Ich weiß noch aus Erzählungen meiner Mutter, was von Generation zu Generation überliefert wurde, dass die Einwanderer es sehr schwer hatten. Und so hi

April 7, 2020 | Author: Gotthilf Wolf | Category: N/A
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1 Geschichtliches über Mariakemend und die Donauschwaben Die Stadt Ulm spielt am Schicksal der Donauschwaben, wie d...

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Geschichtliches über Mariakemend und die Donauschwaben Die Stadt Ulm spielt am Schicksal der Donauschwaben, wie die Aussiedler genannt werden, stets eine große Rolle. Von Ulm aus fuhren sie auf der Donau bis Wien bzw. bis Budapest. Von dort aus zogen sie zu Fuß oft 4 bis 6 Wochen lang in das Gebiet in Südungarn. Dieses Gebiet wurde unter der Türkenherrschaft, welche ca. 160 Jahre dauerte, total verwüstet. Deshalb wurden Siedler aus Deutschland geworben. Auch in der Gegend um Budapest sind damals viele deutsche Dörfer entstanden. Die Aussiedlung begann schon Anfang des 18. Jahrhunderts. In Deutschland herrschte eine große Not. Es waren vor allem die "nachgeborenen Söhne", welche aus Not und Elend aus Deutschland ausgezogen sind. Sie wollten der Leibeigenschaft in Deutschland entfliehen. In dieser Zeit wanderten auch viele nach Amerika aus. Viele fürchteten jedoch die Fahrt über das große Meer und sie nahmen die beschwerliche Reise nach Ungarn auf sich, in der Hoffnung, dort ein besseres Leben zu finden. Die Werber lockten mit großen Angeboten, wie große Landzuteilungen, kostenloses Saatgut, Unabhängigkeit und dergleichen. Was die Aussiedler aber vorfanden, war ein total verwüstetes Land. Ihre mitgebrachten Vorräte waren bald aufgebraucht und bis zur ersten Ernte konnten die meisten nicht überleben. Deshalb begann schon bald wieder eine große Welle der Rückreise. In der Chronik der Stadt Ulm ist vermerkt, dass bereits im Jahre 1713 Tausende aus Ungarn wieder heimkehrten. Was für die Stadt Ulm mit erheblichen Kosten verbunden war. Die Gesunden kamen zu Fuß, die Kranken mit dem Schiff bis nach Ulm. Die Stadt Ulm hat die Rückkehrer aufgenommen, sie verköstigt und für die Weiterreise in ihre Heimatdörfer ausgerüstet. Als jedoch bekannt wurde, dass viele Kranke auf den Schiffen nach Ulm kamen, hatten die Stadtväter von Ulm große Sorgen, denn Venedig hatte über das Ulmer Leinen Quarantäne verhängt. Die "Ungarische Krankheit", wie sie genannt wurde, war überall gefürchtet. Die Rückkehrer wurden deshalb bereits in Donauwörth und Leipheim ausgeladen, von der Stadt Ulm jedoch versorgt. Viele, viele Auswanderer waren arg enttäuscht und kehrten arm und krank wieder nach Deutschland zurück. Oft hatten sie das Wenige, welches sie daheim besaßen, verkauft um Geld für die Reise nach Ungarn aufzubringen und jetzt mussten sie in Deutschland wieder neu anfangen. Viele schämten sich auch, in ihre ehemaligen Heimatdörfer zurückzugehen.

Ich weiß noch aus Erzählungen meiner Mutter, was von Generation zu Generation überliefert wurde, dass die Einwanderer es sehr schwer hatten. Und so hieß es in der Überlieferung: "Die Ersten hatten den Tod, die Zweiten hatten die Not und erst die Dritten hatten das Brot." Interessant finde ich auch, dass nach 200 Jahren immer noch von den deutschen Siedlern erzählt wurde. Meine Mutter hat oft davon gesprochen. Man wusste auch noch genau aus welcher Gegend die Mariakemender Siedler gekommen sind. Auch deutsche Soldaten waren im Krieg gegen die Türken eingesetzt. Als Lohn bekamen sie ein Stück Land und auch sie brachten die Kunde von dem frucht- baren Ungarn nach Deutschland. Für diese Soldaten, welche sich in Ungarn sesshaft gemacht hatten, wurden in Deutschland Bräute geworben. So wird behauptet, dass das Lied "Als wir jüngst in Regensburg waren, sind wir über den Strudel gefahren, da war'n viele Holden, die mitfahren wollten. Schwäbische, bayerische Dirndel, juheirassa, muss der Schiffsmann fahren ...." aus dieser Zeit stammt. Wenn man die Strophen dieses Liedes genau betrachtet, könnte dies durchaus stimmen. Ab 1736 wurde die Einwanderung nach Ungarn dann organisiert, d. h. dass nur solche Personen einwandern durften, die 200 Gulden besaßen und sich damit etwas aufbauen und sich bis zur ersten Ernte selber verköstigen konnten. Die Armen wurden bereits in Regensburg abgefangen und durften nicht mitfahren. Kemend, wie das heutige Mariakemend früher genannt wurde, wurde erstmals im Jahre 1015 erwähnt, als es König Stefan der Pecsvarader Benediktinerabtei schenkte. Im Jahre 1720 wurden in Kemend die ersten Siedler aus Deutschland vermerkt. Der Mariakemender Dialekt klingt hessisch-fränkisch. Es sind noch Dokumente vorhanden, die beweisen, dass zwischen der Abtei Pecsvarad und dem Stift Fulda gute Beziehungen bestanden und so weiß man, dass die Siedler aus der Fuldaer Gegend stammen. Manche Wörter sind heute noch mit dem hessischen Dialekt identisch. Auch der Ausdruck "Stifulder" wird heute noch verwendet. Als ich mich vor einigen Jahren bei einem Ungarnurlaub mit einer alten Frau in Ofalu in unserem früheren Dialekt unterhalten habe, da meinte sie: "Hat so schei stifulderisch kennt ihr noch gered." Meine Mutter ist eine geborene Gunderlach und ich bin ganz stolz darauf, dass ich meine Vorfahren lückenlos bis zum ersten Siedler in Mariakemend zurückverfol- gen kann. Und zwar hat sich im Jahre 1748 Johannes Gunderlach mit seiner Ehe-frau Elisabeth aus Wildflecken bei Fulda in Mariakemend angesiedelt und den Namen Gunderlach hat es in Mariakemend bis zur Vertreibung im Jahre 1946 gegeben. Bei

meinen Nachforschungen in Wildflecken wurde mir berichtet, dass es dort noch sehr viele Einwohner mit diesem Namen gibt. Das ehemalige Kemend war ursprünglich bei der heutigen Wallfahrtskirche angesiedelt, also etwa 1,5 km östlich des jetzigen Ortes und wurde während des Türkenkrieges dem Erdboden gleich gemacht. Übrig blieb nur noch die verfallene Nikolaus-Kapelle. Im Jahr 1740 soll dort eine Marienerscheinung stattgefunden haben. In den Analen ist folgendes niedergeschrieben: "Im April des Jahres 1740 geschah es nun, dass fünf Mädchen, unter ihnen Margarethe Rogner und Anna Weiß, als sie auf dem alten Friedhof bei den Ruinen der Nikolaus-Kapelle Gras holen wollten, nach ihrer Aussage in einer Vertiefung auf der Erde das strahlende Bild der Muttergottes mit einem Kindlein am Arme in goldenem Geschmeide sahen. Sie wollten das Bild aufheben, konnten aber nicht und ihre Finger glänzten bei Berührung desselben in goldenem Schimmer. Auf den Ruf der Mädchen eilte sodann vom nahen Felde Elisabetha Blumenthaler herbei und als diese das Bild aus der Öffnung herauszunehmen versuchte, verschwand es spurlos vor den Augen der verwunderten Mädchen. Wie wohl der Ortsrichter noch am selben Tage mit vielen Leuten an Ort und Stelle erschien, war von dem Bilde nichts mehr wahrzunehmen." Dies hatte sich schnell verbreitet und die Wallfahrer kamen von nah und fern. Es wurde auf dem Platz zuerst eine Marien-Kapelle und bereits im Jahre 1747 die heutige Wallfahrtskirche erbaut. Die Treppe aus Ziegel, so wie sie heute noch steht, ist aus dem Jahre 1756. An ihr kann man erkennen, dass schon viele Wallfahrer über diese Stufen gegangen sind. Nach dem Türkenkrieg siedelten sich zuerst 7 kroatische Familien am jetzigen Standort des Dorfes an. Die "Growoddegass" wird heute noch von den ehema- ligen Mariakemendern so genannt. In den Jahren 1720 bis 1735 kamen dann die ersten deutschen Einwanderer in Kemend an und ließen sich in der "Deutschen Gasse" nieder, die heutige Hauptstraße. Als die deutschen Siedler kamen, bauten sich diese im Dorf eine hölzerne Kapelle zu Ehren des hl Martinus. Als im Jahre 1970 die Martinus-Kirche im Ort renoviert wurde und der Altar, der sehr morsch war, abgetragen wurde, da war man sehr überrascht, denn hinter dem Martinusbild kam das Originalbild des hl. Martinus aus dem Jahre 1650 zum Vorschein. Und so weiß man nun, dass das Martinusbild als Kleinod von den deutschen Siedlern aus ihrer alten Heimat mitgebracht wurde. Das zeugt auch davon, dass sie schweren Herzens von dort fortgezogen sind. Und wer hätte gedacht, dass nach ca.

220 Jahren, also nach nur 5 oder 6 Generationen ihre Nachkommen auf so tragische Weise ihr geliebtes Ungarn wieder verlassen müssen. Mariakemend liegt im Komitat, d. h. im Kreis Baranya, im Hügelland jenseits der Donau zwischen der Stadt Pecs und Mohacs. Die Baranya wird auch "die schwäbische Türkei" genannt, da dieses Gebiet von den Türken total verwüstet wurde, war es menschenleer und wurde unmittelbar nach Vertreibung der Türken von deut-schen Einwanderern, auch aus dem schwäbischen Raum, besiedelt. Schon vor der Türkenzeit war die Baranya der dichtbesiedelste und fruchtbarste Landesteil Ungarns. Die deutschen Siedler machten mit deutschem Fleiß die Baranya wieder zu dem blühendsten Gebiet des Landes. Das Mariakemender Weingebirge ist die höchste Erhebung zwischen Donau und Mecsekgebirge. Von der "Kellerreihe" aus hat man einen herrlichen Blick über das Dorf und die Umgebung. Wenn die Mariakemender zu ihren Weinbergen gingen, dann hieß es: "Ich geh ins Gebirg". Schon von weitem sieht man die berühmte Kellerreihe auf der Anhöhe. Über 200 Weinkeller gab es noch bis 1946. Es sah wie ein kleines verträumtes Dorf aus. Alle Keller waren sauber hergerichtet und manch fröhliches Fest wurde dort oben gefeiert. In jedem Keller befand sich eine gemütliche Kellerstube, in der man sich aufhalten konnte. Und manch fröhlicher Zecher, der den Weg nach unten in's Dorf nicht mehr antreten konnte, hat in der Keller-stube übernachtet. Während der Weinlese wurde dort oben auch gekocht. Es war Vorschrift, dass die Kellerstube nur über eine Stufe erreicht werden darf, denn wenn der Wein zu gären anfängt, dann kann es im Keller gefährlich werden und da Gas unten bleibt, war man in der erhöhten Stube sicher. Bei unseren Besuchen in der alten Heimat haben wir in solchen Kellerstuben schon viele fröhliche Stunden verbracht mit Gesang und dem Austausch vieler schöner Erinnerungen. Die schöne "Mariakemender Kellerreihe" war weit über die Grenzen des Dorfes bekannt. Doch nach dem Krieg hat sich schlagartig alles verändert. Die fleißigen deutschen Bewohner wurden vertrieben und die neuen Ansiedler hatten vom Weinbau und von der Landwirtschaft keine Ahnung. Das schöne Dorf und die Landschaft verfielen in einen trostlosen Zustand. Heute sind schon viele schöne Häuser eingefallen und von den Weinkellern stehen nur noch ganz wenige. Das Brauchtum aus den jeweiligen Herkunftsgebieten hatte sich in den deutschen Dörfern bis zur Vertreibung unverfälscht erhalten. Die verschiedenen Trachten und der Dialekt waren von Gemeinde zu Gemeinde verschieden, was bezeugt, dass sich die Einwanderer eng zusammengeschlossen hatten.

In der Gemeinde Mariakemend herrschte das hessische vor, in der Nachbargemeinde jedoch das schwäbische und in einer anderen Gemeinde das bayerische. Die deutschen Siedler in Mariakemend hatten bald herausgefunden, dass sich der Boden und die Berge sehr gut zum Weinanbau eigneten und Mariakemend wurde zur größten und bekanntesten Weinbaugemeinde in weiter Umgebung. Der ganze Wohlstand des Dorfes war nun der Wein. In der Stadt stand der "Mariakemender Wein" auf der Getränkekarte. In Wien gab es sogar vor dem 1. Weltkrieg eine Weinstube mit dem Namen "Mariakemender Weinlokal". Oft war der Wein schon vor der Lese verkauft. Es kam jedoch auch vor, dass starke Wolkenbrüche die ganze Erde von den Weinbergen spülte und die Rebstöcke nackt dastanden. Deshalb hat man mit der Zeit neben dem Weinbau auch noch den Schwerpunkt auf den Ackerbau gelegt, damit man auf zwei Beinen stand. Auch die Seidenraupenzucht wurde von manchen Mariakemendern betrieben. Im Ort standen sehr viele Maulbeerbäume und ich kann mich noch erinnern, dass ich beim Nachbarn geholfen habe, die Puppen aufzumachen. Das Produkt wurde dann an die Seidenweberei in Mohacs verkauft. Mariakemend war im weitem Umkreis eine der reichsten und schönsten Gemein-den und man war sehr stolz darauf, ein Mariakemender zu sein. Und wenn man mit offenen Augen und viel Verständnis durch das heutige Mariakemend geht, dann kann man trotz allem noch Spuren der einstigen Schönheit des Dorfes sehen, sei es die Stuckverzierungen an den alten Häusern, sei es ein wunderschönes altes Eisentor oder dergleichen. Es ist schade, dass schon viele Häuser abgerissen oder eingefallen sind. In meiner Erinnerung bleibt mein Mariakemend jedoch der schönste Fleck auf der Erde.

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