flucht im Nordirak 5. Hilfe für Flüchtlinge
RAHMENBEDINGUNGEN: Schulstufe: Sekundarstufe I/II Online Infoservice: www.youngcaritas.ch/flucht Erscheinungsdatum: Juni 2016
VORBEREITUNGSDOSSIER: MIGRATION UND FLUCHT
I. Prickett / UNHCR
1. FLÜCHTLINGE: BEGRIFFE UND FAKTEN MENSCHEN SIND WELTWEIT AUF DER FLUCHT Knapp 60 Millionen Menschen sind weltweit wegen Konflikten und Verfolgung auf der Flucht; Millionen mehr flüchten vor Naturkatastrophen, Armut oder weiteren Gründen.1 Sie sind gezwungen, ihre Heimat unfreiwillig und auf unbestimmte Zeit zu verlassen. Die Zahl an Flüchtlingen ist so hoch wie seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr. Jeden Tag müssen über 35 000 Menschen nur wegen Konflikten und Verfolgungen auf der ganzen Welt neu flüchten. Das heisst: Täglich flieht die gesamte Bevölkerung einer mittelgrossen Schweizer Stadt (z.B. Neuenburg). Die Hälfte von allen Flüchtlingen sind Kinder.
WOHIN FLÜCHTEN SIE? Nur ganz wenige Menschen auf der Flucht gelangen bis nach Europa und noch weniger in die Schweiz. Bloss ein Prozent der Schweizer Bevölkerung sind Flüchtlinge.2 Denn die meisten Flüchtlinge bleiben in ihrem eigenen Land oder in den Nachbarländern. So leben vier von fünf Flüchtlingen in Entwicklungsländern.
WAS IST DER UNTERSCHIED ZWISCHEN FLÜCHTLINGE UND MIGRANTINNEN UND MIGRANTEN? Alle Menschen, die längerfristig ihren Wohnort wechseln, heissen Migrantinnen und Migranten. Flüchtlinge sind Migrierende, die ihre Heimat unfreiwillig verlassen; sie müssen flüchten. Weil sie in ihrem Heimatland keinen Schutz mehr erhalten, suchen sie anderswo Schutz vor Gefahr und Verfolgung (= Asyl). Dafür gibt es internationale Gesetze (Genfer Flüchtlingskonvention von 1951), die bestimmen, wer als Flüchtling anerkannt wird.
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UNHCR: Global Trends 2014. Bundesamt für Migration: Asylstatistik 2014.
Syrische Flüchtlinge überqueren die Grenze zur Türkei.
ASYLSUCHENDE IN DER SCHWEIZ Wer in die Schweiz flüchtet, kann beim Bundesamt für Migration (BFM) einen Asylantrag stellen. Damit bittet die Person um Schutz (=Asylsuchende) und um die Möglichkeit, sich hier niederzulassen. Doch nur diejenigen, die nach ihrer Anhörung (=Befragung zu Fluchtgründen) als Flüchtling anerkannt oder vorläufig aufgenommen werden, können bleiben.
WER SIND INTERN VERTRIEBENE? Flüchtlinge, die innerhalb ihres Landes auf der Flucht sind, heissen intern Vertriebene (oder Binnenvertriebene). Zwei Drittel aller Flüchtlinge müssen in ihrem Land in eine andere Region oder Stadt flüchten. Sie können oder wollen ihr Land nicht verlassen, weil sie Angst haben, dafür bestraft zu werden, weil sie für die Flucht kein Geld haben oder baldmöglichst in ihr Dorf zurückkehren wollen. Flüchtlingsbegriff Als Flüchtling wird eine Person anerkannt, wenn – schwerwiegende Nachteile im Heimatland drohen. Leib, Leben, Freiheit oder psychische Gesundheit sind gefährdet. – die Person gezielt verfolgt wird. Als Verfolgungsmotive gelten vor allem folgende Motive: Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer ethnischen oder sozialen Gruppe und politische Anschauung.
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Bild: Virginie Nguyen Hoang / Caritas France
2. G RÜNDE FÜR DIE FLUCHT NIEMAND FLÜCHTET FREIWILLIG! Flüchtlinge können in ihrer Heimat nicht mehr überleben; sie müssen flüchten. Kein Mensch lässt freiwillig alles zurück, was er lieb hat, ohne zu wissen, wohin er geht und wann und ob er überhaupt je zurückkehren kann. Dabei sind die Gründe für die Flucht meistens sehr kompliziert. Selten ist es ein einziger Grund, sondern es handelt sich oft um eine Kombination verschiedener Gründe.
GEWALT UND KONFLIKT Am meisten Menschen auf der Welt müssen wegen eines Krieges flüchten. Sie fliehen, weil sie direkt von den kriegerischen Auseinandersetzungen betroffen sind oder weil sie die Angst vor einer möglichen Eskalation in die Flucht treibt.
FLUCHT WEGEN SOZIALER ODER POLITISCHER VERFOLGUNG Menschen fliehen, weil sie verfolgt werden und ihre Grundrechte in Gefahr sind: Sie dürfen ihre Religion nicht ausüben, ihre Meinung nicht sagen, haben kein Anrecht auf medizinische Versorgung oder dürfen nicht in die Schule gehen. Die Personen an der Macht verwehren ihnen diese Grundrechte und drohen etwa mit Folter, Verschleppungen oder gar der Todesstrafe, wenn sie nicht gehorchen. Opfer sind meistens Angehörige von Minderheiten oder politische Gegner.
Zerstörung in Gaza
UMWELTVERÄNDERUNGEN Erdbeben, Ausbreitung der Wüsten, Dürre oder Anstieg des Meeresspiegels: Dies sind Beispiele von Naturkatastrophen oder von Menschen verursachten Umweltveränderungen, welche Menschen zur Flucht zwingen. Wegen des Klimawandels und des zunehmend rücksichtslosen Umgangs mit der Natur gibt es immer mehr Menschen, die ihre Lebensgrundlage verlieren und fliehen müssen. Sie heissen Umweltoder Klimaflüchtlinge. Bis ins Jahr 2050 rechnet die UNO mit bis zu 200 Millionen Umweltflüchtlingen.
ARMUT UND ARBEITSSUCHE Viele Menschen flüchten, weil sie wegen grosser Armut um das Überleben kämpfen. Sie hoffen darauf, irgendwo eine Arbeit zu finden und davon leben zu können. Dabei sprechen sich häufig übertriebene Geschichten über den Alltag in der Stadt oder in einem anderen Land herum. Die Träume und die Verzweiflung verleiten oft zu einer sehr gefährlichen Flucht und enden zum Beispiel im Elend eines Armenviertels einer Grossstadt. Armut und Umweltveränderungen sind im Gesetz keine Fluchtgründe und darum erhalten diese Menschen kein Asyl.
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3. PROBLEME AUF DER FLUCHT MISSACHTUNG DER MENSCHLICHEN GRUNDBEDÜRFNISSE
Bild: Thomson Reuters
Menschen auf der Flucht sind häufig wochen- bis monatelang unterwegs. Dabei kämpfen sie um ihr Überleben bei der Suche nach Nahrung und Wasser, Kleidung oder einem sicheren Platz zum Schlafen. Zudem gehören Flüchtlinge zu den verletzlichsten Menschen. Ihre Situation wird oft ausgenutzt. Sie müssen zum Beispiel sehr hohe Preise für die Flucht an Schlepper (organisierte Fluchthelfer, die aus der Flucht ein Geschäft machen) bezahlen, ohne zu wissen, ob sie je am Ziel ankommen werden.
SEELISCHE UND KÖRPERLICHE PROBLEME Flüchtlinge leiden oft unter körperlichen Problemen: Sie sind Opfer von Gewalt, Folter oder Vergewaltigungen. Viele leiden unter Hunger. Sie sind so lange unterwegs oder müssen sich wochenlang verstecken, sodass sie nichts mehr zu Essen und Trinken haben. Auf der Flucht riskieren sie mit gefährlichen Transportmitteln und –routen ihr Leben. Weil ihnen oft keine medizinische Versorgung zur Verfügung steht, stellen Erkrankungen ein hohes Risiko dar. Die körperlichen Probleme werden verstärkt durch seelische Störungen. Durch die Flucht verlieren sie ihre Verwurzelung. Viele Flüchtlinge sind mit der Trennung oder dem Verlust von geliebten Menschen konfrontiert. Ausserdem macht ihnen die Perspektivenlosigkeit zu schaffen: Sie sehen keinen Weg aus der dramatischen Situation und wissen nicht, wie es weiter geht. All diese Probleme können, verstärkt durch Bedrohungen und ständige Angst, zu Albträumen und psychischen Störungen führen. Diese plagen die Flüchtlinge häufig ihr Leben lang.
PROBLEME AM NEUEN ORT Eine syrische Familie auf der Flucht
MATERIELLE PROBLEME Flüchtlinge haben meistens alle ihre persönlichen Gegenstände verloren. Die Familien haben kaum Kleider und keine Alltags- sowie Erinnerungsgegenstände mehr (z.B. Küchenutensilien, Fotos oder Tagebücher). Zudem fehlt häufig das Geld, um sich die überlebenswichtigsten Dinge wie etwa Nahrungsmittel zu leisten. Das Geld wurde ihnen gestohlen, sie haben es für die Flucht ausgegeben oder können unterwegs nicht arbeiten. Kinder auf der Flucht gehen nur selten in die Schule. Später im Leben mangelt es ihnen sowohl an Wissen als auch an einer Ausbildung. Es entsteht ein Teufelskreis mit einer sogenannten «lost generation» (verlorene Generation).
Wo immer die Menschen hin flüchten, gelangen sie in ein neues Umfeld. Häufig sprechen sie nicht die gleiche Sprache und leiden unter Diskriminierungen wegen ihrer Herkunft oder ihrem Status als Flüchtling. Sie werden ausgeschlossen und dürfen oft nicht arbeiten, ihre Religion nicht ausüben oder ihre Meinung nicht äussern. Die Probleme am neuen Ort werden dadurch verstärkt, dass die Region oder das Land mit der Situation häufig überfordert ist: Im schlimmsten Fall bricht das ganze System zusammen. So stehen beispielsweise plötzlich zu wenig Nahrungsmittel für die gesamte Bevölkerung zur Verfügung, die Mietpreise steigen, weil so viele Leute eine Wohnung suchen, in den Schulen hat es wegen der Zunahme an Kindern zu wenig Platz und die medizinische Versorgung funktioniert nicht mehr.
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4. OSMAN UND ABU AUF DER FLUCHT IM NORDIRAK Osman ist 13, sein Bruder Abu 11. Die beiden haben noch vier jüngere Geschwister. Einen Vater gibt es nicht. Als die Mutter ihre sechs Kinder in jener kalten Januarnacht aus dem Bett scheuchte, mussten diese nicht geweckt werden. Sie hatten sowieso nicht geschlafen. Zu laut war der Lärm der Granaten und Maschinengewehre, zu gross die Angst vor den Männern, die sich «Islamischer Staat» nannten und daran waren, die Stadt Falludscha zu erobern und dabei auf alles schossen, was sich ihnen in den Weg stellte. «Schnell, schnell, und helft den Kleinen beim Anziehen», sagte die Mutter nur, und packte hastig eine einzige Tasche. Dann rannten sie alle aus dem Haus, Osman mit dem kleinsten Bruder auf dem Arm. Auf der Strasse zwängten sie sich in den schon überfüllten Kleinbus eines Bekannten und fuhren los. In Falludscha waren Osman und Abu ganz normale Jungs gewesen. Sie waren zur Schule gegangen, Osman spielte Fussball in einem Team, Abu nahm Oud-Unterricht. Oud ist ein orientalisches Zupfinstrument, ähnlich einer europäischen Laute. Sie waren nicht reich, aber ihre Mutter hatte Arbeit. Sie lebten gut.
Bild: Fred Lauener
Hier in Sulaymaniyah, wohin sie der Kleinbus in jener kalten Januarnacht in Sicherheit brachte, haben sie nichts mehr. Keine Schule, kein Sport, keine Musik. Sie sind in einem Lagerhaus untergebracht, das die Stadt zur provisorischen Unterkunft für Vertriebene umfunktionierte. Sie teilen sich einen einzigen kleinen
In einem Zentrum für jugendliche Strassenverkäufer können Osman und Abu für kurze Zeit normale Jungs sein.
Raum mit zwei weiteren Familien. Es ist eng und muffig. Arbeit für die Mutter gibt es nicht. Für das Einkommen der Familie sind jetzt Osman und Abu zuständig. Den ganzen Tag verkaufen sie auf den Strassen der Innenstadt Heftpflaster und Plastiksäcklein an Passanten. Ein harter Job. Die Einnahmen reichen gerade für eine Mahlzeit für alle. 400 Kilometer Strasse liegen zwischen Sulaymaniyah und Falludscha. In friedlichen Zeiten ist das nicht mehr als eine Tagesreise. Osman und Abu wünschen sich nichts anderes als den Frieden und so bald wie möglich wieder in den Bus zu sitzen und nach Hause zurückzukehren. Andere Wünsche haben sie nicht. Sie möchten nur ihr altes Leben zurück. Die Schule, die Freunde, den Fussball, die Musik. Text von Fred Lauener
Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge Immer mehr Kinder sind ohne Eltern unterwegs, als unbegleitete minderjährige Flüchtlinge. Ihre Familie wurde auseinandergerissen, sie wurden alleine losgeschickt oder sie sind die einzigen Überlebenden. Sie müssen alleine schauen, wohin sie flüchten, wie sie zu Essen und Trinken kommen und wie sie Geld verdienen. Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge werden oft aus genutzt. So fallen sie zum Beispiel auf Tricks von Schlepperbanden herein. Nach der schmerz lichen Trennung von ihren Eltern müssen viele über sehr gefährliche Routen flüchten und werden einfache Opfer von Menschenhandel.
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Bild: Sam Tarling
5. H ILFE FÜR FLÜCHTLINGE SCHUTZ UND NOTHILFE In akuten Krisensituationen sind von einem Tag auf den anderen Tausende von Menschen ohne Hab und Gut auf der Flucht. Dabei befinden sich die Menschen in einer absoluten Notsituation und sind darum auf Hilfe angewiesen. Die betroffenen Staaten, Hilfsorganisationen und das UNHCR (= die Flüchtlingsorganisation der UNO, die sich um den Schutz und die Hilfe für Flüchtlinge kümmert) leisten mit der Lieferung von Hilfsgütern Nothilfe, bauen Flüchtlingslager auf und versuchen den Menschen Schutz zu geben. Einblicke in ein Flüchtlingszelt im Libanon
DAS LEBEN IM FLÜCHTLINGSLAGER Ein Flüchtlingslager kann den Familien auf der Flucht eine erste Notlösung bieten. Hier erhalten sie Schutz, Nahrung und ein provisorisches Dach über dem Kopf. Nach der Registrierung erhalten sie die notwendigsten Dinge zum Überleben (z.B. Zelte, Decken, Wasserkanister, Kochgeschirr und Matratzen). Auf engstem Raum leben die Menschen in Zelten oder in selbstgebauten Unterkünften. Privatsphäre gibt es nicht. Ein Problem ist zudem die medizinische Versorgung: Die Flüchtlinge kommen häufig krank oder verletzt in den Lagern an und sind dringend auf medizinische Hilfe angewiesen. Einige Lager entwickeln sich mit der Zeit zu kleinen Dörfern oder Städten mit Märkten, Schulen und Krankenstationen. In den grössten Lagern (z.B. Dadaab in Kenia oder Zaatari in Jordanien) leben mehrere Zehn- bis Hundertausende Menschen.
LÄNGERFRISTIGE UNTERSTÜTZUNG In Kriegssituationen oder bei Verfolgungen ist häufig eine schnelle Rückkehr nach Hause nicht oder im schlimmsten Fall gar nie mehr möglich. Darum brauchen die Flüchtlinge längerfristige und nachhaltige Unterstützung, die ihnen hilft, ihr Leben wieder in Würde und Frieden aufzubauen. Sie werden unterstützt, wo möglich freiwillig in ihr Land zurückzukehren, werden im Asylland (= das Land, in welchem sie Schutz suchen) aufgenommen oder in einem ganz anderen Land angesiedelt.
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