JÄrgen Weber: NS-MachtÄbernahme vor 75 Jahren in Kiel - Wir erinnern an Wilhelm Spiegel, Fritz BÅttcher und Otto Eggerstedt

January 26, 2018 | Author: Alfred Hochberg | Category: N/A
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J€rgen Weber: NS-Macht€bernahme vor 75 Jahren in Kiel - Wir erinnern an Wilhelm Spiegel, Fritz B•ttcher und Otto Eggerstedt

Vor 75 Jahren, im M€rz 1933, •bernahmen die Nazis die Macht in Deutschland und in Kiel. Auch nach der noch halbwegs legalen Reichstagswahl am 5.M€rz - zu diesem Zeitpunkt waren schon viele Kommunisten und Sozialdemokraten verhaftet und das Erscheinen der linken Tageszeitungen verboten – hatten die Nationalsozialisten und ihre deutschnationalen Steigb•gelhalter noch keine verfassungs€ndernde Mehrheit im Reichstag. Mit dem Erm€chtigungsgesetz vom 23.M€rz, dem auch alle b•rgerlichen Parteien zustimmten, war diese H•rde beiseite ger€umt.

Die NS-Herrschaft in Kiel war nicht nur der Beginn von politischer Verfolgung und Unterdr•ckung. Sie begann gewissermaƒen symbolisch mit einem spektakul€ren Mord.

Anhand von drei kurzen biographischen Skizzen m„chte ich einen Ausschnitt der Ereignisse vor 75 Jahren beleuchten: zum Gedenken an die Opfer des Machtantritt der Nazis im Fr•hjahr 1933.

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1. Der Fall Wilhelm Spiegel hat •ber die Grenzen Kiels hinaus Geschichte gemacht. In allen wichtigen antifaschistischen Dokumentationen der 30er Jahre wurde auf diesen politischen Mord w€hrend der Macht•bernahme der Nationalsozialisten hingewiesen.

Wilhelm Spiegel, ein republikanischer Jurist, ein b•rgerlicher Sozialdemokrat und deutscher Jude wurde vor bald genau 75 Jahren in Kiel erschossen. Obwohl es zahlreiche Tatzeugen gab, zeigte sich die Justiz damals und auch nach dem Krieg nicht in der Lage oder bereit, seine M„rder zur Verantwortung zu ziehen. Die Tat ist bis heute unges•hnt geblieben.

Was war passiert: Am 12 M€rz 1933, dem Tag der Kommunalwahl in Kiel, wurde der Rechtsanwalt Spiegel in seiner Wohnung im Forstweg 42 nachts um 01.45 Uhr durch Kopfschuss get„tet. Obwohl es Zeugen gab, die •bereinstimmend aussagten, bei den T€tern h€tte es sich um Personen in SA oder SS-Uniform gehandelt, wurde eine solche Spur nie ernsthaft verfolgt. Vielmehr wurde das Gericht ausgestreut, die T€ter seien in linken Kreisen zu suchen, die entweder eine Rechnung mit Spiegel offen hatten oder aber diese Tat den Nazis in die Schuhe schieben wollten.

Auf jeden Fall dienten diese Ger•chte dazu, am 13. M€rz das Gewerkschaftshaus in der Legienstraƒe und damit auch das SPD-

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B•ro, das sich dort befand, zu besetzen, Material zu beschlagnahmen, und mehrere f•hrende Sozialdemokraten zu verhaften. Hintergrund war, dass noch am 12.03. Flugbl€tter in Kiel verteilt wurden, die die Nazis des Mordes bezichtigten und die offenbar in den R€umen des SPD-B•ros hergestellt worden waren.

An diesem Tag vollzogen die Nationalsozialisten auch faktisch und sichtbar die politische Macht•bernahme in der Stadt. Der NSDAP-Kreisleiter Walter Behrens rief sich selbst zum Oberb•rgermeister aus, entlieƒ die sozialdemokratischen Stadtr€te und den gerade vor einem Jahr wiedergew€hlten konservativen B•rgermeister Lueken.

Warum Wilhelm Spiegel? Der aus Westfalen stammende Jurist wurde in Kiel schnell zu einem bekannten Anwalt. Vor allem sein Einsatz f•r politisch Bedr€ngte und seine Vertretung von Arbeitern vor Gericht machte ihn in der b•rgerlichen Welt der Kieler Justiz schnell zu einer nicht besonders gesch€tzten Person. 1911 stand sein Name erstmals auf der Wahlliste der Kieler SPD f•r das Stadtverordnetenkollegium. Seitdem war er in der Kommunalpolitik aktiv. …berregionale Mandate und Funktionen lehnte er stets f•r sich ab. Im September 1919 wurde Spiegel zum Vorsitzenden der Stadtverordnetenvertretung gew€hlt. Dieses Amt behielt er bis 1924. W€hrend des Kapp-Putsches war er einer der f•hrenden

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Vertreter der Kieler Arbeiterschaft, der nicht nur half, den Putsch niederzuschlagen, sondern der auch als Verhandlungsf•hrer der Arbeiter versuchte, die Auseinandersetzung m„glichst ohne Blutvergieƒen zu beenden. Mitte der 20er r•ckte seine berufliche Arbeit mehr in den Mittelpunkt. Nicht nur Sozialdemokraten, sondern auch Kommunisten sch€tzten ihn als Anwalt in rechtlichen Auseinandersetzungen.

Spiegel engagierte sich in vielerlei Hinsicht als Republikaner. Mit Otto Eggerstedt oder Richard Hansen, dem Kieler F•hrer des Reichsbanners, verband ihn eine gemeinsame Arbeit. Aber auch mit den wenigen, aber herausragenden republikanisch orientierten Professoren der Kieler Universit€t war er eng verbunden, so mit Otto Baumgarten, Ferdinand T„nnies, Ernst Kantorowicz, sowie mit dem V„lkerrechtler Walther Sch•cking.

Wilhelm Spiegel hatte sich als engagierter Kommunalpolitiker, als engagierter Vertreter von Arbeitern, vor allem von politisch organisierten Arbeitern und nat•rlich auch als Jude zum Hassobjekt der Nazis gemacht. Es gibt eine ganze Reihe von Hinweisen, die daf•r sprechen, dass der Mord an Spiegel von langer Hand geplant, zumindest gedanklich vorweggenommen wurde.

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Der Mord an Wilhelm Spiegel war nicht das einzige Verbrechen, das beinahe schon symbolisch am Beginn der Naziherrschaft in unserer Stadt steht. Erw€hnt sei der Fall Dr. Friedrich Schumm, Jude und Anwalt wie auch Spiegel, der bei der Boykottaktion j•discher Gesch€fte am 01. April 1933 vor seinem Elternhaus in der Kehdenstraƒe in einem Handgemenge einen SS-Mann in Notwehr anschoss. Er wurde im Polizeipr€sidium inhaftiert und nachdem der Polizeipr€sident eine Auslieferung an die SS abgelehnt hatte, drangen SS-Leute in das Polizeigef€ngnis ein und erschossen Schumm in einem Akt von Lynchjustiz. Auch in diesem Fall wurde das Verfahren nach einiger Zeit eingestellt. Niemand wurde jemals f•r den Mord zur Rechenschaft gezogen.

Das Gleiche gilt auch f•r den M„rder des Reichsbannermannes Edmund Schnurak, der am 01. Mai 1933 in „Stenders Restaurant“ in der Brunswik get„tet worden war. Das Verfahren gegen den namentlich bekannten T€ter wurde niedergeschlagen. Auch auf die Morde an den beiden kommunistischen Funktion€ren Timm und Heuck im Neum•nsteraner Gef€ngnis sei hier hingewiesen.

Am 15. M€rz 1933 fand im Krematorium auf dem Eichhof die Trauerfeier f•r Wilhelm Spiegel statt. Der Trauerzug durch die Straƒen der Stadt wurde zu einer letzten gewissermaƒen stummen Demonstration des demokratischen, des republikanischen Kiels. Die Belegschaften von Werften und Fabriken hatten allen

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nationalsozialistischen Drohungen zum Trotz demonstrativ ihre Arbeit niedergelegt. Die vorsorglich in Alarmbereitschaft gesetzte Polizei hielt sich zur•ck. Die Trauerrede f•r Spiegel hielt sein Freund und politischer Weggef€hrte Otto Eggerstedt. Eggerstedt, der sich zu diesem Zeitpunkt bereits selbst in Gefahr befand, sagte zum Schluss seiner Ansprache: „Die Erinnerung an Dich wird leben, so lange uns noch ein Herz f•r die Freiheit schl€gt! Und f•r die Freiheit werden in Deutschland Herzen schlagen, bis sie wieder Gemeingut des ganzen Volkes geworden ist. Und wir werden sie dann als Erbe unseres Toten, als Erbe auch Deines Wirkens, besser zu werten und zu sch•tzen wissen als bisher!“

2. Friedrich B•ttcher, geboren 1888, war in den Jahren der Weimarer Republik der wichtigste und einflussreichste Gewerkschafter in Kiel.

Als Bevollm€chtigter der Metallarbeitergewerkschaft wurde er schlieƒlich 1928 gesch€ftsf•hrender Vorsitzender des ADGB in Kiel. Gleichzeitig war er Stadtverordneter f•r die SPD. 1933 war er zudem Kandidat der SPD f•r den Preuƒischen Landtag und f•r den Schleswig-Holsteinischen Provinziallandtag.

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Auch B„ttcher wurde unmittelbar nach der Kommunalwahl am 12. Mai f•r kurze Zeit verhaftet. Allerdings versuchten die Nationalsozialisten, anders als bei den reinen Parteifunktion€ren, Gewerkschaftsvertreter zu k„dern bzw. zu benutzen. Das hatte bei B„ttcher einen gewissen Erfolg. Er erkl€rte sich bereit, auf einer Veranstaltung der Nationalsozialisten Betriebsorganisation (NSBO) zu reden. Dazu m„chte ich aus den Erinnerungen von Karl Rickers, vor 1933 und nach 1945 Redakteur der „Volkszeitung“ zitieren:

„Die Gewerkschaften freilich hatte man schon Anfang Mai 1933 zerschlagen, da stand schon nichts mehr im Wege. Zun•chst versuchte man, deren Sekret•re zu k‚dern, wie zum Beispiel den bisherigen Bevollm•chtigten des Metallarbeiterverbandes, Fritz B‚ttcher. Der ging darauf ein, die Nazis beriefen dann eine Groƒveranstaltung f„r Arbeiter in die Kieler Nord-Ostseehalle an der Gutenbergstraƒe ein und k„ndigten als Redner Fritz B‚ttcher an. Auƒerdem wurde im Plakat freie Aussprache zugesichert… Auf dieses Angebot aber wollten wir eingehen, mit dem Ziel, den Renegaten B‚ttcher vor den Arbeitern bloƒzustellen. Der Doppelsaal der Nord-Ostseehalle war voll, aber es war klar, dass die Teilnehmer, zumal aus den Groƒbetrieben, zum Erscheinen gen‚tigt worden waren, um ihnen zu zeigen, dass ihr Bevollm•chtigter jetzt zu den Nazis stand. Freie Aussprache, das war uns klar, konnte gef•hrlich werden. Dennoch wollten wir sie riskieren. Wir, das war eine Gruppe von etwa einem Dutzend

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j€ngerer Sozialdemokraten und Gewerkschaftern. Ich erinnere aus dieser Gruppe nur noch Albert Witte und Walter Raabke sowie den Mann, der als Redner vorgeschickt werden sollte, n•mlich Jonny Weiss, einen Metallarbeiter, der von den Kommunisten zur SPD zur€ckgekehrt war. Nun aber geschah auf der Rednertrib€ne etwas Unvorhergesehenes: Fritz B‚ttcher bekannte sich nachdr€cklich zu seinem Lebensweg, dem eines sozialdemokratisch aufgewachsenen Metallarbeiters. Freilich h•ngte er ein Bekenntnis zur Neuordnung dem NS-Staat an…. Vielleicht war Fritz B‚ttcher von der Erwartung inspiriert, dass mit einem Kotau vor den Nazis die Gewerkschaften in ihrer Existenz als Vertreter der Arbeiter gerettet werden k‚nnten…. F€r die Nazis aber war er lediglich als Werkzeug gedacht, um die organisierten Arbeiter in ihr System einzugliedern. Sie f€hlten sich keineswegs gehindert, Fritz B‚ttcher selber…. in ein Konzentrationslager zu sperren.“

Zum Verst€ndnis B„ttchers muss man wissen, dass die Gewerkschaften schon 1932 versucht haben, sich ein St•ck weit von der SPD zu trennen. Unter dem Kanzler von Schleicher war die Gewerkschaftsf•hrung f•r ein B•ndnis gegen Kommunisten und Nazis gleichermaƒen gespr€chsbereit. Auƒerdem schlug bei ihnen auch die scharfe Trennung zwischen SPD und KPD und vor allem deren Generalstreikspolitik durch.

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Hinzu kamen nat•rlich Einsch•chterungen und Verhaftungen. Beispielhaft mag ein Brief des Vorsitzenden des ADGB Leipart vom 21.03.1933 an den neuen Reichskanzler Adolf Hitler sein: „Die Aufgaben der Gewerkschaften m„ssen erf„llt werden, gleichwohl welcher Art das Staatsregime ist… Die Gewerkschaften beanspruchen nicht, auf die Politik des Staates unmittelbar einzuwirken…. Eine wahre Gewerkschaft muss von den Unternehmern ebenso wie von politischen Parteien unabh•ngig sein.“ Diese Art von Opportunismus kann man nat•rlich aus heutiger Sicht kritisieren. Unabh€ngig davon gibt es keinen Zweifel an der demokratischen Grundhaltung B„ttchers.

Die Bereitschaft zur Kooperation B„ttchers sch•tzte ihn nicht vor Verhaftung. 1933 noch kam er in das KZ Papenburg. Nach seiner Entlassung blieb er zwar eine Zeit lang unbehelligt und konnte im Wohnungsamt der Stadt Kiel arbeiten, bis er 1944 nach dem Attentat auf Hitler wieder f•r eine Zeit inhaftiert wurde. Bei Kriegsende war er leitend im Wohnungsamt der Stadt Kiel t€tig.

Nach 1945 nahm er aktiv an der Wiedergr•ndung der Gewerkschaften in Kiel teil. Sein Verhalten 1933 f•hrte aber dazu, dass er in Gewerkschaften und SPD keine Funktion mehr •bernehmen durfte.

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3. Erinnert sei heute auch an Otto Eggerstedt. 1886 in Kiel geboren besuchte er hier die Mittelschule und lernte das B€ckerhandwerk. Er schloss sich sehr fr•hzeitig Gewerkschaft und Sozialdemokratie an.

Im Fr•hjahr 1919 wurde er Gesch€ftsf•hrer des Arbeiter- und Soldatenrates von Groƒ-Kiel.

Bis zu seiner Berufung in den preuƒischen Verwaltungsdienst 1927 arbeitete er als Parteisekret€r f•r die Kieler SPD. Auch dem schleswig-holsteinischen SPD-Bezirksvorstand geh„rte er ab 1920 an.

Bis 1924 war er Stadtverordneter in Kiel und von 1921 bis 1933 Abgeordneter des Deutschen Reichstags. Eggerstedt geh„rte damit zu den bekanntesten und profiliertesten schleswig-holsteinischen Sozialdemokraten.

…berregional bekannt wurde Eggerstedt durch die …bernahme der Leitung des Polizeipr€sidiums in Altona. Seine Amtszeit als Polizeipr€sident wurde dabei vom so genannten Altonaer Blutsonntag •berschattet. Am 17. Juli 1932 forderten

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Zusammenst„ƒe zwischen Nationalsozialisten, Kommunisten und der Polizei in der Altonaer Altstadt 18 Todesopfer.

Obwohl Eggerstedt gar nicht vor Ort war, erkl€rten Nazis und Kommunisten ihn zum Hauptverantwortlichen und diffamierten ihn seitdem „ffentlich ununterbrochen. Die Ereignisse in Altona dienten letztlich dann auch als Vorwand, um am 20. Juli 1932 die demokratisch gew€hlte preuƒische Regierung durch einen Staatsstreich abzusetzen.

Ab dem Sommer 1932 engagierte sich Eggerstedt wieder verst€rkt in der Parteiarbeit. Noch im Januar 1933 •bernahm er erneut den Vorsitz der SPD in Kiel.

Seinen letzten „ffentlichen „Auftritt“ in Kiel hatte Eggerstedt bei seiner mutigen Trauerrede f•r den ermordeten Freund Wilhelm Spiegel Mitte M€rz 1933 in Kiel. Eine Woche sp€ter geh„rte er zu den Sozialdemokraten, die in der Kroll-Oper in Berlin gegen das Erm€chtigungsgesetz stimmten. Der ehemalige Polizeipr€sident war eine besondere Zielscheibe der Nationalsozialisten geblieben. Ein gegen ihn angestrengtes Ermittlungsverfahren veranlasste Eggerstedt unterzutauchen. Ende Mai 1933 wurde er schlieƒlich bei L•tjensee im Kreis Stormarn verhaftet.

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Seinen Parteifreunden war bewusst, dass sich Eggerstedt in h„chster Lebensgefahr befand. Der stellvertretende Bezirksvorsitzende und ehemalige Reichsbannerf•hrer in Schleswig-Holstein Richard Hansen war nach D€nemark geflohen und organisierte von hier aus mit finanzieller Unterst•tzung d€nischer Sozialdemokraten einen Fluchtversuch f•r Otto Eggerstedt. Ein Krankenhausaufenthalt sollte f•r die Befreiung genutzt werden. Der Tag der Flucht war bereits vereinbart. Da machte eine Anzeige aus dem engsten Familienkreis alles zunichte. Ein Verrat mit t„dlichen Folgen Direkt aus dem Altonaer Krankenhaus erfolgte am 12. August 1933 Eggerstedt’s …berstellung in das KZ Esterwegen. Beim Einsatz in einem Sonderkommando wurde der bereits grausam misshandelte und gequ€lte Eggerstedt am 12. Oktober 1933 von zwei Wachleuten gezielt erschossen. Nach 1945 konnte der noch lebende M„rder vor Gericht gestellt werden. Nach 13 Jahren Gef€ngnis wurde der zu lebenslanger Haft verurteilte T€ter dann begnadigt.

4. Die Frage, warum die Weimarer Republik scheiterte, hat schon mehrere Generationen von Historikern besch€ftigt. Und immer wieder stand dabei im Mittelpunkt die Tragik der Spaltung der Arbeiterbewegung und letztlich die faktische Wehrlosigkeit der st€rksten Arbeiterparteien der westlichen Hemisph€re.

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Man mag dar•ber streiten, ob die SPD und die Gewerkschaften beim so genannten Preuƒenschlag im Sommer 1932 zu militanteren Formen der Auseinandersetzung und der Verteidigung der Republik h€tten •bergehen sollen. Es gab gewiss viele, die zu mehr Widerstand und dem Risiko eines B•rgerkrieges bereit gewesen w€ren, um die Republik zu verteidigen.

Aber die Sozialdemokratie und die Gewerkschaften h€tten diesen Kampf alleine f•hren m•ssen. F•r die Kommunisten waren sie weiterhin Sozialfaschisten, und groƒe Teile auch der b•rgerlichen Rechten sah es mit Wohlgefallen, dass die „Marxisten“ endlich vollst€ndig von den Hebeln der Macht verdr€ngt wurden. Es war letztlich im Fr•hjahr 1933 eine Mehrheit der Menschen auch in Kiel, die bereit war, den Nationalsozialisten den Weg zu ebnen.

Die Phase des Macht•bergangs der immerhin noch ein gewisses Maƒ an Legalit€t hatte, hat in Kiel eine blutige Spur an Opfern hinterlassen. Zum Mord an Spiegel wagten sich nicht einmal die Nazis sich offen zu bekennen. Aber diese „R•cksichtnahme“ auf die „ffentliche Meinung sollte bald einer brutalen Unterdr•ckungsmaschinerie weichen, die die Ausschaltung von Regimegegnern ganz offen propagierte.

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Viele Kieler Sozialdemokraten, Gewerkschafter und Kommunisten wurden in den nachfolgenden Jahren von den Nazis verfolgt und ermordet. Und viele konnten und mussten ins Ausland fl•chten. Die Geschichte der vielen Menschen in Deutschland und hier in Kiel, die bis 1933 fest zur Arbeiterbewegung zur Demokratie und Republik gehalten haben, ersch„pft sich aber nat•rlich nicht nur in den …berschriften Verfolgung, Unterdr•ckung und Exil.

Viele verloren ihren Arbeitsplatz oder mussten als Hilfsarbeiter Arbeit suchen. Viele unterlagen regelm€ƒiger Bespitzelung, es kam immer wieder zu Verhaftungen. Aber sehr viele versuchten auch einfach zu •berwintern. Man kann das „sich arrangieren“ nennen. Sie hatten ihre Familien zu ern€hren. Sie wollten •berleben, sie wollten leben. Daraus kann man wahrlich keinen Vorwurf in irgendeiner Form machen. Sich nicht einzulassen auf das NS-Regime, aber gleichzeitig vorsichtig zu sein, um die Existenz nicht aufs Spiel zu setzen – das war die Haltung vieler.

Und es gab auch erstaunliche Umwege, wie Funktion€re der Kieler SPD auch nach 1933 zeitweise politische Wirkung erzielten. Genannt sei das Beispiel der Zeitung „Blick in die Zeit“, die in Berlin erschien und bis Sommer 1935 als eine Art Presseschau kritische Informationen zwischen den Zeilen lieferte. An dieser Zeitung, die von einem deutschnationalen Verleger herausgegeben wurde, arbeiteten unter anderem die Kieler

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Sozialdemokraten Andreas Gayk, Karl Rickers, August Rathmann und andere. So mancher in Kiel verfolgte Gewerkschafter, fand in anderen Teilen Deutschlands wieder ein berufliches Bet€tigungsfeld. Die Totalit€t des Regimes hatte auch L•cken. Als Beispiel genannt sei Julius Bredenbek, der aus Kiel fliehen musste und dann in Magdeburg eine neue Besch€ftigung fand.

Viele, die 1933 inhaftiert wurden, konnten in den Jahren danach sich wieder mehr oder weniger als Arbeiter und Angestellte •ber Wasser halten. Mit der Aktion Gewitter 1944, unmittelbar nach dem Attentat auf Hitler, wurden auch in Kiel wieder ehemalige Funktion€re von SPD und Gewerkschaft verhaftet und in das KZ Neuengamme •berstellt. Und die Tragik wollte es, dass viele von ihnen Anfang Mai 1945 bei englischen Bombenangriffen auf KZSchiffe in der Neust€dter Bucht ums Leben kamen. So zum Beispiel der fr•here Parteivorsitzende Willi Verdieck.

Und geh„ren nicht auch diejenigen zu den Opfern des Nationalsozialismus, die im Inneren ihre …berzeugung behalten haben, sich im NS-Staat nichts haben zu Schulden kommen lassen, als Soldaten zu einem Krieg eingezogen wurden, den sie nicht wollten, aber auch nicht verhindern konnten. Und die in diesem Krieg, den sie nicht wollten und f•r ein Regime, das sie hassten, ihr Leben lassen mussten.

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Wir gedenken heute der Opfer der „Machtergreifung“ der Nationalsozialisten. Und wir erinnern an den Beginn einer Leidensgeschichte, die wir nicht vergessen d•rfen.

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