Mandant und Berater: Grenzen des gegenseitigen berechtigten Vertrauens

January 20, 2016 | Author: David Brinkerhoff | Category: N/A
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fb-finstrr-2014.book Seite 141 Montag, 23. Februar 2015 12:16 12

Mandant und Berater: Grenzen des gegenseitigen berechtigten Vertrauens Mandant und Berater: Grenzen des gegenseitigen berechtigten Vertrauens Leitner

Roman Leitner1

I.

Aufgabenstellung und Themenabgrenzung

II.

Eingangsbeispiele

III.

Perspektive Mandant: Sich-verlassen-Dürfen auf professionelle(n) Rat/Aufgabenerfüllung A. Auswahlsorgfalt: Geeignetheit des Vertreters (Zuverlässigkeit der Person) B. Kontrollsorgfalt (Zuverlässigkeit der Auskunft) C. Unverzichtbare Bedingung für das Sich-verlassen-Dürfen: Lieferung der vollständigen und zutreffenden Sachverhaltsgrundlage D. Vertrauen auf Rat – die strenge Linie des EuGH E. Verantwortung für vollständige und richtige Abgabenerklärung F. Relevanz der (ausdrücklichen) Verantwortungsübernahme durch Unterschrift bzw Freigabe G. Berechtigtes Vertrauen auf rechtliche Gutachten H. Strafrechtliches „Niemandsland“ – der Parteienvertreter als „Schutzschild“

IV.

Perspektive des Vertreters/Beraters A. Sorgfaltspflicht bei Auftragsannahme B. Grenzen des Vertrauens (in vollständige und richtige Sachverhaltsinformation) C. Verantwortlichkeit für abgabenrechtliche/strafrechtliche Gutachten 1. Präventiver Rat 2. Nachträgliche Gutachten D. Relevanz der Unterfertigung von Abgabenerklärungen des Mandanten durch den Wirtschaftstreuhänder

V.

Lösung Eingangsbeispiele

VI.

Zusammenfassung

1

Für die Unterstützung bei der Ausfertigung des Beitrages bedanke ich mich herzlich bei Mag. Andrea Salfer. Weiters bedanke ich mich bei Mag. Rainer Brandl für seine wertvollen Anregungen.

Leitner (Hrsg), Finanzstrafrecht 2014

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Mandant und Berater: Grenzen des gegenseitigen berechtigten Vertrauens

I.

Aufgabenstellung und Themenabgrenzung

Bei Planung und Umsetzung komplexer steueroptimierender Gestaltungen insbesondere im Zusammenhang mit Rechtsträgern in Offshore-Destinationen wird die Architektur derartiger Gestaltungen kaum isoliert vom Steuerpflichtigen bzw von den Organen der steuerpflichtigen Körperschaft bestimmt sein, sondern regelmäßig von einschlägigen Steuerexperten. Auch wenn vielfach der Anstoß, eine entsprechende Struktur in Erwägung zu ziehen, vom Mandanten ausgehen wird, so werden in der Regel beauftragte Steuerexperten die Federführung, jedenfalls aber die Detailausgestaltung derartiger Strukturen übernehmen. Kommt es durch Einschaltung derartiger Strukturen zu Steuerverkürzungen und werden strafrechtliche Vorwürfe erhoben, stellt sich die Frage, wer dafür die Verantwortung trägt – der Berater oder der Mandant –, und beginnt oftmals das beiderseitige Bemühen der Abschiebung der Verantwortung auf den jeweils anderen. Ziel des vorliegenden Beitrages ist es abzuklären, von welchen Faktoren die Verantwortlichkeit des Beraters bzw des Mandanten für im Zusammenwirken verursachte Abgabenverkürzungen abhängt und wer unter welchen Voraussetzungen worauf vertrauen darf. Untersucht werden sollen dabei nicht nur das VertrauenDürfen auf Rechtsrat bzw Gutachten, sondern auch die Grenzen des gegenseitigen Vertrauens bei Zusammenwirken des steuerlichen Vertreters mit seinem Mandanten bei Erstellung und Abgabe bzw Unterfertigung von Steuererklärungen. Die folgende Darstellung differenziert zwischen den Perspektiven des auf den Berater vertrauenden Mandanten (Steuerpflichtigen) und des (zu Recht?) auf die vom Mandanten übergebenen Unterlagen und erteilten Informationen vertrauenden steuerlichen Vertreters. Im Zusammenhang damit kommt der Frage auftretender Irrtümer sowie deren rechtliche Qualifikation und Rechtsfolgen entscheidende Bedeutung zu. Ohne diesen Gesichtspunkt an dieser Stelle weiter zu vertiefen, soll einleitend die Grundstruktur der einschlägigen Irrtumsproblematik überblicksartig dargestellt werden: Geht ein Steuerpflichtiger aufgrund eines Rechtsrates/Rechtsgutachtens irrtümlich davon aus, dass ihn keine Steuerpflicht trifft, bezieht sich dieser Irrtum auf das normative Tatbestandsmerkmal „Abgabenverkürzung“ im Sinne des § 33 FinStrG und es liegt ein Vorsatz ausschließender Tatbildirrtum vor.2 Da das österreichische FinStrG auch die fahrlässige Abgabenverkürzung pönalisiert (§ 34 FinStrG), ist im nächsten Schritt zu klären, ob der Irrtum vermeidbar war, sprich ob er auf Fahrlässigkeit beruht.3 In diesem Fall kommt eine Fahrlässigkeitsstraf2 3

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Vgl dazu Leitner/Toifl/Brandl, Österreichisches Finanzstrafrecht3 Rz 179; vgl auch Lässig in WK2 FinStrG § 9 Rz 1. Vgl dazu Leitner/Toifl/Brandl, Österreichisches Finanzstrafrecht3 Rz 200; Reger/Nordmeyer/Hacker/ Kuroki, FinStrG Bd 14, Rz 8 ff; Lässig in WK2 FinStrG § 9 Rz 2 f.

Leitner (Hrsg), Finanzstrafrecht 2014

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barkeit in Betracht (§ 34 FinStrG). Damit ist regelmäßig zu prüfen, ob der rechtsuchende Steuerpflichtige auf den erteilten Rat im Einzelfall vertrauen durfte. Hat der Steuerpflichtige auf den Rat vertraut, hätte er aber bei Anwendung der erforderlichen Sorgfalt nicht darauf vertrauen dürfen, verantwortet er zwar nicht Abgabenhinterziehung, jedoch fahrlässige Abgabenverkürzung. Von fundamentaler Bedeutung in der Praxis und als Tatfrage in freier Beweiswürdigung in dubio pro reo zu entscheiden wird regelmäßig sein, ob der ratsuchende Steuerpflichtige überhaupt einem Irrtum unterlegen ist bzw ob er nicht bedingt vorsätzlich – im Sinne von „ernstlich für möglich halten und sich damit abfinden“ – eine Abgabenhinterziehung zu verantworten hat. Letzteres wird insbesondere anzunehmen sein, wenn sich der Täter bewusst in einer strafrechtlichen „Grauzone“ bewegt, den Rechtsrat bewusst zum Zwecke der Gesetzesumgehung eingeholt hat oder es sich bei der Expertise offensichtlich um ein Gefälligkeitsgutachten handelt.4 In diesem Zusammenhang kommt dem von der Rechtsprechung und Lehre entwickelten Vertrauensgrundsatz zentrale Bedeutung zu. Dieser zunächst für den Straßenverkehr nach § 3 StVO geltende Grundsatz wurde in der Folge per analogiam auch für andere Lebensbereiche, wie insbesondere für Fälle des arbeitsteiligen Zusammenwirkens mehrerer, herangezogen.5 Der Vertrauensgrundsatz führt zu einer Begrenzung der objektiv gebotenen Sorgfalt. Er ist nach herrschender Auffassung6 überall dort anzuwenden, wo die Erreichung eines sozial erwünschten und vom Recht als wertvoll anerkannten Zustandes nur möglich erscheint, wenn man den Handelnden von der generellen Einkalkulierung fremden Fehlverhaltens freistellt. Damit kommt dem Vertrauensgrundsatz im Rahmen des arbeitsteiligen Zusammenwirkens zwischen Steuerpflichtigem und seinem steuerlichen Vertreter, zB bei Erstellung einer rechtmäßigen Steuererklärung, erhebliche Bedeutung zu. Aus der Perspektive des Wirtschaftstreuhänders ist der Vertrauensgrundsatz ausdrücklich in § 88 Abs 5 WTBG normiert. Danach dürfen Berufsberechtigte die ihnen erteilten Auskünfte und übergebenen Unterlagen des Auftraggebers (insbesondere Zahlenangaben) grundsätzlich als richtig und vollständig ansehen. Inzwischen nimmt auch die aktuelle finanzstrafrechtliche Judikatur auf den Vertrauensgrundsatz Bezug.7 Demnach wird eine (objektive und subjektive) Sorgfaltswidrigkeit durch den Vertrauensgrundsatz nur dann ausgeschlossen, wenn einerseits die objektive Sorgfaltswidrigkeit eines anderen Verkehrsteilnehmers 4 5 6 7

In dem zB Argumente für die Rechtswidrigkeit des Verhaltens in unvertretbarer Weise unterdrückt wurden und dies vom Rechtssuchenden erkannt wurde, vgl dazu ausführlich Kirch-Heim/Samson, Vermeidung der Strafbarkeit durch Einholung juristischer Gutachten, wistra 2008, 81 (82). Vgl etwa OGH 9.11.1994, 13 Os 84/94 und Burgstaller in WK2 StGB § 6 Rz 54 mwN. Burgstaller in in WK2 StGB § 6 Rz 54 mwN. BFG Linz 8.4.2014, RV/5300084/2010 unter Hinweis auf OGH 9.11.1994, 13 Os 84/94.

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Mandant und Berater: Grenzen des gegenseitigen berechtigten Vertrauens

nicht erkennbar bzw indiziert ist und andererseits die besondere Situation es nicht erfordert, die Angaben vor der Erklärungsabgabe entsprechend – zumindest auf ihre Schlüssigkeit – zu überprüfen.8 Die Bandbreite praktischer Fallgestaltungen der Relevanz gegenseitigen berechtigten Vertrauens zwischen Steuerpflichtigem und steuerlichem Vertreter soll eingangs anhand von Fallbeispielen illustriert werden, welche zu Ende des Beitrages einer überblicksartigen Lösung zugeführt werden.

II. Eingangsbeispiele Beispiel 1: Der Unternehmer A wird von WT X umfassend steuerlich vertreten (laufende Buchhaltung, Jahresabschlusserstellung, USt-VA, Jahressteuererklärungen). A liefert monatlich sämtliche Belege, die in das Rechenwerk und in die USt-VA einfließen sollen. Manche dieser Belege betreffen offensichtlich private bzw diffuse Aufwendungen. Sämtliche Belege werden undifferenziert betrieblich erfasst und finden Eingang in Jahresabschluss und Steuererklärungen. Wer trägt wofür die Verantwortung? Wer durfte sich worauf verlassen? Beispiel 2: Der Geschäftsführer der X GmbH erteilt seinem Steuerberater den Auftrag, ein Gutachten zu erstellen, wie unter Einschaltung einer Offshore-Gesellschaft eine Steueroptimierung auf rechtlich zulässige Weise erlangt werden kann. Der Vorschlag wird entsprechend dem Gutachten umgesetzt und führt zu Abgabenverkürzungen. Durfte sich der Mandant auf den Rat des Steuerberaters verlassen? Unter welchen Voraussetzungen? Beispiel 3: Ein Steuerberater erstellt für seinen Mandanten eine Einkommensteuererklärung auf Basis der ihm übergebenen Unterlagen. Die Abgabenerklärung wird ohne Endkontrolle/Freigabe durch den Mandanten per FinanzOnline an die Finanzbehörde übermittelt und führt zu Abgabenverkürzungen. Löst die gegenständliche Abwicklung gesteigerte Überprüfungspflichten und damit eine gesteigerte Verantwortlichkeit des Steuerberaters aus? Hat der Steuerpflichtige mit dieser Abwicklung Sorgfaltspflichten verletzt?

III. Perspektive Mandant: Sich-verlassen-Dürfen auf professionelle(n) Rat/Aufgabenerfüllung Unabhängig von der in Auftrag gegebenen Leistung – zB Einholung eines Rechtsrates/Gutachtens oder Erstellung einer Steuererklärung – darf sich der Steuerpflichtige nur dann auf das Arbeitsergebnis des Beraters verlassen, wenn er die Auswahl- und Kontrollsorgfaltspflichten entsprechend erfüllt hat. 8

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Zum Vertrauensgrundsatz zwischen Versender und dem die Zollerklärung abgebenden Spediteur vgl BFG Linz 8.4.2014, RV/5300084/2010.

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A. Auswahlsorgfalt: Geeignetheit des Vertreters (Zuverlässigkeit der Person) Der ratsuchende Mandant darf sich auf den erteilten Rat nur dann verlassen, wenn er bei der Auswahl der Auskunftsperson entsprechend sorgfältig vorgeht.9 Inzwischen ist durch die Rechtsprechung klargestellt, dass als geeignete Auskunftsstelle nicht nur die zuständige Abgabenbehörde, sondern insbesondere auch ein befugter Parteienvertreter in Betracht kommt.10 Die Auskunftsperson muss sachkundig und im Hinblick auf die Aufgabenstellung unvoreingenommen sein. Eine Verletzung der Auswahlsorgfalt wegen Voreingenommenheit liegt nach Rechtsprechung des VwGH beispielsweise dann vor, wenn ein Steuerpflichtiger rechtswidrigerweise einen Verlust aus einer Verlustbeteiligung in Anspruch nimmt und die Abzugsfähigkeit dieses Verlustes von einem Steuerberater bestätigt wurde, der in einem Naheverhältnis zur Verlustbeteiligungsgesellschaft stand.11 Auch in weiteren Erkenntnissen, welche Vorsatzvorwürfe im Hinblick auf Verkürzungen aus derartigen IMMAG-Verlustbeteiligungen bestätigten, hat der VwGH ausdrücklich dieses schädliche Naheverhältnis des Beraters berücksichtigt. Demnach könne die belangte Behörde nach der allgemeinen Lebenserfahrung davon ausgehen, dass sich ein Steuerpflichtiger nicht auf Auskünfte von Personen verlässt, die erkennbar im Naheverhältnis zu jener Verlustabschreibungsgesellschaft stehen, für deren Verlustmodell der Steuerpflichtige Interesse zeigt.12 Voreingenommenheit ist auch anzunehmen, wenn die Auskunftsperson für den Auftraggeber erkennbar Eigeninteressen verfolgt.13 Die deutsche Rechtsprechung fordert in jüngster Judikatur weiters, dass die Auskunftsperson ein auf dem jeweiligen Rechtsgebiet versierter Anwalt sein müsse.14 Aufgrund der weniger spezialisierten Beratungsszene (insbesondere keine Fachanwälte) erscheint ein derart differenzierter Sorgfaltsmaßstab im Hinblick auf die Auswahl des geeigneten Beraters in Österreich regelmäßig überzogen.15 Der OGH fordert, dass fachlicher Rat von einer verlässlichen und sachlich kompetenten Stelle eingeholt wird, welche über den gesamten einschlägigen Sachverhalt informiert ist.16 Das Vertrauen in die Auskunft einer grundsätzlich fachkundigen Stelle ist jedoch dann sorgfaltswidrig, wenn bestimmte, dem Rechtsuchen9 10 11 12 13 14 15 16

Vgl dazu Leitner/Toifl/Brandl, Österreichisches Finanzstrafrecht3 Rz 209 ff. VwGH 17.10.2010, 2006/17/0006. IMMAG I, VwGH 15.5.1997, 95/15/0184. IMMAG II, VwGH 16.12.1999, 97/15/0167 unter Hinweis auf VwGH 25.11.1999, 97/15/0118, VwGH 15.5.1997, 95/15/0184. BGH 11.10.2012, 1 StR 2013/10; NZWiSt 2013, 17 und wistra 2013, 113 mwH auf BGH-Rechtsprechung. BGH 4.4.2013, 3 StR 521/12. Eine eingehende selbständige Prüfung der Qualifikation des Gutachters dürfte dem Täter idR nicht zuzumuten sein; Kirch-Heim/Samson, Vermeidung der Strafbarkeit durch Einholung juristischer Gutachten, wistra 2008, 84. Dazu näher unten III.C.und III.E.; OGH 5.12.2011, 16 Ok 2/11; OGH 15.12.1994, 15 Os 103/94.

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Mandant und Berater: Grenzen des gegenseitigen berechtigten Vertrauens

den bekannte oder erkennbare Umstände, wie insbesondere Unredlichkeit oder Kollision, die Kompetenz oder Seriosität des Fachmanns erschüttern.17

B. Kontrollsorgfalt (Zuverlässigkeit der Auskunft) Der rechtsuchende Steuerpflichtige darf sich auf die Auskunft verlassen, wenn diese nach eingehender sorgfältiger Prüfung durch den Fachmann – bei anspruchsvoller Aufgabenstellung jedenfalls in Form eines schriftlichen Gutachtens – erfolgt ist, kein Gefälligkeitsgutachten darstellt und auch nicht erkennbar anrüchig ist. Das Erfordernis der eingehenden sorgfältigen Prüfung hat zuletzt der BGH in einem aktuellen Urteil bestätigt und dabei die Unentbehrlichkeit eines schriftlichen Gutachtens bei anspruchsvollen Aufgabenstellungen betont.18 Andernfalls – insbesondere bei bloß persönlicher oder telefonischer Auskunft – wäre die eingehende und sorgfältige Prüfung, sofern sie überhaupt erfolgt ist, in keiner Weise nachvollziehbar. Diese Voraussetzungen wird man in gleicher Weise auch für die österreichische Rechtslage bejahen müssen. Ein Gefälligkeitsgutachten ist insbesondere dann anzunehmen, wenn Argumente für die Rechtswidrigkeit des Verhaltens in unvertretbarer Weise unterdrückt werden19, der Rat des Fachmanns lediglich eingeholt wurde, um die für die Steuerfreiheit günstigere Interpretation zu hören20, sowie bei eher zur Absicherung als zur Klärung bestellten Gutachten.21 Ein für den Adressaten erkennbar anrüchiger (dem „Hausverstand“ widersprechender) Rat vermag keine taugliche Vertrauensgrundlage herzustellen. Eine derartige Anrüchigkeit ist nach der Judikatur des VwGH insbesondere dann anzunehmen, wenn die Unrichtigkeit für den Ratsuchenden durch geringe Verstandsanstrengung erkennbar war und offensichtlich auch erkannt wurde. So bestätigt der VwGH die Feststellung der Behörde, „dass kein wirtschaftlich denkender Mensch annimmt, das Steuerrecht würde trotz des Ausschlusses der Möglichkeit einer wirtschaftlichen Vermögenseinbuße einkommensteuerrechtliche Verluste zubilligen“.22 Erkennbare Anrüchigkeit hat zur Folge, dass der Ratsuchende bei pflichtgemäßer Vorgehensweise Zweifel an der Richtigkeit der Auskunft hätte hegen müssen und daher zumindest verpflichtet gewesen wäre, weitere Erkundigungen einzuholen.23 17 18 19 20 21 22 23

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OGH 15.12.1994, 15 Os 103/94. BGH 11.10.2012, 1 StR 2013/10 unter Hinweis auf BGH 3.4.2008, 3 StR 394/07, NStZ-RR 2009, mwN; NZWiSt 2013, 17; wistra 2013, 113. Kirch-Heim/Samson, Vermeidung der Strafbarkeit durch Einholung juristischer Gutachten, wistra 81 (82) unter Hinweis auf OLG Braunschweig NStZ-RR 1998, 251 (252). VwGH 15.4.1983, 82/17/0151. BGH 11.10.2012, 1 StR 213/10. IMMAG II, VwGH 16.12.1999, 97/15/0167, zur Geltendmachung von Verlusten aus Verlustbeteiligungsmodellen, bei denen keine Einlage geleistet wurde und die als Scheinbeteiligung beurteilt wurden; ebenso IMMAG III, VwGH 25.11.1999, 97/15/0118. So etwa im Fall einer vom Steuerberater empfohlenen rechtswidrigen Umschichtung einer Beteiligung, vgl VwGH 19.11.1998, 96/15/0153.

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Wird bewusst eine Konstruktion gewählt, mit der die rechtlichen Möglichkeiten bis zum Äußersten ausgereizt werden sollen, ist besondere Sorgfalt hinsichtlich der Erkundigung über die Rechtslage an den Tag zu legen.24 Grundsätzlich kann nur präventiver Rat, somit rechtzeitig vor Tatbegehung eingeholter Rat, eine belastbare Vertrauensgrundlage schaffen.25 Zur eingeschränkten Relevanz nachträglicher juristischer Gutachten vgl unten III.G. Weiters wird in der deutschen Rechtsprechung und Literatur gefordert, dass die Expertise das Verhalten des Täters umfassend abdecken und eindeutig für rechtmäßig erklären, somit einen unrechtsverneinenden Inhalt haben müsse.26 In diesem Zusammenhang ist auf eine aktuelle Entscheidung des Finanzgerichtes Düsseldorf hinzuweisen.27 Im gegenständlichen Fall hat der Steuerpflichtige im Rahmen seiner Erkundigungspflicht ein Rechtsgutachten von einer Steuerberatungsgesellschaft zur Frage der Grunderwerbsteuerpflicht eingeholt. Es war in keiner Weise erkennbar, dass das Gutachten durch sachfremde Erwägungen beeinflusst, insbesondere zu Gunsten des Steuerpflichtigen verfasst war. In diesem Fall lag kein leichtfertiges Verhalten des Steuerpflichtigen vor, obwohl die Auskunft selbst zu rechtlichen Zweifeln Anlass bot. Auch Einschränkungen wie „unseres Erachtens“ führen zu keinem derartigen Vorwurf, weil derartige gutachtliche Stellungnahmen üblicherweise mit solchen Weichmacher-Klauseln in ihrer Aussagekraft relativiert werden.28 Bei der Frage des unrechtsverneinenden Inhalts geht es letztlich um die in freier Beweiswürdigung in dubio pro reo zu treffende Feststellung, ob der Ratsuchende im Einzelfall auf die Auskunft vertraut hat. Führt die freie Beweiswürdigung zu dem Ergebnis, dass zB das Vorliegen eines Gefälligkeitsgutachtens für ihn erkennbar war, oder dass der Steuerpflichtige aus anderen Gründen ernstlich mit dem Eintreten einer Steuerverkürzung gerechnet und sich damit abgefunden hat, liegt letztlich kein Irrtum vor, der einer vorsätzlichen Verkürzung entgegenstehen würde. Zweifelt der Ratsuchende an der Richtigkeit der Auskunft, so wird vielfach ein Tatbestandsirrtum zuzubilligen sein, allerdings auch eine Sorgfaltsverletzung vorliegen, 24

25 26 27 28

VwGH 22.2.2006, 2005/17/0195 zur Auskunft eines Rechtsanwalts zur Frage, ob eine Konzessionspflicht besteht: Für die Sorgfaltspflicht der Partei gilt ein besonders strenger Maßstab, wenn eine Konstruktion entwickelt wurde, mit der die Grenzen der innegehabten Konzession ausgelotet werden sollten; ähnlich VwGH 17.10.2010, 2006/17/0006, wenn die rechtlichen Möglichkeiten bis zum Äußersten ausgereizt werden sollen im Hinblick auf die Notwendigkeit einer Konzession nach dem BWG; ähnlich VwGH 14.12.2011, 2011/17/0124 zur Frage, ob ein Glücksspielautomat im Sinne des Glücksspielgesetzes vorliegt. VwGH 17.12.2012, 2011/16/0237 zur Gesellschaftsteuerpflicht von Partizipationskapital; zu präventiven Gutachten siehe insbesondere Kirch-Heim/Samson, Vermeidung der Strafbarkeit durch Einholung juristischer Gutachten, wistra 2008, 81 (81 f). Kirch-Heim/Samson, Vermeidung der Strafbarkeit durch Einholung juristischer Gutachten, wistra 2008, 81 (85) mwN; zuletzt BGH 4.4.2013, 3 StR 521/12 Rz 10. FG Düsseldorf 26.3.2014, 7 K 1884/13 GE; Schwartz, Keine leichtfertige Steuerverkürzung nach Einholung eines Rechtsgutachtens, PStR 2014, 156. Schwartz, Keine leichtfertige Steuerverkürzung nach Einholung eines Rechtsgutachtens, PStR 2014, 156 unter Hinweis auf FG Düsseldorf 26.3.2014, 7 K 1884/13 GE.

Leitner (Hrsg), Finanzstrafrecht 2014

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Mandant und Berater: Grenzen des gegenseitigen berechtigten Vertrauens

weil er sich bei sorgfältiger Vorgehensweise, insbesondere durch Einholung weiterer vertiefender Ratschläge, von der Richtigkeit der Auskunft hätte vergewissern müssen. Das Ergebnis derartiger Beweiswürdigungen im Einzelfall ist oft schwer abzuschätzen. Bei bestehenden Zweifeln gebietet sich entweder die weitere Abklärung etwa durch eine verlässliche „Second Opinion“ oder eine Offenlegung gegenüber der Behörde entweder durch vollständige Darlegung des entscheidungswesentlichen Sachverhalts – und zwar auch jener Sachverhaltselemente, welche möglicherweise für die von der Behörde anzuwendende Rechtsauffassung bedeutsam wären – und/oder durch die Offenlegung der angewandten Rechtsauffassung.29 Kennt der Ratsuchende die gegenteilige Auffassung der Behörde, bedeutet das zwar noch nicht, dass er nicht einem gegenteiligen, verlässlichen, (in diesem Fall besonders!) sorgfältig begründeten Gutachten vertraut hat. Allerdings besteht in derartigen Fällen die erhöhte Gefahr, dass die freie Beweiswürdigung zu Lasten des Ratsuchenden ausgeht und ein Irrtum in Abrede gestellt bzw eine Sorgfaltsverletzung angelastet wird.30 Die Anwendung einer vertretbaren Rechtsauffassung stellt kein tatbildliches Unrecht dar und ist somit rechtmäßig.31 Sie begrenzt nach überwiegender Auffassung auch die abgabenrechtliche Offenlegungspflicht.32 Exkurs: Die IMMAG-Erkenntnisse des VwGH

In den IMMAG-Erkenntnissen ging es um Verlustbeteiligungsmodelle, die soweit ersichtlich von einem von der Verlustbeteiligungsgesellschaft beauftragten Steuerberater konzipiert wurden, welcher in der Folge diese Verlustbeteiligungen gegenüber den Interessenten als rechtmäßig beurteilte. Die Beteiligungen zeichneten sich dadurch aus, dass sie sehr hohe Verlustzuweisungen ermöglichten, ohne dass dafür ein Kapitaleinsatz erforderlich war. Da der die Anleger beratende Steuerberater zuvor auch im Auftrag der Verlustbeteiligungsgesellschaft diese Modelle konzipiert hatte, ging der Gerichtshof von einer für die zeichnenden Steuerpflichtigen erkennbaren, den beratenden Steuerberater disqualifizierenden, nicht gegebenen Unabhängigkeit aus. Die Verlustbeteiligungen wurden als Scheinbeteiligungen qualifiziert. 29 30 31 32

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Zur vertretbaren Rechtsauffassung siehe Leitner/Toifl/Brandl, Österreichisches Finanzstrafrecht3 Rz 331 ff. Vgl dazu Leitner/Toifl/Brandl, Österreichisches Finanzstrafrecht3 Rz 332 f; sowie Lässig in WK2 FinStrG § 9 Rz 2. Zu den Grenzen der Vertretbarkeit einer Rechtsauffassung vgl Leitner/Toifl/Brandl, Österreichisches Finanzstrafrecht3 Rz 331 ff und Tanzer in Holoubek/Lang (Hrsg), Organhaftung und Staatshaftung in Steuersachen, 157 ff. Leitner/Toifl/Brandl, Österreichisches Finanzstrafrecht3 Rz 336; Stoll, BAO 1358; ebenso Harms, Steuerliche Beratung im Dunstkreis des Steuerstrafrechts, StbG 2005, 12 (12 ff); aA Lässig in WK2 FinStrG § 33 Rz 7; nach deutscher Rechtsprechung besteht eine Offenlegungspflicht für die diejenigen Sachverhalte, deren rechtliche Relevanz objektiv zweifelhaft ist, was insbesondere dann der Fall ist, wenn die vom Steuerpflichtigen vertretene Auffassung von der Auslegung von Rechtsbegriffen oder die Subsumtion bestimmter Tatsachen von der Rechtsprechung, Richtlinien der Finanzverwaltung oder von der regelmäßigen Veranlagungspraxis abweicht, BGH 10.11.1999, 5 StR 221/99 unter Hinweis auf BGH 8.8.1985, 2 ARs 223/85, wistra 1986, 27, 28 sowie BGH 15.11.1994, 5 StR 237/94, wistra 1995, 69.

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Leitner

Im ersten Fall33 bestätigte der VwGH eine Fahrlässigkeitsverurteilung der ersten Instanz. Der ratsuchende Zeichner der Verlustbeteiligung hätte aufgrund des für ihn erkennbaren Naheverhältnisses des Wirtschaftstreuhänders zur Verlustbeteiligungsgesellschaft den Rechtsrat anzweifeln müssen, weshalb ihm ein Sorgfaltsverstoß anzulasten war. In weiteren zwei Erkenntnissen34 bestätigte der VwGH die Bestrafung der Verlustbeteiligungszeichner wegen vorsätzlicher Abgabenhinterziehung, weil er als erwiesen annahm, dass die Zeichner die Anrüchigkeit der Konstruktion tatsächlich erkannt und demnach nicht geirrt hatten. In einem weiteren Erkenntnis35 wurde ein Steuerberater, der eine derartige Verlustbeteiligung für sich selbst gezeichnet hatte, in erster Instanz nach § 34 FinStrG (fahrlässige Abgabeverkürzung) bestraft. Nach Berufung durch den Amtsbeauftragten und Bestrafung nach § 33 FinStrG (vorsätzliche Abgabenhinterziehung) bestätigte der VwGH die Vorsatzverurteilung. Auch in diesem Erkenntnis wurde dem Betroffenen in freier Beweiswürdigung ein Tatbildirrtum aberkannt.

C. Unverzichtbare Bedingung für das Sich-verlassenDürfen: Lieferung der vollständigen und zutreffenden Sachverhaltsgrundlage Der ratsuchende Steuerpflichtige darf sich auf die pflichtgemäße Auftragserfüllung seines Steuerberaters nur verlassen – und zwar unabhängig davon, ob ein Auftrag mit oder ohne Prüfung erteilt wurde –, wenn er dem Berater den vollständigen Sachverhalt zur Verfügung stellt (vgl auch unten IV.B.).36 In gleicher Weise betont auch der OGH, dass sich der Ratsuchende nur auf einen sowohl mit der Materie als auch mit dem konkreten Sachverhalt vertrauten Vertreter verlassen darf.37

D. Vertrauen auf Rat – die strenge Linie des EuGH Der EuGH hat in einer aktuellen kartellrechtlichen Entscheidung38 weitere strenge Voraussetzungen für das Vertrauen-Dürfen auf Rechtsrat geprägt: 



33 34 35 36 37 38

Es ist stets der Rat eines unabhängigen externen Rechtsanwalts einzuholen. Der Rat von Mitarbeitern der eigenen internen Rechtsabteilung kann keinesfalls schuldausschließend wirken. Der fachkundige Rechtsanwalt muss einschlägig (im vorliegenden Fall auf das Kartellrecht) spezialisiert sein. IMMAG I, VwGH 15.5.1997, 95/15/0184. IMMAG II, VwGH 16.12.1999, 97/15/0167; IMMAG III, VwGH 25.11.1999, 97/15/0118. IMMAG IV, VwGH 22.9.2000, 96/15/0202. VwGH 29.9.1993, 89/13/0051. OGH 23.6.1977, 13 Os 21/77; OGH 5.12.2011, 16 Ok 2/11; OGH 15.12.1994, 15 Os 103/94; BFH 29.10.2013, VIII R 27/10; BGH 11.10.2012, 1 StR 213/10, NZWiSt 2013, 16 (17). EuGH 18.6.2013, C-681/11 Schenker ua; zur Bedeutsamkeit dieser Entscheidung des EuGH für das innerstaatliche Strafrecht vgl Dannecker, Grundrechte im Europäischen Straf- und Strafverfahrensrecht im Lichte der Rechtsprechung des EuGH, in Reindl-Krauskopf/Zerbes/Brandstätter/Lewisch/ Tipold (Hrsg), FS Fuchs (2014) 111 (125 ff); sowie Pabel, in diesem Band.

Leitner (Hrsg), Finanzstrafrecht 2014

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Vorwort Vorwort

Am 7.3.2014 fand die nunmehr 19. Finanzstrafrechtliche Tagung als Gemeinschaftsveranstaltung von LeitnerLeitner, Wirtschaftsprüfer und Steuerberater, dem Institut für Finanzrecht, Steuerrecht und Steuerpolitik und dem Institut für Strafrechtswissenschaften der Universität Linz in den inzwischen bewährten Räumlichkeiten des Kunstmuseums Lentos in Linz statt. Zentrale Themenschwerpunkte der Tagung waren abgabenrechtliche Grenzen und finanzstrafrechtliche Risken im Zusammenhang mit Offshore-Strukturen, die Grenzen des gegenseitigen berechtigten Vertrauens zwischen Mandant und Berater, die Abgabenhinterziehung/der Abgabenbetrug in der Unternehmensbilanz sowie der Einfluss der Grundrechte der EU auf das nationale Strafrecht. Im Eröffnungsreferat ging Univ.-Prof. DDr. Eduard Lechner auf abgabenrechtliche Grundsatzfragen von Offshore-Strukturen, wie insbesondere die abgabenrechtliche Rechtssubjektivität und die Einkünftezurechnung, ein. Bei Prüfung der Frage, ob die Einkünftezurechnung von Offshore-Gesellschaften nach der Markteinkommenstheorie zu beurteilen ist, kommt Lechner zum Ergebnis, dass die Anwendung dieser Theorie auf das Verhältnis Gesellschafter–Gesellschaft (und auf das Verhältnis Stifter–Stiftung) nicht geeignet ist und dafür auch ursprünglich nicht entwickelt wurde. Im Verhältnis Gesellschafter–Kapitalgesellschaft habe die Einkünftezurechnung vielmehr nach dem Kriterium zu erfolgen, für wen disponiert wird, und nicht danach, wer disponiert. Die beiden folgenden Vorträge behandelten materiell abgabenrechtliche Rechtsgrundlagen für die Korrektur der Besteuerung von Offshore-Strukturen: Ort der Geschäftsleitung, inländische Betriebsstätte, Verrechnungspreise und Missbrauch. Aufgrund einer überraschenden Erkrankung von Mag. Gerald Gahleitner LL.M. sprang Dr. Gebhard Furherr in die Bresche und thematisierte souverän anhand einer Fallstudie mögliche Korrekturen der Besteuerung von OffshoreStrukturen durch Annahme eines inländischen Ortes der Geschäftsleitung bzw einer inländischen Betriebsstätte sowie durch Korrektur der Verrechnungspreise. Zentrum der Analyse war eine ausführliche Darstellung der Kriterien für die Feststellung eines inländischen Ortes der Geschäftsleitung. Daran anknüpfend befasste sich Univ.-Prof. Dr. Tina Ehrke-Rabel mit dem Korrekturinstrument von Missbrauch im Zusammenhang mit Offshore-Strukturen. Besonderen Stellenwert legte Ehrke-Rabel dabei auf die Abgrenzung eines Missbrauchs von Scheinhandlungen, Scheingeschäften und Treuhandstrukturen. In Leitner (Hrsg), Finanzstrafrecht 2014

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Vorwort

diesem Zusammenhang wurde insbesondere herausgearbeitet, dass die Gründung einer Offshore-Gesellschaft für sich allein nicht missbräuchlich im steuerrechtlichen Sinn sein kann, unter Umständen jedoch eine Scheinhandlung im Sinne des § 23 BAO darstellt, und zwar insbesondere dann, wenn eine Gesellschaft tatsächlich keine Tätigkeit entfaltet oder ihr eine solche aufgrund der gesetzlichen Rahmenbedingungen gar nicht möglich ist und die Struktur auch nicht in der Absicht geschaffen worden ist, eine echte Aktivität zu entfalten. Im anschließenden Referat beschäftigte sich Univ.-Prof. Dr. Gerhard Dannecker mit der Anwendbarkeit der materiellrechtlichen steuerlichen Korrekturmöglichkeit, insbesondere Missbrauch, im österreichischen und deutschen Steuerstrafrecht. Dabei wurde vor allem der grundsätzlichen Frage nachgegangen, unter welchen Voraussetzungen eine im Abgabenverfahren als Missbrauch qualifizierte Verkürzung den Tatbestand einer Abgabenhinterziehung verwirklicht. Dannecker betonte, dass eine Verkürzung auf Basis von Missbrauch nur dann als Abgabenhinterziehung qualifiziert werden könne, wenn der konkrete Fall einer Fallgruppe zugeordnet werden kann, für die eine gefestigte finanzrechtliche Rechtsprechung vorliegt. Im Anschluss daran bin ich den Grenzen des gegenseitigen berechtigten Vertrauens im Verhältnis Mandat und Berater nachgegangen. Ausgehend von Eingangsbeispielen habe ich versucht, die Perspektive des Mandanten klar von der Perspektive des Beraters zu trennen. Der Mandant darf auf den Rat bzw die Aufgabenerfüllung durch seinen Berater nur dann vertrauen, wenn er sowohl die Auswahl des Beraters sorgfältig vorgenommen hat (Auswahlsorgfalt), als auch seiner Kontrollsorgfalt im Hinblick auf das Arbeitsergebnis nachgekommen ist. Diesbezüglich darf die Sorgfaltspflicht des Mandanten nicht überspannt werden. Das Arbeitsergebnis des Beraters bildet nur bei erkennbarer Anrüchigkeit keine tragfähige Vertrauensgrundlage. Bei Analyse des berechtigten Vertrauens aus der Perspektive des Beraters wurde insbesondere auf die Frage eingegangen, ob den steuerlichen Vertreter bei Offshore-Gestaltungen besondere Nachforschungsund Aufklärungspflichten treffen. In diesem Zusammenhang wurde auf aktuelle Judikatur des VwGH hingewiesen, wonach sich der Steuerberater bei Auftragsannahme ein Grundverständnis des Mandantenunternehmens aneignen müsse. Dabei ist der Wirtschaftstreuhänder gut beraten, auch den Gesichtspunkt der Einbindung von Offshore-Gesellschaften in steuerliche Strukturen besonders ins Visier zu nehmen und grundlegende Plausibilisierungen vorzunehmen. Im folgenden Referat gingen Mag. Rainer Brandl und Mag. Heribert Bach den Folgewirkungen von Abgabenhinterziehung und Abgabenbetrug in der Unternehmens-/Konzernbilanz auf den Grund. Dabei wurde insbesondere der Frage nachgegangen, ob, unter welchen Voraussetzungen und in welchem Umfang drohende Steuerbelastungen aus Abgabenhinterziehungen/-betrug Eingang in die Unternehmensbilanz finden müssen. Dabei wurden erhebliche WertungsVI

Leitner (Hrsg), Finanzstrafrecht 2014

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Vorwort

widersprüche bei der Beurteilung nach österreichischem Bilanz(steuer)recht und internationalen Bilanzierungsgrundsätzen wie IFRS und US-GAAP diagnostiziert. Im Schlussvortrag der Tagung referierte Univ.-Prof. Dr. Katharina Pabel über den Einfluss der Grundrechtecharta (GRC) auf das nationale Strafrecht. Die GRC bindet sowohl die Organe, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Union als auch die Mitgliedsstaaten ausschließlich bei der Durchführung des Unionsrechts. Anhand der Judikatur des EuGH wurde dargestellt, dass die Bestimmung des Anwendungsbereichs der GRC durch die Rechtsprechung noch nicht hinreichend geklärt und in der wissenschaftlichen Diskussion weitgehend umstritten ist. Zum Stellenwert der GRC im nationalen Verfassungsrecht ging Pabel auch auf die aktuelle Judikatur des VfGH ein. Besonderer Dank gebührt Bundesminister Univ.-Prof. Dr. Wolfgang Brandstetter für seine freundlichen einleitenden Grußworte. Bedanken möchte ich mich auch vor allem bei Prof. Dr. Markus Jäger, der wiederum mit einem hochaktuellen Einleitungsstatement die Tagung bereichert und mich auch wesentlich bei der Moderation der Tagung unterstützt hat. Spezieller Dank gebührt auch den Kolleginnen und Kollegen, insbesondere Mag. Andrea Salfer und Dr. Alexander Lehner, die mich bei der Herausgabe des Tagungsbandes unterstützt haben. Im Anhang an die Autorenbeiträge des Tagungsbandes findet sich wiederum eine Zusammenfassung der aktuellen österreichischen Judikatur und Literatur zum Finanzstrafrecht des letzten Jahres (Oktober 2013 bis September 2014). Soweit von wesentlicher Praxisrelevanz für Österreich, wurde auch auf wichtige Entwicklungen der deutschen Literatur und Rechtsprechung hingewiesen. Eine abschließende Zusammenfassung der Beiträge 2014 in Stichwörtern soll einschlägige Recherchen in Rechtsdatenbanken erleichtern. In diesem Zusammenhang darf ich zu meiner Freude darauf hinweisen, dass nunmehr in der neuen Lindeonline-Bibliothek Finanzstrafrecht unsere sämtlichen Tagungsbände zum Finanzstrafrecht seit dem Sammelband 1996–2002 in der Vollversion online gestellt wurden und um neue Tagungsbände laufend ergänzt werden. Linz, Jänner 2015

Leitner (Hrsg), Finanzstrafrecht 2014

Roman Leitner

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