KINDER EINE SITUATIONS- UNBEHANDELTER SUCHTKRANKER ELTERN ANALYSE UND MÖGLICHE HILFEN

August 8, 2017 | Author: Karoline Otto | Category: N/A
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Abschlussbericht

KINDER UNBEHANDELTER SUCHTKRANKER ELTERN

EINE SITUATIONSANALYSE UND MÖGLICHE HILFEN

Forschungsschwerpunkt Sucht an der Katholischen Fachhochschule Nordrhein-Westfalen im Auftrag des Bundesministeriums für Gesundheit und Soziale Sicherung 2003

Abschlussbericht zum Forschungsprojekt „Kinder unbehandelter suchtkranker Eltern Eine Situationsanalyse und mögliche Hilfen“ Projektleitung: Prof. Dr. Michael Klein Wissenschaftliche Mitarbeiterinnen: Dipl.-Psychologin Tatjana Ferrari Dipl.-Psychologin Katrin Kürschner

Laufzeit: 24 Monate (April 2001-März 2003) Kapitel: 1502 Titel: 68651

Korrespondenzadresse: Prof. Dr. Michael Klein Katholische Fachhochschule NW, Abt. Köln Wörthstr. 10 50668 Köln Tel.: 0221/7757-156 Fax: 0221/7757-180 E-Mail: [email protected] Quellennachweis des Bildes auf dem Deckblatt: Koninklijke Algemene Vereniging Volksbond tegen Drankmisbruik

Inhaltsverzeichnis ZUSAMMENFASSUNG .........................................................................................................3 SUMMARY ............................................................................................................................4 EINLEITUNG .........................................................................................................................6 KAPITEL 1

AUSGANGSLAGE UND PROJEKTZIELE .....................................................8

KAPITEL 2 THEORETISCHER HINTERGRUND ............................................................12 2.1 Alkoholmissbrauch und -abhängigkeit.......................................................................12 2.1.1 Epidemiologie der Alkoholproblematik in Deutschland............................................12 2.1.2 Definition von Missbrauch und Abhängigkeit ..........................................................13 2.1.3 Bedingungsmodell der Alkoholabhängigkeit ...........................................................13 2.1.4 Folgeschäden der Alkoholabhängigkeit ..................................................................14 2.2 Alkohol und Familie ..................................................................................................16 2.2.1 Familiäres Transmissionsrisiko der Alkoholabhängigkeit und anderer Suchterkrankungen ................................................................................................16 2.2.2 Verhaltens- und Erlebensauffälligkeiten bei Kindern und Jugendlichen aus alkoholbelasteten Familien .....................................................................................20 2.2.3 Risiko- und Schutzfaktoren.....................................................................................31 2.2.3.1 Protektive Umgebungseinflüsse und konstitutionelle Resilienzen ........................34 2.2.3.2 Risikofaktoren......................................................................................................38 2.3 Zur Identifikation von Kindern alkoholbelasteter Eltern .............................................41 2.3.1 Befragung und Screening der Eltern.......................................................................42 2.3.2 Befragung und Screening der Kinder......................................................................42 2.4 Der Behandlungsstatus alkoholabhängiger Eltern.....................................................45 2.4.1 Daten zur Versorgung suchtkranker Menschen in Deutschland..............................45 2.4.2 Behandelte und unbehandelte Alkoholerkrankungen: Eltern und betroffene Kinder 46 2.4.3 Die Rekrutierung von Kindern unbehandelter alkoholabhängiger Eltern .................48 2.5 Internationale Forschung zu Kindern alkoholbelasteter Eltern: Fazit und Defizite..........51 KAPITEL 3 DURCHFÜHRUNG UND METHODIK...........................................................52 3.1 Untersuchungsdesign ...............................................................................................52 3.1.1 Akquisitionsstrategien in Bezug auf Kinder unbehandelter suchtkranker Eltern...........53 3.1.1.1 Akquisitionsstrategien mit dem Fokus „Unbehandelte Problemtrinker“.................55 3.1.1.2 Evaluation der Akquisitionsstrategie mit Hilfe von Screenings an Schulen...........57 3.1.2 Mehrstichprobenmodell als Grundmerkmal des Untersuchungsdesigns....................59 3.2 Fragestellungen und Einzelhypothesen ....................................................................63 3.3 Stichproben ..............................................................................................................64 3.3.1 Gewinnung der Stichproben ...................................................................................64 3.3.2 Beschreibung der Stichproben ...............................................................................67 3.4 Interviewdurchführung ..............................................................................................69 3.4.1 Interviewerausbildung.............................................................................................69 3.4.2 Durchführung der Befragung ..................................................................................70 3.5 Das Erhebungsinventar ............................................................................................71 KAPITEL 4 ERGEBNISSE ..............................................................................................75 4.1 Sozioökonomische Bedingungen und Familienstruktur .............................................75 4.2 Psychische Auffälligkeiten der Kinder .......................................................................78 1

4.3 Selbstwirksamkeitserwartungen und Kontrollüberzeugungen ...................................81 4.4 Lebenszufriedenheit .................................................................................................84 4.5 Bewältigungsverhalten..............................................................................................86 4.6 Emotionale Bindung, familiäre Atmosphäre und Kommunikation ..............................87 4.7 Exposition des elterlichen Trinkens und der elterlichen Auseinandersetzungen........92 4.8 Elterliche Komorbidität ..............................................................................................94 4.9 Wünsche und Challenge-Modell ...............................................................................94 4.10 Gewalterfahrungen und Vernachlässigung ...............................................................97 4.11 Persönlichkeitsmerkmale und Co-Abhängigkeit ......................................................100 4.12 Soziales Netz und Geschwisterbeziehungen ..........................................................105 4.13 Familienrituale und familiäre Ereignisse..................................................................108 4.14 Rollenmodelle.........................................................................................................113 4.15 Resilienzen .............................................................................................................117 4.16 Ergebnisse zum Transmissionsrisiko von Kindern alkoholbelasteter Eltern ............121 4.16.1 Eigenkonsum von Tabak und Alkohol......................................................................121 4.16.2 Motivation zum Substanzkonsum und Alkoholwirksamkeitserwartungen.................124 KAPITEL 5 DISKUSSION UND SCHLUSSFOLGERUNGEN........................................125 5.1 Wissenschaftlich orientierte Diskussion der Ergebnisse..........................................125 Sozioökonomische Bedingungen .......................................................................................125 5.2 Zusammenfassung der wissenschaftlichen Ergebnisdiskussion..................................137 5.2.2 Spezielle Aspekte der Erhebungstechnik und Stichprobengewinnung......................139 5.2.3 Methodische Probleme der Studie........................................................................142 5.3 Erreichbarkeit von Kindern Suchtkranker und deren Zugang zum Hilfesystem .......144 5.3.1 Studienspezifische Probleme bei der Vermittlung in spezifische Hilfeangebote.......144 5.3.2 Möglichkeiten der Bekanntmachung von und Vermittlung in spezifische Angebote ..145 5.3.3 Systematik der Hilfen für Kinder suchtbelasteter Eltern .............................................147 5.3.3.1 Unterstützung und Hilfen für Kinder von Suchtkranken .....................................147 5.3.3.2 Derzeitige Situation der Hilfen für Kinder von Suchtkranken .............................148 5.3.3.3 Systematik der Hilfeangebote ..........................................................................149 5.4 Empfehlungen für die künftige Struktur von Hilfe- und Versorgungsangeboten für KvA 152 5. 5 Schluss...................................................................................................................155 LITERATURVERZEICHNIS...............................................................................................157

ANHANG 1 ANHANG 2

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ZUSAMMEN-

Zusammenfassung

FASSUNG

ZUSAMMENFASSUNG Die in Forschung und Praxis als Risikogruppe nach wie vor zu selten thematisierten Kinder suchtbelasteter Eltern stehen im Mittelpunkt der vorliegenden Forschungsstudie „Kinder (un)behandelter suchtkranker Eltern – Eine Situationsanalyse und mögliche Hilfen“. Es wird dabei auf die zahlenmäßig größte Gruppe innerhalb der Kinder suchtbelasteter Kinder, nämlich auf die ca. 2.6 Millionen Kinder alkoholabhängiger bzw. -missbrauchender in Deutschland Eltern fokussiert. Ziel der Studie ist einerseits die umfassende Analyse der besonderen Situation und Lebenslagen dieser Kinder und Jugendlichen und andererseits das Aufzeigen von Handlungsmöglichkeiten für die Sekundärprävention. Dabei interessieren insbesondere Unterschiede zwischen Kindern behandelter und unbehandelter alkoholabhängiger- bzw. missbrauchender Eltern sowie die Unterschiede dieser Gruppen im Vergleich zur Kontrollgruppe. Hinzu kommt die Suche nach weiteren besonders auffälligen Subgruppen. Untersuchungspersonen sind 175 Kinder und Jugendliche im Alter von 11 bis 18 Jahren aus Familien, in denen der Alkoholkonsum eines Elternteils oder beider Elternteile durch das Kind als problematisch erlebt wird bzw. aus Familien, in denen ein oder beide Elternteil(e) unter einer diagnostizierten Alkoholabhängigkeit oder einem missbrauch aktuell leiden oder in der Vergangenheit gelitten haben. Diese werden mit einer Kontrollgruppe verglichen, die sich aus 76 Kindern und Jugendlichen zusammensetzt, die aus suchtunauffälligen Elternhäusern stammen. Die Befragung der insgesamt 251 Teilnehmer erfolgte mittels eines umfassenden Interviewleitfadens, in dem offene Fragen und standardisierte Verfahren zum Einsatz kamen. Die Ergebnisse der Studie belegen, dass Kinder und Jugendliche aus alkoholbelasteten Familien im Vergleich zur Kontrollgruppe in vielen Bereichen Einschränkungen und Auffälligkeiten zeigen, sich aber auch mit Stärken und Fähigkeiten ausgerüstet beschreiben. Einerseits wurde z. B. häufiger von Co-Abhängigkeit und familiärer Gewalt berichtet, andererseits aber auch gute Geschwisterbeziehungen und Fähigkeiten im kreativen Bereich. Dabei überwiegen jedoch die Belastungen und Problemlagen, so dass die Kinder suchtbelasteter Eltern eindeutig als Risikogruppe beschrieben werden kann. Unterschiede, die zwischen den Gruppen der Kinder behandelter und unbehandelter in problematischer Weise Alkohol konsumierender Eltern erwartet wurden, zeigten sich in Bezug auf spezifische Variablen zu Ungunsten der Kinder unbehandelter Eltern (z.B. geringeres Familieneinkommen, häufigere unvollständige Familien, stärkere depressive Symptome, schlechteren Zugang zu Hilfen). Bei einer genaueren Unterteilung der Untersuchungsgruppen fiel besonders die Gruppe der Kinder von alkoholkranken Eltern mit einer weiteren Diagnose einer psychischen Störung („komorbide Eltern“) als weitere Problemgruppe hinsichtlich spezifischer Auffälligkeiten und Einschränkungen auf. Kinder behandelter und unbehandelter Alkoholkranker stellen eine Risikogruppe in Bezug auf verschiedene Verhaltensprobleme und psychische Störungen dar. Dabei wurde eine große Heterogenität bei den individuellen Merkmalen der Kinder, aber beim Schwere- und Versorgungsgrad der Störung des betroffenen Elternteils deutlich. Die aktuelle Hilfe- und Versorgungssituation in Deutschland für Kinder Suchtkranker, auch im Hinblick auf die interdisziplinäre Zusammenarbeit und Vernetzung verschiedener Institutionen, gilt es entscheidend zu verbessern. Dabei ist eine Sen3

ZUSAMMEN-

Zusammenfassung

FASSUNG

sibilisierung für die Thematik des präventiven Handlungsbedarfs bei Kindern und Jugendlichen aus suchtbelasteten Familien bei praktisch tätigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in Institutionen der suchtspezifischen Versorgung, Suchtkrankenhilfe, Selbsthilfegruppen, Beratungsstellen sowie Schulen erforderlich, um das Potenzial der Frühentdeckung der Gefährdungen dieser Risikogruppe zu erhöhen. In Verbindung mit Maßnahmen der gezielten Vermittlung in Hilfeangebote möglichst unter Einbezug der Eltern, könnten potenzielle Zugangswege - auch für bisher unerreichte Gruppen - erheblich verbessert werden. Zur entscheidenden Verbesserung der Hilfen für Kinder suchtbelasteter Eltern wird eine Kombination aus verschiedenen Interventionsformen, das „Familal Motivational Case Management“, vorgeschlagen. Dadurch sollen die betroffenen und bedürftigen Kinder suchtbelasteter Eltern frühzeitig und effektiv notwendige Hilfen erhalten.

SUMMARY Children of addicted parents still are a rather neglected group of research and practice. This is especially true for Germany. The following research report deals with an even more neglected group, i.e. the children of untreated addicted parents. Though children of untreated parents are an enormously large subgroup within the children of addicted parents there has been a lack of concern with this theme. The objectives of the study “Children of (un)treated addicted parents – analysis of the situation and possible interventions” are first of all to understand the living situation of these children in more detail and secondly to find chances for secondary preventive interventions. Of special interest are differences between children of untreated and treated addicted parents and differences between these groups and children of non-addicted parents (control group) as well. All in all 251 children between 11 and 18 years of age have been studied. Among these 175 children stem from families with one or two parents showing a problematic use of alcohol. The children had to indicate that their parent’s alcohol use was a problem to them. In addition 76 children of the same age from non-addicted families have been investigated. All children were intensively interviewed using a structured questionnaire with standardized procedures and open-ended questions. The results of our study show, above all, that the minors from addicted families compared to the control subjects have significant problems and symptoms on the one side, and resiliences on the other side. But, all in all, the negative aspects clearly prevail. So, children of addicted parents suffer more often from violence and have more symptoms of co-dependent behavior. Children of untreated addicted parents are disadvantaged concerning a number of variables (e.g. family income, depressive symptoms, less access to treatment) and constitute a subgroup with high risk. When differentiating children of addicted parents in more detail there emerges another especially problematic subgroup which is constituted by the children of comorbid par-

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ZUSAMMENFASSUNG

Zusammenfassung

ents. These are parents suffering from psychiatric disorders like depression or personality disorders besides their addictive disorder. Children of addicted parents turn out to be a group of high heterogeneity. The situation concerning helpful interventions for these children in Germany still is unsatisfactory. There have to be made increased efforts concerning better and earlier interventions. From our study it seems especially necessary to address interventions towards children of untreated and comorbid parents. As a new approach to improve the situation and the help for the children in need a “familial motivation case management” is suggested. The combination of psychoeducation, family therapy, motivational interviewing, and case management is assumed to bring forward decisive improvements for the high risk children among the children of addicted parents.

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EINLEITUNG

Einleitung

EINLEITUNG S. (25 Jahre, männlich): „In meiner Familie haben eigentlich alle getrunken: meine Mutter, mein Vater, mein Opa und meine Tante. Der Opa war morgens um (Zobel, 2001, S. 21) 10 Uhr schon voll. Meine Mutter und meine Tante waren rund um die Uhr betrunken (...). Wenn ich Glück hatte, wurde ich morgens geweckt, wenn nicht, musste ich eben selber sehen, dass ich pünktlich in die Schule kam. Frühstück gab es sowieso nie, da die anderen noch völlig fertig in den Betten lagen“.

D. (15 Jahre, weiblich): (Fallbeispiel eines im Rahmen der Studie interviewten Mädchens, deren Mutter alkoholabhängig ist; die Probandin besucht ein ambulantes Behandlungsangebot)

D. berichtet im Interview über das extrem schlechte Verhältnis zu ihrer Mutter, zu der sie überhaupt keine positive Bindung habe; verbal und nonverbal waren Wut und Aggression gegen die Mutter die vorherrschenden Emotionen. Bezüglich des - seit 3 Jahren existierenden - neuen Partners der Mutter erlebe sie die selben Gefühle. Einzig zum Stiefvater C. habe sie ein tendenziell eher gutes bis neutrales Verhältnis, das teilweise von Mitleid geprägt sei. Als schlimmstes Ereignis im Zusammenhang mit der Familie nannte D. das Wiederauftauchen des neuen Partners der Mutter und die häufigen alkoholbedingten körperlichen Anfälle der Mutter. D. äußerte, dass sie in emotionalen und sozialen Situationen über ein sehr hohes Erregungsniveau verfüge („Ich werde immer ganz stark hysterisch.“). Außerdem falle es ihr sehr schwer, nein zu sagen, wenn jemand sie um etwas bitte, was sie nicht tun wolle.

Diese Fallbeispiele und Ergebnisse der in den letzten Jahren vermehrt durchgeführten nationalen und internationalen Forschung zeigen deutlich, dass die Situation der Kinder und Jugendlichen, die in suchtbelasteten Familien aufwachsen, von den Betroffenen oft als äußerst stressvoll und entwicklungsbeeinträchtigend erlebt wird. Die Erforschung der Lebens- und Familiensituation derart betroffener Kinder und Jugendlicher in Deutschland ist Gegenstand der im Folgenden dargestellten Forschungsstudie „Kinder (un)behandelter suchtkranker Eltern. Eine Situationsanalyse und mögliche Hilfen“. Das einführende Kapitel 1 des Projektabschlussberichts erläutert die Ausgangslage und Zielsetzungen des Forschungsprojektes. Ein Überblick zu den aktuellen Forschungsbefunden hinsichtlich der Themenbereiche Alkoholismus, Behandlungsstatus der Eltern, Identifizierungsmöglichkeiten von Kindern aus alkoholbelasteten Familien sowie Risiko- und Schutzfaktoren wird in Kapitel 2 gegeben. Kapitel 3 beschreibt die Fragestellungen und die Durchführungsmodalitäten der Interviews sowie das für die Forschungsstudie entwickelte Erhebungsinventar. Kapitel 4 berichtet über die Ergebnisse der quantitativen und qualitativen Datenanalysen. Im abschließenden Kapitel 5 werden die Ergebnisse hinsichtlich der Implikationen für die Versorgungspraxis diskutiert. Im Weiteren werden empirisch basierte Empfehlungen für die Konzeptionierung von Hilfeangeboten formuliert. Im zweiteiligen Anhang befinden sich u. a. Fallbeispiele, Adressen und Übersichten (Anhang 1) und die verwendeten Erhebungsinstrumente (Anhang 2). Vorab möchten wir uns bedanken bei allen Einrichtungen, die uns bei der Kontaktaufnahme zu den betroffenen Kindern unterstützt haben. Wir danken außerdem allen studentischen Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen für ihre Mithilfe bei der Durchführung

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EINLEITUNG

Einleitung

der umfangreichen Forschungsinterviews. Nicht zuletzt danken wir dem Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung für die finanzielle Förderung des Projekts.

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KAPITEL 1

Ausgangslage und Projektziele

KAPITEL 1

AUSGANGSLAGE UND PROJEKTZIELE

Die Notwendigkeit zur Durchführung einer Forschungsstudie zum Thema „Kinder (un)behandelter suchtkranker Eltern“, deren Abschlussbericht nun vorgelegt wird, ergab sich durch verschiedene Beobachtungen und Erfahrungen während der vorausgegangenen langjährigen theoretischen und praktischen Beschäftigungen des Projektleiters mit dem Thema Kinder Suchtkranker. Die Darstellung der Ausgangslage des Projekts fasst diese Beobachtungen zusammen: Zum einen muss die Zahl der Kinder, die im Laufe ihrer Entwicklung einer elterlichen Alkoholstörung exponiert sind, in den modernen Gesellschaften als außerordentlich hoch eingeschätzt werden. GRANT (2000) konnte für die USA auf der Basis des National Longitudinal Alcohol Epidemiology Sample, welches die Daten von 42 862 repräsentativ ausgewählten Personen im Alter von mehr als 18 Jahren umfasst, zeigen, dass jedes zweite Kind in einer Familie aufwächst, in der ein Elternteil eine Lebenszeitdiagnose für eine Alkoholstörung aufweist. Jedes sechste Kind wächst in einer Familie auf, in der ein Elternteil im letzten Jahr eine alkoholbezogene Diagnose aufwies. „(...) it can conservatively be estimated that approximately 1 in every 4 (28.6 %) children in the United States is exposed to alcohol abuse or dependence in the family“ (GRANT, 2000, S. 114). Da die epidemiologischen Daten für die Bundesrepublik höhere Pro-Kopf-Verbrauchsquoten liefern, ist davon auszugehen, dass die Verhältnisse hierzulande mindestens denen der USA entsprechen. Nach bisherigen Schätzungen leben 1,8 bis 2 Millionen Kinder und Jugendliche im Alter bis 18 Jahren in einer Familie mit einem alkoholabhängigen Elternteil. Nicht genau bekannt ist bislang die Zahl der Kinder und Jugendlichen, die mit einem alkoholmissbrauchenden Elternteil zusammen leben. Deren Zahl wird derzeit auf 2,7 Millionen beziffert (BÜHRINGER, 2000). Aus den epidemiologischen Untersuchungen der EDSP-Studie (LACHNER & W ITTCHEN, 1997) lässt sich ableiten, dass bei 15,1% Jugendlichen im Alter zwischen 14 und 24 Jahren, die während ihres Lebens einem Elternteil mit der Diagnose Alkoholmissbrauch oder -abhängigkeit ausgesetzt waren, bei einer Gesamtbevölkerung von 82,16 Millionen Einwohnern in Deutschland (Ende 2000), davon 17,5 Millionen Kindern und Jugendlichen unter 19 Jahren (STATISTISCHES BUNDESAMT, 2002), insgesamt bis zu 2,64 Millionen Kinder und Jugendliche im Alter bis zu 18 Jahren diesen Störungen ausgesetzt waren. Eine weitere Beobachtung stützt sich auf eine Vielzahl von nationalen und internationalen Studien, die die besondere und oftmals gefährdende Situation der Angehörigen und insbesondere der Kinder in suchtbelasteten Familien deutlich heraus stellen. Familienstudien zeigen in vielfältiger Weise Beziehungen von Alkoholismus der Eltern und Hyperaktivität, dissozialem Verhalten und Delinquenz, Entwicklungsstörungen, emotionalen Störungen, Lern- und Leistungsstörungen bei deren Kindern und eine mögliche Einmündung wiederum in Alkoholismus im Jugend- und Erwachsenenalter. Eine eigene Untersuchung bestätigt, dass gerade bei Kindern aus Suchtfamilien ein bis zu sechsfach erhöhtes Risiko zur Ausbildung einer eigenen Abhängigkeitsentwicklung - und dies meistens sehr früh in ihrem Leben - besteht (KLEIN, 2001A). Deren familiäre Situation ist oftmals durch eine häusliche Atmosphäre von Instabilität, emotionaler Kälte, Willkür, unklaren Grenzen, Respektlosigkeit, mangelnder Förderung und mangelndem Interesse seitens des süchtigen Elternteils gekennzeichnet.

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KAPITEL 1

Ausgangslage und Projektziele

Da davon auszugehen ist, dass die Kinder von suchtkranken Eltern, die ein Unterstützungsangebot besuchen, über eine bessere Entwicklungsprognose verfügen als Kinder ohne professionelle Unterstützung, bezogen der Studiendurchführung vorausgehende Vorüberlegungen auch spezielle Hilfemöglichkeiten für Kinder aus Suchtfamilien mit ein. Zur Vernetzung bestehender sekundärpräventiver und therapeutischer Angebote konnte, initiiert durch den Projektleiter im Rahmen des Forschungsschwerpunkts Sucht an der Katholischen Fachhochschule NW (Köln), ein Arbeitskreis mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern aus diversen Hilfeangeboten in den Kontexten der Selbsthilfe, ambulanten Suchthilfe und stationären Drogentherapie etabliert werden. Es wurde nicht zuletzt im Rahmen dieser vernetzenden Arbeit deutlich, dass in jüngster Zeit die Zahl der Hilfeansätze für Kinder suchtkranker Eltern in Deutschland deutlich zunimmt und die Aufmerksamkeit in verschiedensten Behandlungskontexten immer mehr auch auf die Kinder gerichtet wird. Nach aktuellen Schätzungen sind es jedoch nur 40 000 der etwa 2 Millionen betroffenen Alkoholkranken, die sich frühzeitig und erfolgreich in eine Entwöhnungsbehandlung begeben. Von den Angeboten für Kinder (Kinder- und Jugendwochenendseminare etc.) im Rahmen der stationäre Therapie kann deshalb auch nur ein geringer Teil der mitbetroffenen Kinder und Jugendlichen profitieren. Aus dieser Überlegung ergab sich für die Konzeptionierung des Projekts ein weiterer wichtiger Gedanke: Sowohl die bisherige Forschung als auch die bisherigen Hilfeangebote richteten ihren Fokus auf Kinder, deren suchtkranke Eltern bereits Kontakt zum Hilfesystem hatten. Mit einer Anzahl von etwa 1,3 Millionen Betroffenen stellen jedoch Kinder unbehandelter Suchtkranker die größte Gruppe innerhalb der Kinder suchtkranker Eltern dar. Gemeint sind jene Kinder, deren Eltern bzw. dessen Elternteil trotz dem Vorhandensein einer oftmals mehrjährig anhaltenden Suchterkrankung sich bislang nicht in professioneller Behandlung wie der Entzugs- oder Entwöhnungsbehandlung oder in einem Selbsthilfeangebot befunden haben. Sind sie in ähnlicher Weise gefährdet wie die Kinder behandelter Eltern oder sind sie gar einem besonderen Risiko ausgesetzt, da sie in vielen Fällen während ihrer gesamten Kindheit und Jugendzeit den Folgen der familiären Suchtbelastung ausgesetzt sind? – Ist es möglich, ihnen Hilfeangebote bekannt zu machen oder sie in solche zu vermitteln oder haben diese Kinder wegen der „Leugnung“ der Familienproblematik in wesentlich geringerem Umfang die Chance eines Zugangs zu den verschiedenen Hilfesystemen? Aus den Ergebnissen zweier eigener Studien konnte die Schlussfolgerung gezogen werden, dass Kinder unbehandelter Eltern einem stärkeren und längeren Expositionsrisiko als Kinder behandelter Eltern ausgesetzt sind (KLEIN & QUINTEN, 2002; KLEIN, 2003). In diesen Studien zeigte sich, dass die Kinder, deren Eltern frühzeitig erfolgreich behandelt wurden und alkoholabstinent lebten, eine zufriedenstellende psychosoziale Entwicklung und Anpassung aufwiesen. In der Konzeptionierungsphase der Studie wurde also eine besondere Forschungsund Versorgungslücke in Bezug auf die Kinder suchtkranker Eltern entdeckt, die zur Formulierung folgender Projektziele führte: Mit dem vorliegenden Projekt soll die Aufmerksamkeit auf die Lebenssituation der Kinder suchtbelasteter - insbesondere alkoholkranker - Eltern gerichtet werden. Speziell wird dabei auf die Familiensituation und die Entwicklungsbedingungen der betroffenen Kinder fokussiert. Diese Kinder von Alkoholikern werden im Folgenden we-

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KAPITEL 1

Ausgangslage und Projektziele

gen der häufigen Verwendung des Terminus kurz KvA genannt. Im internationalen Bereich hat sich inzwischen die Abkürzung COA (für Children of Alcoholics) etabliert. Vor allem die Heterogenität dieser Gruppe gilt es näher zu eruieren. Ein besonders hervorstechender Aspekt der Differenziertheit dieser Gruppe der Kinder suchtkranker Eltern ist die Frage, inwieweit die Eltern im Verlauf des Aufwachsens ihrer Kinder irgend wann behandelt wurden und ihre Abhängigkeit bewältigen konnten. Inhaltlich wird mit den vorliegenden Ergebnissen des Forschungsprojektes die Notwendigkeit frühzeitiger Interventionen für Kinder von Suchtkranken verstärkt in den Mittelpunkt wissenschaftlicher und primär- und sekundärpräventiver Bemühungen der Suchthilfe(politik) gestellt und Empfehlungen hinsichtlich frühzeitiger, gezielter und effektiver Präventions- und Interventionsansätze formuliert. Die hiermit skizzierten Ziele wurden bislang auch im internationalen (vor allem amerikanischen) Forschungsbereich vernachlässigt, so dass von einem derartigen Projekt eine besondere Innovationswirkung - auch für die internationale Fachdiskussion - ausgehen könnte. Wie wichtig dabei die Berücksichtigung der Perspektive der betroffenen Kinder ist, zeigt eine Untersuchung zur Wahrnehmung elterlichen Trinkverhaltens durch Kinder (SMITH ET AL., 1999), bei der sich herausstellte, dass es bei den 6- bis 8-jährigen Kindern praktisch keine Übereinstimmungen zwischen dem, was die Eltern angaben, und dem, was die Kinder wahrnahmen, gab. Auch Eltern, die Alkohol tranken, wurden von ihren Kindern oft als Nichttrinker angesehen. Bei der Wahrnehmung der Häufigkeit und Menge des Alkoholkonsums gab es mit den Aussagen der Väter nur geringe und mit denen der Mütter gar keine Übereinstimmungen. Die Wahrnehmungen der älteren Kinder (zwischen 8 und 11 Jahren) zeigten bessere, aber keine zufrieden stellende Übereinstimmungen mit den Elternangaben. Auch bei einer zusätzlich untersuchten Subgruppe, in der die Eltern auch von den Kindern als Alkoholkonsumenten bezeichnet wurden, gab es noch erhebliche Unterschiede zwischen der Wahrnehmung von Menge und Häufigkeit durch die Eltern einerseits und die durch Kinder andererseits. Aufgrund dieser Befundlage konzentriert sich unser Projekt auf ältere Kinder und Jugendliche im Alter zwischen 11 und 18 Jahren. Das zeitliche und inhaltliche Ablaufschema des Projekts „Kinder (un)behandelter suchtkranker Eltern – Eine Situationsanalyse und mögliche Hilfen“ gliederte sich wie folgt:

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KAPITEL 1

Ausgangslage und Projektziele

Projektdauer

24 Monate (April 2001 bis März 2003)

Mitarbeiter

• Projektleiter • zwei wissenschaftliche Mitarbeiterinnen (Diplompsychologinnen) mit je 75 %-Stellen • studentische Hilfskräfte Vorbereitungsphase • Literaturbeschaffung und -studium • Entwicklung und Erprobung des ErApril 2001 bis Juni 2001 hebungsinstruments • Herstellung von Kontakten und Motivation bei Kooperationspartnern für Akquisition der Untersuchungsteilnehmer • Weiterführung der bereits im Februar 2001 begonnenen Screeningbefragungen in Schulen Akquisitions- und Datenerhebungsphase • Etablierung der und weiterer Ausbau von Akquisitionskontakten in verJuni 2001 bis Oktober 2002 schiedene Einrichtungen • Anpassung der Stichprobenmerkmale an realistische Bedingungen • Kontaktaufnahme zu Untersuchungsteilnehmern • Koordination der Interviewer, Interviewtermine und -lokalitäten • Durchführung von 252 Interviews • Entwicklung einer SPSS-Datendatei, Dateneingabe und Datenpflege • Erstellung eines Zwischenberichts zu den Akquisitionsbemühungen für das Bundesministerium für Gesundheit Abschlussphase • Datenauswertung • Erstellung des ProjektabschlussbeOktober 2002 bis März 2003 richts Im folgenden Kapitel 2 wird der theoretische Hintergrund der Studie ausführlich dargestellt.

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KAPITEL 2

Theoretischer Hintergrund

KAPITEL 2

THEORETISCHER HINTERGRUND

Im folgenden Kapitel wird eine umfassende Übersicht des theoretischen Hintergrunds, der für die vorliegende Forschungsstudie von Bedeutung ist, gegeben. Das erste Unterkapitel (Kapitel 2.1) liefert eine Einführung in die Epidemiologie und Diagnostik der Alkoholerkrankung. Unterkapitel 2.2 ist der Thematik des Zusammenhangs von Familie und Alkohol gewidmet und inhaltlich in drei Abschnitte unterteilt. Zunächst wird die familiäre Transmission von Alkoholerkrankungen (Kapitel 2.2.1) erläutert. Es folgt eine umfassende Darstellung von Verhaltens- und Erlebensaufälligkeiten (Kapitel 2.2.2) und der Schutz- bzw. Risikofaktoren (Kapitel 2.2.3) bei Kindern aus alkoholbelasteten Familien. Einige interessante theoretische Inhalte zum Themengebiet konnten im Rahmen der vorliegenden Studie keine Berücksichtigung finden. Eine Aufstellung der realisierten Untersuchungskonzepte findet sich in Kapitel 3. Die Identifikation von Kindern als Kinder Alkoholkranker wird in Unterkapitel 2.3 erläutert. Unterkapitel 2.4 beschäftigt sich mit dem Thema des Behandlungsstatus von alkoholabhängigen Eltern und den sich daraus für die Forschung ergebenden Implikationen. Die Darstellung des theoretischen Hintergrunds wird mit Unterkapitel 2.5 abgeschlossen, welches sich der Interventions- und Hilfemöglichkeiten für Kinder aus suchtbelasteten Familien annimmt.

2 .1

ALKOHOLMISSBRAUCH UND -ABHÄNGIGKEIT

Im Folgenden werden kurz epidemiologische Daten, diagnostische Kriterien sowie Bedingungen und Folgeschäden des Alkoholmissbrauchs bzw. Alkoholabhängigkeit vorgestellt. 2.1.1 EPIDEMIOLOGIE DER ALKOHOLPROBLEMATIK IN DEUTSCHLAND Alkohol gilt als die verbreitetste aller Rauschdrogen - Alkoholabhängigkeit ist eine der häufigsten chronischen Erkrankungen in Deutschland. Im Jahr 2001 gehörte Deutschland mit einem Alkohol-Pro-Kopf-Verbrauch von alkoholischen Getränken von 152,8 Litern (umgerechnet 10,5 Liter reiner Alkohol) pro Jahr zu den „Spitzenreitern“ im Alkoholkonsum weltweit (MEYER & JOHN, 2003). Etwa die Hälfte der alkoholischen Getränke wird dabei von nur einem relativ kleinen Anteil der Bevölkerung verbraucht. Aufgrund einer Neuschätzung im Auftrag des Bundesministeriums für Gesundheit (BÜHRINGER ET. AL., 2000) der Daten der so genannten Bundesstudie (KRAUS & BAUERNFEIND, 1998) können als unterste Grenzwerte folgende Prävalenzraten für die Wohnbevölkerung in Deutschland ab 18 Jahren (66 Mio.) für Alkoholabhängigkeit bzw. -missbrauch geltend gemacht werden: •

• •

2,4 % der Bevölkerung (1,6 Mio. Menschen) sind als alkoholabhängig anzusehen (12-MonatsPrävalenz nach DSM-IV). Unter den Jugendlichen beträgt der Anteil der Alkoholabhängigen etwa 1 %. 4 % (2,7 Mio.) betreiben einen Alkoholmissbrauch (DSM-IV). Eine derzeit remittierte Alkoholabhängigkeit liegt bei 4,9 % (3,2 Mio.) vor, d. h. zu jedem Zeitpunkt gibt es in Deutschland mehr „trockene“ als „nasse“ Alkoholabhängige.

Zwölf Prozent der Bevölkerung (7,9 Mio.) sind als riskante Alkoholkonsumenten einzuschätzen (d. h. bei Männern 30-60 g pro Tag und bei Frauen 20-40 g pro Tag). Diese Gruppe enthält auch Abhängige und Missbraucher. Bei der Subtraktion von Missbrauchern und Abhängigen bleiben 3.2 Mio. Personen, die „nur“ riskant konsu-

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KAPITEL 2

Theoretischer Hintergrund

mieren. Die Zahl der behandlungsbedürftigen Alkoholkranken in Deutschland wurde 1997 auf etwa 2,5 Millionen geschätzt, das sind etwa 3 % der Bevölkerung (HÜLLINGHORST, 1997). 2.1.2 DEFINITION VON MISSBRAUCH UND ABHÄNGIGKEIT Unter missbräuchlichem Konsum wird ganz allgemein der Konsum einer Substanz verstanden, der zu Problemen im körperlichen, psychischen und sozialen Bereich führt. Der im angloamerikanischen Raum verwendete Begriff des „problem drinking“ (Trinken, das zu Problemen führt) wird in den gängigen Klassifikationsschemata der ICD-10 (INTERNATIONAL CLASSIFICATION OF DISEASES, 10. REVISION, 1994) und des DSM-IV (DIAGNOSTIC AND STATISTIC MANUAL OF MENTAL DISORDERS, AMERICAN PSYCHIATRIC ASSOCIATION, 1994) nicht verwendet. Bei der Alkoholabhängigkeit wird zwischen körperlicher und psychischer Abhängigkeit unterschieden. Erstere ist durch das Auftreten von Toleranzsteigerung und Entzugssyndromen definiert. Eine Toleranzsteigerung liegt vor, wenn zunehmend höhere Dosen einer Substanz erforderlich sind, um die ursprünglich durch niedrigere Mengen verursachten Wirkungen zu erzielen. Bei Vorliegen einer psychischen Abhängigkeit sind vor allem folgende vier Symptome relevant: a) b) c) d)

gesteigertes Verlangen nach Alkohol mangelnde Fähigkeit, den Konsum zu kontrollieren Zentrierung des Denkens und Strebens auf Alkohol Fortsetzung des Konsums trotzt subjektiv wahrgenommener negativer Konsequenzen

Dementsprechend werden in den erwähnten Klassifikationsschemata die Symptome von Missbrauch und Abhängigkeit explizit aufgeführt. In der ICD-10 ist ein schädlicher Gebrauch dann definiert, wenn es durch den Konsum zu einer körperlichen und/oder psychischen Gesundheitsbeeinträchtigung gekommen ist. Im DSM-IV hingegen werden auch psychosoziale Kriterien zur Definition des Alkoholmissbrauches herangezogen. Für die Diagnose des Alkoholismus existieren zahlreiche Objektivierungen über das Ausmaß des Alkoholkonsums und die dadurch bedingten psychosozialen Störungen, wie sie in den in Tabelle 2.1 aufgeführten Diagnosekriterien der ICD-10 bzw. des DSM-IV dargestellt sind. Die klinische Diagnose des Alkoholismus stützt sich dabei einerseits auf die Erfassung der Trinkintensität und -frequenz, zum anderen auf medizinische und psychosoziale Folgeschäden. 2.1.3 BEDINGUNGSMODELL DER ALKOHOLABHÄNGIGKEIT Für die Entstehung der Alkoholabhängigkeit wird ein multifaktorielles Modell angenommen. Dabei geht man von drei großen Variablen- oder Bedingungsgruppen aus, die miteinander interagieren und sich in einem Dreieck darstellen lassen. Abbildung 2.1 zeigt die drei Bedingungsgruppen: a) den Alkohol mit seinen spezifischen Wirkungen,

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KAPITEL 2

Theoretischer Hintergrund

b) das Individuum mit seinen körperlichen und psychischen Eigenschaften, wie sie sich bei der jeweiligen genetischen Disposition im Laufe des Lebens entwickelt haben und c) das soziale Umfeld mit interpersonalen, sozialisierenden Beziehungen.

Alkohol

Individuum (physiologische und psychologische Faktoren)

Abb. 2.1

Soziales Umfeld

Bedingungsmodell des Alkoholismus

Die Personen des sozialen Umfelds spielen bei der Entstehung und Aufrechterhaltung von Suchterkrankungen eine wichtige und oft unterschätzte Rolle (KLEIN, 2001A; COPELLO & ORFORD, 2003). Zum sozialen Umfeld von Suchtkranken ist insbesondere auch die Familie zu zählen. 2.1.4 FOLGESCHÄDEN DER ALKOHOLABHÄNGIGKEIT Die Folgeschäden der Alkoholabhängigkeit sind vielfältig. Vor allem die Folgen lang andauernden Gebrauchs auch relativ geringer Mengen sind letztlich gefährlich. Der Alkoholkonsum lässt sich in die Kategorien Abstinenz (Männer und Frauen: 0 g), risikoarmer Konsum (Männer: > 0-30 g, Frauen: > 0-20 g), riskanter Konsum (Männer: > 30-60 g, Frauen: > 20-40 g), gefährlicher Konsum (Männer: > 60-120 g, Frauen: > 40-80 g) und Hochkonsum (Männer: > 120 g, Frauen: > 80 g) einteilen (VGL. BÜHRINGER ET AL., 2000). Auf psychosozialem Gebiet sind im allgemeinen durch Alkoholabhängigkeit bedingte Schäden viel früher zu beobachten als im medizinischen Bereich. Sie betreffen den Konsumenten selbst ebenso wie auch das soziale Umfeld, hier in erster Linie die Familie.

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KAPITEL 2

Theoretischer Hintergrund

Tab. 2.1 Diagnostische Kriterien für Alkoholmissbrauch und -abhängigkeit nach ICD-10 und DSM-IV (modifiziert aus: SCHMIDT, 1999, S. 71 f.) ICD-10

DSM-IV

Schädlicher Gebrauch

Substanzmissbrauch

Ein Konsummuster psychotroper Substanzen, das zu A) Ein unangepasstes Muster von Substanzgebrauch einer Gesundheitsschädigung führt. Diese kann eine führt in klinisch bedeutsamer Weise zu Beeinträchkörperliche Störung, etwa eine Hepatitis durch Selbsttigungen oder Leiden, wobei sich mindestens eines injektion von Substanzen, sein oder eine psychische der folgenden Kriterien innerhalb desselben 12Störung, z. B. eine depressive Episode nach massivem Monats-Zeitraums manifestiert: Alkoholkonsum. 1. Wiederholter Substanzgebrauch, der häufig zu einem Versagen bei der Arbeit, in der Schule oder zu Hause führt (z. B. wiederholtes Fehlen oder schlechte Arbeitsleistung wegen des Substanzkonsums; wegen Substanzgebrauchs versäumte Schulstunden oder Schulausschluss; Vernachlässigung der Kinder oder des Haushalts). 2. Wiederholter Substanzgebrauch in Situationen, in denen es aufgrund des Konsums zu einer körperlichen Gefährdung kommen kann (z. B. betrunken Auto fahren oder eine Maschine bedienen). 3. Wiederkehrende Probleme mit dem Gesetz in Zusammenhang mit dem Substanzgebrauch. 4. Fortgesetzter Substanzgebrauch trotz ständiger oder wiederholter sozialer oder zwischenmenschlicher Probleme, die durch die Auswirkungen der psychotropen Substanz verursacht oder verstärkt werden (z. B. Auseinandersetzung mit dem Partner wegen Konsequenzen einer Intoxikation; Streit mit Verwendung physischer Gewalt). B) Die Symptome haben niemals die Kriterien für Substanzabhängigkeit der jeweiligen Substanzklasse erfüllt.

Abhängigkeitssyndrom

Substanzabhängigkeit

Eine Gruppe von Verhaltens-, kognitiven und körperlichen Phänomenen, die sich nach wiederholtem Substanzgebrauch entwickeln. Typischerweise besteht ein starker Wunsch, die Substanz einzunehmen, Schwierigkeiten, den Konsum zu kontrollieren, und anhaltender Substanzgebrauch trotz schädlicher Folgen. Die Diagnose Abhängigkeit soll nur gestellt werden, wenn irgendwann während des letzten Jahres drei oder mehr der folgenden Kriterien vorhanden waren: 1. Ein starker Wunsch oder eine Art Zwang, Substanzen oder Alkohol zu konsumieren. 2. Verminderte Kontrollfähigkeit bezüglich des Beginns, der Beendigung und der Menge des Substanz- oder Alkoholkonsums. 3. Substanzgebrauch mit dem Ziel, Entzugssymptome zu mildern, und der entsprechenden positiven Erfahrung. 4. Ein körperliches Entzugssyndrom 5. Nachweis einer Toleranz: Um die ursprünglich durch niedrigere Dosen erreichten Wirkungen der Substanz hervorzurufen, sind zunehmend höhere Dosen erforderlich (eindeutige Beispiele hierfür sind die Tagesdosen von Alkoholikern und Opiatabhängigen, die bei Konsumenten ohne Toleranzentwicklung schwer beeinträchtigen würden oder

Ein unangepasstes Muster von Substanzgebrauch führt in klinisch bedeutsamer Weise zu Beeinträchtigungen oder Leiden, wobei sich mindestens drei der folgenden Kriterien manifestieren, die zu irgendeiner Zeit in demselben 12-Monats-Zeitraum auftreten: 1.

2.

3. 4. 5.

Toleranzentwicklung, definiert durch eines der folgenden Kriterien: Verlangen nach ausgeprägter Dosissteigerung, um einen Intoxikationszustand oder erwünschten Effekt herbeizuführen, deutlich verminderte Wirkung bei fortgesetzter Einnahme derselben Dosis Entzugssymptome, die sich durch eines der folgenden Kriterien äußern: charakteristisches Entzugssyndrom der jeweiligen Substanz, dieselbe (oder eine sehr ähnliche Substanz) wird eingenommen, um Entzugssymptome zu lindern oder zu vermeiden. Die Substanz wird häufig in größeren Mengen oder länger als beabsichtigt eingenommen. Anhaltender Wunsch oder erfolglose Versuche, den Substanzgebrauch zu verringern oder zu kontrollieren. Es wird viel Zeit für Aktivitäten verwendet, um die Substanz zu beschaffen (z. B. mehrere Ärzte auf-

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6.

7. 8.

2 .2

sogar zum Tode führten). Ein eingeengtes Verhaltensmuster im Umgang mit Alkohol oder der Substanz wie z. B. die Tendenz, Alkohol an Werktagen wie an Wochenenden zu 6. trinken und die Regeln eines gesellschaftlich üblichen Trinkverhaltens außer acht zu lassen. Fortschreitende Vernachlässigung anderer Ver- 7. gnügen oder Interessen zugunsten des Substanzkonsums. Anhaltender Substanz- oder Alkoholkonsum trotz Nachweises eindeutiger schädlicher Folgen. Die schädlichen Folgen können körperlicher Art sein, wie z. B. Leberschädigung durch exzessives Trinken, oder sozial wie Arbeitsplatzverlust durch substanzbedingte Leistungseinbußen, oder psychisch, wie bei depressiven Zuständen nach massivem Substanzkonsum.

suchen oder längere Strecken fahren), sie zu gebrauchen (z. B. Kettenrauchen) oder sich von den Effekten der Substanz zu erholen. Wichtige soziale, berufliche oder Freizeitaktivitäten werden aufgrund des Substanzgebrauchs aufgegeben oder eingeschränkt. Der Substanzgebrauch wird fortgesetzt trotz Kenntnis eines anhaltenden oder wiederkehrenden körperlichen oder psychischen Problems, das wahrscheinlich durch den Substanzmissbrauch verursacht oder verstärkt wurde (z. B. Kokaingebrauch trotz erkannter kokaininduzierter Depression oder fortgesetztes Trinken trotz der Einsicht, dass ein Geschwür durch den Alkohol schlimmer geworden ist).

ALKOHOL UND FAMILIE

Die Zusammenhänge zwischen Alkoholkonsum, Alkoholerkrankungen und dem personellen Umfeld des Betroffenen sind in mehrfacher Hinsicht mit der Familie als sozialem Nahraum verbunden. Der generationsübergreifende Aspekt von Alkoholerkrankungen im Zusammenhang mit den Aspekten der Entwicklung eines Kindes in einer alkoholbelasteten Familie wird im Folgenden erläutert. 2.2.1 FAMILIÄRES TRANSMISSIONSRISIKO SUCHTERKRANKUNGEN

DER

ALKOHOLABHÄNGIGKEIT

UND ANDERER

In einer Vielzahl von Studien aus dem angloamerikanischen und deutschen Raum wurde nachgewiesen, dass Alkoholabhängige überzufällig oft aus Familien stammen, in denen bereits der Vater bzw. die Mutter oder beide Elternteile alkoholabhängig waren (s. zusammenfassend: LACHNER & W ITTCHEN, 1997; SHER ET AL., 1991; ZOBEL, 2000). Verschiedene Längsschnittstudien mit einer Laufzeit von bis zu 33 Jahren zeigen, zumindest bei Söhnen von alkoholbelasteten Eltern, eine deutlich erhöhte Vulnerabilität für die Entwicklung einer eigenen Alkoholabhängigkeit (DRAKE & VAILLANT, 1988; KNOP ET AL., 1993). So erbrachte die Langzeitstudie von DRAKE & VAILLANT (1988) für erwachsene Kinder aus Suchtfamilien in 28 % der Fälle eine Diagnose für Alkoholabhängigkeit. Männer mit einem abhängigen Vater hatten mehr als doppelt so häufig eine Alkoholabhängigkeit als Männer ohne abhängigen Vater. Ähnliche Resultate berichten SCHUCKIT & SMITH (1996) sowie SIGVARDSSON ET AL. (1996). BIERUT ET AL. (1998) fanden, dass die Alkoholkonsumraten und der Anteil regelmäßiger Raucher bei Geschwistern alkoholabhängiger Erwachsener verglichen mit Geschwistern von Kontrollprobanden erhöht waren. Die Lebenszeitdiagnose der Alkoholabhängigkeit lag bei Geschwistern Alkoholabhängiger bei 49,3 % bis 50,1 % (Brüder) und 22,4 % bis 25 % (Schwestern). Die Ergebnisse sollen sogar das Vorhandensein eines allgemeinen Risikofaktors für Abhängigkeitsentwicklung, der familiär übertragen wird, bestätigen (BIERUT ET AL., 1998). Eine Alkoholabhängigkeit der Eltern könnte damit das Risiko jeglicher Substanzabhängigkeit erhöhen, unabhängig vom Risiko der Ausbildung einer alkoholspezifischen Abhängigkeit. Nach neueren 16

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Theoretischer Hintergrund

epidemiologischen Studien in Deutschland steigt das relative Risiko, eine Suchterkrankung zu entwickeln, für Mädchen in suchtbelasteten Familien besonders stark an (LACHNER & W ITTCHEN, 1997). Während die Söhne alkoholkranker Väter ein 2.01fach erhöhtes Risiko und die Söhne alkoholkranker Mütter ein 3.29fach erhöhtes Risiko im Vergleich zur Base-Rate unbelasteter Söhne aufweisen, betragen die Vergleichszahlen für Töchter alkoholbelasteter Väter 8.69 und alkoholbelasteter Mütter 15.94. Dieser Zusammenhang kann als homopathologisches Transmissionsrisiko, die Weitergabe der gleichen Störung auf die nächste Generation, beschrieben werden (KLEIN & ZOBEL, 2000). Wie durch verschiedene Studien belegt, ist auch das Risiko der Erkrankung an anderen psychischen Störungen (insbesondere Angststörungen, Depressionen und Persönlichkeitsstörungen) für Kinder in suchtbelasteten Familien deutlich wenn auch nicht so stark wie für Abhängigkeitserkrankungen - erhöht (VELLEMAN, 1992; CUIJPERS ET AL., 1999). Dieses Phänomen wird als heteropathologische Transmission, die Entwicklung einer andersartigen Störung in der Folgegeneration im Vergleich zur Herkunftsgeneration, beschrieben. Die Analyse einer möglichst umfassenden Anzahl von Transmissionsfaktoren ist für die Forschung nur schwer realisierbar. Da nicht alle betroffenen Kinder Störungen entwickeln, ist von differenziellen Transmissionsmustern auszugehen. Zahlreiche pathogene und protektive Mediatorvariablen können bei der Transmission auf die Kinder einen wichtigen abschwächenden oder verstärkenden Effekt haben. Indirekte Auswirkungen elterlichen Alkoholmissbrauchs auf die Entwicklung des Kindes - d. h. Schädigungen der Kinder durch die Verhaltenskonsequenzen des Alkoholmissbrauchs der Eltern - können in Form verdeckter Transmission ihre Pathogenität in der Interaktion mit Umwelt- und Familienvariablen entfalten. Entscheidend für die Analyse der Frage, in welchen Fällen es zur Transmission einer Störung kommt, ist dabei vor allem die Betrachtung der Qualität und Quantität der Exposition gegenüber den negativen Folgen der Alkoholabhängigkeit der Eltern. Auch ist bekannt, dass mütterliche Abhängigkeit im Vergleich zu väterlicher Abhängigkeit oder eine komorbide Erkrankung eines Elternteils (gleichzeitiges Vorhandensein einer Suchtdiagnose und einer weiteren psychopathologischen Diagnose) ein größeres Risiko einer späteren Suchterkrankung oder anderen psychischen Störung des Kindes in sich birgt. Als besonders belastet erweisen sich zudem diejenigen jungen Erwachsenen aus einer suchtbelasteten Familie, bei denen beide Elternteile suchtkrank waren oder bei denen ein suchtkranker Elternteil seine Abhängigkeit nicht erfolgreich bewältigen konnte (KLEIN & QUINTEN, 2002). Abhängige erwachsene Kinder von alkoholbelasteten Eltern zeichnen sich im Vergleich zu Abhängigen ohne elterliche Abhängigkeit durch folgende Merkmale aus: • • • •

einen früheren Trinkbeginn (ALFORD ET AL., 1991; KLEIN & ZOBEL, 1999; PENICK ET AL., 1978) einen früheren ersten Vollrausch (KLEIN & ZOBEL, 1999; MCKENNA & PICKENS, 1981) Entwicklung von psychosozialen Problemen durch das Trinken (FULTON & YATES, 1990; HESSELBROCK ET AL., 1982, SVANUM & MC ADOO, 1991) ein jüngeres Alter beim ersten Suchen nach therapeutischer Hilfe (ALFORD ET AL., 1991; HESSELBROCK ET AL., 1982)

Manche Studien fanden eine schwerere Form der Abhängigkeit, vermutlich aufgrund des früheren Beginns des Trinkens (KLEIN & ZOBEL, 1999; FULTON & YATES, 1990; HESSELBROCK ET AL., 1982). Allerdings ist hier die Befundlage uneindeutig, da andere Autoren (u. a. NIRENBERG ET AL., 1990) keine Gruppenunterschiede zu eruieren ver-

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mochten. ZOBEL (2000) konnte die Ergebnisse der angloamerikanischen Studien zu erwachsenen Patienten mit suchtkranken Eltern für Deutschland im Wesentlichen bestätigen: Patienten mit Eltern, die eine Alkoholabhängigkeit aufwiesen, zeigten einen früheren Beginn des Trinkens und einen insgesamt beschleunigten Verlauf der Abhängigkeit. Neben einem abhängigen Elternteil wiesen häufig weitere Verwandte, insbesondere in der väterlichen Linie, einen problematischen Umgang mit Suchtmitteln auf. Die familiäre Häufung von Alkoholismus in der Verwandtschaft von Abhängigen lässt vermuten, dass bei der Entwicklung von Alkoholabhängigkeit genetische Faktoren beteiligt sind. Ergebnisse der schwedischen Adoptionsstudien (u. a. CLONINGER ET AL., 1981) zeigen, dass das Risiko einer Abhängigkeit bei adoptierten Söhnen mit einem abhängigen Vater etwa um den Faktor 1,5 erhöht ist (22,4 % vs. 14,7 %). Familien-, Adoptions- und Zwillingsforschungen unterstützen die Annahme einer genetischen Teilverursachung der Alkoholabhängigkeit. Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die Mehrheit der Zwillings- und Adoptionsstudien den Einfluss genetischer Faktoren für das Auftreten von Alkoholismus bei Männern belegen, während das Ausmaß genetischer Einflüsse auf Alkoholismus bei Frauen noch klärungsbedürftig ist: Söhne von Alkoholabhängigen reagieren aufgrund genetischer Besonderheiten sowohl subjektiv (d. h. in ihrem eigenen Empfinden) als auch objektiv (d. h. mit physiologischen Parametern) oft anders auf Alkohol als Vergleichspersonen. Dies bedeutet ab dem Jugendalter eine Gefahr hinsichtlich der Entwicklung eines Missbrauchs- oder Abhängigkeitsmusters in Bezug auf Alkohol. Im Einzelnen ergab sich, dass sie einerseits die berauschenden Effekte des Alkohols erst bei einer höheren Konzentration wahrnahmen - also mehr trinken mussten, um den gleichen berauschenden Effekt zu spüren als Vergleichspersonen. Die später einsetzenden unangenehmen Effekte („Kater“, „Hangover“ usw.) nahmen sie ebenfalls in geringerem Maße wahr. Andererseits wurde für Söhne von Abhängigen ein erhöhter Stressdämpfungseffekt nach Alkoholkonsum nachgewiesen (LEVENSON ET AL., 1987). Dies hat zur Folge, dass Alkoholtrinken positiv erlebt wird, da es das subjektive Stresserleben verringert. KENDLER ET AL. (1992) fanden in ihrer Studie an weiblichen Zwillingen einen genetischen Einfluss auf Alkoholabhängigkeit und – missbrauch, während MCGUE ET AL. (1992) keine relevanten genetischen Bedingungsfaktoren bei weiblichen Personen finden konnten. KENDLER ET AL. (1992) konnten zeigen, dass bei 1 030 weiblichen Zwillingspaaren im Falle einer Weitergabe der Störung 51 % bis 59 % der Anfälligkeit genetische Ursachen hatte. Die genetische Vulnerabilität wurde sowohl von den Vätern als auch von den Müttern an die Töchter weitergegeben. Zwillinge nicht suchtkranker Eltern wiesen eine Quote für Alkoholabhängigkeit von 6,2 % auf, Töchter alkoholabhängiger Mütter eine Quote von 9,1 %, Töchter alkoholabhängiger Väter von 10,4 %. Auch wenn sich in dieser Untersuchung insgesamt keine höhere Transmissionsquote für Töchter, d.h. Weitergabe einer Alkoholstörung von den Eltern auf weibliche Nachkommen, finden ließ, ist die zwischen den Zwillingsschwestern im Falle einer Alkoholabhängigkeit festzustellende Co-Evolution einer Abhängigkeitserkrankung, die sich nach Meinung der Autoren am ehesten mit genetischen Ursachen erklären lässt, von Bedeutung. Welche spezifischen Umgebungsfaktoren bei der Entwicklung einer Alkoholabhängigkeit einen Beitrag leisten, ist jedoch noch nicht geklärt, obwohl umfangreiche Analysen (z. B. PICKENS ET AL., 1991; KENDLER ET AL., 1992) zum Ergebnis kamen, dass familiäre Umgebungsfaktoren für das Auftreten von Alkoholismus weniger relevant sind, wäh-

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rend individuumsspezifische Umgebungsfaktoren (z. B. kritische Lebensereignisse im Erwachsenenalter) einen den genetischen Faktoren vergleichbar starken Effekt ausüben. Bezüglich der Bedeutung familiärer Milieufaktoren liegen derzeit noch konträre Befunde aus Zwillings- und Adoptionsstudien vor. Im Gegensatz zu Zwillingsstudien verdeutlichen Adoptionsstudien die Relevanz des familiären Milieus für die Manifestation von Alkoholismus (CADORET ET AL., 1985; CUTRONA ET AL., 1994). Die Milieufaktoren wirkten sich dabei insbesondere dann als Risikofaktoren aus, wenn bei biologischen Angehörigen ersten Grads Alkoholmissbrauch festgestellt wurde. Ein interessantes, zusätzlich bemerkenswertes Ergebnis der Adoptionsstudien wird von MCGUE ET AL. (1992) berichtet: Sie fanden, dass die Kinder von Alkoholabhängigen, die zur Adoption freigegeben worden waren, signifikant häufiger Alkohol tranken, wenn ein Geschwisterkind in der Adoptivfamilie, das genetisch nicht verwandt war, starken Alkoholgebrauch zeigte. Der Effekt war am stärksten bei Geschwistern gleichen Geschlechts und annähernd gleichen Alters. Die Vorstellung einer überwiegend genetisch determinierten Vererbung von Alkoholismus ist nicht haltbar, da nur ein Teil der Nachkommen eine Abhängigkeit entwickelt. Eine Metaanalyse von Familienstudien zeigte, dass bei etwa 50 % der weiblichen und 30 % der männlichen Alkoholiker keine familiäre Belastung unter Angehörigen ersten und zweiten Grades bestand (SCHUCKIT, 1994a,b). Diese Teilgruppe von Alkoholikern ist also wahrscheinlich nicht durch genetische Faktoren beeinflusst. SCHUCKIT (1994a,b) fand, dass Risikopersonen mit reduzierter Sensitivität für Alkoholeffekte möglicherweise mehr trinken, bis eine Sättigung erreicht ist oder Selbstkontrollmechanismen greifen. Alle genetischen Studien zeigen jedoch, dass die Verursachung familial übertragenen Alkoholismus nicht durch eine einzige Variable, genetische Belastung, familiäre Umwelt oder individuumsspezifische Entwicklungsfaktoren erklärbar ist. Vielmehr liegen komplexe und sicherlich in vielen Fällen mehrfach interagierende Faktoren vor (Mediatoreffekte), die zum Verständnis und zur Erklärung der Weitergabe von Alkoholstörungen zwischen Generationen herangezogen werden müssen. Um diese Transmissions- und Nicht-Transmissionseffekte zu erklären, bedarf es komplexer, mehrdimensionaler Erklärungs- und Verstehensmodelle. Es ist, wie ZOBEL (2000) ausführt, die Vererbung einer Disposition für eine Abhängigkeit, die bei entsprechenden kritischen Umwelterfahrungen zur Entwicklung einer Alkoholabhängigkeit führt, denkbar. Im Rahmen eines allgemeinen Vulnerabilitätskonzepts ist davon auszugehen, dass verschiedene Kinder eine unterschiedliche Vulnerabilität gegenüber familiärem Alkoholismus aufweisen und dass je nach Vorhandensein konkreter Mediatoren (Verstärkungseffekte) und Moderatoren (Wechselwirkungseffekte) die individuelle Gefährdungsschwelle für bestimmte Störungen überschritten werden kann (vgl. SHER ET AL., 1991). Im Sinne einer komplexen Modelllernkultur kann sich für die betreffenden Kinder auch eine Familienidentität herausbilden, die den übermäßigen Konsum von Alkohol zur Normalität der Konfliktlösung oder gar des Alltags werden lässt. Auf diese Weise können die relativ hohen Quoten für die ab der frühen Adoleszenz einsetzenden Missbrauchs- und Abhängigkeitsprobleme bei Kindern von Alkoholikern verstanden werden (KLEIN, 2001B). Ein großer Teil der Jugendlichen und jungen Erwachsenen aus alkoholbelasteten Familien scheint somit für die Entwicklung einer eigenen Abhängigkeit gefährdet zu sein und muss als Risikogruppe für die Entwicklung von Alkoholmissbrauch und -abhängigkeit angesehen werden. Bezogen auf die Prädiktorenforschung von Alkoholabhängigkeit ist die familiäre Belastung durch Alkohol ein stabil nachgewiesener Risikofaktor.

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2.2.2 VERHALTENS- UND ERLEBENSAUFFÄLLIGKEITEN BEI KINDERN UND JUGENDLICHEN AUS ALKOHOLBELASTETEN FAMILIEN In den letzten Jahren wurden von wissenschaftlicher Seite aus vermehrt Anstrengungen unternommen, neben den in der klinischen Literatur häufig genannten Auffälligkeiten und Störungen bei Kindern und Jugendlichen aus suchtbelasteten Familien auch die salutogenetische Sichtweise mit dem Fokus auf Resilienzen und Ressourcen dieser Kinder vorzustellen und die Resultate für präventive und erzieherische Hilfeansätze nutzbar zu machen. Unter der salutogenetischen Perspektive nach ANTONOVSKY (ANTONOVSKY, 1987) wird die Entstehung und Aufrechterhaltung psychischer Gesundheit verstanden. Wenn dies unter negativen und stresshaften Umgebungsbedingungen (z.B. der Familie) geschieht, müssen so genannte Resilienzen (Kompetenzen zur Stressresistenz) vorhanden sein (W ERNER, 1986). Die folgenden Ausführungen untermauern, dass die Entwicklung von Kindern suchtkranker Eltern nur als das Ergebnis einer Interaktion komplexer pathogener und protektiver Faktoren darzustellen ist. Es werden zunächst die nach neueren Forschungsbefunden belegten psychischen Auffälligkeiten und Verhaltensstörungen, die im Kindes- und frühen Jugendalter in suchtbelasteten Familien im Vergleich zu nicht belasteten Familien besonders gehäuft auftreten können, referiert. Daran schließt sich eine Übersicht über empirische Befunde zu den in der Fachliteratur häufig genannten protektiven Umwelteinflüssen und kindlichen Resilienzfaktoren sowie den heterogenen Gefährdungsrisiken an (Kapitel 2.2.3). Ein mit zunehmendem Alter anwachsendes Risikoprofil für Kinder und Jugendliche suchtkranker Mütter oder Väter belegen eindringlich internationale Forschungsergebnisse und Erfahrungen von Fachkräften in der klinischen Versorgung. Als Folgen elterlicher Suchtmittelabhängigkeit weisen Kinder häufiger psychologisch auffällige emotionale und verhaltensbezogene Probleme sowie eine eigene Suchtstörung auf als Kinder aus nicht suchtauffälligem familiärem Umfeld. Eine eigene Untersuchung bestätigt, dass gerade bei Kindern aus Suchtfamilien ein bis zu sechsfach erhöhtes Risiko zur Ausbildung einer eigenen Abhängigkeitsentwicklung - und dies meistens sehr früh in ihrem Leben - besteht (KLEIN, 2001B, s. a. LACHNER & W ITTCHEN, 1997). Kinder suchtkranker Eltern sind somit als größte Risikogruppe für eine eigene Suchtentwicklung anzusehen. Zusätzlich fanden einige Forschungsgruppen jedoch durchgängig bei Kindern mit substanz- bzw. alkoholabhängigen Eltern erhöhte Quoten für weitere Auffälligkeiten wie Schulprobleme, kindliche Verhaltensstörungen, frühe Devianz bzw. Jugendkriminalität, psychische Störungen (Angst, Depression, Autoaggression usw.) sowie erhöhte Risiken für Unfälle, Verletzungen, Vergiftungen und Misshandlungen (sexuell, physisch, emotional). Diese Gefährdung direkter Familienangehöriger im Umfeld von Suchtstörungen ist wiederholt durch internationale Forschungsarbeiten nachgewiesen worden: Familienstudien bei Alkoholkranken zeigen in vielfältiger Weise Beziehungen von Alkoholismus der Eltern und Hyperaktivität, dissozialem Verhalten und Delinquenz, Entwicklungsstörungen, emotionalen Störungen, Lern- und Leistungsstörungen bei deren Kindern und eine mögliche Einmündung wiederum in Alkoholismus im Jugend- und Erwachsenenalter (CHRISTENSEN & BILENBERG, 2000; STEINHAUSEN, 1993; SHER, 1997). Die familiäre Situation von Kindern, die im Umfeld von Suchtstörungen aufwachsen, ist oft durch eine häusliche Atmosphäre von Instabilität, emotionaler Kälte, Willkür, unklaren Grenzen, Respektlosigkeit, mangelnder Förderung und mangelndem Interesse seitens des süchtigen Elternteils gekennzeichnet. Diese Kontextfaktoren können ungünstige biopsychosoziale Entwicklungen fördern und die Kinder unter eine

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psychische Dauerüberforderung stellen. Die Kinder sind gekennzeichnet dadurch, dass • • • • •

sie mehr intrafamilialen Streit, Konflikte und Disharmonie zwischen den Eltern bis hin zu Trennungs- und Scheidungsszenarien erleben als andere Kinder, sie extremeren Stimmungsschwankungen und Unberechenbarkeiten im Elternverhalten ausgesetzt sind, sie häufiger in Loyalitätskonflikte zwischen den Elternteilen gebracht werden, Verlässlichkeiten und Klarheiten im familiären Ablauf weniger gegeben sind sowie Versprechungen eher gebrochen werden, sie häufiger Opfer von Misshandlungen und Vernachlässigung werden (KLEIN, 2001B).

Eine elterliche Suchtstörung muss allerdings nicht notwendigerweise die Entwicklung psychischer Störungen beim Kind bedingen. In einigen Forschungsarbeiten wurde vielmehr eine erhebliche Heterogenität in der Anpassung der Kinder und Jugendlichen aus Familien mit elterlicher Alkoholabhängigkeit gefunden (BURK & SHER, 1988; D´ANDREA ET AL., 1994; ZOBEL, 1997). Die Verschiedenartigkeit der von den Eltern missbrauchten Substanzen kann zu differierenden Störungen bei den Kindern führen. Kinder drogenabhängiger Eltern erfahren häufiger eine Vernachlässigung und eine Fremdplatzierung, leiden stärker unter der Strafverfolgung der Eltern und leben häufiger mit nur einem Elternteil zusammen (STEINHAUSEN, 1993). RUTTER & PICKLES (1991) sehen vor allem eine Kumulierung mehrerer verschiedener Risikofaktoren als verantwortlich für die Ausprägung von klinischen Störungen bei den betroffenen Kindern. Die kindliche Psychopathologie wird zusätzlich negativ beeinflusst von Faktoren wie z. B. ungünstige sozioökonomische Bedingungen, familiäre Belastungen und unangemessene Modell- und Interaktionsverhaltensweisen der Eltern, manifeste psychische Auffälligkeit des Suchtmittel konsumierenden Elternteils, spezifische genetische Disposition, geringe personale und soziale Ressourcen, elterliche Komorbidität und Abhängigkeit beider Eltern. Insbesondere Kinder aus süchtigen Multiproblemkontexten weisen klinische Störungen mit höherem Schweregrad auf als andere Kinder aus Suchtfamilien. Für die Ausbildung unterschiedlicher Entwicklungsverläufe von Kindern aus suchtbelasteten Familien spielt nach ZOBEL (2000, S. 18) insbesondere eine Rolle, • • • • • • •

in welcher Entwicklungsphase des Kindes eine Chronifizierung der Abhängigkeit eintrat, ob es längere Abstinenzphasen des Elternteils gab, ob weitere Risikofaktoren wirksam wurden, wie etwa eine elterliche Komorbidität in Form einer Depression oder einer antisozialen Persönlichkeitsstörung, wie sich die Abhängigkeit auf die Eltern-Kind-Beziehung ausgewirkt hat, welche Schutzfaktoren wirksam wurden, welche kritischen Lebensereignisse eintraten und welche Lebensentscheidungen vom Kind getroffen wurden (z. B. Internalisierung eines negativen Selbstkonzepts, Übernahme von Verantwortung für andere).

Wie komplex gestört die intrafamiliale Situation beim Vorliegen einer elterlichen Suchtstörung sein kann, zeigen die neueren Studien zum Zusammenhang verschiedener widriger Faktoren in der Kindheit („adverse childhood effects“: ACEs). In einer Untersuchung zum Einfluss von Familienkonstellationen auf die psychische Entwicklung gaben 8.269 Erwachsene in den USA retrospektiv Auskunft zu ihren wichtigsten Kindheitserlebnissen (DUBE ET AL., 2001). Im Vergleich zu den Personen, die ohne alkoholbelastete Eltern aufwuchsen, hatten die Probanden mit alkoholbelasteten Eltern 2 bis 13mal höhere Werte für widrige Kindheitserfahrungen. Diese in der amerikanischen Forschung als ACEs bekannt gewordenen Lebenserfahrungen sind für Kinder suchtkranker Eltern am höchsten im Vergleich mit allen Kindern, die in widrigen Umständen aufwachsen. Die durchschnittliche Zahl von

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ACEs beträgt in dieser Studie für Personen ohne elterliche Alkoholbelastung 1.4, mit einem alkoholbelasteten Vater 2.6, mit einer alkoholbelasteten Mutter 3.2 und mit zwei alkoholbelasteten Elternteilen sogar 3.8. Um das 13fache erhöht war die Wahrscheinlichkeit, eine Mutter aufzuweisen, die körperlich misshandelt wurde, wenn ein Junge mit zwei alkoholbelasteten Elternteilen aufwuchs. Von allen widrigen Kindheitserfahrungen ergeben sich für die Kombinationen mit elterlichem Alkoholmissbrauch die stärksten Risikoerhöhungen. Bemerkenswert ist außerdem, dass sich die familialen Risikokonstellationen für Töchter und Söhne in der Regel ähnlich stark auswirken. Im Folgenden wird über die nach neueren Forschungsbefunden belegten psychischen Auffälligkeiten und Verhaltensstörungen, die im Kindes- und frühen Jugendalter in suchtbelasteten Familien im Vergleich zu nicht belasteten Familien besonders gehäuft auftreten können, berichtet. Diese Forschungsrichtung, die sich mit den Risiken des Aufwachsens in einem so genannten dysfunktionalem Familienkontext beschäftigt, steht erst seit jüngster Zeit im Fokus der Aufmerksamkeit und hat für Prävention und Frühintervention eine große Bedeutung (vgl. ZOBEL, 2000; SHER, 1991; NASTASI & DEZOLT, 1994). Die alkoholbelastete Familie ist auf Grund der großen Zahl der auftretenden Stressoren (DUBE ET AL., 2001) eines der wichtigsten und häufigsten Beispiele für dysfunktionale Familienkontexte. Alkoholembryopathie

Die Alkoholembryopathie bezeichnet eine durch Alkoholmissbrauch während der Schwangerschaft erworbene Schädigung des Embryos. Nach Schätzungen der Universitäts-Kinderklinik in Münster ist in Deutschland eins von 300 Neugeborenen hiervon betroffen (LÖSER, 1995). In Abhängigkeit von der Chronizität und Intensität des Alkoholismus der Mütter resultieren kindliche Schädigungen, die von subklinischen Formen der so genannten fetalen Alkhol-Effekte (FAE) bis zum Vollbild des Fetalen Alkoholsyndroms (FAS) reichen. Kriterien für letztgenannte Diagnose sind die intrauterine und postnatale Wachstumsverzögerung, ein Mikrozephalus, die Beeinträchtigung der geistigen Entwicklung sowie ein typisches Erscheinungsbild aufgrund der kraniofazialen Dysmorphie und anderer Missbildungen (STEINHAUSEN, 1993). Psychopathologisch dominieren Hyperaktivität mit Aufmerksamkeitsdefiziten, Sprechund Sprachstörungen in Form von Dyslalien und Stottern, Ess- und Schlafstörungen, Stereotypien, Hörstörungen sowie Beziehungsprobleme und Phobien. Kinder mit Verdacht auf Vorliegen einer Alkoholembryopathie bedürfen einer sorgfältigen Entwicklungsdiagnostik, um alle Möglichkeiten einer Frühbehandlung primär mit funktionellen Therapieformen ausschöpfen zu können. Angst und Depression

Mehrere Studien berichten über Symptome von Angst und Depression bei Kindern und Jugendlichen aus alkoholbelasteten Familien (CHASSIN ET AL., 1991; PUTTLER ET AL., 1998; W HIPPLE & NOBLE, 1991). Die Ursachen für kindliches ängstliches und depressives Verhalten können dabei auf die starke Zerrüttung der Familie als Folge der Suchterkrankung zurückgeführt werden, ebenso auf eine eventuell vorhandene psychopathologische Komorbidität beim trinkenden Elternteil (HILL & HRUSKA, 1992). Lebt der abhängige Elternteil abstinent, so zeigen die Kinder längerfristig kaum noch auffälliges Verhalten (CHASSIN ET AL., 1991). Offenbar ist für die Entwicklung von af-

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fektiven Störungen bei den Kindern neben dem problematischen Trinken eines Elternteils die häusliche Atmosphäre entscheidend. Kinder und Jugendliche aus alkoholbelasteten Familien wiesen eine größere psychische Beeinträchtigung auf, wenn die familiäre Umgebung zusätzlich als dysfunktional empfunden wurde (RUBIO-STIPEC ET AL., 1991). LACHNER & W ITTCHEN (1997) erforschten komorbide psychische Störungen bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen aus Familien, in denen für ein Elternteil oder beide Eltern eine Diagnose für Substanzmissbrauch oder -abhängigkeit vorlag. Gefunden wurden erhöhte Risiken für phobische Störungen, depressive Episoden, manische oder hypomanische Episoden, Panikattacken, Essstörungen, Drogenmissbrauch, Drogenabhängigkeit, Panikstörungen, posttraumatische Belastungsstörungen und generalisierte Angststörungen. Generell zeigte sich jeweils die höchste komorbide Belastung, wenn für beide Eltern eine DSM-IV Diagnose für Substanzmissbrauch- oder -abhängigkeit vorlag.

Hyperaktivität und Aufmerksamkeitsstörungen

Wie eine Reihe von Studien aufzeigt, weisen Kinder und Jugendliche aus alkoholbelasteten Familien vermehrt geringere Aufmerksamkeitsspannen, stärkere Impulsivität und Hyperaktivität auf (BENNETT ET AL., 1988; CARBONNEAU ET AL., 1998). Kennzeichen der Aufmerksamkeitsstörung mit Hyperaktivität (Attention Deficit Hyperactivity Disorder, ADHD) sind nach dem gängigen Diagnosesystem ICD-10 ein Mangel an Ausdauer bei Beschäftigungen, die einen kognitiven Einsatz verlangen sowie die Tendenz, zwischen mehreren Tätigkeiten hin und her zu wechseln. Die Beziehung der Kinder zu Erwachsenen ist oft distanzlos, im Kontakt zu Gleichaltrigen sind sie eher isoliert. Kinder mit ADHD-Syndrom weisen zudem häufig Leseschwierigkeiten und schulische Probleme auf. Jungen sind von dieser Störung häufiger betroffen als Mädchen (DILLING ET AL., 1993). Aufmerksamkeitsstörungen mit Hyperaktivität gelten als bedeutsamer Risikofaktor für die Entwicklung einer Suchterkrankung, da eine manifeste Abhängigkeit von Alkohol- und Drogenmissbrauch beschleunigt und die Remission von Abhängigkeitserkrankungen verzögert wird (W ILENS, 1998). Manche Autoren (SHER, 1991; ZOBEL, 2000) geben zu bedenken, dass aufgrund methodischer Mängel einzelner Studien von einem linearen Zusammenhang zwischen elterlichem Trinken und kindlichen Symptomen von ADHD abgesehen werden müsse. Schulverhalten und –leistungen und kognitive Funktionsstörungen

Hinsichtlich eines Zusammenhangs zwischen dem Risikofaktor Elternkonsum und schlechten Schulleistungen und Verhalten in der Schulklasse bei den Kindern gibt es differenzierte Ergebnisse. Jugendliche mit trinkendem Elternteil berichten über mehr Fehlzeiten als ihre Mitschüler, haben nach Einschätzung der Lehrer häufiger Schwierigkeiten im verbalen Ausdruck und erleben aufgrund der häuslichen Belastungssituation mehr Umzüge und Schulwechsel. Die Schulproblematik kann so teilweise mehr mit den äußeren Bedingungen im Elternhaus zusammenhängen als mit der Abhängigkeit des Elternteils an sich (KNOP ET AL., 1985). Eine Reihe von Studien berichtet keine Abweichungen der Schulleistungen und des schulischen Betragens der Risikoprobanden von der Durchschnittsnorm. ZOBEL (2000) kommt deshalb zum Schluss, dass Kinder und Jugendliche aus alkoholbelasteten Familien in vielen Fällen trotz schwieriger Rahmenbedingungen gute bis durchschnittliche schulische Leistungen

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Theoretischer Hintergrund

erbringen. Ein auffälliges Schulverhalten weist oft auf weitere Probleme hin, wie BARNES & W ELTE (1986) zeigen konnten: Das Auftreten von Anpassungsproblemen in der Schule erwies sich als ein starker Indikator für die Höhe des Alkoholkonsums bei Schülern. Diejenigen Schüler, die schlechtere Schulleistungen zeigten, tranken gleichzeitig auch mehr Alkohol. Ergebnisse der Studien von CHASSIN ET AL. (1988) unterstützen diese Befunde, denn als Resultat ihrer Untersuchungen ergab sich u. a., dass schlechte Noten im Zusammenhang mit negativen Lebensereignissen und familiärer Suchtproblematik bei Jugendlichen die besten Prädiktoren für eigenen Alkoholkonsum waren. Eine Reihe von Studien kommt zu Ergebnissen, wonach Kinder und Jugendliche aus alkoholbelasteten Familien gegenüber Kontrollprobanden Auffälligkeiten bei sprachlichen Fähigkeiten zeigen (BENNETT ET AL., 1988; PUTTLER ET AL., 1998). Hierbei hatten Kinder alkoholbelasteter Eltern konsistent schlechtere Werte als Kinder aus nicht suchtbelasteten Familien (BENNETT ET AL., 1988). Bei einigen Risikosubgruppen (z. B. Kindern mit Alkoholembryopathie) wurden deutliche Auffälligkeiten in Hinsicht auf verschiedene kognitive Leistungen (insbesondere Problemlösen, logisches und abstraktes Denken, Gedächtnis, Lernen, visumotorische Leistungsgeschwindigkeit, allgemein frontalhirngesteuerte kognitive Leistungen) im Kindes-, Jugend- und Erwachsenenalter deutlich (TARTER ET AL., 1984). Bei der Messung des Schulerfolgs für Mädchen (Durchschnittsalter 13,7 Jahre) und Jungen (Durchschnittsalter 14,4 Jahre) ergab sich in einer empirischen Studie von MURPHY ET AL. (1991), dass sich Mädchen aus suchtbelasteten Familien häufiger als Jungen durch herausragende Schulleistungen auszeichneten. Die Autoren vermuten daher, dass überdurchschnittliche Schulleistungen einen eher mädchenspezifischen Versuch zur Kompensation des familiären Stresses darstellen. Misshandlung, Vernachlässigung und Gewalterfahrungen

Befunde einer Vielzahl von Studien mit überwiegend klinischen oder forensischen Stichproben lassen die Schlussfolgerung zu, dass Kinder in alkoholbelasteten Elternhäusern eher als andere Kinder Missbrauch und Vernachlässigung erfahren (MCGAHA & LEONI, 1995; SHERIDAN, 1995). Die Dunkelziffer der Gewalttaten unter Alkoholeinfluss, die sich in Familien ereignen, ist nicht bekannt. Die Untersuchungen zur familiären Gewalt unterstreichen die wichtige Bedeutung des Alkoholtrinkens durch die Väter und Ehemänner. Diesbezügliche Studien (LEONHARD & JACOB, 1988) kommen zusammenfassend zu dem Ergebnis, dass Alkoholisierungsquoten von 60 % bis 80 % für Männer, die ihre Frauen schlagen, aufzufinden sind. Außerdem seien es nur bestimmte Alkoholkonsumenten und Alkoholabhängige, die unter Alkoholeinfluss ihre Frauen schlügen, während andere dies gar nicht oder nur im nüchternen Zustand täten. Andererseits betonen viele Autoren die - auch im Bereich der familialen Gewalt zu findenden - hohen Quoten für Alkoholintoxikationen der Opfer. Neuere Studien weisen außerdem daraufhin, dass Frauen, die alkoholabhängig sind, einem größeren Risiko unterliegen, Gewaltopfer zu werden als andere Frauen. Leider liegen zu differenziellen geschlechtsspezifischen Zusammenhängen wenig brauchbare empirische Untersuchungen vor. Meistens konzentrieren sich die vorliegenden Studien ganz oder fast ganz auf männliche Trinker (KLEIN, 2000; PERNANEN, 1991).

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KAPITEL 2

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SHER ET AL. (1997) untersuchten Studenten mit und ohne elterliche Alkoholabhängigkeit mittels des selbst entwickelten „Childhood Life Events Interview“ (CLE), das 50 Fragen zu signifikanten Lebensereignissen umfasst, darunter neun zu sexuellen Übergriffen. Gefunden wurden hier stabile Zusammenhänge zwischen dem Risikostatus, Kind eines alkoholabhängigen Elternteils zu sein, und sexuellen Übergriffen in Kindheit und Jugend. Eine nationale Studie in den USA (W ILSNACK ET AL., 1997) berichtet von Frauen mit Erfahrung des sexuellen Missbrauchs vor dem 18. Lebensjahr, die im Erwachsenenalter deutlich öfter als Kontrollpersonen ein problematisches und missbräuchliches Trinkverhalten entwickeln, öfter illegale Drogen konsumieren und häufiger depressive Episoden oder Angstsymptome angeben. Eine eigene Untersuchung kam u. a. zu dem Ergebnis, dass körperliche Gewalterfahrungen bei Personen mit elterlicher Abhängigkeit etwa dreimal häufiger (32,5 %) berichtet werden als bei Personen ohne elterliche Abhängigkeit (9,1 %) (KLEIN & ZOBEL, 1999). Somatische und psychosomatische Probleme

Die Interpretation der Befundlage der Studien, die sich mit somatischen Problemen bei Kindern und Jugendlichen aus suchtbelasteten Familien auseinandersetzen, wird dadurch erschwert, dass die einzelnen Studien andere Einflussgrößen neben der elterlichen Alkoholabhängigkeit wie Arbeitslosigkeit, Scheidung und Konflikte außer Acht lassen. Allerdings kommen W EST & PRINZ (1987) zu dem Schluss, dass offenbar für risikobelastete Mädchen und Frauen eine Tendenz zur Somatisierung besteht. So belegt eine Studie von ROBERTS & BRENT (1982), dass weibliche Personen mit elterlicher Abhängigkeit signifikant häufiger einen Arzt aufsuchen und bei ihnen signifikant mehr Störungen diagnostiziert wurden als bei Patientinnen ohne elterliche Alkoholprobleme. Kinder und Jugendliche alkoholmissbrauchender Eltern zeigen häufiger psychosomatische Störungen als Kontrollkinder (STEINHAUSEN ET AL., 1982). In Selbstaussagen Jugendlicher, die von elterlichem Alkoholmissbrauch betroffen waren, fanden CHANDY ET AL. (1994) signifikant öfter Symptome von gestörtem Essverhalten als in der Vergleichsstichprobe. Der Zusammenhang zwischen familialem Alkoholismus und Essstörungen, insbesondere bei Töchtern, ist noch weiter aufzuhellen. Essstörungen stellen jedoch eine potenzielle Entwicklungsgefahr, gerade für Töchter alkoholkranker Eltern, dar. Persönlichkeitsmerkmale: Selbstwirksamkeit, Emotionalität und die „Big Five1“

Kinder von Alkoholikern können ab der Adoleszenz durch niedrigere Werte in den Bereichen Selbstwirksamkeit, positives Selbstkonzept und Selbstwert auffallen (NASTASI & DEZOLT, 1994). Des Weiteren ergeben sich geringere Werte für positive Selbstakzeptanz und positives Selbstbild, andererseits fanden sich höhere Werte für Selbstkritik und Selbstmissbilligung, stärkere Bedürfnisse zur Kontrolle interner und externer Ereignisse und eine niedrigere Einschätzung des persönlichen sozialen Einflusses. In persönlichkeitspsychologischen Untersuchungen ließen sich wiederholt höhere Neurotizismuswerte für Kinder aus alkoholbelasteten Familien im Vergleich zu Kontrollpersonen feststellen (Z. B. FINN & PIHL, 1987). Insbesondere in den Bereichen Ärgerverarbeitung und Ängstlichkeit unterschieden sich Kinder aus alkoholbelasteten Familien von Kindern aus nicht auffälligen Familien. BENNETT ET AL. (1988) 1

„Big five“ ist das in der Persönlichkeitspsychologie vorherrschende Modell der Aufteilung von Persönlichkeitseigenschaften auf fünf Faktoren.

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KAPITEL 2

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fanden in einer Untersuchung, dass die Kinder aus alkoholbelasteten Familien signifikant mehr emotionale Störungen als die Vergleichsstichprobe zeigten, wobei die absoluten Werte in beiden Gruppen eher gering waren (1,2 vs. 0,6 auf einer vierstufigen Ratingskala). Die Autoren weisen ausdrücklich daraufhin, dass diese Unterschiede trotz der statistischen Signifikanz im klinisch normalen Rahmen liegen und dass die Kinder in beiden Gruppen insgesamt keine starken Auffälligkeiten zeigten. Die Debatte um einen möglichen Zusammenhang zwischen prämorbiden Persönlichkeitseigenschaften und der späteren Entwicklung einer Alkoholabhängigkeit hat sich bisher insbesondere im Bereich der Altersgruppe der Erwachsenen abgespielt. Dabei zeigte sich, dass eine große Anzahl von Persönlichkeitseigenschaften, die eine klinische Gruppe von Alkoholabhängigen typischerweise charakterisieren („clinical alcoholic personality“; MARTIN & SHER, 1994, S. 81), eher als Konsequenzen der Abhängigkeit, denn als sie prädisponierende Faktoren („prealcoholic personality“) zu verstehen sind (vgl. SHER, 1991). In der letzten Zeit hat sich im Forschungsbereich das so genannte Fünf-Faktoren Modell der Persönlichkeit („big five“) zunehmend als ein integrierendes Konzept zum Verständnis und zur Erfassung grundlegender Persönlichkeitseigenschaften etabliert (COSTA & MCCRAE, 1990). MARTIN & SHER (1994) berichten über eine Studie, in der eine Gruppe von jungen Erwachsenen mit einer alkoholbelasteten Familiengeschichte hinsichtlich der fünf Persönlichkeitsfaktoren: I) Extraversion, II) Verträglichkeit, III) Gewissenhaftigkeit, IV) Neurotizismus und V) Offenheit für Erfahrungen im Vergleich zu einer Kontrollgruppe untersucht wurden (mittleres Alter von 21,3 Jahren). Im Rahmen einer Langzeitstudie füllten die CollegeStudenten den NEO-FFI (COSTA & MCCRAE, 1989), ein Instrument mit 60 Items zur Erfassung der fünf Persönlichkeitsfaktoren, aus und wurden anhand eines strukturierten diagnostischen Interviews (DIS-III-R, ROBINS ET AL., 1989; zit. n. MARTIN & SHER, 1994) bezüglich zwölf psychopathologischer Kategorien, u. a. Alkoholabhängigkeit und -missbrauch, eingestuft. Die Versuchspersonen wurden hinsichtlich der Familiengeschichte in eine Risikogruppe (Alkoholismus bei biologischen Verwandten ersten oder zweiten Grades bekannt) und eine Kontrollgruppe ohne alkoholbelastete Familiengeschichte eingeteilt. Eine multivariate Varianzanalyse ergab, dass die Personen aus der Hochrisikogruppe im NEO-FFI im Vergleich zur Kontrollgruppe höhere Werte bei Offenheit für Erfahrungen angaben, hingegen niedrigere Werte für Gewissenhaftigkeit und Verträglichkeit. Diese Ergebnisse weisen auf einen Verhaltensstil hin, der insgesamt für die Gruppe der KvA kennzeichnend ist, nämlich das Merkmal erhöhter Unbeherrschtheit und Frustrationsintoleranz, international als behavioral undercontrol (SHER, 1991) bekannt. Die anhand verschiedener Verfahren erhobenen Persönlichkeitsmerkmale, die den wenig kontrollierten Verhaltensstil ausmachen, weisen auf hohe Rebellions- und Impulsivitätswerte hin. Soziale Interaktionsprobleme

In einer Studie von SLAVKIN ET AL. (1992) zeigte sich hinsichtlich interpersoneller Problemlösekompetenz in zwischenmenschlichen Stress- und Problemsituationen, dass die Kinder von Eltern, die problematisch Alkohol konsumieren, effektivere, zusätzlich aber auch weniger Lösungen für interpersonelle Problemsituationen benennen konnten als Kinder einer Vergleichsgruppe. Vom elterlichen Alkoholismus betroffene Kinder verwenden in der Regel mehr indirekte Problemlösestrategien (z. B. solche, um dem Interaktionspartner ein besseres Gefühl zu vermitteln oder ihn in eine bessere Stimmung zu versetzen, anstatt eigene Bedürfnisse anzumelden oder Prob-

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KAPITEL 2

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leme direkt anzusprechen) als Vergleichskinder (BALLARD & CUMMINGS, 1990). Es werden hierbei eher emotional orientierte als problemorientierte interpersonelle Verhaltensweisen benutzt, um Konflikte zu regulieren (CLAIR & GENEST, 1987). Als Ergebnis einer weiteren Studie konnte im Bereich sozialer Interaktionsfähigkeiten eine deutlich verminderte soziale Interaktionskompetenz für Kinder Suchtkranker nachgewiesen werden (CALDER & KOSTYNIUK, 1989): 62 Kinder von Alkoholikern im Alter zwischen sechs und sechzehn Jahren zeigten weniger sozial kompetentes Verhalten und weniger Erfolg in der Beziehungsgestaltung zu Gleichaltrigen als Kinder aus nicht auffälligen Familien. Störung des Sozialverhaltens und mangelnde Verhaltenskontrolle

Externalisierende Störungen bei Kindern und Jugendlichen (z.B. Störungen des Sozialverhaltens, Aggressivität, Konzentrationsstörungen, Hyperaktivität) zeichnen sich dadurch aus, dass sie von der Umwelt als störend empfunden werden. Sie stellen stabile Prädiktoren für späteren Alkohol- und Drogenkonsum dar (KRATZER & HODGINS, 1997). Söhne von Alkoholabhängigen zeigen in der Schule mehr externalisierende Störungen in Form oppositionellen und körperlich aggressiven Verhaltens als ihre Mitschüler (CARBONNEAU ET AL., 1998). Diese und weitere Studien belegen einen Zusammenhang zwischen der elterlichen Alkoholabhängigkeit und externalisierenden Störungen bei den Kindern (LYNSKEY ET AL., 1994; MARKOWITZ & CRAIG, 1992; W EST & PRINZ, 1987). CHASSIN ET AL. (1991) fanden in diesem Zusammenhang, dass eine komorbide antisoziale Persönlichkeitsstörung beim Abhängigen oft eher die Ursache für auffälliges Verhalten bei Kindern sein kann als die Alkoholabhängigkeit an sich. Die meisten Studien zu Kindern aus suchtbelasteten Familien belegen Probleme im Bereich ausreichender Verhaltenskontrolle (behavioral undercontrol; s. o., VGL. SHER, 1991). Vor allem für Persönlichkeitsmerkmale wie Impulsivität, Aggressivität, Risikofreude und Sensationssuche wurden erhöhte Werte für Kinder von substanzmissbrauchenden Eltern gefunden. Für jüngere männliche KvA ließ sich außerdem eine stärkere Tendenz zu antisozialem Verhalten feststellen (ALTERMAN ET AL., 1986). Als differenzieller Effekt zeigte sich, dass mangelhafte Verhaltenskontrolle meist nur auftrat, wenn die Eltern selbst neben Alkoholismus auch eine Störung der Verhaltenskontrolle aufwiesen (z. B. Impulsivitätsstörung, antisoziales Verhalten). Auch andere Studien erbrachten, dass externalisierende Störungen wie z. B. Aggression und Delinquenz bei Kindern aus suchtbelasteten Elternhäusern nur dann transgenerational weitergegeben wurden, wenn bei den Eltern komorbide Störungen in diesem Bereich (z. B. antisoziale Persönlichkeitsstörung) vorlagen (CHASSIN ET AL., 1991). Weiterhin erwähnenswert ist, dass innerhalb der Gruppe der durch elterliche Sucht betroffenen Kinder diejenigen ein erhöhtes Risiko für eine eigene spätere Suchterkrankung aufweisen, die im Kindesalter selber Probleme mit der Verhaltenskontrolle hatten (W ERNER, 1986). In der ätiologischen Suchtforschung hat sich die mangelnde Verhaltenskontrolle per se als ein Risikofaktor erwiesen - gleichgültig ob die betreffenden Personen eine positive Familiengeschichte in Bezug auf Suchterkrankungen haben oder nicht.

Gebrauch von psychotropen Substanzen

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KAPITEL 2

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Die erhöhte Gefährdung von KvA, eine eigene Alkoholproblematik zu entwickeln bzw. früh in den Konsum einzusteigen, wurde bereits in Kapitel 2.2.1 beschrieben. Insbesondere der frühe Einstieg in Tabak- und Alkoholgebrauch von 10- bis 12jährigen Jungen lässt sich aus dem Suchtverhalten der Väter gut vorhersagen. In einer entsprechenden Untersuchung (CLARK ET AL., 1998) mit 102 Söhnen von Vätern mit einer diagnostizierten substanzbezogenen Störung und 166 Kontrollprobanden wurde gefunden, dass frühes Probieren von Tabak und früher regelmäßiger Alkoholgebrauch bei den belasteten Söhnen häufiger stattfand als bei den Kontrollprobanden. Bezogen auf komorbide psychische Störungen der Jungen waren Störungen mit oppositionellem Trotzverhalten und die Abwesenheit von Angststörungen die wichtigsten Prognosevariablen für frühen Tabakgebrauch. Ebenso zeigten frühe externalisierende Verhaltensstörungen einen deutlichen Zusammenhang mit regelmäßigem Alkoholgebrauch in der Kindheit. Früher Tabakgebrauch und Verhaltensauffälligkeiten wiederum standen in Zusammenhang mit Cannabisgebrauch. In einer eigenen Studie (KLEIN, 2002) an mehr als 6000 Schülerinnen und Schülern in Nordrhein-Westfalen gab mehr als ein Drittel der Befragten (39,8 %, N=1776), an, aus Elternhäusern zu stammen, in denen mindestens ein Elternteil Tabak konsumiert. 465 Schüler/innen (10,4 %) bejahten die Frage, ob sie sich jemals gewünscht hätten, dass ein Elternteil oder beide weniger Alkohol trinke/trinken. Für 192 Jugendliche stellte das Alkoholtrinken von Mutter und/oder Vater ein Problem dar. Unter diesen Jugendlichen, die einen problematischen Alkoholkonsum ihrer Eltern berichteten, fanden sich mehr als doppelt so viele regelmäßig rauchende Personen als bei Jugendlichen aus unbelasteten Familien (21,7 % vs. 11,2 %). Weitere Analysen zeigten, dass die Anzahl der regelmäßig rauchenden Jugendlichen in Familien, in denen sich die Jugendlichen eine Reduktion des elterlichen Alkoholkonsums wünschten (22 %), im Vergleich zu Jugendlichen, die über keine elterliche Alkoholbelastung berichteten (14 %), signifikant erhöht war. Dies ist ein aktuelles, bislang wenig diskutiertes Ergebnis. Überraschenderweise berichteten Kinder von nichtrauchenden Eltern in tendenziell höherem Maße (17 %) von eigenem regelmäßigen Konsum als Kinder, die sich eine Reduktion des Tabakkonsums ihrer Eltern wünschten (12 %). Als eine wichtige psychologisch kognitive Variable in der Ätiologie von Alkoholismus werden Erwartungen angesehen, die an die Wirkung von Alkohol auf das eigene Erleben und Verhalten gestellt werden. Diese kognitiven Bewertungsprozesse können auch die kulturellen Unterschiede in der Wirkung von alkoholischen Getränken, die von aggressivem bis freundlichem „flower power“-Verhalten reichen, erklärt werden (W IERS, 1998, S. 3). Die pharmakologische Wirkung von Alkohol unterliegt in ihrem Ausdruck im individuellen Verhalten demnach dem Glauben und den Erwartungen an die Wirkung von Alkohol. Diese sogenannten Wirkungserwartungen stellen aussagekräftige Prädiktoren von Alkoholkonsum dar. Verschiedene Forschungsergebnisse belegen, dass Alkoholerwartungen direkt mit aktuellem Alkoholkonsum assoziiert sind (W IERS, 1998). Im Vergleich einer Gruppe von KvA mit einer Kontrollstichprobe in einer Querschnittsstudie zeigte sich, dass KvA im Grundschulalter negativere Erwartungen an Alkohol angaben als die Kontrollgruppe. Die Autoren interpretieren dies als eine Form von aversivem Modelllernen durch die trinkenden Eltern. Im Jugendalter mit Beginn des eigenen Alkoholkonsums lagen die positiven Erwartungen bei den KvA höher als bei der Kontrollgruppe, laut Interpretation der Autoren vor dem Hintergrund einer positiveren Reaktion auf Alkohol (W IERS ET AL., 1998).

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KAPITEL 2

Theoretischer Hintergrund

Wie RIEMANN & GERBER (2000) feststellen, handelt es sich bei der Analyse der Motive des Rauchens auch nach 20 Jahren Grundlagenforschung um ein schwieriges Gebiet, auf dem verschiedenste Disziplinen verschiedene Ansätze erarbeitet haben, mit denen das Rauchen erklärt werden soll. Der Zusammenhang zwischen elterlichem Alkoholkonsum und jugendlichem Rauchen ist wie bereits erwähnt zur Zeit noch nicht klar beschreibbar. Rollenmodelle

Für Kinder, die in suchtbelasteten Familien aufwachsen, sind von mehreren Autoren charakteristische Interaktionsmuster und Anpassungsmechanismen in Form von Rollenmodellen beschrieben worden. Beispielsweise bei ZOBEL (2000) und auch bei EHRENFRIED ET AL. (1998) finden sich detaillierte Übersichten der verschiedenen Rollen-Systematiken. Diese gehen zurück auf Rollenmodelle nach BLACK (1988) und W EGSCHEIDER (1988; für ausführliche Beschreibungen s. auch Anhang 1). Nach diesen Modellen sind Kinder alkoholabhängiger Eltern gefährdet, bestimmte Rollen in fixierter und rigider Form zu lernen und auszuführen, so dass sie selbst im Erwachsenenalter noch dysfunktionales Rollenverhalten zeigen können. Die Rollen werden in ihrem Ursprung als Anpassungs- und Bewältigungsleistungen an die familiäre Stresssituation verstanden. Im Unterschied zu anderen Kindern und Jugendlichen wird die Rigidität und mangelnde Flexibilität des Rollenverhaltens als charakteristische Eigenschaft der Kinder aus dysfunktionalen Familien, wie vor allem KvA, gesehen (W EGSCHEIDER, 1988). Die wichtigsten Rollen für KvA aus den klinischen Kasuistiken in Kürze: Die Rolle des Familienhelden übernimmt typischerweise das älteste Kind, wobei diese Rolle am stärksten durch die Geschwisterposition bestimmt wird (EHRENFRIED ET AL., 2001). Ein Kind, welches diese Position einnimmt, weiß seine intellektuellen Fähigkeiten einzusetzen, erbringt schulische und/oder sportliche Leistungen und erntet für sein frühes Streben nach Verantwortung und Selbstständigkeit Lob. W EGSCHEIDER beschreibt für zweitgeborene Kinder die Übernahme der Rolle des Sündenbocks (auch schwarzes Schaf genannt). Dieses Kind zeigt sich als eine Art Gegenpol zum „Helden“, wird als rebellisch und auflehnend erlebt, zieht sich aus dem Familienverband zurück und kann mit Schulschwierigkeiten, Delinquenz, Drogen- und Alkoholproblemen zum aufmerksamkeitserregenden und von den elterlichen Problemen ablenkenden „Problemkind“ werden. Verlorene Kinder, oft die als dritte in der Geschwisterposition stehenden Kinder, ziehen sich einzelgängerisch in ihre eigene Welt zurück. Mit diesem Rückzugsverhalten auch in Bezug auf Konflikte und Widerstände gegenüber den Eltern sorgen sie für eine Entlastung der Familie und erfahren geringe Aufmerksamkeit. Das jüngste Kind kann die Rolle des Clowns oder Maskottchens übernehmen und durch seine extrovertierte, aktive und lustige Art auffallen. Typischerweise wird dieses Kind von den älteren Geschwistern vor den Familienvorkommnissen geschützt, hat somit kein Wissen über die Vorgänge in der Familie, erfährt aber dennoch oft den latenten Familienstress, verbunden mit einem unguten Gefühl von Angst. Die freundliche und humorvolle Art des Clowns sorgt innerhalb der Familie für Ablenkung von den alkoholbezogenen Problemen.

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KAPITEL 2

Theoretischer Hintergrund

Als Friedensstifter (BLACK, 1988) werden Kinder bezeichnet, die oft die Rolle des verständnisvollen und einfühlsamen Zuhörers und Helfers einnehmen. In der Regel haben sie keinen Kontakt zu eigenen Bedürfnissen und kümmern sich vermehrt um das Wohlergehen anderer Personen, eine Tendenz die häufig in der Ergreifung eines helfenden Berufs im Erwachsenenalter fortgesetzt wird. Ein Kind mit der Rolle des Übererwachsenen (ACKERMAN, 1987; ZIT. N. ZOBEL, 2000, dort ZIT. N. W INKELMANN, 1990) tritt extrem ernsthaft, kontrolliert, durchdacht und selbstkritisch auf, reagiert wenig spontan und kaum gefühlsbetont, und wirkt somit insgesamt „zu erwachsen“ für sein Lebensalter. Ein Kind in der Rolle des Distanzierten (ACKERMAN, 1987; ZIT. N. ZOBEL 2000, dort ZIT. N. W INKELMANN, 1990) tritt nach außen hin unangreifbar auf, hält Distanz zu Mitmenschen, wobei keine Gefühle gezeigt werden, aber auch keine Konflikte ausgestanden werden. Eine eigene Studie (KLEIN, 1998) ergab, dass von erwachsenen alkoholabhängigen Kindern von Alkoholikern zusätzlich noch die Rolle des kranken Kindes benannt wurde. Dies spiegelt die Erfahrung, dass Aufmerksamkeit durch die alkoholbelasteten Eltern nur dann garantiert war, wenn man als Kind Zeichen einer körperlichen Erkrankung zeigte. ZOBEL (2000) betont die ambivalente „janusköpfige Funktion“ (S. 32) der Rollenübernahme. Einerseits stellt sie eine Anpassungsleistung an ein dysfunktionales Umfeld in der Kindheit dar, andererseits ergeben sich durch unreflektiert ins Erwachsenenalter übernommene Rollenstrukturen oft Anpassungsschwierigkeiten. Wissenschaftliche Studien haben bisher zeigen können, dass die Grundannahmen der Rollenmodelle für Jugendliche zuzutreffen scheinen (DEVINE & BRAITHWAITE, 1993).

Co-Abhängigkeit

Co-Abhängigkeit bezeichnet nach FENGLER (1994) Haltungen und Verhaltensweisen von Personen, die durch Tun und Unterlassen dazu beitragen, dass der süchtige oder suchtgefährdete Mensch süchtig oder suchtgefährdet bleiben kann. CERMAK (1991) sieht Co-Abhängigkeit als ein Muster von Persönlichkeitseigenschaften an, die sich auf der Basis mangelnden Selbstbezugs und Selbstwerts komplementär und damit optimal zu Suchtstörungen mit ihrem hohen Ausmaß an selbstbezogenen Symptomen ergänzen. In manchen Arbeiten zur Interaktion in suchtbelasteten Familien kristallisierte sich auch das Bild des „Zuhelfers“ (enabler) heraus, einer Person, die – meist unbewusst – durch ungeeignete Verhaltensweisen vor dem Hintergrund eigener Defizite das Leiden des Suchtkranken weiter verlängert. Entsprechende Verhaltensweisen, die das Trinken des Suchtkranken erleichtern oder verstärken können, sind: a) mit dem Partner zusammen trinken, b) über sein süchtiges Trinken hinwegsehen, es ignorieren oder so tun, als verhalte er sich normal, c) die negativen Konsequenzen seines Trinkens rechtfertigen (z. B. in Form von Entschuldigungen beim Arbeitgeber oder gegenüber den Kindern und Nachbarn), d) den süchtigen Partner vor Kritik und Konfrontation schützen (z. B. sich mit der eigenen Kritik zurückhalten oder ihn vor Nachbarn und Kollegen abschirmen).

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KAPITEL 2

Theoretischer Hintergrund

In jüngerer Zeit wurden in amerikanischen Veröffentlichungen auch die KvA unter Anwendung des Konzepts der Co-Abhängigkeit betrachtet (vgl. ZOBEL, 2000). Insbesondere der Rolle des Helden wird dort ein stark co-abhängiges Verhalten zugeschrieben. Während die empirische Bestätigung des Konzepts für Erwachsene aufgrund der vorliegenden Studien noch nicht eindeutig ist (vgl. ZOBEL, 2000), liegen für die Altersgruppe der Kinder und Jugendlichen und deren co-abhängige Verhaltensweisen oder Persönlichkeitsmerkmale bisher im deutschen Raum gar keine Studien vor. Da die große Heterogenität der Gruppe der Angehörigen von Alkoholkranken bislang zu wenig erfolgreich in Form empirisch abgesicherter Subtypen erfasst wurde, konnten noch keine verlässlichen Subgruppen von Angehörigenverhaltensweisen festgestellt werden. Entsprechend ist das Konzept „Co-Abhängigkeit“ nicht verlässlich diagnostizierbar. Das Co-Abhängigkeitskonzept ist daher als wissenschaftliche Kategorie anzusehen, die überwiegend nur heuristischen und klinischen Wert besitzt. Es erscheint insgesamt eher plausibel, dass Co-Abhängigkeit ein Muster unterschiedlicher Interaktionsverhaltensweisen und Persönlichkeitseigenschaften darstellt, die sich zu jeweils unterschiedlichen Mustern suchtkranken Verhaltens in optimaler Weise ergänzen, so dass kontinuierliche und stabile Interaktionssequenzen entstehen. Die Partnerinnen von alkoholabhängigen Männern weisen demnach häufiger Folgesymptome typischer Stresssituationen (affektive Störungen, Ängste) auf, als dass sie prämorbide Störungen (Persönlichkeitsstörungen) aufweisen. Außerdem bemerkenswert ist, dass sie in etwa 45 % aller Fälle alkoholabhängige Väter hatten (SCHUCKIT ET AL., 1994A). 2.2.3 RISIKO- UND SCHUTZFAKTOREN Die mit der elterlichen Alkoholabhängigkeit assoziierten Beeinträchtigungen entspringen einem komplexen Gefüge miteinander interagierender Risiko- und Schutzfaktoren, die in der Person des Kindes und seiner Umwelt anzutreffen sind. Diese Faktoren werden in dem folgenden Kapitel genauer erörtert. Dabei erscheint es wichtig, dem gängigen Störungsmodell (damage modell, W OLIN & W OLIN, 1996), das Kinder aus dysfunktionalen Familien in erster Linie als auffällig und behandlungsbedürftig ansieht, den so genannten Resilienz- und Stressresistenzansatz gegenüber zu stellen. Diesem ressourcenorientierten Ansatz, der die Möglichkeiten positiver Entwicklungen einbezieht, wurde in der letzten Zeit vermehrt Aufmerksamkeit geschenkt, wodurch eine Reihe spezifischer Schutzfaktoren identifiziert werden konnte, die eine resiliente Entwicklung der betroffenen Kinder ermöglichen können. Unter Resilienz wird hierbei – wie bereits ausgeführt - eine besonders hohe Stressresistenz bei starker Entwicklungsplastizität verstanden. Die bisher bekannten Schutzfaktoren haben eine herausragende Bedeutung für das Transmissionsrisiko einer eigenen Suchtmittelabhängigkeit (TWEED & RYFF, 1991; ZOBEL, 2000). In diesem Zusammenhang sei auf das so genannte Challenge-Modell (W OLIN & W O1996) hingewiesen, dass auf die Beobachtung des amerikanischen Entwicklungspsychologen KAGAN (1984) zurück geht, dass es neben den objektiven Umständen, in denen ein Kind aufwächst, vor allem dessen subjektive Bewertungen der Umstände sind, die seine weitere Entwicklung beeinflussen. Dieses Modell un-

LIN,

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KAPITEL 2

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terscheidet zwei unterschiedliche Reaktionsweisen von Kindern aus alkoholbelasteten Familien. Eine mögliche Reaktion auf die familiäre Umwelt ist die Wahrnehmung der Erlebnisse und Erfahrungen als Herausforderung (challenge), die dazu führen kann, dass den riskanten Einflüssen der Familienumwelt eigenständige positive Entwicklungskräfte entgegengesetzt werden. Die psychosoziale Umwelt der Suchtfamilie ist für manche Kinder offenbar eine besonders starke Stimulation und Entwicklungsherausforderung, welche sie unter geeigneten intrapsychischen und interaktionalen Bedingungen zu stabilen, belastbaren und anpassungsfähigen Erwachsenen heranreifen lässt. Wird die familiäre Umwelt in der subjektiven Wahrnehmung der Kindes jedoch eher als schädigend und ungesund erlebt, ist eine nachhaltige Schädigung des psychischen und körperlichen Wohlbefindens des Kindes möglich. Die folgende Abbildung 2.2 fasst modellhaft das Zusammenwirken personen- und umgebungsbezogener Risiko- und Schutzfaktoren im Hinblick auf eine angepasste Entwicklung im Erwachsenenalter zusammen. Einige Faktoren können dabei je nach Ausprägungsgrad sowohl protektiven als auch aversiven Charakter haben und wurden einer der Gruppen zugeordnet (wie z. B. der Faktor Familienatmosphäre: negative Atmosphäre mit eher schädigendem Charakter versus positive mit schützendem Charakter). Im folgenden Kapitel werden in einem ersten Abschnitt zunächst einige relevante Informationen zu protektiven, risikomildernden Faktoren erläutert, um dann den Blick auf risikoerhöhende Bedingungen zu richten. Bei den kindbezogenen Vulnerabilitäten werden in Abbildung 2. 2 aus Gründen der Vollständigkeit die geringere physiologische Reaktion auf Alkohol und die erhöhte Stressdämpfung durch Alkohol aufgelistet. Diese konnten in vorliegender Studie aufgrund der damit verbundenen aufwändigen physiologischen Messvorgänge jedoch nicht erhoben werden und werden daher im Text nicht genauer erläutert.

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Risikomildernde Bedingungen

kindbezogene Bedingungen: Resilienzen

• • •



• • •

Entwicklung von Resilienzen positive Lebenseinstellung angemessene Bewältigungsstrategien geringe Erwartung von positiven Alkoholeffekten soziale Kompetenzen Selbstwirksamkeitserwartungen Kontrollüberzeugungen

Risikoerhöhende Bedingungen

umgebungsbezogene Bedingungen: Schutzfaktoren

• •



Einhaltung von familiären Ritualen emotionale Beziehung zum nichtabhängigen Elternteil und/oder zu anderen Personen geringe Exposition des elterlichen Trinkens und der elterlichen Auseinandersetzungen

kindbezogene Bedingungen: Vulnerabilität







geringere physiologische und subjektive Reaktion nach Alkoholkonsum* erhöhte Stressdämpfung nach * Alkoholkonsum Erfahrungen von sexuellem Missbrauch in Kindheit und Jugend

umgebungsbezogene Bedingungen: Risikofaktoren

• • • •



• • •

Ressourcen

Alkohol- und Familieneffekte Modelllerneffekte dysfunktionale Familienatmosphäre geringe emotionale Bindungen in der Familie mangelnde Unterstützung durch die Eltern elterliche Komorbidität beide Eltern abhängig Alkohol- und Drogenkonsum der Peers

Belastungen

Bilanz: Entwicklungsprognose des Kindes in Richtung Anpassung vs. Fehlanpassung

* wurde in vorliegender Studie nicht erhoben

Abb. 2.2

Schema der Risiko- und Schutzfaktoren in der kindlichen Entwicklung in alkoholbelasteten Familien (adaptiert aus SCHEITHAUER, PETERMANN & NIEBANK, 2002, S. 71 und ZOBEL, 2000, S. 179)

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KAPITEL 2

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2.2.3.1 Protektive Umgebungseinflüsse und konstitutionelle Resilienzen

Wie in Abbildung 2.2 deutlich wird, lässt sich sowohl bei Risiko erhöhenden als auch bei Risiko mildernden Bedingungen eine Unterteilung in kind- und umgebungsbezogene Faktoren vornehmen. Die Beschreibung der Schutz- und Risikofaktoren erfolgt demnach gemäß dieser Unterteilung, beginnend mit den Erläuterungen zu kindbezogenen Schutzfaktoren. Selbstwirksamkeitserwartungen, Kontrollüberzeugungen, Lebenszufriedenheit und Bewältigungsverhalten

Untersuchungen belegen, dass allgemeine und soziale Selbstwirksamkeitserwartungen eine wichtige Rolle bei der Bewältigung schwieriger Lebensanforderungen und kritischer Lebensereignisse spielen (KLEINE, JERUSALEM & MITTAG, 1995; SCHWARZER, JERUSALEM & HAHN, 1994; SCHWARZER & HAHN, 1994). Können Personen keine ausreichende Kontrolle über die eigenen Handlungsfolgen und die Umwelt ausüben, so kann sich insbesondere geringe Selbstwirksamkeitserwartung entwickeln und Hilflosigkeit kann erlernt werden („erlernte Hilflosigkeit“). Beide Phänomene treten auf, wenn ein Individuum zu wenige Erfahrungen erfolgreicher Interaktionen mit seinem Umfeld macht und es seine Handlungsziele überwiegend nicht durchsetzen kann. In suchtbelasteten Familien sind es im allgemeinen die Begleitumstände und Konsequenzen des Missbrauchs bzw. der Abhängigkeit, wie eine stärkere familiäre Desorganisation bzw. eine geringere intrafamiliale Stabilität sowie eine schlechtere Berechenbarkeit und Vorhersagbarkeit familiärer Prozesse, die den innerfamiliären Stress deutlich erhöhen. Dies kann bei den Kindern zu Symptomen mangelnden Selbstwertgefühls, geringerer Kontrollüberzeugung und schlechterer Selbstwirksamkeitserwartung führen. In Familien mit einem Suchtmittelabhängigen kann ein Kind zu seinen beiden Bezugspersonen oftmals kaum Vertrauen haben und erlebt häufig, dass es von den Eltern nicht als wichtig wahrgenommen wird. Diese Erfahrungen können dazu führen, dass die Kinder diese Erlebnisse in ihr Selbstkonzept übernehmen und sich selbst eher als unwichtig und störend erachten. Von der Stärke dieses Selbstkonzeptes hängt nicht zuletzt die Bewältigung von Belastungen ab. Positive selbstbezogene Kognitionen können die Bewältigung von Belastungssituationen erleichtern, wenn sie die Funktion von Handlungskorrektiven übernehmen (FILIPP, 1981). Ein hoher Wert in allgemeiner Lebenszufriedenheit bei Kindern in stressbelasteten Familienumwelten steht in Zusammenhang mit vermindertem Alkoholkonsum der Eltern (MCCAULEY OHANNESSIAN & HESSELBROCK, 1994). Personen mit einer positiven Lebenseinstellung weisen erhöhte Selbstwirksamkeitserwartungen bei der Bewältigung von Anforderungen und Problemen auf. Eine positiv gefärbte Lebenseinstellung wird daher als Schutzfaktor aufgefasst. Die Lebenseinstellung hängt maßgeblich mit wahrgenommenen Selbstwirksamkeitserwartungen und positiven selbstbezogenen Kognitionen zusammen. Eine positive Einstellung zum Leben stützt sich auf die Überzeugung, dass man die Fähigkeit besitzt, das Leben zu meistern und anstehende Probleme zu bewältigen. Eine negative Lebenseinstellung geht oftmals zurück auf entsprechend nicht verarbeitete Problemlagen der Vergangenheit: Überwiegen in Vergangenheit und Gegenwart negative Erfahrungen, so werden diese auch für die Zukunft bereits vorausgesehen, so dass nur begrenzt Selbstwirksamkeitserwartun-

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Theoretischer Hintergrund

gen in entwicklungsförderlichem Maße vorliegen können. Gefühle von Hoffnungslosigkeit und mangelnder Kompetenz können diese Denkhaltung weiter verstärken und zu einer generell pessimistischen Lebenseinstellung bei den Betroffenen führen. Bei Nichtvorhandensein anderer Bewältigungsmechanismen kann eine solche Einstellung bei Risikoprobanden zu einer deutlich erhöhten Wahrscheinlichkeit für die Entwicklung psychischer Auffälligkeiten und erhöhtem Alkoholkonsum führen. Wie ZOBEL (2000) ausführt, ist deshalb „der Aufbau von Selbstwirksamkeitserwartungen (...) in der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen aus suchtbelasteten Familien ein zentraler Faktor, um ihnen ein Gefühl für ihre Leistungsfähigkeit und Handlungsfähigkeit zu geben. Selbstwirksamkeitserwartungen schützen vor depressiven Attributionen und bewirken lösungsorientiertes Verhalten“ (S. 209). Resiliente Kinder haben ein Gefühl für die persönliche Kontrolle ihrer Umwelt und eine hohe Selbstwirksamkeitserwartung. Die prognostische Relevanz der Selbstwirksamkeitserwartungen Jugendlicher in sozialen Situationen ist wiederholt nachgewiesen worden (JERUSALEM & MITTAG, 1995). Abstinente Jugendliche zeichnen sich gegenüber Konsumenten in der Regel durch höhere Selbstwirksamkeitserwartungen bzw. eine starke Zunahme des Konsumverzichts aus.

Soziale Kompetenzen, soziales Netzwerk und Geschwisterbeziehungen

Eine stabile und positive Entwicklungsprognose zeigen die unter belastenden psychosozialen Bedingungen aufwachsenden Kinder und Jugendlichen, die stabile und tragfähige Beziehungen zu Gleichaltrigen oder Erwachsenen aufbauen und aufrechterhalten können. Der sozialen Unterstützung durch andere Familienmitglieder, Außenstehende sowie Gleichaltrigen wird dabei ein moderierender Einfluss auf die Entwicklung des Kindes in Alkoholikerfamilien zugeschrieben, da emotional gefärbte Bindungen und das Eingebundensein in ein soziales Netzwerk eine wichtige stabilisierende und schützende Funktion für betroffene Kinder und Jugendliche besitzen (ZOBEL, 2000). Als positiv für die Entwicklung eines Kindes aus einer Familie mit einem Alkoholkranken ist ein aktives Freizeitverhalten wie das Ausüben eines Hobbies und das Vorhandensein sozialer Aktivitäten mit Gleichaltrigen, die aus unbelasteten Familien kommen, zu werten. Das Zurückgreifen auf ein stabiles soziales Netzwerk in Krisenzeiten und die Erfahrung von Unterstützung und Wertschätzung außerhalb des Elternhauses wird als wesentlich zur Vermeidung von Entwicklungsauffälligkeiten angesehen (ACKERMAN, 1983). Im Jugendalter übt die Gleichaltrigengruppe maßgeblichen verhaltensdeterminierenden Einfluss aus. Als ein familienbasierter Schutz- bzw. Risikofaktor wird speziell auch die Beziehung unter den Geschwistern in einer alkoholbelasteten Familie diskutiert. Allerdings ist die existierende Literatur zu dieser Thematik insgesamt begrenzt (VAKALAHI, 2001). Brüder und Schwestern bilden in Familien starke Subsysteme, auf die als Ressource für das Coping mit alkoholbezogenem Stress zurückgegriffen werden kann (W ALKER & LEE, 1998). Oftmals ist das jeweilige Geschwisterkind das einzige Familienmitglied, welches keine psychoaktive Substanzen konsumiert, und damit konstant emotional erreichbar ist. Spekulationen gehen dahin, dass Geschwisterkinder aus alkoholbelasteten Familien miteinander insgesamt positivere Interaktionen erleben und damit stärkere Bindungen aufweisen als Kinder aus nicht suchtbelasteten Familien (REICH ET AL., 1988; zit. n. W ALKER & LEE, 1998). Dass KvA über die gesamte Lebensspanne hinweg eher Unterstützung durch Geschwister suchen, miteinander mehr interagie35

KAPITEL 2

Theoretischer Hintergrund

ren als mit den Eltern und eine gegenseitige protektive Rolle in Bezug auf die Prävention von Substanzabusus während der Adoleszenz spielen können, konnten Forschungsergebnisse zeigen (zur Übersicht s. W ALKER & LEE, 1998, S. 527-528). Weiterhin erbrachten Studien, die die förderlichen Qualitäten von Geschwisterbeziehungen betrachteten, dass Geschwister als einflussreiche Freunde oder Rollenmodelle für Adoleszente dienen. So konnten zwei Studien zeigen, dass Jugendliche mit Drogen missbrauchenden älteren Geschwistern früher damit begannen, selber Substanzen zu konsumieren im Vergleich zu denjenigen, deren Geschwister keine Drogen konsumierten (NEEDLE, MCCUBBIN, W ILSON ET AL., 1986; CRAIG & BROWN, 1975; zit. n. VAKALAHI, 2001). Ältere Geschwister können für jüngere Geschwister die Rolle von „natural helpers“ (VAKALAHI, 2001, S. 35) einnehmen, oft zu Zeitpunkten, zu denen Probleme mit Alkohol, Drogen oder Sexualität auftreten. Es wird angenommen, dass sie in dieser Funktion den Zeitpunkt des Beginns und Aufhörens des Substanzmissbrauchs bei jüngeren Geschwistern beeinflussen können. Die Tendenz, bei einem älteren Geschwisterkind Hilfe zu suchen, mag durch die Zugehörigkeit zu einer Familie und einer Generation gestärkt werden (VAKALAHI, 2001).

Entwicklung von Resilienzen

Sieben Reaktionsmuster konnten in retrospektiven Berichten als Stärken oder Resilienzen identifiziert werden, die trotz aller Widrigkeiten zum eigenen Schutz innerhalb einer alkoholbelasteten Familie von Kindern entwickelt wurden (W OLIN & W OLIN, 1995, 1996). Die Resilienzen unterscheiden sich in ihrem Ausdruck und den Verhaltenskonsequenzen je nach Lebensalter und können grob wie folgt beschrieben werden (W ERNER, 1986): • • • • • • •

Einsicht (insight): Einsicht in die und Realisierung der Dysfunktionalität der Familie, keine Verdrängung Unabhängigkeit (independence): emotionales und physisches Abstandnehmen von der Familie Beziehungsfähigkeit (relationships): emotional bedeutsame Beziehungen zu Personen außerhalb der Familie Initiative (initiative): dem Gefühl der Hilflosigkeit entgegenwirkendes zielgerichtetes Verhalten, zahlreiche Aktivitäten Kreativität (creativity): Ausdruck innerer Konflikte mit ästhetischen Mitteln Humor (humor): Distanzierung von der eigenen Lebenssituation, bisweilen mit Ironie und Sarkasmus Moral (morality): Entwicklung eines differenzierten und sozial verantwortlichem Werte- und Moralsystem

Das Ausbilden von resilientem Verhalten scheint ein Schutz gegen die dysfunktionalen Einflüsse im Elternhaus zu sein und einen kreativen und aktiven Umgang mit den Problemen zu ermöglichen. Ergänzend sei eine Langzeitstudie aus Hawaii (W ERNER, 1986) erwähnt, die differenzierte Ergebnisse zu Resilienzen und protektiven Faktoren für Kinder aus Alkoholismusfamilien liefert. Im Einzelnen ergaben sich als individuell wichtige protektive Faktoren: • • • • • • •

ein Temperament des Kindes, das positive Aufmerksamkeit hervorruft durchschnittliche Intelligenz und ausreichende Kommunikationsfähigkeit, auch im Schreiben eine starke allgemeine Leistungsorientierung eine verantwortliche, sorgende Einstellung ein positives Selbstwertgefühl eine internale Kontrollüberzeugung der Glaube an die Möglichkeit, sich selbst helfen zu können (positive Selbstwirksamkeitserwartung)

Als protektive Faktoren aus dem interaktionalen Bereich galten: •

ein hohes Ausmaß an Aufmerksamkeit von engen Bezugspersonen

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KAPITEL 2

Theoretischer Hintergrund

• • •

keine längeren Trennungen während des Kleinkindalters keine weiteren Geburten in den beiden ersten Lebensjahren keine schweren elterlichen Konflikte bis zum zweiten Lebensjahr

Nach dieser zusammenfassenden Auflistung kindbezogener Schutzfaktoren wird im Folgenden eine Übersicht über familienbasierte Schutzfaktoren gegeben. Geringe Exposition gegenüber dem elterlichen Trinken und elterlichen Konflikten

Aktuelle Studienbefunde weisen darauf hin, dass die Auswirkungen des elterlichen Trinkens auf die Kinder um so stärker sind, je öfter die Kinder dem Trinken, elterlichen Auseinandersetzungen und Konflikten ausgesetzt sind (REICH ET AL., 1993). „Vor allem wenn das übermäßige Trinken beim Abhängigen mit Aggression, Gewalt und Ehestreitigkeiten einher geht, ist eine geringe Exposition der Kinder ein wichtiger Schutzfaktor“ (ZOBEL, 2000, S. 183). Einen schützenden Faktor stellt es für Kinder aus Alkoholikerfamilien dar, wenn sie bei häuslichen Elternstreitigkeiten nicht zwischen beiden Elternteilen zu vermitteln versuchen, sondern sich solchen Situationen entziehen. Die Kinder sehen sich sonst oftmals als Grund für die Streitigkeiten und Trennungsabsichten der Eltern und entwickeln ein vermindertes Selbstwertgefühl, das wiederum zu auto- bzw. aggressivem Verhalten anderen gegenüber führen kann. Familienrituale

Die Forschungsgruppe um W OLIN ET AL., 1980) hat sich dem Phänomen der Familienrituale als einem möglichen familiären Einflussfaktor auf die Transmission von Alkoholabhängigkeit gewidmet. Ausschlaggebend war der Gedanke, dass „in alkoholbelasteten Familien die Aufrechterhaltung von klassischen Familienritualen wie gemeinsame Abendessen und Wochenendgestaltungen die Erfahrung von familiärer Stabilität und Konstanz bei den Kindern fördert. Diese Erfahrungen von Struktur und Planbarkeit könnten dann später bei den Kindern einer Abhängigkeitsentwicklung und/oder der Wahl eines abhängigen Partners vorbeugen“ (ZOBEL, 2000, S. 165). Untersucht wurden alkoholbelastete Familien, in denen eine Übertragung der Alkoholproblematik auf die nächste Generation stattgefunden hatte, im Vergleich zu Familien, in denen diese Übertragung nicht erfolgt war. Die Ergebnisse, die allerdings von ZOBEL (2000) in ihrer methodischen Güte kritisiert werden, zeigten, dass die Unterbrechung oder Aufhebung familiärer Rituale einen Beitrag zu der Übertragung von Alkoholabhängigkeit leistete. Bei Familien, in denen ein oder beide Elternteile alkoholabhängig waren und die während starker Trinkperioden die Familienrituale vernachlässigten oder ganz aufgaben, bestand eine höhere Wahrscheinlichkeit der Übertragung des Alkoholismus auf die Kinder. Bei den nicht-transmittierenden Familien wurde deutlich, dass familiäre Rituale entweder durch Konfrontation oder Fernhalten des trinkenden Elternteils vor der Einflussnahme des Alkoholismus geschützt wurden, und das selbst dann, wenn das elterliche Trinken sehr stark war. „Families that stick together and present a united front are less likely to transmit alcoholism to the next generation“ (ROBINSON & RHODEN, 1998, S. 177).

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KAPITEL 2

Theoretischer Hintergrund

2.2.3.2 Risikofaktoren Die internationale Forschung zu den Entwicklungsrisiken der Kinder alkoholkranker Eltern liefert eine Reihe von primären Risikobereichen. Dabei wird zwischen alkoholspezifischen und alkoholunspezifischen Familieneinflüssen unterschieden (KLEIN, 2001B). Alkoholspezifische Familieneinflüsse sind solche, die direkt mit dem problematischen Trinken der Eltern zu tun haben. Alkoholunspezifische Familieneinflüsse umfassen Risikofaktoren, die unabhängig vom Alkoholmissbrauch (z. B. prämorbide psychische Störungen der Eltern) oder von diesem vermittelt (z. B. sozialer Abstieg, Gewalterfahrungen) auf die Kinder einwirken. Je nach Ausprägung dieser Einflüsse erhöht sich das allgemeine Risiko einer kindlichen Verhaltensstörung und einer späteren Suchtmittelabhängigkeit bzw. schwächt sich ab. Eine gezielte, positive Beeinflussung der im Folgenden beschriebenen Risikomerkmale bietet die Chance der Minderung bzw. Kompensation besonders negativer Einflussfaktoren. Auf die Darstellung der kindbezogenen Risikofaktoren „geringe physiologische und subjektive Reaktion nach Alkoholkonsum“ und „erhöhte Stressdämpfung nach Alkoholkonsum“ wird an dieser Stelle verzichtet, da - wie bereits erwähnt - eine Berücksichtigung im Rahmen vorliegender Studie nicht möglich war. Im Folgenden werden die umgebungsbezogenen Risikofaktoren beschrieben. Fehlende Bindung und negative Familienatmosphäre

Bei zurückweisender und inkonsistenter Reaktion der Mutter oder des Vaters als primärer Bezugsperson auf die Bindungsbedürfnisse des Kindes besteht die Gefahr, dass das Kind ein unsicheres Bindungsverhalten entwickelt. Wie prospektive Langzeitstudien zeigten, prägt eine solche im Kindesalter determinierte Form von Beziehung und Bindung mit hoher Konstanz bis ins Erwachsenenalter die Gestaltung von Beziehungen zu anderen Personen (GROSSMANN ET AL., 1997). Nach DUGGAL ET AL. (2001) „wird unsicheres Bindungsverhalten als eine Form früher emotionaler Vernachlässigung zu den hinsichtlich Langzeitfolgen gesicherten Risikofaktoren gezählt, während ein sicheres Bindungsverhalten als kompensatorischer Schutzfaktor gegenüber den Langzeitfolgen früher Belastungsfaktoren wirken kann“ (zit. n. EGLE ET AL., 1997). In Bezug auf den Suchtmittelkonsum von Jugendlichen konnte gezeigt werden, dass ein Gefühl der Entfremdung zu den Eltern einen erhöhten Konsum mit sich brachte, wohingegen ein Gefühl der Zusammengehörigkeit und Nähe zu den Eltern mit reduzierten Konsumquoten einherging (s. ZOBEL, 2000). Eine entscheidende Rolle bei der Transmission von Abhängigkeit stellt die instabile und unzuverlässige Familienatmosphäre dar, die durch geringe emotionale ElternKind-Bindungen und mangelnde Unterstützung durch die Eltern geprägt ist. Als umgebungsbezogener Schutzfaktor gilt in diesem Zusammenhang eine tragfähige emotionale Bindung und Beziehung des nicht-abhängigen Elternteils zu den Kindern, in der die Kinder Wertschätzung, Respekt und Anerkennung erfahren. Alkoholeffekte

Zu den Alkoholeffekten zählt an vorderster Stelle eine deutliche Stimmungslabilität beim Alkoholabhängigen in Folge des Alkoholkonsums. Diese Labilität kann so deutlich ausgeprägt sein, dass Kinder den Eindruck haben, auf unvorhersehbare Art und Weise mit zwei völlig unterschiedlichen Personen oder Charakteren konfrontiert zu

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KAPITEL 2

Theoretischer Hintergrund

sein, eine Nicht-Berechenbarkeit, die Angst und Unsicherheit auslösen kann. Wechselnde Interaktionen finden zwischen dem Abhängigen und seinen Kindern insofern statt, als die Kinder lernen, sich auf sich abwechselnde „trockene“ und „nasse“ Phasen einzustellen. Dies erfordert zunächst eine genaue Wahrnehmung des Zustands des Elternteils, an welches sich eine flexible Anpassung des eigenen Verhaltens anschließt. Mögliche Folgen beinhalten die Orientierung an den Bedürfnissen und Ansprüchen der Anderen und der Umgebung unter gleichzeitiger Vernachlässigung persönlicher Bedürfnisse. Weiterhin zählen medizinische Probleme und körperliche Folgeerscheinungen einer Alkoholabhängigkeit zu typischen Erfahrungen, die in alkoholbelasteten Familien zu beobachten sind. Dabei ist neben einer zunehmend eingeschränkten Arbeitsfähigkeit auch eine zunehmend eingeschränkte Erziehungsfähigkeit des betroffenen Elternteils zu bedenken (ZOBEL, 2000). Insbesondere, wenn beide Eltern abhängig sind, ist ein angemessenes elterliches Erziehungsverhalten kaum gewährleistet und die Kinder sind häufig sich selbst überlassen. Die gleichzeitige Abhängigkeit von Mutter und Vater verhindert eine vertrauensvolle Bindung an einen Elternteil und verstärkt somit die entwicklungsbelastenden Effekte in der Familie. Familieneffekte

Die so genannten Familieneffekte beinhalten Ehestreitigkeiten bis hin zu Trennung oder Scheidung sowie soziale Isolation und Rollenumkehr. Die Erfahrung von elterlichen Streitigkeiten, Trennungen oder Scheidung ist für Kinder in der Regel angstbesetzt und belastend. In alkoholbelasteten Familien findet sich meist eine reduzierte oder fehlende Fähigkeit zum konstruktiven Umgang mit konflikthaften Situationen, so dass familiäre Probleme eine Erhöhung des Alkoholkonsums des Abhängigen zur Folge haben können: „Alkohol ist somit Ursache und Folge von ehelichen Streitigkeiten“ (ZOBEL, 2000, S. 193). Die soziale Isolation von Freunden, Bekannten und Verwandten ist eine häufig zu beobachtende Folge der Alkoholerkrankung beim Betroffenen selbst, aber auch bei den Familienangehörigen, die sich scheuen, anderen Personen die familiären Verhältnisse zu präsentieren oder einen hohen Alkoholkonsum erwarten und daher Einladungen ablehnen (ZOBEL, 2000). Als Rollenumkehr wird einerseits das Phänomen bezeichnet, dass - häufig den ältesten - Kindern die Rolle des als erwachsen angesehenen emotional vertrauten Ansprechpartners für den nicht süchtigen Elternteil zugesprochen wird. Die Kinder können so zunehmend in die Position eines Erwachsenen kommen und die kindliche Seite zunehmend vernachlässigen oder verleugnen. Eine andere Form der Rollenumkehr findet dann statt, wenn das Kind sich um den Abhängigen, der im betrunkenen Zustand kaum noch handlungsfähig ist, kümmert oder kümmern muss, da der andere Elternteil nicht ständig erreichbar ist. „Die Kinder übernehmen also Verantwortung für die Eltern bzw. besetzen eine Elternrolle, obwohl sie altersentsprechend dazu nicht die nötige Reife haben“ (ZOBEL, 2000, S. 195).

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KAPITEL 2

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Elterliche Komorbidität

Personen mit einer Suchtmittelabhängigkeit weisen oft zusätzlich eine weitere psychische Störung auf. Alkoholabhängigkeit tritt sowohl in klinischen wie in epidemiologischen Stichproben gehäuft im Zusammenhang mit anderen psychopathologischen, insbesondere affektiven Störungen und Angst- und Persönlichkeitsstörungen auf (z. B. KANDEL ET AL., 1992; REGIER ET AL., 1990). Epidemiologische Studien zeigen, dass eine aktuelle oder lebenszeitliche Depression und Alkoholismus eng miteinander verbunden sind (ROBINS ET AL., 1988; MEYER, 1989). W INOKUR ET AL. (1992) stellten ein erhöhtes Risiko für Alkoholismus bei Patienten mit primärer Depression fest, die zusätzlich eine familiäre Belastung mit einer Alkoholerkrankung aufwiesen. Ergebnisse einer Studie von DEYKIN ET AL. (1992) weisen darauf hin, dass in behandelten Stichproben ein erhöhter Anteil von Patienten mit Zweifachdiagnosen vorzufinden ist. Das sekundäre Auftreten von abhängigem oder missbräuchlichen Alkoholkonsums oder Substanzmissbrauchsstörungen bei Patienten mit Angststörungen scheint häufig vorzukommen (CHRISTIE ET AL., 1988). Im Hinblick auf primäres Auftreten von Angststörungen berichten eine Reihe von Follow-up-Studien bei Patienten mit primärer Abhängigkeitsproblematik kein wesentlich erhöhtes Risiko für häufigeres Auftreten von Angststörungen (SCHUCKIT & HESSELBROCK, 1994; KNOP ET AL., 1993). Einige Familienstudien berichten ein erhöhtes Risiko für Angststörungen bei Angehörigen von Alkoholikern. SHER ET AL. (1991) berichten jedoch auch widersprechende Ergebnisse. Solche neben der Alkoholerkrankung bestehende psychische Störungen beim Abhängigen oder beim anderen Elternteil können die familiäre Belastung potenzieren und das Erziehungsverhalten und die geringe Aufsicht der Kinder weitgehendst in Frage stellen (ZOBEL, 2000). Sozioökonomische Stressoren

Als weitere Stressoren in alkoholbelasteten Familien sind die sozialökonomischen Benachteiligungen wie Arbeitslosigkeit eines Elternteiles und finanzielle Schwierigkeiten zu nennen. Die sozioökonomischen und materiellen Bedingungen im Familienhaushalt mit einer Alkoholproblematik sind oftmals schlechter als in anderen Familien. Die Ergebnisse einer Studie von SCHOON (2002) deuten auf eine kausale Beziehung zwischen einer sozialökonomischen Benachteiligung und mangelnder Verhaltensanpassung im Kindes- und Jugendalter hin. Diese Faktoren können wiederum das Auftreten von depressiven Störungen im späteren Entwicklungsalter beeinflussen. Sozialökonomische Faktoren gelten mit als wichtigste Determinante allgemeiner und psychischer Bevölkerungsgesundheit (RUTTER, 1985). Kinder, die in sozialökonomisch benachteiligen Familien aufwachsen, sind einem erhöhten Risiko für Verhaltensauffälligkeiten im Kindes- und späteren Erwachsenenalter ausgesetzt. Eine chronisch stressvolle Umgebung stört nämlich die Entwicklung von erfolgreicher Anpassung nachhaltig (GOTLIB & HAMMEN, 1992). In Familien mit einer Alkoholbelastung sind es vor allem finanzielle Schwierigkeiten, die erheblichen Stress für die betroffene Familie darstellen, wie ZOBEL (2000) ausführt: Finanzielle Belastungen der Familie können durch die konkreten Kosten des Alkoholkonsums entstehen und die dadurch zunehmend auftretenden finanziellen Schwierigkeiten wiederum i. S. eines Teufelkreises den Alkoholkonsum des Betroffenen beeinflussen und erhöhen. Ein Abrutschen bis zur Armutsgrenze gehört zu den

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KAPITEL 2

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extremen Entwicklungsverläufen. Ein weit verbreiteter Bewältigungsversuch ist die Beschaffung von Geld durch ein zweites Einkommen durch den nicht erkrankten Elternteil, was zur Folge haben kann, dass den Kindern diese wichtige Bezugsperson nicht in ausreichendem Maße zur Verfügung steht. Substanzkonsum im sozialen Umfeld

Im Kontext des Substanzgebrauchs Jugendlicher werden dem sozialen Bezugssystem der Gleichaltrigengruppe (Peers) und der Schulklasse förderliche und hemmende Einflüsse zugeschrieben. Der Alkohol- und Drogenkonsum der Peergruppe gilt als einer der stärksten Prädiktoren für den Substanzkonsum der Jugendlichen (GLYNN, 1981): Trinken die Mitglieder der Peergruppe in hohem Maße, dann konsumieren die Risikokinder mit hoher Wahrscheinlichkeit ebenfalls in starkem Maße (PETERMANN ET AL., 1997). Die Freunde von tabak- und alkoholabstinenten Jugendlichen sind meistens ebenfalls Nichtkonsumenten, während der Anteil der konsumierenden Freunde unter den Vielkonsumenten deutlich erhöht ist. Der Gebrauch im Klassenverband kann sich somit auf den Einzelnen derart auswirken, dass er im eigenen Konsumverhalten gestärkt wird oder für ihn verstärkt die Notwendigkeit der Abgrenzung besteht (PETERMANN ET AL., 1997). Die Beziehung zu einer Peergruppe kann als prognostischer Faktor für ein eigenes späteres Risikoverhalten hinsichtlich des Substanzkonsums von Tabak und Alkohol gedeutet werden.

2 .3

ZUR IDENTIFIKATION VON KINDERN ALKOHOLBELASTETER ELTERN

EIGEN & ROWDEN (1995) definieren die Gruppe der Children of Alcoholics als 1) Kinder, deren biologische Eltern (Mutter oder/und Vater) Alkoholiker sind oder gewesen sind, 2) Kinder, die aktuell mit einem alkoholkranken Elternteil/Stiefelternteil leben und 3) Kinder, die jemals mit einem alkoholkranken Elternteil/Stiefelternteil gelebt haben. Zur Identifizierung von Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen, die in suchtbelasteten Familien mit einem oder zwei Elternteilen aufwachsen oder aufgewachsen sind, existiert eine ganze Reihe von verschiedenen diagnostischen Maßnahmen und Instrumenten. Aus dem vorhandenen Methodenrepertoire, das von Einzelfragen zur Selbstbeurteilung bis zu Fragebogen- und Interviewverfahren reicht, können für Forschungszwecke Verfahren mit hoher Praktikabilität im Einsatz und belegter wissenschaftlicher Fundierung ausgewählt werden. Die Wahl eines geeigneten Instrumentes zur Bestimmung von Kindern aus alkoholbelasteten Familien hängt zudem in hohem Maße von der Zielsetzung und den gegebenen personellen, strukturellen und finanziellen Möglichkeiten ab. Es bietet sich dabei zum einen die Möglichkeit der direkten mündlichen oder schriftlichen Befragung der Eltern an (s. Kapitel 2.3.1), zum anderen können mittels verschiedener psychometrisch abgesicherter Screeninginstrumente die Kinder selber als Beurteiler hinsichtlich des Vorhandenseins einer familiären Alkoholbelastung befragt werden (s. Kapitel 2.3.2).

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KAPITEL 2

Theoretischer Hintergrund

2.3.1 BEFRAGUNG UND SCREENING DER ELTERN Bei der direkten Befragung der biologischen oder sozialen Eltern kann unmittelbar anhand von standardisierten und methodisch überprüften Befragungsinstrumenten das Vorhandensein eines nach den Kriterien gängiger Diagnoseinstrumente wie dem ICD-10 und dem DSM-IV festgelegten missbräuchlichen oder abhängigen Alkoholkonsums bei den Eltern festgestellt werden. Für die klinische Diagnose einer Alkoholabhängigkeit bzw. eines Missbrauches aufgrund von Selbstberichtsangaben der Betroffenen existiert eine umfangreiche Menge an einfachen und differenzierten Screeninginstrumenten wie z. B. der Short Michigan Alcoholism Screening Test (SMAST, SELZER, 1971), der eine auf Validität und Reliabilität überprüfte Kurzversion des Michigan Alcoholism Screening-Tests (MAST, SELZER, 1971) darstellt und zur Unterscheidung von Alkoholabhängigen und Nicht-Alkoholabhängigen herangezogen werden kann. Im Weiteren finden sich in der diagnostischen Praxis der Einsatz der CAGE-Fragen (EWING, 1984), des Kurzfragebogens zur Alkoholabhängigkeit (KFA, FEUERLEIN ET AL., 1976), des Trierer Alkoholismusinventars (TAI, FUNKE ET AL., 1987), des Lübecker Alkoholabhängigkeits- und -missbrauchs-Screening-Tests (LAST, RUMPF ET AL., 2001) sowie des Composite International Diagnostic Interview, Substance Abuse Module (CIDI-SAM, COTTLER & KEATING, 1990). Um detaillierte Informationen über das Vorkommen von Alkoholismus in der Familiengeschichte zu erhalten, schlagen HODGINS & SHIMP (1995) vor, entweder den Weg der sogenannten Family Study Method zu wählen, bei der jedes Familienmitglied direkt nach dem Vorhandensein einer Alkoholerkrankung befragt wird, oder die sogenannte Family History Method anzuwenden, nach der die Personen über einen eventuell vorhandenen Alkoholismus ihrer Verwandten befragt werden. Hier stellt das sogenannte Family History Research Diagnostic Criteria Interview (FH-RDC) (ANDREASEN ET AL., 1977) eine häufig verwendete, jedoch sehr aufwändige Methode zur Identifizierung von Personen mit alkoholbelasteten Eltern dar. In den meisten Fällen ist eine Realisierung der direkten Befragung der Eltern als Möglichkeit der Identifizierung der Kinder als KvA aufgrund von zeitlichen, finanziellen und geographischen Beschränkungen und wegen der Abwehrhaltung der Personen nicht oder nur sehr schwer zu erreichen. Aufgrund dieser Schwierigkeiten versuchen viele Forscher zur Identifikation von KvA Kinder solcher Personen zu rekrutieren, die sich wegen einer Alkoholproblematik in Behandlung befinden oder befanden. Der Kontakt zu Personen, die eine Alkohol-Selbsthilfegruppe besuchen oder besuchten, wird als weitere Möglichkeit der Rekrutierung von KvA angesehen (vgl. z. B. CLAIR & GENEST, 1987). Studien, die sich auf diese Identifizierungsmethoden stützen, weisen jedoch keine für die Gesamtpopulation der Kinder von Alkoholikern repräsentative Auswahl an Untersuchungspersonen auf (s. auch Kapitel 2.4). 2.3.2 BEFRAGUNG UND SCREENING DER KINDER Können Informationen seitens der Eltern nicht direkt erhoben werden, so bieten sich zur Erfassung der elterlichen Alkoholbelastung verschiedene Screeninginstrumente an, die nach einer Einschätzung des Kindes hinsichtlich eines problematischen familiären Alkoholkonsums fragen. ROOSA ET AL. (1993) untersuchten anhand einer repräsentativen Bevölkerungsstichprobe die Validität von Kinderberichten über elterlichen Alkoholismus oder problematischen Alkoholstatus der Eltern. Es zeigte sich,

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KAPITEL 2

Theoretischer Hintergrund

dass Screening-Fragen zur Identifizierung von Alkoholikern eher zur Bestimmung aktiv-trinkender Personen geeignet waren als bei ehemalig Trinkenden. Im Weiteren gelang die Identifizierung des problematischen Trinkens der Eltern mit Screeningbefragungen der Kinder besser als eine Bestimmung der Eltern als alkoholabhängig. Der „Children of Alcoholics Screening Test“ (CAST) und modifizierte Versionen

Die Problemwahrnehmung bei Söhnen und Töchtern von Alkoholabhängigen kann mittels des „Children of Alcoholics Screening Test“ (CAST, JONES 1983A; PIDCOCK ET AL., 2000) erhoben werden. Der in verschiedenen Sprachen vorliegende CAST ist ein international gebräuchliches und weit verbreitetes Screeninginstrument zur Erkennung der familiären Alkoholismusbelastung bei Kindern und Jugendlichen und ein nützliches Instrument für die Gruppendiagnose von Kindern alkoholbelasteter oder – abhängiger Eltern. Verschiedene Überprüfungen der psychometrischen Qualität des CAST erbrachten gute Ergebnisse. Laut ZOBEL (2000) hat sich der CAST „mittlerweile als Standardinstrument bei der Identifizierung von Personen aus alkoholbelasteten Familien etabliert“ (S. 47). SHERIDAN (1995) führt aus, dass der CAST auf einer EinFaktorenstruktur beruht, und berichtet eine Reliabilität von .95 bei N = 214. Hinsichtlich der differenziellen Validität weist dieses Screeninginstrument einen geschlechtsspezifischen Bias auf. Mädchen lassen sich im Vergleich zu Jungen eher als Kinder alkoholbelasteter Familien identifizieren. Der Test weist eine nicht geringe Rate der mit dem Instrument als Falsch-Positiv identifizierten KvA auf, wie ZOBEL (2000) ausführt. So identifizierte JONES (1983B) mit einem Cut-Off-Wert von 6 volle 100 % der Kinder aus alkoholbelasteten Familien, wobei allerdings auch 23 % der Personen der Kontrollgruppe – Kinder ohne trinkende Eltern – ebenfalls 6 Items des Fragebogens mit „ja“ beantwortet hatten. Die 30 Items des CAST beschreiben auf verschiedenen Bereichen mit dem elterlichen Alkoholkonsum verbundene negative Lebensereignisse: (1) emotionaler Stress aufgrund des elterlichen Alkoholkonsums, (2) Empfindungen bezüglich der elterlichen Disharmonie, (3) Versuche, das Trinken der Eltern zu kontrollieren, (4) Anstrengungen, dem Alkohol zu entkommen, (5) Gewalterfahrungen, die in Zusammenhang mit dem Alkoholkonsum stehen, (6) Versuche, die Eltern als Alkoholiker anzunehmen und (7) Wunsch nach Unterstützung. Die Items können mit „Ja“ oder „Nein“ beantwortet werden. Bei Vorliegen nur eines positiv beantworteten Items ist die Wahrscheinlichkeit für ein alkoholbelastetes Elternteil sehr gering. Der Score von 1 kann tendenziell auf ein problematisches Trinken hinweisen. Gibt ein befragtes Kind 2 bis 5 positive Antworten, sind Hinweise auf ein problematisches Erleben mit dem elterlichen Trinkverhalten gegeben. Werden 6 oder mehr Fragen mit „ja“ beantwortet, wird dies als Hinweis auf das Vorliegen eines missbräuchlichen oder abhängigen Alkoholkonsums eines Elternteils gedeutet. Eine auf 14 Items gekürzte Version mit einem Cut-Off-Wert von 3 bejahten Antworten stellt der CAST-D (PILAT & JONES, 1984; PIDCOCK ET AL., 2000) dar. Der aus 6 Items bestehende CAST-6 (HODGINS & SHIMP, 1995) stellt eine Untermenge der Originalversion des CAST von 6 Fragen mit den höchsten Faktorladungen dar. Bei konservativer Herangehensweise liegt ab einem Wert von 3 mit „ja“ beantworteten Items ein Hinweis auf das Vorliegen eines problematischen missbräuchlichen oder abhängigen Alkoholkonsums eines Elternteils vor. Bei liberalem Kriterium genügen zwei Ja-Antworten.

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KAPITEL 2

Theoretischer Hintergrund

Der „Short Michigan Screening Test for Mother (M-SMAST) and Father (F-SMAST)“

Der Short Michigan Screening Test for Mother (M-SMAST) and Father (F-SMAST) (SHER & DESCUTNER, 1986) stellt den SMAST (vgl. Kap. 2.3.1) in einer Elternberichtsform dar. Das Instrument besteht in der 1992 von CREWS & SHER revidierten Fassung aus 9 Items, die nach Angabe der Autoren gleich hohe Reliabilität und Validität wie die nicht-revidierte Version von 13 Items aufweisen. Modifizierte CAGE-Fragen

Eine weitere Möglichkeit zur Differenzierung von Kindern aus alkoholbelasteten und – unbelasteten Familien besteht im Einsatz einer modifizierten Form des CAGETests (EWING ET AL., 1998). Diese CAGE-Kurzform ist für die Anwendung bei Kindern überarbeitetet worden und besteht in der englischen Originalfassung aus den folgenden vier Fragen: 1. 2. 3. 4.

C - Have you ever recommended that your parent cut down on his/her drinking? A - Have you ever felt angry about your parent’s drinking? G - Have you ever felt guilty about your parent’s drinking? E - Does anyone in your family have eye-openers (drink first thing in the morning)?

Single-Item-Fragen

Eine äußerst ökonomische Vorgehensweise zur Unterscheidung von Personen mit und ohne trinkendem Elternteil stellen die sogenannten Single-Item-Tests dar (BERKOWITZ & PERKINS, 1988). Diese „Minimalmethode” (ZOBEL, 2000, S. 49) verwendet Fragen wie „Hast Du Dir jemals gewünscht, dass einer oder beide Elternteile weniger trinkt/trinken?“, „War das Trinken eines oder beider Elternteile jemals ein Problem für Dich?“, „Glaubst Du, dass Dein Vater oder Deine Mutter ein(e) Alkoholiker(in) ist/war?“ oder „Has drinking ever been a cause of trouble in your family?“ (vgl. FERNQUIST, 2000). Solche Einzelfragen werden als valide zur Bestimmung der meisten Personen aus alkoholbelasteten Familien angesehen. Der Einsatz einer einzelnen Screening-Frage oder die Kombination von zwei Einzelfragen führt dabei zu Ergebnissen, die vergleichbar mit denen aufwendigerer Instrumente sind (z. B. CREWS & SHER, 1992; CLAYDON, 1987). BIEK (1981) kam zu dem Ergebnis, dass die Frage „Has the drinking of either parent ever created a problem for you?“ zwei Drittel einer Stichprobe von Jugendlichen aus Alkoholikerfamilien korrekt identifizieren konnte. Der Einsatz einer globalen Einzelfrage in Verbindung mit einem weiteren Identifizierungsinstrument, wie z. B. dem CAST, ist in vielen Forschungsstudien und klinischen Settings verwendet worden (vgl. z. B. TWEED & RYFF, 1991). LACHNER & W ITTCHEN (1997) verwendeten in ihrer Längsschnittsstudie an einer bevölkerungsrepräsentativen Stichprobe Jugendlicher und junger Erwachsener eine zweistufige Screeningmethode, bei der als familiär belastet solche Probanden eingestuft wurden, die für einen Elternteil eines von zwei Einzelitems positiv beantwortet hatten. Als „eher objektives Maß“ wurden die Probanden zunächst gefragt, „welche leiblichen Verwandten jemals wegen Problemen mit Alkohol in Behandlung gewesen seien“ (S. 67). In einem zweiten Schritt sollten die Kinder die Frage beantworten, „ob die Mutter bzw. der Vater schon einmal Probleme in Zusammenhang mit Alkohol (wie z. B. gesundheitliche Beschwerden, Vorwürfe von anderen Menschen, Probleme bei der Arbeit oder im Haushalt oder Ärger mit der Polizei) gehabt hätten“(S. 67).

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KAPITEL 2

Theoretischer Hintergrund

2 .4

DER BEHANDLUNGSSTATUS ALKOHOLABHÄNGIGER ELTERN

Die Aussage, dass Kinder Alkoholabhängiger eine Risikogruppe darstellen, stützt sich hauptsächlich auf Studien, die KvA im Rahmen von klinischen Stichproben rekrutiert haben (vgl. ROOSA ET AL., 1990; SHER, 1991). Die Wahl dieser Rekrutierungsstrategie bedeutet, dass die Kontaktaufnahme zu den Kindern relativ unkompliziert gestaltet werden kann, weil ihre Eltern wegen Alkoholabhängigkeit oder -missbrauchs eine Form einer formellen Behandlung, meist eine Fachklinik, aufgesucht haben und somit - zumeist - erreichbar und auch direkt auf das Forschungsanliegen ansprechbar sind. Die Gruppe der behandelten Alkoholabhängigen stellt jedoch nur eine kleine Untergruppe der Gesamtgruppe der Alkoholabhängigen dar (s. u.). Somit ist das bisher existierende Wissen über die Kinder Alkoholabhängiger hauptsächlich auf diese kleine Gruppe von Kindern beschränkt, deren Eltern im formellen Suchthilfesystem eine Behandlung erhalten, ein Umstand der von ROOSA ET AL. (1990, S. 120) wie folgt kommentiert wurde: „It is ironic that although few alcoholics receive treatment, almost all the research that has reported COAs to be at risk has studied only children of parents in treatment”. Dieser Kommentar verdeutlicht bereits die übergreifende Fragestellung unserer Studie: Die Risikogruppe Kinder alkoholabhängiger Eltern lässt sich offensichtlich in die Gruppe derer mit behandelten und derer mit unbehandelten Eltern unterteilen. Bestehen Unterschiede zwischen diesen Gruppen, so dass eine der Gruppen als stärker gefährdete Risikogruppe angesehen werden sollte? - Einen Hinweis, in welche Richtung die stärkere Gefährdung anzusehen sein könnte, geben VELLEMAN & TEMPLETON (2003): „The children of problem drinkers are significantly more likely than other children to have experienced disharmony, often involving domestic violence, in their families of upbringing. The majority of offspring of parents with drinking problems are exposed to such problems at home, continuously, throughout most of the years of childhood and adolescence. Most of their parents’ drinking problems remain untreated during this time.” Es ist insgesamt davon auszugehen, dass es innerhalb der ohnehin schon belasteten Gruppe der KvA, die zu Recht als Risikogruppe angesehen werden muss, wie die vorangehende Literaturzusammenstellung zeigte, spezielle Subgruppen mit besonders negativen prognostischen Faktoren gibt. Eine besonders wichtige dieser Untergruppen könnten die Kinder unbehandelter suchtkranker Eltern darstellen. Zunächst sollen jedoch die Daten zur Versorgung suchtkranker Menschen in Deutschland detaillierter betrachtet werden, um eine Einschätzung der Größe der Gruppen behandelter und unbehandelter Alkoholabhängiger zu ermöglichen. 2.4.1 DATEN ZUR VERSORGUNG SUCHTKRANKER MENSCHEN IN DEUTSCHLAND Epidemiologische Studien konnten zeigen, dass nur ein sehr geringer Teil der alkoholabhängigen Bevölkerung Einrichtungen des Suchthilfesystems in Anspruch nimmt. W IENBERG (2001) hat für die drei Versorgungssektoren des deutschen Suchthilfe- und Gesundheitssystems (Sektor I: traditionelle Suchtkrankenhilfe, Sektor II: psychosoziale/psychiatrische Basisversorgung und Sektor III: medizinische Primärversorgung) Schätzungen für die institutionellen Prävalenzen von Menschen mit Alkoholproblemen erarbeitet: Der Anteil der institutionellen Ein-Jahres-Prävalenz an der Gesamtprävalenz der Alkoholabhängigen lag für Fachberatungsstellen bei nur 68 % und für Fachkliniken bei 1,5-2 % (Sektor I). Die Einrichtungen des Sektors II, wie z. B. die sozialpsychiatrischen Dienste und psychiatrischen Krankenhäuser, trugen

45

KAPITEL 2

Theoretischer Hintergrund

einen Anteil von ca. 3,5-5,5 %. Hingegen erreichen die niedergelassenen Ärzte (7080 %) und Allgemeinkrankenhäuser (30-35 %) eine um ein Vielfaches größere Zahl von Alkoholabhängigen. Dies ist jedoch unter dem Vorbehalt zu sehen, dass insbesondere im Sektor III eine sehr späte Identifizierung des Problems erfolgt, weil Früherkennungs- und Kurzinterventionsstrategien nach wie vor fast völlig fehlen, und darüber hinaus erschwerenderweise in den meisten erkannten Fällen „keine oder nicht ausreichend qualifizierte Handlungskonsequenzen“ erfolgen (W IENBERG, 2001, S. 321). Es bleibt festzuhalten, dass der größte Teil der Alkoholabhängigen in Deutschland der Gruppe zuzuordnen ist, die W IENBERG als „vergessene Mehrheit“ bezeichnete. Teil dieser „vergessenen Mehrheit“ sind auch die Kinder der unbehandelten Alkoholabhängigen. Unserer Schätzung nach liegt die Zahl der Kinder von unbehandelten Alkoholikern selbst unter Hinzuziehung der knapp 400.000 jährlichen Entzugsbehandlungen wegen Alkoholabhängigkeit bei mehr als 1,3 Millionen. Die Suchtkrankheiten sind von allen psychischen Störungen diejenigen mit der geringsten Behandlungsquote (W ITTCHEN & JACOBI, 2002). Während von allen Personen, die von einer psychischen Störung betroffen sind, durchschnittlich 36,4 % eine Behandlung erhalten, beträgt die entsprechende Quote bei Personen mit einer Missbrauchs- oder Abhängigkeitsdiagnose in Bezug auf eine psychotrope Substanz (außer Tabak) nur 29 %. Die Suchtkranken stellen damit nach wie vor in der Reichweite der Versorgung und Behandlung die am schlechtesten erreichte Gruppe dar. 2.4.2 BEHANDELTE UND TROFFENE KINDER

UNBEHANDELTE

ALKOHOLERKRANKUNGEN: ELTERN

UND BE-

Zur Frage der differenziellen Gefährdung von Kindern unbehandelter und behandelter Alkoholabhängiger finden sich in der Literatur recht konträre Aussagen. Eine Sichtweise betont die angeblich stärkere Belastung bzw. die schwer wiegenderen Krankheitsverläufe bei den Eltern, die sich in Behandlung begeben, und damit die schwer wiegenderen Konsequenzen der Alkoholabhängigkeit für deren Kinder. Ein anderer Standpunkt betrachtet die Tatsache einer Behandlungsaufnahme durch den betroffenen Elternteil als eine Ressource und gesundheitsfördernden Aspekt für das Familiensystem und damit positive Folge für darin lebende Kinder. Beide Positionen werden im folgenden Abschnitt erläutert. Theoretische Unterschiede zwischen den Gruppen der behandelten und der unbehandelten Alkoholabhängigen lassen sich z. T. anhand der Studien zum Phänomen der Spontanremission herleiten. So stellt W IENBERG (2002) fest, dass es sich bei der Gesamtgruppe der Personen mit aktuellen Alkoholproblemen nicht ohne Weiteres um die Gruppe handelt, die formelle, d. h. qualifizierte Interventionen benötigt, um das Abhängigkeitsproblem zu bewältigen. Nordamerikanische Studien weisen nämlich darauf hin, dass möglicherweise die Remission ohne formelle Hilfe den häufigsten Weg aus der Abhängigkeit darstellen könnte (BISCHOF ET AL., 2000; SOBELL ET AL., 1996). Zu diesem Problembereich sind in jüngster Zeit eine Reihe von Studien veröffentlicht worden, die Unterschiede und Ähnlichkeiten von behandelten und unbehandelten remittierten Alkoholabhängigen erheben, mit dem Ziel, z. B. Triggervariablen für den Remissionsprozess bzw. aufrechterhaltende Faktoren für die Zeit nach der Remission zu identifizieren (BISCHOF ET AL., 2002). Diese Forschungsarbeiten lassen sich für die Frage der unterschiedlichen psychosozialen Belastung von alkoholbelasteten Familien insofern nutzen, als einige Ergebnisse die Beschreibung der Si-

46

KAPITEL 2

Theoretischer Hintergrund

tuation des Abhängigen vor der Gesundung durch Behandlungsaufnahme oder durch andere Faktoren ermöglichen. So stellt BLOMQVIST (2002) eine schwedische Studie vor, in der Ähnlichkeiten und Unterschiede zwischen Personen, die unbehandelt von einer Alkohol- oder Drogenabhängigkeit remittieren und Personen, die im Rahmen eines formellen Hilfeangebots2 zur Remission kommen, in Bezug auf relevante Umweltfaktoren verglichen wurden. Die Ergebnisse zeigen, dass sich in Bezug auf die untersuchten Alkoholabhängigen behandelte (n = 20) wie unbehandelte (n = 28) Ex-Trinker hinsichtlich der Länge und Ernsthaftigkeit der Alkoholproblematik in den letzten fünf Jahren vor Beginn einer Behandlung bzw. der Gesundung zunächst nicht unterschieden. Bei einer genaueren Analyse der Trinkmuster der letzten fünf Jahre wurde jedoch deutlich, dass in der Gruppe der Behandelten im Laufe der letzten drei Jahre vor Behandlungsbeginn eine stetige Zunahme des Trinkens zu verzeichnen gewesen war, wohingegen die Gruppe der Unbehandelten sogar eine leichte Abnahme des Trinkens im letzten Jahr vor der Gesundung aufzeigte. Die Gruppe der unbehandelten ExAlkoholabhängigen wies darüber hinaus im Vergleich stärkere soziale Ressourcen und höhere Stabilität im sozialen Umfeld während der Zeit der Abhängigkeit auf. Es zeigte sich weiterhin, dass Gründe für die Aufnahme einer Behandlung oft in weiteren psychosozialen Problemen, die zusätzlich zu dem exzessiven Trinkverhalten auftraten, lagen. Die Untersuchungsteilnehmer nannten vor allem finanzielle, arbeitsbezogene oder partnerschaftsbezogene Probleme. Als allgemeine Hindernisse, eine Behandlung zu beginnen, galten Bedenken bezüglich der persönlichen Integrität, die Angst vor Stigmatisierung und Registrierung durch öffentliche Behörden. Das Ausmachen eines Unterschieds zwischen behandelten und unbehandelten Alkoholikern scheint hauptsächlich in Bezug auf zwei Merkmale gerechtfertigt: Zum einen unterscheidet sich das Funktionieren der sozialen Rückhaltsysteme, welches hier (BLOMQVIST, 2002) bei den nicht behandelten spontan remittierten Alkoholikern intakter und stabiler war, und zum anderen das Trinkverhalten unmittelbar vor dem Aufhören, welches vor Antritt einer Behandlung stärker wurde. Entscheidend jedoch für die hier interessierende Fragestellung ist, dass die unbehandelten Alkoholiker in oben erwähnter Studie den Punkt der Besserung der Alkoholabhängigkeit erreicht haben. Sie dürften somit wohl nicht mit der Gruppe der Alkoholiker gleichzusetzen sein, die diesen Punkt nicht erreichen, sondern im Gegensatz dazu einen chronischen Krankheitsverlauf erleben. Unbehandelt kann demnach auch heißen, einem fortschreitenden Chronifizierungsprozess unterworfen zu sein. Für die Kinder bedeutet dies eine Verlängerung der Expositionszeit gegenüber dem Alkohol und den vielfältigen damit verbunden Problemen. Diese Gruppe von Alkoholabhängigen ist in bisherigen Studien jedoch zu wenig berücksichtigt worden. Die stärkere psychosoziale Belastung und möglicherweise auch verschärfte Problematik in Bezug auf den behandelten Alkoholabhängigen, die sich in der zuletzt aufgeführten Studie andeutet, stellten schon W EST & PRINZ (1987) dar: „Treatment status, by definition, means that these cases are more severe, that they are representatives of a particular segment, and the offspring status is likely to be more severe“. Daraus ließe sich formulieren: Kinder von unbehandelten Eltern sind durch die elterliche Al2

Hier definiert als ambulantes oder stationäres Therapieprogramm mit Fokus auf Alkohol- oder Drogenabhängigkeit sowie andere Formen der Behandlung durch Therapeuten oder Ärzte aufgrund der und mit Fokus auf die Suchtproblematik.

47

KAPITEL 2

Theoretischer Hintergrund

koholproblematik in ihren psychosozialen Funktionen weniger stark beeinflusst als Kinder von behandelten Eltern, da es sich bei diesen um weniger ernste Fälle handelt, und diese unbehandelten Eltern stellen eine größere Masse dar als die behandelten Eltern. Auch ROOSA ET AL. (1990, S. 120) vertreten in der Fortsetzung des bereits in der Einleitung dieses Kapitels zitierten Kommentars diesen Standpunkt: „Thus, it could be argued that those studied may have been the most troubled and not typical of children of untreated alcoholics“. Weiterhin zur Unterstützung der Sichtweise, dass unbehandelte Alkoholiker einen geringen Risikofaktor für die Kinder darstellen, tragen BURK & SHER (1988, S. 292) bei: „It is possible that a substantial number of COAs3 whose families are not involved with treatment personnel are, in fact, psychologically healthy and are at low risk for the development of adult psychopathology. Thus, investigators need to survey a broader spectrum of COAs than has been the case in previous studies.“ Doch auch der gegenteilige Standpunkt findet sich in der Literatur: O`FARRELL & FEE(1999) haben sich der Frage genähert, ob die Behandlung von erwachsenen Alkoholikern einen präventiven Einfluss auf deren Kindern ausübt. Sie kommen nach einer Durchsicht relevanter Studien zu dem Schluss, dass Kinder von der Alkoholbehandlung eines Elternteils auch unter Einbezug des Partners grundsätzlich profitieren. Das reduzierte Ausmaß der erlebten Gewalt und der Aggression, sowie dem besseren Auskommen der Eltern miteinander und der Reduktion der Scheidungsquote nach einer Behandlung dienen der Stabilisierung des Kindes. Auch MOOS ET AL. (1990, S. 226) unterstützen die Position, dass eine Remission von der Alkoholabhängigkeit positive Effekte auf die Familienmitglieder haben kann: „Alcohol abuse has pervasive [negative] effects on spouses and children, but these effects diminish or even disappear when the alcoholic family member is recovering".

HAN

Zur Beantwortung der Frage, ob Kinder behandelter und unbehandelter Eltern in ähnlicher Weise gefährdet sind, führten ROOSA ET AL. (1988) eine Studie an 208 Schülern einer amerikanischen High-School durch. 18 % der Stichprobe (n = 38) konnten anhand des Children of Alcoholics Screening Tests als KvA identifiziert werden (CAST; JONES, 1983A) und gaben im Vergleich zu ihren Nicht-KvA-Mitschülern höhere Depressions- und geringere Selbstwertraten an. Ein Trend, mehr Alkohol zu konsumieren, zeichnete sich bei den KvA ab. Kritisch ist bei dieser Studie anzumerken, dass die nicht-klinische Rekrutierungsumgebung Schule nicht per se als Kriterium gelten kann, ausschließlich auf Kinder unbehandelter Alkoholabhängiger zu stoßen. Schließlich wird ein sehr großer Anteil der Kinder behandelter Eltern ebenfalls auf Regelschulen anzutreffen sein. In dieser Studie wurde jedoch nicht darüber berichtet, ob die Eltern tatsächlich unbehandelt waren. 2.4.3 DIE REKRUTIERUNG VON KINDERN UNBEHANDELTER ALKOHOLABHÄNGIGER ELTERN Die Generalisierbarkeit und Konsistenz der Forschungsergebnisse zum Thema Kinder alkoholkranker Eltern sind durch die spezielle Natur der bislang hauptsächlich fokussierten Forschungsstichproben stark eingeschränkt. Denn wie bereits erwähnt wird in vielen Studien die Erreichbarkeit der Eltern, die sich als Patienten in Alkoholbehandlungseinrichtungen befinden, als Akquisitionsstrategie zur Kontaktaufnahme zu deren Kindern genutzt. Die oben genannten limitierenden Überlegungen haben 3

COAs = children of alcoholics

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KAPITEL 2

Theoretischer Hintergrund

das Interesse an so genannten community samples (zu deutsch: Bevölkerungsstichproben) erhöht. Jedoch sind alkoholbelastete Familien relativ schwer erfolgreich zu kontaktieren und die Wahrscheinlichkeit, dass die Teilnahme an Forschungsstudien verwehrt wird, ist erhöht (CHASSIN ET AL., 1992). Als eine weitere Rekrutierungsmöglichkeit bietet sich die direkte Kontaktaufnahme zu Kindern und Jugendlichen und damit potentiellen Kindern Suchtkranker über Schulen oder andere Bildungseinrichtungen an. Auf dem Gebiet der Rekrutierung von KvA außerhalb von Suchthilfeeinrichtungen scheint es aber insgesamt bisher eher wenige Erfahrungen und Forschungsansätze zu geben, was durch MICHAELS ET AL. (1992, S. 664) festgestellt wird: „Little work has been done to develop or evaluate techniques to recruit COAs from the general population“. Die Rekrutierung von Hochrisikokindern im Allgemeinen, aber auch im Speziellen die Rekrutierung von KvA für Forschungsstudien und Präventionsprogramme (MICHAELS ET AL., 1992) in der allgemeinen Bevölkerung bringt eine Reihe von Problemen und Hindernissen mit sich: Kinder und Eltern müssen interessiert sein. Eine elterliche Einverständniserklärung muss eingeholt werden können, wobei einer Schätzung nach an dieser Stelle 25 % bis 50 % der potentiellen Teilnehmer „verloren“ gehen (BROOKS & KENDALL, 1982; z. n. MICHALS ET AL., 1992). • Eltern und/oder Kinder müssen sich als Problemgruppe zu erkennen geben, ein Vorgang, der aufgrund von Vorurteilen und Meinungen der Bevölkerung nicht immer ratsam sein muss (BURK & SHER, 1990). • In bestimmten Rekrutierungskontexten müssen die Kinder Ängste und andere potenzielle Barrieren überwinden, ihre Eltern um Erlaubnis zur Teilnahme zu bitten, da die Teilnahme des Kindes an einer Forschungsstudie oder einem Präventionsprogramm für die Eltern durchaus bedrohlich sein kann. • •

Die Forschungsgruppe um ROOSA (ROOSA ET AL., 1990; MICHAELS ET AL., 1992) hat sich der Problematik der Rekrutierung von Kindern unbehandelter Alkoholabhängiger für Forschungszwecke, aber insbesondere auch für die Vermittlung in ein schulisches Präventionsprogramm angenommen. Sie bezeichnen die Kontaktaufnahme als das größte Problem im Forschungsprozess: „(...) how to gain access to COAs in need, especially children of untreated alcoholics. In many ways this was the most difficult problem of all” (ROOSA ET AL., 1990, S. 128). Gleichzeitig wurde im Rahmen der Forschungsarbeit nach Lösungen gesucht, das Problem der sozialen Stigmatisierung sowie das der schwierigen Identifikation der KvA in den Griff zu bekommen. Zwei Strategien zur Vermittlung von KvA in spezielle Präventionsprogramme werden von ROOSA ET AL. (1990) vorgestellt. Beide Strategien nehmen das Schulsystem als Ausgangspunkt. Die erste Möglichkeit ist die Identifizierung und Vermittlung durch Schulpersonal, das im Rahmen schulischer Präventionsprogramme für die Problematik von KvA sensibilisiert wird. Als ernste Gefahr hierbei wird eine negative Etikettierung der Kinder gesehen. Dies ist eine Gefahr, die laut Meinung der Autoren bei sehr direkten Rekrutierungsstrategien für KvA zu häufig übersehen werde und im schlimmsten Fall mehr Schaden als Nutzen mit sich bringt.

49

KAPITEL 2

Theoretischer Hintergrund

Eine zweite Möglichkeit bietet eine so genannte self-selection-Prozedur (EMSHOFF & MOETI, 1987; zit. n. ROOSA ET AL., 1990), bei der Schulkinder und damit wiederum potenzielle KvA selber an einem Präventionsprogramm Interesse bekunden und durch eigene Initiative teilnehmen sollen. Hierfür wurde Grundschulkindern zunächst ein Film über Effekte pränatalen Alkoholismus auf Familienmitglieder in Klassenräumen gezeigt, dann diskutiert und zu einem weiteren Diskussionstreffen eingeladen. Bei diesem Treffen wurden eine Einladung zur Teilnahme an einem Programm ausgesprochen und Einverständniserklärungen für die Eltern verteilt. Diese Rekrutierungsstrategie erwies sich jedoch nicht effektiv für Kinder von Eltern mit Alkoholproblemen. Es gab keine Möglichkeit der Unterscheidung von Familien, in denen Kinder das elterliche Einverständnis für ein Präventionsprogramm erhalten hatten, in denen Kinder nur Interesse zeigten und das Einverständnis nicht bekommen hatten oder aber gar kein Interesse zeigten. Verschiedene Autoren weisen zudem darauf hin, dass Schülerstichproben typischerweise zu wenig Sonderschüler und Schulschwänzer aufweisen und mit dem dropout-Problem zu kämpfen haben. CHASSIN ET AL. (1992) verglichen Vor- und Nachteile dreier Strategien zur Erhebung gemeindenaher, d. h. unbehandelter KvA-Stichproben miteinander: Sie nahmen Kontakt zu Eltern (und deren Kindern) auf, die entweder (a) einen Eintrag im Strafregister wegen Fahrens unter Alkoholeinfluss aufwiesen und bestimmten Indikatoren für eine Alkoholabhängigkeit entsprachen (Blutalkoholkonzentration, MAST u. a.) (n = 103) oder (b) einen „Wellness“-Fragebogen einer privaten Krankenversicherung ausgefüllt hatten und dessen alkoholrelevante Fragen kritisch beantwortet hatten (n = 22) oder (c) an einer Telefonbefragung teilgenommen hatten (n = 40), mittels derer sowohl KvA-Familien als auch Kontrollfamilien gesucht wurden. Die Raten der zustande gekommenen Kontakte durch eine der drei Strategien waren recht ähnlich, wenn auch eher niedrig: 44,3 % durch die Gerichte, 37,6 % durch die Fragebogen-Strategie und 38,3 % durch Telefonbefragung. Es zeigte sich in der Analyse derer, die nicht kontaktiert werden konnten, dass insbesondere Jüngere, Frauen, Unverheiratete, Personen spanischer Herkunft und Personen mit niedrigerem sozialökonomischen Status als schwierig zu kontaktieren gelten müssen. Die Ablehnungsraten waren etwas höher, mit einer Tendenz, dass die StrafregisterPersonen häufiger die Teilnahme verweigerten. Die Population der mit Alkohol auffällig gewordenen Kraftfahrer wurde als kosteneffektive Stichprobe angesehen, da darin ein großer Anteil Alkoholiker vorhanden ist. Die niedrige Teilnehmerrate und die hohe Ablehnungsrate machten diesen Vorteil jedoch zunichte. Als Fazit der Analysen bezüglich der Symptomatologie der Teilnehmer und Familiencharakteristiken stellen die Autoren heraus, dass die Rekrutierungsgruppen nicht auf einem Störungskontinuum angesiedelt werden können. Die Folgen für die KvA sind eher unabhängig von der Art der Rekrutierung zu sehen, sondern vielmehr als Folgen der Mediatorvariablen wie elterliche Psychopathologie oder die Zeit, die seit dem Beginn des Alkoholproblems vergangen ist.

50

KAPITEL 2

Theoretischer Hintergrund

2.5 INTERNATIONALE FORSCHUNG ZU KINDERN ALKOHOLBELASTETER ELTERN: FAZIT UND DEFIZITE

Die vorausgehende Darstellung der internationalen Forschungsliteratur zu Kindern alkoholbelasteter Eltern hat einerseits gezeigt, dass diese Gruppe als Ganzes eine Hauptrisikogruppe für pathogene Entwicklungen, insbesondere im Bereich von Suchtstörungen, darstellt. Andererseits wird deutlich, dass die Heterogenität – und damit die Verteilung der individuellen Risiken und Resilienzen – innerhalb dieser Gruppe stark variiert. Dies stellt eine besondere Herausforderung für differenzielle Diagnostik und sich anschließende Präventions- und Interventionsmaßnahmen dar. Es wird allerdings auch deutlich, dass die Beiträge aus Deutschland zur Erforschung und zur Entwicklung von Hilfen für Kinder suchtkranker Eltern noch unzureichend sind. Als noch schwerwiegender ist jedoch einzuschätzen, dass – auch im internationalen Bereich – kaum Arbeiten zur Heterogenität der Gruppe der Kinder suchtkranker Eltern vorliegen. Als eine besonders relevante Gruppe sind dabei, wie erste Hinweise aus dem internationalen Bereich zeigen, die Kinder unbehandelter suchtkranker Eltern einzuschätzen. Diesen Kindern sollte im Rahmen des Interesses für alle Kinder aus suchtbelasteten Familien das spezielle Interesse von Forschung, Prävention und Behandlung gelten. Im folgenden Kapitel 3 wird daraus ein umfassendes diesbezügliches Forschungsmodell dargestellt, das im Rahmen der vorliegenden Studie verwirklicht wurde. Es soll vor allem zu evidenzgeleiteten Optimierungen der Hilfen für die betroffenen Kinder und Jugendlichen führen.

51

KAPITEL 3

Durchführung und Methodik

KAPITEL 3

DURCHFÜHRUNG UND METHODIK

Das folgende Kapitel beschreibt zunächst das Untersuchungsdesign (Kapitel 3.1), die Fragestellungen und Einzelhypothesen (Kapitel 3.2), die Akquisitionsstrategien zur Gewinnung der Stichprobenkollektive und die Merkmale der Stichproben der Studie (Kapitel 3.3) sowie die Durchführungsmodalitäten der Forschungsinterviews (Kapitel 3.4). Anschließend erfolgt eine ausführliche Darstellung der Herleitung und Beschreibung der Instrumente des eingesetzten Erhebungsinventars (Kapitel 3.5).

3 .1

UNTERSUCHUNGSDESIGN

Die Entwicklung des Untersuchungsdesigns ergab sich aus den theoretischen Überlegungen und methodischen Anforderungen der interessierenden Fragestellungen. Die Prüfung der Fragestellungen und Einzelhypothesen (vgl. Kapitel 3.2) sollte ursprünglich an fünf Stichproben vollzogen werden – Kinder unbehandelter alkoholbelasteter Eltern, Kinder unbehandelter alkoholbelasteter Eltern mit Vermittlung in ein spezifisches Interventionsangebot, Kinder behandelter alkoholbelasteter Eltern, Kinder depressiver sowie Kinder nichtauffälliger Eltern. Nachstehende Tabelle 3.1 beschreibt die in der Phase der Projektentwicklung geplanten Untersuchungsgruppen. Tab. 3.1

Beschreibung der ursprünglich geplanten Untersuchungsgruppen Beschreibung

Untersuchungsteilnehmer: Kinder & Jugendliche zwischen 11 und 18 Jahren, ...

Untersuchungsgruppe I (UG I)

Kinder unbehandelter Eltern mit problematischem Alkoholkonsum mit Vermittlung in ein Hilfeangebot

... die dem Alkoholkonsum der Eltern/eines Elternteils seit mindestens acht Jahren ausgesetzt sind/waren ... deren Eltern/Elternteil bis zum Erhebungszeitpunkt weder eine Entzugsnoch eine Entwöhnungsbehandlung absolviert und darüber hinaus niemals einen Anschluss an eine Suchtselbsthilfegruppe gehabt haben/ hat oder sich aktuell erstmalig in einer Behandlungseinrichtung befinden/t ... die in ein spezifisches Behandlungs- und Betreuungsangebot vermittelt werden

Vergleichsgruppe I (VG I)

Kinder unbehandelter Eltern mit problematischem Alkoholkonsum ohne Vermittlung in ein Hilfeangebot

... die dem Alkoholkonsum der Eltern/eines Elternteils seit mindestens acht Jahren ausgesetzt sind/waren ... deren Eltern/Elternteil bis zum Erhebungszeitpunkt weder eine Entzugsnoch eine Entwöhnungsbehandlung absolviert und darüber hinaus niemals einen Anschluss an eine Suchtselbsthilfegruppe gehabt haben/ hat oder sich aktuell erstmalig in einer Behandlungseinrichtung befinden/t ... die nicht in ein spezifisches Behandlungs- und Betreuungsangebot vermittelt werden

Vergleichsgruppe II (VG II)

Kinder behandelter alkoholbelasteter Eltern

... deren Eltern/Elternteil in der Vergangenheit wegen einer Alkoholproblematik stationär, tagesklinisch, ambulant oder in einem Selbsthilfeangebot behandelt wurden

Klinische Kontrollgruppe (KG I)

Kinder psychisch kranker Eltern

... deren Eltern/Elternteil wegen einer diagnostisch klassifizierbaren psychischen Störung (außer Suchtmittelabhängigkeit, z. B. depressive Störungen, Angststörungen, Zwangsstörungen oder Schizophrenien) stationär, tagesklinisch oder ambulant aktuell behandelt werden oder in der Vergangenheit behandelt wurden

Nicht-klinische Kontrollgruppe (KG II)

Kinder unauffälliger Eltern

... bei denen kein Hinweis auf einen problematischen Alkoholkonsum oder eine sonstige psychische Störung oder besondere Problematik eines oder beider Elternteile zu finden ist

Untersuchungsgruppen

52

KAPITEL 3

Durchführung und Methodik

Aus Gründen der besonders schwierigen Erreichbarkeit der Zielpersonen war es jedoch schon in der Projektdurchführungsphase erforderlich, folgende Änderungen im ursprünglich geplanten Fünf-Stichprobenmodell vorzunehmen: •





Streichung des Zeitkriteriums von acht Jahren Expositionszeit aus den Zugangsvoraussetzungen zur Teilnahme an der Studie, da hierfür nicht genügend Probanden zu finden waren. Verschmelzung der Gruppen UG I und VG I zu einer Gruppe, da es nicht möglich war, Kinder unbehandelter suchtkranker Eltern in bestehende regionale Behandlungsangebote zu vermitteln. Diese waren nicht in ausreichender Zahl und nicht flächendeckend vorhanden. (Weitere Gründe sind ausführlich in Kapitel 5.3 beschrieben.) Nichterhebung der vorgesehenen KG I, da die Rekrutierung einer ausreichenden Anzahl von Kindern depressiv oder anders psychisch erkrankter Eltern nicht realisiert werden konnte.

Wie sich in der Akquisitionsphase des Projekts, d.h. der Phase, in der Probanden zur Befragung gesucht wurden, herausstellte, waren Kinder unbehandelter suchtmittelbelasteter Eltern und Kinder psychisch erkrankter Eltern nur sehr schwer oder so gut wie gar zur Beforschung zu gewinnen. In Bezug auf die Kerngruppe der Untersuchung, Kinder unbehandelter suchtkranker Eltern, wurden deshalb die Anstrengungen zur Akquisition vervielfacht, was schließlich zum Erfolg führte. Als zunächst unbeabsichtigtes Nebenprodukt der Studien entstand so eine differenzierte Technologie zur Akquisition einer schwierig erreichbaren Zielgruppe. Diese könnte für künftige Praxismodelle von entscheidender Bedeutung sein. 3.1.1 AKQUISITIONSSTRATEGIEN ELTERN

IN

BEZUG

AUF

KINDER

UNBEHANDELTER SUCHTKRANKER

Mit dieser Darstellung werden die Erfahrungen bei der Akquisition von Probanden im Rahmen der Studie dargestellt. Eine der wesentlichen Erfahrungen waren die besonders intensiven Anstrengungen, die für die Gewinnung von Kindern und Jugendlichen nötig waren, die im Familienkontext mit unbehandelten suchtkranken Eltern zusammen leben. Ein wesentlich größerer Aufwand als ursprünglich beabsichtigt und eingeschätzt musste dabei für die Herstellung eines tragfähigen Zugangs zu diesen Kindern aufgewendet werden. Auf Grund der gesammelten Erfahrungen ist davon auszugehen, dass diese Gruppe von Kindern auch im Praxiskontext erreichbar ist, wobei dies jedoch erheblichen Aufwand erfordern dürfte. Als besonders erfolgreich erwies sich in diesem Zusammenhang die Datenerhebungsstrategie in Schulen mit einem vorgeschalteten Screeningbogen. Auf diesem Wege konnte – wenn auch mit höchstem Aufwand, wie die folgende Darstellung zeigt – eine größere Zahl von Risikokindern erreicht werden. Die Relation zwischen angesprochenen Kindern und tatsächlich als Risikokindern interviewten liegt bei ca. 8.300 zu 75 (!) und damit weit unter der empirisch zu erwartenden Relation von 100 zu 15 (LACHNER & W ITTCHEN, 1997). Die im Rahmen der Studie erreichte Quote Kinder unbehandelter suchtkranker Eltern entspricht also einer Relation von etwa 1 zu 110, während die empirische Relation auf der Basis von Lebenszeitprävalenzen etwa 1 zu 7 beträgt. Dies wirft wichtige und interessante Fragen bezüglich der Erreichbarkeit und der Selbstidentifizierungskompetenz der betroffenen Kinder auf. Auch bezüglich der kognitiven Verarbeitung der familiären Situation und der damit verbundenen Belastungen ergeben sich wichtige Fragen. Ist

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KAPITEL 3

Durchführung und Methodik

die Leugnung und Verzerrung der Sucht auch bei den mitbetroffenen Kindern so stark, dass nur so wenige erreicht werden können? Oder sind es eher emotionale Faktoren (wie Scham, Schuld, Angst), die jene von einer Öffnung des Familientabus abhalten? Gibt es motivationale Hindernisse, die es den Kindern erschweren, über ihre Familiensituation nachzudenken („Mir kann sowieso nichts Schlimmes mehr passieren“)? Und schließlich: Gab es in den Familien einen Widerstand der Eltern oder eines Elternteils, der die Teilnahme der Kinder und Jugendlichen an der Untersuchung unmöglich machte? Durch diese Erfahrungen ist die Studie auch zu einer methodischen Reflexion bezüglich der Akquisition einer schwer erreichbaren Personengruppe geworden. Im Folgenden eine Darstellung der Akquisitionsstrategien im Einzelnen: Die Akquisitionsstrategien konzentrierten sich auf die Kontaktierung der drei oben beschriebenen Gruppen a) „Kinder unbehandelter Eltern mit problematischem Alkoholkonsum“ (EG I), b) „Kinder behandelter alkoholabhängiger Eltern“ (VG II) und c) „Kinder psychisch kranker Eltern“ (KG I). Die Untersuchungsteilnehmer für die Kontrollgruppe (KG II; Kinder von Normaleltern) wurden mit Hilfe der Erhebung in Schulen (s. u.) erreicht. Dementsprechend lassen sich die vielfältigen Akquisitionsbemühungen in drei Untergruppen einteilen: a) b) c)

Der erste Strategietyp konzentrierte sich auf die Identifizierung von Kindern, die bei unbehandelten Problemtrinkern leben oder gelebt haben. Zweitens lassen sich Strategien zu einer Gruppe zusammenfassen, die dazu dienten, zu behandelten alkoholabhängigen Eltern und/oder Eltern, die an einer anderen psychischen Störung leiden, Kontakt aufzubauen. Über weitere, zunächst wenig fokussierte Strategien wurden Kontakte zu allen oben genannten Gruppen hergestellt.

Die Akquisitionsmethodik ließ sich hinsichtlich zweier grundsätzlicher Vorgehensweisen unterscheiden: Es handelte sich zum Einen um die Screening-Variante. Hier wird mittels eines (vorgeschalteten) Screeningfragebogens versucht, in Frage kommende Kinder zu erreichen. Bei der zweiten Variante handelte es sich um die so genannte Faltblatt-Variante, bei der die Kontaktaufnahme mittels eines motivierenden Faltblatts bzw. mittels großformatiger Aushänge bzw. Poster (z.B. in DIN A-3-Format) angebahnt wurde. Die Faltblätter bzw. Poster enthielten dabei die ersten nötigen Interviewund Kontaktinformationen. Die „Faltblatt-Variante“ wurde nach Möglichkeit mit der persönlichen Ansprache betreffender Personen kombiniert. Wo dies nicht durch die Mitarbeiter des Projekts möglich war, musste das persönliche Ansprechen durch Kooperationspartner vor Ort erfolgen. Eine weitere grundsätzliche Unterteilung in der Methodik stellt die Direktheit des Ansprechens dar: Zum einen wurden direkt die Interviewpartner, also die Kinder, angesprochen, zum anderen zunächst die Eltern. Bei der ersten Methodik sollten dann die Kinder mit schriftlichen Informationen die Einverständniserklärung ihrer Eltern („informed consent“) ihrer Eltern einholen. Eine weitere Unterscheidung betrifft nicht zuletzt den Intensitätsgrad der Kontaktaufnahme mit den Untersuchungsteilnehmern. Einige Strategien erforderten einen hohen persönlichen Einsatz verschiedener Multiplikatoren für die Studie, bei anderen Strategien wurde auf die Weiterverbreitung des Materi-

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KAPITEL 3

Durchführung und Methodik

als in möglichst vielen verschiedenen Bereichen gesetzt. Im Folgenden werden die einzelnen Akquisitionsstrategien mit den spezifischen Besonderheiten dargestellt. 3.1.1.1 Akquisitionsstrategien mit dem Fokus „Unbehandelte Problemtrinker“

Zu den so genannten Akquisitionsstrategien, die ein vorgeschaltetes Screening verwendeten, zählten insbesondere die Erhebungen in Schulen und in Kinder- und Jugendheimen. Erhebungen in Schulen Vorgehen:



Schulen-Screening I: Befragung in 22 Schulen in NRW und 2 Hauptschulen in Baden-Württemberg von Februar 2001 bis Januar 2002, davon 5 Gymnasien, 2 Gesamtschulen, 4 Realschulen, 6 Hauptschulen, 5 Sonderschulen Anzahl der befragten Kinder und Jugendlichen: N = 5347



Schulen-Screening II: Befragung in 8 Schulen in NRW von Mai 2002 bis Juli 2002 mit aktualisiertem Anschreiben und aktualisierter Screeningbogenversion. Anzahl der befragten Kinder und Jugendlichen: N = 3000

Methode: Fragebogenentwicklung, -einsatz und Auswertung Zielgruppen:

• • • •

Kinder unbehandelter Problemtrinker (post hoc Interviewzuweisung4 zur UG I) Kinder behandelter alkoholabhängiger Eltern (post hoc Interviewzuweisung zur VG II) Kinder psychisch kranker Eltern (post hoc Interviewzuweisung zur KG I) Kontrollgruppe (post hoc Interviewzuweisung zur KG II)

Der Kontaktaufbau bei dieser Erhebungsstrategie war folgendermaßen: Die Schulleitungen von insgesamt 70 Schulen in NRW aller weiterführenden Schultypen (Gymnasium, Gesamtschule, Hauptschule, Realschule, Sonderschule; davon Screening I: N = 40; Screening II: N = 30) wurden per Anschreiben über das Befragungsvorhaben informiert. Dem Schreiben lagen ein Exemplar des Screeningbogens „Kurzfragebogen für SchülerInnen von 11 bis 16 Jahren“ und ein Informationsfaltblatt zum Forschungsschwerpunkt Sucht an der KFH NW bei. Es wurde angefragt, ob in den Jahrgangsstufen 6 bis 9 eine Kurzbefragung zum Thema „Konsum psychotroper Substanzen, psychische Gesundheit und Suchtprävention“ durchgeführt werden könnte. Zum Hintergrund dieser Befragung wurde erklärt, dass im Forschungsschwerpunkt Sucht u. a. der Themenbereich „Kinder - Nikotin, Alkohol und andere Drogen“ erforscht wird. An4

„post hoc Zuweisung“: Probanden werden nach Durchführung des Screenings und des Interviews den jeweils richtigen Zielgruppen zugeordnet.

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KAPITEL 3

Durchführung und Methodik

hand empirischer Daten sollten die Zusammenhänge zwischen dem Konsum von Nikotin, Alkohol und anderen Drogen bei 11- bis 16-Jährigen und dem Suchtmittelmissbrauch in direkter Umgebung der Jugendlichen (Peergruppen, Familie, Verwandte) aufgeklärt werden. Wenige Tage nach Versendung der Anschreiben wurde mit den Schulleitern telefonisch geklärt, ob eine Teilnahme der jeweiligen Schule realisierbar sei. In seltenen Fällen konnte schon in diesem ersten Telefonat ein Datum und das konkrete Vorgehen abgestimmt werden, oder man wurde an einen Lehrer (zumeist die DrogenBeratungslehrer, aber auch pädagogische Leiter oder Schulpsychologen) zur weiteren Klärung verwiesen. Wurde eine eindeutige Absage erteilt, so gehörten zu den genannten Gründen der Schulen im Stadtbereich Köln eine „Übersättigung“ mit Befragungen oder aber auch ein fehlendes Interesse der Schulleiter bzw. die Befürchtung, die Sucht-Thematik durch eine solche Befragung für die Schüler erst interessant zu machen. Die Durchführung der Befragung bei den teilnahmebereiten Schulen war wie folgt: Bei den 22 Schulen, die der anonymen Befragung zustimmten (Screening I), wurden jeweils an einem Vormittag mit Hilfe von vier bis sechs Mitarbeitern und studentischen Hilfskräften des Forschungsschwerpunkts Sucht die Befragungen in den einzelnen Klassen unter „Klassenarbeitsbedingungen“ durchgeführt. Das Vorgehen war in Schulungen den Mitarbeitern in standardisierter Form vermittelt worden. Die Items des Fragebogens konnten von den Schülern größtenteils selbstständig beantworten werden. Vereinzelt auftretende Fragen wurden individuell, häufig gestellte Fragen so weit möglich einheitlich durch die Versuchsleiter beantwortet. Die anschließende Kontaktaufnahme und Identifizierung der Interviewpartner gestaltete sich wie folgt: Während der Kurzbefragung erhielten die Schülerinnen und Schüler die Information, dass für Interessierte die Möglichkeit bestehe, in einigen Wochen an einem vertiefenden Interview teilzunehmen. Ein Losverfahren entscheide über die Auswahl der Interviewteilnehmer. Voraussetzung sei, die auf der letzten Seite des Screeningbogens abgedruckte Einverständniserklärung von einer erziehungsberechtigten Person unterschreiben zu lassen und zum Forschungsschwerpunkt Sucht in einem vorfrankierten Umschlag zu schicken. Die Schülerinnen und Schüler erhielten weiterhin einen Brief, in dem die Eltern über das Interview informiert wurden. Die Einverständniserklärung konnte durch eine eindeutige Kodierung dem Screeningbogen eines Jugendlichen zugeordnet werden. Zur Identifizierung der Kinder und Jugendlichen, die den elterlichen Alkoholkonsum problematisch erlebten oder erlebt hatten, enthielt der Screeningbogen zwei kritische Fragen: a) b)

„Hast du dir jemals gewünscht, dass eine oder mehrere der oben genannten Personen weniger Alkohol trinkt/trinken?“ (Antwortoptionen: „nein“, „ja - Wer?“) „War das Alkoholtrinken eines oder beider Elternteile jemals ein Problem für dich?“ (Antwortoptionen: „nein“, „Vater“, „Mutter“, „beide“).

Schülerinnen und Schüler, die eine oder beide Fragen positiv unter Nennung eines oder beider Elternteile beantworteten, galten als potenzielle Interviewkandidaten (z. B. das Kind hatte sich schon einmal gewünscht, dass der Vater weniger Alkohol trinken möge und/oder hatte das Alkoholtrinken seines Vaters als Problem empfunden). Da-

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KAPITEL 3

Durchführung und Methodik

bei wurde unterschieden, ob die Jugendlichen nur ein oder aber beide kritischen Items positiv beantwortet hatten. Wurde nur eines unter Nennung von einem Elternteil beantwortet, erfolgte eine zusätzliche vorläufige Bewertung als „Risikokind“, wurden beide Items mit der Nennung eine Elternteils beantwortet erfolgte die zusätzliche und ebenfalls vorläufige Bezeichnung „Hochrisikokind“. In beiden Fällen wurde die Ad-hocZuweisung5 in die Gruppe der unbehandelten Problemtrinker (EG I) vorgenommen. Wiesen die Antworten auf dem Screeningbogen nicht daraufhin, dass der Alkoholkonsum im Elternhaus als Problem wahrgenommen wurde, erfolgte eine Ad-hocZuweisung in die Kontrollgruppe (KG II). Jugendliche, die eine schriftliche Einverständniserklärung der Eltern geschickt hatten, wurden anhand eines standardisierten Vorgehens telefonisch kontaktiert. Die Orts- und Terminabsprache erfolgte wenn möglich unter Einbeziehung einer erziehungsberechtigten Person (meist eines Elternteils). Die endgültige Zuweisung zu den Untersuchungsstichproben konnte aus mehreren Gründen erst nach der Durchführung des Interviews erfolgen (post-hoc-Zuweisung): Da der Screeningbogen keine Fragen bezüglich einer möglichen Behandlung der Eltern oder des Elternteils enthielt, musste diese Information erst im Interview von den Kindern erfragt werden. Ebenso enthielt der Screeningbogen keine differenzierten Fragen zum Alkoholkonsum der Eltern, so dass im Interview genauere Konsummerkmale wie Häufigkeit, Menge, Anlässe etc. erfragt wurden. Durch die differenzierteren Fragen im Interview konnte auch ermittelt werden, was genau das Kind mit seiner Antwort bezüglich des elterlichen Trinkens im Screeningbogen ausdrücken wollte. Die Projektmitarbeiterinnen entschieden dann, nicht zuletzt unter Berücksichtigung eines im Interviewleitfaden enthaltenen Fragebogens zu den Kognitionen des Kindes über den Alkoholkonsum der Eltern, zu welcher Gruppe die Zuordnung erfolgen sollte. So kam es durchaus vor, dass ein Kind ein oder beide Screening-Items positiv beantwortet hatte (ad-hoc-Zuweisung zu EG I), im Interview aber versicherte, dass sich seine Antwort zum problematischen Konsum, z. B. des Vaters, auf ein einziges Geburtstagfest, an dem der Vater leicht betrunken war, bezogen hatte. Wenn innerhalb des Interviews keine anderen Anzeichen für eine Alkoholproblematik oder sonstige psychische Auffälligkeiten eines Elternteils auftauchten, erfolgte schließlich die post-hocZuweisung dieses Kindes zur KG II. Um die Stichprobe der Interviewkinder unbehandelter suchtkranker Eltern zu vergrößern, wurden zwischen Mai und Juli 2002 acht weitere Schulen-Screenings durchgeführt.

3.1.1.2 Evaluation der Akquisitionsstrategie mit Hilfe von Screenings an Schulen

Die Ergebnisse mit der Akquisitionsstrategie des Screenings an Schulen kann zusammenfassend wie folgt bewertet werden: • Schulen im Kölner Stadtgebiet erwiesen sich als „übersättigt“ in Bezug auf empirische Befragungen. Viele gaben an, bereits an anderen Studien beteiligt (gewesen) zu sein. Dadurch musste eine Ausweitung der Befragung auf ganz NRW vorgenommen werden, was längere Anfahrten zum Screeningtermin, vor allem aber auch zu den in den verschiedenen Städten ermittelten Interviewkindern ergab. 5

Ad hoc Zuweisung: Probanden werden aufgrund der Beantwortung des Screeningbogens den Zielgruppen zugeordnet.

57

KAPITEL 3

Durchführung und Methodik







• •



Befürchtungen der Schulleitungen wurden geäußert, mit dem Themengebiet Sucht und Abhängigkeit womöglich „schlafende Hunde“ zu wecken. Gemeint waren damit ein gesteigertes Drogeninteresse der Schüler oder negative Reaktionen der Eltern. Die Befragung wurde deshalb häufig abgelehnt. Organisatorische Schwierigkeiten bei der Terminfindung im schulischen Betrieb wegen vieler zusätzlicher Termine (Klassenfahrten, Abiturfeiern etc.) erschwerten die Befragungsdurchführung. Ein erheblicher Arbeits- und Kostenaufwand entstand durch die Herstellung und Bereitstellung des benötigten Materials, durch handschriftliches Vorkodieren von 400 bis 800 Fragebögen pro Schule, den großen Personalbedarf am Tag des Screenings und der Auswertung der Antworten der Schüler Im Sonderschulbereich gestaltete sich die Befragung als besonders aufwändig. Durch das methodische Vorgehen beim Screening können Fehler i. S. v. Alphaund Beta-Fehler nicht ausgeschlossen werden. Darunter wird die fälschlicherweise positive Identifikation von Probanden (Alpha-Fehler) bzw. das Übersehen von tatsächlich positiven Merkmalsträgern (Beta-Fehler) verstanden. So wurden evtl. Problemtrinker nicht identifiziert, weil deren Kinder möglicherweise aus Angst vor Stigmatisierung die Fragen nicht wahrheitsgemäß beantworteten. Oder es wurden Nicht-Problemtrinker als Problemtrinker identifiziert, weil die Alkoholfragen positiv beantwortet wurden, sich dahinter aber in Wirklichkeit keine Alkoholabhängigkeit und kein –missbrauch verbargen. In einigen wenigen Fällen wurden Schülerinnen und Schüler wegen fehlendem Einverständnis der Eltern von der Screening-Befragung ausgeschlossen. In einem Fall handelte es sich - laut Schulleitung - hier um Eltern, deren Alkoholproblematik bekannt war, möglicherweise gilt dies auch für andere Fälle.

An einer Teilstichprobe wurde ermittelt, in wie vielen Fällen die Schüler bzw. die Eltern die Teilnahme am Interview ablehnten. Potenzielle Interviewpartner willigten in 55.5% aller Fälle in das Interview ein, aber erhielten dann das Einverständnis der Eltern nicht oder aber schickten es nicht ab. Dies geschah in 36.6 % aller Fälle (s. Tab. 3.2). Tab. 3.2: Einwilligungsquote der Schüler und Einverständnisquote der Eltern (N = 3928). Einverständnis der Eltern zum Interview Schülerangaben Zum Interview bereit?

Gesamt

einverstanden ja

Anzahl

% von zum Interview bereit? % von Einverständnis der Eltern nein Anzahl % von Zum Interview bereit? % von Einverständnis der Eltern Anzahl % von Zum Interview bereit? % von Einverständnis der Eltern

Gesamt

nicht erhalten/ nicht einverstanden 769 1430

36.6 % 95.2 % 39 2.3 % 4.8 % 808 20.6 % 100 %

63.4 % 45.8 % 1690 97.7 % 54.2 % 3120 79.4 % 100 %

2199 100 % 55.5 % 1729 100 % 45.5 % 3928 100 % 100 %

Neben der letztendlich erfolgreichen Akquisitionsstrategie durch Screenings an Schulen wurde als weitere screeningbasierte Akqusitionsstrategie eine Erhebung an Kinder- und Jugendheimen eingesetzt. Das Vorgehen bei der Kontaktaufnahme zu Inter-

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KAPITEL 3

Durchführung und Methodik

viewkindern in Heimunterbringung ähnelte insgesamt dem in den Schulen. Die Kontaktaufnahme erfolgte über die Heimleitungen, das Screening erfolgte in Kleingruppen mit ausgewählten Kindern und Jugendlichen im Alter von 11 bis 16 Jahren. Neben der Identifizierung der Interview-Risikokinder durch die Screeningbogen-Methode wurden in einzelnen Heimen auch die Erzieher bzw. die Heimleitung als Informationsquellen über den elterlichen Alkoholkonsum genutzt. Die Interviews mit Heimkindern erfolgten vor Ort in den Heimen. Die durchschnittliche Dauer eines Interviews lag hier bei 4 bis 5 Stunden, da ähnlich wie im Sonderschulbereich häufig lernbehinderte oder zumindest lerngestörte Kinder als Interviewpartner dienten. Das Einholen der Einverständniserklärungen der Erziehungsberechtigten für Screening und Interview oblag der Heimleitung. Durch diese Strategie konnten insgesamt 18 Interviewkinder gewonnen werden. Evaluation dieser Akquisitionsstrategie • Die Kontaktaufnahme zu den Heimleitern gestaltete sich teilweise schwierig, da diese schlecht zu erreichen waren. • Das Angewiesensein auf die Mitarbeiter vor Ort in den Heimen verhinderte vereinzelt ein Interview. Manche Erzieher waren nicht bereit, Kinder, die Interesse am Interview bekundet hatten, auch teilnehmen zu lassen, weil sie, die Erzieher, eine Verstärkung der Problematik für den Jugendlichen befürchteten. • Eine bisweilen unzureichende Informationsweiterleitung der Heimleiter zu den Mitarbeitern in den Teams ließ Befürchtungen und Missverständnisse auftreten, ohne die evtl. weitere Interviews möglich gewesen wären. • Teilweise konnten die Screeningbögen der lernbehinderten oder verhaltensauffälligen Kinder trotz intensiver Betreuung nicht gewertet werden, da manche Kinder extrem geminderte Konzentrations- und Sprachverständnisleistungen aufwiesen. • Teilweise ergaben sich lange Anfahrtswege zu den Heimen.

Die weiteren angebahnten Akquisitionsstrategien erwiesen sich als wenig erfolgreich. Insbesondere der Versuch, die Kinder verkehrsauffälliger Kraftfahrer, über Beratungsdienste (z.B. TÜV) zum Interview zu gewinnen, konnte während des Erhebungszeitraumes der Studie nicht erfolgreich umgesetzt werden. 3.1.2 MEHRSTICHPROBENMODELL ALS GRUNDMERKMAL DES UNTERSUCHUNGSDESIGNS Die Forschungsstudie verwendet ein Mehrstichprobenmodell, das die Vergleichbarkeit der verschiedenen, theoretisch mit unterschiedlich hohen Risiken behafteten Gruppen der Klientel Kinder von alkoholbelasteten Eltern erlaubt. Um die Besonderheiten in der Entwicklung der betroffenen Kinder analysieren zu können, ist der Vergleich mit einer Kontrollgruppe aus der bezüglich einer Alkohol- bzw. Suchtproblematik nichtauffälligen Normalbevölkerung unabdingbar, da nur auf diese Art die Spezifität möglicher Risiko- und Schutzfaktoren bei den betroffenen Kindern und Jugendlichen nachgewiesen werden kann.

59

KAPITEL 3

Durchführung und Methodik

Bei der Bearbeitung psychodiagnostischer Fragebogen und offener Interviewfragen spielt das grundlegende Verständnis der deutschen Sprache eine wesentliche Rolle. Um die Vergleichbarkeit der Angaben zu gewährleisten, wurden daher für die Untersuchung ausschließlich Kinder und Jugendliche mit ausreichenden Deutschkenntnissen eingeschlossen. Dies umfasst auch Migrantenkinder mit ausreichenden Sprachkenntnissen. Wie die nachstehende Abbildung 3.1 zeigt, sind an der im Folgenden dargestellten Studie insgesamt 251 Kinder und Jugendliche aus den drei unabhängigen Gruppen (1) Kinder unbehandelter Eltern mit problematisch erlebtem Alkoholkonsum (n = 100), (2) Kinder behandelter alkoholabhängiger Eltern (n = 75) sowie (3) Kinder suchtunauffälliger Eltern (n = 76) beteiligt.

Gruppe (1): Kinder unbeh. alkoholbelasteter Eltern (n = 100)

Gruppe (2): Kinder beh. alkoholbelasteter Eltern (n = 75)

Gruppe (3): Kinder suchtunauffälliger Eltern (n = 76)

Abb. 3.1 Überblick über die drei Hauptuntersuchungsgruppen

Mit Hilfe der Angaben der befragten Kinder wurde eine an empirischen Befunden orientierte Zuordnung der Eltern der betroffenen Kinder in unterschiedliche Kategorien hinsichtlich des Alkoholkonsums durchgeführt. Alle untersuchten Kinder sollten einer der drei Gruppen von elterlichen problematischen Alkoholkonsumenten bzw. NichtProblemkonsumenten zugeordnet werden (unbehandelt, behandelt, unauffällig) und kein befragtes Kind sollte gleichzeitig mehreren Gruppen angehören können. Im Weiteren wird für die erste Untersuchungsgruppe die abkürzende Bezeichnung KvA (unbeh.) [Kinder von Alkoholabhängigen, unbehandelt] und für die zweite Gruppe die Bezeichnung KvA (beh.) [Kinder von Alkoholabhängigen, behandelt] verwendet. Die deutsche Abkürzung KvA (Kinder von Alkoholabhängigen) lehnt sich dabei eng an die im angloamerikanischen seit vielen Jahren weit verbreitete Bezeichnung COAs (Children of Alcoholics) an (SHER, 1991). Für die Kontrollgruppe wird die Bezeichnung Non-KvA (keine Kinder von Alkoholikern) festgelegt. Im Folgenden werden die Kriterien der Gruppenzuordnung der untersuchten Teilnehmer zu den drei Untersuchungsgruppen sowie zu den aus der Heterogenität der Personengruppen abgeleiteten Subgruppen erläutert.

HAUPTGRUPPEN (1)

Untersuchungsgruppe KvA (unbeh.): Kinder unbehandelter Eltern mit problematisch erlebtem Alkoholkonsum



Notwendiges Kriterium zum Einschluss der Probanden in die Gruppe der KvA (unbeh.) ist zum einen das Vorhandensein eines kritischen Alkohol-

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KAPITEL 3

Durchführung und Methodik







(2)

screenings. Dazu mussten mindestens drei von 15 Fragen einer modifizierten Version des Children of Alcoholics Screening Tests (CAST, JONES, 1983A; s.a. Kapitel 2.3.2) positiv beantwortet worden sein (CAST ≥ 3). Die Wahl dieses Cut-Off-Wertes wurde entsprechend den in der Literatur verwendeten Grenzwerten für das Erleben einer familiären Alkoholbelastung vorgenommen. Als zusätzlich hinreichende Bedingung erlauben die den Alkoholkonsum betreffenden, subjektiven Fragebogendaten der Kinder eine Abschätzung des elterlichen Alkoholkonsums und geben einen Hinweis auf riskantes oder gewohnheitsmäßiges Trinken der Eltern/eines Elternteils. Eine weitere notwendige Bedingung für die Zuordnung zur Untersuchungsgruppe der Kinder unbehandelter alkoholbelasteter Eltern stellt das Fehlen eines Hinweises auf einen Kontakt zum störungsspezifischen Hilfesystem dar: Nach Angaben der Kinder erfolgte weder aktuell noch in der Vergangenheit eine Teilnahme der Eltern/eines Elternteils an einem stationären, tagesklinischen, ambulanten oder auf Selbsthilfe basierenden Alkoholbehandlungsangebot. Wenn ein Elternteil sich wegen einer Alkoholproblematik - nach Aussagen des Kindes - zum ersten Mal in einer stationären Behandlung befand und sich zum Zeitpunkt der Befragung des Kindes immer noch dort befand, erfolgte die Zuweisung zu dieser Stichprobengruppe, da das Kind den betreffenden Elternteil zuhause bisher nur in „unbehandeltem Zustand“ erlebt haben konnte. Kinder dieser Untersuchungsgruppe berichten von mindestens einem Elternteil, das a) aktuell in problematischer Weise Alkohol konsumiert und sich zum Zeitpunkt des Interviews zum ersten Mal in einer Behandlung befindet oder b) aktuell in problematischer Weise Alkohol konsumiert und sich noch niemals in einer Behandlung befunden hat oder c) früher in problematischer Weise Alkohol getrunken und eine Abstinenz ohne jeglichen Kontakt zum störungsspezifischen Hilfesystem erreicht hat.

Vergleichsgruppe KvA (beh.): Kinder behandelter Eltern mit problematisch erlebtem Alkoholkonsum







Notwendiges Kriterium zum Einschluss der Probanden in die Gruppe der KvA (beh.) ist das Vorhandensein eines kritischen Alkoholscreenings. Mindestens drei von 15 Fragen der modifizierten Version des Children of Alcoholics Screening Tests (CAST, JONES, 1983A; s.a. Kapitel 2.3.2) mussten positiv beantwortet worden sein (CAST ≥ 3). Als zusätzlich hinreichende Bedingung erlauben die den Alkoholkonsum betreffenden, subjektiven Fragebogendaten der Kinder eine Abschätzung des elterlichen Alkoholkonsums und geben einen Hinweis auf riskantes oder gewohnheitsmäßiges Trinken der Eltern/eines Elternteils vor der Behandlungszeit. Eine weitere notwendige Bedingung ist das Vorhandensein eines Hinweises auf eine aktuell oder in der Vergangenheit erfolgte Teilnahme der El-

61

KAPITEL 3

Durchführung und Methodik



(3)

tern/eines Elternteils an einem störungsspezifischen stationären, tagesklinischen, ambulanten oder auf Selbsthilfe basierenden Behandlungsangebot. Informationen hierfür wurden zum einen über den Weg der Rekrutierung (Fachklinik, Selbsthilfegruppen) und zum anderen aus den Antworten des interviewten Kindes gewonnen. Die Untersuchungsgruppe schließt sowohl Kinder erfolglos als auch erfolgreich behandelter Eltern ein: Im ersteren Fall befindet sich die Indexperson a) aktuell wiederholt in einer Behandlungseinrichtung und wurde früher wegen einer Alkoholproblematik behandelt oder b) aktuell nicht in Behandlung, nach Angaben des Kindes liegt jedoch wieder ein problematisches Alkoholkonsumverhalten vor, obwohl eine oder mehrere Behandlungen in der Vergangenheit erfolgt waren. In zweiten Fall befindet sich die Indexperson aktuell nicht in Behandlung und ist nach Informationen des Kindes seit einer früheren Behandlung abstinent geblieben.

Kontrollgruppe Non-KvA: Kinder suchtunauffälliger Eltern







Notwendiges Kriterium zum Einschluss der Probanden in die Gruppe der Non-KvA ist das Fehlen eines kritischen Alkoholscreeningwertes (CAST < 3, d. h. kein problematisches Erleben und Bewerten des Alkoholkonsums der Eltern/eines Elternteils). Zusätzlich liegt kein Hinweis auf eine aktuell oder in der Vergangenheit erfolgte Teilnahme der Eltern/eines Elternteils an einem störungsspezifischen stationären, tagesklinischen, ambulanten oder auf Selbsthilfe basierenden Behandlungsangebot bezüglich eines problematischen Alkoholkonsums vor. Zur Erlangung diesbezüglicher Informationen werden die Rekrutierungsstrategie (Schulenscreening) und die Angaben des Kindes im Interview berücksichtigt. Ein Hinweis auf riskantes oder gewohnheitsmäßiges Trinken der Eltern/eines Elternteils liegt nicht vor.

UNTERGRUPPEN Die Gesamtstichprobe der Kinder und Jugendlichen aus alkoholbelasteten Familien zeichnet sich durch eine äußerst hohe Heterogenität aus und umfasst viele kleinere Gruppen. Jede dieser Subgruppen kann bestimmte Charakteristiken aufweisen. Da sich die Aufteilung der Gruppe der KvA in Kinder behandelter und unbehandelter alkoholbelasteter Eltern als zu wenig trennscharf für Untersuchungen hinsichtlich dieser breiten Heterogenität erwies, wurden zusätzlich folgende differenzierte Subgruppen definiert und bei ausgewählten Fragestellungen berücksichtigt: •

Subgruppe „Kontakt zum Hilfesystem“ mit den Kategorien a) kein/nie Kontakt, b) Kind: ambulantes Hilfeangebot, c) Eltern(teil): Suchtfachklinik, d) Eltern(teil): Selbsthilfegruppe, e) Eltern(teil): ambulante Psychotherapie, f) Kind und Eltern(teil): ambulantes und/oder stationäres Behandlungsangebot

62

KAPITEL 3

Durchführung und Methodik

• • • •



Subgruppe „Abstinenzdauer“ mit den Kategorien a) nicht abstinente Eltern, b) kurze Abstinenzzeit (< 1 Jahr), c) lange Abstinenzzeit (> 1 Jahr) Subgruppe „Expositionszeit“ mit den Kategorien a) Expositionszeit unter 4 Jahren, b) Expositionszeit mindestens 4 Jahre Subgruppe „Indexelternteil“ mit den Kategorien a) Mutter, b) Vater, c) Stiefvater, d) Mutter und Vater, e) Mutter und Stiefvater Subgruppe „Art der Belastung“ mit den Kategorien a) keine elterlichen Belastungen, b) suchtbelastete Eltern, c) psychisch kranke Eltern, d) komorbid erkrankte Eltern Subgruppe „Kinder suchtmittelabhängiger Eltern“ mit den Kategorien a) Kinder alkoholbelasteter Eltern, b) Kinder drogenabhängiger Eltern (illegale Drogen), c) Kinder alkohol- und drogenabhängiger Eltern

Die Bildung dieser differenzierten Subgruppen soll die Analyse möglichst feiner Unterschiede innerhalb der Untersuchungsgruppen ermöglichen. Diese Subgruppen werden bei Analysen zu ausgewählten Fragestellungen im Folgenden jeweils berücksichtigt.

3 .2

FRAGESTELLUNGEN UND EINZELHYPOTHESEN

Das Aufwachsen in einer suchtbelasteten Familie ist durch zahlreiche Stressoren und Risiken gekennzeichnet. Wie in der gesamten Forschung eindeutig belegt, gehören Kinder behandelter und unbehandelter problematisch trinkender Eltern einer Risikogruppe an, die sich im Vergleich zu Kindern nicht-alkoholauffälliger Eltern durch eine höhere Wahrscheinlichkeit zur Ausbildung von Erlebens- und Verhaltensauffälligkeiten im Kindes- und späteren Erwachsenenalter und zur Entwicklung einer eigenen Alkoholerkrankung auszeichnet. Zu den häufigsten Verhaltensauffälligkeiten gehören antisoziale und hyperaktive Störungen. Im Bereich der Erlebensstörungen sind depressive, somatoforme und angstbetonte Störungen zu nennen. Spezifische Risiko- und Schutzfaktoren in der Person des Kindes und in seiner Umgebung haben, wie neuere Forschung gezeigt hat, eine herausragende Bedeutung für den kindlichen Entwicklungsverlauf und die Transmissionsrisiken. Da das Risiko zur Ausbildung von Abhängigkeitserkrankungen für diese Kinder besonders deutlich erhöht ist, erfasst unsere Untersuchung das homopathologische Transmissionsrisiko6 in einer eigenen und von der Analyse spezifischer Entwicklungsbeeinträchtigungen getrennten Fragestellung. Ausgehend von den Ergebnissen bisheriger Studien zur Situation von Kindern alkoholbelasteter Eltern, die ausführlich im vorangegangenen Kapitel 2 dargestellt wurden, lauten daher die zentralen Fragestellungen unserer Forschungsstudie: (1)

Welche Unterschiede in Bezug auf das Vorliegen spezifischer Entwicklungsbeeinträchtigungen bestehen zwischen Kindern aus alkoholbelasteten Familien (behandelte und unbehandelte) im Vergleich zu Kindern aus Familien, in denen keine Alkoholproblematik vorliegt bzw. vorlag? Es soll eine ausführliche Situationsanalyse von Kindern alkoholbelasteter Eltern vorgenommen werden.

6

Darunter wird die Weitergabe derselben Störung (z.B. Alkoholabhängigkeit) von einer Generation zur nächsten verstanden.

63

KAPITEL 3

Durchführung und Methodik

(2)

Unterscheiden sich Kinder behandelter alkoholbelasteter Eltern von Kindern unbehandelter alkoholbelasteter Eltern in Bezug auf das Vorliegen von spezifischen Entwicklungsrisiko- und -schutzfaktoren? Es soll analysiert werden, ob die Kinder unbehandelter suchtkranker Eltern stärkere psychische und soziale Auffälligkeiten aufweisen als die Probanden der Vergleichs- und Kontrollgruppe.

(3)

Unterscheiden sich Kinder alkoholbelasteter Eltern im Vergleich zu Kindern alkoholunauffälliger Eltern hinsichtlich ihres Konsums psychotroper Substanzen? Es soll untersucht werden, ob ein erhöhtes Transmissionsrisiko eines problematischen Suchtmittelkonsums bei den Kindern betroffener Eltern vorliegt.

Folgende Inhaltsbereiche werden hinsichtlich dieser Fragestellungen untersucht: • • • • • • • • • • • • • • •

Sozioökonomische Stressoren Kindliche Verhaltens- und Erlebensauffälligkeiten Selbstwirksamkeitserwartungen und Kontrollüberzeugungen Lebenszufriedenheit Bewältigungsverhalten Emotionale Bindung und familiäre Atmosphäre und Familienkommunikation Exposition des elterlichen Trinkens und der elterlichen Auseinandersetzungen Elterliche Komorbidität Gewalterfahrungen und Vernachlässigung Persönlichkeitsmerkmale und Co-Abhängigkeit Soziales Netz und Geschwisterbeziehungen Familienrituale und familiäre Ereignisse Rollenmodelle Resilienzen Konsum psychotroper Substanzen

3.3 STICHPROBEN 3.3.1 GEWINNUNG DER STICHPROBEN Das Probandenkollektiv wurde über verschiedene Zugangsweisen rekrutiert. Zur ausführlichen Beschreibung der verschiedenen Akquisitionsstrategien zur Gewinnung der Stichproben sei die vorangegangenen Ausführungen in Kapitel 3.1 verwiesen. Zur Gewinnung der Stichprobe der Kinder unbehandelter alkoholbelasteter Eltern war insbesondere die Rekrutierungsstrategie durch ein vorgeschaltetes Screening in weiterführenden Schulen erfolgreich. Das gesamte Verfahren erwies sich als äußerst schwierig und komplex. Es folgt die Darstellung der Rekrutierungsstrategien über die verschiedenen gewählten Wege. Die überwiegende Mehrzahl - 92 % (N = 100) - der Kinder unbehandelter suchtbelasteter Eltern (KvA [unbeh.]) konnte über die Screeningbefragung von mehr als 8.300 Schülerinnen und Schülern zum Thema „Konsum psychotroper Substanzen, psychische Gesundheit und Suchtprävention“ mittels des vom 64

KAPITEL 3

Durchführung und Methodik

psychische Gesundheit und Suchtprävention“ mittels des vom Forschungsschwerpunkt Sucht 2001 entwickelten „Kurzfragebogens für Schülerinnen und Schüler von 11 bis 16 Jahren“ rekrutiert werden. Dieser Fragebogen wurde an 30 Schulen in NRW (alle weiterführende Schultypen) zur anonymen Befragung der Schüler und Schülerinnen der Klassen 6 bis 9 eingesetzt. Während der Kurzbefragung erhielten die Schülerinnen und Schüler die Information, dass für Interessierte die Möglichkeit bestehe, in einigen Wochen an einem vertiefenden Interview teilzunehmen. Ein Losverfahren entscheide über die Auswahl der Interviewteilnehmer. Voraussetzung sei, die auf der letzten Seite des Screeningbogens abgedruckte Einverständniserklärung von einer erziehungsberechtigten Person unterschreiben zu lassen und dem Projektteam im ausgehändigten, vorfrankierten Umschlag zurückzuschicken. (Der Screeningfragebogen ist im Anhang 2 beigefügt.) Zur Identifizierung der Kinder und Jugendlichen, die den elterlichen Alkoholkonsum als problematisch erlebten oder erlebt hatten, enthielt der Kurzfragebogen zwei kritische Screening-Fragen: a) „Hast du dir jemals gewünscht, dass eine oder mehrere der oben genannten Personen7 weniger Alkohol trinkt/trinken?“ (Antwortoptionen: „nein“, „ja - Wer?“) und b) „War das Alkoholtrinken eines oder beider Elternteile jemals ein Problem für dich?“ (Antwortoptionen: „nein“, „Vater“, „Mutter“, „beide“). Aus diesem Schüler-Sample wurden alle Kinder telefonisch kontaktiert, die a) im Screening anhand dieser Fragen kritische Angaben bezüglich des Alkoholkonsums der Eltern gemacht hatten und die b) angegeben hatten, an einer Teilnahme an einem Forschungsinterview interessiert zu sein und für die c) eine Einverständniserklärung ihrer Eltern vorlag. Die Eltern und die Kinder erhielten die Mitteilung, dass es in der Studie um die psychosoziale Gesundheit bei Kindern und Jugendlichen mit besonderem Aspekt auf Suchtmittel und Prävention gehe. Insgesamt konnten über diesen Weg 169 Kinder vollständig interviewt werden. Der selbe Screeningfragebogen wurde bei 67 Kindern in Heimunterbringung eingesetzt. Das Vorgehen der Erhebung ähnelte insgesamt dem Vorgehen in den Schulen. Neben der Identifizierung der Interview-Risikokinder durch die ScreeningbogenMethode wurden in einzelnen Heimen auch die Erzieher bzw. die Heimleitung als Informationsquellen über den elterlichen Alkoholkonsum genutzt. Über diese Rekrutierungsstrategie in Schulen und Heimen konnten 92 Kinder der Gruppe KvA (unbeh.) gewonnen werden, 26 Kinder für die Stichprobe der KvA (beh.) sowie 71 Kontrollkinder. In die Kontrollgruppe der Non-KvA wurden 11-16jährige Jugendliche aufgenommen, die möglichst nach Geschlecht einem Jugendlichen aus der Untersuchungsgruppe entsprechen sollten und über deren leibliche Eltern oder Stiefeltern keine Abhängigkeit oder Abusus von Alkohol berichtet wurde. Dieses Vorgehen entspricht dem eines Matchings von Probanden zu bereits Vorselektierten. Insgesamt konnten 76 Kinder und Jugendliche aus suchtunauffälligen Familien vollständig befragt werden. In die klinische Stichprobe der KvA (beh.), also Kinder von Eltern, die wegen einer Alkoholabhängigkeit oder -missbrauch stationär oder ambulant behandelt worden sind, wurden konsekutiv im Verlauf von 6 Monaten an einer Studienteilnahme interessierte Kinder von Patienten (Altersgruppe 11-18 Jahre) regionaler Suchtfachklini7

Die vorausgehende Frage bezog sich auf Personen, mit denen der Jugendliche zusammenwohnt.

65

KAPITEL 3

Durchführung und Methodik

ken einbezogen. Die Kontaktaufnahme zu den Patienten der Fachkliniken erfolgte über ein persönliches Ansprechen durch die Projektmitarbeiterinnen vor Ort, über das Aushändigen von Faltblättern bzw. über großformatige Aushänge in den Kliniken, über Kurzberichte in Klinikzeitungen sowie Informationsstände auf Ehemaligen- und Sommerfesten. Diese Materialien enthielten die ersten nötigen Interview- und Kontaktinformationen und wurden im Laufe der Akquisitionszeit mehrere Male angepasst und in Teilen neu gestaltet. Die Bekanntmachung der Studie und der Kontaktaufbau zu Patientenkindern erfolgte weiterhin über informative Kurzvorträge, bei denen die Möglichkeit zur Beantwortung von Fragen der Eltern bestand. Anfang des Jahres 2002 erfolgte ein erster Kurzvortrag im Rahmen einer klinikinternen Kurzvortragsreihe in der Fachklinik Bad Tönisstein. Den Patienten wurde von den Projektmitarbeiterinnen kurz der theoretische Hintergrund der Studie erläutert und die Voraussetzungen für die Teilnahme am Interview erklärt. Patienten, die Kinder im entsprechenden Alter hatten, konnten sich im Anschluss vorbereitete Briefumschläge abholen, die das Faltblatt enthielten. Eine Bitte an die Eltern lautete, die Bereitschaft und das Interesse des Kindes/der Kinder zunächst abzuklären und erst dann den letzten Abschnitt des Faltblatts unterschrieben und versehen mit den Kontaktdaten des Kindes und dessen Geburtsdatum im vorfrankierten Umschlag an den Forschungsschwerpunkt Sucht zurückzusenden. Eine regionale Einschränkung der Teilnehmer auf bestimmte Bundesländer wurde vermieden; allerdings erhielten die Patienten die Information, dass bei sehr weiten Anreisewegen eine längere Vorausplanung nötig sei bzw. von einem Interview u. U. auch abgesehen werden müsse. Bei der darauffolgenden Kontaktaufnahme zu den Kindern zeigte sich, dass diese teilweise nicht oder nur sehr unzulänglich von ihren Eltern über das Interview-Vorhaben aufgeklärt worden waren. Diese Art des Vortrags wurde im Mai und Juli 2002 in Bad Tönisstein wiederholt, zusätzlich im April 2002 in den Kliniken Daun (Thommener Höhe) und ebenfalls im Juli 2002 in den Kliniken Wied durchgeführt. In der Klinik für Abhängigkeitserkrankungen, Bad Fredeburg, erfolgte der Vortrag vor ausgewählten Patienten aus dem Bundesland Nordrhein-Westfalen im Mai 2002. War ein persönliches Ansprechen der in Frage kommenden Patienten durch die Mitarbeiterinnen des Projektes nicht möglich, so wurde dieses Anliegen von den Kooperationspartnern vor Ort unterstützt. Über diesen Rekrutierungsweg in Suchtfachkliniken konnten insgesamt 33 Kinder und Jugendliche für die Befragung gewonnen werden. In der Mehrzahl stammten diese Befragten aus der Region Nordrhein-Westfalen. Bei diesen Kindern liegt eine dokumentierte Diagnose der Alkoholabhängigkeit bzw. des Alkoholmissbrauchs der Eltern vor. Zusätzlich zu den so rekrutierten Kindern wurde der Kontakt zu Familien aus verschiedenen suchtassoziierten Einrichtungen im Bundesland NRW aufgenommen: Aus ambulanten Betreuungseinrichtungen für Kinder und Jugendliche suchtbelasteter Eltern, Suchtambulanzen und Alkoholselbsthilfegruppen konnten insgesamt 15 interviewte Jugendliche der Stichprobe der KvA (beh.) zugeordnet werden. Einen Überblick über die Ausschöpfungsraten der verschiedenen Akquisitionswege gibt Abbildung 3.2. (Die Adressen der an der Studie beteiligten Schulen und Institutionen sowie eine Übersicht der regionalen Verteilung der Interviewkinder sind im Anhang 1 angefügt.)

66

KAPITEL 3

Durchführung und Methodik

100%

80%

60%

40%

20%

0% COA (unbeh.)

COA (beh.)

NON-COA

Suchtbezogene Betreuungseinrichtungen Selbsthilfe Suchtfachkliniken Heime Schulen

Abb. 3.2 Übersicht zu Stichproben-Zugangswegen und deren Ausschöpfungsraten

Folgende Einrichtungen wurden mit Bitte zur Kooperation kontaktiert, es konnten jedoch keine Probanden für die Stichproben der vorliegenden Untersuchung erreicht werden: • • • • • •

Psychiatrien und psychosomatische Kliniken Technischer - Überwachungsverein (TÜV) niedergelassene psychologische Psychotherapeuten und ärztliche Psychotherapeuten Selbsthilfegruppen von Angehörigen psychisch Kranker Einrichtungen der Offenen Tür und andere Institutionen der Jugendarbeit Regionalzeitung (Köln), Psychosoziale Arbeitsgemeinschaft Köln, Allgemeiner Sozialer Dienst (Köln, Pulheim), Berufsförderungswerke

3.3.2 BESCHREIBUNG DER STICHPROBEN Nachfolgende Tabelle 3.2 enthält die soziodemographischen Angaben (durchschnittliches Alter, Geschlechtsverteilung, Familiengröße, Schul- und Berufsbildung) für die beiden Untersuchungsgruppen KvA (unbeh.) und KvA (beh.) sowie die Kontrollgruppe (Non-KvA).

67

KAPITEL 3

Durchführung und Methodik

Tab. 3.2 Soziodemographische Angaben der Stichprobenprobanden und ihrer Eltern

(N=100)

KvA (beh.) (N=75)

Non-KvA (N=76)

41.6 (Mutter) 43.1 (Vater)

43.0 (Mutter) 45.6 (Vater)

41.5 (Mutter) 44.0 (Vater)

62.0 % 37.0 % 2.0 % 13.0 % 80.0 %

72.2 % 34.2 % 2.7 % 5.5 % 76.0 %

75.0 % 30.3 % 1.3 % 11.0 % 78.7 %

KvA (unbeh.) Eltern Alter (Mittelwert in Jahren) Familiengröße (%) lebt zusammen mit ... ... beiden Eltern ... Mutter/ Stiefmutter ... Vater/ Stiefvater ... Adoptiveltern/fremduntergebracht ... mind. 1 Geschwisterkind Schulbildung der Eltern (%) Sonderschule/ ohne Abschluss

3.9 % (Mutter) 6.8 % (Vater)

7.7 % (Mutter) 0.0 % (Vater)

3.5 % (Mutter) 0.0 % (Vater)

39.0 % (Mutter) 47.5 % (Vater)

35.4 % (Mutter) 51.9 % (Vater)

45.6 % (Mutter) 42.3 % (Vater)

Realschule/Fachoberschule

27.3 % (Mutter) 28.8 % (Vater)

35.4 % (Mutter) 21.2 % (Vater)

35.1 % (Mutter) 23.1 % (Vater)

Abitur/Fachabitur/Hochschulreife

29.9 % (Mutter) 16.7 % (Vater)

21.5 % (Mutter) 26.9 % (Vater)

15.8 % (Mutter) 34.6 % (Vater)

77.3 % (Mutter) 78.6 % (Vater)

86.5 % (Mutter) 70.0 % (Vater)

65.8 % (Mutter) 96.0 % (Vater)

Geschlecht w m

66 % 34 %

56 % 44 %

54 % 46 %

Alter (Mittelwert in Jahren, range 10 – 17 Jahre)

13.6

13.9

13.5

Schulbildung (%) Sonderschule Hauptschule Realschule Gymnasium Gesamtschule

4.5 % 30.3 % 29.2 % 14.6 % 21.3 %

4.5 % 33.3 % 30.3 % 16.7 % 15.2 %

5.9 % 42.6 % 11.8 % 25.0 % 14.7 %

Hauptschule

Berufstätigkeit (%) Erwerbstätig Kinder

Bei Betrachtung der Gesamtstichprobe ergibt sich folgendes Bild: Die Eltern der 251 befragten Untersuchungsteilnehmer waren überwiegend im frühen mittleren Lebensalter (Durchschnittsalter Mütter: 42,0 Jahre, Väter: 44,0 Jahre). 2,5 % der Väter und 5,0 % der Mütter wiesen nach Angaben ihrer Kinder einen Sonderschulbesuch bzw. keinen Schulabschluss auf, 47,2 % der Väter und 39,7 % der Mütter einen Hauptschulabschluss, 24,5 % der Väter und 32,2 % der Mütter hatten einen Real- oder Fachoberschulabschluss und 24,5 % der Väter und 23,1 % der Mütter Abitur bzw. die Hochschulreife. Von den Eltern der befragten Kinder waren über das gesamte Stichprobenkollektiv hinweg 81,3 % der Väter und 76,5 % der Mütter zum Zeitpunkt der Erhebung berufstätig.

68

KAPITEL 3

Durchführung und Methodik

Die Gesamtstichprobe der befragten 251 Kinder enthält 59,4 % weibliche und 40,1 % männliche Personen mit einem Durchschnittsalter von 13,7 Jahren. Auf Grund der äußerst schwierigen Erreichbarkeit der Klientel sind vor allem die jüngeren Kinder (10-11 Jahre) mit einem Anteil von 5,2 % der Gesamtstichprobe unterrepräsentiert (13 von 251). Die Mehrheit der Jugendlichen lebte mit den leiblichen Eltern zusammen (69 %). Ausschließlich bei der Mutter bzw. Stiefmutter lebten 34 % der Befragten, wohingegen ein wesentlich geringerer Anteil nur beim Vater bzw. Stiefvater (2 %) lebte. Fremd untergebracht bei Pflegeeltern bzw. in Kinder- und Jugendlichenwohngruppen waren 10 % der Befragten. Mehr als zwei Drittel aller befragten Schüler und Schülerinnen lebten in einer familiären Lebensform mit mindestens einem Geschwisterkind (78,4 %). 5 % der Kinder besuchten eine Sonderschule, 35,0 % die Hauptschule, 24,2 % die Realschule, 18,4 % das Gymnasium und 17,5 % die Gesamtschule.

3 .4

INTERVIEWDURCHFÜHRUNG

3.4.1 INTERVIEWERAUSBILDUNG Die Interviews wurden über einen Zeitraum von 16 Monaten (Juli 2001 bis Oktober 2002) von Diplompsychologen/innen sowie von Studierenden der Sozialpädagogik und Sozialwissenschaften erhoben. Alle Interviewer wurden von den Projektmitarbeiterinnen in mehrstündigen Interviewerschulungen zu Beginn ihrer Tätigkeit in das Thema „Kinder Suchtkranker“ eingeführt und intensiv mit dem Erhebungsinstrument und der Interviewerrolle vertraut gemacht. Zudem wurden in monatlichen Abständen Interviewertreffen zur Supervision der Projektmitarbeiter durchgeführt, in denen Erfahrungen mit bereits durchgeführten Interviews ausgetauscht und weitere Fragen geklärt werden konnten. Sowohl Interviewerschulungen als auch -treffen wurden jeweils schriftlich protokolliert, um Einzelfragen nachlesen zu können und um eine nachweisliche Qualitätskontrolle und Erhöhung der Interviewerübereinstimmung zu erreichen. Inhalte der Interviewerschulungen waren zum Einen die Einführung in allgemeine Aspekte der Interviewdurchführung und in methodische Themen (z. B. Umgang mit offenen Fragen und Verhalten des Interviewers, um suggestive Einflüsse zu vermeiden, Übungen zum Erstellen eines Genogramms, innere Grundhaltung gegenüber den Interviewpartnern), zum Anderen die Erläuterung spezifischer Aspekte des umfangreichen Erhebungsinstrumentes (z. B. Verdeutlichung der Struktur des Erhebungsinventars mit standardisierten Fragebögen, halbstrukturierten Befragungsteilen und offenen Frageabschnitten, Erläuterung der psychopathologischen Fragestellungen und Diagnosen anhand von Fallbeispielen und Übungen). Für die telefonische Erst-Kontaktaufnahme mit den Jugendlichen wurde in den Schulungen ein standardisiertes Vorgehen festgelegt. Nach einer Erinnerung an die Forschungsstudie sollte der Jugendliche gefragt werden, ob er an einer Teilnahme weiterhin interessiert sei. Im positiven Falle wurde entsprechend den Wünschen des Jugendlichen Ort und Zeitpunkt der Befragung vereinbart, nochmals die Anonymität und die damit verbundene Schweigepflicht des Interviewers betont und für eventuell kurzfristig sich ergebende Absagen Name und Telefonnummer des Interviewers hin69

KAPITEL 3

Durchführung und Methodik

terlassen. Es wurde stets darauf aufmerksam gemacht, dass es sich um eine sehr aufwändige langwierige Befragung handele und die Aufwandsentschädigung von 18 (35 DM) nur für ein vollständig durchgeführtes Interview gezahlt werden könne. Wenn möglich, wurde das mit dem Jugendlichen besprochene Vorgehen zusätzlich noch einem Elternteil mitgeteilt. 3.4.2 DURCHFÜHRUNG DER BEFRAGUNG Zur Vorbereitung des Interviews gehörte die Übertragung relevanter Informationen aus dem Screeningbogen in dafür gekennzeichnete Stellen des Erhebungsinventars. Hierbei war insbesondere der Abschnitt zum Eigenkonsum des Jugendlichen von Bedeutung, da dieser sogenannte Sprungregeln enthielt. Die im Screening gemachten Antworten gaben die zu bearbeitenden Abschnitte im Erhebungsinventar vor. Weil zwischen dem Ausfüllen des Screeningbogens und der Interviewdurchführung einige Monate liegen konnten, wurde vereinbart, die Informationen im Interview in ihrer Wertigkeit über die Informationen im Screeningbogen zu stellen. Wenn also im Interview deutlich wurde, dass sich die Angaben zum Zigarettenrauchen von „nie geraucht“ auf „regelmäßig rauchend“ verändert hatten, wurden die relevanten Abschnitte zum regelmäßigen Nikotinkonsum im Tiefeninterview erhoben. Das Interview wurde mit einigen einleitenden Fragen an den Jugendlichen zum Ablauf des Interviews begonnen (zeitlicher Rahmen, Pausen, Frageverständnis), und es wurde betont, dass es um die persönlichen Meinungen und Erfahrungen des Einzelnen gehe. Bei den aus den Schulen rekrutierten Kindern wurde das Interview als eine Vertiefung des bereits bekannten Screeningbogens vorgestellt. Es wurde explizit auf die Möglichkeit verwiesen, Antworten nicht zu geben, wenn Fragen als zu unangenehm oder als zu weitreichend empfunden wurden. Das gemeinsame Aufzeichnen eines Genogramms zum Einstieg in das Interview fungierte häufig im Sinne eines „Eisbrechers“: Das fertiggestellte Genogramm enthielt in Form von Symbolen festgehaltene Informationen über die derzeit wichtigsten Bezugspersonen in der Familie (z. B. Interviewkind, Mutter und Schwester) und die Art der Beziehung zwischen den Familienangehörigen (eng-distanziert, positivnegativ). Die Genogrammerstellung diente weiterhin der Erhebung relevanter demographischer Informationen (Alter, Beruf, Bildungsabschluss) der Eltern und Kinder und der Erfassung einer durch „patchwork“ gekennzeichneten Familienzusammensetzung. (Fallbeispiele von Familiengenogrammen sind dem Anhang 1 beigefügt.) Je nach kognitiver Fähigkeit konnten die Interviewkinder die standardisierten Fragebögen selbstständig oder gemeinsam mit dem Interviewer ausfüllen. Hier kam es selten vor, dass alle Items vorzulesen waren und das Interview auf mehrere Termine verteilt werden musste. Wenn die Konzentration des Jugendlichen merklich nachließ, war es möglich, das Interview zu unterbrechen und sich für einen zweiten Termin zu verabreden. Die Länge der Interviews variierte zwischen 2,5 und 6 Stunden. Bei den sehr langen Interviews wurde im Einzelfall sorgfältig abgewogen, welche Abschnitte sich zur Analyse eigneten und welche Abschnitte als ungeeignet betrachtet werden mussten. Diese Abschnitte wurden von den Interviewern gesondert gekennzeichnet. (Ein einziges Interview konnte in die Gesamtanalysen nicht miteinbezogen werden, da die Mehrzahl der Einzelabschnitte in unzureichendem Umfang beantwortet worden waren.)

70

KAPITEL 3

Durchführung und Methodik

Die für die Interviewer am schwierigsten durchzuführenden Interviewteile waren die psychopathologisch-diagnostischen und auf den Alkoholkonsum der Eltern bezogenen Abschnitte. In den realen Interviewsituationen ergaben sich aber oftmals schon zu Beginn, bei Erarbeitung des Genogramms, Gesprächssituationen mit dem Interviewpartner, die den Alkoholkonsum oder das „Alkoholproblem“ eines Elternteils zum Thema hatten. Beispielsweise war die stationäre Behandlung des Vaters Grund dafür, dass er im Genogramm zwar erfasst, allerdings nicht in den Kreis der engsten Bezugspersonen aufgenommen wurde. Nach Beendigung des Interviews erhielten alle Befragten eine Informationsbroschüre, die Adressen und Telefonnummern von Beratungsstellen und Sorgentelefonen enthielt. Bei Aushändigung dieser Broschüre wurde darauf hingewiesen, dass manchmal Freunde oder Freundinnen Probleme haben könnten und es dann sinnvoll sein könne, Adressen oder Telefonnummern von Hilfestellen zur Hand zu haben. Dieses Vorgehen erschien angebracht, um einerseits eine Stigmatisierung als „hilfebedürftiges Problemkind“ zu vermeiden und andererseits, um doch eine weitere Vermittlung in Hilfeangebote zumindest zu ermöglichen. In den Regionen, in denen ambulante Hilfeangebote für Kinder aus suchtbelasteten Familien vorhanden waren, wurden diese Adressen gesondert aufgeführt. Den Kindern aus der Region Köln wurde eine Broschüre des Sozialdienstes Katholischer Männer (SKM) mit dem Titel „Probleme!?“, die Telefonnummern und Adressen diverser Hilfeangebote im Raum Köln enthielt, mitgegeben. Das jedem Kind ausgehändigte Informationsmaterial enthielt auch eine Telefonnummer, unter der die Projektmitarbeiterinnen für mögliche Nachfragen der Kinder und Eltern erreichbar waren. Von dieser Möglichkeit wurde im Projektverlauf jedoch von keiner Person Gebrauch gemacht. Eine ebenfalls sinnvolle und wünschenswerte Befragung der Eltern unterblieb aus finanziellen Gründen. Bei möglichen Wiederholungsbefragungen mit der akquirierten Stichprobe wäre dies jedoch eine mögliche Erweiterung des Forschungsdesigns. Auf dieser Basis würde auch eine wissenschaftlich unbedingt wünschenswerte Längsschnitt- und Verlaufsuntersuchung entstehen. 3 .5

DAS ERHEBUNGSINVENTAR

Das Erhebungsinventar für unsere Untersuchung weist einen erheblichen Umfang auf und umfasst insgesamt 34 Themenbereiche. Tabelle 3.3 enthält die Themenbereiche, Einzelinstrumente und Quellennachweise des gesamten Inventars. Nur eine Konzeptionierung des Erhebungsinventars in dieser Breite erschien angemessen, um in dem stark heterogenen Bereich Alkohol und Familie differenzierte Ausprägungsmerkmale der Erlebens- und Verhaltenswelt der Kinder und Jugendlichen i. S. einer Situationsanalyse erfassen zu können. Die sehr unterschiedlichen Quellen der Erhebungsteile sind im Literaturverzeichnis wieder gegeben, um die gesamte Untersuchung nachvollziehbar zu machen.

71

KAPITEL 3

Durchführung und Methodik Tab. 3.3 Einzelinstrumente des Erhebungsinventars

Themenbereich

Instrument

Soziodemogr. MerkHäusliche Situation male Familienorientierte Konfliktverhalten innerhalb der Familie und Ansprechpartner Themen

Individuumszentrierte Themen

Kapitel

Quelle

A 1.1

Projektteamentwicklung

A 2.1

Eickhoff & Zinnecker, 2000

Kohäsion und Flexibilität: Fragebogen FFBO-III

A 2.2

Olson, Portner & Lavee, 1987

Familienfunktionen- Fragebogen FB

A 2.4

Cierpka & Frevert, 1994

Familienkommunikation

A 2.5

Eickhoff & Zinnecker, 2000

Beziehung unter den Geschwistern

B 1.3

Vakalahi, 2001

Familienrituale und Familienatmosphäre; Familiäre Ereignis- B 1.4/ se A 2.3

Wolin & Wolin, 1980

Wünsche

B 1.5

in Anlehnung an FOKUS, 1998

Familienstress

B 1.6

Rollenmuster

B 2.2

in Anlehnung an Zobel, 2000 in Anlehnung an Wegscheider, 1988 & Ehrenfried et al., 1998

Co-Abhängigkeit

B 2.4

Klein & Zobel, 2000

Freizeit

A 1.2

FOKUS, 1998

Familiäre & eigene Wertorientierungen

A 1.3

FOKUS, 1998

Normative und nicht normative Lebensereignisse

A 2.6

in Anlehnung an Filipp, 1990

Fragebogen irrationaler Einstellungen (FIE)

A 3.1

Klages, 1989

Kontrollüberzeugungen

A 3.2

Krampen, 1981

Selbstwirksamkeitserwartungen in sozialen Situationen

A 3.3

in Anlehnung an Petermann et al., 1997

Stressbewältigungsversuche: Fragebogen SSK

A 3.4

Lohaus et al., 1996

Allgemeine Lebenszufriedenheit

A 3.5

Diener et al., 1985

Zufriedenheitserleben mit verschiedenen Bereichen: Problemfragebogen für Jugendliche (PF 11-14)

A 3.6

Westhoff et al., 1981

Schule

A 3.7

in Anlehnung an Zobel, 2000

Persönlichkeitsdiagnostik

A 4.1

Little & Wanner, 1999

Psychopathologie der Kinder

A 4.2.1

in Anlehnung an das Kinder-DIPS (Unnewehr, Schneider & Margraf, 1998)

Psychopathologie der Eltern

A 4.2.2

in Anlehnung an das DIPS (Margraf, Schneider & Ehlers, 2001)

Kognitionen zum Alkoholgebrauch der Eltern

B 1.1

Klein & Zobel, 1999

Globale Einschätzungen des Funktionierens (GFI)

B 2.1

Klein & Zobel, 1999

Mögliche Belastungen

B 2.3

nach Zobel, 2000

Resilienzen

B 2.5

in Anlehnung an Wolin & Wolin, 1995

Challenge-Modell

B 2.6

nach Kagan, 1984; Wolin & Wolin, 1996

Umgang mit Drogen im sozialen Umfeld (Mitschüler, Peers, A 5.1- in Anlehnung an Petermann et al., 1997; Familie) 5.3 Riemann & Gerber, 2000 (BZgA) Konsumverhalten der Eltern

A 5.4

Kraus & Augustin, 2001

Substanzkonsum der Initialer Tabakkonsum Kinder/ Jugendlichen Tabakkonsumgewohnheiten

C 1.3

Bergler, 1995

C 1.4

Rauchtyp/ Motivation

C 1.5

Initialer Alkoholkonsum

C 2.1

Trinkgewohnheiten

C 2.2

Motivation

C 2.3

in Anlehnung an Petermann et al., 1997; Riemann & Gerber, 2000 (BZgA)

Wirksamkeitserwartung

C 2.4

(auch Wiers, 1998)

Riskantes Trinken

C 2.5

Motive des Drogenkonsums

C 3.1

FOKUS, 1998

Abhängigkeit und Reihenfolge

C4

in Anlehnung an Petermann et al., 1997; Riemann & Gerber, 2000 (BZgA)

72

KAPITEL 3

Durchführung und Methodik

Im Folgenden sind die einzelnen Erhebungsteile mit ihren Unterkapiteln wiedergegeben. Eine ausführliche Beschreibung der einzelnen Erhebungsinstrumente mit ihren Gegenstandsbereichen befindet sich in Anhang A 2. 1 Soziodemographische Merkmale Soziodemographische Merkmale & häusliche Situation (A 1.1) 2 Familienorientierte Themen Konfliktverhalten innerhalb der Familie und Ansprechpartner (A 2.1) Kohäsion und Flexibilität – Fragebogen FFBO - III (A 2.2) Die Familienbögen (FB) (A 2.4) Familienkommunikation (A 2. 5) Beziehung zu den Geschwistern (B 1.3) Familienrituale, Familienatmosphäre und familiäre Ereignisse (B 1.4/ A 2.3) Wünsche (B 1.5) Familienstress (B 1.6) Rollenmuster (B 2.2) Co-Abhängigkeit (B 2.4) 3 Individuumszentrierte Themen Freizeitverhalten und Werte (A 1.2 - A 1.3) Normative und nicht normative Lebensereignisse (A 2.6) Fragebogen irrationaler Einstellungen (FIE) (A 3.1) Kontrollüberzeugungen (A 3.2) Selbstwirksamkeitserwartung in sozialen Situationen (A 3.3) Stresserleben und -bewältigungsversuche – Fragebogen SSK (A 3.4) Allgemeine Lebenszufriedenheit (A 3.5) Zufriedenheitserleben mit verschiedenen Bereichen: Fragebogen PF 11-14 (A 3.6) Schulleistung und – verhalten (A 3.7) Persönlichkeitsdiagnostik (A 4.1) mit Hilfe des „Big-Five-Modells“ Psychopathologie der Kinder & Eltern (A 4.2) nach ICD-10 Kognitionen zum Alkoholgebrauch der Eltern (Cognitive CAST) (B 1.1) Globale Einschätzung des Funktionierens (GFI) (B 2.1) Mögliche Belastungen (B 2.3) Resilienzen (B 2.5) Challenge-Modell (B 2.6) Alkoholkonsumverhalten der Eltern (A 5.4) Umgang mit Drogen im sozialen Umfeld: Mitschüler, Peers & Familie (A 5.1-5.3)

4 Substanzkonsum der Kinder und Jugendlichen Initialer Tabakkonsum (C 1.3) Tabakkonsumgewohnheiten (C 1.4)

73

KAPITEL 3

Durchführung und Methodik

Rauchmotivation (C 1.5) Initialer Alkoholkonsum (C 2.1) Trinkgewohnheiten (C 2.2) Motivation zum Alkoholtrinken (C 2.3) Wirksamkeitserwartung (C 2.4) Riskantes Trinken (C 2.5) Motive des Konsums illegaler Drogen (C 3.1) Abhängigkeitsängste und sequenzieller Konsum (C 4) Die genannten Erhebungsbereiche wurden in einem ca. dreistündigen Interview erhoben, um ein möglichst differenziertes Bild über Situation, Entwicklungsstand sowie Risiken und Resilienzen der Kinder und Jugendlichen zu erhalten. Im folgenden Kapitel werden die wichtigsten Ergebnisse, insbesondere zwischen den Gruppen differenzierende Resultate, aus der Fülle der erhobenen Daten berichtet.

74

KAPITEL 4

Ergebnisse

KAPITEL 4

ERGEBNISSE

Die Ergebnisdarstellung erfolgt nach Schwerpunktthemenbereichen. Je nach Fragestellung werden die Ergebnisse für die Gesamtstichprobe, die Kontrollgruppe, die Gesamtgruppe der KvA und die Subgruppen innerhalb der Gruppe der KvA (s. Kapitel 3) dargestellt. Für die statistischen Analysen wurde das Statistikprogramm SPSS für Windows in der Version 10.0.7 (2000) verwendet. Für Variablen mit nominalem Skalenniveau wurde die Kreuztabellen-Prozedur für Zweifach- und Mehrfachtabellen ausgewählt und inferenzstatistisch mit Chi-Quadrat-Test überprüft. Zur Analyse von Gruppenunterschieden bezüglich der Ausprägung von intervallskalierten Skalenwerten wurden einfaktorielle Varianzanalysen (ANOVA) berechnet. Die Ergebnisse der LevenéTests auf Varianzhomogenität wurden bei der Interpretation berücksichtigt. Bei signifikanten Mittelwertsdifferenzen wurde über Post-Hoc-Tests (Scheffè-Prozedur) bestimmt, welche Mittelwerte abweichen.

4 .1

SOZIOÖKONOMISCHE BEDINGUNGEN UND FAMILIENSTRUKTUR

Für die statistischen Analysen zu sozioökonomischen Bedingungen der Familienstruktur wurden in Kreuztabellen als unabhängige Variablen die Variablen „mit wem lebst Du zurzeit zusammen?“, „arbeitet Vater?“, „arbeitet Mutter?“, „bekommst Du mit, dass das Geld oft knapp ist?“ und „wie bewertest du das?“ berücksichtigt (vgl. Kapitel 3.5). Tabelle 4.1 zeigt die Häufigkeitsverteilung der Angaben zur Familienstruktur in der Kontrollgruppe und in der Gruppe der KvA, in Tabelle 4.2 sind die Häufigkeitsangaben zur Familienstruktur in der Gruppe der KvA (unbeh.) und KvA (beh.) dargestellt. Etwas weniger oft als in Kontrollgruppenfamilien (75,0 %) leben Kinder suchtbelasteter Eltern (66,3 %) mit beiden Elternteilen zusammen. In der Gruppe der Kinder mit einem oder zwei Elternteil(en) mit Behandlungsvorerfahrung wegen einer Alkoholproblematik sind es mehr Kinder (72,2 %), die bei beiden Eltern leben als in der Gruppe der Kinder unbehandelter alkoholbelasteter Eltern (62,0 %). Der Vergleich zwischen Tabelle 4.1. und 4.2 zeigt, dass der ungünstige Effekt, dass Kinder nicht mit beiden Elternteilen zusammen leben können, innerhalb der Gruppe der KvA fast vollständig durch die Bedingungen in den Familien mit einem unbehandelten Elternteil verursacht wird. Hier sind es nur 62% im Vergleich zu 75% in der Kontrollgruppe, die mit beiden Elternteilen zusammen leben. Tab. 4.1

Häufigkeitsverteilung der Angaben zur Familienstruktur in der Kontrollgruppe und der Gruppe der KvA KG

KvA

Gesamt

Anzahl % (Spalten)

57 75.0 %

114 66.3 %

171 69.0 %

Anzahl % (Spalten)

23 30.3 %

62 35.8 %

85 34.1 %

lebt mit beiden Eltern

lebt mit Mutter alleine

lebt mit Vater alleine

75

KAPITEL 4

Ergebnisse

Anzahl % (Spalten)

1 1.3 %

Anzahl % (Spalten)

1 1.3 %

Anzahl % (Spalten) Anzahl Anzahl % (Spalten)

7 9.2 %

4 2.3 %

5 2.0 %

lebt mit Pflege-/Adoptiveltern

lebt mit anderen Kindern/Wohngruppe

Fehlend Gesamt

Tab. 4.2

76 100.0 %

1 .4 % 17 9.8 % 2 173 100.0 %

24 9.6 % 249 100.0 %

Häufigkeitsverteilung der Angaben zur Familienstruktur in den Gruppen KvA (beh.) und KvA (unbeh.) KvA (unbeh.)

KvA (beh.)

Gesamt

Anzahl % (Spalten)

62 62.0 %

52 72.2 %

114 65.9 %

Anzahl % (Spalten)

37 37.0

25 34.2

62 35.8 %

Anzahl % (Spalten)

2 2.0

2 2.7

4 2.3 %

Anzahl % (Spalten)

0 0

0 0

0 0.0 %

Anzahl % (Spalten)

13 13.0

4 5.5

17 9.8 %

Anzahl Anzahl % (Spalten)

100 100.0 %

2 73 100.0 %

2 173 100.0 %

lebt mit beiden Eltern

lebt mit Mutter alleine

lebt mit Vater alleine

lebt mit Pflege-/Adoptiveltern

lebt mit anderen Kindern/Wohngruppe

Fehlend Gesamt

Hinsichtlich der soziodemographischen Benachteiligung durch elterliche Arbeitslosigkeit zeigten Analysen in den vier Hauptgruppen - Kontrollgruppe, Kinder suchtbelasteter Eltern, Kinder psychisch erkrankter Eltern und Kinder komorbid erkrankter Eltern -, dass nur ein einziger Vater eines Kinder der Kontrollgruppe nicht berufstätig war, während in der Gruppe der suchtbelasteten Familien 37 Väter (23,7 %) und in der Gruppe der komorbid erkrankten Eltern fünf Väter (29,4 %) keiner Tätigkeit nachgehen. Die Gesamtgruppe der Mütter, die nicht arbeiteten, umfasste 58 Personen (23,1 %). 20 Mütter der Kontrollgruppe (32,3 %), 32 Mütter aus der suchtbelasteten Gruppe (19,8 %), zwei Mütter aus der Gruppe der psychisch erkrankten Eltern (20,0 %) und vier Mütter aus der Gruppe der komorbid Erkrankten (23,5 %) waren nicht berufstätig. Die Kinder aus belasteten Familien (Alkoholprobleme, psychische Störungen oder Komorbidität) verfügen somit in ihrem familiären Umfeld über deutliche schlechtere sozioökonomische Bedingungen. Wie Tabelle 4.3 zeigt, waren im Vergleich zur Kontrollgruppe (4,2 %) deutlich mehr Väter (23,7 %) aus der KvA-Gruppe zum Zeitpunkt des Interviews nicht berufstätig. Dieser Unterschied ist hochsignifikant8. Im Vergleich zur Kontrollgruppe (34,2 %) sind außerdem signifikant weniger Mütter aus der KvA-Gruppe (18,3 %) nicht berufstätig9. Vergleiche der Arbeitstätigkeit der Väter in den Gruppen der KvA (unbeh.) und KvA (beh.) erbrachten keine Unterschiede: 70 (72,9 %) der unbehandelten Väter arbeite8 9

(χ² = 16, 831; df = 3, p = .001, N = 230) (χ² = 8, 862; 2 df = 3, p = .012, N = 247)

76

KAPITEL 4

Ergebnisse

ten zum Zeitpunkt der Datenerhebung, in der Gruppe der behandelten Väter sind dies geringfügig weniger, nämlich 49 (67.1 %). Tab. 4.3

Häufigkeiten der Angaben zur Arbeitslosigkeit des Vaters bzw. der Mutter in den Gruppen der Kontrollkinder und KvA KG

KvA

Gesamt

arbeitet Vater? ja

Anzahl

68

119

187

% von KG vs. KvA

94.4 %

70.4 %

77.6 %

nein

Anzahl

3

40

43

% von KG vs. KvA Anzahl % von KG vs. KvA

4.2 % 71 100.0 %

23.7 % 159 100.0 %

17.8 % 230 100.0 %

Anzahl % von KG vs. KvA Anzahl % von KG vs. KvA Anzahl % von KG vs. KvA

50 65.8 % 26 34.2 % 76 100 %

139 79.4 % 32 18.3 % 171 100 %

189 75.3 % 58 23.1 % 247 100 %

Gesamt arbeitet Mutter? ja nein Gesamt

Die Häufigkeitsangaben der Kinder hinsichtlich der Frage, ob sie mit bekommen würden, dass das Geld oft knapp ist, sind in Tabelle 4.4 und Tabelle 4.5 zusammengestellt. Etwa 40 % der Kinder der Gesamtstichprobe gaben an, dass knappe Finanzen oft ein Thema zuhause seien, mehr als zwei Drittel dieser Kinder leben in einer alkoholbelasteten Familie. In der Kontrollgruppe sind es 14 Kinder (23,0 %), in der Gruppe der Kinder suchtbelasteter Familien 54 Kinder (40,5 %), in der Gruppe der Kinder psychisch kranker Eltern drei Kinder (33,3 %) und in der Gruppe der Kinder komorbid erkrankter Eltern neun Kinder (56, 3 %), die diesbezüglich Angaben machten (Tab. 4.4). 45,5 % der Kinder aus der Gruppe der Kinder unbehandelter suchtbelasteter Eltern geben an, dass das „Geld oft knapp ist“. In der Gruppe der Kinder behandelter Eltern sind dies 28 (39,4 %) Kinder und Jugendliche (Tab. 4.5). Die Ergebnisse zeigen klar, dass materielle und finanzielle Deprivation in suchtbelasteten Familien ein Thema ist, das auch die Kinder betrifft. Dementsprechend sind unter den armen Familien mehr solche mit Suchtstörungen der Eltern zu finden. Tab. 4.4

Häufigkeiten der Angaben zur Variablen „Ist das Geld oft knapp“ in den vier Hauptgruppen

Geld oft knapp? ja Gesamt

Tab. 4.5

Kinder Kinder psychisch Kontrollgruppe suchtbelasteter kranker Eltern Eltern Anzahl 14 64 3 % von Haupt- 23.0 % 40.5 % 33.3 % gruppe Anzahl 61 158 9 % 100.0 % 100.0 % 100.0 %

Kinder komorbid erGesamt krankter Eltern 90 9 36.9 % 56.3 % 16 100.0 %

244 100.0 %

Häufigkeiten der Angaben zur Variablen „Geld oft knapp?“ in den Gruppen Kontrollgruppe, KvA (beh. ) und KvA (unbeh.) Kontrollgruppe KvA (unbeh.)

KvA (beh.)

Gesamt

77

KAPITEL 4

Ergebnisse

Geld oft knapp?

Gesamt

ja

Anzahl % von Unbehandelte vs. Behandelte vs. KG Anzahl %

17 23.0 %

45 45.5 %

28 39.4 %

90 36.9 %

74 100.0 %

99 100.0 %

71 100.0 %

244 100.0 %

Beim Vergleich der Untergruppen der Kinder erfolglos behandelter Eltern und Kinder erfolgreich behandelter Eltern waren weniger Väter der Kinder der ersten Gruppe berufstätig (48 %) als in der Gruppe der abstinenten Eltern (77,1 %). 69,2 % der Mütter aus der Gruppe der erfolglos behandelten Eltern waren im Vergleich zu 93,9 % der Mütter aus der Gruppe der erfolgreich behandelten Eltern berufstätig (Tab. 4.6). Tab. 4.6

Häufigkeiten der Angaben zur Variablen „Arbeitet Vater?“ in den Gruppen erfolgreich und erfolglos behandelter KvA Kinder erfolglos behandelter Eltern

Kinder erfolgreich behandelter Eltern

12 48.0 % 25 100.0 %

37 77.1 % 48 100.0 %

Arbeitet Vater? Gesamt Arbeitet Mutter?

ja Anzahl % von erfolgreich vs. erfolglos Behandelte Anzahl % von erfolgreich vs. erfolglos Behandelte

18 ja Anzahl % von erfolgreich vs. erfolglos Behandelte 69.2 % Anzahl 26 % von Behandelte erfolgreich vs. erfolglos 100.0 %

4 .2

46 93.9 % 49 100.0 %

PSYCHISCHE AUFFÄLLIGKEITEN DER KINDER

In den Analysen zu psychischen Auffälligkeiten der Kinder wurden Kreuztabellen mit folgenden unabhängigen Variablen berechnet: Eigene psychologische bzw. psychiatrische Behandlung (dichotom), Schulprobleme (dichotom), PFI 11-14: Summenvariable Bereich „Meine Schule“10, Schule (A3.7): Elternaspekte (dichotom), Psychopathologie/ psychische Störungen der Kinder (vgl. Kapitel 3.5). Hinsichtlich der Frage, ob die Kinder schon einmal in einer eigenen psychologischen oder psychiatrischen Behandlung waren, gaben in den beiden Gruppen der Kontrollkinder und der KvA nahezu gleich viele Kinder positive Antworten (KG: 28,9 %; KvA: 28,6 %). Die 72 Kinder (29 % der Gesamtgruppe), von denen eine Selbstangabe zu einer eigenen psychologischen bzw. psychiatrischen Behandlung vorlag, verteilen sich auf die drei Hauptuntersuchungsgruppen wie folgt: In der Kontrollgruppe sind es 22 Kinder (28,9 % Kinder dieser Gruppe), in der Gruppe der KvA (unbeh.) 23 (23,0 %) und in der Gruppe der KvA (beh.) 27 Kinder und Jugendliche (36,0 %), die diesbezüglich Angaben machten (siehe Tab. 4.7). Die Daten sind ein Hinweis auf die höhere Behandlungsbedürftigkeit der Kinder aus suchtbelasteten Familien im Ver-

10

kategorisiert: „keine bis wenige Probleme“ (0-8 Items), „mittel“ (9-18 Items), „viele Probleme“ (1934 Items)

78

KAPITEL 4

Ergebnisse

gleich zu Kontrollkindern, wobei den Kindern dieser Weg nur geebnet wird, wenn die Eltern für sich bereits eine Behandlung in Anspruch genommen haben. Tab. 4.7

Häufigkeiten der Angaben zu „eigener psychologischer oder psychiatrischer Behandlung“ in den drei Hauptgruppen

eigene psychologische/ psychiatrische Behandlung

ja nein

Gesamt

Kontrollgruppe KvA (unbeh.)

KvA (beh.)

Gesamt

22 28.9 %

23 23.0 %

27 36.0 %

72 28.7 %

54 71.1 % 76 100.0 %

77 77.0 % 100 100.0 %

48 64.0 % 75 100.0 %

179 71.3 % 251 100.0 %

Tabelle 4.8 zeigt die Häufigkeiten der Nennungen bezüglich vergangener oder aktueller Symptome affektiver Störungen in den Gruppen der Kontrollkinder, Kinder unbehandelter alkoholbelasteter Eltern und Kinder behandelter alkoholbelasteter Eltern. Wie aus der Tabelle ersichtlich wird, sind es signifikant mehr KvA, die den kritischen Grenzwert von drei oder mehr bejahten Items bezüglich affektiver Störungen überschreiten11. Von den 76 Kindern, die mehr als drei Nennungen machten, kamen nur 14 Kinder aus der Kontrollgruppe (18,4 %) und 62 Kinder aus der Gruppe der KvA (35,4 %). Im Bereich Essstörungen, expressive Störungen und Zwangsstörungen fanden sich hingegen keine signifikanten Unterschiede. Es ist somit davon auszugehen, dass Kinder aus Familien mit Alkoholproblemen im Vergleich zu Kindern aus nicht belasteten Familien deutlich häufiger mit depressiven Symptomen reagieren. In unserer Studie waren es fast doppelt so viele. Unterschiede zwischen Kindern behandelter und unbehandelter alkoholbelasteter Eltern fanden sich in den Bereichen affektive Störungen12 und expressive Störungen13, nicht jedoch in den Bereichen Zwangsstörungen und Essstörungen. Bei den affektiven Störungen sind es vor allem die Mädchen, die überwiegend diese Nennungen machten14. Die Kinder unbehandelter alkoholkranker Eltern weisen im Vergleich zu den Kindern der Kontrollgruppe fast doppelt so häufig Symptome affektiver Störungen auf (33.3% vs. 18.4%). Es ist davon auszugehen, dass insbesondere diese Kinder unter der ungelösten familiären Stresssituation „still“ leiden. Tab. 4.8

Häufigkeiten der Symptom-Nennungen zu affektiven Störungen in den drei Hauptgruppen

Anzahl bejahter Items

0 1- 3 >3

Gesamt

Kontrollgruppe KvA (unbeh.)

KvA (beh.)

Gesamt

Anzahl

28

28

27

83

% (Spalten)

36.8 % 34 44.7 % 14 18.4 % 76 100.0 %

28.0 % 35 35.0 % 37 37.0 % 100 100.0 %

36.0 % 23 30.7 % 25 33.3 % 75 100.0 %

33.1 % 92 36.7 % 76 30.3 % 251 100.0 %

Anzahl % (Spalten) Anzahl % (Spalten) Anzahl % (Spalten)

11

(χ²-Test (2, 238) = 7, 475; p = .024) (χ² = 8, 714, df = 4, p = . 069) 13 (χ² = 10, 775, df = 4, p = 0, 029) 14 (χ² = 7.063; df = 2, p = .029) 12

79

KAPITEL 4

Ergebnisse

Hinsichtlich der Frage, ob das Kind in der Vergangenheit oder in der Gegenwart Symptome expressiver Störungen aufwies, ergaben sich keine signifikanten Häufigkeitsunterschiede zwischen den Gruppen der Kontrollkinder und der KvA insgesamt. Eine Verneinung aller Items zum Symptombereich der expressiven Störungen wurde von nahezu gleich vielen Kindern der Kontrollgruppe (n = 42; 55, 3 %) und der Gruppe der Kinder unbehandelter Eltern (n = 53; 54,6 %) vorgenommen; dagegen gaben 73,3 % der Kinder behandelter suchtbelasteter Eltern an, in der Vergangenheit oder Gegenwart keine Symptome im Bereich expressiver Störungen bei sich selber entdeckt zu haben. Insgesamt verneinten 150 Kinder (60,5 %) der Gesamtstichprobe die Items zum angegebenen Symptombereich. Mehr als drei Nennungen machten mehr Kinder der Gruppe der KvA (unbeh.) (n = 13, 13,4 %) im Vergleich zu fünf Kindern (6,6 %) der Kontrollgruppe. In der Gruppe der KvA (beh.) waren es drei Kinder (4.0 % ), die diese Angaben machten. Auf die Frage, ob das Kind schon einmal Schulprobleme gehabt hätte (Lebenszeitprävalenz), antworteten in der Kontrollgruppe 44 Kinder (57,9 %) und in der Gruppe der KvA 112 Kinder (64,4 %); diese Unterschiede waren nicht signifikant. In der Analyse der Häufigkeiten für die getrennten Gruppen der KvA (unbeh.) und KvA (beh.) fanden sich in den Gruppen der KvA (unbeh.) und in der Kontrollgruppe nahezu gleich viele positive Angaben (59,6 % zu 57, 9 %), dagegen gaben 70,7 % der KvA (beh.) (53 Kinder) an, schon einmal in der Vergangenheit oder gegenwärtig Schulprobleme gehabt zu haben bzw. aktuell zu haben. Tabelle 4.9 gibt die Häufigkeiten und Prozentwerte für die drei Gruppen wieder. Bei der Analyse der Antworten zur Frage, ob vorhandene oder vergangene Schulprobleme mit Elternaspekten wie „Eltern setzen Schüler unter Druck“ zu tun haben, zeigten sich signifikante Gruppenunterschiede hinsichtlich der Kontrollgruppe und den Kindern suchtbelasteter Eltern15, wobei in der letztgenannten Gruppe vermehrt positive Angaben gemacht wurden. Unterschiede in den Häufigkeiten der Gruppen KvA (beh.) und KvA (unbeh.) ergaben sich nicht. Bezüglich der Angaben zum Bereich Schule im Problemfragebogen für 11-14-Jährige (PFI 11-14) ergaben sich keine Unterschiede zwischen den Hauptgruppen. Kinder der Kontrollgruppe verneinten nicht mehr Fragen zu Schulschwierigkeiten als Kinder alkoholbelasteter Eltern. 0 bis 8 positive Antworten machten 46,4 % der Kinder der Kontrollgruppe (n = 32; N = 69) im Vergleich zu 44,8 % der KvA (n = 74; N = 165). 15 Kinder der KvA (9,1 %) gaben mehr als 19 positive Antworten (n = 34), in der Kontrollgruppe waren dies nur drei Kinder (4,3 %). Bei differenzierter Betrachtung der Gruppe der KvA zeigten sich keine signifikanten Unterschiede zwischen den Gruppen der behandelten und unbehandelten Eltern: 36,8 % (n = 35) der Kinder unbehandelter alkoholbelasteter Eltern machten 0-8 positive Angaben, in der Gruppe der Kinder behandelter Eltern waren es 55,7 %, die über wenige Probleme in der Schule berichteten (n = 39). In der Kontrollgruppe erwähnten 32 Kinder (46,4 %) ein geringes Ausmaß an Schulschwierigkeiten. Die Angaben der KvA (unbeh.) in der Kategorie „wenige Schulprobleme“ liegen nicht signifikant, aber deutlich tendenziell unter denen der Kontrollgruppe, d. h. mehr Kinder der KvA (unbeh.) als Kinder der Kontrollgruppe weisen Schulschwierigkeiten auf; die Werte der KvA (beh.) liegen jedoch deutlich über den Häufigkeitsangaben der Kontrollkinder. Tab. 4.9

15

Häufigkeitsangaben zur Frage nach Schulproblemen in den drei Hauptgruppen

(χ² (2, 250) = 6,985; p = .030)

80

KAPITEL 4

Ergebnisse

Schulprobleme

ja nein

Gesamt

4 .3

Kontrollgruppe KvA (unbeh.)

KvA (beh.)

Gesamt

Anzahl

44

59

53

156

% (Spalten) Anzahl % (Spalten) Anzahl % (Spalten)

57.9 % 32 42.1 % 76 100.0 %

59.6 % 40 40.4 % 99 100.0 %

70.7 % 22 29.3 % 75 100.0 %

62.4 % 94 37.6 % 250 100.0 %

SELBSTWIRKSAMKEITSERWARTUNGEN UND KONTROLLÜBERZEUGUNGEN

Mittelwert von FIE-Summenwert_Skala 1: Negative Selbstbewertung

Zur Analyse von Gruppenunterschieden bezüglich der Ausprägung irrationaler Einstellungen und Kontrollüberzeugungen wurden einfaktorielle Varianzanalysen (ANOVA) mit folgenden unabhängigen Variablen berechnet: FIE-Skalen (Summenvariable über alle 4 Skalen und Einzelskalen: Negative Selbstbewertung, Abhängigkeitskognitionen, Internalisierung von Misserfolg, Irritierbarkeit und Gefühls-Externalisierung), Kontrollüberzeugung (Summenvariable und Einzelitems) (vgl. Kapitel 3.5). In Abbildung 4.2 sind die signifikanten Mittelwertsunterschiede zwischen der Kontrollgruppe und den KvA auf der Skala „Negative Selbstbewertung“16 dargestellt. Demnach zeigen KvA signifikant höhere Mittelwerte als Kontrollgruppenkinder; im Vergleich zur Kontrollgruppe äußerten sie eine geringere Wertschätzung ihrer eigenen Person und vermehrt Einstellungen negativer Selbstbewertung. Hinsichtlich der weiteren FIE-Skalen (Abhängigkeits-Kognitionen, Internalisierung von Misserfolg, Irritierbarkeit und Gefühls-Externalisierung) ergaben sich keine signifikanten Gruppenunterschiede. 14,0

13,5

13,0

12,5

12,0

11,5

11,0 KG

COAs

KG vs. COAs

Abb. 4.1 Mittelwerte der Kontrollgruppe und KvA in der FIE-Skala „Negative Selbstbewertung“

Nur sehr geringe und auch statistisch insignifikante Unterschiede ließen sich zwischen den drei Gruppen der Kontrollkinder, der KvA (beh.) und der KvA (unbeh.) feststellen: Die Gruppe der Kinder unbehandelter Eltern wies hierbei jedoch auf allen Skalen die höchsten Werte auf. Tabelle 4.10 zeigt die Mittelwerte in diesen 4 Skalen. Tab. 4.10 Mittelwerte der Kontrollgruppe, der KvA (beh.) und der KvA (unbeh.) in den vier Skalen des FIE

16

(F (1, 250) = 4,536, p = .034)

81

KAPITEL 4

Ergebnisse

Skala 1: Negative Selbstbewertung N Kontrollgruppe 72 KvA (behandelte Eltern) 73 KvA (unbehandelte Eltern) 95

Mittelwerte 11,22 13,38 13,99

Skala2: Abhängigkeits-Kognitionen: N Kontrollgruppe 73 KvA (behandelte Eltern) 72 KvA (unbehandelte Eltern) 95

Mittelwerte 19,88 20,90 21,86

Skala3: Internalisierung von Misserfolg: N Mittelwerte Kontrollgruppe 72 15,94 KvA (behandelte Eltern) 73 16,21 KvA (unbehandelte Eltern) 95 17,06 Skala4: Irritierbarkeit und Gefühls-Externalisierung: N Mittelwerte Kontrollgruppe 72 16,54 KvA (behandelte Eltern) 73 17,01 KvA (unbehandelte Eltern) 95 18,18

Hinsichtlich der Gruppenvergleiche der vier Hauptgruppen fanden sich signifikante Unterschiede zwischen den Gruppen der Kontrollkinder, Kinder suchtbelasteter Eltern, Kinder psychisch kranker Eltern und Kinder komorbid belasteter Eltern in folgenden drei Skalen: Negative Selbstbewertung17, Internalisierung von Misserfolgen18 sowie Irritierbarkeit und Gefühls-Externalisierung19. Eine Post-Hoc-Analyse mittels Scheffé-Prozedur zeigte, dass alle gefundenen Mittelwertsunterschiede auf die Gruppe der Kinder komorbid erkrankter Eltern zurückzuführen sind: Diese Kinder wiesen die höheren Mittelwerte und somit geringere Kontrollüberzeugungen auf. Die Kinder komorbid erkrankter Eltern sind somit als die am stärksten belastete Gruppe, was die kognitive Realitätsverarbeitung angeht, anzusehen. Sie haben am deutlichsten die Tendenz zur Entwicklung irrationaler Kognitionen, insbesondere in den Bereichen Selbstabwertung, Misserfolgserleben, Schuld- und Abhängigkeitsgefühle sowie Irritierbarkeit durch andere. Innerhalb der Gruppe der KvA ergaben sich signifikante Unterschiede20 auf der Skala Abhängigkeitskognitionen zwischen den Kindern, die eine lange Expositionszeit ihrer Eltern erlebt hatten, im Vergleich zu Kindern, die eine kurze Expositionszeit des elterlichen Alkoholkonsums berichteten. Wie Abbildung 4.2 zeigt, haben erstere bei einer Expositionszeit von über vier Jahren geringere Mittelwerte (19,94; N = 94) als Kontrollgruppenkinder (20,90, N = 72) und als Kinder, die eine Exposition unter 4 Jahren erlebten (22,7; N = 73). Dies spricht für eine große Verunsicherung der Kinder in der Anfangszeit der elterlichen Abhängigkeitsentwicklung (< 4 Jahre Expositionszeit), während bei längeren Expositionszeiten auffällig niedrige Werte erreicht werden. Möglicherweise beginnen nach längerer Expositionszeit kognitive Umbewertungsprozesse, die bis zu unrealistischen und wirklichkeitsfernen Wahrnehmungen im Sinne eines Selbstschutzes führen könnten.

17

(F (3, 239) = 4,926; p = .002) (F (3, 239) = 3,828; p = .011) 19 (F (3,239) = 4,155; p = .007) 20 (F (2; 239) = 3,001; p = .05) 18

82

Mittelwert von FIE-Summenwert_Skala2: Abhängigkeits-Kognitionen

KAPITEL 4

Ergebnisse

23,0

22,5

22,0

21,5

21,0

20,5

20,0 19,5 alle anderen

Exposition unter 4 J

Exposition über 4 Ja

Gruppenvariable Expositionszeit

Abb. 4.2 Mittelwerte der Kinder mit langer und kurzer Expositionszeit auf der Skala Abhängigkeitskognitionen

Hinsichtlich allgemeiner Kontrollüberzeugungen zeigten sich zwischen den Gruppen der Kontrollkinder und den Kindern suchtbelasteter Eltern signifikante Unterschiede21. In Tabelle 4.11 sind die deskriptiven Daten für beide Gruppen angegeben. Geringere Kontrollüberzeugungen hatten demnach die Kinder suchtbelasteter Eltern. Die beiden Gruppen der behandelten und unbehandelten Eltern wiesen keine Unterschiede im Ausmaß ihrer allgemeinen Kontrollüberzeugungen auf. In den Untergruppen der Kinder, die eine lange bzw. kurze Expositionszeit berichteten, und in der Subgruppe der Indexpersonen ergaben sich keine signifikanten Unterschiede. Aus Abbildung 4.3 wird ersichtlich, dass Kinder erfolglos behandelter Eltern im Vergleich zu Kindern erfolgreich behandelter Eltern eine geringere Kontrollüberzeugung aufwiesen (20,62; N = 26 im Vergleich zu 22,53; N = 49). Die Mittelwertsunterschiede werden jedoch statistisch nicht signifikant22. Dieses letztgenannte Ergebnis ist insofern besonders interessant, da erfolglose Behandlungsversuche eine negative Auswirkung auf die Kontrollüberzeugungen der mitbetroffenen Kinder haben könnten. Denkbar ist z.B., dass diese dadurch ihre eigenen Hoffnungen und Kontrollversuche in Hinblick auf den suchtkranken Elternteil als wirkungslos erleben. Tab. 4.11 Deskriptive Statistik zu Kontrollüberzeugungen für die beiden Hauptgruppen KG und KvA

KG KvA Gesamt

21 22

N

MW

SD

95 % -Konfidenzintervall für den Mittelwert Min.

Max.

76 175 251

22.53 21.41 21.75

3.17 3.62 3.52

Untergrenze 21.80 20.87 21.31

30 30 30

Obergrenze 23.25 21.95 22.18

15 11 11

(F (1,250) = 5,462; p = .020) (F (2, 250) = 2,610; p = .076)

83

KAPITEL 4

Ergebnisse

23,0

22,5

22,0

21,5

21,0

20,5 alle anderen

Kinder erfolglos beh

Kinder erfolgreich b

Gruppenvariable Behandelte erfolgreich vs. erfolglos

Abb. 4.3

4 .4

Mittelwertdiagramm für die Subgruppenvariable „Erfolgreiche vs. erfolglose Behandlung“

LEBENSZUFRIEDENHEIT

Zur Analyse von Gruppenunterschieden bezüglich der Ausprägung in Allgemeiner Lebenszufriedenheit wurden einfaktorielle Varianzanalysen (ANOVA) berechnet. Bei signifikanten Mittelwertsdifferenzen wurde über Post-Hoc-Tests (Scheffè-Prozedur) bestimmt, welche Mittelwerte abweichen. Es zeigt sich, dass für die Gruppen KvA und Kontrollgruppe bezüglich der Skala zur allgemeinen Lebenszufriedenheit signifikante Unterschiede in der Gesamtausprägung der Skala23 und in den Ausprägungen des Items „mit Leben zufrieden”24 zu verzeichnen sind. Tabelle 4.12 gibt die entsprechenden deskriptiven Daten wieder. Zwischen den Gruppen der Kinder behandelter und unbehandelter Eltern sind hierbei keine signifikanten unterschiedlichen Lebenszufriedenheitswerte zu sichern. Signifikante Mittelwertsunterschiede fanden sich allerdings zwischen der Gruppe der behandelten Eltern und den Kontrollgruppenkindern25. Tabelle 4.13 zeigt die entsprechenden Mittelwerte für die drei Hauptgruppen. Die höchsten Ausprägungen bezüglich des Items „mit Leben zufrieden“ wiesen die Kinder der Kontrollgruppe auf. Tab. 4.12 Deskriptive Statistik für Allgemeine Lebenszufriedenheit und Item „mit Leben zufrieden“ für die beiden Gruppen Kontrollgruppe und KvA

Allgemeine KG Lebenszufriedenheit KvA Gesamt mit Leben KG zufrieden KvA Gesamt

95 % -Konfidenz-intervall für den Mittelwert Untergrenze Obergrenze

Min.

Max.

17.11

11

24

15.95 16.15

5 5

25 25

N

MW

SD

76

16.45

2.89

15.79

175 251

15.38 15.70

3.82 3.59

14.81 15.25

76

3.91

.90

3.70

4.11

2

5

174 250

3.18 3.24

.97 .91

3.04 3.12

3.33 3.35

1 1

5 5

23

(F (1, 250) = 4,767; p = .030) (F (1, 250) = 10, 480; p = .001) 25 (F (2, 250) = 5.848; p = .003) 24

84

KAPITEL 4

Ergebnisse

Tab. 4.13 Mittelwerte des Items „mit Leben zufrieden“ für die 3 Hauptgruppen „mit Leben zufrieden“

N

MW

KvA (behandelte Eltern) KvA (unbehandelte Eltern) Kontrollgruppe/ Non-KvA

75 100 76

15.20 15.51 16.45

Kinder komorbid erkrankter Eltern zeigten auf der Skala der Allgemeinen Lebenszufriedenheit die geringsten Werte (Tab. 4.14). Sie waren im Vergleich zu Kindern suchtbelasteter Eltern und im Vergleich zu Kontrollgruppenkindern signifikant weniger der Überzeugung, dass ihr „Leben nahe an Wunschvorstellung“ sei, ihre „Lebensbedingungen außergewöhnlich gut“ und sie „mit Leben zufrieden“ seien. Somit zeigen sich die Kinder komorbid erkrankter Eltern wiederum als die am stärksten belastete. Auch wenn diese Gruppe in unserer Untersuchung mit 17 Kindern nur recht klein ist, ist die wiederholte Auffälligkeit dieser Gruppe doch ein Hinweis auf eine besonders pathologisierende Situation. Tab. 4.14 Mittelwerte der Skala Allgemeine Lebenszufriedenheit für die Gruppen Kinder komorbid erkrankter Eltern, Kinder psychisch kranker Eltern, Kinder suchtbelasteter Eltern und Kontrollgruppenkinder Allgemeine Lebenszufriedenheit

N

MW

Kinder komorbid erkrankter Eltern Kinder psychisch kranker Eltern Kinder suchtbelasteter Eltern Kontrollgruppe

17 10 162 62

12.35 15.30 15.69 16.71

In der generellen Tendenz lässt die Subgruppenanalyse mit der Gruppenvariable „Indexelternteil“ eine geringere Ausprägung in der Lebenszufriedenheit bei Kindern, die mit mehr als einer Person, die eine Alkoholproblematik aufweist, zusammen leben, erkennen. Tabelle 4.15 zeigt die Mittelwerte und deskriptiven Daten für die einzelnen Untergruppen. Eine tendenzielle, jedoch nicht signifikant geringere Lebenszufriedenheit fand sich bei Kindern, deren Mutter und Stiefvater alkoholbelastet sind bzw. bei denen beide Eltern abhängig sind oder waren. Tab. 4.15 Deskriptive Daten für die Subgruppe „Indexperson“ auf der Skala Allgemeine Lebenszufriedenheit N Allgemeine lebt mit keinem 62 Lebenszu- Indexelternteil friedenheit Mutter 35 Vater 127 Stiefvater 12 Mutter & Vater 12 Mutter und 3 Stiefvater Gesamt 251

95 % -Konfidenzintervall für Min. den Mittelwert UntergrenzeObergrenze 15.99 17.43 11

MW

SD

16.71

2.84

14.57 15.98 15.25 12.92 9.33

3.88 3.44 4.37 3.68 4.51

13.24 15.37 12.47 10.58 -1.87

15.91 16.58 18.03 15.25 20.53

7 5 10 9 5

23 25 24 21 14

15.70

3.59

15.25

16.15

5

25

Max. 24

85

KAPITEL 4

Ergebnisse

Der Bereich der Lebenszufriedenheit der Kinder in suchtbelasteten Familien und in Kontrollfamilien ist insgesamt durch eine stärkere Belastung der Kinder aus Familien mit problematischem Alkoholkonsum der Eltern gekennzeichnet. Die Alkoholstörung zweier Elternteile sowie eine Komorbidität in der Familie wirken sich dabei tendenziell stärker aus als ein ausschließliches Alkoholproblem bei einem Elternteil. Letztere Gruppe jedoch weist eine geringere Lebenszufriedenheit auf als die Kontrollgruppe. In den Daten zur Lebenszufriedenheit sind mögliche Ausgangspunkte zur Entwicklung psychischer Probleme (z.B. Depressionen, Ängste, Persönlichkeitsstörungen) und Suchtstörungen bei der belasteten Gruppe der Kinder von Suchtkranken zu sehen. 4 .5

BEWÄLTIGUNGSVERHALTEN

Zur Analyse von Gruppenunterschieden bezüglich der Verwendung von Problemlösestrategien wurden einfaktorielle Varianzanalysen (ANOVA) mit einer Summenvariable über alle drei Skalen des „Fragebogens zur Erhebung von Stresserleben und Stressbewältigung im Kindesalter“ (SSK; LOHAUS ET AL., 1996) und mit den SSKEinzelskalen (Emotionsregulierende Aktivitäten, Soziale Unterstützung und Problemlösendes Handeln) berechnet. Zwischen den Gruppen der Kontrollkinder, der Kinder behandelter alkoholbelasteter Eltern und der Kinder unbehandelter alkoholbelasteter Eltern bestanden auf den Einzelskalen und den drei zusammengefassten Skalen keine signifikanten Mittelwertsunterschiede. Unterschiede bezüglich der Skala „Emotionsregulierende Aktivitäten“ zeigten sich zwischen den vier Hauptgruppen (Kontrollgruppe, Kinder suchtbelasteter Eltern, Kinder psychisch kranker Eltern und Kinder komorbid erkrankter Eltern)26. Post-Hoc-Tests wiesen hier die Gruppe der Kinder komorbid erkrankter Eltern als Kinder aus, die weniger angepasste Copingstrategien aufwiesen als die Kinder der anderen Gruppen. Der Unterschied zu Kindern suchtmittelbelasteter Eltern war signifikant (p = .022). Somit zeigt sich wiederum ein für die Kinder komorbid erkrankter Eltern negatives Ergebnis. Sie haben einerseits mehr mit belastenden Emotionen zu kämpfen und weisen andererseits ein stärker emotional orientiertes Bewältigungsverhalten auf. Tab. 4.16 Mittelwerte auf der Skala „Emotionsregulierende Aktivitäten“ in den vier Hauptgruppen Emotionsregulierende Aktivitäten

N

Kinder psychisch kranker Eltern Kinder suchtbelasteter Eltern Kontrollgruppe Kinder komorbid erkrankter Eltern

10 160 61 16

33.60 35.19 35.80 42.75

Auf den Skalen Soziale Unterstützung und Problemlösendes Handeln wurden keine Gruppenunterschiede festgestellt. Tabelle 4.16 zeigt die Mittelwerte für die vier Gruppen. Eine Analyse der Geschlechtseffekte erbrachte für die Skala „Emotionsregulierende Aktivitäten“ signifikante Geschlechtsunterschiede27 insofern, dass Mädchen verstärkt solche Copingaktivitäten einsetzen.

26 27

(F (3, 246) = 3,447; p = .017) (F (1, 246) = 8,766; p = .003)

86

KAPITEL 4

Ergebnisse

4 .6

EMOTIONALE BINDUNG, FAMILIÄRE ATMOSPHÄRE UND KOMMUNIKATION

Zur Analyse von Gruppenunterschieden bezüglich der Ausprägung auf den Skalen des Allgemeinen Familienbogens, Selbstbeurteilungsbogens und Zweierbeziehungsbogens (Mutter bzw. Vater) sowie des FFBO III wurden einfaktorielle Varianzanalysen (ANOVA) berechnet (vgl. Kapitel 3.5). Für die Analyse der Familienkommunikation wurden wegen des nominalen Skalenniveaus für die einzelnen Items Kreuztabellen mit Chi-Quadrat-Tests berechnet. Die Analyseergebnisse hinsichtlich der Ausprägungen auf den Skalen Rollenverhalten, Kommunikation, Emotionalität, Affektive Beziehungsaufnahme und Werte und Normen zeigten keine signifikanten Unterschiede zwischen den Kontrollkindern und der Gesamtgruppe der Kinder alkoholbelasteter Eltern. Bezüglich der erwarteten Unterschiede in den Ausprägungen von Familienfunktionen zwischen Kindern behandelter und Kindern unbehandelter Eltern ergaben sich ebenfalls keine diesbezüglichen Abweichungen. Lediglich auf der Skala Allgemeine Aufgabenerfüllung ließen sich signifikante Unterschiede zwischen der Kontrollgruppe, den KvA (unbeh.) und den KvA (beh.)28 sichern. Post-Hoc-Tests differenzieren die Unterschiede dahingehend, dass zum einen zwischen den KvA (beh.) und der Kontrollgruppe und zum anderen zwischen den KvA (unbeh.) und der Kontrollgruppe statistisch bedeutsame Abweichungen existieren. Hierbei wiesen die Kinder der Kontrollgruppe die niedrigsten durchschnittlichen Skalenwerte auf (KG: N = 70, MW = 3,73; SD = 2,16). Kinder unbehandelter alkoholbelasteter Eltern zeigten geringwertig niedrigere Mittelwerte als Kinder behandelter alkoholbelasteter Eltern (KvA [unbeh.]: N = 95, MW = 4,79, SD = 2,90; KvA [beh.]: N = 73, MW = 4,93, SD = 2,47). Niedrigere Mittelwerte deuten hierbei auf eine bessere Anpassung der Familie im Hinblick auf die Skala „allgemeine Aufgabenerfüllung“ hin. Deutliche signifikante Unterschiede fanden sich bei den Gruppenanalysen der vier Hauptgruppen, wobei Post-Hoc-Tests die Unterschiede auch hier auf die Untergruppe der Kinder komorbid erkrankter Eltern zurück führten. Es ergaben sich starke Abweichungen zwischen dieser Gruppe und den anderen Gruppen auf den Skalen „Rollenverhalten“29, „Kommunikation“30 und „Affektive Beziehungsaufnahme“31 und „Werte und Normen“32. Signifikante Unterschiede ließen sich für die Skala „Rollenverhalten“ zwischen der Gruppe der Kinder mehrfach belasteter Eltern einerseits und der Kontrollgruppe (p = .013) sowie der Gruppe der Kinder suchtbelasteter Eltern (p = .024) andererseits feststellen. Für die Skala „Kommunikation“ fanden sich signifikante Unterschiede zwischen den Kindern komorbid erkrankter Eltern und a) Kontrollgruppenkindern (p = .025) und b) Kindern suchtbelasteter Eltern (p = .034), für die Skala „Affektive Beziehungsaufnahme“ zwischen den Kindern komorbid erkrankter Eltern und Kontrollgruppenkindern (p = .028), für die Skala „Werte und Normen“ zwischen der Gruppe der Kinder mehrfach belasteter Eltern und a) Kontrollgruppenkindern (p = .015) und b) Kindern suchtbelasteter Eltern (p = .028). In allen Gruppen zeigten die Kinder komorbid erkrankter Eltern höhere Skalenmittelwerte, was bedeutet, dass die spezifischen Familienfunktionen bei dieser Gruppe weniger klar und 28

(F (2,237) = 4,777); p = .009) (F (3, 237) = 3,893; p = .010) 30 (F (3, 237) = 3,574; p = .015) 31 (F (3, 237) = 3,092; p = .028) 32 (F (3, 237) = 3,696; p = .013) 29

87

KAPITEL 4

Ergebnisse

stark ausgeprägt sind. Hierdurch wird erneut die besonders belastende und potenziell pathologisierende Situation der Kinder komorbid erkrankter Eltern deutlich. In diesem Zusammenhang ist es also nicht die Suchtstörung alleine, sondern das kombinierte Auftreten mit einer anderen relevanten psychischen Störung, das als besonderes Risiko für funktionale Störungen der Familienkommunikation und –interaktion anzusehen ist. Hinsichtlich der Subgruppenanalysen „Erfolg“, „Abstinenzzeit“ und „Expositionszeit“ ergaben sich keinerlei Gruppenunterschiede. Kinder mit langer Abstinenzzeit der Eltern wiesen keine abweichenden Skalenmittelwerte im Vergleich zu Kindern mit kurzer elterlicher Abstinenzzeit auf. In Tabelle 4.17 sind die Mittelwerte und deskriptiven Angaben auf der Skala „Aufgabenerfüllung“ für die Subgruppe „Kontakt zum Hilfesystem“ zusammengefasst. Auffallend ist hier, dass diejenigen Familien, in denen schon seit längerer Zeit ein Kontakt zum störungsspezifischen Hilfesystem (insbesondere Selbsthilfegruppen) besteht, die im Vergleich zu den anderen Gruppen besten Ergebnisse (d. h. niedrigsten Mittelwert) auf der oben beschriebenen Skala aufweisen. Einschränkend ist jedoch zu betonen, dass diese Mittelwertsunterschiede statistisch nicht signifikant sind. Lediglich bei der Gruppenvariable „Indexelternteil“ zeigten sich auf der Skala „Rollenverhalten“ signifikante Mittelwertsabweichungen bei den Kindern, die bei einer alkoholbelasteten Mutter und einem zusätzlich ebenfalls alkoholbelasteten Stiefvater aufwachsen, im Vergleich zu Kindern mit einem alkoholbelasteten Stiefvater (p = .05) (Stiefvater: N = 11, MW = 4,45, SD = 2,70; Mutter + Stiefvater: N = 3, MW = 9,67, SD = 4,04). Innerhalb dieses Vergleiches zeigen demnach die Kinder mit einem alkoholbelasteten Stiefvater eine bessere Anpassung an die Familienfunktion „Rollenverhalten“. Unterschiede in den gleichen Gruppen fanden sich auch bei der Familienfunktion „Kommunikation“ in der Richtung, dass Kinder, die beim Indexelternteil Stiefvater leben, auch hier geringere Mittelwerte aufwiesen als Kinder, die bei einer alkoholbelasteten Mutter und Stiefvater leben (p = .041) (Stiefvater: N = 11, MW = 3,09, SD = 2,07, Min = 0, Max = 8; Mutter + Stiefvater: N = 3, MW = 8,67, SD = 2,25). Offenbar gelingt den betroffenen Kindern die Abgrenzung gegenüber einem alkoholkranken Stiefvater in den Familien besser als dies bei leiblichen Elternteilen der Fall ist. Es ist aber auch denkbar, dass der gefundene Effekt darauf zurückzuführen ist, dass Stiefväter erst zu einem relativ späten Zeitpunkt in das Leben der befragten Kinder getreten sind, so dass sich keine starken negativen Effekte mehr ausgebildet haben. Tab. 4.17 Mittelwerte und deskriptive Statistik der Skala „Aufgabenerfüllung“ in der Subgruppe „Kontakt zum Hilfesystem“ Wer hat welchen Kontakt? Aufgaben- kein/noch nie Kontakt erfüllung Hilfesystem Kind Hilfesystem Eltern Klinik Hilfesystem Eltern Selbsthilfegruppe Hilfesystem. Eltern ambulante Psychotherapie Hilfesystem Kind und Elternteil Gesamt

N

Mittelwert

SD

Minimum

Maximum

148

4.44

2.60

0

12

2 62 12

4.00 4.63 5.25

1.41 2.47 3.25

3 0 0

5 12 12

8

3.88

3.76

0

10

6 238

5.00 4.52

2.10 2.61

2 0

8 12

88

KAPITEL 4

Ergebnisse

Analysen bezüglich der Angaben im Selbstbeurteilungsbogen ergaben keine Unterschiede zwischen den beiden KvA-Gruppen der Kinder behandelter suchtbelasteter Eltern und Kinder unbehandelter suchtbelasteter Eltern. Bezogen auf die Skala „Werte und Normen“ unterscheiden sich Kinder suchtunauffälliger Eltern von Kindern, die mit einem alkoholbelasteten Elternteil zusammenleben bzw. zusammengelebt haben. Tabelle 4.18 zeigt die Mittelwerte der beiden Gruppen. Kontrollgruppenkinder wiesen im Durchschnitt geringere Skalasummenwerte auf als Kinder alkoholbelasteter Eltern. Kinder komorbid erkrankter Eltern zeigten signifikant höhere Mittelwerte als die Kontrollgruppe auf der Skala „Emotionalität“ (p = .031) und auf der Skala „Werte und Normen“ (p = .001). Im Vergleich zur Gruppe der KvA (p = .001) und zur Gruppe der Kinder psychisch erkrankter Eltern (p = .006) zeigten diese Kinder eine schlechtere Anpassung der Familie in der Skala „Werten und Normen“, was erneut auf die besonders schwierige Lage der Kinder komorbid erkrankter Eltern hinweist. Tab. 4.18 Mittelwerte und deskriptive Statistik der Skala „Werte und Normen “ in der Kontroll- und KvA- Gruppe N Werte und Normen

KG KvA Gesamt

Mittelwert

70 3.30 168 4.01 238 3.80

SD

Min.

Max.

2.63 2.53 2.58

0 0 0

11 12 12

Hinsichtlich der Analysen zur Mutterbindung (Zweierbeziehungsbogen zur Mutter) ergaben sich keine Gruppenunterschiede zwischen den Kontrollgruppenkindern, KvA (beh.) und KvA (unbeh.). Lediglich auf der Skala „Kontrolle“ zeigten Kinder psychisch kranker Eltern (N = 10, MW = 2,00, SD = 2,11) statistisch signifikant geringere Werte – und damit eine positivere Bindung zu ihren Müttern - als Kinder komorbid erkrankter Eltern (N = 16, MW = 4,81, SD = 3,56). Abbildung 4.4 zeigt das Mittelwertsdiagramm dieser Analyse. Eindeutige Gruppenunterschiede ergaben sich bezüglich der emotionalen Beziehung zum Vater: Die Auswertungen mit Hilfe von Varianzanalysen ergaben auf allen sieben Skalen für die Kontrollgruppenkinder eine signifikant positivere Bindung zum Vater als für Kinder alkoholbelasteter Eltern. Tabelle 4.19 und Tabelle 4.20 stellen zusammenfassend die ANOVA-Analyseergebnisse und die deskriptiven Statistiken dar. Hinsichtlich des Grades an Kohäsion und Adaptabilität in der Familie unterscheiden sich Kontrollgruppenfamilien nicht von Familien mit einer Alkoholbelastung. Tabelle 4.21 zeigt die deskriptiven Angaben für die vier Hauptgruppen. Im Weiteren decken Analysen zur Familienkommunikation keine ungünstigeren Kommunikationsmuster- und Interaktionsmerkmale in Familien mit einer Alkoholproblematik im Vergleich zu Familien ohne Alkoholproblematik auf. Geschlechts- und altersdifferenzierte Analysen einzelner Items mittels Chi-Quadrat-Tests erbrachten keine Häufigkeitsunterschiede zwischen Kontrollgruppenkindern und KvA sowie keine Unterschiede zwischen den Gruppen der Kinder behandelter alkoholbelasteter Eltern und unbehandelter alkoholbelasteter Eltern. Lediglich im Bereich „Zustimmung und Akzeptanz“ berichteten jugendliche KvA signifikant weniger über günstige Kommunikationsstrukturen in der Familie (67,4 %) als Jugendliche in Kontrollfamilien (95,0 %). Diese Abweichungen zwischen den Gruppen zeigten sich allerdings ausschließlich im Altersbereich der 15-16-Jährigen. Tabelle 4.22 gibt die Häufigkeiten dieser Analyse wieder.

89

KAPITEL 4

Mittelwert von FB_ZweierMutter_Skala6:Kontrolle

Ergebnisse

5,0

4,5

4,0

3,5

3,0

2,5

2,0 1,5

Kontrollgruppe

Kinder suchtbelastet

Kinder psychisch kra

Kinder komorbid erkr

Hauptgruppen_alle

Abb. 4.4 Mittelwertsdiagramm für die Skala „Kontrolle“ im Zweierbeziehungsfragebogen (Mutter) in den vier Hauptgruppen

Tab. 4.19 ANOVAs der Zweierbeziehungsbogen-Skalen (Vater) in den Gruppen KG und KvA Quadratsumme df Skala 1: Aufgabenerfüllung

Zwischen den Gruppen Innerhalb der Gruppen Gesamt Skala 2: Zwischen den Gruppen Rollenverhalten Innerhalb der Gruppen Gesamt Skala 3: Zwischen den Gruppen Kommunikation Innerhalb der Gruppen Gesamt Skala 4: Zwischen den Gruppen Emotionalität Innerhalb der Gruppen Gesamt Skala 5: Zwischen den Gruppen Affekt. Beziehungsaufnah-Innerhalb der Gruppen me Gesamt

79,265 2004,927 2084,192 75,686 1685,397 1761,083 39,235 1661,105 1700,341 58,882 1964,306 2023,188 133,125 2288,185

1 227 228 1 227 228 1 227 228 1 227 228 1 227

2421,310

228

Skala 6: Kontrolle

42,992 1612,169 1655,162 58,437 2001,205 2059,642

1 227 228 1 227 228

Skala 7: Werte und Normen

Zwischen den Gruppen Innerhalb der Gruppen Gesamt Zwischen den Gruppen Innerhalb der Gruppen Gesamt

Mittel der Quadrate

F

Signifikanz

79,265 8,832

8,975

,003

75,686 7,425

10,194

,002

39,235 7,318

5,362

,021

58,882 8,653

6,805

,010

133,125 10,080

13,207

,000

42,992 7,102

6,054

,015

58,437 8,816

6,629

,011

Tab. 4.20 Mittelwerte und deskriptive Statistiken der Zweierbeziehungsbogen-Skalen (Vater) in den Gruppen KG und KvA N Skala 1: Aufgabenerfül- KG lung KvA Gesamt Skala 2: RollenverhaltenKG

MW

SD

S.fehler

95 % -Konfidenzintervall Min. für den Mittelwert Untergrenze Obergrenze

Max.

68

4.87

2.41

.29

4.28

5.45

0

11

161 229

6.16 5.77

3.18 3.02

.25 .20

5.66 5.38

6.65 6.17

0 0

12 12

68

3.90

2.65

.32

3.26

4.54

0

11

90

KAPITEL 4

Ergebnisse

KvA Gesamt Skala 3: KommunikationKG

161 229

5.16 4.78

2.76 2.78

.22 .18

4.73 4.42

5.58 5.14

0 0

12 12

68

4.21

2.60

.32

3.58

4.84

0

12

KvA Gesamt KG

161 229

5.11 4.84

2.75 2.73

.22 .18

4.68 4.49

5.54 5.20

0 0

12 12

68

3.85

2.46

.30

3.26

4.45

0

11

KvA Gesamt KG Beziehungs-

161 229

4.96 4.63

3.12 2.98

.25 .20

4.48 4.25

5.45 5.02

0 0

12 12

68

2.57

2.76

.33

1.91

3.24

0

11

KvA Gesamt KG

161 229

4.24 3.75

3.33 3.26

.26 .22

3.72 3.32

4.76 4.17

0 0

12 12

68

3.85

2.19

.27

3.32

4.38

0

10

KvA Gesamt KG

161 229

4.80 4.52

2.84 2.69

.22 .18

4.36 4.17

5.24 4.87

0 0

12 12

68

5.00

2.75

.33

4.33

5.67

0

12

KvA Gesamt

161 229

6.11 5.78

3.05 3.01

.24 .20

5.63 5.39

6.58 6.17

0 0

12 12

Skala 4: Emotionalität Skala 5: Affektive aufnahme

Skala 6: Kontrolle

Skala 7: Werte und Normen

Tab. 4.21 Mittelwerte und deskriptive Statistiken für FFBO-Skalen „Kohäsion“ und „Adaptabilität“ in den vier Hauptgruppen N

MW

SD

S.fehler

95 % -Konfidenzintervall Min. für den Mittelwert

Max.

Untergrenze Obergrenze

Kohäsion

Kontrollgruppe Kinder suchtbelasteter Eltern Kinder psychisch kranker Eltern Kinder komorbid erkrankter Eltern Gesamt

Adaptabilität Kontrollgruppe Kinder suchtbelasteter Eltern Kinder psychisch kranker Eltern Kinder komorbid erkrankter Eltern Gesamt

57

24.47

5.28

.70

23.07

25.87

16

36

157

25.10

4.71

.38

24.36

25.84

15

39

10

25.90

3.25

1.03

23.58

28.22

21

31

16

24.56

3.20

.80

22.86

26.27

20

31

240

24.95

4.71

.30

24.35

25.55

15

39

57

25.89

5.88

.78

24.34

27.45

11

40

157

25.84

5.85

.47

24.92

26.76

14

40

10

26.00

5.10

1.61

22.35

29.65

18

32

16

28.88

6.47

1.62

25.43

32.32

20

43

240

26.06

5.88

.38

25.31

26.81

11

43

91

KAPITEL 4

Ergebnisse Tab.4.22 Häufigkeitsverteilung ungünstig und günstig erlebten „Verständnisses “ in der Altersgruppe der 15-16Jährigen Altersbereich

KG

15-16jährige Verständnis ungünstig Anzahl % von KG vs. KvA günstig Anzahl % von KG vs. KvA Gesamt Anzahl

4 .7

KvA 1 5.0 % 19 95.0 % 20

Gesamt 14 32.6 % 29 67.4 % 43

15 23.8 % 48 76.2 % 63

EXPOSITION DES ELTERLICHEN TRINKENS UND DER ELTERLICHEN AUSEINANDERSETZUNGEN

Für die statistischen Analysen wurden als unabhängige Variablen die Variable „Expositionszeit“ (trifft nicht zu, unter 4 Jahre, über 4 Jahre) und die Variable „streiten sich deine Eltern oft“ (dichotom) berücksichtigt. Innerhalb der Gruppe der KvA sind es nach eigenen Angaben 66 Kinder (37,7 %), die dem problematischen elterlichen Alkoholkonsum bis zu 4 Jahren ausgesetzt sind bzw. waren. 98 der befragten KvA (56,0 %) berichteten eine mindestens vierjährige vergangene oder noch bestehende Expositionszeit. 11 (6,3 %) der KvA machten keine Angaben zur Expositionsdauer. Die Häufigkeitsverteilungen der Kinder mit kurzer (1-4 Jahre) und langer Expositionszeit (mindestens 4 Jahre) in den Gruppen der KvA (unbeh.) und KvA (beh.) zeigt Tabelle 4.23. Eine geringe Expositionszeit wiesen 43,0 % der Kinder unbehandelter suchtbelasteter Eltern (n = 100) im Vergleich zu 30,7 % der Kinder behandelter suchtbelasteter Eltern (n = 75) auf. Die Hälfte (50,0 %) der von einer unbehandelten Alkoholproblematik betroffenen Kinder und Jugendlichen (n = 100) berichteten eine über 4 Jahre andauernde Auseinandersetzung mit einer elterlichen Alkoholproblematik. In der Gruppe der Kinder, deren Eltern wegen einer Alkoholproblematik in Behandlung sind bzw. waren, wiesen 64,0 % (n = 75) eine solch lange Expositionszeit auf. Die Daten weisen darauf hin, dass mit fast der Hälfte (43%) eine substanziell größere Subgruppe der Kinder unbehandelter suchtbelasteter Eltern eine kurze Expositionsdauer aufweisen. Dies wiederum kann als ein Indikator dafür gelten, dass mehr Eltern aus dieser Gruppe noch am Anfang der Entwicklung einer Alkoholstörung stehen und deshalb weniger stark pathologisiert sind als Eltern mit einer längeren Karriere. Dadurch wird deutlich, dass unbehandelte Eltern mit Alkoholproblemen in zwei Gruppen unterteilbar sind, nämlich solche mit noch kurzer Problemdauer und wenigen Symptomen und solchen mit längerer Problemdauer und vermutlich zahlreichen Symptomen. Die erstgenannte Gruppe ist bislang noch nicht vom Behandlungssystem erreicht worden und bestenfalls für Frühinterventionen geeignet. Die zuletzt genannte Gruppe besteht vermutlich häufiger aus Behandlungsverweigerern und solchen Personen, die im Sinne des „Stages-ofChange“-Modells als dauerhafte „(Pre-)Contemplaters“ zu betrachten sind. Tab. 4.23 Expositionszeit (Lebenszeit) der Kinder in den Gruppen KvA (unbeh.) und KvA (beh.) KvA (unbeh.) Expositionszeit (Lebenszeit)unter 4 Jahre Anzahl % von Hauptgruppen mind. 4 Jahre Anzahl

43 43,0 % 50

KvA (beh.) 23 30,7 % 48

Gesamt 66 37,7 % 98

92

KAPITEL 4

Ergebnisse

Gesamt

% von Hauptgruppen keine AngabenAnzahl % von Hauptgruppen Anzahl % von Hauptgruppen

50,0 % 7 7,0 % 100 100,0 %

64,0 % 4 5,3 % 75 100,0 %

56,0 % 11 6,3 % 175 100,0 %

In Tabelle 4.24 ist die Häufigkeitsverteilung der Antworten bezüglich der Frage „Streiten sich deine Eltern oft?“ in den Gruppen der Kinder alkoholbelasteter Eltern, die eine kurze oder lange Expositionszeit aufweisen, dargestellt. Wenn sich auch die Häufigkeiten der Ja-Antworten zwischen den beiden Gruppen nicht signifikant unterscheiden, so berichteten die Kinder mit erlebter langer Alkoholexposition häufiger von erfahrenem Streit bei den Eltern als Kinder mit einer unter vier Jahren dauernden Expositionszeit (45,2 % vs. 30,8 %). Laut Angaben ihrer Kinder streiten sich alkoholbelastete Eltern signifikant häufiger33 als Eltern von Kindern der Kontrollgruppe. Tab. 4.24 Häufigkeitsverteilung der Angaben zur Variablen „Streiten sich Eltern oft?“ in der Subgruppe „Expositionszeit“ „streiten sich Eltern oft?“ nicht zutreffend ja nein Gesamt

Exposition unter 4 Jahre Anzahl % von Expositionszeit Anzahl % von Expositionszeit Anzahl % von Expositionszeit Anzahl % von Expositionszeit

Exposition über 4 Jahre Gesamt

2 3.1 % 20 30.8 % 43 66.2 % 65 100.0 %

6 6.5 % 42 45.2 % 45 48.4 % 93 100.0 %

8 5.1 % 62 39.2 % 88 55.7 % 158 100.0 %

Tabelle 4.25 gibt die Häufigkeiten der befragten Kinder der Kontrollgruppe und der Kinder alkoholbelasteter Eltern hinsichtlich ihrer subjektiven Bewertung der elterlichen Auseinandersetzungen wieder34. Von einer elterlichen Suchtproblematik betroffene Kinder bewerten signifikant häufiger die erlebten elterlichen Streitigkeiten als „ganz schlimm; ich versuche, damit zurecht zu kommen“ bzw. „ich ertrage das nicht mehr, aber sie hören nicht auf“. Tab. 4.25 Häufigkeitsverteilung der Bewertungsangaben zu erlebten elterlichen Auseinandersetzungen in den Gruppen KG und KvA „Wie bewertest du die Auseinandersetzungen zwiKG schen den Eltern?“ nicht zutreffend Anzahl 61 % von KG vs. KvA 82.4 % stört mich nicht Anzahl 4 % von KG vs. KvA 5.4 % gehört bei uns zum Alltag Anzahl 6 % von KG vs. KvA 8.1 % ganz schlimm, ich versuche, damit zurecht zu kommen Anzahl 2 % von KG vs. KvA 2.7 % ich ertrage das nicht mehr, aber sie hören nicht auf Anzahl 1 % von KG vs. KvA 1.4 % Gesamt Anzahl 74 % von KG vs. KvA 100.0 %

33 34

KvA

Gesamt 96 57.1 % 5 3.0 % 27 16.1 % 18 10.7 % 22 13.1 % 168 100.0 %

157 64.9 % 9 3.7 % 33 13.6 % 20 8.3 % 23 9.5 % 242 100.0 %

(χ² (2, 241) = 12,735; p = .002) (χ² (4, 242) = 19,713; p = .001)

93

KAPITEL 4

Ergebnisse

Die Häufigkeitsangaben der Kinder aus der Gruppe der KvA (beh.) hinsichtlich der Frage zum erlebten elterlichen Streit (Ja-Antworten bei 43,5 %) weichen nicht signifikant von den Angaben der Gruppe der KvA (unbeh.) (Ja-Antworten bei 35,7 %) ab. Auch hinsichtlich der subjektiven Bewertung der erfahrenen elterlichen Auseinandersetzungen ergaben sich zwischen den beiden KvA-Gruppen der betroffenen Kinder keine Unterschiede. Disharmonien und Streitigkeiten zwischen den Eltern wirken sich offensichtlich unabhängig von der Dauer der Chronifizierung in gleicher Weise auf die Bewertung der betroffenen Kinder aus.

4 .8

ELTERLICHE KOMORBIDITÄT

Tabelle 4.26 zeigt die Häufigkeitsverteilungen für das Vorkommen von psychischen Störungen der Eltern von Kindern alkoholbelasteter Eltern (KvA) und Kindern suchtunauffälliger Eltern (KG). Fast jedes zehnte Elternteil (9,7 %, N = 175), für das eine operationalisierte Diagnose einer Alkoholstörung bzw. die Angabe der Kinder bezüglich eines problematischen Alkoholkonsums vorlag, wies eine weitere vergangene oder aktuelle psychische Störung auf. In der Gruppe der Kinder suchtunauffälliger Eltern lagen für 10 Eltern (13,9 %, N = 72) Angaben zu einer psychischen Störung vor. Die Frage, ob der Anteil komorbid erkrankter Eltern innerhalb der Gruppe der KvA im Vergleich zur Kontrollgruppe erhöht ist, kann aufgrund der aus der Erinnerung der Kinder vorgenommenen Angaben allerdings nicht beantwortet werden. Tab. 4.26 Häufigkeiten und Prozentwerte für psychische Störungen des Indexelternteils in der Gruppe der KvA und Kontrollgruppe KvA Substanzstörung (Alkohol) komorbid (Substanzstörung und

eine weitere psychische Störung)

Gesamt

4 .9

Häufigkeit

Prozente

158

90.3 %

17

9.7 %

175

100 %

KG keine psychische Störung

(außer Substanzstörung) Gesamt

Häufigkeit

Prozente

62

86.1 %

10

13.9 %

72

100 %

WÜNSCHE UND CHALLENGE-MODELL

Es wurden die drei Fragen: „Stell‘ dir vor, du hättest für die Zukunft drei Wünsche frei! - Einen für dich, einen für deine Mutter und einen für deinen Vater. Was wünschst du dir dann?“ berücksichtigt und die Antworten kategorisiert. In Tabelle 4.27 finden sich 13 Kategorien von Wünschen der Interviewpartner für ihre eigene Person und jeweils 10 Wunschkategorien für ihre (Stief-)Mutter und ihren (Stief)Vater. Zur Veranschaulichung der Zuordnung der Wunschformulierungen zu den Kategorien sind in Anhang 1 einige Beispiele aufgeführt. Es kamen Kreuztabellen mit χ²-Quadrat-Tests zur statistischen Absicherung des Häufigkeitsunterschieds der Nennungen der einzelnen Kategorien zum Einsatz.

94

KAPITEL 4

Ergebnisse

Zur Erhebung der Wahrnehmung der familiären Situation als Herausforderung bzw. Behinderung durch die Kinder (Challenge-Modell), wurden die zwei geschlossenen Fragen ausgewertet. Ergebnisse In Tabelle 4.27 sind die Häufigkeiten für die Gesamtstichprobe angegeben. Die am häufigsten genannte Wunschkategorie für die eigene Person beinhaltete schulische Ziele und Ausbildungsziele (20,3 %). Es folgten Wünsche nach Geld oder materiellen Dingen (19,3 %). Für die Mütter wurde am häufigsten die Kategorie „Geld und Erfüllung materieller Wünsche“ angegeben (24,3 %). An zweiter Stelle standen hier die „gesundheitsbezogenen Wünsche“ (20,7 %). Für die Väter nahm die Kategorie der „Geldwünsche“ erst den zweiten Platz ein (17,9 %). Am häufigsten wurde die Kategorie Reduktion des Alkoholkonsums genannt (21, 5 %), wobei von diesen 54 Antworten 53 erwartungsgemäß aus der Gruppe der KvA stammten und eine Antwort von einem Kind der Kontrollgruppe. Dass jedoch gerade bei den alkoholbelasteten Vätern der Reduktionswunsch seitens der Kinder geäußert wird, kann nicht nur als im Rahmen der Untersuchung sozial erwünschtes Verhalten betrachtet, sondern muss auch als ein Aspekt der Bedürfnisstruktur der Kinder angesehen werden. • Subgruppen „Kontrollgruppe und KvA (unbeh./beh.)“ Im Vergleich der Kontrollgruppe mit der Gesamtgruppe der KVA ergab sich im χ²Quadrat-Test ein signifikanter Unterschied35 hinsichtlich der Häufigkeiten der Wunschkategorien für die Väter. Der deutlichste Unterschied ergab sich – wie bereits dargestellt - im Bereich des Wunsches nach Reduktion des Alkoholkonsums. Hier nannten 1,3 % (n = 1) der Kontrollgruppe diesen Wunsch für ihren Vater vs. 30,3 % (n = 53) der KvA. Bei den Wünschen für die eigene Person und für die Mutter ergaben sich zwischen der Kontrollgruppe und der Gruppe der KvA keine signifikanten Unterschiede.

Tab. 4.27 Wunschkategorien für die eigene Person, Mutter und Vater mit Häufigkeiten für die Gesamtstichprobe für mich Wünsche in Bezug auf ... 1. ... schulische und Ausbildungsziele 2. ... Geld und der Erfüllung materieller Wünsche 3. ... Erfüllung immaterieller Wünsche 4. ... Gesundheit 5. ... Zufriedenheit, Erfolg, Glück 6. ... Freundschaft 7. ... Gründung einer Familie/Partnerschaft, Selbstständigkeit 8. ... Beziehung zu den Eltern 9. ... eigene Wohnung 10. ... Beziehung zwischen den Eltern 11. ... Familienleben ohne Alkohol 12. ... Wohlergehen und Sicherheit der Familienmitglieder 13. ... Reduktion des eigenen Konsums von Tabak oder Alkohol keine Angaben 35

Häufigkeit

gültige %

51 49 32 26 24 11 11 11 9 8 6 4 2 7

20,3 19,5 12,7 10,4 9,6 4,4 4,4 4,4 3,6 3,2 2,4 1,6 ,8 2,8

(χ² = 35,811, df = 10; p < .001)

95

KAPITEL 4

Ergebnisse

Gesamt

251

100,0

61 52 35 30 18 15 13 5 4 3 15 251

24,3 20,7 13,9 12,0 7,2 6,0 5,2 2,0 1,6 1,2 6,0 100,0

54 45 45 35 13 10 8 4 3 2 32 251

21,5 17,9 17,9 13,9 5,2 4,0 3,2 1,6 1,2 ,8 12,7 100,0

für meine Mutter Wünsche in Bezug auf ... 1. ... Geld & Erfüllung materieller Wünsche für Mutter 2. ... Gesundheit für Mutter 3. ... Verbesserung der Stresssituation der Mutter 4. ... Zufriedenheit, Glück, Erfolg für Mutter 5. ... neuer glücklicher Partnerschaft für Mutter 6. ... Reduktion des Konsums von Alkohol für Mutter 7. ... Erfüllung immaterieller Wünsche für Mutter 8. ... Reduktion des Tabak- u. Medikamentenkonsum für Mutter 9. ... Reduktion von Problemen zw. Eltern für Mutter 10. ... Freundschaft für Mutter keine Angaben Gesamt für meinen Vater Wünsche in Bezug auf ... 1. ... Reduktion des Alkoholkonsums für Vater 2. ... Geld und Erfüllung materieller Wünsche für Vater 3. ... Gesundheit für Vater 4. ... Veränderung des Vaters 5. ... Zufriedenheit, Glück und Erfolg für Vater 6. ... Erfüllung immaterieller Wünsche für Vater 7. ... glücklicher Partnerschaft für Vater 8. ... Verbesserung der Stresssituation für Vater 9. ... negative Wünsche für Vater 10. ... Reduktion des Rauchens & andere Drogen für Vater keine Angaben Gesamt

Bei der Antwort auf die Frage, ob sich der Interviewpartner durch die familiäre Umwelt behindert fühle, unterschied sich die Kontrollgruppe signifikant36 von der KvAGesamtgruppe. Wie Tabelle 4.28 zeigt, beschrieben deutlich mehr KvA (19 %) die familiäre Umwelt als Behinderung als Kinder der Kontrollgruppe dies taten (3,4 %). Somit wird deutlich, dass die negativen Qualitäten der Familienumwelt in einer suchtbelasteten Familie von einer relevanten Untergruppe der betroffenen Kinde bewusst wahrgenommen und als ein Nachteil erlebt wird. Zwischen den Gruppen KvA (unbeh.) und KvA (beh.) zeigten sich keine signifikanten Unterschiede. 14,8 % der Kinder unbehandelter Eltern, aber tendenziell mehr Kinder behandelter Eltern (24,3 %) sahen die Familienrealität als behindernd für die eigene Entwicklung an.

36

(χ² = 8,313; df = 1; p < .01)

96

KAPITEL 4

Ergebnisse Tab. 4.28 Kreuztabelle mit Kontrollgruppe und KvA-Gesamtgruppe für das Item „Behinderung“ KG versus KvA (gesamt)

Gesamt

Kontrollgruppe

KvA

ja

Anzahl % von KG versus KvA (gesamt)

2 3,4 %

30 32 19,0 % 14,7 %

nein

Anzahl % von KG versus KvA (gesamt)

57 96,6 %

128 185 81,0 % 85,3 %

gesamt

Anzahl % von KG versus KvA (gesamt)

59 100,0 %

158 217 100,0 % 100,0 %

Die Frage, ob die familiäre Umwelt als Herausforderung erlebt würde, beantworteten die Gruppe der KvA (unbeh.), KvA (beh.) und die Kontrollgruppe recht ähnlich, es zeigten sich keinerlei signifikante Unterschiede (Tab. 4.29). 60,3 % der Kontrollgruppe, 61,9 % der Kinder behandelter und 66,7 % der Kinder unbehandelter Eltern konnten die Frage mit „ja“ beantworten. Tab. 4.29 Kreuztabelle mit Kontrollgruppe und KvA-Gesamtgruppe für das Item „Herausforderung“ Hauptgruppen KG

Gesamt

KvA KvA (unbehandelte Eltern) (behandelte Eltern)

ja

Anzahl 44 % von Hauptgruppen 60,3 %

60 61,9 %

46 66,7 %

150 62,8 %

nein

Anzahl 29 % von Hauptgruppen 39,7 %

37 38,1 %

23 33,3 %

89 37,2 %

gesamt

Anzahl 73 % von Hauptgruppen 100,0 %

97 100,0 %

69 100,0 %

239 100,0 %

Eine Auswahl der frei formulierten Antworten, die die Interviewpartner gegeben haben, findet sich in Anhang 1. 4 .1 0

GEWALTERFAHRUNGEN UND VERNACHLÄSSIGUNG

Zur Überprüfung der Hypothesen in Bezug auf die Häufigkeit von Gewalterfahrungen wurden folgende Variablen aus dem Interviewleitfaden berücksichtigt: • • •

A 2.3.2 „Familiäre Ereignisse“: Das schlimmste Ereignis im Zusammenhang mit der Familie A 3.6. „Zufriedenheitserleben (PF 11-16)“ (II. Meine Familie) Item 9: „Hast du Angst, dass deine Eltern dich schlagen?“ B 1.6 „Familienstress“ Item 1.6.11 und 1.6.12: „Erlebst du manchmal Gewalt bei einem Elternteil?“ „Erlebst du manchmal Gewalt bei einem Elternteil, wenn er/sie getrunken hat?“

Zur Überprüfung der Hypothesen in Bezug auf die Häufigkeit von Vernachlässigung wurden folgende Variablen berücksichtigt:

97

KAPITEL 4

Ergebnisse







A 3.6. „Zufriedenheitserleben (PF 11-16)“ (II. Meine Familie) Item 13, 14, 16: „Sollte dir deine Familie mehr zuhören?“ - „Sollten sich deine Eltern mehr um dich kümmern?“ - „Fühlst du dich von deinen Eltern abgelehnt?“ B 1.6 „Familienstress“ Item 1.6.14 und Item 1.6.15: „Denkst du manchmal, dass deine Eltern keine Zeit für dich haben?“ - „Denkst du manchmal, dass deine Eltern keine Zeit wegen dem Alkohol für dich haben?“ B 2.3 „Mögliche Belastungen“ Item 1, 2, 6, 7: „Kommt es vor, dass du zu Hause die Verantwortung übernimmst (...)?“ - „Kommt es vor, dass du für dich selber sorgst (...)?“ - „Fühlst du dich oft alleine (...)?“ - „Versprechen dir deine Eltern häufig Dinge, die sie dann doch nicht halten?“

Die Beschreibung der Bildung der Kategorien für das schlimmste Erlebnis in der Familie (Gewalterfahrungen) wird unter Punkt 4.13 beschrieben. Da es sich ausschließlich um eine Analyse von Einzelitems handelte, erübrigte sich die Berechnung von Reliabilitäten. Es wurden Antworthäufigkeiten analysiert, dementsprechend kamen Kreuztabellen mit χ²-Quadrat-Tests zur statistischen Absicherung von Häufigkeitsunterschieden zum Einsatz. Ergebnisse Gewalterfahrungen A 2.3.2 „Familiäre Ereignisse“: Das schlimmste Ereignis im Zusammenhang mit der Familie Im Vergleich der Kontrollgruppe mit der Gesamtgruppe der KvA ergab sich im χ²Quadrat-Test ein signifikanter Unterschied37 hinsichtlich der Häufigkeiten der Nennung von Gewalterfahrungen in der Familie. Von der Kontrollgruppe nannten 1,3 % (n = 1) als schlimmstes Ereignis ein Ereignis im Zusammenhang mit Gewalt in der Familie vs. 8,6 % (n = 15) der KvA. Das Ergebnis, dass in alkoholbelasteten Familien nach Angaben der Kinder etwa sechsmal häufiger Gewalt vorkommt, macht einen Handlungsbedarf auf der Ebene der Prävention und Intervention in Bezug auf häusliche Gewalt für diese Familien deutlich. Allerdings ist hinzuzufügen, dass in anderen Untersuchungen die Gewaltquote meist deutlich höher liegt (Klein, 2001b), so dass eine Erklärung für diesen Unterschied zu finden wäre. Eine Ursache könnte in dem noch jungen Lebensalter der befragten Probanden zu finden sein. Hier werden familiäre Abläufe möglicherweise noch weniger problematisiert bzw. anders wahrgenommen. Eine andere Ursache könnte darin liegen, dass die gewählte Interviewmethode eine größere persönliche Nähe zum Probanden mit sich brachte, während eine Vielzahl der Vergleichsdaten in Fragebogenstudien erhoben wurde. Hier ist durch die Anonymität die Bereitschaft oft höher, schwierige und belastende Details preiszugeben. Der wahre Wert der familiären Gewaltbelastung könnte jedoch höher liegen, als es die 8,6% unserer Stichprobe nahe legen. Die Gruppen der KvA (unbeh.) und KvA (beh.) unterschieden sich nicht signifikant. In der Gruppe der KvA (unbeh.) wurden aber tendenziell öfter Gewaltereignisse in der Familie genannt (11 % vs. 5,3 %; n = 11 vs. n = 4). •

• A 3.6. „Zufriedenheitserleben (PF 11-16)“ (II. Meine Familie): Item 9 Im Vergleich der Kontrollgruppe mit der Gesamtgruppe der KvA ergab sich im χ²Quadrat-Test ein signifikanter Unterschied38 hinsichtlich der Häufigkeiten der Beja37 38

(χ² = 4,674; df = 1; p < .05) (χ² = 4,283; df = 1; p < .05)

98

KAPITEL 4

Ergebnisse

hung des Items. Von der Kontrollgruppe sagten 11,4 % (n = 8), dass sie Angst vor Schlägen der Eltern hätten versus 23,3 % (n = 38) der KvA. Auch dieses Ergebnis unterstreicht die Notwendigkeit der Thematisierung familialer Gewalt im Kontext suchtbelasteter Familien. Dieses Thema wurde bislang von der Suchthilfe nahezu völlig ausgeblendet. Im Vergleich der KvA (unbeh.)-Gruppe mit der KvA (beh.)-Gruppe ergab sich im χ²Quadrat-Test kein statistisch signifikanter Unterschied hinsichtlich der Häufigkeiten der Bejahung des Items. Tendenziell antworteten die KvA (unbeh.) jedoch häufiger mit „ja“ (27,4 % resp. 17,4 %), so dass gerade in diesem Kontext ein besonderer Augenmerk auf mögliche Gewalteffekte (Traumatisierung, Verletzungen, Scheinunfälle) bei den Kindern zu legen ist. • B 1.6 „Familienstress“: Item 1.6.11 und 1.6.12 Im Vergleich der Kontrollgruppe mit der Gesamtgruppe der KvA zeigte sich im χ²Quadrat-Test ein sehr signifikanter Unterschied bei Item 1.6.11 („Erlebst du manchmal Gewalt bei einem Elternteil?“)39. 8,1 % Personen (n = 6) aus der Kontrollgruppe gaben an, Gewalt bei einem Elternteil erlebt zu haben, vs. 24,3 % (n = 41) der Kinder aus der Gruppe der KvA. Im Vergleich der KvA (unbeh.)-Gruppe mit der KvA (beh.)-Gruppe erbrachte der χ²Quadrat-Test keinen statistisch signifikanten Unterschied. Jedoch antworteten hier die KvA (unbeh.) häufiger „ja“ (Item 1.6.11: 28,0 % vs. 18,8 %; Item 1.6.12: 27 % vs. 21,7 %). Im Vergleich der Kontrollgruppe mit der Gesamtgruppe der KvA ergab sich im χ²Quadrat-Test ein sehr signifikanter Unterschied40 bei Item 1.6.12 („Erlebst du manchmal Gewalt bei einem Elternteil, wenn er/sie getrunken hat?“). Keine Person aus der Kontrollgruppe gab an, Gewalt bei einem betrunkenen Elternteil erlebt zu haben vs. 24,9 % (n = 42) der KvA. Im Vergleich der KvA (unbeh.)-Gruppe mit der KvA (beh.)-Gruppe ergab sich im χ²Quadrat-Test kein statistisch signifikanter Unterschied (KvA [unbeh.]: 27 %, N = 17 vs. KvA [beh.]: 21,7 %, n = 15). Vernachlässigung • A 3.6. „Zufriedenheitserleben (PF 11-16)“: Item 13, 14, 16 (II. Meine Familie) Im Vergleich der Kontrollgruppe mit der Gesamtgruppe der KvA waren im χ²Quadrat-Test keine signifikanten Unterschiede bei Item 13 und 14 hinsichtlich der Häufigkeit von positiven Antworten auszumachen. Die Analysen bezüglich des Items 16 („Fühlst du dich von deinen Eltern abgelehnt?“) erbrachten einen signifikanten Häufigkeitsunterschied41 zwischen den Gruppen. Hier antworteten 7,2 % der Kontrollgruppe (n = 5) mit „ja“ vs. 17,1 % der KvA (n = 28). Im Vergleich der KvA (unbeh.)-Gruppe mit der KvA (beh.)-Gruppe ergaben sich im χ²-Quadrat-Test keine statistisch signifikanten Unterschiede bei den Items. Bei Item 39

(χ² = 12,124; df = 2; p < .01) (χ² = 35,061; df = 2; p < .001) 41 (χ² = 3,585; df = 1; p < .05) 40

99

KAPITEL 4

Ergebnisse

13 und 16 gaben die KvA (unbeh.) tendenziell häufiger an, dass sie sich wünschten, dass die Eltern mehr zuhörten (43,6 % vs. 38,6 %) und dass sie sich von ihren Eltern abgelehnt fühlten (20,2 % vs. 12,9 %). Bei Item 14 gaben 32,9 % der KvA (beh.) an, dass sich die Eltern mehr um sie kümmern sollten (resp. 27,4 % der KvA [unbeh.]). • B 1.6 „Familienstress“: Item 1.6.14 und Item 1.6.15 Im Vergleich der Kontrollgruppe mit der Gesamtgruppe der KvA ergab sich im χ²Quadrat-Test kein signifikanter Unterschied bei Item 1.6.14 hinsichtlich der Häufigkeit von positiven Antworten. Die Analysen bezüglich des Items 1.6.15 („Denkst du manchmal, dass deine Eltern/Elternteil wegen dem Alkohol keine Zeit für dich haben/hat?“) zeigten einen sehr signifikanten Häufigkeitsunterschied42 zwischen den Gruppen. Hier antwortete keine Person der Kontrollgruppe mit „ja“ vs. 11,7 % der KvA (n = 20). Im Vergleich der KvA (unbeh.)-Gruppe mit der KvA (beh.)-Gruppe ergaben sich im χ²-Quadrat-Test keine statistisch signifikanten Unterschiede bei den Items. Item 1.6.14 wurde tendenziell von den KvA (unbeh.) häufiger bejaht (28,0 % vs. 25,4 %), während Item 1.6.15 tendenziell eher von KvA (beh.) bejaht wurde (14,1 % vs. 10,0 %). • B 2.3 „Mögliche Belastungen“: Item 1, 2, 6, 7 Im Vergleich der Kontrollgruppe mit der Gesamtgruppe der KvA ergaben sich im χ²Quadrat-Test keine signifikanten Unterschiede bei Item 1, 2 und 7 hinsichtlich der Häufigkeit der Antworten. Die Analysen bezüglich Item 6 („Fühlst du dich oft alleine oder hast den Eindruck, dass dich niemand versteht oder mag?“) erbrachten einen signifikanten Häufigkeitsunterschied43 zwischen den Gruppen insofern, dass 16,3 % der Kontrollgruppe (n = 12) mit „häufig“ oder „manchmal“ vs. 32,9 % der KvA (n = 56) antworteten. Im Vergleich der KvA (unbeh.)-Gruppe mit der KvA (beh.)-Gruppe ergaben sich im χ²-Quadrat-Test keine statistisch signifikanten Unterschiede. 4.11 PERSÖNLICHKEITSMERKMALE UND CO-ABHÄNGIGKEIT Zur Überprüfung von Mittelwertsunterschieden in Bezug auf die Big-FivePersönlichkeitsmerkmale wurden einfaktorielle Varianzanalysen (ANOVA) mit den gestuften Faktoren (unabhängige Variablen: uV) der jeweiligen Subgruppeneinteilung berechnet. Dazu wurden die Items entsprechend der Schlüsselrichtung umkodiert und gemittelt, wobei jede Skala aus sechs Items bestand (s. Anhang I, „Faktoren und Items des Fragebogens zur Erfassung des Fünf-Faktoren-Modells). Die Reliabilitätsanalyse für die fünf Skalen ergab folgende Werte: Neurotizismus α = .48 Extraversion α = .74 Offenheit α = .46 Verträglichkeit α = .66 Offenheit α = .61

42 43

(χ² = 32,515; df = 1; p < .001) (χ² = 9,621; df = 3; p < .05)

100

KAPITEL 4

Ergebnisse

Die Überprüfung von Mittelwertsunterschieden in Bezug auf Co-Abhängigkeit erfolgte mittels einer einfaktoriellen Varianzanalyse (ANOVA) mit den gestuften Faktoren (uV) der jeweiligen Subgruppeneinteilung. Dazu wurde ein Mittelwert über alle 20 Items gebildet. Die Reliabilitätsanalyse ergab einen Wert von α = .80. Ergebnisse

Persönlichkeit „Big Five“ • Subgruppen „Kontrollgruppe und KvA (unbeh./beh.)“ Im Vergleich der Kontrollgruppe mit der Gesamtgruppe der KvA ergaben sich für die Skalen Extraversion, Offenheit, Verträglichkeit und Gewissenhaftigkeit keine signifikanten Mittelwertsunterschiede. Auf der Skala Neurotizismus erreichte die Gruppe der KvA einen signifikant höheren Mittelwert (MW = 2,93; SD = 0,58) als die Kontrollgruppe (MW = 2,76; SD = 0,46) (F (1,248) = 5.122, p < .05). Dies bedeutet, dass sie sich ängstlicher und deprimierter fühlen, ihrer selbst weniger sicher sind und insgesamt eine negativere Sicht der eigenen Person haben. Der Vergleich der Gruppe KvA (unbeh.) vs. KvA (beh.) erbrachte auf keiner Skala einen statistisch signifikanten Mittelwertsunterschied. Bei der Analyse der verschiedenen Untersuchungssubgruppen ließen sich folgende Mittelwertsunterschiede finden: • Subgruppe „Art der Belastung“ Bei Aufteilung der Stichprobe nach dem Kriterium „Art der Belastung“ in Kinder suchtbelasteter Eltern (n = 162), Kinder psychisch kranker Eltern (n = 10), Kinder komorbid erkrankter Eltern (n = 17) und Kontrollgruppenkinder (n = 60) wurden Mittelwertsunterschiede für die Dimensionen Neurotizismus und Offenheit gefunden. Abbildung 4.6 zeigt, dass die Gruppe der Kinder komorbid kranker Eltern den höchsten Mittelwert auf der Skala Neurotizismus erreichte (MW = 3,34; SD = 0,67), gefolgt von den Kindern suchtbelasteter Eltern und der Kontrollgruppe. Kinder psychisch kranker Eltern gaben wesentlich niedrigere Ausprägungen von Neurotizismus an. Der Post-Hoc-Test ergab, dass sich die Kinder komorbid kranker Eltern signifikant von den anderen drei Gruppen unterschieden (F (3, 248) = 6,865, p < .001), während diese keinen statistisch signifikanten Unterschied ausmachten. Kinder komorbid erkrankter Eltern stellen somit auch im Bereich der Persönlichkeit die am stärksten herausragende Gruppe mit negativen Werten dar. Sie sind stärker durch neurotische und übertrieben selbstkritische Merkmale geprägt.

101

KAPITEL 4

Ergebnisse

4,5 4 3,5 3 2,5 2 1,5 1 0,5 0

2,47

2,8

Kinder psychisch kranker Eltern

Kontrollgruppe

3,34

2,89

Kinder komorbid Kinder suchtbelasteter erkrankter Eltern Eltern

Abb. 4.6 Mittelwerte und Standardabweichungen auf der Skala Neurotizismus

Bei der Skala Offenheit erreichte die Gruppe der Kinder psychisch kranker Eltern den höchsten Mittelwert (MW = 4;12 SD = 0,51), gefolgt von den Kindern komorbid erkrankter Eltern, der Kontrollgruppe und den Kinder suchtbelasteter Eltern (Abb. 4.7). Diese Unterschiede waren statistisch höchst signifikant44. Im Post-Hoc-Test zeigte sich, dass sich die Kinder psychisch kranker Eltern signifikant von der Kontrollgruppe und den Kinder suchtbelasteter Eltern unterschied, nicht jedoch von Kindern komorbid Erkrankter. Übermäßig hohe Werte af der Skala „Offenheit“ zeigen einen mangelnden Schutz vor Angriffen anderer und eine übermäßig selbstkritische Haltung an.

5 4,5 4 3,5 3 2,5 2 1,5 1 0,5 0

3,55

3,57

3,86

4,12

Kinder suchtbelasteter Eltern

Kontrollgruppe

Kinder komorbid erkrankter Eltern

Kinder psychisch kranker Eltern

Abb. 4.7 Mittelwerte und Standardabweichungen auf der Skala Offenheit

Weitere Analysen der Subgruppen ergaben keine statistisch relevanten Unterschiede.

44

(F (3, 248) = 5.27, p < .001)

102

KAPITEL 4

Ergebnisse

Co-Abhängigkeit • Subgruppen „Kontrollgruppe und KvA (unbeh./beh.)“ Im Vergleich der Kontrollgruppe mit der Gesamtgruppe der KvA ergab sich ein hoch signifikanter Unterschied zwischen den Gruppen. Die KvA-Gruppe (MW = 3,31; SD = 0,60) zeigte insgesamt mehr Co-Abhängigkeit als die Kontrollgruppe (MW = 3,04; SD = 0,58). Die KvA können deshalb als abhängiger von den Personen ihrer Umwelt und stärker fremdbezogen angesehen werden. Der Vergleich der Gruppe KvA (unbeh.) vs. KvA (beh.) erbrachte keinen statistisch signifikanten Mittelwertsunterschied. Weitere Unterschiede ergaben sich für folgende Subgruppen: • Subgruppe „Art der Belastung“ Kinder komorbid erkrankter Eltern zeigten einen statistisch stark signifikant höheren Mittelwert als Kinder psychisch kranker Eltern, Kinder suchtbelasteter Eltern und Kinder der Kontrollgruppe (F (3, 243) = 7,052, p < .001). Die zuletzt genannten Gruppen unterschieden sich nicht voneinander (Abb. 4.8). Kinder komorbid erkrankter Eltern realisieren demnach in ihrem Leben einen abhängigeren und weniger eigenständigen Lebensstil als die Kinder der anderen Gruppen. 5 4,5 4 3,5 3 2,5 2 1,5 1 0,5 0

3,25

3,04

Kinder suchtbelasteter Eltern

Kontrollgruppe

3,76

Kinder komorbid erkrankter Eltern

3,08

Kinder psychisch kranker Eltern

Abb. 4.8 Mittelwerte und Standardabweichungen für Co-Abhängigkeit für die Subgruppenunterteilung „Art der Belastung“

• Subgruppe „Expositionszeit“ In Bezug auf den Einfluss der Expositionsdauer in Bezug auf einen alkoholbelasteten Elternteil konnte ein signifikanter Unterschied45 zwischen den Gruppen ausgemacht werden. Die Gruppe der Kinder, die eine sehr lange Expositionsdauer angaben (über vier Jahre, n = 95) hatte den höchsten Mittelwert, gefolgt von der Gruppe mit kurzer Expositionsdauer (unter vier Jahren, n = 66) und der Gruppe, in der alle anderen Untersuchungsteilnehmer (Kontrollgruppe, Kinder psychisch kranker Eltern) eingegangen sind (n= 73). Der Unterschied zwischen den beiden Expositionsgruppen war im 45

(F (2, 233) = 2,467, p < .001

103

KAPITEL 4

Ergebnisse

Post-Hoc-Test nicht statistisch relevant, ebenso wie der Unterschied zwischen der kurzen Expositionsdauer und „allen anderen“ (Abb. 4.9).

4,5 4 3,5 3 2,5 2 1,5

3,04

3,24

3,39

alle anderen

kurze Expositionszeit

lange Expositionszeit

1 0,5 0

Abb. 4.9 Mittelwerte und Standardabweichungen für Co-Abhängigkeit für die Subgruppenunterteilung „Länge der Exposition“

• Subgruppe „Indexelternteil“ Auch hier ergab sich ein signifikanter Unterschied46 zwischen den Gruppen. Den höchsten Mittelwert erzielte die Gruppe, in der Mutter und Stiefvater missbräuchlich Alkohol tranken (n = 3) (Abb. 4.10). Im Post-Hoc-Test erwies sich der Mittelwertsunterschied zwischen dieser Gruppe und der Gruppe „trifft nicht zu“ als relevant. Zu bedenken ist jedoch, dass es sich auf Grund der Gruppenaufteilungen teilweise um sehr kleine Gruppen handelt.

6,00 5,00 4,00 3,00 2,00

3,05

3,27

3,25

3,38

trifft nicht zu

Mutter

Vater

Stiefvater

3,47

4,33

1,00 0,00

Abb. 4.10

46

Mutter & Mutter und Vater Stiefvater

Mittelwerte und Standardabweichungen für Co-Abhängigkeit für die Subgruppenunterteilung „Indexelternteil“

(F (5, 238) = 3,862, p< .01)

104

KAPITEL 4

Ergebnisse

• Subgruppe „lebt mit Indexelternteil“ Es ergab sich ein signifikanter Unterschied47 zwischen den Gruppen insgesamt. Den höchsten Mittelwert (MW = 3, 35, SD = 0,56) erzielte die Gruppe „lebt mit Indexelternteil“ (n = 112), den niedrigsten die Gruppe, in der das alkoholabhängige Elternteil wegen einer Alkoholfolgerkrankung verstorben war (MW = 2,80, SD = 0,58) (Abb. 4.11). Im Post-Hoc-Test erwies sich der Mittelwertsunterschied zwischen der Gruppe „lebt mit Indexelternteil“ und der Gruppe „trifft nicht zu“, d. h. Kinder der Kontrollgruppe, als statistisch signifikant. Dieses Ergebnis unterstreicht, dass die Kinder, die in der Realität mit einem alkoholbelasteten Elternteil zusammen leben in der Tat auch mehr co-abhängige Verhaltensweisen zeigen als Kinder mit unbelasteten Eltern.

4,50 4,00

trifft nicht zu

3,50 lebt mit Indexelternteil 3,00 2,50

lebt nicht mit Indexelternteil, haben Kontakt

2,00 1,50

3,05

3,35 3,22 3,24

1,00

2,80

lebt nicht mit Indexelternteil, haben keinen Kontakt Indexelternteil verstorben wegen Alkoholfolgeerkrankung

0,50 0,00 Abb. 4.11

Mittelwerte und Standardabweichungen für Co-Abhängigkeit für die Subgruppenunterteilung „lebt mit Indexelternteil“

4.12 SOZIALES NETZ UND GESCHWISTERBEZIEHUNGEN Zur Überprüfung der Unterschiede in Bezug auf das soziale Netz wurden folgende Variablen berücksichtigt: • • •

A 3.6. „Zufriedenheitserleben (PF 11-16): III. Ich und die Anderen“ A 2.1.4 „Wenn du Probleme hast, wo suchst du dann Rat?“ A 3.3 „Selbstwirksamkeitserwartungen in sozialen Situationen“

Für die Skala „Ich und die Anderen“ wurde ein Summenwert berechnet, der eine JaAntwort mit 1 und eine Nein-Antwort mit 0 berücksichtigte. Gemäß der Itemformulie47

(F (4, 243) = 3,004, p< .05)

105

KAPITEL 4

Ergebnisse

rungen entspricht ein höherer Summescore einer höheren Problembelastung und kann hier maximal den Wert 61 und minimal den Wert 0 annehmen. Die Gruppe wurde dichotomisiert, in diejenigen, die mehr als die Hälfte, d.h. mehr als 30 der Items bejahten, und diejenigen, die weniger als die Hälfte bejahten. Für die offene Frage nach Ratsuche ergaben sich drei Kategorien. Für die Skala Selbstwirksamkeitserwartungen wurde pro Person ein Mittelwert gebildet - je höher dieser Wert, desto höher war die Selbstwirksamkeit anzusetzen. Eine ANOVA mit Post-Hoc-Test wurde berechnet. Die Reliabilität der Skala „Selbstwirksamkeit in sozialen Beziehungen“ betrug α = .79, was als zufrieden stellend zu beurteilen ist. Zur Überprüfung der Unterschiede in Bezug auf die Geschwisterbeziehungen wurden folgende Variablen berücksichtigt: B 1.3. „Beziehung unter den Geschwistern“: • Wie versteht ihr euch (B 1.3.1)? • Wenn es Probleme zu Hause gibt, helft ihr euch dann gegenseitig (B 1.3.5)?

Die Antworten auf Frage B 1.3.1 wurden hinsichtlich guter, schlechter und ambivalenter Beziehungen unter den Geschwistern kategorisiert. Die Antworten auf Frage B 1.3.5 wurden hinsichtlich der Art von Hilfe bei häuslichen Problemen kategorisiert. Ergebnisse

Soziales Netz • A 3.6. „Zufriedenheitserleben (PF 11-16): III. Ich und die Anderen“ Es zeigten sich keine signifikanten Zusammenhänge bezüglich der Subgruppenzugehörigkeit und der Ausprägung des Problemerlebens im sozialen Bereich. • A 2.1.4 „Wenn du Probleme hast, wo suchst du dann Rat?“ Es fanden sich keine statistisch signifikanten Unterschiede bei der Betrachtung der Unterschiedshäufigkeiten der Kategorien für Rat suchendes Verhalten. Tendenziell betrachtet, gaben aber mehr KvA an (5,7 %, n = 10 vs. 1,3 %, n =1), keinen Rat zu suchen, bzw. Probleme mit sich selbst aus zu machen (Tab. 4.30). Tab. 4.30

Kreuztabelle der Antwortkategorien „Ratsuche“ mit den Gruppen Kontrollgruppe und Gesamtgruppe der KvA KG vs. KvA (gesamt) Kontrollgruppe

KvA

Gesamt

keine Angaben

Anzahl % von KG vs. KvA (gesamt)

3 3,9 %

3 1,7 %

6 2,4 %

keine Ratsuche/bei sich selbst

Anzahl % von KG vs. KvA (gesamt)

1 1,3 %

10 5,7 %

11 4,4 %

Familienangehörige

Anzahl % von KG vs. KvA (gesamt)

37 48,7 %

82 46,9 %

119 47,4 %

Personen außerhalb der Familie

Anzahl % von KG vs. KvA (gesamt)

35 46,1 %

80 45,7 %

115 45,8 %

Gesamt

Anzahl % von KG vs. KvA (gesamt)

76 100,0 %

175 100,0 %

251 100,0 %

106

KAPITEL 4

Ergebnisse

• A 3.3 „Selbstwirksamkeitserwartungen in sozialen Situationen“ Die Mittelwerte des Subgruppen unterschieden sich nicht signifikant voneinander. Ebenso konnten keine signifikanten Geschlechtsunterschiede festgestellt werden. Geschwisterbeziehungen 14,3 % (n = 36) der Befragten gaben an, kein Geschwisterkind zu haben. 44,2 % (n = 111) gaben ein, 25,9 % (n = 65) zwei Geschwisterkind(er) an. Bei 0,8 % fehlten die Angaben (n = 2) und 14,8 % sagten, 3 oder mehr Geschwister zu haben (n = 37). • Frage B 1.3.1 Im Vergleich der Kontrollgruppe mit der Gesamtgruppe der KvA ergaben sich keine signifikanten Unterschiede zwischen den Gruppen hinsichtlich der Häufigkeit von Antworten. Tab. 4.31 Beziehungen unter den Geschwistern - Kreuztabelle mit Kontrollgruppe und Gesamtgruppe der KvA KG vs. KvA (gesamt) Kontrollgruppe

KvA

Gesamt

gut, sehr gut, bestens

Anzahl % von KG vs. KvA (gesamt)

45 72,6 %

110 75,9 %

155 74,9 %

schlecht, miserabel

Anzahl % von KG vs. KvA (gesamt)

8 12,9 %

8 5,5 %

16 7,7 %

ambivalent

Anzahl % von KG vs. KvA (gesamt)

9 14,5 %

27 18,6 %

36 17,4 %

Gesamt

Anzahl % von KG vs. KvA (gesamt)

62 100,0 %

145 100,0 %

207 100,0 %

Insgesamt gab drei Viertel der Stichprobe an, gute oder sehr gute Beziehungen zu den Geschwisterkindern zu erleben (Tab. 4.31). Von der Tendenz her beschrieben KvA häufiger gute Beziehungen zu den Geschwisterkindern (75,9 % vs. 72,6 % der Kontrollgruppe), berichteten auch von mehr ambivalenten Beziehungen (18,6 % vs. 14,5 % der Kontrollgruppe), während in der Kontrollgruppe wesentlich häufiger (12,9 %) von schlechten Beziehungen berichtet wurde (5,5 % der KvA). • Frage B 1.3.5 Im Vergleich der Kontrollgruppe mit der Gesamtgruppe der KvA ergaben sich keine signifikanten Unterschiede zwischen den Gruppen hinsichtlich der Häufigkeit von Antworten. 65,8 % der Kontrollgruppe und 68,6 % der KvA-Gruppe gaben an, dass sich bei Problemen zu Hause die Geschwister unterstützten. 11,8 % der Kontrollgruppe und 10,9 % der KvA-Gruppe gaben an, dass dies nicht geschehe (fehlende Prozent zu 100: Einzelkinder, keine Angaben). Auf die Frage, wie die Unterstützung, so sie vorhanden war, aussehe wurde in offener Form geantwortet und diese Antworten zu fünf inhaltlichen Kategorien zusammengefasst (Tab. 4.32).

107

KAPITEL 4

Ergebnisse

Tab. 4.32 Hilfe bei Problemen unter den Geschwistern - Kreuztabelle mit Kontrollgruppe und Gesamtgruppe der KvA KG vs. KvA (gesamt)

Gesamt

Kontrollgruppe

KvA

19 25,0 %

63 82 36,0 % 32,7 %

9

18

11,8 %

10,3 % 10,8 %

Zusammenhalt gegenüberAnzahl Eltern, Trost, gegenseitige Verteidigung, Alibis % von KG vs. KvA (gesamt)

18

23

23,7 %

13,1 % 16,3 %

gemeinsame Lösungen suchen

Anzahl

2

3

5

% von KG vs. KvA (gesamt)

2,6 %

1,7 %

2,0 %

Hilfe bei Einkäufen,Anzahl Hausaufgaben, Aufräumen % von KG vs. KvA (gesamt)

2

12

14

2,6 %

6,9 %

5,6 %

keine Unterstützung

Anzahl % von KG vs. KvA (gesamt)

9 11,8 %

19 28 10,9 % 11,2 %

fehlende Angaben

Anzahl % von KG vs. KvA (gesamt)

6 7,9 %

12 6,9 %

18 7,2 %

trifft nicht zu (keine Geschwister)

Anzahl

11

25

36

% von KG vs. KvA (gesamt)

14,5 %

14,3 % 14,3 %

Anzahl % von KG vs. KvA (gesamt)

76 100,0 %

175 251 100,0 % 100,0 %

Hilfe, ohne Erklärung

Anzahl % von KG vs. KvA (gesamt)

Miteinander reden, DingeAnzahl besprechen % von KG vs. KvA (gesamt)

Gesamt

27

41

Auch hier ergaben sich keine signifikanten Unterschiede. Zwei Unterschiede zwischen den Gruppen wurden dennoch deutlich: Die Hilfe in Form von Zusammenhalten, sich gegenseitig Alibis geben, sich trösten etc. wurde von mehr Kindern (23,7 %) der Kontrollgruppe beschrieben (13,1 % der KvA-Gruppe). Hingegen gaben KvA häufiger an (6,9 %), Hilfe in Form von konkreten Hilfen bei Hausaufgaben oder im Haushalt zu geben (2,6 % der Kontrollgruppe).

4.13 FAMILIENRITUALE UND FAMILIÄRE EREIGNISSE Bezüglich des Themenbereichs Familienrituale und familiäre Ereignisse wurden folgende Items analysiert: • •

B 1.4 „Familienrituale“ Gibt es typische sich wiederholende Momente etc. in deiner Familie? Gibt es bestimmte Dinge, die du und deine Mutter/dein Vater regelmäßig miteinander machen? A 2.3. „Familiäre Ereignisse“

108

KAPITEL 4

Ergebnisse

Für die Fragen nach Familienritualen wurden die Häufigkeitsangaben mit Kreuztabellen und χ²-Quadrat-Test für die einzelnen Subgruppen auf Unterschiede überprüft. Die offenen Fragen wurden kategorisiert und ebenfalls nach Unterschieden analysiert. Ergebnisse Familienrituale • Gibt es typische sich wiederholende Momente etc. in deiner Familie? Bezüglich gemeinsam eingenommener Mahlzeiten fand sich ein signifikanter Unterschied zwischen der Gruppen der KvA (unbeh.) und der KvA (beh.) (χ² = 4,077, df = 1; p < .05). Die Gruppe der Kinder Unbehandelter gab häufiger an, gemeinsame Mahlzeiten mit der Familie zu erleben (85,7 %), n = 84) als die Kinder Behandelter (73,2 %, n = 52). Ein weiterer Unterschied zeigte sich bei gemeinsamen Feiertagen: Hier unterschieden sich signifikant48 die Gruppe der Kinder der erfolglos behandelten Eltern von der Gruppe der Kinder erfolgreich behandelter Eltern und den restlichen Untersuchungsteilnehmern (Tab. 4.33). Alle Kinder (100 %, n = 48) erfolgreich behandelter Eltern gaben an, dass gemeinsam verbrachte Feiertage in ihrer Familie vorkämen, fast ebenso viele aus der Gruppe der restlichen Untersuchungsteilnehmer (97, 7 %, n = 171) und dagegen nur 73,9 % (n= 17) aus der Gruppe der Kinder erfolglos Behandelter. Tab. 4.33

Kreuztabelle mit Häufigkeiten für gemeinsam verbrachte Feiertage und die Subgruppen „erfolgreich vs. erfolglos Behandelte“ Behandlungserfolg alle anderen Kinder erfolglos behandelter Eltern

Gesamt Kinder erfolgreich behandelter Eltern

ja

Anzahl 171 % von Gruppenvariable97,7 %

17 73,9 %

48 100 %

236 95,9 %

nein

Anzahl 4 % von Gruppenvariable2,3 %

6 26,1 %

-

10 4,1 %

Gesamt

Anzahl 175 % von Gruppenvariable100,0 %

23 100,0 %

48 100,0 %

246 100,0 %

Gibt es bestimmte Dinge, die du und deine Mutter/dein Vater regelmäßig miteinander machen? Die zehn Aktivitätskategorien und die Häufigkeiten für die Gesamtstichprobe sind Tabelle 4.34 zu entnehmen. Jeweils ungefähr ein Drittel der Stichprobe gab an, keine gemeinsamen Aktivitäten mit Mutter (29,1 %) oder Vater (36,7 %) zu erleben. •

48

(χ² = 33,221, df = 4; p < .001)

109

KAPITEL 4

Ergebnisse Tab. 4.34

Häufigkeitsangaben der Kategorien für gemeinsame Aktivitäten mit Mutter und Vater für die Gesamtstichprobe

keine gemeinsamen Aktivitäten gem. Einkäufe / Shopping gem. sportliche Aktivitäten gem. Fernsehen gem. Spaziergänge gem. Essen gem. Gespräche gem. Spiele sonstiges

Mutter gültige % 29,1 17,1 5,2 3,2 2,4 4,4 7,2 2,0 11,6

n 73 43 13 8 6 11 18 5 29

Vater gültige % 36,7 2,0 9,6 2,8 1,6 2,8 1,6 3,2 17,1

n 92 5 24 7 4 7 4 8 43

keine Angabe

17,9

45

22,7

57

Gesamt

100,0

251

100,0

251

Neben der zweithäufigst genannten Kategorie „Sonstiges“, die sehr individuell ausgeprägte Aktivitäten beinhaltet, erklärten 17,1 % der Stichprobe, mit der Mutter „shoppen“ zu gehen, während 9,6 % sportliche Aktivitäten mit dem Vater unternahmen. Statistisch signifikante Unterschiede zwischen der Kontrollgruppe und der Gesamtgruppe der KvA bzw. zwischen den KvA-Gruppen unbeh. und beh. konnten nicht ausgemacht werden. • A 2.3. „Familiäre Ereignisse“ Die Antworten auf die drei Fragen nach dem schönsten, dem schlimmsten und dem wichtigsten Ereignis in der Familie wurden in sieben bzw. neun Kategorien eingeteilt (Tab. 4.35). Tab. 4.35

Kategorien für familiäre Ereignisse mit Häufigkeiten für die Gesamtstichprobe

Schönstes Ereignis Häufigkeit gültige % 1. Urlaub, gem. Freizeitaktivität 2. Sonstiges 3. Familienfeiern 4. Geburt (z. B. des Bruders, Neffen) 5. Zusammenhalt in der Familie 6. suchtbezogene Antworten (Therapie, Abhängigkeit etc.) 7. Trennung/Scheidung der Eltern keine Angaben Gesamt

120 42 27 14 9 6 4 29 251

47.8 16.7 10.8 5.6 3.6 2.4 1.6 11.6 100.0

73 48 37 31 19 16 5 22 251

29.1 19.1 14.7 12.4 7.6 6.4 2.0 8.8 100.0

Schlimmstes Ereignis 1. Tod, Krankheit, Unfall in der Familie 2. Streit in der Familie 3. Sonstiges 4. Trennung, Scheidung d. Eltern 5. Alkoholkonsum bei Eltern, Elternteil 6. Gewalt 7. Tod, Krankheit, sonst. bei Haustieren keine Angaben Gesamt

110

KAPITEL 4

Ergebnisse

Wichtigstes Ereignis 1. Urlaub, gemeinsame Freizeitaktivität 2. Sonstiges 3. Zusammenhalt in der Familie 4. Geburt (z. B. des Bruders) 5. Umzug/Schulwechsel 6. Trennung/Scheidung der Eltern 7. suchtbezogene Antworten (Therapie, Abhängigkeit etc.) 8. Auszug eines Elternteils/Partners 9. positive berufliche Entwicklung bei Elternteil keine Angaben Gesamt

92 43 38 19 11 9 4 3 2 30 251

36.7 17.1 15.1 7.6 4.4 3.6 1.6 1.2 0.8 12.0 100.0

Die Kategorie „Sonstiges“ enthält wiederum sehr individuelle Ereignisse, die keiner der vorhandenen Kategorien zuzuordnen waren. Der Vergleich der Kontrollgruppe mit der Gesamtgruppe der KvA zeigte, dass nur bei den Häufigkeiten der genannten Kategorien für die schlimmsten Ereignisse ein sehr signifikanter Unterschied49 bestand, nicht jedoch für die Kategorien der schönsten und wichtigsten Ereignisse. Die auffälligsten Unterschiede bei den Kategorien des schlimmsten Ereignisses ergaben sich für den Themenbereich „Gewalt“, der von einem Kind der Kontrollgruppe und von 15 der KvA-Gruppe benannt wurde (1,3 % vs. 8,6 %). In Bezug auf die Kategorie Alkoholkonsum bei den Eltern gaben 10,9 % der KvA (n = 19) an, dass darin das schlimmste Ereignis im Rahmen der Familie bestand und kein Kind der Kontrollgruppe nannte ein Ereignis, welches in diese Kategorie gehört hätte (Tab. 4.36).

49

(χ² = 19,936, df = 7; p < .01)

111

KAPITEL 4

Ergebnisse Tab 4.36

Kreuztabelle der Kategorien für das schlimmste Ereignis mit der Kontrollgruppe und der KvAGesamtgruppe KG vs. KvA (gesamt)

Gesamt

Kontrollgruppe

KvA

Anzahl % von KG vs. KvA (gesamt)

1 1.3 %

15 8.6 %

16 6.4 %

Tod, Krankheit, Unfall i. d. Fam.Anzahl % von KG vs. KvA (gesamt)

27 35.5 %

46 26.3 %

73 29.1 %

2

3

% von KG vs. KvA (gesamt)

2.6 %

1.7 %

2.0 %

Trennung, Scheidung der ElternAnzahl % von KG vs. KvA (gesamt)

12 15.8 %

19 10.9 %

31 12.4 %

Streit i. d. Fam.

Anzahl % von KG vs. KvA (gesamt)

18 23.7 %

30 17.1 %

48 19.1 %

Alkoholkonsum bei Eltern, Elternteil

Anzahl

-

19

% von KG vs. KvA (gesamt)

-

10.9 %

7.6 %

Sonstiges

Anzahl % von KG vs. KvA (gesamt)

13 17.1 %

24 13.7 %

37 14.7 %

keine Angaben

Anzahl % von KG vs. KvA (gesamt)

3 3.9 %

19 10.9 %

22 8.8 %

Gesamt

Anzahl % von KG vs. KvA (gesamt)

76 100.0 %

175 100.0 %

251 100.0 %

Gewalt

Tod, Krankheit, sonstiges bei Haustieren

Anzahl

5

19

Auch der Vergleich der Gruppe der KvA (unbeh.) mit der Gruppe der KvA (beh.) ergab, dass nur bei den Häufigkeiten der genannten Kategorien für die schlimmsten Ereignisse ein sehr signifikanter Unterschied50 bestand, nicht jedoch für die Kategorien der schönsten und wichtigsten Ereignisse. Die auffälligsten Unterschiede bei den Kategorien des schlimmsten Ereignisses ergab sich für die Kategorie „Alkoholkonsum bei Elternteil“. Antworten, die in diese Kategorie fielen wurden von 21,3 % der KvA behandelter Eltern (n = 16) gegeben, während 3 % der KvA unbehandelter Eltern (n = 3) solche Antworten gaben (Tab. 4.37). Es liegt nahe anzunehmen, dass bei den Kindern unbehandelter Eltern einerseits viele Kinder noch nicht so schwerwiegende Ereignisse im Zusammenhang mit dem Alkoholkonsum der Eltern erfahren haben und dass andererseits eine größere Hemmung bestehen könnte, derartige Wahrnehmungen zuzulassen.

50

(χ² = 20,355, df = 7; p < .01)

112

KAPITEL 4

Ergebnisse Tab 4.37

Kreuztabelle der Kategorien für das schlimmste Ereignis mit den KvA-Gruppen nach Behandlungsstatus der Eltern Behandlungsstatus der Eltern KvA (unbehandelte Eltern)

Gewalt

Anzahl % von Hauptgruppen Unbehandelte vs. Behandelte vs. KG

Tod, Krankheit, Unfall i. d. Fam.

Anzahl % von Hauptgruppen Unbehandelte vs. Behandelte vs. KG

Tod, Krankheit, sonstiges bei Haustieren

Anzahl % von Hauptgruppen Unbehandelte vs. Behandelte vs. KG

Trennung, Schei- Anzahl dung der Eltern % von Hauptgruppen Unbehandelte vs. Behandelte vs. KG Streit i. d. Fam.

Anzahl % von Hauptgruppen Unbehandelte vs. Behandelte vs. KG

Alkoholkonsum bei Anzahl Eltern, Elternteil % von Hauptgruppen Unbehandelte vs. Behandelte vs. KG

Gesamt

KvA (behandelte Eltern)

11 11,0 %

4 5,3 %

15 8,6 %

29

17

46

29,0 %

22,7 %

26,3 %

1

2

3

1,0 %

2,7 %

1,7 %

8

11

19

8,0 %

14,7 %

10,9 %

20 20,0 %

10 13,3 %

30 17,1 %

3

16

19

3,0 %

21,3 %

10,9 %

Sonstiges

Anzahl % von Hauptgruppen Unbehandelte vs. Behandelte vs. KG

15 15,0 %

9 12,0 %

24 13,7 %

keine Angaben

Anzahl % von Hauptgruppen Unbehandelte vs. Behandelte vs. KG

13 13,0 %

6 8,0 %

19 10,9 %

Gesamt

Anzahl % von Hauptgruppen Unbehandelte vs. Behandelte vs. KG

100 100,0 %

75 100,0 %

175 100,0 %

4.14 ROLLENMODELLE Die Items zur Erfassung von Rollenmodellen wurden umkodiert, so dass ein hoher Wert eine starke Ausprägung einer Rolle angab. Eine Reliabilitätsanalyse ergab Aufschluss über die Reliabilität der acht Subskalen. Es wurde der Mittelwert der jeweils zwei Items der acht zu erhebenden Rollen berechnet und die Mittelwerte mittels einer einfaktoriellen Varianzanalyse (ANOVA) auf signifikante Unterschiede zwischen den Subgruppen hin überprüft. Ergebnisse Die Reliabilitätsanalyse ergab folgende Werte pro Subskala:

113

KAPITEL 4

Ergebnisse

1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8.

Subskala Held: α = .48 Subskala Sündenbock α = .58 Subskala Verlorenes Kind α = .48 Subskala Clown α = .49 Subskala Friedensstifter α = .50 Subskala Übererwachsener α = .11 Subskala Distanzierter α = .31 Subskala Krankes Kind α = .71

Der Wert für die Subskala „Übererwachsener“ wurde als äußerst unbefriedigend bewertet. Diese Subskala wurde daraufhin in den weiteren Analysen nicht berücksichtigt. Die Varianzanalyse ergab folgende Ergebnisse für die Subgruppen: • Subgruppen „Kontrollgruppe und KvA (unbeh./beh.)“ Es ergaben sich keine Mittelwertsunterschiede in den Vergleichen zwischen der Kontrollgruppe und der Gruppe der KvA sowie innerhalb der Gruppe der KvA nach Behandlungsstatus. Die Ausprägungen für die einzelnen Rollen im Vergleich der Untergruppen können Tabelle 4.38 entnommen werden. Tab. 4.38

Mittelwerte und Standardabweichungen der Rollen nach Kontrollgruppe und KvAGruppen nach Behandlungsstatus der Eltern

SD

Sündenbock M SD

Verlorenes Kind M SD

0,76

2,11

0,87

2,09

0,74

2,01

0,95

0,79

2,16

1,01

Held M Kontroll3,68 gruppe/ Non-KvA KvA (unbehandelte 3,48 Eltern) KvAs (be3,52 handel-te Eltern)

M

SD

Friedensstifter M SD

0,76

2,98

0,86

3,27

0,93

2,41

0,69

1,84

1,01

2,24

0,93

2,96

0,90

3,29

0,82

2,60

0,73

1,80

1,05

2,38

1,02

2,93

0,91

3,36

0,93

2,73

0,88

1,80

1,08

Clown

Distanzierter M SD

Krankes Kind M SD

• Subgruppen „Art der Belastung“ Es fanden sich signifikante Mittelwertsunterschiede bei den Rollen Sündenbock51 und Verlorenes Kind52. Im Post-Hoc-Test zeigte sich bei der Rolle Sündenbock, dass die Kinder komorbid erkrankter Eltern (n = 17) signifikant höhere Werte als die Kinder ausschließlich suchtbelasteter Eltern (n = 159) angaben. Der Mittelwert der Kinder der suchtbelasteten Eltern lag unter dem der Kontrollgruppe sowie der Gruppe der Kinder psychisch kranker Eltern, unterschied sich jedoch nicht signifikant (Abb. 4.12).

51 52

(F (3, 245) = 4,132, p < .01) (F (3, 245) = 10,731, p < .001)

114

KAPITEL 4

Ergebnisse

4 3,5 3 2,5 2 1,5 1

2,10

1,98

2,76

2,40

0,5 0 Kontrollgruppe

Abb. 4.12

Kinder suchtbelasteter Eltern

Kinder psychisch kranker Eltern

Kinder komorbid erkrankter Eltern

„Sündenbock“: Mittelwerte und Standardabweichungen nach Subgruppeneinteilung „Art der Belastung“

Wie in Abbildung 4.13 ersichtlich, zeigten sich im Post-Hoc-Test bei der Rolle Verlorenes Kind, dass die Kinder komorbid erkrankter Eltern (n = 17) signifikant höhere Werte als die Kinder aller anderen Gruppen angaben.

5 4,5 4 3,5 3 2,5 2 1,5 1 0,5 0

3,35 2,14

Kontrollgruppe

Abb. 4.13

2,17

2,00

Kinder Kinder psychisch Kinder komorbid suchtbelasteter kranker Eltern erkrankter Eltern Eltern

„Verlorenes Kind“: Mittelwerte und Standardabweichungen für die Subgruppen nach „Art der Belastung“

Die Ergebnisse erweisen die Gruppe der Kinder komorbid erkrankter Eltern als die Hauptproblemgruppe in den vorliegenden Analysen. Diese Kinder zeigen in den Bereichen negativ auffälligen („Sündenbock“) und zurückgezogen schüchternen („Verlorenes Kind“) Verhaltens auffällige Werte.



Subgruppen „Geschlecht des Indexelternteils“

115

KAPITEL 4

Ergebnisse

Signifikante Mittelwertsunterschiede wurden bei den Rollen Held53, Sündenbock54, Verlorenes Kind55, Clown56 und Distanzierter57 deutlich. Im Post-Hoc-Test zeigte sich bei der Rolle Held, dass die Kinder, deren Stiefväter (n = 12) problematischen Alkoholkonsum zeigten, höhere Werte (MW = 4,17, SD = 0,53) angaben als diejenige, bei denen beide Elternteile (n = 11) betroffen waren (MW = 3,05, SD = 1,01); bei der Rolle Sündenbock, gaben die Kinder, deren Mutter und Stiefvater tranken (n = 3) höhere Werte (MW = 4,00, SD = 1,32) an als die Gruppe, in denen kein Elternteil trank (MW = 2,10, SD = 0,84) und die Gruppe, bei der der Vater (MW = 1,98, SD = 0,89) oder der Stiefvater (MW = 1,96, SD = 0,69) trank. Die Ergebnisse des Post-Hoc-Tests für die Rolle Clown zeigten Unterschiede zwischen der Gruppe, in der die Stiefväter tranken im Vergleich zu der Gruppe, in der Mutter und Stiefvater problematischen Konsum aufwiesen. Die Gruppe mit den trinkenden Stiefvätern erreichte dabei höhere Mittelwerte an (MW = 3,63, SD = 0,91 vs. MW = 1,66, SD = 0,58). • Subgruppen „Substanzart“ Signifikante Mittelwertsunterschiede für diese Subgruppeneinteilung wurden bei den Rollen verlorenes Kind58 und Clown59 deutlich. Abbildungen 4.14 und 4.15 zeigen, dass für die Rolle verlorenes Kind diejenigen den höchsten Mittelwert erreichten, deren Eltern nur Alkohol in problematischer Weise tranken, während für die Rolle Clown dies der Fall für die Kinder von Eltern waren, die ausschließlich andere Drogen zu sich nahmen.

3,50 3,00 2,50 2,00 1,50 1,00

2,14

2,32

0,50

1,50

1,50

nur andere Drogen

Alkohol + andere Drogen

0,00 keine

Abb. 4.14

nur Alkohol

Mittelwerte für die Rolle „Verlorenes Kind“ nach Subgruppen „Substanzart“

53

(F (5, 245) = 3,671, p < .01) (F (5, 245) = 3,381, p < .01) 55 (F (5, 245) = 2,282, p< .001) 56 (F (5, 245) = 2,751, p < .05) 57 (F (5, 245) = 2.74, p < .05) 58 (F (3, 242) = 2,992, p < .05) 59 (F (3, 242) = 4,251, p < .001) 54

116

KAPITEL 4

Ergebnisse

5,00 4,50 4,00 3,50 3,00 2,50 2,00 1,50 1,00 0,50 0,00

Abb. 4.15

4,10 2,94

2,91

keine

nur Alkohol

nur andere Drogen

3,70

Alkohol + andere Drogen

Mittelwerte für die Rolle „Clown“ nach Subgruppen „Substanzart“

4.15 RESILIENZEN Die fünf negativ gepolten Items (6, 9, 16, 19, 21) wurden gemäß der Schlüsselrichtung umkodiert. Für jede Antwort in Schlüsselrichtung wurde ein Punkt vergeben und für die Gesamtskala aufsummiert, wobei dementsprechend ein maximaler Punktwert von 21 und ein minimaler von Null erreicht werden konnte. Ergebnisse Die Reliabilitäten der Subskalen lagen bei folgenden Werten: Einsicht α = .11 Unabhängigkeit α = .24 Beziehungsfähigkeit α = .24 Initiative α = .24 Kreativität α = .47 Humor α = .56 Moral = .40

Die Reliabilitätsanalyse der Resilienzskalen erbrachte α-Werte für interne Konsistenz zwischen .11 und .50. Da diese Werte als sehr unbefriedigend zu betrachten sind, wurden χ²-Quadrat-Tests auf Itemebene berechnet, um differenzierende Detailbereiche identifizieren zu können. Für folgende sechs Items wurden deutliche Subgruppenunterschiede gefunden: 1. „Manchmal frage ich mich, ob ich etwas gegen das Trinken meiner Mutter/meines Vaters hätte tun können.“ (Bereich Einsicht)

117

KAPITEL 4

Ergebnisse

• Subgruppen „Kontrollgruppe und KvA (unbeh./beh.)“ Die Kontrollgruppe und die Gesamtgruppe der KvA unterschieden sich höchst signifikant60, während die Gruppen KvA (unbeh.) vs. KvA (beh.) keine Unterschiede aufwiesen. 58,7 % der KvA beantworteten die Frage mit „ja“ und auch 15,5 % der Kontrollgruppe (Tab. 4.39). Tab. 4.39

Kreuztabelle Kontrollgruppe vs. KvA mit Häufigkeiten für Item „Aktion gegen elterliches Trinken“ KG vs. KvA (gesamt)

Gesamt

Kontrollgruppe

KvA

stimme nicht zu Anzahl % von KG vs. KvA (gesamt)

60 84,5 %

71 41,3 %

131 53,9 %

stimme zu

Anzahl % von KG vs. KvA (gesamt)

11 15,5 %

101 58,7 %

112 46,1 %

Gesamt

Anzahl % von KG vs. KvA (gesamt)

71 100,0 %

172 100,0 %

243 100,0 %

• Subgruppen „Art der Belastung“ Zwischen den Gruppen der Kinder suchtbelasteter Eltern, der Kinder psychisch kranker Eltern, der Kinder komorbid kranker Eltern und der Kontrollgruppe bestanden höchst signifikante Unterschiede61. Die meiste Zustimmung gaben Kinder komorbid Erkrankter (70,6 %), gefolgt von den Kindern suchtbelasteter Eltern (56 %). Von den Kindern der Kontrollgruppe gaben 17,5 % an, dass sie sich schon einmal gefragt hätten, ob sie etwas gegen das elterliche Trinken hätten tun können. In der Gruppe der Kinder psychisch Kranker waren dies 10 % (Tab. 4.40). Die Ergebnisse zeigen, dass sich Kinder alkoholbelasteter Eltern intensiv mit dem Problem ihrer Eltern auseinandersetzen und – oft von diesen unbemerkt – an Kontroll- und Hilfemaßnahmen arbeiten. Tab. 4.40

Kreuztabelle Subgruppen „Art der Belastung“ mit Häufigkeiten für Item „Aktion gegen elterliches Trinken“ Art der Belastung Kinder Kontrollgruppe suchtbelasteter Eltern

Gesamt Kinder Kinder komorbid psychisch erkrankter Eltern kranker Eltern

stimme nicht Anzahl 47 zu % von Haupt- 82,5 % gruppen_alle

70

9

5

131

44,0 %

90,0 %

29,4 %

53,9 %

stimme zu

Anzahl 10 % von Haupt- 17,5 % gruppen_alle

89 56,0 %

1 10,0 %

12 70,6 %

112 46,1 %

Gesamt

Anzahl 57 % von Haupt- 100,0 % gruppen_alle

159 100,0 %

10 100,0 %

17 100,0 %

243 100,0 %

60 61

(χ² = 37,795, df = 1; p < .001) (χ² = 34,294, df = 3; p < .001)

118

KAPITEL 4

Ergebnisse

• Subgruppen „Abstinenzdauer“ Auch in Bezug auf die Abstinenzdauer ergaben sich signifikante Unterschiede62 bei der Beantwortung des Items, ob sie etwas gegen das Alkoholproblem des Vaters/ der Mutter hätten tun können. Die Gruppe der Kinder nicht abstinenter Eltern bejahten die Frage häufiger (60,6 %, n = 63) als die Kinder, deren Eltern entweder eine lange oder eine kurze Expositionsdauer aufwiesen (52 %, n = 13 vs. 52,9 %, n = 18), und als die restlichen Untersuchungsteilnehmer (16,7 %, n = 12). • Subgruppen „Expositionsdauer“ Schließlich unterschied sich die Gruppe der Kinder, die eine lange Expositionsdauer erlebt hatten in der Häufigkeit der Bejahung des Items (60,8 %, n = 59) von der, die nur eine kurze Abstinenzdauer erlebt hatten (55,4 %, n = 36) und den restlichen anderen Untersuchungsgruppen (15,5,%, n = 11). Diese Unterschiede waren insgesamt höchst signifikant63. 2. „Ein Mensch, der nicht aufhören kann, Alkohol zu trinken, ist krank.“ (Bereich Einsicht) • Subgruppen „Kontrollgruppe und KvA (unbeh./beh.)“ Zwischen der Kontrollgruppe (72 %, n = 54) und der KvA-Gesamtgruppe (87,9 %, n = 152) ergab sich hinsichtlich der Zustimmung zu diesem Item ein hoch signifikanter Unterschied64. Auch die KvA (unbeh.) und die KvA (beh.) unterschieden sich signifikant65 voneinander: Die KvA (unbeh.) stimmten seltener zu (82,9 %, n = 82) als die KvA (beh.) (94,6 %, n = 70), dass Menschen, die nicht aufhören könnten, Alkohol zu trinken, krank seien. Dies kann als ein Hinweis auf eine schlechtere Informiertheit der unbehandelter Eltern interpretiert werden, was wiederum zu erhöhtem Stresserleben führen dürfte. • Subgruppen „Erfolg der Behandlung“ Weitere hoch signifikante Unterschiede66 zeigten sich zwischen den Gruppen der Kinder erfolgreich und erfolglos Behandelter und der restlichen Untersuchungsgruppe. Kinder erfolgreich Behandelter stimmten sehr häufig (92 %, n = 23), aber weniger oft zu als die Gruppe der nicht erfolgreich Behandelten (95,9 %, n = 47). Die restliche Untersuchungsgruppe (n = 174) stimmte zu 78,2 % zu und zu 21,8 % nicht zu. 3. „Ich habe keine Freunde, auf die ich mich verlassen kann.“ (Bereich Beziehungsfähigkeit) • Subgruppen „Kontrollgruppe und KvA (unbeh./beh.)“ Die Kontrollgruppe unterschied sich signifikant67 von der Gesamtgruppe der KvA. Kinder der Kontrollgruppe gaben zu 96 % (n = 72) an, dass diese Aussage auf sie nicht zuträfe, dass sie also vertrauenswürdige Freunde hätten, während nur 87,4 % (n = 152) der Gruppe der KvA dies sagten. Die KvA insgesamt zeigen sich also in diesem wichtigen Bereich als sozial isolierter und weniger gut vernetzt, was vertrau62

(χ² = 34,895, df = 3; p < .001) (χ² = 37,529, df = 2; p < .001) 64 (χ² = 9,357, df = 1; p < .01) 65 (χ² = 5,497, df = 1; p < .05) 66 (χ² = 10,148, df = 2; p < .01) 67 (χ² = 4,335, df = 1; p < .05) 63

119

KAPITEL 4

Ergebnisse

ensvolle Beziehungen angeht. Insbesondere die 12,6% der KvA, die über keine vertrauensvollen freundschaftlichen Beziehungen berichten, bedürfen früher, intensiver Aufmerksamkeit und Zuwendung, um potenzielle Entwicklungsrisiken zu kompensieren. Bezüglich der Untergruppen KvA (unbeh.) vs. KvA (beh.) zeigten sich keine relevanten Unterschiede. 4. „Ich habe oft kreative Gedanken und Ideen.“ (Bereich Kreativität) • Subgruppen „Erfolg der Behandlung“ Ein signifikanter Unterschied68 zeigte sich zwischen den Gruppen der Kinder erfolgreich und erfolglos Behandelter und der restlichen Untersuchungsgruppe. Kinder nicht erfolgreich Behandelter stimmten sehr häufig (96 %, n =24) zu, es folgte die Gruppe der restlichen Untersuchungsteilnehmer (77,7 %, n = 174). Am seltensten schrieben sich die Kinder erfolgreich Behandelter kreative Gedanken zu (66,7 %, n = 32). Hierbei ist zu bedenken, dass Betroffene dieses Verhalten bisweilen als eher nicht hilfreiches Tagträumen bewerten, so dass es unklar bleibt, ob es sich um eine Ressource oder ein Risiko handelt. 5. „Ich mag es, wenn Gespräche so sind, dass es viel zu lachen gibt.“ (Bereich Humor) • Subgruppen „Art der Belastung“ Zwischen den Gruppen der Kinder suchtbelasteter Eltern, der Kinder psychisch kranker Eltern, der Kinder komorbid kranker Eltern und der Kontrollgruppe bestanden signifikante Unterschiede (χ² = 9,326, df = 3; p < .05). Alle Kinder psychisch Kranker bejahten das Item (100 %, n = 10) sowie 96,7 % (n = 59) Kinder der Kontrollgruppe, 93,1 % (n = 148) Kinder suchtbelasteter Eltern und nur 76,5 % der Kinder komorbid Erkrankter. • Subgruppen „Expositionsdauer“ Es unterschieden sich die Gruppe der Kinder, die eine lange Expositionsdauer erlebt hatte in der Häufigkeit der Bejahung des Items (88,7 %, n = 86) von denen, die eine kurze Abstinenzdauer erlebt hatten (100 %, n = 65) und den restlichen Untersuchungsteilnehmern (94,7 %, n = 71). Diese Unterschiede waren wiederum signifikant 69 . Auch dieser Unterschied kann eher als ein Hinweis auf ein psychisch dysfunktionales Verhalten interpretiert werden, weil es in stärkerem Maße von den durch die Rückfälligkeit der Eltern belasteten Kindern gezeigt wird. 6. „Wenn es Streit gibt, weiß ich oft nicht, wer recht hat.“ (Bereich Moral) • Subgruppen „Kontrollgruppe und KvA (unbeh./beh.)“ Die Kontrollgruppe unterschied sich nicht signifikant von der Gesamtgruppe der KvA. Bezüglich der Untergruppen KvA (unbeh.) vs. KvA (beh.) zeigten sich hingegen relevante Unterschiede70. Die Gruppe der Kinder unbehandelter Eltern gab mit 60,6 % (n

68

(χ² = 8,120, df = 2; p < .05) (χ² = 8,626, df = 2; p < .05) 70 (χ² = 5,948, df = 1; p < .05) 69

120

KAPITEL 4

Ergebnisse

= 60) häufiger an, genau zu wissen, wer recht hat als die Gruppe der Kinder behandelter Eltern (41,9 %, n = 31) (Tab. 4.41). Tab. 4.41

Kreuztabelle Subgruppen „Kontrollgruppe und KvA“ mit Häufigkeiten für das Item „Ich weiß oft nicht, wer recht hat“ nur KvA

Gesamt

unbehandelte KvA

behandelte KvA

stimme nicht zu Anzahl % von nur KvA

60 60,6 %

31 41,9 %

91 52,6 %

stimme zu

Anzahl % von nur KvA

39 39,4 %

43 58,1 %

82 47,4 %

Gesamt

Anzahl % von nur KvA

99 100,0 %

74 100,0 %

173 100,0 %

4.16 ERGEBNISSE ZUM TRANSMISSIONSRISIKO VON KINDERN ALKOHOLBELASTETER ELTERN

4.16.1 EIGENKONSUM VON TABAK UND ALKOHOL Folgende Fragebogenabschnitte wurden in die Analyse einbezogen: Tabak •

C 1.4 Tabakkonsumgewohnheiten: „Wie viele Zigaretten rauchst du?“

Es wurden Kategorien gebildet, die tägliche Raucher, Nichtraucher und Gelegenheitsraucher umfassten. Alkohol • •

in den Interviewleitfaden übertragene Angaben aus dem Screeningbogen C 2.2 Trinkgewohnheiten: „Wie oft hast du in den letzten drei Monaten die folgenden alkoholischen Getränke zu dir genommen?“

Es wurde pro Getränkesorte zwei Gruppen von Personen gefiltert: Diejenigen, die noch nie diese Alkoholsorte probiert hatten und die, die 1 Mal bis 10 Mal oder öfter die spezifische Alkoholsorte in den letzten drei Monaten probiert hatten.

121

KAPITEL 4

Ergebnisse

C 2.5 Riskantes Trinken



Folgende Items wurden einer Analyse unterzogen: • •

Gläser Alkohol auf einer Party Stopp sagen

Ergebnisse • Täglicher Tabakkonsum Insgesamt gaben 58,9 % (n = 142) der Stichprobe an, Nichtraucher zu sein. 35,3 % (n = 85) bezeichneten sich als tägliche Raucher, 5,8 % (n = 14) als wöchentliche oder monatliche und damit Gelegenheitsraucher (n = 10 fehlende Angaben). In Bezug auf die Altersklassen zeigte sich, dass in der Gruppe der bis 13jährigen 80 % (n = 96) angaben, Nichtraucher zu sein vs. 35,1 % der über 14jährigen (n = 46). Dementsprechend gaben 10, 8 % (n = 13) der bis 13jährigen an, täglich zu rauchen vs. 55 % (n = 72) der über 14jährigen. Gelegenheitsraucher fanden sich in der jüngeren Gruppe 5 % (n = 6) und in der älteren Gruppe 6,2 % (n = 8). Täglicher Tabakkonsum, Subgruppen „Kontrollgruppe und KvA (unbeh./beh.)“ Betrachtet man den Vergleich zwischen der Kontrollgruppe und der Gruppe der KvA (gesamt), so zeigt sich, dass 37,7 % der Kontrollgruppe (n = 28) und 34,3 % der KvA (n = 57) sich als (tägliche) Raucher bezeichnen (Tab. 4.42). Allerdings liegt hier ein statistisch nicht signifikantes Ergebnis vor (χ² -Quadrat-Test). Auch zwischen den KvA-Gruppen nach Behandlungsstatus und nach andere Subgruppenunterteilungen liegt bezüglich des täglichen Zigarettenkonsums kein statistisch signifikanter Unterschied vor. •

Tab. 4.42

Kreuztabelle mit täglichem Zigarettenkonsum und Gruppen: Kontrollgruppe und KvA-Gruppen nach Behandlungsstatus der Eltern Subgruppen Kontrollgruppe/ Non-KvA

Nichtraucher oder Gelegen-Anzahl 47 heitsraucher % von Hauptgrup-62,7 % pen Unbehandelte vs. Behandelte vs. KG

Gesamt KvA (unbehan-KvA (behandeldelte Eltern) te Eltern) 64

45

156

67,4 %

63,4 %

64,7 %

(tägl.) Raucher

Anzahl 28 % von Hauptgrup-37,3 % pen Unbehandelte vs. Behandelte vs. KG

31 32,6 %

26 36,6 %

85 35,3 %

Gesamt

Anzahl 75 % von Hauptgrup-100,0 % pen Unbehandelte vs. Behandelte vs. KG

95 100,0 %

71 100,0 %

241 100,0 %

122

KAPITEL 4

Ergebnisse

Insgesamt gaben 17 % (n = 41) der Gesamtstichprobe an, täglich mehr als 11 bis mehr als ein Päckchen Zigaretten zu rauchen.

Alkohol Screeningbogenangaben: Bei der Frage danach, ob die Jugendlichen schon einmal Alkohol probiert hätten, zeigten sich keine statistisch signifikanten Unterschiede zwischen den Gruppen „Kontrollgruppe und KvA (unbeh./beh.)“ (Tab. 4.43). Tab. 4.43 Kreuztabelle mit Alkoholkonsum und Kontrollgruppe und KvA-Gruppen Subgruppen Kontrollgruppe/ Non-KvA

Gesamt KvA (unbehan-KvA (behandelte delte Eltern) Eltern)

nie und einmal Anzahl 27 % von Hauptgruppen36,0 % Unbehandelte vs. Behandelte vs. KG

37 37,4 %

33 44,6 %

97 39,1 %

ab und zu, oft,Anzahl 48 regelmäßig % von Hauptgruppen64,0 % Unbehandelte vs. Behandelte vs. KG

62

41

151

62,6 %

55,4 %

60,9 %

Gesamt

99 100,0 %

74 100,0 %

248 100,0 %

Anzahl 75 % von Hauptgruppen100,0 % Unbehandelte vs. Behandelte vs. KG

C 2.2 Trinkgewohnheiten; „Wie oft hast du in den letzten drei Monaten die folgenden alkoholischen Getränke zu dir genommen?“ Für die analysierten Alkoholsorten Bier, Wein/Sekt, Likör/Schnaps/Brandwein, Cocktails/Longdrinks und Mixgetränke ergaben sich keine signifikanten Unterschiede zwischen der Kontrollgruppe und der Gesamtgruppe der KvA oder den KvA nach Behandlungsstatus. Auch für alle anderen Subgruppen ließen sich keine Unterschiede feststellen. Die Analysen verdeutlichen, dass die KvA kein anderes Trinkverhalten als unbelastete Kinder und Jugendliche zeigen, was jedoch auch auf das noch relativ geringe Durchschnittsalter der Untersuchungsgruppe zurückführbar sein könnte. •



C 2.5 Riskantes Trinken

Gläser Alkohol auf einer Party Der Mittelwert der Anzahl von Gläsern Alkohol, die bei einer Party getrunken wurden, lag für die Gesamtstichprobe bei MW = 4,80 (SD = 7,12; Min = 0, Max = 45). Bei den Getränkesorten Bier und Mixgetränke gaben jeweils 61,2 % bzw. 62,2 % an, keines dieser Getränke zu trinken. Bei Wein, Schnaps und Cocktails lagen diese Anteile höher (78,9 %, 77,2 % und 81 %). Daher wurden die beiden Sorten Bier und Mixgetränke für weitere Extremgruppenvergleiche herangezogen. Es wurden die Fälle be-

123

KAPITEL 4

Ergebnisse

trachtet, die angaben, mehr als 5 Gläser Bier auf einer Party zu trinken und mehr als 5 Gläser Mixgetränke. Es zeigten sich keine Unterschiede zwischen den Gruppen. Gehört Alkohol einfach dazu? Bei der Beantwortung der Frage, ob Alkohol bei einer Fete einfach dazu gehört, zeigten sich zwischen den Haupt- und Subgruppen keine Unterschiede.

4.16.2 MOTIVATION ZUM SUBSTANZKONSUM UND ALKOHOLWIRKSAMKEITSERWARTUNGEN Tabak • C 1.5 Rauchtyp/Motivation Hinsichtlich der einzelnen Rauchmotive fanden sich im Vergleich der Kontrollgruppe mit der Gesamt-KvA-Gruppe keine signifikanten Unterschiede in der Häufigkeit der Nennung. Auch die KvA-Gruppen nach Behandlungsstatus der Eltern unterschieden sich nicht. Alkohol • C 2.3 Motivation zum Alkoholtrinken Hinsichtlich der einzelnen Motive fanden sich im Vergleich der Kontrollgruppe mit der Gesamt-KvA-Gruppe keine signifikanten Unterschiede in der Häufigkeit der Nennungen. Auch die KvA-Gruppen nach Behandlungsstatus der Eltern unterschieden sich diesbezüglich nicht. Auch hier kann das noch relativ geringe Alter der Untersuchungsteilnehmer entscheidend für mangelnde Unterschiede, wie sie für ältere Gruppen gut dokumentiert sind (ZOBEL, 2000) sein. • C 2.4 Alkoholwirksamkeitserwartungen Die Skalen zur Alkoholwirksamkeitserwartungen wurden gemäß ihres Aufbaus in acht Subskalen zerlegt, und es wurden die Mittelwerte berechnet: (1) (2) (3) (4)

Persönliche Form, wenig Alkohol, positive Erwartungen Persönliche Form, wenig Alkohol, negative Erwartungen Persönliche Form, viel Alkohol, positive Erwartungen Persönliche Form, viel Alkohol, negative Erwartungen

(5) (6) (7) (8)

Allgemeine Form, wenig Alkohol, positive Erwartungen Allgemeine Form, wenig Alkohol, negative Erwartungen Allgemeine Form, viel Alkohol, positive Erwartungen Allgemeine Form, viel Alkohol, negative Erwartungen

Jede Subskala wurde auf Mittelwertsunterschiede bezüglich der Subgruppen mittels ANOVA und Post-Hoc-Test überprüft. Die Kontrollgruppe vs. Gesamtgruppe der KvA zeigten keine Mittelwertsunterschiede bezüglich der persönlich oder allgemein formulierten positiven oder negativen Wirksamkeitserwartungen mit viel oder wenig Alkoholkonsum. Auch innerhalb der Gruppe der KvA nach Behandlungsstatus der Eltern sowie in den weiteren Subgruppen zeigten sich keine relevanten Unterschiede.

124

KAPITEL 5

Diskussion und Schlussfolgerungen

KAPITEL 5

DISKUSSION UND SCHLUSSFOLGERUNGEN

In diesem Kapitel werden zunächst die berichteten Ergebnisse unter wissenschaftlichen und forschungsorientierten Aspekten diskutiert (Kapitel 5.1 und 5.2). In Kapitel 5.3 werden studienspezifische und allgemeine Probleme bei der Kontaktierung und Akquisition von Kindern - unbehandelter - Suchtkranker dargestellt. Im Weiteren werden Implikationen der Ergebnisse für die Versorgungspraxis und Perspektiven für die weitere Forschung im Bereich von Kindern, die in suchtbelasteten Elternhäusern aufwachsen, diskutiert (Kapitel 5.4). Kapitel 5 schließt mit einer Darstellung der Konsequenzen aus dieser Studie und den wünschenswerten Entwicklungen für die Zukunft.

5 .1

WISSENSCHAFTLICH ORIENTIERTE DISKUSSION DER ERGEBNISSE

Sozioökonomische Bedingungen Bedeutsame Randbedingungen des Erlebens der familiären Situation stellen die aktuelle Wohnsituation und die Art der Sicherung des Lebensunterhaltes dar. Die Familienstrukturen der an unserer Untersuchung Beteiligten erwiesen sich im Durchschnitt als recht stabil. So leben zwei Drittel aller befragten Kinder mit beiden leiblichen Elternteilen und ein Drittel mit der Mutter zusammen. Die Befunde zeigen jedoch, dass Kinder aus den Kontrollgruppenfamilien häufiger bei beiden leiblichen Eltern leben als Kinder suchtbelasteter Familien. Dadurch wird klar, dass Kinder aus alkoholbelasteten Familien häufiger von Trennung und Scheidung der Eltern betroffen sind als andere Kinder. In der Gruppe der Kinder, deren Eltern sich schon einmal wegen einer Alkoholproblematik in stationärer oder ambulanter Behandlung begeben hatten, sind es 10 % mehr Kinder, die über eine stabile Familienstruktur berichten, als in der Gruppe der Kinder unbehandelter alkoholbelasteter Eltern. Die Behandlung eines Elternteils scheint sich somit günstig auf den ehelichen Zusammenhalt auszuwirken. Andererseits sind es gerade die Kinder unbehandelter Eltern mit Alkoholproblemen, die mit 62.0% auffällig selten mit beiden leiblichen Elternteilen zusammenleben. Sie sind also am häufigsten von familiärer Instabilität betroffen. Soziodemographisch zeichnet sich die Gruppe der KvA vor allem dadurch aus, dass jeder vierte Vater nicht berufstätig ist. Der Anteil trinkender Väter bzw. Stiefväter beträgt in der Gruppe der untersuchten KvA fast 80 %. Die sozioökonomische Situation dieser Kinder ist deutlich ungünstiger als die der Vergleichskinder. Dementsprechend geben mehr Kinder der unbehandelten suchtbelasteten Eltern an, dass das geringe Haushaltsbudget oft Konfliktthema in der Familie ist und bewerten dies als problematisch. Die Väter von KvA, bei denen eine oder mehrere Behandlungen erfolglos waren, gingen seltener einer Arbeit nach. Dies unterstreicht die Forderung nach frühzeitigen effizienten Suchtbehandlungen für betroffene Elternteile. Da durch knappe Finanzmittel in der Familie andere Schwierigkeiten begünstigt werden könnten, bestehende Spannungen zwischen den Familienmitgliedern sich weiter verstärken und sich somit die aversiven Bedingungen in der Suchtfamilie über die Sucht hinaus ausdehnen könnten, ist es von entscheidender Wichtigkeit, früh, umfassend und effizient zu intervenieren. Eine solche Interventionspraxis ist bislang nicht flächendeckend vorhanden. Es war im Rahmen unserer Studie nicht möglich festzustellen, ob die Familien bereits vor dem Eintritt des Alkoholproblems sozial benachteiligt waren oder

125

KAPITEL 5

Diskussion und Schlussfolgerungen

ob dies erst durch die Suchtstörung entstanden ist. Allerdings erscheint es plausibel anzunehmen, etwa aufgrund der Forschungen zum Zusammenhang zwischen Alkoholismus und Arbeitslosigkeit (HENKEL, 1998), dass bei der Mehrzahl der Familien die Finanzprobleme erst aufgrund der Suchtprobleme entstanden sind. Bei den in unserer Studie untersuchten Familien ist der Alkoholkonsum des Abhängigen mit erheblichen finanziellen Einschränkungen verbunden, die vor allem in der Wahrnehmung und Bewertung der Kinder als belastend empfunden werden. Durch das geringfügige Einkommen müssen die Kinder sich in ihren materiellen Wünschen und Bedürfnissen einschränken, sie verfügen wahrscheinlich über weniger Taschengeld als Gleichaltrige und können dem für das Jugendalter typischen Verlangen nach Konsumgütern weniger nachgehen. Die Entwicklung eines gesunden Selbstwertgefühls ist bei diesen Kindern aufgrund einer problematischen Bewertung und Verarbeitung dieser Situation bedroht. Die finanzielle Benachteiligung der Kinder aus alkoholbelasteten Familien stellt einen erheblichen Stressfaktor für die entsprechenden Familien dar. Wie Zobel vorschlägt, erscheint es auch in Anbetracht unserer Ergebnisse besonders sinnvoll, dass im Hilfekontext das Thema der knappen Finanzen möglichst direkt angesprochen wird, um „bereits bestehende Verpflichtungen und Verbindlichkeiten zu erfassen und gegebenenfalls entsprechende Maßnahmen einzuleiten“ (ZOBEL, 2000, S. 192). Kindliche Erlebens- und Verhaltensauffälligkeiten Die Analysen hinsichtlich kindlicher Erlebens- und Verhaltensauffälligkeiten dokumentieren überraschend, dass nahezu gleich viele Kinder aus den Gruppen der suchtunauffälligen Familien und der alkoholbelasteten Familien schon Erfahrung mit einer eigenen psychotherapeutischen, psychiatrischen bzw. psychologischen Behandlung oder Beratung hatten. Da es sich bei unserer Untersuchung um eine naturalistische Feldstudie handelt, schien es nicht angezeigt, die psychische Gesundheit der Mitglieder der Kontrollgruppe durch Herausnahme dieser Fälle künstlich zu verbessern. Bei der Befragung der Kinder nach Symptomen verschiedener psychischer Störungsbilder stellte sich heraus, dass es mehr Kinder aus der Gruppe der KvA (unbeh.) sind, die psychische Erlebens- und Verhaltensauffälligkeiten äußerten. Insofern kann diese Gruppe – ganz konform mit den Ausgangshypothesen dieser Untersuchung – als die stärker problembelastete Subgruppe innerhalb der Kinder suchtbelasteter Eltern angesehen werden. Kinder unbehandelter alkoholbelasteter Eltern zeigten in unseren Analysen mehr Symptome in den Bereichen affektiver Störungen und expressiver Störungen als Kontrollgruppenkinder und als Kinder, die bei behandelten alkoholbelasteten Eltern aufwachsen. Der in der Literatur konstatierte Geschlechtseffekt zeigte sich ebenfalls bei unseren Resultaten: Es sind vor allem die Mädchen, die Schwierigkeiten mit dem Umgang mit negativen Gefühlen haben. Bisher nicht bekannt war die starke Belastung der KvA (unbeh.) mit affektiven Problemen, wobei diese Gruppe gleichzeitig weniger von psychologischen Dienstleistungen profitiert als die Gruppe der KvA (beh.). Im Bereich der schulischen Auffälligkeiten sind es die KvA, deren Elternteil behandelt ist, die hier besonders hervorstechen: Mehr als zwei Drittel aller Kinder aus der KvA (beh.)-Gruppe hatten nach eigenen Angaben schon einmal Schwierigkeiten in der Schule. Einzuwenden ist, dass die Nennung von Schulproblemen bei Kindern und

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KAPITEL 5

Diskussion und Schlussfolgerungen

Jugendlichen im getesteten Alter von 11-16 Jahren nicht ungewöhnlich ist. So unterscheiden sich die Anteile an Kindern mit Schulschwierigkeiten in Kontroll- und Untersuchungsgruppe der KvA nicht. Interessant ist jedoch der Unterschied in der Anführung von Gründen für die Schwierigkeiten: Kinder aus KvA-Familien führen als Gründe wesentlich häufiger spezielle Elternaspekte an, z. B. dass die Eltern die Kinder bezüglich schulischer Leistungen unter Druck setzen, die Kinder nicht zeitig genug morgens wecken und allgemein keine schulleistungsunterstützende Atmosphäre bieten würden. Unter Interventionsimplikationen ist unbedingt zu beachten, dass bei Kindern, bei denen die elterliche Alkoholproblematik im Hilfesystem unentdeckt geblieben ist (KvA [unbeh.]), verstärkt Schulschwierigkeiten wegen einer elterlichen Alkoholproblematik vorhanden sein können. Für diese Kinder fanden wir in unseren Stichproben einen eindeutig erhöhten Anteil an Auffälligkeiten im psychosozialen Bereich der Schule (z. B. Lehrer-Schüler-Beziehung, Mitschülerverhalten). Auf der Basis dieser heterogenen Ergebnisse und der methodischen Zugangsweise (Selbstbeurteilung) ist davon auszugehen, dass in der hier untersuchten Population die Gruppe der KvA nicht per se als Risikogruppe für die Entwicklung von psychischen und psychosozialen Entwicklungsbeeinträchtigungen und schulischen Schwierigkeiten postuliert werden kann, dass aber in Subgruppen der KvA und hinsichtlich bestimmter Aspekte von Schulschwierigkeiten erhöhte Probleme und damit ein deutlicher Interventionsbedarf (vgl. NASTASI & DEZOLT, 1994) bestehen. Selbstwirksamkeitserwartungen, Kontrollüberzeugungen und Lebenszufriedenheit Die KvA unserer Stichproben äußern im Vergleich zu Kontrollgruppenkindern eine geringere Wertschätzung ihrer eigenen Person und vermehrt Einstellungen negativer Selbstbewertung. Dabei lagen die geringsten Kontrollüberzeugungen bei den Kindern unbehandelter Eltern vor, die sich somit wiederum als besonders belastete Gruppe erweisen. Häufiger als Kontrollgruppenkinder empfinden KvA ihr Leben als fremdbestimmt. Eher als die anderen Kinder neigen sie dazu, sich äußeren Umständen hilflos ausgeliefert zu fühlen. Das mangelnde Selbstvertrauen ist eingebunden in ein allgemeines Lebensgefühl von Unsicherheit, Ängsten und Fremdkontrolle. In suchtbelasteten Familien sind es im allgemeinen die Begleitumstände und Konsequenzen des Missbrauchs bzw. der Abhängigkeit, wie eine stärkere familiäre Desorganisation bzw. eine geringere intrafamiliale Stabilität sowie eine schlechtere Berechenbarkeit und Vorhersagbarkeit familiärer Prozesse, die den innerfamiliären Stress deutlich erhöhen. Dies kann bei den Kindern zu Symptomen mangelnden Selbstwertgefühls, geringerer Kontrollüberzeugung und schlechterer Selbstwirksamkeitserwartung führen. In Familien mit einem Suchtmittelabhängigen kann ein Kind zu seinen beiden Bezugspersonen oftmals kaum Vertrauen haben und erlebt häufig, dass es von den Eltern enttäuscht und als nicht wichtig wahrgenommen wird. Diese Erfahrungen können dazu führen, dass die Kinder diese Erlebnisse in ihr Selbstkonzept übernehmen und sich selbst eher als unwichtig und störend erachten. Von der Stärke dieses Selbstkonzeptes hängt nicht zuletzt die Bewältigung von Belastungen ab. Unser im Einklang mit der internationalen Literatur stehendes Ergebnis der geringeren Kontrollüberzeugungen bei KvA ist prognostisch eher als ungünstig zu bewerten, denn bei fehlender Überzeugung, ausreichende Kontrolle über die eigenen Handlungsfolgen und die Umwelt ausüben zu können, kann sich insbesondere ge-

127

KAPITEL 5

Diskussion und Schlussfolgerungen

ringe Selbstwirksamkeitserwartung entwickeln und Hilflosigkeit erlernt werden. Bisher nicht bekannt und daher in Interventionsprogrammen nicht beachtet ist unser Ergebnis, dass die Kinder unbehandelter suchtbelasteter Eltern eine besonders starke Problematik im Bereich des Selbstwertgefühls und der Selbstwirksamkeitserwartungen aufweisen. Dies macht frühe und effiziente Interventionen bei den Eltern dieser Kinder als besonders wichtig und nötig. Kinder erfolglos behandelter Eltern waren weniger der Überzeugung, dass das Leben und wichtige Ereignisse selbstbestimmbar seien. Die geringsten Kontrollüberzeugungen wiesen Kinder komorbid erkrankter Eltern auf. Diese Gruppe von Kindern erweist sich neben und innerhalb der im Fokus stehenden Kinder unbehandelter Eltern als eine durchgängig sehr stark belastete Gruppe. Kinder, die eine mindestens vierjährige Expositionszeit mit elterlichem Alkoholkonsum erlebt hatten oder aktuell erlebten, charakterisieren sich dadurch, dass sie bewusst Abhängigkeitsverhältnisse zu vermeiden versuchen: Im Vergleich zu Kindern, die eine weniger lange Zeit dem elterlichen Alkoholismus ausgesetzt waren, ist es diesen Kindern weniger wichtig, das Bedürfnis nach Anerkennung durch andere Personen in den Mittelpunkt zu stellen. Diese KvA versuchen, sich von dem starken Bedürfnis zu lösen, von anderen gemocht zu werden. Eine solche Haltung scheint verständlich, da die Kinder lange Zeit die Erfahrung gemacht haben, dass Anerkennung und Sympathie ihnen gegenüber nicht garantiert sind. Bei zahlreichen KvA entspricht eine resignative, passive und fatalistische Haltung zudem ihrer ganz konkreten und unmittelbaren Erfahrung. Ihre Lebenssituation ist durch Faktoren wie geringes Einkommen, Arbeitslosigkeit (soziale Marginalisierung), häufiges Erleben elterlicher Auseinandersetzungen und geringe Bindung zu mindestens einem Elternteil, meistens dem Vater, geprägt. Deutlich zeigen unsere Ergebnisse, dass ein hoher Wert in allgemeiner Lebenszufriedenheit bei Kindern in stressbelasteten Familienumwelten in Zusammenhang mit wenigstens vermindertem Alkoholkonsum der Eltern steht. Kinder behandelter Eltern weisen eine deutlich geringere Lebenszufriedenheit auf als Kinder aus suchtunauffälligen Familien. Auch hier sind es insbesondere die Kinder aus Multiproblemfamilien mit einem Elternteil, das zusätzlich zur Alkoholproblematik weitere psychiatrische Diagnosen aufweist, die ihr Leben weit weg von ihrer Wunschvorstellung und guten Lebensbedingungen sehen. Umso mehr Belastung sich in der Familie befindet – z. B. mehrere Personen sind alkoholbelastet bzw. psychisch erkrankt – desto schlechter gestaltet sich die Zukunftsaussicht in der Selbstwahrnehmung des Kindes. Problematisch für die Entwicklung des Kindes wird dies vor allem dann werden, wenn die Einstellungen sich so verfestigen, dass negative Selbstwirksamkeitserwartungen bei der Bewältigung von Anforderungen und Problemen und negative selbstbezogene Kognitionen vorherrschen. Bei Nichtvorhandensein anderer Bewältigungsmechanismen kann eine solche Einstellung bei Risikoprobanden zu einer deutlich erhöhten Wahrscheinlichkeit für die Entwicklung psychischer Auffälligkeiten und erhöhtem Alkoholkonsum führen. Bewältigungsverhalten Unangepasste Problemlösungsstrategien sind unseren Ergebnissen nach bei KvA nicht häufiger zu finden als bei Kindern aus suchtunauffälligen Familien. Ein gleich großer Anteil aus beiden Gruppen verfügt über ein als eher günstig zu bezeichnendes Bewältigungsmuster, bei dem die Suche nach sozialer Unterstützung und problemlösendes Handeln im Vordergrund steht. Dieses Ergebnis deckt sich nicht mit den

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KAPITEL 5

Diskussion und Schlussfolgerungen

Resultaten einer Reihe von Studien (vgl. Kapitel 2), nach denen KvA dazu neigen sollen, ihre Probleme allein zu durchdenken und nach möglichen Lösungen zu suchen. Diese Diskrepanz mag auf die in hohem Maße vorhandene Heterogenität der Gruppe der KvA und auf die Zusammensetzung der Kontrollgruppe, in die zu einem Drittel auch Kinder mit eigener psychologischer Problematik mit eingingen, zurückzuführen sein. Deutlich weniger angepasste Copingstrategien zeigten in unseren Analysen Kinder aus mehrfachbelasteten Elternhäusern, in denen mindestens ein Elternteil eine Alkoholproblematik und zusätzlich eine weitere psychiatrische Diagnose aufwies. Somit erweisen sich komorbide Kontexte erneut als besonders pathogen für die heranwachsenden Kinder und Jugendlichen. Vor allem die Mädchen in unserer Population zeigten weniger situationsbezogene Flexibilität im Einsatz von Bewältigungsformen und bevorzugten emotionsregulierende Aktivitäten im Umgang mit Stress, die zu einseitig auf starke Expression oder Unterdrückung und Verleugnung von Gefühlen hinzielen. Bei Kindern aus alkoholbelasteten Familien, die einem Dauerstressgefüge ausgesetzt sind, dürfte es im Allgemeinen als ungünstig zu werten sein, wenn in überhöhtem Umfang emotionsregulierende Aktivitäten (z. B. sich aufregen oder Ärger an anderen auslassen) eingesetzt werden. Die Ergebnisse dokumentieren, dass Kinder mit guten Lebensbewältigungsstrategien auch unter aversiven Bedingungen bereits Copingstrategien entwickeln konnten, durch die sie stresserzeugende Lebensereignisse als realistisch einschätzen können und sich selbst entweder durch ihr eigenes Handeln oder durch die aktive Suche nach Hilfe bessere Strategien im Umgang mit Notsituationen schaffen können. Die aktive mentale und emotionale Vorbereitung auf familiale Stressereignisse schafft – wenigstens im Kindes- und Jugendalter – einen gewissen Schutz vor Überflutung mit unerwarteten Ereignissen, die schwer oder gar nicht zu bewältigen scheinen. Familiäre Atmosphäre und Kommunikation Die Ergebnisse zur familiären Atmosphäre zeigen keine signifikanten Unterschiede bei der Anpassung der Kontrollfamilien und KvA-Familien bezüglich allgemeiner und spezifischer Familienfunktionen. Im Vergleich zu Kontrollgruppenfamilien herrschen aus Sicht der Kinder in Suchtfamilien nicht weniger klare Rollenverhältnisse vor, d. h. jeder in der Familie weiß, was von ihm in der Familie erwartet wird und was er von anderen erwarten darf. Das Ausmaß der gezeigten Gefühle und des Interesses der einzelnen Familienmitglieder füreinander und die Aufrechterhaltung der Kontrolle hinsichtlich der instrumentellen Aufgabenerfüllung der Familienmitglieder sind nicht geringer ausgeprägt als in Kontrollgruppenfamilien. Als einzigen Bereich familiärer Probleme bei den KvA-Familien ließ sich der Bereich der allgemeinen Aufgabenerfüllung identifizieren. Zusammenfassend belegen hier die Ergebnisse, dass die KvA-Familie die adäquate psychosoziale Entwicklung ihrer einzelnen Mitglieder nicht garantieren kann; sie hält weniger Sicherheit und Autonomie für jeden bereit und bewältigt weniger gut Anforderungen zur Veränderung. In diesen Problembereich fallen basale Aufgaben wie etwa die materielle Versorgung (von Essen, Gesundheit), die in KvA-Familien wegen geringer finanzieller Ressourcen nicht in ausreichendem Maße gewährleistet werden kann. Weiterhin ist die Erfüllung psychosozialer Entwicklungsaufgaben der Familienmitglieder in KvA-Familien nicht garantiert. Verstärkt können sich Krisenaufgaben einstellen, wenn die Bewältigungsstrategien der Familie erschöpft sind. Das Ausmaß der familienbezogenen Funktionalität wird vor allem durch die Fähigkeit einer Familie, sich gerade in Krisensituationen flexibel an verändernde Umstände anzupassen, gekennzeichnet. Diese

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KAPITEL 5

Diskussion und Schlussfolgerungen

Fähigkeit zur flexiblen Verhaltensanpassung ist – unseren Ergebnissen nach – in Familien mit einem alkoholbelasteten Elternteil reduziert und besonders niedrig in Familien, in denen der von einer Alkoholproblematik betroffene Elternteil zusätzlich weitere psychische Auffälligkeiten zeigt. Von Komorbidität belastete Familien erweisen sich auch hier für ihre Kinder als benachteiligt. Sie entwickeln starrere Verhaltensmuster als andere Familien und sind weniger in der Lage, sich konstruktiv mit ihren Problemen auseinander zu setzen. Genauere Analysen der Einzelergebnisse deuten darauf hin, dass Kinder mit einem behandelten Elternteil bezüglich der Familienfunktion der Aufgabenerfüllung eine schlechtere Anpassung erleben als Kinder unbehandelter Eltern. Dies könnte darauf zurückzuführen sein, dass durch die Schwere der Abhängigkeit und die – oft mehrmonatigen - stationären Aufenthalte in Fachkliniken die Familienkonstellation und das alltäglich Zusammenleben in diesen KvA-Familien wenig stabil sind. Interessant ist in diesem Zusammenhang der Befund, dass in denjenigen Familien, in denen schon seit längerer Zeit ein Kontakt zum störungsspezifischen Hilfesystem besteht (der betroffene Elternteil besucht zeit längerer Zeit eine Selbsthilfegruppe), eine Verbesserung in der Erfüllung der basalen Aufgaben und speziellen Entwicklungsaufgaben zu verzeichnen ist. Elterliche Komorbidität Wie die gefundenen Ergebnisse deutlich zeigen und auch schon mehrfach betont wurde, spielt die elterliche Komorbidität eine erhebliche Rolle für das subjektive Erleben der Kinder in den betroffenen Familien. Oft sind bei Personen mit Substanzstörungen Depressionen oder Symptome von Angststörungen primär vorhanden. Auch Persönlichkeitsstörungen sind gehäuft anzutreffen. Unsere Resultate zeigen, dass in den hier untersuchten Stichproben etwa jeder zehnte Elternteil mit einer Alkoholproblematik zusätzlich eine weitere psychiatrische Diagnose aufweist. Das Vorhandensein komorbider Störungen kann dabei die Auswirkungen des problematisch erlebten Alkoholkonsums für die Kinder und damit die Ausprägung kindlicher Erlebens- und Verhaltensauffälligkeiten potenzieren. Kinder, die bei einer sozial ängstlichen trinkenden Mutter oder einem trinkenden Vater mit antisozialer Persönlichkeit aufwachsen, werden andere tägliche Erfahrungen machen als Kinder, bei denen die psychische Störung und nicht primär die Alkoholabhängigkeit eines Elternteils im Vordergrund – auch einer möglichen Behandlung - steht. Neben den Auswirkungen des elterlichen Trinkens kommen diese Kinder zusätzlich mit depressiven Attributionsmustern, anhaltendem Vermeidungsverhalten oder emotionalen Wutausbrüchen und verbalen Demütigungen in Berührung. Kompensationsmöglichkeiten werden in diesem Umfeld „doppelt“ gegebener Beeinträchtigungen nur schwer ihre Wirkung entfalten können. Neue Entwicklungschancen für Kinder in solchen Familien werden sich wahrscheinlich erst dann ergeben, wenn die Dynamik der Mehrfachbelastung durchbrochen wird, indem der Elternteil neben dem Einhalten der Abstinenz eine Bearbeitung und Bewältigung der psychischen Störungsbereiche vornimmt. Hilfeleistende sind gerade hier gefordert, diesen Schritt zu initiieren bzw. zu unterstützen, um die eventuell gravierenden psychischen Symptome des Elternteils in ihren Auswirkungen für die Kinder möglichst frühzeitig zu reduzieren. Weitere psychische Störungen bei den Eltern bewirken eine unzureichende Anleitung, Beaufsichtigung und Förderung der Kinder. Die besonders gespannte Atmosphäre in diesen Familien belegen unsere Ergebnisse eindeutig. Die Untergruppe der Kinder der komorbid erkrankten Eltern schnitt bei den meisten erhobenen Variablen unserer Untersuchung am schlechtes-

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ten ab. Diese Kinder wiesen eine stark unterdurchschnittlich ausgeprägte Unterstützung als auch erfahrene Kontrolle auf und bekamen wenig Orientierung. Da diese Kinder zuhause nicht angeleitet werden, müssen sie ihre Kompetenzen außerhalb des Elternhauses erwerben. Besonderes Gewicht haben für diese Gruppe Hilfeleistende, bei denen die betroffenen Kinder über die häusliche Situation reflektieren können und bei denen sie Normalität erleben können. Zudem ist zu betonen, dass die Kinder psychisch gestörter Eltern sich deutlich schlechter mit ihren Eltern identifizieren können. Dabei ist die Fähigkeit zur Identifikation mit einer erwachsenen Bezugsperson für eine adaptive kindliche Entwicklung maßgeblich von Bedeutung. Überraschenderweise fanden wir auch bei etwa 30 % der Eltern der Kontrollgruppe Erfahrungen mit der Behandlung wegen psychischer Probleme. Exposition des elterlichen Trinkens und der elterlichen Auseinandersetzungen Bei der Betrachtung der Expositionszeit des elterlichen Trinkens fällt auf, dass jedes zweite Kind, das bei einem unbehandelten alkoholbelasteten Elternteil aufwächst, der elterlichen Suchtproblematik über einen Zeitraum von mindestens vier Jahren ausgesetzt war. In der Gruppe der Kinder der behandelten Eltern berichtete eine höhere Anzahl an Kindern (64 %) eine solch lange Expositionszeit. Die Kinder mit längerer Expositionszeit erleben häufiger elterliche Auseinandersetzungen und Streit. Sie kommen aber nicht nur häufiger vor, sondern werden auch als belastender erlebt. Besonders für jüngere Kinder im Vorschulalter, die die belastende Familienatmosphäre zwar spüren, ohne aber zu verstehen, worum es geht, kann hierdurch die Entwicklung von Störungssymptomen begünstigt werden. Das verringerte negative Selbstwertgefühl der Kinder aus alkoholbelasteten Familien könnte mit den Gedanken der Kinder, an den elterlichen Auseinandersetzungen ursächlich beteiligt zu sein, zusammenhängen. Umso älter die Kinder sind, desto eher werden sie verstehen, dass die elterlichen Auseinandersetzungen wegen der Krankheit des abhängigen Elternteils entstehen und sie selber nicht der Grund für die ehelichen Krisen sind. Untersuchungen dieser alterspezifischen Aspekte stehen noch aus. Da die Dauer der Exposition gegenüber dem elterlichen Alkoholproblem entscheidend für die psychische Gesundheit des Kindes ist, sollte diesem Aspekt gerade für die Problemgruppen der Kinder unbehandelter und komorbider Eltern besondere Aufmerksamkeit geschenkt werden. Es handelt sich dabei um für Prävention und Intervention bedeutsame Aspekte. Da auch etwa die Hälfte der Kinder unbehandelter Eltern von einer langen Expositionszeit (> 4 Jahre) betroffen sind und eine Änderung dieser Situation gerade bei dieser Gruppe kurzfristig nicht zu erwarten ist, herrscht hier ein besonders starkes Pathologisierungsrisiko. Wünsche und Challenge-Modell Wünsche in Bezug auf die eigene schulische und berufliche Zukunft sowie - möglicherweise - daraus resultierende finanzielle und materielle Zufriedenheit stehen sowohl bei Kindern aus suchtbelasteten Familien als auch bei Kindern aus nicht suchtbelasteten Familien im Vordergrund. Eine Schlussfolgerung besteht darin, dass die Unterstützung zur Erreichung der schulischen Ziele und Verbesserung des schulischen Erfolgs durch Eltern und andere Bezugspersonen als wichtiger Beitrag anzusehen ist. Für die Mütter wurde von den Kindern neben Geld und Gesundheit auch eine Reduktion von Stresssituationen benannt. Hier waren es oft Streitigkeiten innerhalb der Familie, aber auch Unzufriedenheit mit der Arbeitsstelle oder Überlastung im

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Haushalt, die von den Interviewpartnern als Stressoren benannt worden waren. Diese Wahrnehmung durch die Kinder spiegelt wider, dass es oft die Mütter sind, die innerhalb der Familie mit vielfältigen Aufgaben des Austragens von Konflikten bis hin zur Organisation des Haushalts belastet sind. Der entsprechende Wunsch wurde für die Väter erst an achter Stelle benannt. Allerdings wurde nicht berücksichtigt, ob es sich um alleinerziehende Elternteile handelte. Auffällig war für bei den Vätern die Nennung der Reduktion des Alkoholtrinkens. Dies stand für 21,5 % der Kinder, fast alle aus suchtbelasteten Familien, im Vordergrund. Es zeigte sich aber auch, dass nicht alle Kinder aus suchtbelasteten Familien primär gegenüber dem trinkenden Elternteil den Wunsch nach Alkoholkonsumreduktion verspüren, sondern vielmehr andere Wünsche - oft geldbezogene - im Mittelpunkt stehen oder aber die Kinder dies im Interview nicht äußern wollten. Interessant wäre hier in Zukunft eine Analyse der Hintergründe, vor denen die Interviewpartner diese Alkoholreduktionswünsche äußerten (z. B. in Bezug auf die Aktualität der Problematik). Mehr KvA gaben an, die familiäre Umwelt als die eigene Entwicklung behindernd zu erleben. Die weiteren Antworten zeigten, dass häufig die konkrete Vermutung, später selber einmal selbst an Alkoholproblemen leiden zu müssen, zu dieser Wahrnehmung führte. Weiterhin geben aber auch viele KvA an, die eigene Umwelt durchaus als bereichernd in Bezug auf Lebenserfahrung und Problemlösekompetenzen zu erleben. Hier erscheint es nahe liegend, dass beispielsweise mittels psychoedukativer Interventionen die häufig zu wenig multikausal betrachtete Gefahr einer direkten Übertragung von Alkoholismus auf die nächste Generation differenzierter dargestellt und diskutiert wird und die wahrgenommenen Ressourcen bezüglich Problemlösekompetenzen gestärkt werden. Kinder alkoholbelasteter Eltern sollten lernen können, ihr eigenes Risiko besser abschätzen zu können. Dies würde übertriebene Ängste abbauen, aber auch Vermeidungs- und Verleugnungstendenzen positiv beeinflussen können. Gewalterfahrungen und Vernachlässigung Erfahrungen mit Gewalt werden von Kindern aus suchtbelasteten Familien häufiger als schlimmstes Familienereignis angegeben, sie nennen häufiger die Befürchtung, von den Eltern geschlagen zu werden, und sie erleben häufiger Gewalt - auch und gerade, wenn das betroffene Elternteil das Suchtmittel konsumiert hat - durch die Eltern. Dass Angst vor Schlägen und tatsächliche Gewalterfahrungen durch die Eltern auch bei einem Teil der Kontrollgruppenkinder vorkommen, entspricht den bekannten Zahlen und Daten und auch die statistisch signifikante Häufung in suchtbelasteten Familien in unserer Stichprobe unterstützt und erhärtet die bisherigen Ergebnisse auf diesem Gebiet (KLEIN & QUINTEN, 2002). Innerhalb der Gruppe der KvA wurden keine im statistischen Sinne relevanten Unterschiede gefunden, die alleine auf den Behandlungsstatus der Eltern zurückzuführen wären. Es zeigte sich jedoch eine deutliche Tendenz dahingehend, dass die Kinder unbehandelter Problemtrinker häufiger Gewalt befürchteten oder erlebt hatten. Eine mögliche Interpretation könnte sein, dass der Kontakt der Eltern zum Hilfesystem u. a. dazu führt, dass die Gewaltandrohung und -ausübung gegenüber den eigenen Kindern verringert, wenn auch nicht komplett gestoppt wird. Bei der Betrachtung emotionaler oder physischer Vernachlässigung war das Gefühl des Abgelehntseins durch die Eltern den KvA vertrauter, ebenso wie das Gefühl des

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Alleinseins und des Nichtverstandenseins. Sie erleiden also insbesondere im Bereich der emotionalen Vernachlässigung starke Stressoren (vgl. DUBE ET AL., 2001), die sich in ihrer psychischen Entwicklung negativ auswirken können. Auch die Frage, die auf Zeitmangel der Eltern wegen des Alkoholtrinkens zielte, zeigte einen Unterschied zwischen der Kontrollgruppe und der KvA-Gruppe, wobei immerhin 11,7 % der KvA diese bejahten. Persönlichkeitsmerkmale und Co-Abhängigkeit Die unerwartet schlechten Reliabilitäten des Instruments zur Erhebung des FünfFaktoren-Modells der Persönlichkeit schränken die Aussagen in diesem Bereich stark ein. Das Instrument war eingesetzt worden, da es in Studien anderer Autoren (W ANNER, 2000) bei Jugendlichen erfolgreiche und reliable Messungen geliefert hatte. Dem Eindruck der Interviewer nach hatte es in unserer Stichprobe insbesondere bei Jugendlichen aus Haupt- und Sonderschulen allerdings Verständnisprobleme gegeben, da immer zwei Adjektive bzw. deren ‚Mittelwert‘ zu beantworten waren. Während sich die erwarteten Unterschiede in den Bereichen Extraversion, Offenheit, Verträglichkeit und Gewissenhaftigkeit nicht zeigten, beschrieb sich die Gruppe der KvA als ängstlicher, nervöser, weniger selbstsicher, reizbarer und launischer - wie es durch die höheren Werte auf der Neurotizismusskala angezeigt wird. Innerhalb der Gruppe der KvA machte es in Bezug auf diese Werte keinen Unterschied, ob die Eltern schon einmal in Behandlung gewesen waren oder nicht, vielmehr war eine entscheidende Variable, ob eine zusätzliche psychische Störung bei den Eltern vorlag bzw. durch das Kind wahrgenommen worden war. Wenn dies der Fall war, dann beschrieben sich die Kinder deutlich „neurotischer“ als Kinder, die entweder „nur“ mit einer Suchtstörung oder nur einer anderen psychischen Störung oder aber keiner erkennbaren psychischen Störung bei den Eltern konfrontiert waren. Die elterliche Komorbidität erweist sich einmal mehr als ein negativ verstärkender Moderator der durch die Suchtprobleme der Eltern transmittierten Pathologie. Das Instrument zur Erfassung von co-abhängigen Verhaltensmustern zeigte in dieser jugendlichen Stichprobe eine sehr zufriedenstellende Reliabilität, die eine Interpretation der Ergebnisse uneingeschränkt ermöglicht. Der erwartete Unterschied zwischen dem bei KvA stärker ausgeprägten Verhalten in Bezug auf Co-Abhängigkeit im Vergleich zur Kontrollgruppe konnte bestätigt werden. Allerdings machte es auch hier keinen Unterschied, ob die Eltern der KvA in Behandlung gewesen waren oder nicht. Vielmehr zeigten sich die Faktoren „Art der Belastung durch die psychische Störung der Eltern“, „Expositionszeit“, „Indexelternteil“ und „Zusammenleben mit Indexelternteil“ als einflussreich. Das Zusammenleben mit zwei suchtbelasteten Elternteilen wirkte sich hinsichtlich der Ausprägung co-abhängigen Verhaltens von allen Formen des Zusammenlebens am stärksten aus. Wie bei den Analysen zum Big-Five-Modell der Persönlichkeit waren es im übrigen auch hier die Kinder komorbid erkrankter Eltern, die die stärkste Ausprägung von co-abhängigem Verhalten zeigten. Weiterhin waren es die KvA, die gegenüber dem elterlichen Trinken eine Expositionszeit von über vier Jahren erlebt hatten, die im Vergleich zu den KvA mit geringerer Expositionszeit und denen, die nie elterlichem Trinken ausgesetzt waren, ein ausgeprägteres co-abhängiges Verhalten zeigten. Weiterhin sind es die KvA, die im direkten Kontakt mit dem trinkenden Elternteil (Indexelternteil) sind, deren co-abhängiges Verhalten deutlicher ausgeprägt ist. Zusammenfassend lässt sich schließen, dass Kinder, die mit einem komorbid erkrankten suchtmittelabhängigem Elternteil zusammenleben

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neben denen, die mit zwei Elternteilen und solchen, die besonders lange den elterlichen Suchtproblemen ausgesetzt sind, am stärksten in Bezug auf Co-Abhängigkeit und dysfunktionale Persönlichkeitsmuster gefährdet sind. Soziales Netz und Geschwisterbeziehungen Fragen, die das soziale Netz und die soziale Eingebundenheit der Untersuchungsteilnehmer betrafen, wurden von den Untersuchungsgruppen größtenteils gleichartig beantwortet; es fanden sich keine signifikanten Unterschiede. Einschränkend ist zu bemerken, dass der Abschnitt „Ich und die Anderen“ des Problemfragebogens mittels eines Summenwerts ausgewertet wurde. Eine differenziertere Analyse wäre auf Itemebene denkbar. Die Ergebnisse der Skala zu Selbstwirksamkeitserwartungen in sozialen Situationen sind weniger eingeschränkt, da die Reliabilität sehr gut ausgeprägt ist. Wie bei allen selbst entwickelten und zum ersten Mal im Rahmen dieser empirischen Studie eingesetzten Skalen sind auch im vorliegenden Erhebungsinstrument die Aussagen zur Validität noch eingeschränkt. Die Frage, wo bei Problemen Rat gesucht wird, wurde durch die KvA tendenziell häufiger mit „bei mir selbst“ oder „ich suche keinen Rat“ beantwortet, was auf eine größere Isolation oder auch stärker eingeschränkte Fähigkeiten, um Hilfe suchen zu können, hinweist. Um aus diesem Ergebnis weitere Schlüsse ziehen zu können, wäre in zukünftigen Studien eine genauere Exploration der Hintergründe und Bedeutung eines solchen Hilfesuchverhaltens denkbar und nützlich. Dies sollte unter Einbeziehung des Hilfe suchenden Verhaltens der Eltern geschehen, was u. U. nützliche Hinweise auf Vorgänge des Modelllernens im Rahmen von Aufsuchen von privaten und auch professionellen Hilfeangeboten erbringen kann. Auch in Bezug auf die Geschwisterbeziehungen zeigten sich keine wesentlichen Unterschiede. Hier wurde auf zwei offene Fragen zurückgegriffen, deren Antworten Kategorien zugeordnet wurden. Die vorliegenden Tendenzen zeigen jedoch, dass KvA zu ihren Geschwistern bessere Beziehungen beschreiben als die Kontrollgruppe. Möglicherweise greifen hier tatsächlich Unterstützungsmechanismen innerhalb der Kinder in Suchtfamilien, möglicherweise „trauen“ sich aber auch Kontrollgruppenkinder eher von schlechten oder ambivalenten Beziehungen im Rahmen des Interviews zu berichten. Hilfe nahm bei den KvA tendenziell konkretere Formen an als bei der Kontrollgruppe. Dies könnte ein Hinweis darauf sein, dass die konkrete Unterstützung bei der Alltagsbewältigung in Suchtfamilien einen größeren Stellenwert hat. Weitere Analysen sollten Geschlechts- und Altersunterschiede sowie die konkrete Position in der Geschwisterreihe berücksichtigen. Wegen der zu geringen Stichprobengröße bei der entsprechenden Aufteilung wurden die differenziellen Einflüsse von Stief- oder Halbgeschwistern nicht berücksichtigt. Familienrituale und familiäre Ereignisse Die Erfassung familiärer Rituale erwies sich als schwierig und gelang anhand der hier eingesetzten Fragen zum ersten Mal in einer derart umfassenden Studie in Verbindung mit der Vielzahl der anderen berichteten Fragestellungen. Allerdings wussten viele Untersuchungsteilnehmer die Fragen nicht zu beantworten oder hatten gar Probleme, sie zu verstehen oder gaben sehr triviale Antworten. Daher wurde für die Ergebnisdarstellung nur auf einen Befragungsteil zurückgegriffen, in dem ein vorgegebenes Antwortformat verwendet wurde. Ein Unterschied in den Häufigkeiten der Bejahung verschiedener gemeinsamer Aktivitäten fand sich bei den Kindern behan-

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delter bzw. unbehandelter Eltern und den Kinder erfolgreich bzw. erfolglos behandelter Eltern. Da es sich jedoch nur um eine Aussage auf Itemebene handelt, sind diese Ergebnisse nur geringer Reichweite interpretierbar. Die gefundenen Unterschiede konnten bei der Frage nach gemeinsamen Aktivitäten mit Mutter oder Vater nicht weiter aufrecht erhalten werden. Bei der Frage nach familiären Ereignissen zeigten sich hingegen interessante Resultate: Hinsichtlich der Antwortkategorien für die wichtigsten und schönsten Ereignisse in der Familie unterschieden sich die KvA nicht von den Kindern der Kontrollgruppe. Der Unterschied machte sich erst bei der Frage nach dem schlimmsten Ereignis bemerkbar. Hier kamen sowohl die Kategorie Gewalt als auch die Kategorie elterlicher Alkoholkonsum zum Tragen, zwei Faktoren, die die Lebensumwelt von KvA mit einer größeren Wahrscheinlichkeit prägten als die der Kontrollgruppe. Dass es sich bei der Kontrollgruppe jedoch teilweise auch um durch andere psychosoziale Faktoren als Sucht belastete Familien handelte, wird dadurch deutlich, dass Tod, Krankheit und Unfälle in der Familie, sowie Scheidung/Trennung der Eltern und Streit in der Familie von den Kontrollgruppenkindern sogar häufiger genannt wurden. Auffallend ist dabei, dass die KvA zu einem wesentlich größeren Teil bei dieser Frage keine Angaben machen wollten, womöglich aus einem Schutzmechanismus sich selbst oder ihren Eltern gegenüber heraus. Dass der elterliche Alkoholkonsum bei Kindern behandelter Eltern ein größeres Problem darstellt, lässt vermuten, dass in diesen Familien das Thema Alkoholismus schon offener angesprochen werden kann und dass die Problemlagen intensiver und heftiger sind. Es ist auch denkbar, dass das Faktum einer erhaltenen Behandlung im Unterschied zu einer verweigerten oder noch gar nicht ins Auge gefassten Behandlung zu einer anderen Wirklichkeitskonstruktion in Bezug auf Suchtprobleme führt. So ist es denkbar, dass durch Behandlungserfahrungen eine Vielzahl familiärer Ereignisse in Verbindung mit der Suchtstörung – auch in einem entlastenden Sinne gebracht werden -, die bei Familien ohne Behandlungserfahrung noch tabuisiert oder anderweitig verzerrt wahrgenommen werden müssen.

Rollenmodelle Die schlechten Reliabilitätswerte für die einzelnen Subskalen schränken die Aussagen zu den Rollen von Kindern in Suchtfamilien ein. Möglicherweise zeigten sich aus diesem Grund keine Unterschiede zwischen der Kontrollgruppe und Kindern aus alkoholbelasteten Familien. Die Interviewpartner beschrieben sich insgesamt auffällig deutlich als „Helden“ und „Friedensstifter“ und sahen sich am wenigsten in der Rolle des „kranken Kindes“. Hier sollte die soziale Erwünschtheit bei der Selbstbeschreibung der eigenen Person in der Familie, die mit den Aussagen zum „Held“ und „Friedensstifter“ wesentlich positiver ausfällt als für die anderen Rollen, bedacht werden. Die Kinder komorbid erkrankter Eltern sehen sich auffällig oft in der Rolle des „Sündenbocks“ und des „verlorenen Kindes“, ein Ergebnis, was von seiner Tendenz her zu den bisher gemachten Aussagen zu den Kindern Komorbider durchaus passt. Ein weiteres Ergebnis sei hier aufgegriffen: Es zeigten sich Unterschiede in Bezug auf die - laut Angaben der Kinder - von den Eltern konsumierte Substanzart. Mit der Beschreibung zum „verlorenen Kind“ fühlen sich eher die Kinder von Eltern, die ausschließlich Alkohol problematisch konsumieren, angesprochen, während Kinder, deren Eltern ausschließlich andere - illegale - Drogen konsumierten oder diese mit Alkohol kombinierten, eher den „Clown“-Beschreibungen zustimmten. Eine mögliche Vorabinterpretation, die durch weitere Erhebungen mit weiter differenzierten und in

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der Reliabilität verbesserten Instrumenten abgesichert werden müsste, könnte lauten, dass unterschiedliche Suchtmittel zu unterschiedlichen Rollenausprägungen führen und dies im Rahmen von Interventionen zu berücksichtigen ist. Zumindest erscheint es nahe liegend anzunehmen, dass die besonders von Instabilität und Unruhe geprägte Atmosphäre im Umfeld von Drogenabhängigkeit zu der hyperaktiven und extrem nervösen Clownrolle beiträgt, während die disharmonische und oft destruktive Atmosphäre der alkoholbelasteten Familie zu der einsamen und isolierten Rolle des verlorenen Kindes beiträgt. Resilienzen Die Analyse der diesbezüglichen Ergebnisse fand wegen der unbefriedigenden Reliabilitäten der Skalenwerte auf der Ebene der einzelnen Items statt. In Bezug auf das Item, welches „eigenes Aktivwerden gegen das elterliche Trinken“ impliziert, antwortete - wie zu erwarten war - eine größere Anzahl von KvA mit „ja“. Die Antworten von 11 Personen aus der Kontrollgruppe weisen ein weiteres Mal darauf hin, dass elterliches Alkoholtrinken in der Wahrnehmung der Kinder sehr unterschiedlich ausgeprägt sein kann und die Zuordnung zu den Gruppen daher an feste Kriterien (wie z B. den CAST) gebunden sein musste. Weitere Unterschiede zwischen der Kontrollgruppe und der Gruppe der KvA, aber auch innerhalb der Gruppe der KvA, zeigten sich bei einem Item, welches auf die Einsicht hinzielt, dass es sich bei Alkoholismus um eine Krankheit handelt. Die Gruppe der Kinder, die bereits einmal die Erfahrung gemacht hatte, dass eine Behandlung gegen Alkoholismus möglich und vorhanden ist (KvA [beh.]), stimmten am häufigsten und zu einem sehr hohen Prozentwert zu (94,6 % der Gruppe). Ein geringerer Prozentsatz von KvA mit unbehandelten Eltern, nämlich 82,9 %, sahen Alkoholismus als Krankheit an und noch seltener, aber immerhin zu 72 %, sahen dies die Kinder der Kontrollgruppe so. Möglicherweise spielt hier die konkrete Erfahrung mit Alkoholabhängigen und deren Behandlungspraxis für die Kinder eine Rolle, die auf die als Resilienzfaktor postulierte „Einsicht“ Einfluss nimmt und als typische für das Coping hilfreiche Wahrnehmung für die betroffenen Kinder behandelter Eltern gewertet werden kann. Dieser Effekt wäre möglicherweise durch stärkere Transparenz und Partizipation für die Kinder im Behandlungsprozess der Eltern noch zu verstärken. Transmission Der Bereich der familiären Transmission wurde in Bezug auf Tabak und Alkohol betrachtet. Die erwarteten Unterschiede in Richtung eines höheren oder stärkeren Alkoholkonsums bei den KvA stellten sich hier nicht ein, auch unterschieden sie sich nicht von der Kontrollgruppe bezüglich der Alkoholwirksamkeitserwartungen. Diese Effekte könnten aus dem mit 13.7 Jahren noch relativ jungen Durchschnittsalter der KvA-Stichprobe resultieren. In Bezug auf Tabak war die Erwartung, die sich u. a. aus einer eigenen voran gegangenen Studie gebildet hatte (Kapitel 2), dass KvA tendenziell weniger rauchen als Kinder der Kontrollgruppe. Auch hier und auch in Bezug auf die Motivation Tabak zu rauchen, zeigten sich nicht die erwarteten Unterschiede. Die KvA unserer Stichprobe unterschieden sich weder untereinander (unbeh. vs. beh.) noch von den Kindern der Kontrollgruppe. Eine denkbare Erklärung für das Fehlen der hinlänglich bekannten Zusammenhänge zwischen dem elterlichen problematischen Alkoholkonsum und dem der Kinder könnte sein, dass die Beantwortung der Frage nach der 3-Monats-Prävalenz des eigenen

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Konsums durch Schuldgefühle oder Verfälschungen der Antworten beeinflusst worden ist.

5.2 ZUSAMMENFASSUNG DER WISSENSCHAFTLICHEN ERGEBNISDISKUSSION Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die hier vorliegenden Ergebnisse die in der Theorie postulierten Befunde und Charakteristiken bezüglich spezifischer Erfahrungen und Situationen von Kindern, die in alkoholbelasteten Familien leben, bestätigen. Darüber hinaus konnten, insbesondere in Bezug auf Kinder unbehandelter Eltern und Kinder komorbider Eltern zahlreiche relevante neue Ergebnisse erzielt werden. In Bezug auf Entwicklungsrisiken äußerten die KvA häufiger Wünsche in Bezug auf die Reduktion des elterlichen Trinkens, nahmen die durch Alkohol geprägte Situation zuhause eher als störend und die eigene Entwicklung beeinträchtigend war, erlebten mehr Gewalt und teilweise mehr Vernachlässigung, beschrieben sich als nervös und ängstlich und zeigten mehr co-abhängiges Verhalten. Kinder alkoholbelasteter Eltern leben häufiger in Familien, die über ein nur geringes Haushaltsbudget verfügen. Sie leiden häufiger unter affektiven und expressiven Störungen und erleben Schulschwierigkeiten aufgrund der elterlichen Alkoholproblematik. KvA zeichnen sich durch eine negative Selbstbewertung und eine verminderte allgemeine Lebenszufriedenheit aus. Zudem erleben sie häufiger elterliche Auseinandersetzungen und eine belastende Familienatmosphäre. Auf der anderen Seite konnten auch schützende Elemente in der Erfahrungswelt der KvA gefunden werden, wie z. B. gute Geschwisterbeziehungen, kreative Potenziale, die Wahrnehmung der familiären Umwelt als Herausforderung, stabile Kontrollüberzeugungen, positive Selbstwirksamkeitserwartungen und angemessene Bewältigungsmechanismen. Den Ergebnissen in Bezug auf den Behandlungsstatus der Eltern konnten einige hoch interessante Resultate entnommen werden: So waren es beispielsweise die Kinder unbehandelter Eltern, die von der Tendenz her über mehr Gewalterfahrungen in der Familie berichteten. Sie beschrieben sich außerdem als depressiver und grüblerischer als die Kinder behandelter Eltern und die Kinder der Kontrollgruppe. Außerdem wiesen sie im Unterschied zu beiden Vergleichsgruppen die ungünstigeren soziodemographischen Bedingungen auf: Sie leben häufiger in unvollständigen Familien, die Väter sind in größerem Umfang von Arbeitslosigkeit betroffen und das zur Verfügung stehende Haushaltseinkommen ist geringer. Insgesamt ist die Lage der Kinder unbehandelter suchtbelasteter Eltern stärker von Deprivation, Stress und psychischem Druck gekennzeichnet. Dass es andererseits die Kinder behandelter Eltern sind, die den elterlichen Alkoholkonsum als schlimmstes Ereignis beschrieben, mag an einer schon gewachsenen größeren Offenheit und Reflexion liegen. In vielerlei Hinsicht ist die Unterteilung des Behandlungsstatus in behandelt und unbehandelt jedoch noch zu grob, so dass bisweilen keine Unterschiede zwischen den Gruppen gefunden werden konnten oder sich diese erst unter Berücksichtigung weiterer differenzierender Merkmale (z.B. Expositionszeit, erfolgreiche vs. erfolglose Behandlung, Geschlecht des suchtbelasteten Elternteils, Komorbidität) ergaben. Dass selbst die Kinder unbehandelter Eltern in wenigstens zwei Subgruppen unterteilt werden müs-

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sen, zeigt die Berücksichtigung der Moderatorvariablen „Expositionszeit“. Hier sind es 43% dieser Kinder, die bereits eine Expositionszeit von mehr als 4 Jahren erlebt haben, was sich in deutlich schlechteren Werten für psychische Gesundheit und soziale Situation widerspiegelt. Da weitere Faktoren das Erleben der Kinder beeinflussen, sollte neben der durchaus wichtigen Behandlungsstatus-Variable der Eltern in zukünftigen Studien bereits bei der Rekrutierung der Kinder die hier angedachten Faktoren und möglicherweise auch weitere Faktoren berücksichtigt werden. Dies erscheint allerdings bei der Schwierigkeit der Rekrutierung, die im nächsten Kapitel noch einmal beleuchtet werden soll, zumindest für die Kinder Unbehandelter als äußerst schwierig, und rechtfertigt das in der Studie gewählte explorative Vorgehen in die schwierige familienbezogene Thematik. Um zusätzliche Variablen beachten zu können, wären an einigen Punkten die direkten Informationen durch die Eltern unerlässlich und wünschenswert. Hier böte sich zunächst die Erfassung von Daten im Kontext minimaler oder kurzer Interventionen (z.B. in der Arztpraxis, während der Entzugsbehandlung) an, da dann im Unterschied zum Kontext völliger Unerfahrenheit oder Unwilligkeit („pre-contemplation“ im Sinne von PROCHASKA & DICLEMENTE, 1982) wenigstens eine ansatzweise Mitwirkungsbereitschaft der betroffenen Eltern geweckt bzw. erwartet werden kann. Ein weiteres wichtiges Ergebnis in Bezug auf die Kinder unbehandelter suchtbelasteter Eltern ist in dem geringeren Zugang dieser Kinder zu psychosozialen und/oder psychiatrischen Hilfen zu sehen. Offenbar ist es gerade die Behandlung der Eltern, die auch den Kindern in gewissem Umfang die Tür zu notwendigen Hilfen öffnet, wie an der Gruppe der Kinder behandelter Eltern erkennbar ist. Diese haben immerhin eine um 50 % höhere Behandlungserfahrung (36 % vs. 23 %) als die Kinder unbehandelter suchtbelasteter Eltern. Als ein weiteres Ergebnis unserer Studie ist festzuhalten, dass es besonders die Kinder komorbid erkrankter Eltern sind, die in einer Vielzahl von Bereichen Beeinträchtigungen zeigen (z. B. hohe Neurotizismuswerte, stark co-abhängiges Verhalten, negatives Selbstwertgefühl, geringe Lebenszufriedenheit). Diese Kinder sind ängstlicher, unzufriedener, weisen mehr Stress- und Abhängigkeitssymptome als andere Kinder auf. Die Komorbidität der suchtbelasteten Eltern, die sich vor allem in Depressionen, Angst- und Persönlichkeitsstörungen äußert, beeinflusst die Kinder stärker und negativer als es eine (isolierte) Störung vermag. Nicht von ungefähr wird etwa in einer Expertise für die britische Regierung (CLEAVER ET AL., 1999) von der Pathologietrias hinsichtlich der malignen Auswirkungen familiärer Lebensbedingungen im Umfeld von Sucht, Gewalt und psychischen Störungen gesprochen. Die Gruppe der Kinder komorbid erkrankter Eltern kann aufgrund unserer Ergebnisse eindeutig als eine Hochrisikogruppe innerhalb der Risikogruppe der KvA angesehen werden und bedarf deutlich stärkerer Anstrengungen von Seiten der Forschung wie auch der Hilfepraxis. Bei der Diskussion der Ergebnisse ist immer wieder auf die große Heterogenität der untersuchten Gruppe aufmerksam zu machen. Die Kinder beziehen sich bei der Beschreibung des elterlichen Alkoholkonsums als Problem auf äußerst unterschiedliche Erfahrungen, die im Folgenden nochmals zusammenfassend dargestellt sind.

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5.2.1 SPEZIELLE ASPEKTE DER ERHEBUNGSTECHNIK UND STICHPROBENGEWINNUNG In diesem Abschnitt werden die im Verlauf der Untersuchung gewonnenen Erfahrungen hinsichtlich der gewählten Erhebungstechnik und der Stichprobenmerkmale diskutiert. Von besonderer Wichtigkeit erscheint das Ergebnis, dass die Unterteilung der KvA nach Behandlungsmerkmalen der Eltern (unbehandelt vs. behandelt) eine Reihe relevanter Unterschiede erbrachte, dass aber weiter differenzierende Merkmale (z. B. Komorbidität, Dauer der Exposition) die Gesamtgruppe der KvA weiter aufschlüsseln und in ihrer Heterogenität abbilden sollen. Variabilität der akuten Problematik Die berichteten elterlichen Trinkprobleme sind zum Befragungszeitpunkt teilweise akut und aktuell ungeklärt, teilweise liegen sie Jahre zurück und haben sich in der Zwischenzeit ‚zum Guten gewendet‘, d. h. der Elternteil hat das problematische Trinken reduziert oder eingestellt. Teilweise sind die Probleme subakut, wie z. B. bei einem Mädchen, das berichtet, dass der Vater einmal im Monat mit Freunden in der Kneipe trinkt, dann ganz verändert und leicht angetrunken nach Hause zurückkehrt und sie sich vor ihm ekelt, ansonsten aber der Alkoholkonsum des Vaters kein Problem darstellt. Das häufig als normal angenommene und nie korrigierend beeinflusste Familienleben mit Alkohol wird manchen Kindern erst als „unnormal“ bewusst, wenn sie selber erste Erfahrungen mit Alkohol machen und Suchtmittel erstmalig zum Gesprächsthema mit Gleichaltrigen werden. Offenheit gegenüber der Problematik Die Offenheit, mit der über die elterliche Alkoholproblematik während der Datenerhebung der vorliegenden Studie gesprochen werden konnte, war bei den untersuchten Kindern höchst unterschiedlich ausgeprägt. Zeigten einige der Interviewpartner eine geradezu schonungslose Offenheit im Umgang mit der Problematik, konnten und/oder wollten andere den Alkoholkonsum der Eltern nur sehr undeutlich beschreiben. Dabei sind bewusste und unbewusste Vorgänge beteiligt. Sicherlich wurden einige Angaben zum Alkoholkonsum der Eltern im Interview bewusst - sei es aus Scham- oder Schuldgefühlen oder Profilierungstendenzen heraus - verfälscht, d. h. unter- oder auch übertrieben. Einige der Kinder legten besonderen Wert darauf, dass der elterliche Konsum nicht wirklich ein Problem sei - betrachtet man jedoch die berichteten Trinkmengen, die Antworten des Kindes im CAST-Fragebogen und nimmt man die teilweise vorhandene Information hinzu, dass der betreffende Elternteil sich schon einmal oder mehrfach in einer Entwöhnungsbehandlung befunden hat, so scheint zumindest in manchen Fällen ein grenzwertiger Umgang mit Alkohol zumindest erreicht. Doch wird bei diesen Überlegungen gleichzeitig ein anderer Aspekt deutlich: Möglicherweise trifft die Aussage von alkoholmissbrauchenden Eltern „Mein Kind hat nichts mitbekommen!“, die durch Aussagen der Kinder eindeutig widerlegbar ist, nur auf einen bestimmten Teil des Alkoholproblems zu, nämlich der genauen Trinkmenge, -frequenz und Alkoholsorten. Hier wurde deutlich, dass auch die am offensten und auskunftsbereitesten erscheinenden Kinder, zu dem genauen Konsummuster oftmals keine Aussagen machen konnten. Dies mag zum einen an versteckten und verdeckten Trinkgewohnheiten der Eltern liegen (z. B. jeden Abend nach der Arbeit in der Kneipe; nur im Arbeitszimmer; nur im Keller in der Heimwerkstatt), zum anderen spielen auch unbewusste Gedächtnisprozesse der Kinder eine Rolle: Der Zugang zu Gedächtnisinhalten, die sich auf eine andere Person (Elternteil) beziehen, kann verzerrt sein. Gerade die Frage nach der Expositionsdauer, wo die

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Antworten teilweise mehrere Jahre betrugen, und vom Zeitraum der Erinnerung bis in die frühe und mittlere Kindheit der Interviewpartner hineinreichten, scheint für diese Art der Verzerrung sehr anfällig. Weitere unbewusste Prozesse, die im Rahmen der Beeinflussung von Forschungsinhalten häufig diskutiert werden und bei einem mit Tabus belegtem Thema besonders zum Tragen kommen, sind Prozesse der Verdrängung, der Bagatellisierung und des Ungeschehenmachens. Bezüglich der Offenheit der Kinder sollte ein weiterer studienspezifischer Punkt nicht unerwähnt bleiben. Zwar waren die über die Schulen- und Heimstrategien ermittelten Kinder anhand des Screeningbogens bereits mit einer Frage zum elterlichen Alkoholkonsum konfrontiert worden und hatten mit ihrer Zustimmung zum Interview angegeben, dass sie bereit waren, die Inhalte des Screeningbogens - und somit auch die Fragen zum elterlichen Konsum - zu vertiefen, dennoch lässt sich nicht ausschließen, dass der Rahmen des Interviews mit einem bisher unbekannten Gesprächspartner an einem öffentlichen Ort den Offenheitsgrad zusätzlich eingeschränkt haben mag. Da das Interview jedoch einen Zeitraum von mehreren Stunden umfasste und in Form von Genogrammarbeit und offenen Fragen noch zusätzliche Informationen erhoben wurden, können die Daten mit hoher Sicherheit als valide in Bezug auf die Einschätzung des elterlichen Alkoholkonsums betrachtet werden. Hinzu kommt, dass das Interview von seiner „internen Dramaturgie“ auf diese mitbedachten Faktoren zugeschnitten war (z. B. Einstieg mit wenig intensiven Fragen zum Freizeitverhalten) und die Möglichkeit der Nichtbeantwortung der Fragen zum Konsumteil der Eltern offen ließ. Es wurde somit versucht, die Verhaltensspielräume der interviewten Kinder so breit wie möglich zu lassen und die Möglichkeit für maximale Offenheit zu geben. Familienstruktur Dass in recht unterschiedlichen Kontexten Interviewkinder rekrutiert wurden, lässt sich nicht zuletzt an den vorkommenden Familienstrukturen nachvollziehen. Es finden sich vierköpfige Mittelstandsfamilien mit geregeltem gutem Einkommen, in denen das wochenendliche Trinken der Mutter als störend empfunden wird versus Interviewkinder, die über Jahre keinen Kontakt zum gewaltbereiten und sich aktuell im Gefängnis befindlichen Vater haben, da die Familie zerrüttet ist und die Kinder im Heim untergebracht wurden. Die schillernden Facetten der Alkoholproblematik für die Betroffenen spiegeln sich in der Erfahrungswelt ihrer Kinder ebenso wider. Die Familienstruktur war auch insofern betroffen, als einige Kinder ihre Väter wegen tödlicher Folgekrankheiten der Alkoholproblematik schon verloren hatten. Unterschiedlichkeit der Konsumstile Wie mehrfach betont, ist die Art des Alkoholtrinkens im missbräuchlichen oder abhängigen Sinne eine individuell variierende. So berichten die Interviewkinder über ihre Eltern von unterschiedlichen Trinktypen, vom Gelegenheitstrinker ohne Kontrollverlust bis zum täglichen Rauschtrinker. Gemäß dem in der Studie erfassten Challenge-Modell entscheidet einzig und allein die Interpretation durch das betroffene Kind, ob es über das Alkoholtrinken, in welchem Stil auch immer, als Problem berichtet. So machte sich ein Kind, welches dem Alkoholproblem gegenüber sensibilisiert war, über das allabendliche Rotweintrinken der Mutter Sorgen, weil es ja demnächst mal ein „echtes Problem“ werden könnte. Dies bedeutet, dass schon der Gedanke, die Mutter könne abhängig werden und andere die Kontrolle über den Konsum verlie-

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KAPITEL 5

Diskussion und Schlussfolgerungen

ren, für ein Kind ein Problem darstellen könnte. Für andere Kind hat sich lebensgeschichtlich eine Problemwahrnehmungsschwelle an Stelle entwickelt, wo sich das Verhalten des alkoholabhängigen Vaters dramatisch verändert hat, etwa in Richtung häuslicher Gewalt. Weiterhin gaben Interviewkinder an, sie seien zwar erleichtert, dass der trinkende Vater nun aufgrund des Aufenthalts in einer Entwöhnungsklinik erst einmal nicht mehr zu Hause lebe, machten sich aber gleichzeitig große Sorgen, ob er so stark und willenskräftig sei, die Abstinenz auch nach der Rückkehr weiterhin durchzuhalten. Unterschiede im Behandlungsstatus Ein Hauptaugenmerk der vorliegenden Studie war auf den aktuellen Behandlungsstatus der von der Alkoholproblematik ihrer Eltern betroffenen Kinder gerichtet. Die aus der anfänglichen Zweiteilung resultierenden Gruppen der KvA in diejenigen, die mit einem unbehandelten Elternteil und die, die mit einem behandelten Elternteil zusammenleben, erwiesen sich in ihrer Binnenstruktur als nützlich, aber in sich noch als äußerst heterogen (s. Kapitel 3). Zunächst unterscheiden sich die Behandelten in der Form, welche konkrete Behandlung sie erhielten. Hier wurde hauptsächlich in Entwöhnungskliniken und Selbsthilfegruppen nach Interviewkindern gesucht. Die Kontaktaufnahme zu niedergelassenen Psychotherapeuten erbrachte keinen Erfolg, da bei diesen zu wenige behandelte Fälle dokumentiert waren oder die Psychotherapeuten die Zusammenarbeit als zu aufwändig empfanden. Kontakte mit qualifizierten Entzugseinrichtungen konnten erfolgreich aufgebaut werden, erbrachten aber im Projektzeitraum noch keinen Zugang zu betroffenen Kindern. Dieser Zugang erscheint jedoch für die Zukunft hoch relevant und sollte gerade im Sinne der Frühintervention weiter verfolgt und intensiviert werden. Möglicherweise muss das Thema der KvA erst in das Problembewusstsein der Mitarbeiter in diesem Bereich verankert werden. Gleiches gilt für die Mehrzahl der niedergelassenen Ärzte. Für ein Kind stellt der Behandlungsstatus und die Behandlungsform der Eltern ein relevantes Thema dar, da es sich einerseits um eine monatlange mit Klinikaufenthalt verbundene Zäsur im Kontakt mit dem Elternteil handeln kann, andererseits aber im ambulanten Kontext auch nur um die einmal in der Woche stattfindende abendliche Abwesenheit. Auch die Tatsache, dass mehrere Entgiftungen und damit verbundene Hoffnungen auf Änderung des Zustands zu Hause, aufeinander folgen und immer wieder von Rückfällen begleitet werden, ist für ein Kind anders zu verarbeiten als ein einmaliger Entwöhnungsaufenthalt mit anschließender ambulanter Therapie. Auch der Behandlungsstatus der mitbetroffenen Kinder unterscheidet sich beträchtlich. Während Kinder, deren Eltern in Kliniken mit entsprechenden Kinder- und Jugendseminaren behandelt wurden oder deren Eltern in Selbsthilfegruppen aktiv sind, einfacher Kontakt zu eigenen Hilfemöglichkeiten herstellen können oder hergestellt bekommen, sind Kinder, bei denen ein Kontakt zum Hilfesystem durch die Eltern bisher in keiner Weise stattgefunden hat, wesentlich weiter vom Zugang zu kindgerechten Hilfen entfernt. Hinter der Behandlungsunerfahrenheit oder –verweigerung der Eltern verbirgt sich also für die Kinder ein doppelter Nachteil: Zum Einen erleiden sie mehr negative Faktoren (z.B. Gewalt, familiäre Zerrüttung, finanzielle Deprivation), zum Anderen sind sie selbst bezüglich des Zugangs zu hilfreichen Interventionen stärker benachteiligt. Es hat sich gezeigt, dass die Kinder teilweise den Gedanken an von außerhalb der Familie kommende Hilfe für ihre Situation gar nicht kennen oder

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Diskussion und Schlussfolgerungen

zu äußern wagen. Einige scheinen auch der Auffassung zu sein, dass das elterliche Alkoholproblem nicht zu behandeln sei oder nicht ernsthaft genug sei, behandelt zu werden und somit eigene Schwierigkeiten, die durch das elterliche Trinken erst entstehen, auch nicht behandelbar seien oder nicht „schlimm“ genug, um Behandlung erfahren zu müssen. Es besteht mithin ein größeres Chronifizierungsrisiko für die Störungsmerkmale dieser Kinder, die sich im Lebensaltersbereich, in dem unsere Untersuchung stattfand, überwiegend noch in einer Frühphase waren. Da nur Kinder in die Stichproben einbezogen wurden, die angegeben hatten, dass das Alkoholtrinken eines Elternteils schon einmal in ihrem Leben ein Problem dargestellt hatte bzw. dass sie sich schon einmal gewünscht hatten, dass ein Elternteil den Alkoholkonsum reduzieren möge, wird vor dem Hintergrund der obigen Ausführungen deutlich, dass der Vorgang der Wahrnehmung des Alkoholkonsums als Problem von sehr unterschiedlichen Ausgangsbedingungen seinen Verlauf nimmt. Wie die überraschend niedrige Relation zwischen der Zahl der Kinder, die am Screening in den Schulen teilgenommen hatten und die ein elterliches Alkohol- oder Suchtproblem berichteten, zeigt, ist davon auszugehen, dass ein Vielzahl potenziell betroffener Kinder die familiäre Problematik nicht bewusst wahrnehmen, sie verzerren oder die mit hoher Wahrscheinlichkeit auftretenden Probleme anderweitig attribuieren. Diese Verzerrungs- und Tabuisierungstechniken bergen weitere Probleme in sich, z. B. das der unrealistischen Selbstbeschuldigung, der Entwicklung eines negativen Selbstbildes und autoaggressiver Tendenzen.

5.2.2 METHODISCHE PROBLEME DER STUDIE Die im Folgenden dargestellten methodischen Probleme der durchgeführten Forschungsstudie und die daraus abgeleiteten Empfehlungen für zukünftige Forschungsprojekte im Bereich Kinder von Suchtkranken geben deutliche Hinweise auf die Notwendigkeit, dass weitere Analysen unter Einbeziehung eines qualitativen Erhebungsinstruments und größerer Stichproben sowie vor allem längsschnittlich angelegter Untersuchungen angeschlossen werden sollten, um nachhaltige und differenziertere Aussagen machen zu können. In diesem Zusammenhang ist anzumerken, dass das in unserer Untersuchung verwendete Querschnittsdesign zwar Zusammenhangsaussagen zulässt, Aussagen zu Ursache-Wirkungsbeziehungen jedoch nicht gemacht werden können. So ist z. B. unklar, inwieweit Unterschiede zwischen Kindern, die aus suchtbelasteten Elternhäusern stammen, und Kindern, die in nicht suchtbelasteten Familien aufwachsen, direkt auf die Abhängigkeitserkrankung zurückgeführt werden können. Denkbar wäre auch eine Erklärung über „Drittvariablen“, z.B. sozioökonomische bzw. psychosoziale Variablen, die als Moderator- oder Mediatorvariablen Einfluss auf die Ergebnisse nehmen können. Die Kontrolle konfundierender Einflüsse gehört somit zu den wichtigsten methodischen Problemen im Feld kindlicher psychosozialer Entwicklungsauffälligkeiten, denn kovariierende Faktoren, wie beispielsweise die Familienstruktur, können selbst sehr starke Risikofaktoren für negative Entwicklungen darstellen. Des Weiteren wurden in unserer Studie wegen der in den Untergruppen sehr geringen Fallzahlen nur vereinzelt geschlechts- und altersspezifische statistische Auswertungen vorgenommen. Somit stehen Aussagen zu differenzierten alters- und geschlechtsspezifischen Unterschieden noch aus. Zudem konnte aus demselben Grund eine Trennung zwischen Effekten mütterlicher und väterlicher Abhängigkeit nur vereinzelt vorgenommen werden.

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Diskussion und Schlussfolgerungen

Bei den Stichproben handelt es sich um vergleichsweise kleine Gruppen. Bei der Gruppe der Kinder, die aus suchtunauffälligen Familien stammen, kann von einer Kontrollgruppe mit genügend unterschiedlich ausgeprägtem Verhalten gesprochen werden, da sie in ihrer Gruppenstruktur der KvA-Stichprobe entspricht (im Durchschnitt gleiche Alters- und Geschlechtsverteilung). Die Werte dieser Gruppe können somit für Vergleiche herangezogen werden. Die größtenteils eigene Entwicklung des eingesetzten Erhebungsinventars ergab sich aus dem Umstand, dass für nichtklinische Stichproben („community samples“) wie der unseren im Feld der KvA standardisierte und geprüfte spezifische Instrumente fehlen. Die Konzeptionierung des Erhebungsinstruments als teil-strukturiertes Interview, verbunden mit standardisierten Fragebögen von hoher psychometrischer Qualität, entspricht den Forderungen nach einem bereichsspezifischen und sensitiven Instrument in der spezifischen Anwendung im Bereich von Kindern von Suchtklienten und kann als nützliches und praktikables Instrument zur Erreichung der Untersuchungsziele gewertet werden. Das Erhebungsinstrument sollte allerdings in großen Teilen weiteren Validitätsüberprüfungen unterzogen werden. Die mitgeteilten Befunde beschränken sich ausschließlich auf Selbstaussagen, also auf die subjektive Widerspiegelung von Erlebnissen und Aussagen der befragten Kinder hinsichtlich ihrer eigenen Person und hinsichtlich ihrer Eltern. Insofern konnten im Rahmen dieser Studie keinen weiteren Validitätsbelege erlangt werden. Die Daten zum Alkoholkonsum der Eltern beziehen sich in der Gruppe der Kinder unbehandelter Eltern ausschließlich auf die subjektiven Angaben der Kinder. Natürlich wären gerade in weiteren Studien Daten, die direkt von den Eltern erhoben werden, wünschenswert und von allergrößtem Interesse. Die diesbezügliche Datenerhebung ist innerhalb unserer Studie aus Kostengründen unterblieben. Eine vergleichende Bewertung der verwendeten unterschiedlichen diagnostischen Verfahren und Empfehlungen zur Anwendung dieser Verfahren hinsichtlich ihrer diagnostischen Wertigkeit relativ zueinander kann und soll hier jedoch nicht vorgenommen werden. Nach wie vor erscheint die frühzeitige Entdeckung von auf elterliches Suchtverhalten zurückzuführenden Auffälligkeiten und Entwicklungsschwierigkeiten bei Kindern und Jugendlichen unverändert als ein Hauptziel weiterer Entwicklungen spezieller diagnostischer Instrumente. Hieraus ableitbar ist eine Verbesserung der darauf ausgerichteten personenbezogenen Interventionen, die zum Ziel haben, gefährdende Verhaltensweisen ab- und fördernde Verhaltens- und Erlebensweisen aufzubauen. Es kann jedoch festgehalten werden, dass insbesondere das verwendete Verfahren zur Persönlichkeitsdiagnostik sich wenig sensibel für die Entwicklungsrisiken der KvA erwies. Hier könnten in Zukunft alternative Verfahren, wie z.B. das Tridimensional Personality Questionnaire nach Clnoninger, das im Screeningbogen in Teilen Verwendung fand, in größerem Umfang eingesetzt werden. In weiterführenden Forschungsarbeiten zum Themenbereich „Kinder von Suchtkranken“ sollten folgende methodische Aspekte Berücksichtigung finden: •

Einsatz differenzierter Methoden: Die Befunde unserer Forschungsstudie ermutigen dazu, differenziertere Methoden bei der Erfassung von frühkindlichen Verhaltensauffälligkeiten im Umfeld von Suchtstörungen anzuwenden. Wie bereits erwähnt, handelt es sich gerade bei dem Zusammenspiel von Risiko- und Schutzfaktoren um hochverzweigte und vielschichtige Prozesse, die nur mit hochsensiblen Instrumenten und Tiefeninterviews entdeckt werden können. Unter methodischem Aspekt ist zu bedenken, wie die Diskriminierungsfähigkeit von Selbstbeschreibungsverfahren zwischen gefährdeten und nicht gefährdeten Kindern aus betroffenen Familien zu gewährleisten ist. Vorteilhaft erscheint hier eine bessere Differenzierungsfähigkeit vor allem in Extrembereichen. Zur Erfassung des eigenen Suchtmittelkonsums bei Jugendli-

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KAPITEL 5

Diskussion und Schlussfolgerungen chen aus Familien mit elterlicher Suchtproblematik könnten demnach verstärkt Selbstbeurteilungsverfahren eingesetzt werden, die nicht nur den Inhalt, sondern auch die Art und Weise, wie der Jugendliche über seine Suchterfahrungen reflektiert, berücksichtigen. Als weiteres Beispiel sei angeführt, dass eine qualitative Analyse der Inhalte, die nicht beantwortet wurden bzw. deren Beantwortung bewusst verweigert wurden, besonders bei jüngeren Befragten von klinischer Relevanz sein könnte. •

Qualitative Erhebungsinstrumente: Zur differenziellen Erfassung der Situation von Kindern, die in suchtbelasteten Familien aufwachsen, erscheint der zusätzliche Einsatz explorativer und qualitativer Verfahren vorteilhaft. Mit diesen könnte beispielsweise eine geschlechtsdifferenzierte Auswertung nach entwicklungspsychologischen Kriterien und nach Altersbereichen besser als mit standardisierten Fragebogenverfahren ermöglicht werden. Somit könnten auch Kinder jüngerer Altersgruppen (unter 11 Jahren) in die Befragung mit eingeschlossen werden. Dies ist für Studien und Praxisansätze im Bereich der Frühintervention nahezu zwingend. Wünschenswert wäre hier auch eine kindgerechtere Aufmachung der Items und Instrumente.



Prospektive Längsschnitt- und epidemiologische Studien: Eine prioritäre aus unseren Projekterfahrungen ableitbare Forderung ist der Bedarf nach einem Projekt zur Langzeitentwicklung von Kindern – vor allem unbehandelter - suchtkranker Eltern. Die meisten bisherigen Studien über die individuelle Widerstandskraft und protektiven Entwicklungsfaktoren von Kindern und Jugendlichen in betroffenen Familienumwelten sind über entwicklungspsychologisch recht kurze Zeiträume angelegt. Wie auch unsere Befunde zeigen, muss im Auge behalten werden, dass es „eine veränderliche Balance zwischen stresserzeugenden Lebensereignissen, welche die kindliche Vulnerabilität verstärken, und den protektiven Faktoren im Leben der Kinder gibt, die ihre Widerstandskraft stärken. Diese Balance kann sich mit jedem Lebensabschnitt verändern (....)“ (zit. n. Werner, 1997). Die Frage nach dem Zusammenspiel von Risiko- und Schutzfaktoren kindlicher Entwicklung und resilienten Eigenschaften in verschiedenen Entwicklungsstufen wäre insbesondere von Forschungsinteresse und könnte mit Hilfe von prospektiv angelegten Längsschnittstudien weiter aufgeklärt werden. Es bedarf nicht zuletzt epidemiologischer Langzeitstudien, um derartige Zusammenhänge klären zu können.

5 .3

ERREICHBARKEIT

VON

KINDERN SUCHTKRANKER

UND DEREN

ZUGANG

ZUM

HILFE-

SYST EM

Neben praxisbezogenen Fragen nach Leitlinien, welche Besonderheiten spezielle Hilfeangebote für Kinder aus alkoholbelasteten Familien aufweisen sollten (s. folgendes Kapitel 5.4), stellt sich auf einer übergeordneten Ebene die Frage, wie gerade auch Kinder Unbehandelter überhaupt zu erreichen sind und wie sie in Kontakt mit einem Hilfeangebot gebracht werden können. Diese weitestgehend ungelöste Problematik trat an anderen Stellen des vorliegenden Abschlussberichts bereits mehrfach auf und soll an dieser Stelle wegen der besonderen Relevanz ein weiteres Mal aufgegriffen werden. 5.3.1 STUDIENSPEZIFISCHE PROBLEME BEI DER VERMITTLUNG IN SPEZIFISCHE HILFEANGEBOTE

In der Planungsphase der vorliegenden Studie war beabsichtigt, einem Teil der interviewten Kinder und Jugendlichen eine Vermittlung in ein spezifisches ambulantes Hilfeangebot für Kinder aus suchtmittelbelasteten Familien anzubieten. Wie jedoch im Verlaufe der Studie sehr deutlich geworden ist, ist dies in keinem Fall möglich gewesen. Dies hatte verschiedene spezifische Gründe: 1. Damit wäre der wissenschaftliche Charakter der Studie, wie er den beteiligten Eltern und Kindern vermittelt wurde, um ihre Mitwirkungsbereitschaft zu erlangen, bei weitem überschritten worden. Es war nahe liegend anzunehmen, dass die Akquisition interviewbereiter Kinder dadurch noch schwieriger geworden wäre. Insbesondere der teilweise schon spürbare Widerstand der Eltern wäre um ein Vielfaches angewachsen. Dennoch erscheint es wünschenswert, gerade dieses Problem zu lösen, um den betroffenen Kindern in

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Diskussion und Schlussfolgerungen

Zukunft frühzeitiger Hilfeangebote bereitstellen zu können. Aus unserer Untersuchung soll daher der Vorschlag abgeleitet werden, Kindern minimal behandelter Eltern (z.B. in der ambulanten Arztpraxis oder im Entzug) ein frühinterventives regelhaftes Hilfeangebot zu machen. 2. Es erwies sich aufgrund der flächendeckend nicht vorhandenen Hilfeangebote nicht als möglich, selbst in Fällen, in denen von wenigstens einem Elternteil Bereitschaft zur Mitarbeit signalisiert wurde und auch das Kind an entsprechenden Hilfen interessiert war, Kinder inadäquate Angebote zu vermitteln. Hier ist ein Umdenken der Hilfepraxis und die Entwicklung flächendeckender Konzepte seitens der Jugend- und Suchthilfe zwingend erforderlich. Es sollte von den entsprechenden Verantwortlichen realisiert werden, dass es sich bei den KvA um die größte bekannte Risikogruppe hinsichtlich eigener Suchtgefährdung handelt. KvA sind daher als eine große, bislang in der Praxis weitgehend ungelöste Herausforderung der präventiven öffentlichen Gesundheitsvorsorge – und nicht als eine sekundäre, zu vernachlässigende Kleingruppe – anzusehen. Einige Interviewpartner haben – wie sie uns mitteilten - dieses forschungsbezogene Gespräch als Möglichkeit genutzt, zum ersten Mal in ihrem Leben über die elterliche Alkoholproblematik zu berichten. Wie auch die dänische Suchtforscherin ELSE CHRISTENSEN (1995) in der Beschreibung ihrer Erfahrungen mit Interviews mit Kindern Alkoholkranker betont, kann diese Möglichkeit des Aussprechens gegenüber einer neutralen und wertschätzenden Person schon einen helfenden Charakter haben, auch wenn das Interview als solches explizit nicht als ein weiter reichendes Hilfeangebot gedacht war und diese Aufgabe auch in keiner Weise erfüllen kann. Einen weiteren Problembereich bei der Vermittlung von Kindern in ein ambulantes Hilfeangebot stellt die unzureichende Verbreitung von Informationen zu möglichen Hilfen in der Öffentlichkeit, aber auch bei Fachkräften dar. So waren Therapeutinnen und Therapeuten der Fachkliniken während der Akquisitionsvorträge der Projektmitarbeiterinnen immer sehr daran interessiert, Adressen und weitere Informationen der existierenden Hilfeangebote zu erfahren. Ihrer Erfahrung nach ist behandelten Eltern oftmals sehr daran gelegen, ihren Kindern im Wohnort eine Hilfemöglichkeit zu bieten, was allzu oft an mangelnder Verbreitung der Angebote an sich, aber auch an mangelnder Weitergabe der Adressen und Ansprechpartnern scheitert. Diese Erfahrung weist auf ein generelles Problem hin, was in Zukunft gelöst werden sollte: Die Öffentlichkeitsarbeit zum Thema „Sucht und Familie“ müsste entscheidend verstärkt werden. Dies betrifft die allgemeine Öffentlichkeit genauso wie die Fachöffentlichkeit und den Kreis der Betroffenen. Nur mit einer intensiven Sensibilisierung der genannten Zielgruppen erscheint die Etablierung und Akzeptanz frühinterventiver Maßnahmen zum Wohle von KvA und ihren Familien möglich. 5.3.2 MÖGLICHKEITEN DER BEKANNTMACHUNG VON UND VERMITTLUNG IN SPEZIFISCHE ANGEBOTE Aufgrund der Schwierigkeiten, auf die wir im Rahmen der Studie gestoßen sind, können aus den Erfahrungen folgende Vorschläge abgeleitet werden: •

Die Einrichtung spezifischer Fach- und Koordinationsstellen zum Thema „Sucht und Familie“ zur Vernetzung von Anbietern und Nachfragenden erscheint eine

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sinnvolle und überfällige Idee. Solche auf Länderebene angesiedelten Fachstellen könnten sich vor allem die Öffentlichkeitsarbeit zur Aufgabe machen, so z. B. über Flyer und Poster auf die Problematik der Kinder weiter aufmerksam machen. Bemerkenswert in diesem Zusammenhang ist, wie wenig sich die bislang vorhandenen Fachstellen für Suchtprävention dieses Themas angenommen haben. Die zurzeit an der Katholischen Fachhochschule Nordrhein-Westfalen in Entstehung begriffene Internetseite „www.kidkit.de“ für Kinder Suchtkranker, welche durch Spendengelder der Aktion „Traurige Helden“ des Kölner Stadtanzeigers finanziert wird, widmet sich exemplarisch einigen dieser Aufgaben (z. B. Ausgabe von Adressen, Telefonnummern; Bewertung und Empfehlung von Literatur). Die Entwicklung dieser Website wurde wesentlich durch die Erfahrungen im Rahmen dieser Studie stimuliert. •

Ein weiterer wichtiger Punkt, der mit Hilfe des Mediums Internet zu erreichen sein könnte, ist der der ersten Kontaktaufnahme zu einem Hilfeangebot in Form von E-Mail-Beratung („e-counselling“). Wie beschrieben, war es im Rahmen unserer Forschungsarbeit schwierig, Kinder und Jugendliche auf eine potenzielle Hilfebedürftigkeit anzusprechen. Denkbar ist jedoch, dass gerade auch Kinder, deren Eltern keinerlei Kontakt zum Hilfesystem haben, über die anonyme Art des E-Mail-Schreibens und weiterer Aktivitäten (Chats, Foren) eine erste Annäherung wagen könnten. Eine nachfolgende Vermittlung in ein spezifisches Hilfeangebot wäre ein mögliches Ziel dieser Form von Beratung, die in Zukunft immer wichtiger werden wird. Diese Beratungsformen können natürlich auch mitbetroffene Elternteile und Professionelle aus den verschiedenen Hilfebereichen umfassen. Diese Internetseite bundesweit einem großen Publikum zugänglich und auch gerade dem Fachpersonal bekannt zu machen, so dass diese bei Bedarf die Internet-Adresse weiterreichen können, ist eine wichtige weiterführende Aufgabe.



Eine weitere Aufgabe stellt die Schulung und weitere Sensibilisierung von Fachpersonal und Personen, die täglichen Kontakt zu betroffenen Kindern haben, dar. Hier wäre sicherlich als eine erste Zielgruppe an Lehrer und Schulleiter zu denken, die sich unserer Erfahrung nach oft hilflos fühlen, sobald sie die Problematik eines Kindes überhaupt erkannt haben, was wiederum selbst meist sehr lange dauert. Da die Schule einen Ort darstellt, wo sich Kinder behandelter und unbehandelter Alkoholiker aufhalten, erscheint das Ermöglichen von Kontaktaufnahme in diesem Kontext als besonders wirkungsvoll. Ein schweigepflichtiger Ansprechpartner (z. B. Vertrauenslehrer), der für die spezielle Problematik der Kinder sensibilisiert und über mögliche Hilfen informiert ist, könnte einen ersten Anlaufpunkt für einen Betroffenen darstellen. Dabei ist es wichtig, dass es dem Kind ermöglicht wird, aktiv die Kontaktaufnahme zu gestalten und dass eine Stigmatisierung, z. B. durch eine Bekanntmachung des individuellen Problems im Klassenverband, wegen der möglichen gefährlichen Folgen einer solchen „Etikettierung“ in jedem Fall vermieden wird (s. auch BURK & SHER, 1988). Weitere betroffene Praxisbereiche sind auf jeden Fall der primärmedizinische Bereich (Hausärzte, Kinder- und Jugendärzte), die Jugendhilfe und die Suchthilfe sowie der öffentliche Gesundheitsdienst. Gerade die Jugendhilfe ist hinsichtlich des präventiven Kinder- und Jugendschutzes, der Abwendung von Gefahren für das Kindeswohl und der Hilfen für seelisch behinderte oder von Behinderung bedrohte Kinder und Jugendliche besonders gefordert. Hier wäre die Entwicklung manualisierter Basishilfen für die Mitarbeiter der Jugendhilfe ein erster Schritt in Richtung Etablierung von flächendeckenden Regelangeboten.

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5.3.3 SYSTEMATIK DER HILFEN FÜR KINDER SUCHTBELASTETER ELTERN Wichtig für die Fachöffentlichkeit und hilfebereiten Eltern ist ein Einblick in die vorhandenen und wünschenswerten Hilfen für KvA. An dieser Stelle wird daher ein Überblick zu den Hilfen, die sich bislang im internationalen und teilweise auch schon im nationalen Bereich entwickelt haben, gegeben. Aus den Ergebnissen unserer Untersuchung sind Weiterentwicklungen bezüglich der notwendigen Hilfen ableitbar, die dann in Kapitel 5.4 vorgestellt werden.

5.3.3.1 Unterstützung und Hilfen für Kinder von Suchtkranken

Wie unsere Untersuchung gezeigt hat, stellen Kinder von Suchtkranken eine hochgradig relevante Risikogruppe bezüglich der Entwicklung psychischer und sozialer Störungen dar. Sie unterscheiden sich hinsichtlich einer Vielzahl psychischer und sozialer Merkmale von den Kindern der Kontrollgruppe. Dies gilt in besonderem Maße für Kinder unbehandelter und/oder komorbider Eltern. Das Tabu, das lange Zeit bezüglich der Benennung und Identifikation der Gruppe der KvA als Risikogruppe herrschte, ist inzwischen eindeutig dem Interesse am Wohlergehen dieser Kinder und Jugendlichen und der Entwicklung frühzeitiger und effizienter Hilfen gewichen. Wie ein Blick in die Geschichte zeigt, standen Kinder von alkoholabhängigen Eltern in den letzten Jahrhunderten schon mehrfach im Fokus des Interesses der Öffentlichkeit und der helfenden Berufe (KLEIN, 1996). Die Problematik des Aufwachsens in einem Umfeld, das durch die Charakteristiken und Konsequenzen einer Suchterkrankung geprägt ist, kehrt mit einer regelmäßigen Zyklik in das Bewusstsein der Fachöffentlichkeit zurück. Nachdem zu Beginn des 18. Jahrhunderts in London im Rahmen der so genannten Gin-Epidemie zum ersten Mal in der Neuzeit die hohe Kindersterblichkeit im Gefolge des Alkoholmissbrauchs der Mütter thematisiert worden war (vgl. COFFEY, 1966), waren es die moralisierenden und belehrenden Bilder im ausgehenden 19. Jahrhundert, die in den europäischen und nordamerikanischen Staaten den Blick auf die oft ausweglose Situation der verarmten Familien lenkten, in denen die Trost- und Perspektivlosigkeit nur allzu oft von den Vätern und bisweilen auch den Müttern im Schnaps ertränkt wurden. Spezielle Hilfeleistungen für die Kinder von Suchtkranken waren bis zu dieser Zeit nicht bekannt. Erst die Abstinenzbewegungen des ausgehenden 19. Jahrhunderts widmeten sich dem Kinderthema. Drei Jahre nach ihrer Gründung im Jahre 1889 bildeten Guttempler 1892 ihre erste Kindergruppe mit dem Namen „Senfkorn“ (LINDEMANN ET AL., 1999). Nach dem Niedergang der Abstinenzbewegungen nach 1918 gerieten auch die frühen Hilfeansätze für Kinder von Alkoholikern wieder in Vergessenheit. Erst lange nach dem 2. Weltkrieg, etwa ab dem Jahr 1970, wurde das Thema wieder aufgegriffen, zunächst in den USA und in Skandinavien. Die Arbeiten aus der Praxis von BLACK (1988; englisch: 1982) und W EGSCHEIDER (1988; englisch: 1981) und die wissenschaftlichen Studien von NYLANDER (1960) und CORK (1969) belegen dieses langsam wieder wachsende Interesse. Dieses scheint durch die starke Zunahme der Zahl alkoholabhängiger Eltern ab der Mitte der 50 er Jahre motiviert zu sein. Wie meistens in der Sozial- und Kulturgeschichte standen zunächst die Erwachsenen und dann – zeitversetzt – die Kinder im Mittelpunkt des Interesses.

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5.3.3.2 Derzeitige Situation der Hilfen für Kinder von Suchtkranken

In der Bundesrepublik Deutschland wurde die Problematik der Kinder suchtkranker Eltern erst in den 80er Jahren allmählich thematisiert. So zählten die praktischen Ansätze in der Heilstätte Burgwald bei Darmstadt (EYRICH & LASK, 1987; LASK, 1992) sowie die Kinderseminare in der Mutter-Kind-Fachklinik in Altenkirchen zu Beginn der 70er Jahre zu den ersten auf die Kinder von Suchtkranken fokussierten Behandlungsangeboten in Deutschland. Im Jahre 1983 begannen in der Fachklinik Thommener Höhe die ersten wissenschaftlich begleiteten Kinder- und Jugendseminare (KLEIN, 1986; KLEIN & QUINTEN, 2002). Die Langzeitkatamnese zu diesen Interventionen erbrachten für die Kinder, deren Eltern nach der Entwöhnungsbehandlung langfristig abstinent lebten, gute Werte für psychosoziale Anpassung und seelische Gesundheit (KLEIN & QUINTEN, 2002). Im Rahmen von Fachtagungen und wissenschaftlichen Kongressen wurde das Thema im Laufe der 80er Jahre erstmals in den Mittelpunkt einzelner Beiträge gerückt (KLEIN, 1986; BRAKHOFF, 1987). Eine umfassende Würdigung und Bearbeitung des Themas steht in der Forschung jedoch noch bis auf wenige Ausnahmen (z. B. ZOBEL, 2000) aus. Eine genauere Betrachtung der derzeitigen Standards in der Prävention und Behandlung für Kinder von Suchtkranken (z. B. KLEIN, 2001; ZOBEL, 2000) macht deutlich, dass diese Personengruppe tatsächlich immer noch weitgehend vergessen wird. Im Bereich der ambulanten Suchthilfe waren es 1994 lediglich 9 % (alte Bundesländer) bzw. 14 % (neue Bundesländer) der Suchtberatungsstellen, die spezielle Gruppen für Kinder aus suchtbelasteten Familien anboten (SIMON & LEHNITZK-KELLER, 1995). Im Jahre 1998 weist der gleiche Bericht (SIMON & PALAZZETTI, 1999) über die ambulanten Suchtberatungsstellen in Deutschland (einrichtungsbezogenes Informationssystem EBIS) für die alten Bundesländer eine Zahl von 8 %, für die neuen von 15 % aus. Für die gesamte Bundesrepublik waren es im Jahre 1998 lediglich 10 % der Beratungsstellen, die ein Angebot für die Kinder ihrer Klienten vorgehalten haben. Die Verhältnisse bezüglich spezieller Angebote für Kinder aus suchtbelasteten Familien durch die ambulante Suchthilfe haben sich also in den letzten Jahren nicht entscheidend verbessert. Dabei ist in der EBIS-Statistik im Falle von grundsätzlichen Angeboten weder zu erkennen, welchen Umfang in der gesamten Arbeit dieser Beratungsstellen die Angebote für Kinder ausmachen noch welcher Qualität diese Angebote sind. Nur eine einzige Suchtberatungsstelle in Deutschland (Freiburg) bietet Hilfen für Kinder aus suchtbelasteten Familien bisher als dauerfinanziertes Regelangebot der Suchthilfe an (DILGER, 1994). Andere gezielte Angebote für Kinder von Suchtkranken, z. B. aus dem Bereich der Jugendhilfe, der Erziehungsberatung, dem Kindergarten, dem schulischen Sektor oder der Kinder- und Jugendpsychiatrie sind selten und nur unsystematisch dokumentiert. Auch im Bereich stationärer Dienste sind solche Spezialisierungen selten (vgl. KLEIN, 1986, 1996). Selbst in ausgewiesenen Suchtpräventionsprogrammen ist von der speziellen Gruppe der Kinder von Suchtkranken selten, oft gar nicht, die Rede, obwohl sie die größte bekannte Risikogruppe für die Entwicklung einer Suchtstörung darstellt. Insbesondere allein erziehende suchtkranke Mütter oder Väter (letztere sind jedoch sehr selten) können in einen verhängnisvollen Kreislauf aus Überforderung und Stress mit der Erziehung ihrer Kinder auf der einen und Verschärfung ihrer Suchtsymptome auf der anderen Seite geraten. Hier dürfte die Überforderungsschwelle für die Mütter und Kinder sehr schnell erreicht und für die Kinder ein besonderes Risiko bestehen, wenn die unvollständige Familie nicht adäquate psychosoziale Hilfe und Unterstützung

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erfährt. Auch die Autoren der EBIS-Statistik kommen daher zu einem eindeutigen Schluss: „Aus diesen Zahlen wird ersichtlich, dass zum einen spezielle Angebote für die Kinder von Abhängigen vermehrt bereitgestellt werden müssten, um in dieser Risikogruppe möglichst auch präventiv ansetzen zu können. Zum anderen ist auch der Situation der suchtkranken Eltern Rechnung zu tragen, die oft allein ihre Kinder großzuziehen versuchen, und das Angebot entsprechend zu erweitern“ (SIMON & PALAZETTI, 1999, S. 27).

5.3.3.3 Systematik der Hilfeangebote

Die Arbeitsansätze der Institutionen lassen sich grob wie folgt beschreiben: Die direkte Arbeit mit Kindern von Suchtkranken hat sich nach der klinischen Erfahrung der meisten Beteiligten, insbesondere der mit längerfristiger Erfahrung, als wichtig und wirksam erwiesen (vgl. ROBINSON & RHODEN, 1998). Hilfe für Kinder von Suchtkranken erfolgt in jenen Fällen, in denen nur ein Elternteil (i. d. R. der Angehörige) bereit ist, Hilfe anzunehmen, zum anderen – als unterstützende Maßnahme -, wenn die Eltern bereits eine Hilfeleistung erhalten. Wenn kein Elternteil bereit ist, Hilfe nachzusuchen, sieht das Erreichen der Kinder und Jugendlichen besonders schwierig aus und geschieht bei den im Folgenden aufgelisteten Institutionen nur in Ausnahmefällen. Im Einzelnen ist bei den Hilfeleistungen für Kinder von Suchtkranken zwischen Einzelund Gruppenarbeit mit den Kindern, begleitender Elternarbeit und freizeitpädagogischen Angeboten zu unterscheiden. Diese geschieht in der Regel im ambulanten Kontext (siehe z. B. DILGER, 1994; EHRENFRIED ET AL., 1998), kann aber auch in komplexeren Fällen halb- oder vollstationär, vor allem im Bereich der Kinder- und Jugendpsychiatrie, erfolgen. Die wichtigsten Prinzipien für Hilfen für Kinder von Alkoholabhängigen sind in der Frühzeitigkeit, der Dauerhaftigkeit und Vernetztheit der Maßnahmen in Bezug auf andere familienbezogene Hilfen zu sehen. Beispiele für einzelne Arbeitsbausteine Familienorientierte Arbeit: Der Anspruch dieser Arbeit besteht darin, mit möglichst vielen, im Idealfall allen, Familienmitgliedern ins Gespräch zu kommen. Dies gelingt am ehesten in Familien, in denen der abhängige Partner abstinent lebt. Nach den Erfahrungen der meisten Praxisprojekte ermöglicht die Abstinenz des betroffenen Abhängigen am ehesten die Verwirklichung eines familientherapeutischen Settings. In der Realität liegt der Schwerpunkt jedoch oft ausschließlich bei Mutter-Kind-Gesprächen. Die Begründung hierfür ist, dass zumeist die Väter vom Missbrauch betroffen sind und die Mütter einerseits meist unter Schuldgefühlen bezüglich der Entwicklung ihrer Kinder leiden und andererseits ein gutes Gespür für die Situation der eigenen Kinder haben und die Beratung eher aufsuchen als die Väter. Einzelfallhilfe/Fallarbeit mit den betroffenen Kindern: Bei dieser Arbeitsform erhalten die betroffenen Kinder in erster Linie sozialpädagogische Hilfen, um ihren Alltag leichter zu bewältigen. Es geht hier um das Erlernen neuer oder anderer Verhaltensweisen durch kreative und kulturpädagogische Methoden. Hierunter können auch kunst- und ausdruckspädagogische Ansätze verstanden werden. Vereinzelt werden auch Methoden aus der Körperwahrnehmung angeboten.

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KAPITEL 5

Diskussion und Schlussfolgerungen

Psychotherapie mit betroffenen Kindern und Jugendlichen: Für Kinder und Jugendliche aus einer suchtbelasteten Familie sind neben den sozialpädagogischen Hilfen bisweilen auch psychotherapeutische Hilfen nötig. Diese können der Verhaltenstherapie, der Gesprächspsychotherapie, der Tiefenpsychologie, der Spieltherapie oder einer anderen der führenden Therapieformen entstammen. In der Praxis werden oft integrative bzw. eklektische Ansätze verfolgt. Hierdurch soll das eigene Verhalten reflektiert und damit verstehbar gemacht werden. Die Auflösung irrationaler Schuldvorstellungen stellt eine wichtige Aufgabe im Rahmen dieser Angebote dar. Die Einübung neuer Verhaltensweisen gehört ebenfalls meist zu den Zielen der Therapie. Die Kinder und Jugendlichen weisen mit erhöhten Wahrscheinlichkeiten fast alle psychopathologischen Diagnosen auf (LACHNER & W ITTCHEN, 1997). Besonders häufig sind Angststörungen (insbesondere Sozialphobien, spezifische Phobien), affektive Störungen, Störungen des Sozialverhaltens, Aufmerksamkeits- und Konzentrationsstörungen sowie Essstörungen. Damit die Jugendlichen eine tragfähige Lebensperspektive und einen eigenständigen Sinn im Leben finden können, ist meist eine langfristige Arbeit auf der Basis einer vertrauensvollen Beziehung notwendig. Gruppenarbeit mit Kindern und Jugendlichen: Die Gruppenarbeit mit den betroffenen Kindern und Jugendlichen ist ein besonderer Schwerpunkt in vielen Institutionen. Die Zahl der teilnehmenden Kinder und Jugendlichen variiert zwischen vier und acht. Meist wird die Gruppe von zwei Fachkräften, idealerweise unterschiedlichen Geschlechts, geleitet. Dem permanenten Einsatz eines geschlechtsgemischten Betreuerteams liegt folgende Hypothese zugrunde: „Wenn Kinder und Jugendliche eine stabile Beziehung erleben, wenn ihnen Streit, Verständnis, Entstehen von Entscheidungen und Alltag vorgelebt werden, dann werden neue und andere Verhaltensweisen eher von den betroffenen Kindern und Jugendlichen umgesetzt“71. Kinder und Jugendliche sollen so Elternrollen neu erleben. Sie können kennen lernen, dass sich Erwachsene gegenseitig respektieren und dass sie ohne gegenseitige Entwertungen und Verletzungen miteinander agieren. Langfristiges Ziel dabei ist, dass die Kinder und Jugendlichen ihren Wahrnehmungen trauen, sich selbst besser bewerten und ihre Möglichkeiten, Interaktionen wirksam und positiv zu beeinflussen, kennen lernen. In der Gruppenarbeit ist die Verwirklichung gegenseitiger Unterstützung und sozialen Lernens sowie das Ausleben „gesunder“ und sinnstiftender Rituale (gemeinsames Zubereiten von Mahlzeiten, Gesprächsrunde) besonders gut möglich. Elterngespräche: Elterngespräche dienen dazu, die Mütter und Väter an den Entwicklungsprozessen der Kinder zu beteiligen, die Koordination der Hilfen zu optimieren und die Selbstreflexion zu verstärken. Wenn der suchtkranke Elternteil abstinent geworden ist, ist die Teilnahme beider Elternteile in der Praxis meist möglich. Aber auch für Eltern in besonders schwierigen Lebenslagen (z. B. Alleinerziehende, mit einem „nassen“ Partner zusammen Lebende) sind diese begleitenden Gespräche in der Regel sehr wichtig und hilfreich. Väter oder Mütter, die noch süchtig trinken oder Drogen nehmen, sind meist nicht bereit oder in der Lage, an solchen Angeboten teilzunehmen, obwohl dies von Seiten der Anbieter nicht kategorisch ausgeschlossen werden sollte.

71

aus dem Konzept „Kolibri 2000“ der Beratungsstelle des SKM, Bocholt.

150

KAPITEL 5

Diskussion und Schlussfolgerungen

Meist finden diese Elterngespräche ein- oder zweimal monatlich statt. Sehr oft werden diese Angebote zeitgleich mit den kinderbezogenen Angeboten durchgeführt. Manche Institutionen führen gemeinsame Gespräche mit Eltern und Jugendlichen durch. Oft werden von den Eltern konkrete Erziehungsfragen und –probleme angesprochen. Eine Vertiefung dieser und weiterer Fragen, die sich mehr auf die Eigenproblematiken der Eltern beziehen, geschieht ggf. im Beratungskontext der Suchtberatungsstelle. Wenn die Eltern die Kinder und Jugendlichen zu den Angeboten fahren, haben sich an einzelnen Standorten informelle „Elterntreffs“ etabliert, die von den Fachkräften bisweilen als hilfreich und konstruktiv empfunden werden. Es handelt sich dabei oft um eine niedrigschwellige, wenig formalisierte Form der Selbsthilfe. Dadurch kann ein – auch für die Kinder – wichtiges soziales Unterstützungsnetzwerk entstehen. Selbsthilfe: Selbsthilfeansätze für Kinder von Suchtkranken sind ab dem mittleren Jugendalter (16 Jahre) denkbar und in Ansätzen (z. B. Alateen, Guttempler-Jugend) vorhanden. Nach vorliegenden mündlichen Berichten von Betroffenen und Praktikern der Suchthilfe kranken diese Ansätze jedoch meist an mangelnder Kontinuität und Verbindlichkeit. Außerdem sind sie von der Motivation und den Fähigkeiten der jeweils Handelnden abhängig. Zusätzlich gibt es Selbsthilfegruppen für erwachsene Kinder suchtkranker Eltern (EKA- oder EKS-Gruppen). Auch diese sind bislang nicht sehr zahlreich vorhanden. Niedrigschwellige Hilfen: Besonders erfolgversprechend erscheinen niedrigschwellige Hilfeangebote für Kinder und Jugendliche aus suchtbelasteten Familien, insbesondere wenn es sich um Multiproblemfamilien handelt. Die hier teilweise vorhandenen Angebote der Jugendhilfe ermangeln meist einer Sensibilität für die spezifischen Probleme der suchtbelasteten Familien. Wenn es zu einer Anreicherung der Kompetenz der Jugendhilfe mit den hier beschriebenen Aspekten der familienorientierten Suchthilfe käme, könnte sich die Qualität und Effizienz der niedrigschwelligen Angebote deutlich erhöhen. Am besten wäre diese unter Einbeziehung nachgehender Sozialarbeit (Case Management), familientherapeutischer Arbeit und weiterer psychologischer Interventionsverfahren denkbar. Als Orte niedrigschwelliger Hilfen kommen besonders Kindertagesstätten, Schulen und Institutionen der offenen Jugendarbeit in Frage. Kinder- und Jugendpsychiatrie: Bei besonders schwer beeinträchtigten Kindern aus suchtbelasteten Familien, insbesondere solche mit Traumatisierungen, schweren Verhaltensstörungen, manifester Suizidalität u. ä., ist eine stationäre kinder- und jugendpsychiatrische Versorgung nötig. Diese sollte ebenfalls eng mit der Suchthilfe zusammenarbeiten und über ein ausreichendes Maß an suchtspezifischem Wissen verfügen. Nach einer stationären Phase können sich teilstationäre und ambulante Versorgung, meist mit psychotherapeutischer Behandlung, anschließen. In den meisten dieser Fälle wird eine Fremdunterbringung (Heim, Pflege, Adoption) indiziert sein. Die Kinder sollten so frühzeitig wie möglich versorgt werden, um die Chancen auf eine erfolgreiche Traumatherapie zu erhöhen. Multiplikatorenarbeit: Schwerpunkte der Multiplikatorenarbeit sind die Information, Sensibilisierung und Kompetenzförderung möglicher relevanter oder potenzieller Multiplikatoren. Als solche kommen Fachkräfte in Kindertagesstätten, Schulen, Erziehungsberatungsstellen und Jugendämtern (insbesondere ASD) in Frage. Auch Ärzte (insbesondere Hausärzte, Pädiater, Kinder- und Jugendpsychiater) sind wichti-

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KAPITEL 5

Diskussion und Schlussfolgerungen

ge Ansprechpartner. Spezielle Fachdienste (Kinderschutz, Opferhilfe, Gewaltprävention, frauenspezifische Angebote) sind wegen der komplexen Folgen der Suchtstörungen in Familien ebenfalls relevante Multiplikatoren.

5 .4

EMPFEHLUNGEN FÜR DIE GEBOTEN FÜR KVA

KÜNFTIGE

STRUKTUR VON HILFE-

UND

VERSORGUNGSAN-

Bewertet man die vorgestellten Erfahrungen und Forschungsergebnisse im Zusammenhang mit der Notwendigkeit der Verbesserung des Hilfezugangs und der Versorgungsstrukturen für Kinder von Suchtklienten, so ergeben sich einige strukturelle und interventionsbezogene Empfehlungen, die im Folgenden formuliert werden. Schlussfolgerungen für die Intervention sind dabei in jedem Fall unter zwei Aspekten abzuleiten: Es sollten sowohl direkte kinderbezogene Behandlungs- bzw. Hilfemaßnahmen als auch indirekte über die Abstinenzmotivation der betroffenen Eltern und über die Frühentdeckung (z. B. in Schulen) erfolgen. Beide Wege sollten sich idealerweise ergänzen, wenn eine flächendeckende optimale Versorgung hilfebedürftiger Kinder aus suchtbelasteten Familien erzielt werden soll.

(1)

Vorschläge für strukturelle Maßnahmen



Förderung des Vernetzungsstandes: Wie sich anhand unserer Akquisitionsbemühungen und Aktivitäten in der NRW-Region zeigte, ist der Informationsbedarf nach dem Umgang mit Kindern von Suchtkranken bei Fachleuten und in Suchteinrichtungen Tätigen äußerst groß. Es sollten deshalb zukunftsweisende Formen der fachlichen und informationellen Vernetzung, der Kooperation, des Erfahrungsaustausches und der Verbreitung der lokal bereits vorhandenen Hilfen, Wissensressourcen und Erfahrungsschätzen im Arbeitsbereich „Kinder aus suchtbelasteten Familien“ verstärkt unterstützt werden. Dazu bedarf es der Nutzung moderner Medien und Kommunikationsformen (vor allem Internet).



Sensibilisierung und Weiterbildung: Durch eine Sensibilisierung der Fachöffentlichkeit (Bildungs-, Gesundheitswesen sowie Sucht- und Jugendhilfe) und die Entwicklung und Umsetzung von Maßnahmen, die geeignet sind, frühzeitig Kontakte zu suchtgefährdeten Kindern und Jugendlichen aufzubauen, könnte eine frühzeitige Weitervermittlung auffälliger Kinder aus suchtbelasteten Familien an kompetente Hilfeeinrichtungen vorgenommen werden. Dazu sollten sich Fachkräfte verschiedener Einrichtungen der Situation von Kindern, die in Suchtfamilien aufwachsen, bewusst sein und ihre Interventionen differenziell auf deren Bedürfnisse abstimmen. Ihre Handlungskompetenz im Umgang mit betroffenen und gefährdeten Kindern könnte im Rahmen von Multiplikatorenschulungen gezielt gefördert werden. Das Thema der KvA ist ein idealer Bausteil zur Entwicklung von Wissensmanagementsystemen für Mitarbeiter der Suchthilfe und anderer Hilfebereiche.



Schulen: Angesichts der großen Gruppe der Kinder unbehandelter suchtbelasteter Eltern, die wir im Rahmen unserer Studie vor allem in Schulen entdecken konnten, und der möglichen negativen Auswirkungen des elterlichen problematischen Alkoholkonsums auf die Schulleistung und Aufmerksamkeit der Kinder gibt es einen dringenden Bedarf insbesondere an schulischen Hilfesystemen, die sensibel für mögliche elterliche Alkoholprobleme sind und konstruktive Schritte einleiten könnten. Ein Großteil des bekannten Schulversagens vieler KvA (NASTASI & DEZOLT, 1994) könnte durch solche Maßnahmen abgemildert oder verhindert werden. Es sollte sichergestellt werden, dass Schulen und andere Institutionen, die Kontakt mit Kindern haben, die notwendige Aus- bzw. Fortbildung erhalten, um Kinder aus Familien mit problematischem Alkoholkonsum zu erkennen und zu unterstützen. Die Hilfen für betroffene Kinder in den Schulen sollten niedrigschwellig, ggf. anonym und nicht stigmatisierend erfolgen.



Familientherapeutische Ausrichtung: Abgeleitet von dem Ergebnis, dass eine größtenteils intakte Familienstruktur ein prognostisch günstiger Ansatzpunkt im (therapeutischen) Hilfe-Prozess bietet, ergibt sich die Empfehlung, dass Hilfen und Versorgungsleistungen die Bedürfnisse aller Familienmitglieder und die Kinderbedürfnisse berücksichtigen. Sie sollten somit stärker familientherapeutisch ausgerichtet sein. In ei-

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KAPITEL 5

Diskussion und Schlussfolgerungen ner Familientherapie kann erreicht werden, dass das Verhalten der gesamten Familie geändert und jedem einzelnem Mitglied die nötige Unterstützung gegeben wird. •

Hilfen für Kinder unbehandelter Eltern: Rückschlüsse aus unseren Befunden und Erfahrungen mit Gesprächen mit den betroffenen Kindern, dem Klinikpersonal von Suchtfachkliniken und den Leitern von ambulanten Hilfeangeboten lassen vor allem eine zielgruppenbezogene Arbeit mit Kindern unbehandelter suchtbelasteter Eltern, die Elemente der vorsorgenden Gesundheitshilfe mit einschließt, als sinnvoll erscheinen. Die Hilfen für diese Kinder sind gerade wegen der bestehenden Abhängigkeit eines Elternteils notwendig, im optimalen Fall können diese im Einverständnis mit beiden Eltern oder einem Elternteil durchgeführt werden. Um insbesondere diese Zielgruppe zu erreichen, müssten Informationen über die verschiedenen vorhandenen Hilfestrukturen verstärkt den Kindern selber zugänglich gemacht werden, so dass jeder Einzelne weiß, an wen er sich wenden und wo er Informationen und Unterstützung bekommen kann. Hierfür sind wiederum Schulen, aber auch Jugendeinrichtungen, die allgemeinen Medien (Radio, TV) und das Internet denkbar. Bei der bekannten Größe der Zielgruppe ist die Benutzung massenmedialer Präventionsstrategien durchaus sinnvoll. Zudem zeigen unsere Erfahrungen, dass nachhaltige Akquisitionsbemühungen erforderlich scheinen, um die Zielgruppe effektiv zu erreichen.



Differenzielle Sichtweise: Kinder von Suchtkranken sind als eine heterogene Gruppe mit höchst unterschiedlichen Risiken und Ressourcen zu begreifen, bei denen ungünstige biopsychosoziale Entwicklungen mit hoher, belegter Wahrscheinlichkeit unmittelbar bevorstehen (primärpräventiver Aspekt) oder schon begonnen haben (sekundärpräventiver Aspekt) können. Besonders diejenigen Kinder, bei denen die Risiken die Ressourcen überwiegen, bedürfen der stärksten frühzeitigen Hilfen. Hierfür ist eine differenzielle Sichtweise unerlässlich. Nach unseren Befunden sind es insbesondere die Kinder unbehandelter suchtbelasteter Eltern mit langer Expositionszeit (> 4 Jahre) und die Kinder komorbider Eltern, die als Subgruppen mit Hochrisikopotenzial diese Hilfen brauchen.

(2) Vorschläge für Interventions- und Hilfeangebote Im Folgenden werden Vorschläge für Arbeitsansätze im Rahmen von Interventionsprogrammen zur Stärkung von Kindern gegeben, die benachteiligenden, riskanten Lebensbedingungen wie dem Aufwachsen in einer alkoholbelasteten Familie ausgesetzt sind. •

Leitlinien für hilfreiche Angebote: Programme für Kinder, die in Risikofamilien mit einer Alkoholbelastung aufwachsen, sollten im Sinne von Leitlinien umfassend, intensiv und flexibel ausgerichtet sein. Sie sollten den Kindern und ihren Familien einen möglichst langfristigen Zugang zu kompetenten und fürsorglichen Erwachsenen bieten, die als positive Rollenmodelle fungieren können. Von diesen können die Kinder Problemlösungsfähigkeiten lernen und durch diese ihre Kommunikationsfähigkeit und ihr Selbstwertgefühl verbessern. Denn gerade Kommunikations- und Problemlösungsfähigkeiten ebenso wie das Vorhandensein verantwortlicher, kompetenter Älterer – einschließlich Lehrer – spielen eine zentrale Rolle als protektive Faktoren in der Kindheit. In der Jugendzeit sind es internale Kontrollüberzeugungen und ein positives Selbstkonzept, welches die wichtigsten Schutzfaktoren ausmachen. Ein wichtiges Interventionsziel sollte deshalb die Steigerung des Problemlöserepertoires des Kindes, seines Selbstwertgefühls und seiner Handlungseffizienz sein.



Zielgruppenorientierung: Hilfreich scheint ein Angebot besonders dann zu sein, wenn die Art des Hilfeangebotes, die Bedingungen, unter denen es angeboten wird, und die Beziehung, die zur Familie gesucht wird, sich an den Bedürfnissen der Zielgruppe orientieren. Dies bedeutet ein flexibles Eingehen auf die jeweiligen Bedürfnislagen und Motive. So kann es für Kinder unbehandelter suchtbelasteter Eltern wichtig sein, in ihrem Selbstwertgefühl, ihrer Realitätswahrnehmung und hinsichtlich entlastender Kognitionen Unterstützung zu erfahren.



Resilienzförderung: Widerstandsfähige Jugendliche neigen dazu, sich auf Menschen in ihrer Nähe als Quelle emotionaler Unterstützung zu verlassen und bei diesen Rat und Trost in Krisenzeiten zu suchen. In Interventionen und Hilfeangeboten sollte den Kindern die Chance gegeben werden bzw. sie sollten dazu ermutigt werden, außerhalb ihrer Kernfamilien eine enge Bindung mit mindestens einer kompetenten und stabilen Person aufzubauen. Helfende können zudem den Kindern einen Sinn für Verantwortung und Fürsorge vorleben, ihre Hilfs- und Kooperationsbereitschaft belohnen und durch eigenes Beispiel ein Modell für die Überzeugung bieten, dass das Leben trotz der unvermeidbaren Belastungen eines jeden einen Sinn haben kann. Durch diese Erfahrungen können diese Kinder ein grundlegendes Vertrauen und in der Folge positive Selbstwirksamkeitserwartungen entwickeln.

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KAPITEL 5

Diskussion und Schlussfolgerungen



Multimethodale Kompetenzförderung: Die Kombination von Einzelgesprächen und Gruppenangeboten mit anderen, gleichbetroffenen Kindern sollte sich ergänzen. Das Hinzunehmen der Eltern in die Gruppenarbeit ist für die positive Entwicklung der Eltern-Kind-Beziehungen besonders wichtig. Zu fördern sind vor allem Maßnahmen, die zu einer wachsenden Elternkompetenz und damit zur Stärkung und Intensivierung der Eltern-Kind-Beziehungen führen.



Langfristigkeit der Hilfen: Interventionen und Hilfen sind möglichst auf längere Zeit anzulegen, weil dort, wo Betreuer und hilfebenötigende Kinder über lange Zeit miteinander in Kontakt sind, pädagogische Hilfen und therapeutische Behandlungen besonders fruchten.



Geschlechtssensibilität: Bei der Einführung von geschlechtsspezifischen Gruppen könnte ausführlicher und intensiver auf die Interessen und Probleme von Mädchen und Jungen eingegangen werden, als dies in geschlechtlich nicht getrennten Gruppen der Fall ist. So berichten Mädchen z. B. ausführlicher als Jungen über das Gefühl der Abhängigkeit und oft übertriebenem Umgang mit negativen Gefühlen, Sorgen und Kummer. Auch für den Themenbereich Körpergewicht und Essverhalten wären reine Mädchengruppen sicherlich von Vorteil, wenn mögliche Gespräche z. B. auch die Schwierigkeiten der Akzeptanz des eigenen Körpers mit einschließen. Jungen haben häufiger mit Aggressionen und Wut zu kämpfen. Sie zeigen oft eine starke Emotionsabwehr. Da mehr Väter als Mütter alkoholabhängig sind, fehlt gerade den betroffenen Jungen eine psychisch stabile, suchtfreie gleichgeschlechtliche Identifikationsperson.



Hochrisikoorientierung: Interventionsprogramme für KvA sollten sich auf die Kinder und Jugendlichen konzentrieren, die am meisten verletzbar erscheinen und das höchste Entwicklungsrisiko tragen. Zu diesen entwicklungspsychopathologischen Hochrisikogruppen gehören Kinder und Jugendliche aus alkoholbelasteten Familien, deren Eltern bzw. dessen betroffener Elternteil a) zusätzlich mit schweren psychopathologischen Problemen belastet sind/ist (Komorbidität) oder b) isoliert alleinerziehend ohne soziale Vernetzung lebt.



Wissens- und Informationsvermittlung: Wie sich in verschiedenen Bereichen der Psychotherapie gezeigt hat, sind psychoedukative Elemente im Rahmen der Therapie mit Kindern von Suchtkranken wichtige Bestandteile. Bei Anwendung psychoedukativer Methoden für KvA können die Kinder beispielsweise erfahren, dass das elterliche Alkoholproblem eine Störung mit Krankheitswert darstellt, unter der nicht nur das eigene Elternteil, sondern eine Vielzahl von Personen leidet. Das Wissen um diese Sachverhalte kann zur positiven Bewältigung der Belastung beitragen. Wichtige Botschaften („Du bist nicht Schuld!“, „Du kannst nicht heilen!“ und „Du kannst das Problem nicht kontrollieren!“) können zielgerichtet und gleichzeitig fundiert vermittelt werden. Es wäre in diesem Sinne wünschenswert, ein Basisinformationsprogramm für betroffene Kinder und Jugendliche bundesweit vorzuhalten und anzubieten.

Aus den gemachten Einzelvorschlägen auf der Basis unserer Forschungsresultate kann im Sinne einer Synopse der Vorschlag eines kombinierten Vorgehens mit höchster Erfolgswahrscheinlichkeit gemacht werden: Dabei handelt es sich um ein Programm aus den Elementen Familientherapie, Psychoedukation, Case Management und Motivational Interviewing. Die einzelnen Elemente sind bislang schon vorhanden, aber noch nicht in einem Hilfeangebot kombiniert worden. Das neue Angebot kann als Familial Motivational Case Management gerade für die bislang nicht erreichten Kinder unbehandelter und komorbider suchtbelasteter Eltern hilfreich sein. Im Folgenden werden die wichtigsten Elemente des kombinierten Hilfeangebots beschrieben. Wie unsere Resultate zeigen, sind Kinder suchtkranker Eltern in ihrer Lebenswelt schwer zu erreichen, bisweilen haben sie selbst noch kein adäquates Problembewusstsein entwickelt. Dies spricht für den Einsatz informierender, psychoeduktiver Programm, die zunächst ein Basisbewusstsein bei den Professionellen und den Betroffenen schaffen, dass KvA in ihrer gesunden seelischen Entwicklung erheblich gefährdet sein können. Sollten diese Kinder tatsächlich Beeinträchtigungen, insbesondere in Form von Verhaltens- und Erlebensstörungen zeigen, sind es speziell die Methoden der nachgehenden Sozialarbeit (Case Management), die erreichen können und sollen, dass die Probanden nicht wieder aus dem Hilfefokus verschwinden und lange Zeit unbeachtet und unbehandelt bleiben. KvA sind eine für das Case Management besonders wichtige und relevante Zielgruppe, weil in der Praxis bislang eine Unterversorgung, oft eine Ignoranz in Bezug auf die Problemlage, bestand. Wurden Hilfen angeboten, erfolgten diese häufig unkoordiniert und ohne zielführende 154

KAPITEL 5

Diskussion und Schlussfolgerungen

Absprachen. Ein weiteres Element eines neuen kombinierten Hilfeansatzes ist in der Familienorientierung zu sehen. Mit den Methoden der Familientherapie kann eine bestmögliche Beteiligung der betroffenen Familienangehörigen gelingen. Eine einseitige oder weitgehende Fixierung auf den suchtkranken Indexpatienten soll dadurch vermieden werden. Das Recht auf und der Bedarf nach Hilfe anderer Familienangehöriger wird somit eher verwirklicht. Vorschnelle und therapeutisch kontraproduktive Schuldzuweisungen sollen ebenfalls auf diesem Wege vermieden werden. Mit den Methoden des Motivational Interviewings schließlich sollen nicht oder wenig veränderungsbereite Familienangehörige erreicht und unter Einbeziehung der Situation und Sichtweise ihrer Kinder zu relevanten Veränderungsschritten bewegt werden. Der skizzierte kombinierte Hilfeansatz des Familial Motivational Case Managements sollte modellhaft erprobt und evaluiert werden. Dabei wären Behandlungssettings mit minimalen oder kurzen Interventionen (z.B. ärztliche Praxen, Entzugskliniken) zur Erprobung besonders geeignet, weil hier die in unserem Forschungsbericht beschriebenen Akquisitionsprobleme nur in geringerem Maße vorherrschen dürften. 5. 5

SCHLUSS

Als abschließendes Fazit der vorliegenden Studie ist zu sagen, dass die Akquisition der Kinder unbehandelter suchtkranker Eltern aus grundsätzlichen wissenschaftlichen und präventiven Überlegungen eine sehr wichtige Aufgabe der Reduktion künftiger Fehlentwicklungen bei einer sehr großen Personengruppe darstellt. Die dargelegten Erfahrungen mit der Akquisition dieser Kinder zeigen jedoch, dass – beim heutigen Stand der Sensibilisierung der Fachöffentlichkeit und der Eltern – diese nur mit erheblichem Aufwand gelingen kann, und zwar am ehesten über Erhebungen in Schulen. Eine zielgerichtete Vermittlung der akquirierten Kinder in geeignete Hilfeangebote gelingt derzeit noch nicht, da zum Einen zu wenige derartige Hilfeangebote in der Fläche existieren und zum Anderen durch die Vertraulichkeit und Verdecktheit der Erhebungen ein Offenlegen der Problematik in den jeweiligen Familien oft nicht möglich war. Um einen Einstieg in die Frühintervention bei Kindern suchtkranker Eltern zu erreichen, sollte neben einer kontinuierlich zu betreibenden Sensibilisierung der Fachkräfte und der Öffentlichkeit zunächst ein Zugang zu Kindern von behandelten Eltern routinemäßig installiert werden. Dies bezieht sich gerade auch auf suchtkranke Elternteile, die nur eine minimale Intervention oder eine Kurzintervention, wie dies in Hausarztpraxen oder in Entzugseinrichtungen der Fall ist, erhalten. Immerhin werden jährlich bei etwa 400.000 Personen stationäre Entzugsbehandlungen durchgeführt. Darüber hinaus suchen etwa 70 % der Alkoholabhängigen jährlich wenigstens einmal ihren Hausarzt auf, wobei die Suchtproblematik oft jedoch nicht adäquat erkannt oder behandelt wird. Gelingt hier die Etablierung eines familienmedizinischen Verständnisses von Suchtstörungen, ist eine Verbesserung der Frühintervention für mitbetroffene Kinder und Jugendliche erreichbar. Das methodische Repertoire passender Interventionen ist dabei längst vorhanden, muss nur neu kombiniert und indiziert werden. Für die Zukunft erscheint die Umsetzung eines Systems frühzeitiger, zielgerichteter Hilfen am ehesten durch ein modellhaftes Vorgehen im Rahmen eines „Familial Motivational Case Mmanagements“, wie im vorangehenden Kapitel beschrieben, möglich. Dieses sollte zunächst mit ausge-

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KAPITEL 5

Diskussion und Schlussfolgerungen

wählten Einrichtungen, u.a. aus den Bereichen Suchthilfe, Jugendhilfe, Schule und medizinischer Primärversorgung, umgesetzt werden. Es würde die Ansätze der Psychoedukation, nachgehenden Sozialarbeit (Case Management), der Familientherapie und der Motivierenden Beratung umfassen. Jeder Ansatz für sich hat in verschiedenen Praxisfeldern seine Tauglichkeit bewiesen; in Kombination wurden sie bislang jedoch nicht eingesetzt. Ziel dabei ist die nachhaltige Verbesserung der Frühintervention für Kinder aus suchtbelasteten Familien.

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