Mehr hingucken, weniger regulieren

June 23, 2017 | Author: Johann Hofmeister | Category: N/A
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Interview mit Nikolaus Goetze, Architekt und Partner bei GMP

„Mehr hingucken, weniger regulieren“ Nikolaus Goetze arbeitet seit 25 Jahren als Partner im Büro von Gerkan, Marg und Partner (GMP). Er leitet die Büros in Hamburg, Schanghai und Hanoi. DIE IMMOBILIE führte mit ihm ein Gespräch über chinesische Bauherren, Stadtentwicklung und eine Herzensangelegenheit.

DIE IMMOBILIE: Herr Goetze, GMP gilt als erfolgreichstes europäisches Architekturbüro in China. Was können wir von den Chinesen lernen? Nikolaus Goetze: Die Chinesen haben eine vorbildhafte Gesprächskultur, sogar wenn sie unter Druck stehen. Sie lassen sich erst einmal alle Meinungen präsentieren, dann wird entschieden. Gleichzeitig denken sie immer ans Ziel und sind dabei sehr konstruktiv. Sie verlieren sich nicht im Prozess. Der interessiert Chinesen weniger als das Ergebnis. Das hilft sehr, wenn man einen bestimmten Termin einhalten muss, denn der Bauherr übt permanent Druck aus. Und der ist nötig, um ein termingerechtes Ergebnis zu bekommen. DIE IMMOBILIE: China ist das bevölkerungsreichste Land der Welt. Können wir uns hinsichtlich der schnellen Schaffung von bezahlbarem Wohnraum etwas aus dem Reich der Mitte abgucken? Goetze: Lieber nicht. Das Land hat deutlich über den Bedarf hinweg gebaut. Das sollten wir nicht nachmachen. Und die Situation hierzulande kann man nicht mit der in China vergleichen. Ein Vorteil ist dort sicherlich, dass das Bauen nicht derart reguliert wird. Ich erlebe eher, dass die Chinesen von uns lernen wollen, vor allem im Bereich der Einbindung von Bürgern in die Stadtplanungsprozesse. DIE IMMOBILIE: Die Chinesen sind an einem Mitspracherecht der Bürger interessiert? Das überrascht. Goetze: Die Chinesen bekommen mit, welchen Einfluss Bürgerentscheide haben können. Nehmen Sie beispielsweise das Referendum für die Olympiade in Hamburg: Die Stadtregierung Schanghais hat Hamburg besucht und sich bei unserem Oberbaudirektor Jörn Walter über verschiedene Mitsprachemodelle informiert. Da gab es einen regen Austausch. DIE IMMOBILIE: Weshalb dieser erstaunlich demokratische Ansatz? Goetze: Vielleicht merken sie, dass auf diese Weise Kräfte, die erst gegen den Bau sind, mit ins Boot geholt werden können. Im Dialog kann man Probleme identifizieren und lösen. Demgegenüber steht die Tatsache hier in Deutschland, dass zu viel Mitbestimmung blockieren kann. Nicht jeder

Befragte hat die nötige Kompetenz. Gewisse Entscheidungen sollte man den Fachleuten überlassen. DIE IMMOBILIE: Was würden Sie als Fachmann gegen den Mangel an bezahlbarem Wohnraum in Deutschland unternehmen? Goetze: Primär sollte der Fehler von Paris mit seinen Banlieues nicht wiederholt werden. Das heißt, bezahlbarer Wohnraum sollte nicht nur in den Außenbezirken der Stadt zu finden sein. In Berlin wie auch in anderen deutschen Großstädten droht derzeit eine Zuspitzung der Wohnungsknappheit. Die Situation wird durch den Zustrom der vielen Flüchtlinge noch verschärft. Wir müssen alles tun, dass bestehende Strukturen nicht umkippen und ganze Stadtteile bald nicht mehr begehbar sind.

DIE IMMOBILIE: Was kann man dagegen machen? Goetze: Dem kann man nur mit Integration begegnen. Deshalb muss man Grundstücke finden, die mit der bestehenden Struktur verbunden sind, sodass sie inhaltlich bereichert werden. Das wird hier in Hamburg beispielsweise auch so gemacht. Der vorgegebene Drittel-Mix, also ein Drittel Eigentumswohnungen, ein Drittel freifinanziert und ein Drittel Sozialwohnungen, ist eine gute Idee. Er löst nur leider nicht das große Problem. Da aktuell ja meist vergleichsweise kleine Projekte umgesetzt werden. DIE IMMOBILIE: Wie lässt sich das große Problem lösen? Goetze: In Hamburg etwa gibt es große Grundstücke im Hafen. Der Grasbrook wäre ein idealer Bauplatz für eine Mischung aus sozial verträglichem mit freifinanziertem Wohnungsbau in großem Maßstab. DIE IMMOBILIE: An welche Wohnformen denken Sie dabei? Goetze: Wir dürfen hier nicht den Fehler machen, bei bezahlbarem Wohnungsbau an modulare Container-Städte zu denken, die später in keinster Weise nachgenutzt werden können. Der Wohnungsbau lässt sich zwar modular oder mit Fertigteilen realisieren, aber wir dürfen dabei nicht die städtebauliche und konstruktive Qualität vernachlässigen. Das ist nicht nachhaltig, denn die Gebäude stehen lange, oft länger als geplant. DIE IMMOBILIE: Dann lieber mehr Geld für mehr Qualität in die Hand nehmen beziehungsweise langfristig planen? Goetze: Ja, es muss eine architektonische Antwort geben. Das ist für uns ein sehr bedeutendes Thema. Darum beschäftigen wir uns damit auch während der diesjährigen Architekturbiennale in

Venedig in unserer Academy for Architectural Culture, kurz AAC. Ich meine damit allerdings nicht die Suche nach einer allgemeingültigen Lösung. Es gibt viele verschiedene architektonische Ansätze, die dem gemeinsamen Ziel einer nachhaltigen Stadtentwicklung dienen. Was das Bauen teuer macht, sind in erster Linie die Verordnungen. Dadurch wird es immer schwieriger, preiswerten Wohnraum zu schaffen. Außerdem werden auch die Grundstücke immer teurer. Dafür muss man Antworten finden. DIE IMMOBILIE: Auf welche Regulierung würden Sie gern verzichten? Goetze: Gerade was die Dämmung angeht, werden viele Fehler gemacht. Bei den Plusenergiehäusern beispielsweise, ich überziehe das mal ein wenig, darf man nicht mal mehr die Fenster öffnen. Sonst verliert man im Winter zu viel Wärme, oder es entstehen Schimmelpilze. DIE IMMOBILIE: Aber ganz ohne Regeln geht es auch nicht. Goetze: Die Maßnahmen sind sicher begründet, aber es macht alles noch komplizierter. Auch hinsichtlich der Handhabung. Deshalb bin ich für mehr Einfachheit und weniger Technik. Mit dem Energiesparen sollte man schon beim Entwurf anfangen. In Asien haben wir gelernt, dass man allein durch Eigenverschattung schon viel erreichen kann, um den Wärmeeinfall zu reduzieren. Man sollte mehr hingucken und weniger überregulieren. DIE IMMOBILIE: Welche großen Trends sehen Sie in Deutschland, und wie verändern sie die Art des Bauens? Goetze: Deutschland wird zunehmend gezwungen sein, sich durch Innovationen über Wasser zu halten. Die großen Industrien wie Auto- oder Maschinenbau wandern in Zukunft nach Asien. Zudem verändert sich die Art, wie wir lernen und forschen, was wiederum andere Bedürfnisse der Universitäten nach sich zieht. Dafür muss eine entsprechende bauliche Umwelt geschaffen werden. Eine, in der man innovativ arbeiten kann. Das wird ein Megatrend.

DIE IMMOBILIE: Wie muss so ein innovationsförderndes Arbeitsumfeld aussehen? Goetze: Wir bauen beispielsweise für Audi gerade ein zentrales Kreativzentrum in Ingolstadt. Dort bündeln wir die Designer, damit sie Autos der Zukunft entwerfen. Ein Kreativer benötigt zur optimalen Entfaltung verschiedene Arbeitsumfelder. Für Audi haben wir drei unterschiedliche Bereiche entwickelt: Die Kartause ist ein abgeschotteter Würfel, indem man konzentriert seinen Bericht schreibt. Dann eine Art Gruppenraum für den gegenseitigen Austausch und schließlich noch das Modeling-Studio, in dem die Entwürfe bearbeitet werden.

DIE IMMOBILIE: Wie verändert die Generation XY die Architektur? Goetze: Die Work-Life-Balance spielt eine immer größere Rolle. Neben dem Raum zum konzentrierten Arbeiten muss es Alternativen geben. Darauf müssen sich Arbeitgeber einstellen. Die Menschen sind heute weniger materialistisch. Das hat Folgen: Nicht jeder Stadtbewohner will beispielsweise noch ein Auto besitzen. Er kann es sich ja bei Car2go leihen. Diese Einstellung verändert auch die Stadtplanung. Beispielsweise werden weniger Parkplätze gebraucht. Der Leih-Trend verändert die Gesellschaft massiv. Insgesamt wird weniger gekauft, mehr geteilt. DIE IMMOBILIE: Und es gibt immer mehr Singles. Die wollen schicke Wohnungen. Goetze: Ja, in Hamburg gibt es mittlerweile rund 50 Prozent Single-Haushalte. Die Bedürfnisse beim Wohnungsbau verändern sich aufgrund der gewandelten Wohnstruktur: Die Wohnungen werden kleiner, modular und zunehmend in Clustern gebildet. DIE IMMOBILIE: Eine Generation der einsamen Herzen. Apropos Herz: Welches Projekt ist Ihnen momentan am wichtigsten? Goetze: Für mich ist immer wichtig, dass man seine Wurzeln nicht aufgibt. Deshalb interessieren mich deutsche Projekte ungemein. In meinem Fall ist das gerade die Kunsthalle in Mannheim, weil sie alles erfüllt, was man sich als Architekt erträumen kann. Wir haben uns im Wettbewerb um dieses Projekt gegen internationale Büros wie Zaha Hadid, Staab oder David Chipperfield durchgesetzt. DIE IMMOBILIE: Wovon träumt der Architekt beim Projekt in Mannheim? Goetze: Auf einem Grundstück mitten in der Stadt sollen wir einen Jugendstilbau um einen Anbau erweitern. Die Auseinandersetzung Alt gegen Neu ist wahnsinnig interessant. Zumal es ein Museum für moderne Kunst ist. Die Abstraktion wird vom Bauherren regelrecht gefordert. Die Auseinandersetzung mit dem Thema Architektur und Kunst ist unvermeidbar: Wie weit muss ich mich als Architekt zurücknehmen, damit ich der Kunst den Raum lasse. Das ist eine Gratwanderung für mich, weil ich Reduktion und Einfachheit liebe. Es darf nur nicht zu einfach werden und muss eine gewisse Sensibilität behalten. DIE IMMOBILIE: Es ist das bundesweit größte Neubauprojekt eines Museums für moderne Kunst. Wie läuft die Zusammenarbeit mit den Künstlern, gibt es Probleme bei der Abstimmung? Goetze: Ich genieße es sehr, das Gebäude gemeinsam mit den Künstlern zu gestalten. Lichtkünstler James Turrell etwa wird die Verbindung von Alt zu Neu beleuchten. Es wurde die spektakuläre Video-Installation „The refusal of time“ gekauft, eine Documenta-Arbeit des aus Südafrika stammenden Künstlers William Kentridge. Zudem hat der Bauunternehmer Hans Grothe der

Kunsthalle die weltweit wohl größte Privatsammlung des international bekannten deutschen Bildhauers und Malers Anselm Kiefer als Dauerleihgabe übergeben. Das sind alles tolle Leute, die ich auch hier und da treffe. Sich mit den Künstlern über das Projekt auszutauschen, ihre Perspektive hinsichtlich der Gestaltung zu erfahren, ist ungemein inspirierend für mich.

Nikolaus Goetze (58) arbeitet seit 1987 im Büro von Gerkan, Marg und Partner (GMP) in Hamburg. Seit 1995 ist er assoziierter Partner, seit 1998 Partner von GMP. Goetze hat Architektur an der RWTH Aachen studiert und von 1985 bis 1986 die Meisterklasse von Professor Wilhelm Holzbauer an der Hochschule für angewandte Kunst in Wien besucht. 1987 machte er sein Diplom.

Dieser Artikel erschien am 20.04.2016 unter folgendem Link: http://www.dieimmobilie.de/interview-mit-nikolaus-goetze-architekt-und-partner-bei-gmp-mehr-hingucken-wenigerregulieren-1461146292/

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