Komm wir finden einen Schatz

October 29, 2017 | Author: Helene Dressler | Category: N/A
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Komm wir finden einen Schatz Mit diesem Titel beginnt einer von Janosch’s Kinderbuchklassikern. Mal ehrlich, hätten wir nicht fast alle „Komm wir suchen einen Schatz“ getitelt? Janosch allerdings wählte schon vor Jahren mit seiner Variante eine Betrachtungsweise, die sich in den letzten Jahren in den Sozialwissenschaften, von der Psychologie bis hin zu beratenden Tätigkeiten zunehmend etabliert: „Die lösungs- oder ressourcenorientierte“ Sicht. Ich habe diese Herangehensweise u.a. in einem Buches zur lösungsorientierten Kurzzeittherapie entdeckt 1. Die Autoren beschreiben dort den Weg „ vom Problem-Lösen zum Lösungen-(Er-)Finden“, ja sie definieren „Helfen als Lösungen-Finden“. Ich möchte im Folgenden, die Grundgedanken des einleitenden Teil des Buches darstellen und die dort entwickelte Sichtweise auf unsere ShiatsuArbeit anwenden. Ich glaube, daß uns dies in der momentanen Situation einer Standortbestimmung von Shiatsu unterstützen und Anregungen geben kann. Die von den Autoren verwendeten Formen „KlientIn“ für „Klient und/oder Klientin“, desgleichen „PraktikerIn“ habe ich der Einheitlichkeit halber beibehalten. Über Jahrzehnte haben sich die helfenden Berufe aus dem „Problem-LösungsAnsatz“ heraus definiert, ein Vorgehen, das sehr stark vom „medizinischen Modell“ geprägt ist. Dieses Modell entstammt dem späten 19. und frühen 20. Jahrhundert, in denen die Medizin durch die Entdeckung, daß viele lebensbedrohende Krankheiten sich auf konkrete äußere Faktoren wie Bakterien zurückführen lassen das Praxismodell „Diagnose und Behandlung“ entwickelte. War einmal das Problem diagnostiziert, konnte eine entsprechende Behandlung verabreicht und damit das Problem gelöst werden. Dieses beeindruckende Erfolge nach sich ziehende Modell der Biomedizin beeinflusste aber auch bald die Art und Weise, wie psychische Krankheiten, emotionale und zwischenmenschliche Probleme und Störungen aufgefasst wurden und verbreitete sich als vorherrschendes Paradigma über die Breite der helfenden und begleitenden Berufe. Wie wir sehen werden, wurde es auch mangels einer alternativen westlichen Erklärung auf energetische Behandlungsmethoden des Menschen angewandt. „Immer ging man von der Voraussetzung aus, die PraktikerIn müsse erst herausfinden, was die KlientIn „habe“, ehe sie der KlientIn helfen kann....Der Kern dieser Vorannahme ist der, daß eine notwendige Beziehung zwischen einem Problem und seiner Lösung besteht.“2 Diese Vorannahme ist inzwischen Allgemeingut. Die übliche Frage an Helfende, Beratende und Begleitende ist: „Was habe ich denn....Wo liegt die Ursache des Problems?“ Diese Frage setzt voraus, daß die PraktikerIn erst diagnostizieren muß, bevor sie in der Lage ist, effektiv zu helfen und sie nimmt die objektive Wirklichkeit von „Etwas“ an, was die Klient/In leiden lässt. „So wie organische Fehlfunktionen, Krankheitsprozesse und Bakterien objektiv wirklich sind, so ist es auch ein Problem

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Peter de Jong/Insoo Kim Berg – Lösungen (er-)finden, Dortmund 1998 Peter de Jong/Insoo Kim Berg – Lösungen (er-)finden, Dortmund 1998, S. 29

und das „Etwas“, das zum Entstehen des Problems führt, wird auf die gleiche Weise als wirklich betrachtet.“3 Zwar suchen verschiedene helfend/begleitender Berufe nach unterschiedlichen Problemen und bieten verschiedene Interventionstechniken an, setzen aber alle voraus, daß Problem und Ursache notwendigerweise verbunden sind. Ebenso wird angenommen, daß die PraktikerInnen viel über die verschiedenen Probleme wissen müssen. Da diese als objektiv vorhanden gelten, können sie wissenschaftlich erforscht und dieses Fachwissen ausgewertet und gelehrt werden. KlientInnen andererseits werden lange dazu angehalten, das wer, was, wann, wo und warum zu beschreiben, um auf dieser Kenntnis des Problems und seiner Geschichte Interventionen abzuleiten. Dies kann dazu führen, daß KlientIn und Problem wie ein komplexes Puzzle, zusammengesetzt aus vielen Teilen statt als Ganzes erscheinen. Betrachtet man aber Probleme und Veränderungswünsche im psychosozialem – und wie ich behaupte, im energetischen – Bereich, so entdeckt man, daß es hier meist nicht einzige und richtige Lösung gibt. Menschen und ihre Wahrnehmungen vom Leben sind sehr unterschiedlich und oft geht es mehr darum, wie die Autoren schreiben, mögliche „anständige“ Lösungen zu finden als die Lösung. - Wir kennen dieses Phänomen im Gedankenaustausch mit anderen Shiatsu-Praktizierenden und erleben dies plastisch etwa im „Transparenten Shiatsu“ der Shiatsu-Kongresse, wo verschiedene Shiatsu-PraktikerInnen oft recht unterschiedliche Lösungen für eine KlientIn vorstellen. Vertreter der lösungs- und ressourcenorientierten Sichtweise sehen Ihre Mission daher eher darin, die KlientInnen zu ermächtigen (empower) ein produktives und befriedigendes Leben zu führen. Einer der Begründer des sogenannten „Empowerment“, D. Saleebey schreibt, es gehe darum, „Menschen zu helfen, die große Stärke in ihnen, ihrer Familie und ihrem sozialen Netz zu entdecken.“4 Diese Aufgabe gründet sich auf der Annahme, daß jede Person trotz aller Lebenskämpfe Stärken hat, die sich entdecken und so ordnen lassen, daß sich die Qualität des Lebens der KlientIn verbessert. Hier ist nicht die PraktikerIn als ExpertIn gefragt, sondern als aufmerksam zuhörende und begleitende Person. - Auch im Shiatsu ist die KlientIn die ExpertIn für Ihr Leben und ihren energetischen Lebensausdruck und kommt nur durch die shiatsuspezifische Berührung in Kontakt mit ihrer inneren Kraft. Weit entfernt davon, dies vor einen fernöstlichen gedanklichen Hintergrund zu stellen definieren die Autoren des referierten Buches abschließend die Haltung des „NichtWissens“ als die Kernfertigkeit helfender und begleitender Berufe. Liest man die Aufzählung der grundlegenden Qualitäten des „Nicht-Wissens“, etwa „Zuhören“, „Schweigen nutzen“, „Empathie“, „Auf die KlientIn fokussieren“, „Wahrnehmung der KlientIn bestätigen“, so kann man an die Zeit seiner Shiatsu-Ausbildung erinnert 3 4

Dies. S. 29 D. Saleebey – The strengths perspective in social work practice, New York, 1992

fühlen. Sind dies nicht auch alles Qualitäten des „Nicht-Tuns“, des „Absichtslos-Nurda-seins“ wie es etwas Masunaga oder Ohashi in ihren Schriften und Workshops immer wieder betont haben oder betonen? In der Tat lassen sich etliche der oben dargestellten Gedanken in den grundlegenden Ausführungen dieser Lehrer wiederzufinden und auf Shiatsu anwenden. So betont etwa Masunaga in seinem Standartwerk „Zen-Shiatsu“5 den Unterschied der induktiven fernöstlichen Denkweise zum linearen, deduktiven Denken des Westens und kritisiert die Suche der westlichen Medizin nach den Ursachen eines Problems in sehr ähnlichen Worten wie De Jong und Insoo.6 Statt westlicher Problemsuche nimmt die fernöstliche Herangehensweise „mit ihrer zyklischen Theorie die Bedingungen an, wie sie sind, und geht von diesem Punkt aus, um dem Patienten Erleichterung zu verschaffen.“7 Demnach es geht auch im Shiatsu eher um „Lösungen-finden“ als um „Probleme suchen“. „Gesundheit ist die Ausgeglichenheit unserer Lebenskraft, die Pflege der Selbstheilungskräfte des Körpers und das Vertrauen darauf“8, schreibt Masunaga und ist hier, um der lösungsorientierten Sprache zu folgen, ganz ressourcen-orientiert. Shiatsu will „die dem Menschen innewohnende Heilkraft...aktivieren und dadurch jeweils vorhandene innere Störungen beseitigen.“9 Das heißt, Shiatsu greift auf die der KlientIn innewohnende Stärke, die ganz individuelle Selbstheilungsfähigkeit zurück. Die Shiatsu-PraktikerIn befindet sich dabei wie oben beschrieben nicht so sehr in der Position einer ExpertIn, sondern ist eine emphatische, aufmerksame und nicht-wissende, nicht-tuende BegleiterIn. In diesem Sinn wäre der leider auch in der Shiatsu-Literatur oft verwendete Begriff „Diagnose“ weniger in der Bedeutung einer „Suche nach der Ursache eines Problems“ zu verstehen, als in einer genauen momentanen Bestandsaufnahme, der energetischen Jetzt-Befindlichkeit der KlientIn. Diagnose meinte damit im Shiatsu Befund, die aufmerksame und absichtslose, nicht-wissende Kontaktaufnahme mit dem Zustand des Gegenüber und seiner eigenen Kraft. Ist nicht gerade dies „das Zen im Zen-Shiatsu“, nicht-wissend, nicht-tuend und absichtslos in jedem Moment Kontakt zum Gegenüber zu halten. Daß Masunaga in diesem Zusammenhang immer wieder die kosmische Eingebundenheit des Einzelnen in Gesellschaft, Umwelt und Natur betont macht um so deutlicher wie systemisch die fernöstliche Denkweise schon immer war. Andererseits müssen wir auch feststellen, daß diese dem fernöstlichen Denken entstammende Sichtweise etwa in Masunagas Buch, aber auch in der Folgeliteratur zu Shiatsu häufig eine schwer entwirrbare Mischung mit der problem-orientierten Sicht des medizinischen Modells eingegangen ist. Dies hat zeitgeschichtliche, möglicherweise auch wirtschaftliche oder sogar persönliche Gründe. Zur Zeit des ersten Populärwerdens von Shiatsu im Westen bestand offensichtlich keine Notwendigkeit einer genauen Bestimmung der Leistung und des Anspruches 5

S. Masunaga / W. Ohashi – Zen Shiatsu, New York, 1977 Dies. dtsche Ausgabe, Bern, 1985, S. 21ff. 7 Dies. S. 22 8 Dies. S. 23 9 Dies. S. 29 6

energetischer Behandlungstechniken. Es ging viel mehr darum, noch ExotischUnbekanntes mittels bereits bekannterer Begriffe verständlich zu machen, aufzuwerten und in geläufige Kategorien einzuordnen. So wundert es nicht, daß auch Begrifflichkeiten aus dem westlichen Medizinkonzept und der dem Westen bereits angepaßteren Akupunktur zur Beschreibung und Erklärung von Shiatsu Verwendung fanden. Dabei mag manchmal die Nähe zum angesehenen Berufsstand des Arztes eine Rolle gespielt haben oder daß Verlage in der Boom-Zeit der Selbsthilfe-Literatur („Do it yourself shiatsu“10) mit dieser Nähe liebäugelten, um höhere Auflagen zu erzielen. Ein Großteil der Bücher stammt zudem aus dem englischen Sprachraum mit z.T. anderen gesetzlichen Vorbedingen zum Praktizieren von Shiatsu. In der Literatur gehen jedenfalls Abgrenzung von der westlichen Medizin einerseits mit dem Gebrauch medizinischer Begriffe andererseits, die Verwendung von der Akupunktur entliehener Termini mit deren Aufhebung im Zen-Shiatsu, die Beschreibung symptombezogener Anwendung von Shiatsu mit der Definition von Shiatsu als „Berührungs-Kunst“ Hand in Hand. . Einmal verbreitet, setzte sich diese Terminologie durch Bezug auf die Quellen in den Schriften ( und unseren Köpfen? ) fort. Leider – oder um auch hier lösungsorientiert zu bleiben: Zum Glück stehen wir heute vor der dringenden Notwendigkeit, die Tätigkeit der Shiatsu-PraktikerIn genau zu definieren. Ich möchte daher zur Diskussion stellen, ob wir mit der Idee des lösungsund ressourcen-orientierten Ansatzes nicht die wissenstheoretische Grundlegung für Shiatsu und andere energetischen Techniken finden, die uns die angedeuteten Quellen nicht oder zumindest nicht eindeutig liefern? Die uns zur Zeit oft Probleme bereitende Positionierung zu kausal -linearen Erklärungsversuchen (bei uns insbesondere in der Heilkunde und Legislative) scheint ja wie das zitierte Buch bezeugt auch in anderen Tätigkeitsfeldern Thema zu sein. Es handelt sich dabei vor allem um Tätigkeiten, die ein größeres Zusammenspiel von Kräften in den Blick nehmen und in systemischen Zusammenhängen denken. Insbesondere sind dies Berufe auf der Grenzlinie von Helfen und Begleiten. Wie in diesen Tätigkeiten ist es Ziel von Shiatsu Gesundheit und die Eigenverantwortung hierfür, aber auch die Fähigkeit zu ihrer Pflege und Erhaltung gesellschaftlich wieder stärker in den Vordergrund zu stellen. Eine neue Generation von Shiatsu-Literatur, die den Lesern dies in sauberer Terminologie verdeutlichte wäre dabei übrigens von unschätzbarem Nutzen. Warum sollten wir uns also in der jetzigen Situation nicht versuchsweise an Gesundheit und ihrem Erhalt und Pflege statt an Krankheiten und Beschwerden orientieren - vergleichbar der Abwendung vom Problem-Lösen hin zum LösungenFinden ? Macht es nicht einigen Sinn, Shiatsu als eine an der energetischen Struktur des Menschen orientierte, begleitende Tätigkeit der Gesundheitsvor- und –fürsorge zu definieren? Vielleicht finden wir ja in neuen gedanklichen Winkeln den alten 10

So der Originaltitel von Ohashi’s erstem Buch

Schatz, den die Berührung im Shiatsu und die fernöstliche Philosophie vom Leben schon immer barg eher, als wenn wir weiter in unseren alten Schubladen suchen? Ich weiß, auch aus eigener Beobachtung, daß dies nach Jahren der Existenz in einer nach vielen Seiten unabgegrenzten und offenen „Grau“zone einiges Umdenken erfordert und würde mich über vielfache Fragen, Anregungen und Kritik zu diesem Thema freuen. Frank Seemann, Shiatsu Lehrer GSD, Bonn

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