Die Rechte der Frau in der Türkei

April 19, 2016 | Author: Heini Frei | Category: N/A
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1 Die Rechte der Frau in der Türkei Darstellung der gesetzlichen Verankerung und Durchsetzung von Frauenrechten in ...

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Die Rechte der Frau in der Türkei Darstellung der gesetzlichen Verankerung und Durchsetzung von Frauenrechten in der Türkei unter Beachtung des Einflusses der türkischen Familie und der islamischen Religion

DIPLOMARBEIT

zur Erlangung des Magistergrades

an der Kultur- und Gesellschaftswissenschaftlichen Fakultät der Universität Salzburg Fachbereich für Geschichts- und Politikwissenschaft

Gutachter: o. Univ.-Prof. Dr. Klaus Faupel

Eingereicht von

BIRGIT FALTER Matrikelnummer: 0020485

Salzburg, im April 2006

0

Vorwort

Die vorliegende Diplomarbeit ist als Auftragsarbeit für die Menschenrechtsorganisation „Human Rights International“ (HRI) in Bozen entstanden. Ich möchte Herrn Adolf Pfitscher von HRI für die Unterstützung und die Möglichkeit der Veröffentlichung der Arbeit sehr herzlich danken. Dabei möchte ich auch die Wissenschaftsagentur der Universität Salzburg erwähnen, die die Vermittlung zwischen Herrn Pfitscher und mir übernahm. Weiters möchte ich mich bei Univ.-Prof. Dr. Klaus Faupel für die Übernahme der Betreuung bedanken.

1

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

1

1.

4

EINLEITUNG

1.1. 1.2. 1.3. 2.

ZUM THEMA FRAGESTELLUNG AUFBAU DER A RBEIT

4 4 6

EINTEILUNG DER MENSCHENRECHTE

2.1. 2.2.

8

POLITISCHE UND BÜRGERLICHE M ENSCHENRECHTE WIRTSCHAFTLICHE, SOZIALE UND KULTURELLE M ENSCHENRECHTE UND „ GESELLSCHAFTLICHE RECHTE“ 2.2.1. FRAUENRECHTE SIND MENSCHENRECHTE 2.2.2. SOZIOLOGIE DER FAMILIE 2.2.2.1. Familienformen 2.2.2.2. Wandel der Familie

12 15 21 21 24

3.

25

FRAUENRECHTE IN DER TÜRKEI

3.1. 3.2. 3.3. 3.3.1. 3.3.2. 3.3.3. 3.3.4. 3.4. 4.

NATIONALE GESETZGEBUNG UMSETZUNG INTERNATIONALER ABKOMMEN PROBLEMBEREICHE IN DER D URCHSETZUNG BILDUNG ARBEITSMÖGLICHKEITEN UND BERUFSTÄTIGKEITEN P OLITISCHE BETEILIGUNG GEWALT ZUSAMMENFASSUNG

TÜRKISCHE KULTUR UND GESELLSCHAFT

4.1. DIE TÜRKISCHE FAMILIE 4.1.1. DIE FAMILIE IN DER TÜRKEI UND IHRE ROLLE IN DER GESELLSCHAFT 4.1.2. WANDEL DER TÜRKISCHEN FAMILIE AUFGRUND WESTLICHEN EINFLUSSES 4.1.3. DIE STELLUNG DER FRAU IN DER TÜRKISCHEN FAMILIE 4.1.3.1. Die Stellung der Frau in der türkischen ländlichen Familie 4.1.3.2. Die Stellung der Frau in der türkischen städtischen Familie 4.1.4. ZUSAMMENFASSUNG 4.2. DIE T ÜRKEI UND DIE RELIGION 4.2.1. DIE SÄKULARE TÜRKEI 4.2.1.1. Laizismus und Säkularisierung 4.2.1.2. Die Anfänge der türkischen Säkularisierung 4.2.1.3. Der türkische Kemalismus 4.2.1.4. Zusammenfassung 4.2.2. „RE-ISLAMISIERUNG“ UND POLITISCHER ISLAMISMUS 4.2.2.1. „Re-Islamisierung“ der Türkei

2

8

25 31 35 36 39 42 45 48 50 50 50 54 56 57 59 63 65 65 65 67 69 73 73 73

4.2.2.1.1. Politische Entwicklung 4.2.2.1.2. Auswirkungen der Politik auf die säkulare Türkei 4.2.2.2. Islamischer Fundamentalismus und politischer Islamismus 4.2.2.2.1. Entstehung und Einfluss des politischen Islamismus 4.2.2.3. Zusammenfassung 4.2.3. AUSWIRKUNGEN DES FUNDAMENTALISMUS AUF DIE TÜRKISCHE FRAU 4.2.3.1. Exkurs: Die Stellung der Frau im Islam 4.2.3.2. Auswirkungen des Fundamentalismus auf die türkische Frau und die neue muslimische Frau 4.2.3.2.1. „ Die „Kopftuchstudentinnen“ 4.2.3.3. Zusammenfassung

74 78 82 83 88 89 89

5.

RESÜMEE

99

6.

LITERATURVERZEICHNIS

90 96 98

102

3

1.

Einleitung 0.0.

Zum Thema

Die mögliche Erweiterung der Europäischen Union brachte und bringt vermehrt Diskussionen über die Türkei mit sich. Im Vordergrund stehen dabei die wirtschaftlichen Folgen, die mit einem türkischen Beitritt einhergehen. Ein weiterer aktueller Diskussionspunkt ist die mangelhafte Einhaltung von Menschenrechtsnormen. Diverse Menschenrechtsverletzungen werden von NGOs immer wieder aus der Türkei gemeldet. Menschenrechte sind allgemein gültige Regelungen, die Männer wie Fraue n gleichermaßen schützen sollten. Leider kommt es jedoch immer wieder vor, dass, wo immer internationale Menschenrechtsnormen in nationales Recht transformiert werden, Frauen nicht die gleichen Rechte zugesprochen werden wie Männern. Deshalb ist es notwend ig die explizite Statuierung und Beachtung der Rechte der Frauen einzufordern. Frauenrechte sind jene spezifischen Rechte, die Frauen haben, damit es zu einer gleichberechtigten Behandlung und Stellung der Geschlechter in der gesamten Gesellschaft kommt. Gleichberechtigung hat nicht unbedingt zur Folge, dass Frauen gleich stark am gesellschaftlichen Leben teilhaben und in der Gesellschaft vertreten sind. Eine ungleiche Geschlechtsaufteilung macht es notwendig über die nur regulative Politik hinauszugehen. Durch direkte und indirekte Maßnahmen kann eine Gesellschaft geschaffen werden, in denen eine wahre Gleichstellung der Geschlechter herrscht.

Alles das hängt von den gesellschaftlichen Strukturen ab. Die türkische Gesellschaft ist geprägt von Traditionen und patriarchalisch-dominiertem Denken. Die Familie und die islamische Religion haben einen hohen Stellenwert im Leben der Türkinnen und Türken. Dementsprechend schwierig gestaltet sich die Gleichstellung von Frauen in der Türkei.

0.0.

Fragestellung

Menschenrechte gelten für alle Männer und Frauen. Von nationalen und internationalen Organisationen werden laufend Menschenrechtsverletzungen in der Türkei aufgezeigt. Viele davon betreffen Frauen. Sie werden nicht nur in den Rechten, die ihnen als Menschen zustehen, beschnitten, sondern es werden auch ihre spezifischen Rechte als Frauen verletzt. Die Mitgliedschaft zum Europarat sowie der mögliche Beitritt zur Europäischen Union

4

erfordern eine Anpassung der türkischen Gesetze im Bereich der Menschen- und Frauenrechte. Die erste zu beantwortende Frage lautet somit: Die

Welchen Schutz der Frauenrechte bieten die türkischen nationalen Gesetze? gesetzliche

Verankerung

alleine

garantiert

jedoch

keine

Einhaltung

der

Menschenrechtsnormen. Weitere Fragestellungen lauten daher: -

Wie erfolgt die Umsetzung der Frauenrechte in der Türkei aus?

-

Wie stellt sich die reale Situation der türkischen Frauen dar?

Auf der Grundlage dieser Fragen wird folgende Hypothese erstellt: „Die reale Frauenrechtssituation in der Türkei entspricht nicht der formalen Lage.“

Der gesetzliche Rahmen alleine kann eine gleichberechtigte Stellung von Frauen und Männern nicht garantieren. Für die Durchsetzung von Frauenrechten ist auch eine Gesellschaft notwendig, die diese gleichberechtigte Stellung der Geschlechter akzeptiert und bereit ist diese zu fördern. Die größte und bedeutendste gesellschaftliche Institution ist die Familie. Sie stellt zwar nicht den gesamtgesellschaftlichen Bereich dar, wird aber dennoch für diese Arbeit als Grundlage zur Untersuc hung der türkischen Gesellschaft herangezogen. Folgende Fragen werden dabei beantwortet: -

Wie ist die türkische Familie charakterisiert?

-

Welche Stellung kommt der Frau innerhalb der türkischen Familie zu?

Die Hypothese zur Rolle der Familie bei der Umsetzung von Frauenrechten lautet: „Die Struktur der türkischen Familie lässt eine gleichberechtigte Stellung von Frauen und Männern in der Gesellschaft nicht zu.“

Ein zweiter wichtiger Faktor, der die türkische Gesellschaft prägt, ist die Religion. Fast ausnahmslos gehört die türkische Bevölkerung dem Islam an. Die Religion hat für Türkinnen und Türken eine sehr große Bedeutung. Im Kapitel „Die Türkei und die Religion“ wird auf folgende Fragen eingegangen: -

Welche Entwicklung nahm die Religion in der Türkei und welchen Einfluss hatte bzw. hat sie auf die türkische Politik?

Darauf aufbauend ergibt sich die Frage nach den Auswirkungen auf die Stellung der türkischen Frauen:

5

-

Welchen Einfluss hat die Religion auf die Position der Frau in der Gesellschaft und die Umsetzung von Frauenrechten?

Zum Thema Islam und seine Auswirkungen auf die türkischen Frauen wird folgende Hypothese gestellt: „Der Einfluss der Religion auf die türkische Gesellschaft behindert die Umsetzung von Frauenrechten in der Türkei.“

0.0.

Aufbau der Arbeit

Die theoretische Grundlage dieser Arbeit bietet Kapitel 2. Eingangs wird darin auf die allgemeine Einteilung der Menschenrechte und den internationalen Menschenrechtsschutz eingegangen. Dabei wird zwischen den „politischen und bürgerlichen“ und den „sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen“ Menschenrechten unterschieden. In diesem Kapitel werden die spezifischen Rechte der Frau erwähnt. Außerdem wird die Soziologie der Familie angesprochen, auf die sich die Darstellung der Charakteristika der türkischen Familie stützt.

Um den Einfluss der türkischen Kultur auf die Umsetzung der Frauenrechte zu untersuchen, ist vorab eine Darstellung der frauenrechtlichen Situation in der Türkei notwendig. Ausgehend von der nationalen Gesetzgebung der Gegenwart und jüngeren Vergangenheit sowie der internationalen Menschenrechtsabkommen, die der türkische Staat ratifiziert hat, wird in Kapitel 3 auf Bereiche eingegangen, in denen die Umsetzung der Frauenrechte noch nicht vollständig durchgeführt wurde. Die Informatio nen über diese Auswahl an Problembereichen wurden großteils den Analysen nationaler und internationaler NGOs und Berichten der Europäischen Union über die Frauenrechtssituation in der Türkei entnommen.

Auf die türkische Familie, die gängigen Familienforme n und den Wandel, den die wohl wichtigste Institution der türkischen Gesellschaft vollzog, wird in Kapitel 4.1 eingegangen. Zudem werden die unterschiedliche n Rollen der Frau innerhalb der ländlichen und städtischen Familie herausgearbeitet werden. Als zweiter kultureller Faktor, der die Umsetzung von Frauenrechten in der Türkei beeinflusst, wurde die Religion herangezogen. Dafür werden in Kapitel 4.2 zuerst die Rolle des Islams und der Wandel in der Bedeutung der Religion dargestellt. Aufbauend darauf wird die veränderte Stellung der Frau erörtert. Grundlage der Darstellung der türkischen Familie und der Religion in der Türkei (Kapitel 4) bildet

6

familiensoziologische bzw. islamwissenschaftliche und sich auf die Entwicklung der Türkei beziehende Fachliteratur.

7

2.

Einteilung der Menschenrechte 0.0.

Politische und bürgerliche Menschenrechte

Mit der französischen sowie der amerikanischen Bürger- und Menschenrechtserklärung des späten 18. Jahrhunderts wurden die Grundlagen für unsere heutigen „politischen und bürgerlichen Menschenrechten“ gelegt. Sie werden als die Menschenrechte der „ersten Generation“ bezeichnet. Entsprechend ihrer Entstehungszeit beinhalten diese Rechte die Ideen der

Aufklärung

und

des

Liberalismus

und

setzen

sich

aus

demokratischen

Mitwirkungsrechten und liberalen Abwehrrechten gegenüber dem Staat zusammen. Diese „vertikale Geltung“ der Menschenrechte zwischen Staat und Individuum, die vom Staat hinsichtlich politischer Rechte lediglich ein „Gewähren“ und hinsichtlich bürgerlicher Rechte ein „Unterlassen“ von Eingriffen erwartet, entspricht jedoch nicht mehr dem heutigen Verständnis von Menschenrechten. Vielmehr werden in unserer Zeit neben der Achtung von politischen und bürgerlichen Menschenrechten auch ihre Gewährleistung und die Ermöglichung ihrer Durchsetzung vom Staat verlangt. Zudem verpflichten Menschenrechte den Staat auch zum Schutz vor Rechtsverle tzungen durch Private. 1 Kennzeichen

einer

demokratischen

Staatsorganisation

ist

die

Durchsetzung

von

Menschenrechten. Ein hoher Menschenrechtsstatus bedeutet allerdings nicht zugleich das Vorha ndensein eines demokratischen Systems. 2 Für das Funktionieren einer Demokratie sind vor allem die politischen Rechte von Bedeutung. Das gleiche Recht auf Teilnahme an der staatlichen Willensbildung, das Recht auf Mitgestaltung öffentlicher Angelegenheiten oder das gleiche Recht auf freien Zugang zu Ämtern sind hierbei zu nennen. Eine demokratische Staatsordnung erfordert aber auch politische Freiheitsrechte, wie die Meinungs-, und Informationsfreiheit, die Vereins- und Vereinigungsfreiheit und im weiteren Sinne auch die Religions-, Kunst- und Wissenschaftsfreiheit. 3 Neben den politischen Rechten sind auch die bürgerlichen Menschenrechte von großer Bedeutung für einen demokratischen Staat. Auch diese Rechte basieren auf Gleichheit und beinhalten die „klassischen“ Individualrechte und Grundfreihe iten. Dazu zählen unter anderem das Recht auf Leben, das Recht auf Gleichheit vor dem Gesetz, das Recht auf persönliche Freiheit oder das Recht auf Privatleben. 4 1

Manfred Nowak (2002): Einführung in das internationale Menschenrechtssystem. Wien/Graz, 36. Thomas Schaber (1996): Internationale Verrechtlichung der Menschenenrechte. Eine reflexive institutionentheoretische Analyse des Menschenrechtsregimes der Vereinten Nationen. Baden-Baden, 71. 3 Manfred Nowak (2002): Einführung in das internationale Menschenrechtssystem. Wien/Graz, 58-59. 4 Waldemar Hummer (2004): „Der internationale Menschenrechtsschutz: Entwicklung und Grundlagen.“ In: Hanspeter Neuhold; Waldemar Hummer; Christoph Schreuer (Hg.): Österreichisches Handbuch des Völkerrechts. Band 1: Textteil. Wien, 258-264, 260. 2

8

Politische und bürgerliche Rechte werden in zahlreichen völkerrechtlichen Verträgen sowohl auf plurilateraler, zumeist regionaler Ebene als auch multilateral bis systemweit geregelt. Der erste große Schritt in Richtung universellen Menschenrechtsschutz wurde mit der Schaffung der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte (1948) getan. Sie beinhaltet nicht nur politische und bürgerliche Rechte, sondern geht auch auf wirtschaftliche, soziale und kulturelle Menschenrechte ein. Wenn ihr Text auch keine Verbindlichkeit für die Unterzeichnerstaaten beinhaltet, so stellt sie dennoch aufgrund ihrer inhaltlichen Breite das grundlegendste

internationale

Menschenrechtsdokument

dar.

Eine

völkerrechtlich

verbindliche Menschenrechtskonvention hinsichtlich der bürgerlichen und politischen Rechte wurde erst mit dem Internationalen Pakt über politische und bürgerliche Rechte (Zivilpakt, Pakt II) geschaffen. Aufgrund der 35 notwendigen Ratifikationen, die der Pakt benötigte, um in Kraft treten zu können, wurde die Konvention allerdings erst 1976 verbindlich. Mittlerweile haben 155 Staaten den Pakt über bürgerliche und politische Rechte ratifiziert.5 Inhaltlich gleicht er den in der Allgemeinen Erklärung für Mensche nrechte enthaltenen bürgerlichen und politischen Rechte. Die Formulierungen der Rechte im Pakt II sind jedoch ausführlicher und präziser gestaltet. Eine inhaltliche Erweiterung stellt das zweite Fakultativprotokoll zum Pakt dar. Darin werden die Ratifizierungsstaaten verpflichtet, alle erforderlichen Maßnahmen zur Abschaffung der Todesstrafe zu ergreifen. Um die im Zivilpakt enthaltenen Rechte für die Vertragsstaaten auch verbindlich zu machen, enthält der Pakt über bürgerliche und politische Rechte ein Rechtsschutzsystem aus drei Verfahrensarten. Das wichtigste Kontrollverfahren ist das Berichtsprüfungsverfahren, da es für alle Vertragsstaaten obligatorisch ist. Es besteht für die Staaten die Verpflichtung Berichte vorzulegen, in denen neben dem rechtlichen Rahmen, innerhalb dessen bürgerliche und politische Rechte gewährt werden, auch auf die Umsetzung und Verwirklichung der Rechte und die Schwierigkeiten dabei eingegangen wird. Vorgelegt werden diese Berichte dem Menschenrechtsausschuss, einem Organ, das aus 18 ExpertInnen aus unterschiedlichsten Ländern zusammengesetzt ist und als Konventionsorgan vom Sekretariat der UNO unterstützt wird. Dieser Ausschuss hat die Prüfung der Berichte zur Aufgabe und kann allgemeine Bemerkungen über die Menschenrechtssituationen in den Staaten machen. Zusätzlich kann der Menschenrechtsausschuss die Vertragsstaaten auffordern spezielle Berichte zu einem Menschenrechtsthema zu verfassen. Eine rechtliche Verbindung besteht für die Staaten jedoch nicht. Diesem Ausschuss obliegt nicht nur die Kontrolle über das Staatenberichtsverfahren, 5

Office of the United Nations High Commissioner for Human Rights (2006): International Covenant on Civil and Political Rights New York. Abgerufen am 6. Februar 2006 unter http://www.ohchr.org/english/countries/ratification/4.htm.

9

sondern auch über das Staatenbeschwerde- und das Individualbeschwerdeverfahren. Während das Staatenbeschwerdeve rfahren, das innerhalb des Paktes geregelt ist und nur dann zum Einsatz kommt, wenn sowohl vom Staat, der die Beschwerde einbringt, als auch vom Staat, an den diese Beschwerde gerichtet ist, eine Einverständniserklärung über die zulässige Anwendung dieses Verfahrens unterzeichnet wurde, als Kontrollverfahren bis jetzt noch nie zum Einsatz kam, stellt das Ind ividualbeschwerdeverfahren eine durchaus effektive Möglichkeit zur Kontrolle dar. Für die Anwendung dieser Verfahrensart ist jedoch die Ratifizierung des Ersten Fakultativprotokolls zum Pakt II notwendig. 6 105 Staaten unterzeichneten bis jetzt dieses Protokoll. 7 Nur Angehörige dieser Staaten können nach Erschöpfung

des

innerstaatlichen

Instanzenzuges

eine

Einzelfallprüfung

vor

dem

Menschenrechtsausschuss beantragen. Nach Untersuchung des Falles werden „Auffassungen“ formuliert, die die rechtliche Situation im speziellen Anliegen bewerten und Empfehlungen zur Sicherstellung der im Internationalen Pakt für bürgerliche und politische Rechte verankerten

Rechte

an

den

Staat

beinhalten.

Diese

Auffassungen

des

Menschenrechtsausschusses sind jedoch keine bindenden Urteile. Folglich kann auch die Umsetzung

nicht

mehr

kontrolliert

werden. 8

Dennoch

wird

dem

Individualbeschwerdeverfahren im Zuge des Zivilpaktes aufgrund der hohen Zahl an behandelten Fällen eine hohe Bedeutung zugemessen. Neben dem Pakt über bürgerliche und politische Rechte kam es auf internationaler Ebene des Menschenrechtsschutzes auch zu einer Reihe von UN-Konventionen, die die Gewährung spezieller bürgerlicher und politischer Rechte sicherstellen sollen. Die wichtigsten Konventionen wurden zur Beseitigung von Rassendiskriminierung (1965), zur Beseitigung von Diskriminierung der Frau (1979), zur Beseitigung von Folter und anderen grausamen, unmenschlichen oder erniedrigenden Strafen oder Behandlungen (1984) und über die Rechte des Kindes (1990) ausgehandelt. Sie alle verfügen – ähnlich wie der Internationale Pakt über bürgerliche und politische Rechte – über einen unabhängigen Überwachungsmechanismus mit einem Expertenausschuss als Kontrollorgan, ein obligatorisches Staatenberichtssystem und,

6

Thomas Schaber (1996): Internationale Verrechtlichung der Menschenenrechte. Eine reflexive institutionentheoretische Analyse des Menschenrechtsregimes der Vereinten Nationen. Baden-Baden, 157-161, 178-182; Waldemar Hummer (2004): „Der universelle Menschenrechtsschutz im Rahmen der Vereinten Nationen.“ In: Hanspeter Neuhold; Waldemar Hummer; Christoph Schreuer (Hg.): Österreichisches Handbuch des Völkerrechts. Band 1: Textteil. Wien, 264-274, 266-267. 7 Office of the United Nations High Commissioner for Human Rights (2006): Optional Protocol to the International Covenant on Civil and Political Rights New York. Abgerufen am 6. Februar 2006 unter http://www.ohchr.org/english/countries/ratification/5.htm. 8 Thomas Schaber (1996): Internationale Verrechtlichung der Menschenenrechte. Eine reflexive institutionentheoretische Analyse des Menschenrechtsregimes der Vereinten Nationen. Baden-Baden, 204-205.

10

mit Ausnahme der Konvention über die Rechte des Kindes, die Möglichkeit des Individualbeschwerdeverfahrens. 9

Auf europäischer Ebene spielt die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) des Europarates die zentrale Rolle. Die Einhaltung der Menschenrechte bildet beim Europarat eine Grundlage für die Mitgliedschaft, zu der sich mittlerweile 46 europäische Staaten bekannt haben. In der EMRK werden hauptsächlich bürgerliche und politische Rechte geregelt, wie Rechte der körperlichen Integrität, Rechte der persönlichen, geistigen und privaten Freiheit, verfahrensrechtliche Garantien, politische Rechte und das Recht auf Gleichheit. Zusätzlich zu den in der Konvention erwähnten Rechten können die durch Zusatzprotokolle

ausgehandelten

Regelungen

vor

Gericht

gebracht

werden.

Diese

Zusatzprotokolle müssen jedoch von den einzelnen Mitgliedsstaaten eigens ratifiziert werden, um auch einklagbar zu sein. Durch diese besonderen Regelungen ist es unter anderem zur Abschaffung der Todesstrafe in Friedens- wie in Kriegszeiten in den Vertragsstaaten gekommen. Der Europarat richtete als einzige Organisation bereits 1959 einen eigenen Gerichtshof ein, bei dem entweder durch Individual- oder durch Staatenbeschwerdeverfahren die in der EMRK enthaltenen Rechte eingeklagt werden können. Während der Staatenbeschwerde nur eine untergeordnete Ro lle zukommt, wird die Individualbeschwerde sehr häufig eingebracht. Der Grund dafür ist die verbindliche Rechtssprechung des mittlerweile unabhängigen Menschenrechtsgerichtshofes, der Mindeststandards im Bereich der bürgerlichen und politischen Rechte gemäß der EMRK und ihrer Zusatzprotokolle einfordern kann. 10 Innerhalb des Europarates besteht zur Verhütung von Folter eine eigene, erwähnenswerte Form der Kontrolle. Im Rahmen des Europäischen Übereinkommens zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe

ist ein

Besuchssystem eingeführt worden. Die Konvention, die von 42 Staaten unterzeichnet wurde, gibt einem eigenen Komitee die Möglichkeit, „jederzeit und ohne vorherige Ankündigung alle Orte, an denen Personen durch Behörden ihre Freiheit entzogen wird“11 zu besuchen. Diesem „Besuch“ folgt ein Bericht mit Empfehlungen zu Verbesserungen im Bereich des Schutzes von Inhaftierten. 12

9

Manfred Nowak (2002): Einführung in das internationale Menschenrechtssystem. Wien/Graz, 98-108. Manfred Nowak (2002): Einführung in das internationale Menschenrechtssystem. Wien/Graz, 174-189. 11 Wolfram Karl (2004): “Der Europäische Menschenrechtsschutz.” In: Hanspeter Neuhold; Waldemar Hummer; Christoph Schreuer (Hg.): Österreichisches Handbuch des Völkerrechts. Band 1: Textteil. Wien, 274-312, 303. 12 Wolfram Karl (2004): “Der Europäische Menschenrechtsschutz.” In: Hanspeter Neuhold; Waldemar Hummer; Christoph Schreuer (Hg.): Österreichisches Handbuch des Völkerrechts. Band 1: Textteil. Wien, 274-312, 303. 10

11

Nicht nur staatliche Organisationen haben dazu beigetragen, Menschenrechtsstandards zu entwerfen und diese auch durchzusetzen, sondern auch nicht-staatliche Organisationen. NGOs tragen oft zur erfolgreichen Arbeit von IGOs bei. Sowohl in Organen der Vereinten Nationen als auch im Europarat kommt ihnen ein beratender Status zu. Zur Durchsetzung vo n UNKonventionen und der Europäischen Folterkonvention werden NGOs ebenfalls herangezogen. Wenn ihnen auch keine Möglichkeiten der Rechtsdurchsetzung zukommen, so muss ihr Gewicht, das sie als unabhängige Organisationen in der Gesellschaft haben, beachtet werden. Durch die Arbeit mit Menschenrechtsopfern, dem Sammeln von Informationen über Menschenrechtsverletzungen, die Zusammenarbeit mit Regierungen und Medien bei der Gestaltung von neuen Standards und die Bewusstseinsbildung, die sie in der Öffentlichkeit betreiben, sind NGOs zu einem unverzichtbaren Faktor in der Verbesserung der Einhaltung von Menschenrechten geworden. 13

0.0. Wirtschaftliche, soziale und kulturelle Menschenrechte und „gesellschaftliche Rechte“ Während im politischen Westen die Freiheit jedes Menschen im Vordergrund stand, entwickelte sich durch die sozialistischen KritikerInnen ein anderes Menschenrechtskonzept, in dem durch Einheit von Staat und Gesellschaft, Übereinstimmung von Individual- und Kollektivinteressen und die Abschaffung des Privateigentums bürgerliche und politische Rechte nebensächlich wurden. Das Hauptaugenmerk lag auf den wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Menschenrechten, die heute die zweite Generation von Menschenrechten darstellen. Sie beinha lten Rechte, wie das Recht auf Arbeit und angemessenen Lebensstandard, das Recht auf ärztliche Versorgung oder das Recht auf Bildung und Teilnahme am kulturellen Leben der Gesellschaft. 14

Neben den Individualrechten existieren auch Kollektivrechte. Sie schützen die Interessen der Gesellschaft und werden zusammengefasst die „gesellschaftlichen Rechte“ oder die Rechte der dritten Generation genannt. Rechte dieser Generation sind beispielsweise das Recht auf

13

Manfred Nowak (2002): Einführung in das internationale Menschenrechtssystem. Wien/Graz, 273-275. Waldemar Hummer (2004): „Der internationale Menschenrechtsschutz: Entwicklung und Grundlagen.“ In: Hanspeter Neuhold; Waldemar Hummer; Christoph Schreuer (Hg.): Österreichisches Handbuch des Völkerrechts. Band 1: Textteil. Wien, 258-264, 260. 14

12

Entwicklung, das Recht auf Verfügung über die eigenen natürlichen Ressourcen, das Recht auf eine saubere Umwelt oder das Recht auf Frieden und Solidarität. 15

Neben dem Zivilpakt der Vereinten Nationen besteht auch ein Internationaler Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (Sozialpakt, Pakt I) aus dem Jahr 1966, der ebenso erst 1976 in Kraft getreten ist. Mittlerweile zählt auch dieser Pakt 152 Vertragsstaaten. 16 Die festgelegten Rechte betreffen die meisten wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Menschenrechte. Im Gegensatz zu den im Pakt II verankerten Pflichten, verpflichtet sich ein Vertragsstaat des Sozialpaktes in Art. 2 lediglich „einzeln und durch internationale Hilfe und Zusammenarbeit, … unter Ausschöpfung aller seiner Möglichkeiten Maßnahmen zu treffen, um nach und nach mit allen geeigneten Mitteln, vor allem durch gesetzgeberische Maßnahmen, die volle Verwirklichung der in diesem Pakt anerkannten Rechte zu erreichen.“17 Diese

Formulierung

der

staatlichen

Umsetzungsverpflichtung

macht

ein

direktes

Durchsetzungsverfahren nicht möglich. Während im Zivilpakt zusätzlich zum Berichtssystem Staaten- und Individualbeschwerden möglich sind, enthält der Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte lediglich eine Verpflichtung zur Übermittlung von Staatenberichten an den dafür geschaffenen Ausschuss für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte. 18 unabhä ngige ExpertInnen prüfen dort die Berichte und geben Empfehlungen an den Wirtschafts- und Sozialrat der Vereinten Nationen ab. Dieser wiederum verfasst periodische Berichte, in denen allgemeine Empfehlungen zum Schutz der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte enthalten sein können. 18 Mit diesem Berichtssystem alleine kann eine Einhaltung der Pflichten von Seiten der Vertragsstaaten nicht gewährleistet werden. Während auf internationaler Ebene der Gegenpol zum Zivilpakt der Sozialpakt ist, stellt auf europäischer Ebene die Europäische Sozialcharta das Gegenstück zur EMRK dar. Auch sie wurde im Rahmen des Europarates geschaffen. Anders jedoch als die EMRK, deren Ratifizierung Grundla ge für einen Beitritt zum Europarat darstellt, ist die Annahme der Europäischen Sozialcharta nicht verpflichtend. Den Vertragsstaaten ist es außerdem freigestellt, ob sie die gesamte Charta unterzeichnen oder ob sie lediglich einzelne Rechte aus 15

Waldemar Hummer (2004): „Der internationale Menschenrechtsschutz: Entwicklung und Grundlagen.“ In: Hanspeter Neuhold; Waldemar Hummer; Christoph Schreuer (Hg.): Österreichisches Handbuch des Völkerrechts. Band 1: Textteil. Wien, 258-264, 260. 16 Office of the United Nations High Co mmissioner for Human Rights (2006): Committee on Economic, Social and Cultural Rights. Abgerufen am 6. Februar 2006 unter http://www.ohchr.org/english/bodies/cescr/. 17 Hanspeter Neuhold; Waldemar Hummer; Christoph Schreuer (1997): Österreichisches Handbuch des Völkerrechts. Band 2: Materialienteil. Wien, 248. 18 Manfred Nowak (2002): Einführung in das internationale Menschenrechtssystem. Wien/Graz, 96-97.

13

dem Dokument annehmen. Inhaltlich bezieht sich die Sozialcharta unter anderem auf das Recht auf Arbeit, Fürsorge, Bildung und soziale Sicherheit, auf den Schutz von Familien und Kindern und auf das Recht auf Vereinigungsfreiheit. Durch ein Zusatzprotokoll und eine Revision der Charta wurde der Inhalt den wirtschaftlichen und sozialen Notwendigkeiten der heutigen Zeit angepasst. So wurden beispielsweise das Recht auf Schutz von Älteren oder das Recht auf Schutz vor Armut und Unterstützung bei Arbeitsverlust zusätzlich aufgenommen. Die revidierte Europäische Sozialcharta von 1996 wurde mittlerweile von 37 der 46 Mitgliedsstaaten des Europarates unterzeichnet. 19 davon ratifizierten die erneuerte Charta bereits. 19 Mit ihrer Ratifikation verpflichten sie sich Berichte an den unabhängigen Europäischen Ausschuss für Soziale Rechte abzuliefern. Neun ExpertInnen geben nach der Prüfung dieser Berichte Empfehlungen ab, die vom Ministerkomitee verabschiedet werden. Neben

dem

Berichtssystem

existiert

für

die

Europäische

Sozialcharta

auch

ein

Kollektivbeschwerdesystem zur Überwachung der Recht sumsetzungen. Eingesetzt wurde diese Kontrollmöglichkeit durch ein Zusatzprotokoll, das wieder von jedem Staat einzeln ratifiziert werden muss, um Anwendung zu finden. Dieses Beschwerdesystem ist nur für bestimmte

NGOs

und

Arbeitgeber-

bzw.

Arbeitnehmerorganisationen

vorgesehen.

Entschieden wird nicht wie bei der EMRK von einem Gericht, sondern vom Ministerkomitee. 20 Insgesamt gesehen ist daher die Durchsetzung von wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechten in Europa stark von der Einsatzbereitschaft der einzelnen Staaten für diese Rechte abhängig.

Menschenrechte basieren auf zwei grundlegenden Werten: der Gleichheit und der Mensche nwürde. Die Rechte eines jeden/r Einzelnen können nur so weit durchgesetzt werden, soweit sie nicht die Rechte eines anderen Menschen beschneiden und es nicht zu einer Besserstellung bzw. Unterordnung einer Person kommt. Innerhalb der Gesellschaft werden Menschen fast immer über das Geschlecht definiert. „Die Kategorie Geschlecht übernimmt die Funktion der Positionierung von Männern und Frauen im sozialen Raum; sie hat den Status eines sozialen Platzanweisers.“ 21

19

Europarat (2006): Sozialcharta. Die Mitgliedsstaaten des Europarats und die Europäische Sozialcharta. Abgerufen am 6. Februar 2006 unter http://www.coe.int/T/d/Menschenrechte/Sozialcharta/CSE_TablSimplifie_GER.asp#TopOfPage. 20 Manfred Nowak (2002): Einführung in das internationale Menschenrechtssystem. Wien/Graz, 189-192. 21 Hannelore Bublitz (2002): „Geschlecht.“ In: Hermann Korte; Bernhard Schäfers (Hg.): Einführung in die Hauptbegriffe der Soziologie. Opladen, 85-104, 90.

14

Frauen und Männern werden innerhalb der Gesellschaft und in sozialen Gruppen, wie der Familie, gewisse Rollen zugesprochen. Diese biologische Ungleichheit bestimmt somit die Aufteilung der Tätigkeitsbereiche und gesellschaftlichen Funktionen beider Geschlechter. Wird jemand aufgrund seines Geschlechts gegenüber dem anderen Geschlecht benachteiligt, so wird das Prinzip der Gleichberechtigung verletzt. Gleichberechtigte Behandlung von Mann und Frau ist jedoch ein Menschenrecht, das mittlerweile auch Eingang in die internationalen Menschenrechtsverträge gefunden hat. So wie die Gesellschaft von der Ungleichheit der Geschlechter geprägt ist, sind auch die rechtlichen Regelungen von der Vorherrschaft der Männer geformt. „Orientierungsmaßstab des Rechts ist die soziale Realität des „männlichen“ Durchschnittsmenschen.“22 Die feministische Rechtskritik von Floßmann sieht das Recht als „ein von Männern gestaltetes und sich am Leben der Männer orientierendes Werk.“23 , was sich für sie beispielsweise an der Nicht-Einbeziehung der Lebenswirklichkeit der Frauen zeigt. Um die spezifischen menschenrechtlichen Bedürfnisse von Frauen zu decken, war und ist daher eine gesonderte Regelungen der Frauenrechte notwendig. Im Folgenden wird auf diese speziellen völkerrechtlichen Verträge eingegangen. Da die Missachtung von Frauenrechten häufig im privaten Bereich geschieht und hierbei die Familie als die bedeutendste gesellschaftliche Institution zu nennen ist, wird im Anschluss der theoretische Rahmen der Familiensoziologie behandelt. Sowohl die Umsetzung dieser frauenrechtlichen Regelungen in der Türkei als auch die Soziologie der türkischen Familie werden im Verlauf der Arbeit bearbeitet.

0.0.0.

Frauenrechte sind Menschenrechte

Sowohl die Menschenrechtsbestimmungen der Vereinten Nationen, insbesondere die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte von 1948 sowie die Internationalen Pakte über politische und bürgerliche Rechte (Pakt II) und über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (Pakt I) von 1966, als auch die regionalen Menschenrechtsschutzkonventionen, die sich auf Kontinente oder Kulturkreise beziehen, sind natürlich auf Frauen und Männer ohne Unterschied anwendbar. Allerdings sind zum einen nur die bürgerlichen und politischen Rechte auch einklagbar und wird die Gewährleistung von wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechten vom guten Willen der Vertragsstaaten abhängig gemacht. Wie Statistiken 22

Ursula Floßmann (1998): „Vom formalen zum feministischen Grundrechtsverständnis.“ In: Astrid DeixlerHübner (Hg.): Die rechtliche Stellung der Frau. Wien, 209-232, 212. 23 Ursula Floßmann (1998): „Vom formalen zum feministischen Grundrechtsverständnis.“ In: Astrid DeixlerHübner (Hg.): Die rechtliche Stellung der Frau. Wien, 209-232, 214.

15

zeigen, sind es vor allem Frauen, die nicht in den Genuss jener Rechte kommen, die im Sozialpakt

geregelt

sind.

Zum

anderen

haben

die

üblichen,

verbindlichen

Menschenrechtsnormen nicht genug Tiefgang, um Traditionen, diskriminierende Praktiken und Institutionen, die von männlichen Lebenswelten geprägt sind, zu erfassen. Bereits in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte wird mit dem Verbot der Diskriminierung auf die allgemeine Gültigkeit und Anwendbarkeit der Rechte auf alle Menschen eingegangen. Neben dem Diskriminierungsverbot enthält die Erklärung allerdings keine Regelungen, die die gleichberechtigte Behandlung der Geschlechter sichern würde. Mit der Ratifizierung des Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte verpflichten sich die Vertragsstaaten, die Gleichberechtigung von Mann und Frau bei der Ausübung der im Pakt festgelegten Rechte sicherzustellen. Im Pakt II wird außerdem auf das Recht auf Gleic hheit vor dem Staat eingegangen, das eine Diskriminierung aufgrund des Geschlechts und anderer Merkmale nicht zulässt. Ähnliche Ausführungen beinhaltet der Sozialpakt. Auch darin werden das Diskriminierungsverbot und die Gleichberechtigung der Geschlechter in Bezug auf die im Pakt verankerten wirtschaftliche n, sozialen und kulturellen Rechte festgemacht. Explizit wird auf die gleichen Arbeitsbedingungen von Männern und Frauen eingegangen, die neben dem Grundsatz „gleiches Entgelt für gleiche Arbeit“ gelten müssen. Aufgrund der Mutterrolle wird Frauen im Pakt I im Zuge des Schutzes der Familie während der Zeit der Geburt besonderer Schutz gewährt. Zudem werden die sozialen Rechte berufstätiger Mütter angesprochen. Konkrete Regelungen beinhalten diese jedoch nicht. 24

Die in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte und in den UN-Pakten festgeschriebenen

Menschenrechte

genügten

nicht,

um

zumindest

eine

rechtliche

Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau herzustellen. Deswegen wurden von den Vereinten Nationen völkerrechtliche Verträge ausgehandelt, die den spezifischen Schutz der Frauenrechte beinhalten. Dazu zählen das Übereinkommen über die politischen Rechte der Frau

(1952),

das

Übereinkommen

über

die

Erklärung

des

Ehewillens,

das

Heiratsmindestalter und die Registrierung von Eheschließungen (1962), die Erklärung über die Beseitigung der Diskriminierung der Frau (1967) und das Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form der Diskriminierung der Frau (CEDAW) (1979). Eines der ersten UN-Übereinkommen überhaupt bezieht sich auf die politischen Rechte der Frau. In nur wenigen Artikeln werden die Rechte, die die Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau in diesem Bereich garantieren sollen, dargelegt. Konkret geht der Text des 24

Hanspeter Neuhold; Waldemar Hummer; Christoph Schreuer (1997): Österreichisches Handbuch des Völkerrechts. Band 2: Materialienteil. Wien, 244-258.

16

Übereinkommens auf die Forderung nach einem gleichberechtigten, aktiven und passiven Wahlrecht für Frauen, sowie auf ein Diskriminierungsverbot bei der Ausübung von öffentlichen Ämtern und Funktionen ein. 25 Das 1962 von der Generalversammlung angenommen Übereinkommen über Ehe und Familie unterstreicht das Recht auf Heirat und Gründung einer Familie. Betont wird dabei die freie Willensentscheidung von Frau und Mann. Um Ehen von Kindern zu vermeiden, wird im Übereinkommen den Vertragsstaaten vorgeschrieben, ein Mindestheiratsalter festzusetzen. Konkrete Angaben dazu werden allerdings erst in der drei Jahre später angenommenen Empfehlung über die Erklärung des Ehewillens, das Heiratsalter und die Registrierung von Eheschließungen gemacht. Das Mindestalter für eine Eheschließung beträgt dieser Empfehlung nach 15 Jahre. 26 Weder das Übereinkommen über die politischen Rechte der Frau noch das Übereinkommen über Angelegenheiten der Ehe brachte jedoch ein Regelüberwachungssystem mit sich, das die Umsetzung der Regelungen und die Kontrolle darüber garantierte. Der wohl bedeutendste völkerrechtliche Vertrag, der sich speziell mit Frauenfragen beschäftigt, ist die Konvention zur Beseitigung jeder Form der Diskriminierung der Frau. Mittlerweile

wurde

dieses

Dokument

von

180

Staaten

unterzeichnet. 27

Dieses

Übereinkommen hat das Verbot und die Beseitigung jeglicher „mit dem Geschlecht begründeter Unterscheidung, Ausschließung oder Beschränkung“28 zum Grundprinzip. Staaten verpflichten sich mit der Unterzeichnung zur Aufnahme des Grundsatzes der Gleichheit in der Staatsverfassung. Explizit erwähnt wird in der Konvention die „positive Diskriminierung“,

die

als

ein

Mittel

zur

Überwindung

gesellschaftlicher

Anpassungsschwierigkeiten angesehen wird. Das Übereinkommen beinhaltet nicht nur allgemeine Bestimmungen über politische, soziale und wirtschaftliche Rechte, sondern widmet sich unter anderem konkreten Frauenrechtsfragen, wie der Situation der Frauen im Ehe- und Familienrecht. Zudem wird auf die Themen Frauenhandel und die Stellung der Frauen in ländlichen Regionen gesondert eingegangen. 29 Besonders hervorzuheben ist dabei,

25

Office of the High Commissioner of Human Rights (2006): Convention on the Political Rights of Women. Abgerufen am 8. Jänner 2006 unter http://www.unhchr.ch/html/menu3/b/22.htm. 26 Thomas Schaber (1996): Internationale Verrechtlichung der Menschenenrechte. Eine reflexive institutionentheoretische Analyse des Menschenrechtsregimes der Vereinten Nationen. Baden-Baden, 150-152. 27 United Nations Convention on the Elimination of All Forms of Discrimination against Women – CEDAW (2005): State Parties. Abgerufen am 6. Februar 2006 unter http://www.un.org/womenwatch/daw/cedaw/states.htm. 28 Auswärtiges Amt Deutschland (2006): Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau. Abgerufen am 6. Februar 2006 unter http://www.auswaertigesamt.de/www/de/infoservice/download/pdf/mr/frauen.pdf. 29 Manfred Nowak (2002): Einführung in das internationale Menschenrechtssystem. Wien/Graz, 100-102.

17

dass sich die Anweisungen an die Staaten nicht nur auf den staatlichen Bereich konzentrieren, sondern auch auf den privaten, der bis zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der CEDAW von der Aufsicht über die Menschenrechte durch den Staat ausgeschlossen war. Die privaten Bereiche, die die CEDAW abdeckt, betreffen die Beseitigung der Diskriminierung der Frau in Ehe- und Familienfragen (Art. 16) sowie die Aufhebung aller Gepflogenheiten und Praktiken, die eine Benachteiligung der Frau darstellen (Art. 2(f)). Die CEDAW enthält jedoch keine Regelungen, die Gewalt in der Familie bzw. gegenüber Frauen ausdrücklich verbieten würde. 30 Die Vertragsstaaten müssen „alle geeigneten Maßna hmen“ treffen, „um einen Wandel in den sozialen und kulturellen Verhaltensmustern von Mann und Frau zu bewirken…“31 . Beabsichtigt wird dabei die Beseitigung von traditionellen, sozialen Verhaltensmustern und –einstellungen, die die untergeordnete Stellung der Frau zur Folge haben. Wenn die Ziele der CEDAW und die Rechte, die Frauen zustehen sollten, auch klar formuliert werden, so besteht doch keine rechtliche Verbindlichkeit für die Vertragsstaaten. Die Formulierung „die Vertragsstaaten treffen alle geeigneten Maßnahmen“ lässt einen Spielraum für die Unterzeichnerstaaten innerhalb des Kontrollsystems. 32 Während die Vertragsstaaten der oben genannten Übereinkommen bis in die sechziger Jahre mit ihrer Unterzeichnung aufgrund der fehlenden Umsetzungs- und Überwachungsinstrumentarien lediglich ein Bekenntnis zum Versuch der Verbesserung der Frauenrechte ablegten, kann den Mitgliedern der CEDAW durch das Staatenberichtsverfahren zumindest teilweise die erfolgte oder nicht erfolgte Umsetzung der Konvention nachgewiesen werden. Die Staaten haben innerhalb bestimmter Fristen und mindestens alle vier Jahre bzw. nach Aufforderung Berichte über die Stellung der Frau im Land an einen Expertenausschuss abzugeben. Die Berichtsform bzw. die anzuführenden Daten werden dabei vorgegeben. Aufgrund dieses Berichtes gibt der Expertenausschuss anschließend allgemeine Empfehlungen und Vorschläge ab. 33 Im Jahr 2000 kam es zum Einsetzen eines Fakultativprotokolls zur CEDAW. Dieses sieht ein Individualbeschwerdeverfa hren vor, dass Frauen und Frauenorganisationen die Möglichkeit gibt, nach Ausschöpfung des innerstaatlichen Instanzenzuges bei Verstößen gegen die 30

Auswärtiges Amt Deutschland (2006): Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau. Abgerufen am 6. Februar 2006 unter http://www.auswaertigesamt.de/www/de/infoservice/download/pdf/mr/frauen.pdf. 31 Auswärtiges Amt Deutschland (2006): Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau. Abgerufen am 6. Februar 2006 unter http://www.auswaertigesamt.de/www/de/infoservice/download/pdf/mr/frauen.pdf. 32 Tanja Keller (1998): „Was nutzen die Vereinten Nationen den Frauen? Effektivität der UN-Instrumente für die Menschenrechte von Frauen.“ In: Birgit Erbe (Hg.): Frauen fordern ihre Rechte. Menschenrechte aus feministischer Sicht. Berlin/Hamburg, 89-107, 98. 33 Thomas Schaber (1996): Internationale Verrechtlichung der Menschenenrechte. Eine reflexive institutionentheoretische Analyse des Menschenrechtsregimes der Vereinten Nationen. Baden-Baden, 165.

18

Bestimmungen der CEDAW sich an den Ausschuss für die Beseitigung der Diskriminierung der Frau zu wenden. Anschließend werden dem Vertragsstaat und der Einzelperson die Auffassungen des Ausschusses mitgeteilt, die zwar rechtlich nicht verbindlich sind, aber dennoch eine politische Wirkung haben können. Zudem kann ein Untersuchungsverfahren eingeleitet werden, wenn Grund zur Annahme von schwerwiegenden oder systematischen Menschenrechtsverletzungen der Frau durch einen Vertragsstaat besteht. 34 Bis jetzt wurde dieses Protokoll von 76 Staaten ratifiziert. 35 Da das Fakultativprotokoll zur CEDAW erst seit 2000 in Kraft ist und daher bis jetzt nur wenige Entscheidungen gefällt wurden, ist noch nicht zu beurteilen, ob die Schiedssprüche und das Verhalten des Komitees Verbesserung im Bereich der Frauenrechte bringen. Die Forderung, dieses Fakultativprotokoll zur CEDAW einzusetzen, war 1995 auf der Vie rten Weltfrauenkonferenz in Peking laut geworden. Weltkonferenzen dieser Art haben nicht den Zweck, verbindliche Regelungen zu erstellen, sondern Handlungsaufforderungen an Regierungen und internationale Organisationen zu richten. Die behandelten Thematiken der letzten Weltfrauenkonferenz erstrecken sich über eine Vielzahl von Bereichen, in denen Frauen tätig sind und in denen Verbesserungen zum Schutz der Frauenrechte notwendig sind. 36 Im weiteren Sinne ist für den Schutz der Frauenrechte auch die Konvention über die Rechte des Kindes relevant. Sie ist seit 1990 in Kraft und definiert die Rechte aller Kinder und Jugendlichen unter 18 Jahre. Zu ihren Grundprinzipien zählen das Recht auf Schutz, das Recht auf Grundversorgung und das Recht auf Beteiligung. Speziell für Mädchen und junge Frauen stellt dieses Abkommen einen rechtlichen Schutz dar, da in einem Fakultativprotokoll Regelungen zu Kinderprostitution und Kinderpornografie enthalten sind. 37

Alle genannten frauenrechtlichen Verträge wurden in einem Organ der Vereinten Nationen ausgearbeitet: der Kommission für die Rechtsstellung der Frau, die seit 1947 eine beratende und empfehlende Institution für den Wirtschaft- und Sozialrat darstellt. Die 45 gewählten Mitgliedsstaaten tagen einmal jährlich, um Empfehlungen und Berichte zur Förderung von Frauenrechten im politischen, sozialen, bürgerlichen, wirtschaftlichen und kulturellen Bereich 34

Bundesministerium für Gesundheit und Frauen (2005): Frauen: EU/Internationales. Konvention zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung von Frauen (CEDAW). Abgerufen am 6. Februar 2006 unter http://www.bmgf.gv.at/cms/site/detail.htm?thema=CH0282&doc=CMS1094455111533. 35 United Nations Convention on the Elimination of All Forms of Discrimination against Women – CEDAW (2005): Signatures to and Ratifications of the Optional Protocol. Abgerufen am 6. Februar 2006 unter http://www.un.org/womenwatch/daw/cedaw/protocol/sigop.htm. 36 Manfred Nowak (2002): Einführung in das internationale Menschenrechtssystem. Wien/Graz, 166-167. 37 UNICEF - Austria (2006): Kinderrechte: Die Konvention über die Rechte des Kindes. Abgerufen am 28. Februar 2006 unter http://www.unicef.at/kinderrechte/jahre.asp.

19

abzugeben. Zur Aufgabe der Kommission gehört unter anderem die Durchführung der Weltfrauenkonferenzen. 38

Die oben erwähnten Menschenrechtsschutzabkommen werden von der Generalversammlung der Vereinten Natio nen verabschiedet. Die Grundlage der dafür eingesetzten Organe und Mechanismen

bildet

die

Satzung

der

UNO.

Daneben

existieren

die

UNO-

Sonderorganisationen, die rechtlich selbstständige internationale Organisationen mit eigenen Statuten, Organen und Mitgliedsländern darstellen. Auch für sie besteht die Möglichkeit Konventionen zum Schutz der Menschenrechte zu erlassen. Die International Labour Organization (ILO) beispielsweise beinhaltet Gleichberechtigungsfragen, die die Frauenrechte in der Arbeitswelt gesondert schützen. Dazu gehört das Übereinkommen über die Gleichheit des Entgelts männlicher und weiblicher Arbeitskräfte für gleichwertige Arbeit aus dem Jahr 1951 sowie die Konvention über Diskriminierung in Beschäftigung und Beruf aus dem Jahr 1958. Darin wird jede Unterscheidung, Ausschließung oder Besserstellung, die aufgrund der Rasse, des Geschlechts, der Religion oder des nationalen oder sozialen Ursprungs vorgenommen wird, als Diskriminierung bezeichnet. 39 Im Unterschied zur CEDAW ist zur Kontrolle der Durch- und Umsetzung der Konvention kein Berichtssystem angehängt. Wie in vielen Fällen bestehen auch bei den Übereinkommen der ILO die Probleme der Umsetzung und der Überprüfung der Einhaltung der Vorschriften.

Auf europäischer Ebene ist es bis jetzt zu keinem völkerrechtlichen Vertrag ähnlich der CEDAW gekommen. Die EMRK erwähnt die Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau nicht explizit. Ebenso wird nicht auf besondere Frauenrechte hingewiesen. In Art. 14 wird lediglich ein Diskriminierungsverbot aufgrund des Geschlechts in Bezug auf die in der Konvention festgelegten Rechte und Freiheiten angeführt. Mit dem 12. Zusatzprotokoll zur EMRK wurde ein allgemeines und unabhängiges Diskriminierungsverbot erlassen, das sich nicht mehr nur auf die Rechte und Freiheiten der Konvention bezieht. Mit diesem Protokoll wurde die Gleichheit vor dem Gesetz geschaffen. In der Europäischen Sozialcharta – vor allem in der revidierten Fassung – wird stärker auf die Rechte der Frau eingegangen. Zwar werden auch hier, wie im Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte, der Schutz der Familie und die Rolle der Frau

38

Manfred Nowak (2002): Einführung in das internationale Menschenrechtssystem. Wien/Graz, 134-135. Istanbul Bilgi University. Human Rights Law Research Center (2006): Treaties/International Labour Organization. Discrimination (Employment and Occupation) Convention. Abgerufen am 8. Jänner 2006 unter http://insanhaklarimerkezi.bilgi.edu.tr/andlasmalar_ilo/c111_eng.asp. 39

20

als Mutter hochgehalten, doch werden auch explizit die Rechte auf Chancengleichheit und Gleichbehandlung von Männern und Frauen erwähnt. 40 Ein weiteres Recht, das aus fraue nrechtlicher Sicht von großer Bedeutung ist, ist das Recht auf Vereinbarkeit von Beruf und Familie, da meist aus gesellschaftlichen Gründen die Frau diejenige ist, die die Rolle der Erzieherin übernimmt. Das Überwachungssystem sieht leider keine verpflichtende Durchsetzung dieser Rechte vor.

Auf

regionaler

Ebene

ist

es

auch

innerhalb

des

islamischen

Kulturkreises

zu

Menschenrechtserklärungen gekommen. In Bezug auf die islamische Türkei wird kurz auf die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte im Islam von 1981 eingegangen. Sie beruft sich auf den Koran und nimmt die islamischen Regelungen in die Erklärung auf. Frauenrechte werden dabei maximal in Form von Familienrechten angesprochen. Die Stellung der Frau in der islamischen Gesellschaft wird in der folgenden Passage aus der islamischen Menschenrechtserklärung deutlich: „Die Männer stehen über den Frauen, weil Gott die einen von ihnen (die Männer) vor den anderen bevorzugt hat und wegen der Ausgaben, die so von ihrem Vermögen gemacht haben.“41 Dieser Text widerspricht aus der Sicht des westlichen Verständnisses für Menschen- und Frauenrechte klar dem Diskriminierungsverbot.

0.0.0. 0.0.0.0.

Soziologie der Familie Familienformen

Um auf die Rolle der türkischen Familie in Bezug auf die Durchsetzung der Frauenrechte eingehen zu können, ist eine theoretische Abhandlung der Familiensoziologie notwendig. Dem Begriff der Familie kommen zahlreiche Definitionsvorschläge zu. Bei Rosemarie NaveHerz sind Familien erstens durch eine Reproduktions- und Sozialisationsfunktion sowie durch eine kulturell veränderliche gesellschaftliche Funktion gekennzeichnet. Das zweite Merkmal besteht aus der Differenzierung zwischen den Generationen der Kinder, Eltern, Großeltern, usw. Das dritte Kennzeichen von Familien ist ein Verhältnis der Zusammenarbeit, in dem jedes Mitglied eine Rolle spielt. 42 Während Paul B. Hill und Johannes Kopp „eine auf Dauer angelegte Verbindung von Mann und Frau mit gemeinsamer Haushaltsführung und 40

Manfred Nowak (2002): Einführung in das internationale Menschenrechtssystem. Wien/Graz, 191. Allgemeine Erklärung der Menschenrechte im Islam. Abgerufen am 6. Februar 2006 unter http://www.dadalos.org/deutsch/Menschenrechte/Grundkurs_MR2/Materialien/dokument_8.htm. 42 Rosemarie Nave-Herz (2004): Ehe- und Familiensoziologie. Eine Einführung in Geschichte, theoretische Ansätze und empirische Befunde. Weinheim/München, 30. 41

21

mindestens einem eigenen (oder adoptierten) Kind“43 als Familie ansehen, lässt die Definition von Nave-Herz Spielraum für die Einordnung von familiären Verbindungen, wie Haushalte von alleinerziehenden Elternteilen und Paaren ohne Kinder oder homosexuellen Lebensgemeinschaften, wie sie moderne Industriegesellschaften mit sich gebracht haben. Gukenbiehl sieht ebenfalls erst mit einer „Kindschaftsbeziehung“ eine Familie gegeben. 44 Ein weiteres Kriterium für eine Familie, das jedoch nicht zwingend vorhanden sein muss, stellt das Ehesystem dar. 45 In modernen Gesellschaften ist die monogame Ehe die gängige Eheform. Daneben existieren aber auch polygame Verbindungen, zu denen die Gruppenehe, die Polygynie (Ehe zwischen einem Mann und mehreren Frauen) und die weniger häufige Polyandrie (Ehe zwischen einer Frau und mehreren Männern) gehören. 46 Mit der Heirat innerhalb der eigenen sozialen Gruppe (= Endogamie) bzw. außerhalb der eigenen sozialen Gruppe (= Exogamie) kann eine weitere Unterscheidung der Eheformen getroffen werden. Eine endogame Ehe bedeutet oft die Heirat von nah verwandten Menschen, da mit sozialer Gruppe meist die Familie gemeint ist. 47 Die meisten Menschen gehören im Laufe ihres Lebens mindestens zwei Familien an. Zuerst der Abstammungs-

oder

Herkunftsfamilie

und

später

der

selbst

mitbegründeten

Zeugungsfamilie. Beide Familien können unterschiedlichen Familienformen entsprechen. Diese wiederum werden nach verschiedenen Kriterien unterteilt. Betrachtet man eine Familie nach der Zahl der Generationen, die in ihr leben, so kann man zwischen der Kernfamilie (nuclear family), der Mehrgenerationenfamilie, der erweiterten Familie (extended family), sowie der joint family unterscheiden. Während sich eine Kernfamilie – bestehend aus Eltern und Kindern –

und eine Mehrgenerationenfamilie lediglich aus Personen einer

Abstammungslinie (Kinder – Eltern – Großeltern – Urgroßeltern,…) zusammensetzt, findet man in einer erweiterten Familie neben mindestens zwei Generationen auch seitenverwandte Einzelpersonen, wie beispielsweise unverheiratete (Groß-)Onkeln oder (Groß-)Tanten, die in einer Haushaltsgemeinschaft leben. Eine joint family ähnelt der Form der erweiterten Familie. Anstatt der verwandten Einzelpersonen gehören ihr seitenverwandte Kernfamilien an. In einer

43

Paul B. Hill; Johannes Kopp (2004): Familiensoziologie. Grundlagen und theoretische Perspektiven. Wiesbaden, 13. 44 Hermann L. Gukenbiehl; Johannes Kopp (2003): „Familie und familiale Lebensformen.“ In: Bernhard Schäfer (Hg.): Grundbegriffe der Soziologie. Opladen, 81-86, 81. 45 Rosemarie Nave-Herz (2000): „Familie.“ In: Gerd Reinhold (Hg.): Soziologie -Lexikon. München, 167-170, 167. 46 Paul B. Hill; Johannes Kopp (2004): Familiensoziologie. Grundlagen und theoretische Perspektiven. Wiesbaden, 14-15. 47 Gerd Reinhold (2000): Soziologie -Lexikon. München/Wien/Oldenburg, 140.

22

joint family wachsen somit Cousins und Cousinen unter einem Dach auf. 48 Ein Begriff, der die Familienform sämtlicher erweiterter Familien beinhaltet, ist der der Großfamilie. Er bezieht sich ebenfalls auf die „erweiterte verwandtschaftliche Struktur des Zusammenlebens“ und nicht auf die za hlenmäßige Größe einer Familie. 49 Eine weitere für diese Arbeit relevante Betrachtungsweise der Familienformen ist das Kriterium des gewählten Familienwohnsitzes. Bestimmt eine Kernfamilie unabhängig von den Abstammungsfamilien ihren Wohnsitz, so bezeichnet man diese als neolokale Familie. Gerade bei Familienformen wie der erweiterten Familie oder der joint familiy wird jedoch der Wohnsitz nach dem Domizil einer der beiden Abstammungsfamilien gewählt. Patrilokalität herrscht dann vor, wenn die Ehefrau ihre Herkunftsfamilie verlässt und zur Familie ihres Mannes zieht. Eine matrilokale Familie hingegen kommt dann zustande, wenn die Abstammungsfamilie der Ehefrau über den Wohnort entscheidet. 50 Aufgrund des Wandels der Gesellschaft sind neue Formen von Familien hinsichtlich des Wohnsitzes entstanden. Diese bilokalen Familien, die ihre Haushalte auf zwei Wohnsitze aufgeteilt haben, entstehen aus beruflichen Gründen, wie beispielsweise die Pendler- oder Commuter-Familie oder aus familiären Motiven, wie die binukleare Familie, in der die Kinder aufgrund einer Scheidung zwei Kernfamilien angehören. 51 Diese Lokalitätsregeln hängen stark mit den jeweils gültigen Abstammungsregeln zusammen. Die Herkunft kann entweder über männliche und weibliche Vorfahren definiert werden, oder nur über die Vorfahren eines Geschlechtes, wobei die weiterreichende Verwandtschaft auf eine Linie eingegrenzt wird. Im zweiten Fall lässt sich zwischen Patrilinearität und Matrilinearität

unterscheiden.

Bei

patrilinearer

Abstammung

werden

die

Verwandtschaftsbezie hungen lediglich über die männliche Linie betrachtet; bei matrilinearer Abstammung nur über die weibliche. Die Lokalitätsregeln betreffend, bedeutet in der Regel Patrilinearität zugleich Patrilokalität und Matrilinearität zugleich Matrilokalität. 52

48

Rosemarie Nave-Herz (2004): Ehe- und Familiensoziologie. Ansätze und empirische Befunde. Weinheim/München, 32-34. 49 Paul B. Hill; Johannes Kopp (2004): Familiensoziologie. Wiesbaden, 16. 50 Paul B. Hill; Johannes Kopp (2004): Familiensoziologie. Wiesbaden, 19-21. 51 Rosemarie Nave-Herz (2004): Ehe- und Familiensoziologie. Ansätze und empirische Befunde. Weinheim/München, 34. 52 Paul B. Hill; Johannes Kopp (2004): Familiensoziologie. Wiesbaden, 19-21.

23

Eine Einführung in Geschichte, theoretische Grundlagen und theoretische Perspektiven. Grundlagen und theoretische Perspektiven. Eine Einführung in Geschichte, theoretische Grundlagen und theoretische Perspektiven.

1.1.1.1.

Wandel der Familie

In den Industriestaaten kam es seit den sechziger und siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts zu Veränderungen, die die Form bzw. Struktur der Familie betrafen. Die für eine Familie typische Institution der Ehe machte ebenfalls einen Wandel durch. Einerseits nehmen Eheschließungen in den westlichen Ländern deutlich ab, andererseits ist jedoch ein Anstieg von nichtehelichen Lebensgemeinschaften zu verzeichnen, was die Stellung der Ehe in der Gesellschaft verringert. Eine Folge dieser geringeren Zahl an Heiraten und dem damit verbundenen Anstieg des Heiratsalters ist die ebenso sinkende Geburtenzahl in der westlichen Welt. Mit dem modernen Leben, das Frauen vermehrt wirtschaftliche Unabhängigkeit brachte, stieg auch die Zahl der Ehescheidungen. Somit änderte sich auch die Familienstruktur. Es kam zu einem vermehrten Auftreten der Ein-Eltern-Familien und der Lebensgemeinschaften ohne Kinder. Oft beruhen die Veränderungen der Gesellschaft allerdings auch auf subjektiven Empfindungen, wie beispielsweise die Zunahme der Familienform der „Patchwork-Familie“, bei der beide Ehepartner Kinder aus einer früheren Partnerschaft mit in die Ehe bringen und zusätzlich ein gemeinsames Kind oder gemeinsame Kinder haben. Bereits zu vorindustriellen Zeiten war jedoch diese Form der Familie weiter verbreitet, da die wirtschaftliche Situation eine Wiederverhe iratung nach dem Tod des Ehepartners oder der Ehepartnerin notwendig machte. 53

53

Rosemarie Nave-Herz (2004): Ehe- und Familiensoziologie. Eine Einführung in Geschichte, theoretische Ansätze und empirische Befunde. Weinheim/München, 58-71.

24

2.

Frauenrechte in der Türkei 2.1.

Nationale Gesetzgebung

Nach der Ausrufung der türkischen Republik 1920 kam es im darauf folgenden Jahr zur Einsetzung der ersten Verfassung. Ihr Zweck war die vorläufige Regelung der staatlichen Organisation nach dem nationalen Befreiungskampf. Der Sultan wurde auch weiterhin als das Staatsoberhaupt angesehen, und da die neue Verfassung keine Regelungen bezüglich der Gleichstellung der Frau gegenüber dem Mann enthielt, galten auch weiterhin die Gesetze der Osmanen, die sich auf den Islam stützten. 54 Die Große Nationalversammlung arbeitete jedoch bald eine neue Verfassung aus, die die Vorstellungen Atatürks beinhalten sollte: „Eine soziale Gesellschaft, eine Nation, besteht aus Männern und Frauen. Es ist nicht richtig, wenn wir einen Teil dieser Masse entwickeln und den anderen Teil vernachlässigen. Es ist nicht möglich, wenn ein Teil der Gesellschaft auf dem Boden angekettet bleibt und der andere Teil sich bis zum Himmel entwickeln kann…“55 Mit der Überarbeitung der Verfassung von 1921 im Jahr 1924 und der Übernahme des Schweizer Zivilgesetzes 1926 wurden die Grundsteine für die heutigen Frauenrechte in der Türkei gelegt. Die Scharia wurde abgeschafft und mit ihr die Polygamie verboten. Um die Trennung von Staat und Religion sicher zu stellen, wurde ausdrücklich festgelegt, dass nur durch Staatsakte diese Separation aufgehoben werden konnte. Mit der Verfassung von 1924 kann erstmals in den türkischen Rechtsgrundsätzen von Ansätzen eines allgemeinen Gleichheitsprinzips gesprochen werden. Eine Folge dessen war die Durchsetzung des aktiven und passiven Wahlrechts für Frauen. 1930 wurde ihnen das Kommunalwahlrecht zuerkannt, von dem sie drei Jahre später erstmals Gebrauch machen konnten. 1934 wurde das allgemeine aktive und passive Wahlrecht durchgesetzt, das allen Türkinnen und Türken nach Vollendung des 22. Lebensjahres die Möglichkeit gab, zu wählen, und ab dem 30 Lebensjahr die Möglichkeit, gewählt zu werden. 56 Mit dem Schweizer Zivilrecht wurde die Zivilehe zur gesetzlichen Norm, und in einigen Bereichen des Zivilrechts wurde die Frau dem Mann gleichgestellt. So ga lt von nun an gleiches Erbrecht, Scheidungen konnten von beiden Ehepartnern initiiert werden, das 54

Mehmet Merdan Hekimoglu (2000): Das Gleichberechtigungsprinzip im türkischen Recht. Eine rechtsvergleichende und kritische Betrachtung des Gleichberechtigungsprinzips im türkischen Recht unter Berücksichtigung des deutschen Rechts. Tübingen, 71-74. 55 Mustafa Kemâl Atatürk. In: Arikan Türkân. In: Mehmet Merdan Hekimoglu (2000): Das Gleichberechtigungsprinzip im türkischen Recht. Eine rechtsvergleichende und kritische Betrachtung des Gleichberechtigungsprinzips im türkischen Recht unter Berücksichtigung des deutschen Rechts. Tübingen, 70. 56 Mehmet Merdan Hekimoglu (2000): Das Gleichberechtigungsprinzip im türkischen Recht. Eine rechtsvergleichende und kritische Betrachtung des Gleichberechtigungsprinzips im türkischen Recht unter Berücksichtigung des deutschen Rechts. Tübingen, 74-79.

25

Sorgerecht für die Kinder konnte ebenfalls von beiden Elternteilen wahrgenommen werden, und Frauen waren mit dem neuen Zivilgesetz bei der Ablegung von eidesstattlichen Erklärungen nicht mehr benachteiligt. Auch im Hinblick auf die Eheschließung gab es Neuerungen, denn gesetzlich waren nun die Anwesenheit der Braut und ihre Zustimmung zur Vermählung erforderlich. Zugleich wurde ein Mindestheiratsalter von 15 Jahren für Frauen und 17 Jahren für Männer eingeführt. 57 Im Gegensatz zum erst drei Jahre zuvor, 1923, erlassenen Familienrecht, das mit der Billigung von Polygamie und einer Senkung des Mindestheiratsalters für Frauen auf neun Jahre noch sehr traditionalistisch geprägt war, brachte das Schweizer Zivilgesetzbuches bemerkenswerte Verbesserungen mit sich. 58 Einen weiteren Schritt hin zur Gleichberechtigung der türkischen Frauen brachte die Verfassung von 1961. Der Einfluss der deutschen und italienischen Verfassung ist an der liberalen Ausgestaltung erkennbar. Die Gleichheit aller – einerlei, ob Mann oder Frau – steht im Vordergrund. Wenn der Begriff der Gleichberechtigung der Geschlechter auch noch nicht in der Verfassung aufgenommen wurde, so wurde doch die Formulierung „Türken“ durch „alle“ ersetzt, da man der Ansicht war, dass so die Gleichheit zwischen Frauen und Männern vorgeschrieben sei. Im Rahmen dieser Verfassung kam es erstmals auch zu einem Verbot der Diskriminierung aufgrund des Geschlechts. Diese völlige Gleichheitsregelung ging so weit, dass Sonderregelungen nicht durch das Geschlecht begründet werden durften, was auch eine „positive Diskriminierung“ nicht möglich machte. 59 Die heute geltende Verfassung von 1982 wurde nach dem Militärputsch von 1980 vom Militär durch eine Volksabstimmung durchgesetzt. Ihre Entstehungsgeschichte mag wohl auch Grund für die, im Vergleich zur Verfassung von 1961, teilweise sehr autoritäre Haltung sein. Der Gleichheitssatz in der Staatsordnung von 1982 bezieht sich wie in der vorher geltenden Fassung auf die Stellung gegenüber dem Staat. Durch ein Abänderungsgesetz aus dem Jahr 2001 wird auch auf die Gleichheit von Frau und Mann im familiären Bereich eingegangen. Art. 33 der türkischen Verfassung besagt: „Die Familie ist die Grundlage der türkischen Gesellschaft und beruht auf der Gleichheit von Mann und Frau.“60 Wenn eine explizite „positive Diskriminierung“ auch in der Verfassung von 1982 nicht enthalten ist, so enthält sie neben dem allgemeinen Gleichheitssatz auch Regelungen, die den besonderen 57

Women for Women’s Human Rights – WWHR (2002): The New Legal Status of Women in Turkey. Abgerufen am 4. April 2005 unter http://www.wwhr.org/images/newlegalstatus.pdf, 9. 58 Sabine Küper-Basgöl (1992): Frauen in der Türkei zwischen Feminismus und Reislamisierung. Münster/Hamburg, 130-131. 59 Mehmet Merdan Hekimoglu (2000): Das Gleichberechtigungsprinzip im türkischen Recht. Eine rechtsvergleichende und kritische Betrachtung des Gleichberechtigungsprinzips im türkischen Recht unter Berücksichtigung des deutschen Rechts. Tübingen, 82-84. 60 Die Verfassung der Republik Türkei vom 7. November 1982. Abgerufen am 8. Jänner 2006 unter http://www.verfassungen.de/tr/tuerkei82.htm.

26

Schutz von Frauen gerechtfertigen. Art. 41 und Art. 50 gehen auf den Schutz der Mutter bzw. auf den Schutz der berufstätigen Frau in der Arbeit ein. 61 Dennoch ist trotz des allgemeinen Gleichheitssatzes und des implizierten Diskriminierungsverbotes festzustellen, dass die Gleichberechtigung von Mann und Frau – die nicht zwangsweise mit der Gleichheit vor dem Gesetz einhergeht – nicht erwähnt wird. Obwohl das türkische Zivilrecht 1926 stark modernisiert wurde, konnte man dennoch Ungleichbehandlungen im Privatrecht ausmachen. Diese waren hauptsächlich im Ehe- und Familienrecht zu finden. Die Rechtsauffassung spiegelte die Stellung der Frau wieder, die sie der Tradition und Religion nach in der Gesellschaft einnahm. So galt der Mann von vorne herein als das Familienoberhaupt, dem es oblag den ehelichen Wohnort zu bestimmen. Er war derjenige, der die Familie rechtlich nach außen hin repräsentierte und für seine Frau Entscheidungen treffen konnte, ohne mit ihr Rücksprache zu halten. Das unterschiedliche Mindestheiratsalter, das für Frauen bei 15 und für Männer bei 17 Jahren lag, stellte ebenso eine Ungleichbehandlung dar. Diskriminierung erfuhren Frauen vom türkischen Zivilrecht zudem durch das Vorrecht des Vaters beim Sorgerecht für die geme insamen Kinder. Wenn prinzipiell auch beide Elternteile die Verantwortung über ihre Kinder tragen müssen, so galt bei Meinungsverschiedenheiten doch der Wille des Vaters. Weiters war die Frau verpflichtet den Familiennamen ihres Mannes als Ehenamen zu tragen. 62 Letztere Ungleichbehandlung wurde 1996 sogar vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte eingeklagt. Der Gerichtshof gab der Klägerin Recht, allerdings erfolgte die Entscheidung erst nach einer Zivilrechtsreform in der Türkei. Erste Reformvorschläge dahingehend wurden bereits 1951 eingebracht. Weitere Diskussionen um die Neugestaltung des Privatrechtes wurden in den achtziger und neunziger Jahren geführt. 63 Im Jänner 2002 trat das neue türkische Zivilgesetzbuch in Kraft und schaffte schlussendlich das patriarchalisch-strukturierte Eheund Familienrecht von 1926 ab. Der Mann stellt nun gesetzlich nicht mehr das Familienoberhaupt dar, und den Eheleuten stehen gleiche Rechte bei Entscheidungen über die Familie zu. Das Mindestheiratsalter wurde auf 18 Jahre für Frauen und Männer hinauf gesetzt. Unter gewissen Umständen besteht allerdings die Möglichkeit durch richterlichen Beschluss

61

Die Verfassung der Republik Türkei vom 7. November 1982. Abgerufen am 8. Jänner 2006 unter http://www.verfassungen.de/tr/tuerkei82.htm. 62 Mehmet Merdan Hekimoglu (2000): Das Gleichberechtigungsprinzip im türkischen Recht. Eine rechtsvergleichende und kritische Betrachtung des Gleichberechtigungsprinzips im türkischen Recht unter Berücksichtigung des deutschen Rechts. Tübingen, 161-169. 63 Women for Women’s Human Rights – WWHR (2002): The New Legal Status of Women in Turkey. Abgerufen am 4. April 2005 unter http://www.wwhr.org/images/newlegalstatus.pdf, 5.

27

bereits mit 16 zu heiraten. 64 Mit dieser Neuordnung wurde auch die Benachteiligung der Frau im ehelichen Güterrecht aufgehoben. Das System der Gütertrennung, das besagte, dass jeder Ehepartner im Besitz der von ihm in die Ehe gebrachten Güter bleibt, brachte Nachteile für die Frau mit sich. Meist war und ist sie diejenige, die den Haushalt versorgt, und noch immer ist die Mehrheit der Türkinnen nicht berufstätig und kann somit keine eigenen Güter erwerben. Eine Sche idung konnte somit eine Frau leicht in eine finanzielle Notlage bringen. Durch die Änderungen konnten derartige Ungleichberechtigungen aufgehoben werden. Die neue n zivilrechtlichen Regelungen waren hauptsächlich jene Bestimmungen, die für Fortschritte im Bereich der Frauenrechte sorgten. Aber auch das 1926 eingeführte und leicht modifizierte italienische Strafrecht sorgte für Verbesserungen im Bereich der Rechtsstellung der türkischen Frau. Alleine die Abschaffung der Scharia, der Schariagerichte und somit des islamischen Strafrechts bedeutete einen Fortschritt im Hinblick auf Gleichberechtigung. Dennoch blieben einige Punkte im Strafrecht, die frauendiskriminierende Ausführungen enthie lten und obwohl laufend Modifikationen durchgeführt wurden, stammten im Jahr 2002 noch immer mehr als die Hälfte der Strafrechtsregelungen aus den zwanziger Jahren. 2000 kam es zum ersten Entwurf für eine Neufassung des Strafgesetzbuches. Doch erst die notwendigen Bemühungen um den Beitritt zur Europäischen Union und die Forderungen von Seiten der NGOs nach einer Neuerung forcierten den Reformprozess. 65 2004 kam es zur Einsetzung eines neuen Strafrechts, das bemerkenswerte Änderungen beinhaltete. So wurde die Todesstrafe abgeschafft und eine Definition von Folter angegeben, die sich an internationalen Rechtsnormen anlehnt. Im Hinblick auf Frauenrechte kam es zur Entfernung von Gesetzesartikeln, die geschlechtsspezifische Benachteiligungen zum Inhalt hatten. 66 Die meisten der gestrichenen Paragraphen enthielten Regelungen zum Sexualstrafrecht und spiegelten das traditionelle, von Männern dominierte Gedankengut wider, das Frauen in ihrem Recht auf Selbstbestimmung über ihren Körper und ihre Sexualität hemmt. Als eine der wichtigsten Neuregelungen wird die Klassifizierung von Sexualdelikten eingeschätzt. Während vor der Strafrechtsreform 2004 von Verbrechen gegen die Gesellschaft bzw. gegen die öffentliche Moral und Familie gesprochen wurde, werden sexuelle Straftaten nun als Verbrechen gegen Individuen bzw. gegen die Unverletzbarkeit der sexuellen Integrität 64

Women for Women’s Human Rights – WWHR (2002): The New Legal Status of Women in Turkey. Abgerufen am 4. April 2005 unter http://www.wwhr.org/images/newlegalstatus.pdf, 9. 65 Women for Women’s Human Rights – WWHR (2005): Turkish Civil and Penal Code Reforms from a Gender Perspective: The Success of two nationwide Campaigns. Abgerufen am 8. Jänner 2006 unter http://www.wwhr.org/images/CivilandPenalCodeRe forms.pdf, 9-11. 66 Amnesty International Deutschland (2005): Jahresbericht 2005 Türkei. Abgerufen am 10. Oktober 2005 unter http://www2.amnesty.de/internet/deall.nsf/51a43250d61caccfc1256aa1003d7d38/6c5e9710acbddda5c12570260 0509b23?OpenDocument.

28

bezeichnet. Begriffe patriarchalischer Vorstellungen, wie Keuschheit, Ehre der Familie, öffentliche Moral, Anstand, usw. wurden aus dem Strafrechtstext gestrichen. Straftaten, die aus Gründen des traditionellen Konzepts begangen werden, werden somit nicht mehr mildernd bestraft. 67 Ein Beispiel dafür sind Morde, die zum Schutz oder Erhalt der Ehre ausgeübt wurden, für die der/die TäterIn mit einem geringerem Strafausmaß rechnen konnte. Mit dem neuen Strafrecht wurden nicht nur die Strafen auf sexuelle Delikte erhöht, sondern auch eine grundlegende Definition von sexuellen Vergehen geschaffen, da in der Vergangenheit aufgrund von doppeldeutigen Auslegungen von Begriffen die Täter einer Strafe entkamen. Sexuelle Übergriffe wurden beispielsweise als ein die körperliche Integrität einer Person verletzendes sexuelles Verhalten bezeichnet. Dazu zählte auch sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz, die nun unter Strafe gestellt wurde. Ebenso wurde auch der Begriff der Vergewaltigung neu definiert und umfasst nun nicht mehr nur eine vaginale Penetration. Eine weitere wichtige Reform ist die explizite Regelung der sexuellen Vergewaltigung in der Ehe. Während das alte Strafrecht Vergewaltigung in der Ehe nicht als sexuelle Straftat ansah, kann nach dem neuen Gesetz nach einer Klage des Opfers der Täter strafrechtlich verfolgt werden. Der strittige Paragraph, der besagte, dass Vergehen wie sexuelle Übergriffe, sexueller Missbrauch von Kindern und Vergewaltigungen mit Einverständnis des Opfers stattfinden können und somit mildernde Strafen zur Folge hatten, wurde endlich gestrichen. Abgeschafft wurde auch die sprachliche Differenzierung zwischen unverheirateten

und

verheirateten

Frauen

bzw.

zwischen

Frauen,

die

bereits

Geschlechtsverkehr hatten und als „Kadin“ (Frau) bezeichnet wurden, und jenen, die noch keine hatten, als „Kiz“ (Jungfrau) benannt wurden und in der Regel unverheiratet waren. 68 Abgesehen von dieser sprachlichen Diskriminierung, wurde auch die Regelung abgeschafft, die sexuelle Vergehen an einer „Jungfrau“ schwerer ahndete als Verbrechen an einer „Kadin“ oder verheirateten Frau. Dieses Gesetz hatte seine Wurzeln im Jungfräulichkeitskult der türkischen Religion. Aus Gründen der Ehre wurde einer vergewaltigten „Jungfrau“ empfohlen, ihren Vergewaltiger zu ehelichen, da sie so der „Schande“, entjungfert worden zu sein, entgehen konnte. Das Strafrecht besagte bis 2004 in diesem Fall, dass die Strafverhandlung und die eventuelle Verurteilung des Mannes, der die Frau vergewaltigt hat, aufgeschoben werden können, wenn er die Frau heiratete. Kam es innerhalb von fünf Jahren

67

Women for Women’s Human Rights – WWHR (2005): Turkish Civil and Penal Code Reforms from a Gender Perspective: The Success of two nationwide Campaigns. Abgerufen am 8. Jänner 2006 unter http://www.wwhr.org/images/CivilandPenalCodeReforms.pdf, 14. 68 Mehmet Merdan Hekimoglu (2000): Das Gleichberechtigungsprinzip im türkischen Recht. Eine rechtsvergleichende und kritische Betrachtung des Gleichberechtigungsprinzips im türkischen Recht unter Berücksichtigung des deutschen Rechts. Tübingen, 131.

29

nicht zu einer Scheidung dieser Ehe, wurde die Strafverfo lgung völlig aufgehoben. 69 Diese Regelung, die eine verachtende Haltung Frauen gegenüber darlegte und ebenso wie andere Strafrechtsgesetze das Ausmaß einer Vergewaltigung in keiner Weise berücksichtigte, wurde mit der Strafrechtsreform abgeschafft. Ein weiterer Artikel, der Frauen in ihren sexuellen Rechten und Freiheiten einschränkte, besagte, dass unsittliches oder anstößiges Verhalten nicht erlaubt war. Das Problem dabei war, dass dieses Verhalten nicht genauer definiert wurde und somit die Auslegung bei den meist männlichen Sicherheitskräften und den Gerichten lag. Eine Streichung dieser Regelung war somit notwendig. 70 Frauenrechtsorganisationen, aber auch die CEDAW, fordern noch weitere Reformen des türkischen Strafgesetzbuches, um eine Diskriminierung von Frauen zu vermeiden. Dazu gehört die Einführung einer genauen Definition von „Ehrenmorden“, da diese Art von Mord besonders grausam ist. Weiters wird die Aufhebung von Ungleichbehandlung aufgrund der sexuellen Orientierung und die Ausweitung der Zeit, innerhalb derer ein legaler Schwangerschaft sabbruch durchgeführt werden kann, auf zwölf Wochen gefordert. 71 Eine für Frauen

erniedrigende

Praktik,

die

nach

wie

vor

durchgeführt

wird,

ist

der

Jungfräulichkeitstest. Auf Anordnung des Gerichtes kann im Fall von Vergewaltigung oder sexueller Nötigung von Minderjährigen ohne Zustimmung der Frau dieser Test angeordnet werden. Das Problem dabei liegt allerdings auch hier wieder an der fehlenden Definition von Jungfräulichkeitstest. Außerdem wird nicht auf die notwendige Zustimmung der Frau eingegangen. 72 Ein weiteres Gesetz, das unter anderem Frauenrechte behandelte, ist das 1998 in Kraft getretene Gesetz zum Schutz der Familie, das vor allem Regelungen gegen familiäre Gewalt beinha ltet. Diesem Gesetz nach besteht die Möglichkeit, den gewalttätigen Ehemann vom Haus zu verweisen und ihn von der Ehefrau fernzuhalten. Waffen des Gewalttäters können von der Polizei beschlagnahmt werden. Außerdem ist mit dieser neuen Regelung die

69

Mehmet Merdan Hekimoglu (2000): Das Gleichberechtigungsprinzip im türkischen Recht. Eine rechtsvergleichende und kritische Betrachtung des Gleichberechtigungsprinzips im türkischen Recht unter Berücksichtigung des deutschen Rechts. Tübingen, 133-134. 70 Women for Women’s Human Rights - WWHR (2004): The Reform of The Turkis h Penal Code: A Major Step Towards Gender Equality and Sexual and Bodily Rights. Abgerufen am 10. Oktober 2005 unter http://www.whrnet.org/fundamentalisms/docs/issue-reform_turkish-0412.html. 71 Women for Women’s Human Rights – WWHR (2005): Turkish Civil and Penal Code Reforms from a Gender Perspective: The Success of two nationwide Campaigns. Abgerufen am 8. Jänner 2006 unter http://www.wwhr.org/images/CivilandPenalCodeReforms.pdf, 15. 72 Women for Women’s Human Rights – WWHR (2005): Turkish Civil and Penal Code Reforms from a Gender Perspective: The Success of two nationwide Campaigns. Abgerufen am 8. Jänner 2006 unter http://www.wwhr.org/images/CivilandPenalCodeReforms.pdf, 59-62; United Nations Convention on the Elimination of All Forms of Discrimination against Women – CEDAW (2005): Concluding comments: Turkey. Abgerufen am 24. Mai 2005 unter http://www.un.org/womenwatch/daw/cedaw/cedaw32/concludecomments/Turkey/CEDAW-CC-TUR-0523813E.pdf.

30

Möglichkeit des Antrags auf Schutzmaßnahmen für die betroffene Person erreicht worden. 73 Menschen- und Frauenrechtsorganisationen begrüßten die Durchsetzung dieses Gesetzes zum Schutz der Familie. Dennoch erachten sie kleine Ergänzungen für erforderlich, um tatsächlichen Schutz vor Gewalt zu gewähren. Zuerkannt wird dieser Schutz nur Ehefrauen, die standesamtlich verhe iratet sind und mit ihrem Ehemann unter einem Dach leben. Die Tatsache, dass in der Türkei immer noch rein durch religiöse Zeremonien geschlossene Lebensgemeinschaften existieren, die nicht amtlich bestätigt werden, verwehrt somit einem Teil der Türkinnen den Gesetzesanspruch. Ebenso Frauen, die von ihrem Ehemann getrennt leben und somit nicht mehr in einem gemeinsamen Haushalt mit ihm wohnen, sind von dieser Regelung ausgeschlossen. Deshalb wird eine Änderung der Bezeichnung „Ehepartner“ bzw. „Ehepartnerin“ in „die von Gewalt betroffene Person“ bzw. „Gewalttäter“ vorgeschlagen. 74 Allgemein gesehen, ist die Gesellschaft noch sehr an eine Patrilinearität gewöhnt. Das lässt sich auch an der bis vor kurzem üblichen Gesetzgebung erkennen. Bis 2003 war es beispielsweise nicht möglich, Kinder, deren Mütter einer Minderheit angehören, eine Schule für Minderheiten besuchen zu lassen. Zuvor war dies nur denen gestattet, deren Vater sich zu einer Minderheit bekannte. 75 In der Türkei ist es im letzten Jahrzehnt zu sehr einschneidenden Verbesserungen im Bereich der Frauenrechte gekommen. Der mögliche Beitritt zur Europäischen Union brachte den nötigen Ansporn mit sich. Aber auch internationale Verträge, die die Türkei mittlerweile unterzeichnete, machten Reformen der erwähnten Gesetze notwendig. Im Folgenden wird auf die Internationalen Abkommen eingegangen, die die Umsetzung der Frauenrechte in der Türkei forcierten.

2.2.

Umsetzung internationaler Abkommen

Einzelstaaten haben die Möglichkeit bei rechtswidrigem Handeln oder Unterlassen Überwachungs-,

Berichtigungs-

oder

Sanktionierungsmittel

einzusetzen.

Auch

auf

völkerrechtlicher Ebene ist eine Kontrolle möglich. Diese findet meist durch Übereinkommen mit anderen Staaten bzw. innerhalb einer internationalen Organisation statt. Dabei muss zwischen einer beobachtenden und einer berichtigenden Kontrolle unterschieden werden. 73

Women for Women’s Human Rights – WWHR (2005): Law No. 4320 on the Protection of the Family. Abgerufen am 8. Jänner 2006 unter http://www.wwhr.org/id_791. 74 Amnesty International Österreich (2004): Türkei: Frauen kämpfen gegen Gewalt in der Familie. Abgerufen am 10. Oktober 2005 unter http://www.amnesty.at/vaw/cont/laender/tuerkei/Tuerkei_SVAW_Bericht.pdf. 75 Europäische Kommission (2004): Regelmäßiger Bericht über die Fortschritte der Türkei auf dem Weg zum Beitritt. Abgerufen am 8. Jänner 2006 unter http://europa.eu.int/comm/enlargement/report_2004/pdf/rr_tr_2004_de.pdf, 50.

31

Erstere dient der Feststellung von Sachverhalten und der Überwachung der Einhaltung völkerrechtlicher Verträge, ohne dabei rechtliche Sanktionen verhängen zu können. Lediglich der öffentliche Druck, der durch die Mitteilung der Ergebnisse zustande kommen kann, oder die Empfehlung, die durch ein Kontrollorgan ausgesprochen wird, können zu Veränderungen der nationalen Lage führen. Während bei dieser Form der Kontrolle keine Sanktionierung erfolgt, wird bei einer berichtigenden Kontrolle eine rechtliche Sanktion verhängt, mittels derer ein Verstoß rückgängig gemacht und ein Zustand an den geltenden Vertrag angepasst werden soll. 76 Dabei ist allerdings zu beachten, dass mit Ausnahme des Kontrollorgans der EMRK, die berichtigende Aufsicht sich meist auf Beschlüsse und Vollzugsakte beschränkt, die nicht in das Hoheitsgebiet des betroffenen Staates eingreifen.

Die

Türkei

hat

sich

durch

internationale

Abkommen

zur

Einha ltung

von

Menschenrechtsstandards verpflichtet. Wenn auch nur wenige dieser Verträge zu einer Umsetzung der Rechte verpflichten, so zeigt ihre Ratifizierung doch zumindest den Willen eines Staates, Menschenrechte zu schützen.

Die ersten beiden bedeutenden Menschenrechtsverträge der Geschichte sind die Pakte I und II der Vereinten Nationen. Beide wurden erst im Jahr 2003 von der Türkei ratifiziert. Mit der Reform des Zivilgesetzbuches und der neuen Gesetzgebung im Strafrecht wurden sämtliche Widersprüche zu den Menschenrechtspakten beseitigt. Noch nicht anwendbar sind in der Türkei allerdings das erste und zweite Fakultativprotokoll zum Pakt II. Diese betreffen die Anwendung des Indiviudalbeschwerdeverfahrens und die Abschaffung der Todesstrafe. Beide Protokolle wurden 2004 unterzeichnet und dürften in den nächsten Jahren zur Ratifikation gelangen. 77

Aufbauend auf der Grundlage der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1948 existieren zahlreiche Konventionen, Protokolle und Übereinkommen, die unter anderem die Rechte der Frau regeln. Zwei Konventionen, die Frauen- und Mädchenrechte explizit schützen, sind das Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau (CEDAW) und das Übereinkommen über die Rechte des Kindes (CRC). Beide wurden mittlerweile von der Türkei ratifiziert. 76

Michael Robeischl (2005): Drogenbekämpfung als Problem der internationalen Politik und Entscheidung. Salzburg, 44-45. 77 Office of the United Nations High Commissioner for Human Rights (2006): Optional Protocol to the International Covenant on Civil and Political Rights New York. Abgerufen am 6. Februar 2006 unter http://www.ohchr.org/english/countries/ratification/5.htm.

32

Die UNO hat zum spezifischen Schutz der Frauenrechte bereits früher Konventionen erlassen. Seit 1960 ist in der Türkei die Konvention über die politischen Rechte der Frau von 1954 in Kraft. 78 Sie wurde ohne Vorbehalte angenommen, und ihre Inhalte wurden in die nationale Gesetzgebung übernommen. Im Gegensatz dazu hat die Türkei das Übereinkommen über die Erklärung des Ehewillens, das Heiratsmindestalter und die Registrierung von Eheschließungen nicht unterzeichnet. Aufgrund der fehlenden Durchsetzungsmöglichkeiten dieser Konventionen wären die Auswirkungen auf das türkische Recht nicht besonders groß gewesen, da die Normen lediglich empfehlenden Charakter besitzen. Das bedeutendste Vertragswerk im internationalen Frauenrechtsschutz ist die Konvention zur Beseitigung jeder Form der Diskriminierung der Frau, die 1985 von der Türkei ratifiziert wurde. Allerdings verhandelte sich die Türkei damals Vorbehalte gegen die Konvention aus. Diese betrafen Art. 15 Abs. 2 und 4, die die Staaten anhalten, Frauen gleiche Rechte bei der Verwaltung von Eigentum und bei Prozessen vor Gericht zu gewähren. Weiters ist in diesem Artikel die freie Wahl des Wohnsitzes geregelt. Vorbehalte wurden auch gegen den Inhalt des Art. 16 Abs. 1 der Konvention erklärt. Dieser Artikel betrifft Maßnahmen, die von den Ratifizierungsstaaten unternommen werden müssen, um eine Diskriminierung der Frau in den Bereichen Familie und Heirat zu verhindern. Konkret handelt es sich um die Sicherstellung von gleichen Rechten und Verpflichtungen während der Ehe und Scheidung, bei der Ausübung der Rolle als Elternteil und bei der Vormundschaft über Kinder und der Adoption von Kindern. Weiters behandelt Art. 16 Abs. 1 die Sicherstellung von gleichen persönlichen Rechten von Ehemann und Ehefrau, wie beispielsweise das Recht auf eine freie Wahl des Familiennamens oder auf eine freie Wahl des Berufes bzw. Arbeitsplatzes. Außerdem wurde ein Vorbehalt gegen Art. 29 Abs. 1 ausgehandelt, der das Verhalten der Ratifizierungsstaaten im Falle einer Meinungsverschiedenheit über die Interpretation der Konvention regelt. 79 Im September 1999 zog die Türkei ihre Vorbehalte gegen die Konvention zur Beseitigung jeder Form der Diskriminierung der Frau, die direkte Auswirkungen auf die Stellung der Frau

78

Istanbul Bilgi University. Human Rights Law Research Center (2006): Treaties/United Nations. Convention on the Political Rights on Women. Abgerufen am 8. Jänner 2006 unter http://insanhaklarimerkezi.bilgi.edu.tr/andlasmalar_un/convention_women_eng.asp. 79 United Nations Convention on the Elimination of All Forms of Discrimination against Women – CEDAW (2005): Declarations, Reservations and Objections to CEDAW. Abgerufen am 24. Mai 2005 unter http://www.un.org/womenwatch/daw/cedaw/reservations-country.htm; Office of the High Commissioner of Human Rights (2006): Convention on the Elimination of All Forms of Discrimination against Women. Abgerufen am 8. Jänner 2006 unter http://www.ohchr.org/english/law/cedaw.htm#part4.

33

hatten (Art. 15 und Art. 16), zurück und ratifizierte sie abermals. 80 Ausschlaggebend dafür war die bevorstehende Reform des Zivilgesetzbuches, die die nationalen türkischen Gesetze auf internationalen Standard brachte. Das Zusatzprotokoll zur CEDAW aus dem Jahr 1999, das die Möglichkeit eines Individualbeschwerdeverfahrens gibt, wurde von der Türkei 2002 ohne jegliche Vorbehalte ratifiziert. 81 Weitere internationale Abkommen, die ebenfalls einen Schutz der Frauenrechte beinha lten, wurden im Rahmen der ILO getroffen. 1967 unterzeichnete die Türkei das Übereinkommen über die Gleichheit des Entgelts männlicher und weiblicher Arbeitskräfte für gleichwertige Arbeit.82 Im selben Jahr wurde auch die Konvention über Diskriminierung in Beschäftigung und Beruf von der Türkei angenommen. Darin wird jede Unterscheidung, Ausschließung oder Besserstellung, die aufgrund der Rasse, des Geschlechts, der Religion oder des nationalen oder sozialen Ursprungs vorgenommen wird, als Diskriminierung bezeichnet. 83 Da zur Kontrolle der Durch- und Umsetzung der Konventionen keine Berichtssysteme angehängt sind, bestehen Probleme der Überprüfung der Einhaltung der Regelungen.

Anders ist die Kontrolle der Einhaltung der Menschenrechte in Staaten des Europarates geregelt. Die Türkei zählte zu den ersten Mitgliedsländern und ratifizierte die Europäische Menschenrechtskonvention Europäischen

bereits

Gerichtshof

1954. für

Die

türkische

Menschenrechte

Bevölkerung

ersucht

vergleichsweise

den oft,

Menschenrechtsverletzung durch den Staat zu sanktionieren. Seit 1997 wurden mehr als 1.000 gültige Beschwerden gegen die Türkei vor den Gerichtshof gebracht. 84 Unter ihnen wurden auch viele Klagen wegen Frauenrechtsverletzungen behandelt. Dazu gehört beispielsweise der Fall der Ayten Ünal Tekeli, die 1996 forderte, ihren Mädchennamen vor dem Namen ihres Ehemannes bzw. ihren Mädchennamen allein tragen zu dürfen. Der Gerichtshof stellte eine klare Menschenrechtsverletzung nach Art. 14 EMRK (Verbot der Benachteiligung) und 80

United Nations Convention on the Elimination of All Forms of Discrimination against Women – CEDAW (2005): Declarations, Reservations and Objections to CEDAW. Abgerufen am 24. Mai 2005 unter http://www.un.org/womenwatch/daw/cedaw/reservations-country.htm. 81 Istanbul Bilgi University (2006): Human Rights Law Research Center: Treaties/United Nations. Optional Protocol to the Convention on the Elimination of Discrimination against Women. Abgerufen am 8. Jänner 2006 unter http://insanhaklarimerkezi.bilgi.edu.tr/andlasmalar_un/protocol_discrimination_women_eng.asp. 82 Istanbul Bilgi University (2006): Human Rights Law Research Center: Treaties/International Labour Organization. Equal Remuneration Convention. Abgerufen am 8. Jänner 2006 unter http://insanhaklarimerkezi.bilgi.edu.tr/andlasmalar_ilo/c100_eng.asp. 83 Istanbul Bilgi University (2006): Human Rights Law Research Center: Treaties/International Labour Organization. Discrimination (Employment and Occupation) Convention. Abgerufen am 8. Jänner 2006 unter http://insanhaklarimerkezi.bilgi.edu.tr/andlasmalar_ilo/c111_eng.asp. 84 European Court of Human Rights (2006): European Court of Human Rights Portal. Abgerufen am 28. Februar unter http://cmiskp.echr.coe.int/tkp197/search.asp?skin=hudoc-en.

34

Art. 8 EMRK (Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens) fest. 85 Das Urteil wurde allerdings erst nach der Re form des türkischen Zivilrechts abgegeben. Im Bereich der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte stellt auf europäischer Ebene die Sozialcharta des Europarates ein Vertragswerk des Menschenrechtsschutzes dar. Die Türkei ratifizierte diese Charta 1989. Die Unterzeichnung der reformierten Version erfolgte 2004.86

Die Umsetzung von Menschenrechtsnormen in der Gesellschaft ist ein langfristiger Prozess. Neue Mensche nrechtsverträge bedeuten nicht nur die Veränderung der rechtlichen Bedingungen in einem Staat, sondern auch einen Eingriff in die Gesellschaft. Um diese zu verändern, sind Maßnahmen seitens des Staates nötig, da es nur so zu einer gesellschaftlichen Akzeptanz kommen kann. Es ist eine Veränderung des öffentlichen Bewusstseins über die Menschenrechtsverletzungen notwendig. Die Schaffung von rechtlichen Verhältnissen, die Frauenrechtsverle tzungen nicht mehr zulassen, sind nicht genug. Kampagnen von staatlicher und nicht-staatlicher Seite verschiedenster Art können das Menschenrechtsverständnis ve rändern. Dazu gehören Workshops und Schulungen von Frauen, Auftritte in den Medien und Projekte in den Schulen. Dass es in der Türkei noch Probleme mit der Einhaltung von Frauenrechten gibt, zeigen die folgenden ausgewählten Bereiche.

2.3.

Problembereiche in der Durchsetzung

Die rechtlichen Vorgaben stellen eine völlige Gleichberechtigung der Geschlechter dar. Vor allem im Bereic h der wirtschaftlichen und sozialen Rechte sind türkische Frauen jedoch noch immer benachteiligt. Im Folgenden wird auf Bereiche eingegangen, in denen es nach wie vor zu Frauenrechtsverletzungen kommt.

85

Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte. Entscheidung im Fall Ünal Tekeli gegen Türkei 16.11.2004. Abgerufen am 18. Dezember 2005 unter http://www.coe.int/T/D/Kommunikation_und_politische_Forschung/Presse_und_Online_Info/Presseinfos/P2004 /20041116-GH-Tuerkei.asp#TopOfPage. 86 Europarat (2006): Sozialcharta. Die Mitgliedsstaaten des Europarats und die Europäische Sozialcharta. Abgerufen am 6. Februar 2006 unter http://www.coe.int/T/d/Menschenrechte/Sozialcharta/CSE_TablSimplifie_GER.asp#TopOfPage.

35

2.3.1.

Bildung

Ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts hatten einzelne Frauen auf dem heutigen Gebiet der Türkei die Möglichkeit eine Schule zur Ausbildung zur Hebamme oder Lehrerin zu absolvieren. Die erste Grundschule für Mädchen öffnete 1870. Allerdings war auch sie nur für Privilegierte aus den oberen Schichten zugängig. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts kam es zur Gründung der ersten Mädchengymnasien, und 1915 wurde den türkischen Frauen erstmals der allgemeine Zugang zu Universitäten gewährt. Lediglich für das Studium der Medizin konnten sich türkische Frauen bereits vor der Jahrhundertwende einschreiben, was im Vergleich zu manch westeuropäischen Staaten bereits eine fortschrittliche Regelung war. 87 Die Bildung der Frau hatte zu dieser Zeit allerdings nicht den Zweck, Unabhä ngigkeit und beruflichen Erfolg zu ermöglichen, sondern vielmehr die Frau in ihren Aufgaben als gute Mutter, gute Partnerin und gute Muslimin zu schulen. 88 Gebildete Frauen, so war man der Meinung, könnten ihre Kinder besser erziehen und ihren Ehemännern und Allah besser dienen. Mit den Reformen Atatürks wurde 1924 für türkische Kinder die Grundschule verpflichtend. Für den koedukativen Unterricht in staatlichen säkularen Schulen konnte sich die türkische Bevölkerung jedoch nicht begeistern. Sechs Jahre nach Einführung der Schulpflicht besuchte nur ein Drittel der Kinder die staatlichen Grundschulen. 174.227 der Kinder waren Mädchen und 319.072 Buben. 89 Diese Zahlen zeigen, dass die Praxis, Mädchen nicht zur Schule zu schicken und zu Hause als Arbeitskraft zu nutzen, verbreitet war. Vor allem in ländlichen Regionen, in denen aufgrund der traditionellen Religion die kemalistischen Refo rmen für weniger positiv gehalten wurden als in der Stadt, wurde die Erziehung der Kinder seltener in die Hände von PädagogInnen gelegt. Neben dem gleichberechtigten Zugang zum Unterricht an staatlichen Schulen wird Mädchen seit den 70er Jahren auch die der Zutritt zu religiösen Imam-Hatip-Schulen gewährt. Diese Schulen stellen eine Alternative zur staatlichen Mittelschule dar, die an die achtjährige Grundschulpflicht anschließt. Die se weiterführenden Schulen wurden noch vor einigen Jahrzehnten hauptsächlich von jungen Männern besucht. Mittlerweile macht der Anteil der Schülerinnen, die die Ausbildung bis zur Hochschulreife absolvieren, beinahe die Hälfte aus. Auch ein Universitätsstudium stellt für türkische Frauen meist keine Probleme mehr dar. Der 87

Wiebke Walther (1996): „Die Frau im Islam heute.“ In: Werner Ende; Udo Steinbach (Hg.): Der Islam in der Gegenwart. München, 604-629, 609-610. 88 Ayse Kadioglu (2001): „Die Leugnung des Geschlechts: Die türkische Frau als Objekt in großen Gesellschaftsentwürfen.“ In: Barbara Pusch (Hg.): Die neue muslimische Frau. Standpunkte & Analysen. Istanbul/Würzburg, 31-50, 34-35. 89 Sabine Küper-Basgöl (1992): Frauen in der Türkei zwischen Feminismus und Reislamisierung. Münster/Hamburg, 139-140.

36

Anteil der weiblichen Studierenden beträgt 41 Prozent. Dabei werden Sprach- und Literaturstudiengänge, Studienrichtungen im pädagogischen und künstlerischen Bereich sowie Gesundheitswissenscha ften bevorzugt von Frauen gewählt. 90 Vor allem in den Bereichen der Technik und Naturwissenschaften ist der Studentinnenanteil im Vergleich zu anderen europäischen Staaten sehr hoch. Dies wirkt sich zum Teil positiv auf die Frauenquote in gewissen Sparten aus. So sind immerhin 51 Prozent der ArchitektInnen, 35 Prozent der ÄrztInnen, 24 Prozent der RechtsanwältInnen und 18 Prozent der Ric hterInnen weiblich. 91 Der gleichberechtigte Zugang zu Bildung hat einem Teil der türkischen Frauen die Möglichkeit gegeben, wirtschaftliche Unabhängigkeit zu erlangen. Wenn die Türkei auf der einen Seite auch viele gut ausgebildete Frauen hervorbringt, so darf dennoch nicht übersehen werden, dass nach wie vor 650.000 türkische Mädchen keine Schule besuchen. 92 Etwa 22 Prozent der Frauen und sechs Prozent der Männer können nicht lesen und schreiben. 93 Nach wie vor werden in ländlichen Regionen Mädchen nicht zur Schule geschickt, da sie zu Hause eine notwendige Hilfskraft darstellen. Laut UNICEF geht landesweit jedes achte Mädchen gar nicht oder nur sporadisch zur Schule. 94 Einem UNFPABericht zufolge werden nur 88 Prozent der türkischen Mädchen und 95 Prozent der Buben überhaupt eingeschult. Das bedeutet, dass zwölf Prozent der Mädchen niemals eine Schule besuchen. Die Ana lphabetenrate der unter 15jährigen liegt bei Mädchen bei 19 Prozent und bei Buben bei vier Prozent. 95 Die hohe Zahl an AnalphabetInnen setzt sich nicht nur aus der älteren Bevölkerungsschicht zusammen, sondern schließt auch die junge Generation der Türkei ein. Vor allem am Land ist nach wie vor die Meinung verbreitet, dass Bildung für Frauen nicht notwendig sei, da ihr Leben sich ohnehin in der Familie abspielt. Die staatlichen Grundschulen, die eine säkulare Ausbildung bieten, werden von der religiösen Bevölkerung oft als unislamisch angesehen und für Mädchen außerdem als moralisch gefährlich eingestuft, da die Schülerinnen dort gemeinsam mit Buben unterrichtet werden.

90

United Nations Convention on the Elimination of All Forms of Discrimination against Women – CEDAW (2003): Country Reports: Turkey. Abgerufen am 10. Februar 2006 unter http://daccessdds.un.org/doc/UNDOC/GEN/N03/464/38/PDF/N0346438.pdf?OpenElement, 23. 91 Heide Rühle (2005): Rückblick: Türkische Bürgermeisterinnen diskutieren regionale Entwicklung. Abgerufen am 4. Dezember 2005 unter: http://www.heide-ruehle.de/heide/fe/doc/367. 92 Christine Schirrmacher; Ursula Spuler-Stegemann (2004): Frauen und die Scharia. Die Menschenrechte im Islam. Kreuzlingen/München, 220. 93 . United Nations Convention on the Elimination of All Forms of Discrimination against Women – CEDAW (2003): Country Reports: Turkey. Abgerufen am 10. Februar 2006 unter http://daccessdds.un.org/doc/UNDOC/GEN/N03/464/38/PDF/N0346438.pdf?OpenElement, 21. 94 Jürgen Gottschlich (2004): Die Türkei auf dem Weg nach Europa. Ein Land im Aufbruch. Berlin, 110. 95 Bevölkerungsfonds der Vereinten Nationen (UNFPA) (2005): UNFPA Weltbevölkerungsbericht 2005. Das Versprechen der Gleichberechtigung. Gleichstellung der Geschlechter, reproduktive Gesundheit und die Millenium-Entwicklungsziele. Stuttgart, 129.

37

In den ländlichen Regionen ist zudem ein Verhältnis zwischen der sozialen Schicht, der Mädchen und Frauen angehören, und der Häufigkeit ihres Schulbesuches zu erkennen. Familien der oberen Schichten legen gleich viel Wert auf die Ausbildung von Töchtern wie von Söhnen. Familien der unteren sozialen Schichten hingegen neigen eher dazu, die Bildung ihrer Töchter zu vernachlässigen und stattdessen die Mädchen als Arbeitskraft auszunutzen. Das fehlende Einverständnis zum Schulbesuch von Seiten der Familie ist jedoch nicht der einzige Grund, den türkische Kinder und Jugendliche für ihre mangelhafte Bildung angeben. Mangelndes Interesse am Schulunterricht, fehlende Ausbildungsstätten oder zu hohe Kosten werden ebenfalls genannt. 96 Anders sieht die Situation für junge Frauen in der Stadt aus. Die städtische Bevölkerung änderte ihre Ansicht bereits, da sie auch für ihre Töchter die Möglichkeit des sozialen Aufstiegs sehen und die Notwendigkeit der Kinderarbeit nicht mehr gegeben ist.

Ein weiteres Problem, das sich am Land, und hier vor allem in Ost- und Südostanatolien, ergibt und sowohl junge Männer als auch junge Frauen betrifft, ist die Tatsache, dass etwa 20 bis 35 Prozent der Kinder nicht offiziell am Standesamt eingetragen sind. Dies bringt nicht nur familien- und erbrechtliche Nachteile mit sich, sondern hat auch zur Folge, dass die Kinder kein Recht auf die Ausstellung eines Abschlusszeugnisses nach der Grundschule haben. Der Besuch einer weiterführenden Schule ist für sie somit nicht möglich und die Arbeitssuche erschwert sich dadurch maßgeblich. 97 Bei der Bevölkerung in den östliche n Regionen der Türkei handelt es sich meist um KurdInnen. Die Menschen in dieser Bergregion sprechen trotz der kemalistischen Reformen oft nur wenig Türkisch, sondern praktizieren die kurdische Sprache. Aufgrund der fehlenden Sprachkenntnisse ist es für diese kurdischen Kinder besonders schwer, dem türkischen Schulunterricht zu fo lgen. 98

Vor allem für Mädchen wirkt sich die fehlende Schulbildung in ihrem weiteren Leben negativ aus. Mit dem Grad der Schulbildung steigt die Möglichkeit am Arbeitsmarkt zu bestehen. Mehr als 80 Prozent der türkischen weiblichen Bevölkerung ohne Grundschulabschluss hat kein eigenes Einkommen. Die Zahlen zeigen jedoch, dass sich mit steigendem Bildungsniveau

auch

der

Anteil

der

berufstätigen

96

Frauen

erhöht.

Frauen

mit

United Nations Convention on the Elimination of All Forms of Discrimination against Women – CEDAW (2003): Country Reports: Turkey. Abgerufen am 10. Februar 2006 unter http://daccessdds.un.org/doc/UNDOC/GEN/N03/464/38/PDF/N0346438.pdf?OpenElement, 23. 97 Heidi Wedel (2000): „Die Türkei vor den Toren Europas. Frauen in der Türkei“. Der Bürger im Staat, 50, 1, 2000. Abgerufen am 4. Dezember 2005 unter http://www.lpb.bwue.de/aktuell/bis/1_00/tuerkei06.htm. 98 Jürgen Gottschlich (2004): Die Türkei auf dem Weg nach Europa. Ein Land im Aufbruch. Berlin, 106.

38

Mittelschulabschluss gehen bereits zu mehr als 50 Prozent einer Beschäftigung nach, und bei Universitätsabsolventinnen liegt der Anteil der Nicht-Beschäftigten gar nur bei 19 Prozent. Für Männer wirkt sich eine geringe Bildung hingegen nicht so dramatisch aus. Der vergleichsweise geringe Anteil von 15 bzw. 29 Prozent der männlichen ungebildeten Schicht besitzt kein Einkommen. 99 Dies zeigt, wie wichtig eine hohe Bildung für Frauen ist, die in einer Gesellschaft leben, die die Frau noch immer in die Hausarbeit drängt und keine Berufstätigkeit für sie vorsieht.

2.3.2.

Arbeitsmöglichkeiten und Berufstätigkeiten

Durch die langsame Integration der Frauen im Bildungsbereich kam es auch zur Öffnung des Arbeitsmarktes für Frauen. 1897 wurde es Frauen erstmals ermöglicht einer Lohnarbeit nachzugehen. Gesetzliche Bestimmungen bezüglich der Anstellung von Frauen folgten in den dreißiger Jahren. Die Türkei ratifizierte die Konventionen der ILO zur Regelung der Beschäftigung von Frauen in gewissen Bereichen. Der Mutterschaftsurlaub, der eine Erleichterung für berufstätige Mütter mit sich brachte, wurde ebenfalls in den dreißiger Jahren eingeführt. 100 Die derzeitige Regelung sieht einen dreimonatigen Mutterschutzurlaub und eine anschließend sechsmonatige unbezahlte Arbeitsfreistellung für Fraue n nach der Geburt eines Kindes vor. 101 Die türkischen familienrechtlichen Regelungen machten jedoch für verheiratete Frauen eine Berufstätigkeit nicht selbstverständlich. Bis zur Einführung des neuen Zivilgesetzbuches im Jahr 2002 war eine Erlaubnis des Ehemannes notwendig, wenn die Frau einer Arbeit außer Haus nachgehen wollte. Erst Art. 192 des reformierten Zivilgesetzes beinhaltet in seinem ersten Satz, dass weder Ehefrau noch Ehemann die Zustimmung des jeweils anderen einholen müssen, wenn sie oder er einer Lohnarbeit nachgehen will. Im zweiten Satz dieses Artikels wird allerdings betont, dass auf die Gewährung der Harmonie in der Ehe geachtet werden sollte, wenn es um die Auswahl und die Ausübung einer Arbeit oder eines Berufes geht. 102 Diese gesetzliche Re gelung spiegelte die traditionelle Rollenverteilung in der Türkei wieder, in der die Frau nicht als berufstätig angesehen wird, sondern ihren Platz im Haus hat und dort 99

Women Information Network in Turkey (2006): Statistics: Percentage of household members by income source and main characteristics. Abgerufen am 2. Februar 2006 unter http://www.die.gov.tr/tkba/English_TKBA/t207.xls . 100 Women Information Network in Turkey (2006): Women Rights in Turkey. Abgerufen am 10. Februar 2006 unter http://www.die.gov.tr/tkba/English_TKBA/kadin_haklari.htm. 101 Women for Women’s Human Rights – WWHR (2002): The New Legal Status of Women in Turkey. Abgerufen am 4. April 2005 unter http://www.wwhr.org/images/newlegalstatus.pdf, 23. 102 Women for Women’s Human Rights – WWHR (2002): The New Legal Status of Women in Turkey. Abgerufen am 4. April 2005 unter http://www.wwhr.org/images/newlegalstatus.pdf, 13.

39

ihren Verpflichtungen nachzugehen hat. Vielerorts liegt die Entscheidung über die Berufstätigkeit der Frau nach wie vor beim Ehemann oder anderen männlichen Verwandten. Untersuchungen zeigten, dass beispielsweise in der Marmararegion 50 Prozent der Frauen von ihren Familienmitgliedern von einer Arbeit außer Haus abgehalten werden. 103 Derzeit liegt der Anteil der Frauen, die am Arbeitsmarkt beteiligt sind, bei 27 Prozent. 104 Noch vor zehn Jahren waren 30,5 Prozent und 1998 sogar 35 Prozent der Türkinnen beschäftigt. Die Tatsache, dass im selben Zeitraum auch der Beschäftigungsanteil bei männlichen Arbeitnehmern um fünf Prozent zurückging, ist ein Zeichen für die sich verschlechternde Arbeitsmarktlage. Dennoch stellt sich für Frauen die Situation am Arbeitsmarkt schlechter dar, als für Männer. Dem CEDAW-Bericht aus dem Jahr 2003 zufolge, kommt es immer wieder vor, dass im Privatsektor verheirateten oder schwangeren Frauen oder Frauen mit Kindern eine Anstellung verwehrt bleibt, oder sie innerhalb der betrieblichen Strukturen benachteiligt werden. Maßnahmen, die diese Praxis verhindern, sind bis jetzt nicht getroffen worden. 105 Des Weiteren bietet die Türkei nicht ausreichende Angebote zur Vereinbarung von Beruf und Familie für Frauen an. Die angebotenen Kinderbetreuungsplätze reichen nicht aus, um auch wirklich allen Türkinnen die freie Wahl zwischen Berufstätigkeit oder Hausfraue ndasein zu geben. Der Hauptgrund für die sinkenden Beschäftigungszahlen vor Frauen wird in der Migration vom Land in die Stadt gesehen. Die ehemals am Land als Bäuerinnen tätigen Frauen gehen in den urbanen Gegenden nur selten einer gemeldeten Arbeit nach. Falls es die wirtschaftliche Situation der Familie zulässt, sind städtische Türkinnen im Haus tätig. Viele jedoch sind gezwungen, eine bezahlte Arbeit im informellen Sektor anzunehmen. Schätzungen zufolge sollen Frauen mittlerweile 65 Prozent der Arbeiten in diesem Sektor übernommen haben. 106 Nach wie vor ist mehr als die Hälfte der beschäftigten Frauen in der Landwirtschaft tätig und arbeitet dort fast ausschließlich ohne Bezahlung in den bäuerlichen Betrieben der Familien. Bedingt durch die Landflucht ist dieser Prozentsatz in den letzten Jahren jedoch zurückgega ngen.

Zeitgleich

erhöhte

sich

103

der

Anteil

derer,

die

einer

bezahlten

Women for Women’s Human Rights – WWHR (2005): The Case of Turkey. Abgerufen am 10. Februar 2006 unter http://www.wwhr.org/id_573. 104 Emine Bozkurt (2005): Bericht über die Rolle der Frauen in der Türkei im gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Leben. Abgerufen am 10. Oktober 2005 unter http://www.europarl.eu.int/meetdocs/2004_2009/documents/pr/562/562210/562210de.pdf, 14. 105 United Nations Convention on the Elimination of All Forms of Discrimination against Women – CEDAW (2003): Country Reports: Turkey. Abgerufen am 10. Februar 2006 unter http://daccessdds.un.org/doc/UNDOC/GEN/N03/464/38/PDF/N0346438.pdf?OpenElement, 33. 106 United Nations Convention on the Elimination of All Forms of Discrimination against Women – CEDAW (2003): Country Reports: Turkey. Abgerufen am 10. Februar 2006 unter http://daccessdds.un.org/doc/UNDOC/GEN/N03/464/38/PDF/N0346438.pdf?OpenElement, 30-31.

40

unselbstständigen bzw. selbstständigen Arbeit nachgehen. 107 Dennoch nimmt die Türkei mit einer städtischen Fraue nerwerbsquote von nur 15 Prozent unter den Mitgliedsstaaten der OECD den letzten Platz ein. 108 Ein weiterer Grund für den niedrigen Anteil an weiblichen Erwerbstätigen sowohl in der gesamten Türkei als auch in den urbanen Zentren liegt in der nach wie vor negativen Haltung der Gesellschaft gegenüber berufstätigen Frauen. Diese Ansicht ist unter anderem in der traditionellen Familienstruktur und in der Religiosität der türkischen Bevölkerung verankert.

Wie oben bereits erwähnt wurde, besteht ein Zusammenhang zwischen der sozialen Schicht und dem Bildungsgrad von Frauen. Eine bessere Ausbildung bringt eine größere Chance auf einen Arbeitsplatz mit sich. So sind 70 Prozent der Frauen mit höherer Bildung in die Arbeitswelt integriert, während lediglich fünf Prozent der Analphabetinnen einer Arbeit im formalen Sektor nachgehen. 109 Eine für junge Frauen wichtige Gesetzesänderung stellt die Verlängerung der Pflichtschulzeit auf acht Jahre dar. Nach der ehemals fünfjährigen Schulzeit wurden zehn- bis elfjährige Mädchen oft zur Arbeit in den elterlichen Betrieben herangezogen. So verwehrte man ihnen eine weitere Ausbildung und die Chance auf einen guten Arbeitsplatz. Durch die achtjährige Schulpflicht haben nun junge Frauen bessere Möglichkeiten sich in der Arbeitswelt zu integrieren. 110

Falls Türkinnen einer Lohnarbeit nachgehen (können), so sind sie in der Arbeitswelt Diskriminierungen ausgesetzt. Große Benachteiligungen gegenüber Männern erfahren türkische Frauen bei der Bezahlung für ihre Leistungen. Im öffentlichen Dienst verdienen die männlichen Arbeitskollegen um 20 bis 60 Prozent mehr, in Privatbetrieben sogar um 30 bis 150 Prozent. Zudem dominieren Männer die Positionen im Managementbereich und somit in

107

United Nations Convention on the Elimination of All Forms of Discrimination against Women – CEDAW (2003): Country Reports: Turkey. Abgerufen am 10. Februar 2006 unter http://daccessdds.un.org/doc/UNDOC/GEN/N03/464/38/PDF/N0346438.pdf?OpenElement, 31. 108 Women for Women’s Human Rights – WWHR (2005): The Case of Turkey. Abgerufen am 10. Februar 2006 unter http://www.wwhr.org/id_573. 109 United Nations Convention on the Elimination of All Forms of Discrimination against Women – CEDAW (2003): Country Reports: Turkey. Abgerufen am 10. Februar 2006 unter http://daccessdds.un.org/doc/UNDOC/GEN/N03/464/38/PDF/N0346438.pdf?OpenElement, 31. 110 United Nations Convention on the Elimination of All Forms of Discrimination against Women – CEDAW (2003): Country Reports: Turkey. Abgerufen am 10. Februar 2006 unter http://daccessdds.un.org/doc/UNDOC/GEN/N03/464/38/PDF/N0346438.pdf?OpenElement. 33.

41

den oberen Gehaltsstufen. Die größten Einkommensunterschiede sind dabei im primären Sektor festzustellen. 111

Um die Situation der Frauen am Arbeitsmarkt zu verbessern, wurden von staatlicher Seite zum einen Bildungsprogramme für Frauen ins Leben gerufen, die die Möglichkeiten für Frauen auf höhere Qualifikation steigern sollten, und zum anderen Anreize gegeben, Frauen in die Arbeitswelt zu integrieren.

2.3.3.

Politische Beteiligung

Türkinnen konnten im Vergleich zu manch anderen Frauen in europäischen Staaten sehr früh das Recht auf politische Beteiligung erlangen. 1930 wurde ihnen das aktive und passive Kommunalwahlrecht zuerkannt. Vier Jahre später erhielten sie das allgemeine aktive und passive Wahlrecht. 112 Die erste Wahl mit weiblicher Wahlbeteiligung brachte immerhin 18 Frauen in das nationale türkische Parlament. Dies entsprach einem Anteil von 4,6 Prozent. 77 Jahre später, im Jahr 2002, liegt der Prozentsatz der weiblichen Abgeordneten zum türkischen Parlament unter dem 1935 erzielten Wert bei 4,4 Prozent. Tatsache ist, dass seit der Einführung des aktiven und passiven Wahlrechts für Türkinnen nie wieder mehr weibliche Abgeordnete der türkischen Nationalversammlung angehörten als damals. Bis zum Jahr 1946 schwankte der Frauenanteil in der Nationalversammlung zwischen 3,7 und 4,5 Prozent. Das Mehrparteiensystem brachte schließlich die weiblichen Abgeordneten beinahe zum Verschwinden. Ihr Anteil fiel auf unter ein Prozent. Erst seit Mitte der neunziger Jahre ist wieder eine erwähnenswerte Anzahl von Frauen im Parlament vertreten. Zur Zeit liegt diese bei nur 24 weiblichen Abgeordneten. 113 Noch weniger als im nationalen Parlament sind Frauen in den kommunalen Parlamenten vertreten. Dort beträgt ihr Anteil lediglich durchschnittlich etwa ein Prozent. 114

111

United Nations Convention on the Elimination of All Forms of Discrimination against Women – CEDAW (2003): Country Reports: Turkey. Abgerufen am 10. Februar 2006 unter http://daccessdds.un.org/doc/UNDOC/GEN/N03/464/38/PDF/N0346438.pdf?OpenElement, 34. 112 Women Information Network in Turkey (2006): Women Rights in Turkey. Abgerufen am 10. Februar 2006 unter http://www.die.gov.tr/tkba/English_TKBA/kadin_haklari.htm. 113 Women Information Network in Turkey (2006): Statistics: Number of parlamentarians by election year and sex. Abgerufen am 2. Februar 2006 unter http://www.die.gov.tr/tkba/English_TKBA/t210.xls . 114 Heide Rühle (2005): Rückblick: Türkische Bürgermeisterinnen diskutieren regionale Entwicklung. Abgerufen am 4. Dezember 2005 unter: http://www.heide-ruehle.de/heide/fe/doc/367.

42

Dementsprechend wenige Bürgermeisterämter werden von einer Frau bekleidet. Von den mehr als 3.200 Ämtern werden 25 von Frauen ausgeübt. 115 Auch innerhalb der Parteienstrukturen fehlt die weibliche Repräsentanz. Vor 1980 wurden von den Parteien eigene Frauenkommissionen eingerichtet. Allerdings war ihre Einsetzung oft nur zum Schein. Die Kommissionen existierten nur auf dem Papier und hatten als Aufgabe lediglich das Einsammeln von Spenden über. Auch die Rolle der Kommissionsmitglieder begrenzte sich auf beratende und nicht entscheidende Funktionen innerhalb der Parteien. Als 1995 das mit dem Militärputsch eingerichtete Verbot für Frauenorganisationen von Parteien wieder aufgehoben wurde, waren es paradoxerweise jene Parteien, denen es gelang Frauen für politischen Aktivismus zu begeistern, deren Frauenbild ein sehr konservatives war. Vor allem die islamistischen Parteien konnten auf die weibliche Unterstützung bauen (siehe Kap. 4.2.3.2).

Einige wenige Frauen konnten bisher das passive Wahlrecht zu ihren Gunsten ausnutzen. 1950 wurde die erste türkische Frau zur Bürgermeisterin gewählt und 1993 konnte Tansu Çiller das Amt der Premierministerin antreten. 116 Obwohl in den letzten Jahrzehnten von Parteien vermehrt versucht wurde auf GenderThematiken einzugehen, sind Frauen nach wie vor von der politischen Ebene so gut wie ausgeschlossen. Um diese Unterrepräsentierung von Frauen zu beseitigen, wird von NGOs und

PolitikerInnen

die

Einführung

von

Quotenregelungen

gefordert.

Vereinzelte

Kleinparteien führten bisher einen Mindestfrauenanteil von 25 bis 30 Prozent ein. Da diese Parteien jedoch nicht ins Parlament gewählt wurden, ist diese Quotenregelung beinahe wirkungslos. 117 Diese von vielen beantragte Regelung, die überparteilich gelten sollte, bringt zudem eine juristische Frage mit sich. Die türkische Verfassung sieht in Art. 10 die Gleichheit vor dem Gesetz vor: „Jedermann ist ohne Rücksicht auf Unterschiede aufgrund von … Geschlecht, … vor dem Gesetz gleich. Weder einer Person noch einer Familie, Gruppe oder Klasse darf ein Vorrecht eingeräumt werden. …“118

115

Europäische Kommission (2004): Regelmäßiger Bericht über die Fortschritte der Türkei auf dem Weg zum Beitritt. Abgerufen am 8. Jänner 2006 unter http://europa.eu.int/comm/enlargement/report_2004/pdf/rr_tr_2004_de.pdf, 47. 116 Women for Women’s Human Rights – WWHR (2005): The Case of Turkey. Abgerufen am 10. Februar 2006 unter http://www.wwhr.org/id_573. 117 United Nations Convention on the Elimination of All Forms of Discrimination against Women – CEDAW (2003): Country Reports: Turkey. Abgerufen am 10. Februar 2006 unter http://daccessdds.un.org/doc/UNDOC/GEN/N03/464/38/PDF/N0346438.pdf?OpenElement, 18. 118 Die Verfassung der Republik Türke i vom 7. November 1982. Abgerufen am 8. Jänner 2006 unter http://www.verfassungen.de/tr/tuerkei82.htm.

43

Positive Diskriminierung wird in der Verfassung nicht erwähnt und wäre daher erst durch eine Verfassungsänderung zu ermöglichen. Die Aussage „Wir wollen unsere Probleme nicht schamhaft, sondern mannhaft lösen!“, 119 die von Politikern der MHP getätigt wurde, zeigt, wie wenig Interesse darin besteht, Frauen innerhalb der Partei eine tragende Rolle zu überlassen. In Anbetracht derartigen Denkens scheint eine Quotenregelung notwendig zu sein, da die traditionell patriarchalischen Gesellschaftsstrukturen keine Gleichberechtigung von Mann und Frau in der Politik zulassen werden.

Das geringe Engagement von Frauen in der türkischen Politik seit der Einsetzung des aktiven und passiven Wahlrechts für alle StaatsbürgerInnen ist unter anderem auf die geringe Akzeptanz Politikerinnen gegenüber zurückzuführen. 67 Prozent der Mütter und 70 Prozent der Väter

lehnen

eine

aktive

politische

Laufbahn

ihrer

Töchter

ab.

Auf

die

Gesamtbevölkerung ve rteilt sind es vor allem die ältere Generation, Männer, Personen mit niedriger Bildung und Personen aus dem ländlichen Raum, die weiblicher politischer Aktivität skeptisch gegenüber stehen. 120 Wenn die aktive Beteiligung von Frauen im politischen Geschehen von der Gesellschaft auch unterdrückt wird, so kann man der weiblichen türkischen Bevölkerung allerdings kein Desinteresse an Politik unterstellen. Der Prozentsatz der weiblichen und männlichen Nichtwähler liegt eng zusammen, was bedeutet, dass Frauen im selben Ausmaß von ihrem aktiven Wahlrecht Gebrauch machen wie Männer. 121 Erschreckend hoch ist allerdings die Zahl jener Frauen, die sich von der politischen Meinung ihrer Männer beeinflussen lassen. Laut der NGO Women for Women’s Human Rights gaben abhängig von der Region, aus der die Frauen kamen, 30 bis 80 Prozent der Wählerinnen an, ihre Wahlentscheidung ihren Ehemännern oder anderen männlichen Familienmitgliedern zu überlassen. 122

119

Lâle Yalçin-Heckmann (2000): „Frauen in der türkischen Politik.“ In: Deutsch-Türkisches Symposium 1999 (2000): Ehre und Würde – Seref ve Onur. Hamburg, 24. 120 Ayse Günes-Ayata (1991): “Frauen in der Politik. Zum Wandel des politischen Anspruchs.“ In: Aylâ Neusel, Sirin Tekeli, Meral Akkent (Hg.): Aufstand im Haus der Frauen. Frauenforschung aus der Türkei. Berlin, 181201, 186-187. 121 Ayse Günes-Ayata (1991): “Frauen in der Politik. Zum Wandel des politischen Anspruchs.“ In: Aylâ Neusel, Sirin Tekeli, Meral Akkent (Hg.): Aufstand im Haus der Frauen. Frauenforschung aus der Türkei. Berlin, 181201, 182. 122 Women for Women’s Human Rights – WWHR (2005): The Case of Turkey. Abgerufen am 10. Februar 2006 unter http://www.wwhr.org/id_573.

44

2.3.4.

Gewalt

Nach wie vor sind Türkinnen von Gewalt betroffen. Diese kann verbaler, körperlicher, sexueller aber auch psychischer Natur sein. Laut einer Studie aus dem Jahr 1998 sind me hr als drei Viertel der osttürkischen Frauen verbaler Gewalt durch den Ehemann ausgesetzt. Mehr als die Hälfte von ihnen erfuhr auch körperliche und sexuelle Gewalt von ihrem Ehepartner. 123 Die rechtlichen Mittel gegen derartige Gewaltakte hielten sich bis vor einigen Jahren in Grenzen. Vor der Strafrechtsreform war es einer Frau nur dann möglich Klage gegen ihren gewalttätigen Ehemann einzureichen, wenn sie ein ärztliches Attest vorweisen konnte, das bescheinigte, dass ihr aufgrund der körperlichen Misshandlungen zumindest für zehn Tage Ruhe verordnet werden musste. Ein Problem, vor dem viele Türkinnen stehen, ist die fehlende Umsetzung der Gesetze bezüglich des Verbots von Gewalt in der Familie. Schuld daran sind nicht nur der fehlende Wille und das gesellschaftliche Denken, sondern auch die Unbekanntheit der neueren Gesetze. Vor allem das Gesetz zum Schutz der Familie aus dem Jahr, das 1998 in Kraft trat, war lange Zeit unter StaatsanwältInnen unbekannt und daher nicht angewandt. Häusliche Gewalttaten waren zuvor teilweise im Strafrecht geregelt. Da diese Regelungen aber nicht in den Privatbereich der Familie eingriffen, blieben derartige Gewaltakte ungeahndet. Zudem gehen die Sicherheitskräfte auch heute noch Klagen von Frauen in Zusammenhang mit häuslicher Gewalt häufig nicht nach. Vor allem in ländlicheren Regionen, in denen Frauen am häufigsten Gewalt inne rhalb der Familie ausgesetzt sind, ist dies der Fall. 124 Die traditionelle Gesellschaft, die noch stark von der Religion geprägt ist, ist mit ihrem Denken außerdem ein Grund für die anhaltende Gewalt gegen Frauen. Immerhin 12 Prozent der Türkinnen und 36 Prozent der Türken gestehen dem Ehemann das Recht ein, die Ehefrau zu schlagen. Besonders hoch scheint die Akzeptanz von häuslicher Gewalt unter jungen Frauen im Alter zwischen 15 und 19 Jahren zu sein. Bei einer Untersuchung der UNFPADelegation gaben 63 Prozent der weiblichen Jugendlichen an, dass Schläge gerechtfertigt sein können. 125 Die Befürwortung bzw. Ablehnung dieser Praktik ist jeweils abhängig vom Grad der Bildung. Während mehr als 60 Prozent der männlichen als auch weiblichen Bevölkerung 123

Pinar Ilkkaracan and Women for Women’s Human Rights (1998): “Exploring the Context of Women’s Sexuality in Eastern Turkey.” Reproductive Health Matters, 6 (12), 66-75, 72-73. Abgerufen am 10. Oktober unter http://www.wluml.org/english/pubs/pdf/dossier22/women-sexuality-turkey.pdf. 124 Amnesty International Österreich (2004): Türkei: Frauen kämpfen gegen Gewalt in der Familie. Abgerufen am 10. Oktober 2005 unter http://www.amnesty.at/vaw/cont/laender/tuerkei/Tuerkei_SVAW_Bericht.pdf. 125 Emine Bozkurt (2005): Bericht über die Rolle der Frauen in der Türkei im gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Leben. Abgerufen am 10. Oktober 2005 unter http://www.europarl.eu.int/meetdocs/2004_2009/documents/pr/562/562210/562210de.pdf, 13.

45

mit Grundschulbildung körperliche Gewalt tolerieren, lehnen 100 Prozent der Frauen und 83 Prozent der Männer mit Universitätsabschluss sie ab. 126

Bis zur Strafrechtsreform war auch sexuelle Gewalt nur ansatzweise in den Gesetzen geregelt. So waren davor beispielsweise keine Regelungen bezüglich Vergewaltigung in der Ehe enthalten. Außerdem war das Strafausmaß für Vergewaltiger von seinem Versprechen, das Opfer zu heiraten bzw. vom Alter des Opfers abhängig. Sexueller Missbrauch und sexuelle Belästigung waren zudem überhaupt nicht geregelt. 127 Mit den durchgeführten Neuerungen im Strafrecht konnten jedoch nicht alle Missstände in diesem Bereich behoben werden. Vergewaltigung stellt nach wie vor ein Tabuthema in der türkischen Gesellschaft dar, und so ermittelt die Staatsanwaltschaft nur selten in derartigen Fällen. Dazu kommt, dass türkische Gerichte Beweismittel, wie später erstellte psychologische Gutachten, auch trotz eines Urteils des Europäischen Gericht shofs für Menschenrechte nicht oder nur selten zulassen. 128 Eine in der Türkei gängige Methode, das Verhalten von jungen Frauen zu kontrollieren, war und ist die Durchführung von Jungfräulichkeitstests. Dieser Test diente unter anderem zur Überprüfung der Sittsamkeit der Frau und wurde beispielsweise an Schülerinnen und Studentinnen praktiziert. Das neue Strafgesetzbuch lässt diese Jungfräulichkeitstests mittlerweile nur mehr bei Vergewaltigungen zu und sieht Haftstrafen für jene vor, die sie ohne richterliche Verfügung durchführen. Dennoch sind diese Untersuchungen eine die Selbstbestimmung der Frau einschränkende Praktik, da die Einwilligung der Frau, an der der Test durchgeführt wird, nicht erforderlich ist. 129

Aufgrund

der

vielen

Fälle

von

häuslicher

und

sexueller

Gewalt

wird

von

Frauenorganisationen immer wieder die Errichtung weiterer Frauenhäuser, in denen Opfer Zuflucht und psychologische Betreuung erhalten, gefordert. Die derzeitige Lage hinsichtlich solcher Einric htungen in der Türkei ist nicht zufrieden stellend, da landesweit nur neun derartige Zentren bestehen. Seit 2004 sind jedoch Gemeinden mit über 50.000 Einwohnern dazu verpflichtet Zufluchtsorte und Betreuung für Gewalt ausgesetzten Frauen anzubieten. 130 126

Sabine Küper-Basgöl (1992): Frauen in der Türkei zwischen Feminismu s und Reislamisierung. Münster/Hamburg, 200. 127 Women for Women’s Human Rights – WWHR (2002): The New Legal Status of Women in Turkey. Abgerufen am 4. April 2005 unter http://www.wwhr.org/images/newlegalstatus.pdf, 27-28. 128 Jürgen Gottschlich (2004): Die Türkei auf dem Weg nach Europa. Ein Land im Aufbruch. Berlin, 103. 129 Women for Women’s Human Rights – WWHR (2002): The New Legal Status of Women in Turkey. Abgerufen am 4. April 2005 unter http://www.wwhr.org/images/newlegalstatus.pdf, 29. 130 Europäische Kommission (2004): Regelmäßiger Bericht über die Fortschritte der Türkei auf dem Weg zum Beitritt. Abgerufen am 8. Jänner 2006 unter http://europa.eu.int/comm/enlargement/report_2004/pdf/rr_tr_2004_de.pdf, 48.

46

Zudem ist es notwendig, das Bewusstsein der türkischen Bevölkerung hinsichtlich der verbreiteten Gewalt an Frauen zu schärfen. Zum einen erhalten Sicherheitskräfte, medizinisches Personal und andere öffentliche Beamte Training im Umgang mit Frauen, denen Gewalt widerfahren ist. Zum anderen muss das Selbstbewusstsein von Frauen und Mädchen gestärkt werden, und sie müssen über ihre Rechte aufgeklärt werden. Vor allem die häusliche Gewalt, aber auch andere menschenrechtliche Problembereiche in der Türkei, sind auf die mangelnde Umsetzung der nationalen Gesetze zurückzuführen. Maßnahmen zur Verbesserung der frauenrechtlichen Lage werden zwar gesetzt, doch reichten sie bisher nicht aus, um eine Bewusstseinsveränderung zu erzielen. Zudem sind innerhalb der türkischen Bevölkerung, aber auch unter VertreterInnen offizieller Behörden, die neuen gesetzlichen Regelungen nicht oder zu wenig bekannt. 131

Neben körperlicher Gewalt sind viele türkische Frauen auch psychischer Gewalt ausgesetzt. Der von der Gesellschaft ausgeübte Druck unterbindet jegliche freie Meinungsäußerung oder unabhängige Handlung von Frauen und schafft einen Zwang, aus dem nicht entkommen werden kann. Da in der Türkei die Familie und hierbei besonders die ältere Generation äußerst hohe Entscheidungskraft besitzen, sind viele junge Menschen vor allem in den ländlichen Regionen bei der Wahl ihres Ehemannes oder ihrer Ehefrau gebunden. Da die Einwilligung der Frau zur Hochzeit gesetzlich erst seit der Einführung des neuen Zivilgesetzbuches notwendig ist und die Umsetzung dieser Reform aufgrund der herrschenden Traditionen in manchen türkischen Gebieten sehr langsam vor sich geht, ist die Zwangsverheiratung von jungen Menschen nach wie vor ein üblicher Brauch. Im Osten des Landes, aber auch in Dörfern der Westtürkei, in denen sich einwandernde Turkvölker niedergelassen haben, herrscht die Tradition 13- bis 15jährige Mädchen mit etwa vier bis fünf Jahre älteren Männern zu verheiraten. Es besteht eine Kluft zwischen dem gelebten Brauchtum und dem Gesetz, das zwangsläufig junge Männer zu Gesetzesbrechern macht. 132 Da die meisten Verheiratungen „arrangierte Ehen“ sind, bei denen Familien desselben Ranges bzw. derselben Schicht Frauen zur Vermählung mit einem der Söhne austauschen, entfällt der zwar gesetzlich nicht mehr erlaubte, aber dennoch nach wie vor übliche n „Brautpreis“, den die Familie des Mannes an die Ehefrau zu zahlen hat. Diese Einigung bringt für die Familien finanzielle Entlastungen. Für die

131

United Nations Convention on the Elimination of All Forms of Discrimination against Women – CEDAW (2003): Country Reports: Turkey. Abgerufen am 10. Februar 2006 unter http://daccessdds.un.org/doc/UNDOC/GEN/N03/464/38/PDF/N0346438.pdf?OpenElement, 14. 132 Jürgen Gottschlich (2004): Die Türkei auf dem Weg nach Europa. Ein Land im Aufbruch. Berlin, 108.

47

verheiratete Frau jedoch bedeutet eine arrangierte Vermählung eine zusätzliche psychische Belastung, da für sie eine Trennung vom für sie bestimmten Ehemann fast unmö glich ist. Dieser Versuch hätte eine Verletzung der Ehre der Familie zur Folge. Eine weitere traditionelle Praktik der Verheiratung ist die Mehrehe, die in Teilen der Türkei nach wie vor existent ist und durch religiöse Zeremonien vollzogen werden kann. Auch sie kann psychische Probleme zur Folge haben. Es kommt dabei zu einer doppelten Belastung, da einerseits die meist arrangierte Mehrehe von der Frau zu erdulden ist und andererseits für die Ehefrau(en) aufgrund der inoffiziellen Vermä hlung keine rechtlichen Regelungen bezüglich finanzieller Versorgung oder Scheidung vom Ehemann bestehen (siehe Kap. 4.1.3.1). 133

Psychische Gewalt können Frauen auch bei der Um- oder Durchsetzung ihrer Rechte erfahren. Ein Recht, das im Besonderen Frauen betrifft und das sehr kontroverse Meinungen hervorbringt, ist das Recht auf Abtreibung. Seit Inkrafttreten des Gesetzes über Familienplanung im Jahr 1983 besteht in der Türkei die Möglichkeit bis zur 10. Schwangerschaftswoche legal abzutreiben. Dieses Recht wird jedoch von weniger als 50 Prozent der Bevölkerung akzeptiert. Noch dazu wird Abtreibung nicht als ein Recht der Frau angesehen, der die Möglichkeit gegeben wird über ihren Körper frei zu entscheiden, sondern als ein Recht der Familie gewertet. 134

2.4.

Zusammenfassung

Die nationale Gesetzgebung der Türkei lässt in wesentlichen Punkten eine Gleichstellung und Gleichberechtigung zwischen Frauen und Männern zu. Die Reformen der türkischen Gesetze führten größtenteils westliche Rechtsstandards ein. Dennoch gibt es einige Punkte, die formal noch nicht ausreichend geregelt sind. So muss klar gemacht werden, dass Ehrenmorde und das damit verbundene Handeln und Denken in einer fortschrittlichen Gesellschaft nicht mehr akzeptiert werden können. Ebenso muss die gesetzliche Ungleichbehandlung von verheirateten und unverheirateten, geschiedenen oder vom Ehemann getrennt lebenden Frauen aufgehoben werden.

133

Pinar Ilkkaracan and Women for Women’s Human Rights (1998): “Exploring the Context of Women’s Sexuality in Eastern Turkey.” Reproductive Health Matters, 6 (12), 66-75, 70-71. Abgerufen am 10. Oktober unter http://www.wluml.org/english/pubs/pdf/dossier22/women-sexuality-turkey.pdf. 134 Sirin Tekeli (1991): „Frauen in der Türkei der 80er Jahre.“ In: Aylâ Neusel, Sirin Tekeli, Meral Akkent (Hg.): Aufstand im Haus der Frauen. Frauenforschung aus der Türkei. Berlin, 27-47, 38.

48

Dazu kommt, dass die Ratifizierung der noch ausstehenden bereits unterzeichneten internationalen Abkommen notwendig ist und darauf geachtet werden sollte, die Europäische Menschenrechtskonvention einzuhalten.

Das Gesetz diskriminiert in seiner jetzigen Form bis auf einige Ausnahmen in einzelnen Bereichen Frauen zwar nicht mehr, dennoch fehlt es an der gesellschaftlichen Entwicklung, um tatsächlich von einer völligen Gleichberechtigung der türkischen Frauen gegenüber den türkischen Männern zu sprechen. Die rechtliche Situation stellt den Grundstein für eine gesellschaftliche Gleichstellung von Mann und Frau dar. Darauf aufbauend müssen jedoch die Lebenswirklichkeit und das gesellschaftliche Denken verändert werden. Die jetzigen Bedingungen für Frauen zeigen, dass es nicht genug ist, die formale Rechtsstellung der türkischen Frau zu verbessern und an die der Männer anzugleichen. Vielmehr ist für eine kulturelle Transformation und eine veränderte Gesellschaft, in der eine Gleichstellung der Geschlechter nicht mehr in Frage gestellt wird, die Anwendung von vorübergehenden Ausgleichsmaßnahmen zugunsten der Frauen notwendig. Dass Gesetzesreformen nur langsam von der Bevölkerung akzeptiert und umgesetzt werden, zeigten die radikalen Versuche einer Gesellschaftsveränderung in den zwanziger Jahren des vorigen Jahrhunderts. Um die völlige gleichberechtigte Stellung von Frau und Mann in der Türkei herstellen zu können, wird daher das Engagement der PolitikerInnen erforderlich sein, die notwendigen Schritte, wie beispielsweise Quotenregelungen oder Ausgleichsmaßnahmen, zu setzen. Außerdem ist das Problem zu beseitigen, dass Frauenpolitik nicht als solche betrieben wird, sondern lediglich innerhalb des Bereiches der Familienpolitik abgehandelt wird. Die türkischen PolitikerInnen verstehen zum Teil Frauenrechte bestenfalls als Notwendigkeit zum Schutz der Familie. „Die individuelle Stärkung der Frauenrechte wird von der amtierenden Regierung nur wenig oder gar nicht vorangetrieben“, teilt eine Sprecherin von WWHR mit.135 Die Umsetzung der ge ltenden Rechtsvorschriften sowie der wirksame Schutz der Rechte der Frau durch die türkischen Behörden sind notwendig. Dazu bedarf es Maßnahmen von Seiten der Regierung wie beispielsweise Kampagnen und Schulungen, die die Möglichkeit behördlichen Fehlverhaltens senken.

135

Sprecherin von WWHR. In: Jürgen Gottschlich (2004): Die Türkei auf dem Weg nach Europa. Ein Land im Aufbruch. Berlin, 112.

49

3.

Türkische Kultur und Gesellschaft

Die rechtliche Situation spiegelt nicht immer die Wirklichkeit in der Gesellschaft wider. Frauenrechtsverletzungen finden in der Türkei statt, obwohl der Rechtsrahmen sie eigentlich nicht zulassen würde. Daher wird im Folgenden ein Teil der türkischen Gesellschaft untersucht. Erstens wird auf die wichtigste gesellschaftliche Institution, die türkische Familie, eingegangen. Dabei werden die typischen Familienformen in der Türkei, der Wandel der türkischen Familie und die Ro lle der Frau im familiären Zusammenleben behandelt. Zweitens wird untersucht, inwieweit die Religion in der Türkei – der Islam – Einfluss auf die Gesellschaft hat, die Fraue nrechtsverletzungen zulässt. Im Kapitel „Die Türkei und die Religion“ werden die Re-Islamisierung der Türkei und die Auswirkungen des politischen Islamismus auf die Frau dargestellt. Diese beiden Gesellschaftskomponenten sind jedoch nicht strikt voneinander zu trennen. Der Islam betont die Wichtigkeit der Institution der Familie für ein Bestehen einer islamischen Gesellschaft. Muslime sehen für die Frau eine besondere Rolle in der Familie, da sie die Hüterin der Familie ist und dafür sorgt, dass dem Nachwuchs eine islamische Erziehung zugute kommt, die in weiterer Folge wieder den Grundstein für ein Gesellschaftsbild nach islamischen Vorstellungen legt.

3.1.

Die türkische Familie

3.1.1.

Die Familie in der Türkei und ihre Rolle in der Gesellschaft

Schon in der türkischen Verfassung steht unter Art. 41: „Die Familie ist die Grundlage der türkischen Gesellschaft und beruht auf der Gleichheit von Mann und Frau.“136 Tatsächlich genießt die Familie in der Türkei einen sehr hohen Stellenwert. Dies erklärt sich einerseits aus der Religiosität der türkischen Bevölkerung. Im Islam bildet die Familie den Grundstein der Gesellschaft. Angeführt wird sie vom Mann; er stellt das Oberhaupt einer traditionell islamischen

Familie

dar.

Andererseits

hat

die

jahrhundertlange

Lebensweise

in

Familienverbänden, die als wirtschaftliche Grundlage dienten, die türkische Gesellschaft bis heute beeinflusst. In der Türkei erfüllt die Familie nicht nur ihre Reproduktions- und Sozialisationsfunktion. Sie stellt vielmehr auch eine ökonomische und politische Größe dar, die den familiären Zusammenhalt fördert bzw. voraussetzt. Die Familie gibt außerdem Regeln

136

Die Verfassung der Republik Türkei vom 7. November 1982. Abgerufen am 8. Jänner 2006 unter http://www.verfassungen.de/tr/tuerkei82.htm.

50

und Normen vor, innerhalb derer sich die Familienmitglieder zu bewegen haben. Eine strikte Unterscheidung zwischen den verschiedenen Handlungsräumen der Geschlechter ist dabei zu beachten.

Für die türkische Gesellschaft ist die patrilineare erweiterte Familie charakteristisch, da sie die Familienform der typisch traditionellen Bauernhaushalte darstellt. Im Falle der Türkei muss zwischen zwei Mustern dieser erweiterten Familie unterschieden werden. Zum einen besteht die Form der „patriarchal extended family“, in der der Mann mit seiner Frau, seinem verheirateten Sohn und dessen Frau und Kindern und seinen unverheirateten Söhnen und Töchtern lebt. Die andere Form der türkischen erweiterten Familie, die „transient extended family“, besteht aus einer Kernfamilie mit Vater, Mutter und unverheirateten Kindern und dem Vater und/oder der Mutter mit den noch unverheirateten Geschwistern des Mannes. Diese „vorübergehende“ Form der erweiterten Familie ändert sich mit der Heirat und dem Auszug der noch unverheirateten Geschwister des Mannes, wodurch die Familie zu einer Kern- bzw. Mehrgeneratione nfamilie wird. Der Unterschied zwischen diesen beiden Familienmustern liegt beim Familienoberhaupt. Während in der „patriarchal extended family“ der Vater die Rolle des Familienanführers übernimmt, kommt sie bei der „transient extended family“ dem Sohn zu. 137 Die folgende Tabelle zeigt, dass die patrilineare erweiterte Familie bzw. die Großfamilie insgesamt bei weitem nicht mehr die am häufigsten auftretende Familienform in der Türkei darstellt.

Familienform/ Wohnortgröße in Einwohner Kernfamilie „Patrilineal extended familiy“ “Transient extended family” Andere Familienform

Ankara, Istanbul, Izmir 67,9 4,6

Großstadt Mittelstadt Kleinstadt (50.000 (15.000 (2.000 100.000) 50.000) 15.000) 65,8 63,3 61,5 9,7 9,5 20,0

Dorf (< 2000)

Gesamt

55,4 25,4

59,7 19,0

12,4

11,6

15,0

12,7

13,3

13,1

15,0

12,9

11,0

5,7

5,9

8,3

In: Gabriele Rasuly-Paleczek (1996): „Some Remarks on the Study of Household Composition and Intra-Family Relations in Rural and Urban Turkey.” In: Gabriele Rasuly-Paleczek (Hg.): Turkish Families in Transition. Frankfurt am Main, 1-44, 8. 137

Gabriele Rasuly-Paleczek (1996): „Some Remarks on the Study of Household Composition and Intra-Family Relations in Rural and Urban Turkey.” In: Gabriele Rasuly-Paleczek (Hg.): Turkish Families in Transition. Frankfurt am Main, 1-44, 3.

51

Wenn auch insgesamt gesehen die patrilineare erweiterte Familie nicht die dominierende Familienform in der Türkei darstellt, so kennzeichnet sie in ländlichen Regionen doch immerhin ein Viertel der Familien. Vor allem im Bauernstand ist diese Familienform mit beinahe 40 Prozent noch relativ häufig anzutreffen. Aber auch unter Einzelhändlern und Handwerkern mit durchschnittlichem Bildungsgrad, sowohl im städtischen als auch im ländlichen Bereich, ist die patrilinear erweiterte Familie eine überdurchschnittlich häufig anzutreffende Familienform. Erwähnenswert ist die Korrelation zwischen dem ökonomischen Standard der Bauernfamilie und der Häufigkeit der patrilinearen erweiterten Familie. Unter den Kleinbauern ist mit fast 60 Prozent die Kernfamilie die häufigste Familienform, während hingegen ebenfalls fast 60 Prozent der Großbauern eine patrilinear erweiterte Familie darstellen. 138 Klar ersichtlich ist, dass die Mehrheit der türkischen Familien der Form der Kernfamilie entspricht. Nicht nur in urbanen Zentren ist sie die bedeutendste Familienform, sondern auch am Land sind mehr als die Hälfte der Familien als Kernfamilien zu betrachten. Zu erwähnen ist allerdings, dass das Leben in einer türkischen Kernfamilie nicht gleichzusetzen ist mit dem in einer westeuropäischen Kernfamilie, da die traditionellen Strukturen auch noch in die modernen Familienformen hineinwirken. Die Lebensbereiche von Männern und Frauen sind in der Türkei stärker voneinander getrennt. Beide Geschlechter agieren in ihren eigenen Netzwerken, die eine Art soziales Umfeld ergeben, das dem einer erweiterten Familie gleicht. Zudem hat die Kontaktpflege zu Verwandten für die in einer Kernfamilie lebenden Türkinnen und Türken einen höheren Stellenwert als in der westlichen Industriegesellschaft. 139 Die typischen Familienmitglieder einer städtischen Kernfamilie gehören entweder zur Gruppe der ungelernten und ungebildeten ArbeiterInnen oder zur gut ausgebildeten Beamtenschaft oder Elite mit Hochschulabschluss. Am Land leben ebenso vermehrt die einfachen ArbeiterInnen und Mitglieder kleinbäuerlicher Betriebe mit relativ geringer Bildung in dieser Form der Familie. 140 Die große Anzahl von Kernfamilien im ländlichen Bereich erklärt sich daraus, dass nach wie vor mehr als 40 Prozent der Beschäftigten in der Türkei im Landwirtschaftssektor tätig sind und zugleich die Eigentumsverhältnisse auf dem Land – mit 138

Gabriele Rasuly-Paleczek (1996): „Some Remarks on the Study of Household Composition and Intra-Family Relations in Rural and Urban Turkey.” In: Gabriele Rasuly-Paleczek (Hg.): Turkish Families in Transition. Frankfurt am Main, 1-44, 9-11. 139 Gabriele Rasuly-Paleczek (1996): „Some Remarks on the Study of Household Composition and Intra-Family Relations in Rural and Urban Turkey.” In: Gabriele Rasuly-Paleczek (Hg.): Turkish Families in Transition. Frankfurt am Main, 1-44, 22-23. 140 Gabriele Rasuly-Paleczek (1996): „Some Remarks on the Study of Household Composition and Intra-Family Relations in Rural and Urban Turkey.” In: Gabriele Rasuly-Paleczek (Hg.): Turkish Families in Transition. Frankfurt am Main, 1-44, 11.

52

Ausnahme des Südostens des Landes – von Kleingrundbesitz geprägt sind. 141 Diese Besitzform lässt aus wirtschaftlichen Gründen nicht immer eine Großfamilie zu und zwingt Nachkommen dazu eigene Haushalte zu gründen. Zu den „anderen Familienformen“ zählen vor allem zersplitterte Familien, in denen entweder nur die Mutter oder nur der Vater mit Kindern lebt. Außerdem werden Single-Haushalte und Wohngemeinschaften aus unverheirateten Personen dazu gezählt. Die moderne Lebenswelt lässt den Prozentsatz für diese neuen Familienformen in den Städten höher ausfallen, als in ländlichen Regionen. Die Familie nimmt in der Türkei eine viel wichtigere Rolle ein als beispielsweise in der westeuropäischen Kultur. Als ein Kennzeichen – jedoch keine Bedingung – für eine Familie wurde in Kapitel 2.3.1.1. die Ehe festgemacht. Die Heirat wird in der Türkei als der Grundstein für eine Familie angesehen, weshalb die Vermählung zweier junger Menschen oft arrangiert wird. Im Osten der Türkei werden noch immer mehr als die Hälfte der Frauen ohne deren Zustimmung zur Hochzeit verheiratet. In diesem Fall haben jedoch auch die jungen Ehemänner sich dem Wunsch der beiden Familien zu beugen. Aufgrund der islamisch geprägten Kultur ist in der Türkei auch die Heirat von Verwandten – meist eines Cousin oder einer Cousine – keine Seltenheit. 1992 lag der Prozentsatz der Ehen, die zwischen Cousin und Cousine geschlossen wurde, in ländlichen Gebieten bei 21 und in urbanen Regionen bei 14. 142 Gründe für eine solche Verbindung finden sich im bereits gegebenen Zusammenhalt sowie im Netzwerk innerhalb der erweiterten Familie und der damit verbundenen Möglichkeit zur Konfliktvermeidung. Weiters ist in der Tradition einiger ethnischer Gruppen, wie den Kurden oder Aleviten, sowohl die Ehe innerhalb der ethnischen Zugehörigkeitseinheit, als auch innerhalb der Familie enthalten. Durch gesellschaftliche Veränderungen, wie die steigende wirtschaftliche Unabhängigkeit der Nachkommen und die höheren Mobilität der türkischen Landbevölkerung aufgrund von Bildungsmöglichkeiten und Lohnarbeit, sowie durch Aufklärungskampagnen, in denen auf die gesundheitlichen Risiken von Heiraten innerhalb der Blutsverwandtschaft eingegangen wurde, reduzierte sich die Anzahl der „Cousinenheiraten“ in der Türkei in den letzten fünf Jahrzehnten. 143 Wenn Polygamie 1926 von Kemâl Atatürk auch verboten wurde, so stellt sie dennoch eine weitere Sonderform der ehelichen Verbindungen in der Türkei dar. In der ländlichen Osttürkei

141

Wulf Martin (2002): „Die Wirtschaft in der Türkei.” In: Hans-Georg Wehling (Hg.): Türkei. Politik – Gesellschaft – Wirtschaft. Opladen, 152-178, 166. 142 Paul Stirling; Emine Onaran Incirlioglu (1996): „Choosing Spouses: Villagers, Migrants, Kinship and Time.” In: Gabriele Rasuly-Paleczek (Hg.): Turkish Families in Transition. Frankfurt am Main, 61-82, 71. 143 Ayse Günes-Ayata (1996): „Solidarity in Urban Turkish Family.“ In: Gabriele Rasuly-Paleczek (Hg.): Turkish Families in Transition. Frankfurt am Main, 98-113, 101-102.

53

war 1998 noch eine von zehn Ehen eine Mehrehe, was darauf schließen lässt, dass diese Form der Vermählung nach wie vor existiert. 144 Rechtlich gesehen sind diese Ehen ungültig, da es sich um religiöse Heiraten handelt, was wieder Probleme für die Frauen mit sich bringen kann, falls es zu einer Scheidung oder dem Tod des Mannes kommt. Jedenfalls zeigt auch diese Sitte, dass die patriarchalischen Strukturen nicht so rasch durch Gesetze beseitigt werden können.

3.1.2.

Wandel der türkischen Familie aufgrund westlichen Einflusses

Noch vor einem Jahrhundert war die Großfamilie die traditionelle türkische Familienform. So wohnten dabei oft mehrere Geschwister – meist Brüder, da die Frauen ve rheiratet wurden und selbst in eine andere Familie kamen – mit ihren Ehepartnerinnen, Eltern und Kindern unter einem Dach. Die Aufgaben waren genau verteilt. Während die Frauen die Haus- und Handarbeit und Kindererziehung erledigten, waren die Männer in der Landwirtschaft tätig. Mit dem Strukturwandel im Agrarbereich kam es zu Veränderungen im türkischen Familiensystem. Seit den fünfziger Jahren gingen immer mehr Männer einer Lohnarbeit nach, da sie von der Tätigkeit in der Landwirtschaft alleine nicht mehr leben konnten. Sie waren gezwungen, das Haus des Vaters zu verlassen und oftmals in der Stadt nach Arbeit zu suchen. Diese Umstände lösten die traditionelle, erweiterte Familie auf, und es bildeten sich Kernoder vereinzelt Mehrgenerationenfamilien heraus. Vor allem in den Städten trifft man vermehrt auf die Familienform der Kernfamilie, da dort die zur Abwanderung gezwungenen Arbeiter aus ländlichen Regione n Familien gründeten und meist die elterliche Generation in den Heimatdörfern zurückließen. Traditionelle, patrilinear erweiterte Familien hingegen sind seit

den

siebziger

Jahren

meist

nur

mehr

unter

wohlhabenden

Familien,

wie

Großgrundbesitzern am Land oder reichen Kaufleuten in der Stadt, anzutreffen und sind prozentuell rückläufig. 145 Mit den ökonomischen Veränderungen kam es auch zu einem Verlust der väterlichen Autorität. Neue Arbeitsbedingungen und somit mehr Unabhängigkeit für die junge Generation, die nicht selten zu Migration führten, wirtschaftliche Probleme, die den elterlichen Haushalt auseinander brechen ließen, und moderne und bessere Erziehung, die die Nachkommen ein neues Verständnis von Familie erfahren ließ, führten dazu, dass die 144

Pinar Ilkkaracan and Women for Women’s Human Rights (1998): “Exploring the Context of Women’s Sexuality in Eastern Turkey.” Reproductive Health Matters, 6 (12), 66-75, 70-71. Abgerufen am 10. Oktober unter http://www.wluml.org/english/pubs/pdf/dossier22/women-sexuality-turkey.pdf. 145 Sabine Küper-Basgöl (1992): Frauen in der Türkei zwischen Feminismus und Reislamisierung. Münster/Hamburg, 183-185.

54

Elterngene ration – und hier vor allem die väterliche Seite – an Einfluss innerhalb der Familie verloren hat. 146 Die sozioökonomischen Veränderungen waren in der Türkei auch Grund für vermehrt auftretende innerfamiliäre Konflikte, die in weiterer Folge wiederum zu einer Aufhebung der Großfamilienstruktur führten. Diskussionspunkte, die der soziale Wandel mit sich brachte, wie beispielsweise die Wahl der Ehefrau, des Arbeitsplatzes oder der Freizeitaktivitäten, führten zu Spannungen zwischen Vater und Sohn. Weiterführend ist auch die autoritäre Herrschaft der Schwiegermutter über die Schwiegertochter davon betroffen, da der Sohn durch mehr Selbstbewusstsein nun Partei für seine Frau ergreift. Familiäre Konflikte dieser Art führten oft zur Gründung eines neuen Haushaltes und waren mit ein Grund für die prozentuelle Abnahme von erweiterten Familien. Auch die Stellung der Frau hat sich mit diesem Wandel der türkischen Familie verändert. Mit der neuen Form der Familie – der Kernfamilie – unterliegt die Ehefrau nicht mehr so stark der Macht der Schwiegermutter, die im Gegensatz zum Leben in einer Großfamilie nicht mehr im selben Haus wohnt. Während in der traditionellen Familie die angeheiratete Frau sich im Haus dem Regiment der Mutter ihres Ehemannes beugen musste, steht sie in der Kernfamilie verstärkt unter der Beobachtung ihres Mannes. Der Wandel von der Form der ehemals erweiterten Familie hin zur Kernfamilie hat somit nicht nur positive Auswirkungen für die Frau, da sie das „Frauennetzwerk“ innerhalb der Familie, das nicht nur Druck auf vor allem junge, weibliche Familienmitglieder ausüben kann, sondern sehr wohl auch Schutz gegenüber autoritären Ehemännern bietet, nicht mehr hinter sich hat. 147 Durch die geringere Abhängigkeit der Söhne vom Elternhaus und dem damit verbundenen Machtverlust des Familienvaters erreichten auch Ehefrauen und Schwiegertöchter mehr Einfluss innerhalb der Familie. Durch den Autoritätsverlust und die Machtverschiebung innerhalb der Familie vom Vater auf den Sohn wurde auch der Einfluss der Ehefrauen gesteigert, da so die Frau dem Mann in der Hierarchieleiter näher kommen konnte. Mit den sozioökonomischen Veränderungen sowie dem steigenden Bildungsniveau ging ein Anstieg des Heiratsalters einher. Dennoch wird in der Türkei nach wie vor sehr jung geheiratet. 1993 betrug das durchschnittliche Heiratsalter von Frauen 22,2 Jahre und von Männern 26,3 Jahre. 148 Aufgrund der noch traditionellen Werteeinstellung der türkischen Bevölkerung ist nach wie vor die Scheidung von Ehen im Vergleich relativ selten. Mit 0,5 146

Gabriele Rasuly-Paleczek (1996): „Some Remarks on the Study of Household Composition and Intra-Family Relations in Rural and Urban Turkey.” In: Gabriele Rasuly-Paleczek (Hg.): Turkish Families in Transition. Frankfurt am Main, 1-44, 16-18. 147 Wiebke Walther (1996): „Die Frau im Islam heute.“ In: Werner Ende; Udo Steinbach (Hg.): Der Islam in der Gegenwart. München, 604-629, 624. 148 Steffen Kröhnert (2002): Bevölkerungsentwicklung in der Türkei. In: Berlin -Institut für Bevölkerung und Entwicklung. Abgerufen am 2. Februar 2006 unter http://www.berlin-institut.org/pdfs/Kroehnert_Tuerkei.pdf.

55

Ehescheidungen je 1.000 Einwohner werden in der Türkei noch weniger eheliche Verbindungen

wieder

aufgelöst

als

beispielsweise

in

den

katholischen

Staaten

Lateinamerikas. 149 Ähnlich wie in anderen Staaten ist es auch in der Türkei zu einem Sinken der Geburtenrate gekommen. Während in den Jahren 1935 bis 1940 noch 51 Neugeborene auf 1.000 Einwohner kamen, waren es 1985 nur mehr 31. 150 Mittlerweile hat ein abermaliger starker Geburtenrückgang eingesetzt. Im Jahr 2002 waren nur mehr 21,5 Geburten auf 1.000 Einwohner zu zählen. 151

3.1.3.

Die Stellung der Frau in der türkischen Familie

Die Türkei ist noch heute ein Land mit uneinheitlichem Entwicklungsniveau, wodurch auch die türkische Gesellschaft stark von einer Ungleichzeitigkeit gekennzeichnet ist. Während in den Großstädten, wie Istanbul oder Ankara, der europäische Lebensstil als Vorbild gilt, wird in den ländlichen Regionen des Landes nach wie vor das traditionelle Leben hochgehalten. Grund für diese unterschiedliche Entwicklung ist unter anderem die Vernachlässigung der ländlichen Gebiete unter Kemâl Atatürk. Seine Politik war auf Fortschritt und Anpassung an den westeuropäischen Standard in allen Lebensbereichen ausgerichtet. Allerdings beschränkte sich seine Umstrukturierung auf die urbanen Zentren des Landes. Die Folge war eine immer größer

werdende

Diskrepanz

zwischen

dem

ländlichen

und

dem

städtischen

Entwicklungsstand. Krasse Unterschiede wurden beispielsweise in den Bereichen Bildung oder Industrialisierung sichtbar. Auch auf die Stellung der Frau in der Gesellschaft hatte diese Entwicklung Auswirkungen. Die gebildete Schicht emanzipierte sich immer mehr und forderte ihre Rechte ein. Sichtbar wurde dies an den Veränderungen am Arbeitsmarkt, auf den in den Städten nun auch viele Frauen drängten, oder am alltäglichen Straßenbild, das moderne, westlich gekleid ete Frauen zeigte. All diese Schritte hin zu einer modernen Gesellschaft änderten auch die Situation der Frauen in der Familie. Da die Familie die wichtigste Institution in einer Gesellschaft ist, wird im Folgenden auf die Stellung der Frau in ihr eingegangen. Dabei werden die unterschiedlichen Rollen der städtischen sowie der ländlichen Frau in der Familie dargestellt.

149

Statistisches Bundesamt (2002): Statistisches Jahrbuch für das Ausland, 199. In: Rosemarie Nave-Herz (2004): Ehe- und Familiensoziologie. Eine Einführung in Geschichte, theoretische Ansätze und empirische Befunde. Weinheim/München, 64. 150 Sirin Tekeli (1991): „Frauen in der Türkei der 80er Jahre.“ In: Aylâ Neusel, Sirin Tekeli, Meral Akkent (Hg.): Aufstand im Haus der Frauen. Frauenforschung aus der Türkei. Berlin, 27-47, 28-35. 151 Statistisches Bundesamt (2005): Das Statistische Jahrbuch 2005 für das Ausland. Abgerufen am 5. Februar 2006 unter http://www.destatis.de/jahrbuch/d_home.htm#Das.

56

Wie in vielen anderen Gesellschaften auch wird in der Türkei die Frau über die Familie definiert. Die türkische Frau hat eine gute Mutter, Ehepartnerin und Muslimin zu sein. Jede dieser drei Rollen hat die Frau innerhalb der Familie zu erfüllen. Sie wird dabei allerdings nicht als Individuum gesehen, sondern lediglich als Mitglied der Familie, das seinen Aufgabenbereich zu übernehmen hat. 3.1.3.1.

Die Stellung der Frau in der türkischen ländlichen Familie

Etwa 33 Prozent der türkischen Bevölkerung leben in den ruralen Gebieten der Türkei. In diesen Regionen gelten nach wie vor traditionale Werte, Norme n und Regeln, die die Rolle jedes

Gesellschaftsmitgliedes

vorgeben.

Patriarchalische

Strukturen

regeln

das

Zusammenleben. Vor allem innerhalb der Familie bestimmen sie auch die Stellung der Frau. Basierend auf einer Hierarchie zwischen Männern und Frauen besteht für türkische die Landfrau das Gebot der Unterordnung, das ihr einen zweitrangigen sozialen Status zuweist. Der älteste Mann oder dessen Sohn gelten als das Familienoberhaupt, dem der Großteil der Familienentscheidungen obliegt. Neben der Unterordnung der Frau unter den Mann besteht auch eine Rangordnung innerhalb der Geschlechter, die sich auf das Alter bezieht. So stehen der Vater über dem Sohn und die Mutter über der Tochter bzw. der Schwiegertochter. Diese Altershierarchie gilt auch innerhalb einer Generation. Der älteste Sohn genießt das Ansehen seiner jüngeren Geschwister. Gena uso haben Schwestern Achtung vor der Ältesten unter ihnen. 152 Innerhalb der Familie herrscht eine strikte Trennung der Tätigkeitsbereiche. Nur weniger als 10 Prozent der türkischen Landfrauen gehen einer Lohnarbeit nach. Der Großteil von ihnen arbeitet zu Hause ohne eigenes Einkommen und ergibt sich der traditionellen Rollenverteilung, die der Frau die Tätigkeiten im Haus, im Garten und in der Erziehung der Kinder überträgt. Die Industrialisierung und die Veränderung der ökonomischen Verhältnisse zwang die Männer Lohnarbeit anzunehmen. Nicht selten fanden sie diese außerhalb ihres Dorfes, was eine Migration in die Stadt notwendig machte. Zum einen konnten Frauen so in die Position des Haushaltsvorstands aufsteigen, zum anderen wurde die traditionelle Arbeit der Männer – die Landwirtschaft – immer näher an die „Hausarbeit“ gerückt und Frauen übernahmen mehr Aufgabenbereiche des Mannes. 153 Dennoch fielen weiterhin innerhalb eines Hausha ltes und unabhängig von der Familienform prestigehöhere Arbeiten den 152

Heinz Käufeler (2002): Das anatolische Dilemma. Weltliche und religiöse Kräfte in der modernen Türkei. Zürich, 347. 153 Sabine Küper-Basgöl (1992): Frauen in der Türkei zwischen Feminismus und Reislamisierung. Münster/Hamburg, 176.

57

Männern zu, und arbeitsintensivere Tätigkeiten, wie die Haus- oder Handarbeit, verblieben auch weiterhin im Arbeitsbereich der Frauen. Durch die vermehrt auftretende Form der Kleinfamilie kann die Frau selbst über ihre Arbeitseinteilung entscheiden. Die Struktur der Großfamilie, wie sie am Land noch häufiger vorkommt, setzt die Frau unter Druck, da sie stets der Kontrolle über ihre Arbeit durch andere – meist höherrangige – weibliche Familienmitglieder ausgesetzt ist. Andererseits bedeutet der große Familienkomplex auch eine Arbeitserleichterung für Frauen durch Arbeitsteilung. Besser situierte Großfamilien in ländlichen Regionen beschäftigen zudem meist Landarbeiter, sodass der Arbeitsbereich der Frauen auf das Haus beschränkt ist. 154 Neben der Aufteilung der Tätigkeiten zwischen Frau und Mann existiert in der türkischen Familie auch eine strikte räumliche Trennung zwischen den Geschlechtern. Frauen wie Männern stehen dabei gesonderte Räumlichkeiten zur Verfügung, in denen Kontakte zu gleichgeschlechtlichen Mitgliedern der erweiterten Familie oder der Dorfgemeinschaft gehalten werden. Besonders strikt werden diese Umgangsformen eingehalten, wenn Unverheiratete sich in der Runde befinden. Dieses Netzwerk, das sich aufgrund von weitläufigen Verwandtschaftsbeziehungen über viele Familien erstrecken kann, übt aber auch eine starke soziale Kontrollfunktion über Einzelpersonen aus. Eine junge eingeheiratete Frau hat somit nicht nur dem Druck der eigenen Familie standzuhalten, sondern hat die Dorfgemeinschaft als Kontrollinstanz über sich. 155 Zu erfüllen hat sie vor allem einen Ehrenkodex, der sich auf ihr Verhalten bezieht. Im Türkischen wird zwischen zwei Begriffen unterschieden: Während der Begriff namus über die Sexualität einer Frau, ihr Verhalten, sowie ihr Erscheinungsbild die Ehre einer Frau definiert, wird der Ausdruck seref für den Ehrbegriff des Mannes verwendet. Die Ehre eines Mannes wird jedoch nicht durch sein eigenes Verhalten bestimmt, sondern durch jenes seiner Frau oder Frauen, Töchter und Schwestern. Noch in der heutigen Zeit fallen Frauen „Verbrechen aus Ehre“ zum Opfer, die begangen werden, um die „Ehre“ eines Mannes oder einer Familie wieder herzustellen. Alleine im Jahr 2003 kam es zu 40 offiziellen Ehrenmorden; die Dunkelziffer liegt jedoch höher. 156 Diese Tatsache zeigt, welche minderwertige und zweitklassige Stellung türkischen Frauen innerhalb der Gesellschaft – hauptsächlich, wenn aber auch nicht nur, innerhalb der ländlichen Gesellschaft– zukommt. 154

Sabine Küper-Basgöl (1992): Frauen in der Türkei zwischen Feminismus und Reislamisierung. Münster/Hamburg, 182. 155 Necla Kelek (2005): Die fremde Braut. Ein Bericht aus dem Inneren des türkischen Lebens in Deutschland. Köln; Inci Y. (2005): Erstickt an euren Lügen. Eine Türkin in Deutschland erzählt. München/Zürich; Farideh Akashe-Böhme (1997): Die islamische Frau ist anders. Vorurteile und Realitäten. Gütersloh, 77-80. 156 Amnesty International Österreich (2004): Türkei: Frauen kämpfen gegen Gewalt in der Familie. Abgerufen am 10. Oktober 2005 unter http://www.amnesty.at/vaw/cont/laender/tuerkei/Tuerkei_SVAW_Bericht.pdf, 20.

58

Wie in vielen Kulturen so ist auch in der Türkei aufgrund der traditionellen Patrilokalität die Geburt eines Sohnes lieber gesehen als die einer Tochter. Vor allem am Land wird von mehr als 80 Prozent der Bevölkerung zumindest ein männlicher Stammhalter von der Frau erwartet. 157 Wenn sich der ersehnte Sohn nicht einstellen will, so kommt es nicht selten vor, dass dem Wunsch nach dem männlichen Nachkommen klar Ausdruck verliehen wird, indem der jeweils jüngsten Tochter Namen gegeben werden, die übersetzt „Ende“, „genug“ oder „Schluss“ bedeuten. 158 Das ist eine weitere Tradition, die zeigt, dass Frauen in der türkischen Gesellschaft und Familie eine untergeordnete Stellung innehaben. Auch in der Erziehung der Kinder wird zwischen den Geschlechtern unterschieden. In den ersten Jahren stehen beide unter der Obhut der Mutter, doch sobald Mädchen alt genug sind, um im Hausha lt mitzuhelfen, werden sie zur Arbeit herangezogen, während Buben erst später vom Vater in ihren vorbestimmten Tätigkeitsbereich und in das öffentliche Leben eingeführt werden. Die Erziehung der Töchter untersteht einer viel größeren sozialen Kontrolle als die der Söhne, da vom sittsamen Verhalten einer jungen Frau die Stellung und Ehre des Vaters und der gesamten Familie abhängen. 3.1.3.2.

Die Stellung der Frau in der türkischen städtischen Familie

Etwa 67 Prozent der türkischen Bevölkerung leben mittlerweile in den Städten. 159 Da die Türkei stark – wenn auch mit abnehmender Tendenz – von einer Landflucht geprägt ist, steigt dieser Prozentsatz stetig an. Vor allem Menschen aus den nördlichen, mittleren und östlichen Teilen des Landes wanderten aufgrund der schlechten Bedingungen in der Landwirtschaft in die Metropolen des Westens und Südwestens bzw. in die Küstenregionen. 160 Das Leben in den türkischen Großstädten unterscheidet sich auf den ersten Blick nur wenig von dem in einem westeuropäischen Ballungsraum. Das Stadtbild ist ähnlich „westlich“ geprägt und die Menschen, die in den Zentren von Istanbul oder Ankara ihren Arbeiten nachgehen, sind genauso vom Treiben einer Großstadt umgeben. Doch auf den zweiten Blick merkt man, dass Straßen „arm“ von „reich“ trennen. Städte in der Türkei bestehen zu einem großen Teil aus Elendsviertel, den sogenannten „geçekondus“, was so viel bedeutet, wie „über 157

Gabriele Rasuly-Paleczek (1996): „Some Remarks on the Study of Household Composition and Intra-Family Relations in Rural and Urban Turkey.” In: Gabriele Rasuly-Paleczek (Hg.): Turkish Families in Transition. Frankfurt am Main, 1-44, 13. 158 Peter Heine (1994): Kulturknigge für Nichtmuslime. Ein Ratgeber für alle Bereiche des Alltags. Fre iburg, 71. 159 Spiegel-ONLINE, Länderlexikon: Türkei. Abgerufen am 12. Dezember 2005 unter http://www.spiegel.de/jahrbuch/0,1518,TUR,00.html. 160 Wolf Hütteroth (2002): „Schwellenland Türkei. Ein wirtschafts - und sozialgeographischer Überblick. Moderne Entwicklung und orientalisches Erbe.“ In: Hans-Georg Wehling (Hg.): Türkei. Politik – Gesellschaft – Wirtschaft. Opladen, 9-38, 36-37.

59

Nacht erbaut“. Die Tatsache, dass auf staatlichem Grund über Nacht fertig gestellte Häuser nicht abgerissen werden durften, gab ihnen diesen Namen. Die Regierung stellte den dort ansässigen BewohnerInnen den Grund zur Verfügung und versuchte, so gut es ging, mit dem Bau der Infrastruktur nachzukommen. Der jährliche Ansturm, der alleine in Istanbul 400.000 Menschen vor allem in die geçekondus zieht, ließ sich jedoch immer schlechter bewältigen. Die Realität zeigt Menschen, die ohne funktionierende Trinkwasser-, Strom- und Abwasserve rsorgung leben müssen, neben jenen, die das „Glück“ hatten, in einem von der Regierung errichteten Betonbau unterzukommen. Etwa die Hälfte der Bevölkerung Istanbuls und Izmirs und mehr als 50 Prozent der BewohnerInnen von Ankara leben mittlerweile in diesen Elendsvierteln. 161 Sie sind großteils MigrantInnen aus der ländlichen Türkei, die sich meist dort niederlassen, wo auch schon andere aus ihrem Heimatdorf oder ihrer Herkunftsregion leben. 162 Ein großer Teil der städtischen Bevölkerung besteht aus MigrantInnen, die in der ersten, zweiten, oder bereits dritten Generation in der Stadt leben. Somit muss zwischen der Bevölkerung, die in den Stadtzentren schon seit Generationen wohnt, und jener, die aus der ländlichen Region in die geçekondus zugezogen ist, unterschieden werden. Die BewohnerInnen von Istanbul, Ankara oder anderen Großstädten untersche iden sich nicht nur in ihrem sozialen Status, sondern auch in ihrer Lebenseinstellung, ihren Traditionen und ihrer Religiosität. Diese Gegensätze bringen zugleich völlig unterschiedliche Familienstrukturen und somit zwei gegensätzliche Frauenbilder hervor.

Frauen der Stadtzentren sind zum Großteil von den Industriegesellschaften geprägt. Sei es in ihren Werten, die sie von der westlichen Welt übernommen haben, in der Form ihrer Kleidung oder in ihrem Denken. Mitglieder der städtischen Schicht haben sich von der sozialen Kontrolle, die in ländlichen Regionen gegeben ist, stark gelöst. Frauen der ursprünglichen Städte sind in ihren Familien und in ihrer Umwelt weniger Druck ausgesetzt und können daher unabhängiger handeln, da die emotionalen Beziehungen innerhalb der erweiterten Familien nicht so stark ausgeprägt sind. Dennoch darf nicht übersehen werden, dass die gesamte türkische Kultur von patriarchalischen Strukturen geprägt ist und diese auch in der Stadt ge lten. Die Trennung der Arbeitsbereiche gilt auch hier. Die Frau ist für die Erledigung des Hausha ltes und die Kindererziehung zuständig, während der Mann einer

161

Heidi Wedel (2000): „Die Türkei vor den Toren Europas. Frauen in der Türkei“. Der Bürger im Staat, 50, 1, 2000. Abgerufen am 4. Dezember 2005 unter http://www.lpb.bwue.de/aktuell/bis/1_00/tuerkei06.htm. 162 Ömer Erzeren (1997): Der lange Abschied von Atatürk. Türkei – ein Land in der Zerreißprobe. Reportagen, Kommentare, Analysen. Berlin, 93-101.

60

Arbeit außer Haus nachgeht. Dass 75 Prozent der Istanbuler Stadtfrauen die Hausarbeit und Mutterschaft als erfüllend bezeichnen, zeigt, dass die patriarcha len Strukturen bis in die moderne Welt der Türkei hinein wirken. 163 Die Möglichkeiten der Kontrolle und Unterordnung der Frau sind für den Mann dort allerdings geringer. Zudem hat mit der Modernisierung

die

Emanzipation

der

Frau

stattgefunden,

die

ihr

offiziell

eine

Statusgleichheit zukommen lässt. Der patriarchalische Grundzug ist aber erhalten geblieben. Frauen befinden sich damit in einem Rollenkonflikt und stehen zwischen den beiden Ideologien der Moderne eine rseits und der Tradition andererseits. Anders stellt sich die Situation der Frauen in den Vorstädten dar. Nur selten nehmen Frauen die Flucht in die Stadt alleine auf sich. Meist kommen sie mit ihrer Familie oder ihren Kindern in die Stadt und werden dort von ihren vorangereisten Ehemännern erwartet. Das Familienleben in den geçekondus spielt sich hauptsächlich in der Form der Kernfamilie ab. Etwa 70 bis 80 Prozent der Familien in den geçekondus weisen diese Familienform auf. Der Rest der VorstadtbewohnerInnen lebt in erweiterten Familien, die allerdings nicht der traditionellen türkischen patrilinearen erweiterten Familien entsprechen, da sie sich häufig aus Ein- Eltern-Familien und einem oder mehreren Verwandten zusammensetzen. 164 Die Umstände in den geçekondus machen ein Leben, wie es die MigrantInnen am Land führten, nicht mehr möglich. Die räumliche Trennung von Mann und Frau ist in den meist kleinen Wohnungen nicht durchzuführen. Somit müssen sich die Familien auf völlig neue Lebensgewohnheiten einstellen. 165 Anders als am Land gehen in den türkische n Städten und deren Vororten mehr Frauen einer bezahlten Arbeit nach. Grund dafür ist meist die finanzielle Haushaltslage, denn ohne das zweite Einkommen der Frau neben dem des Mannes wären die Lebenserhaltungskosten für eine Familie mit Kindern nicht zu decken. Die Notwendigkeit der Berufstätigkeit der Frau stellt sowohl für viele Türkinnen als auch für viele Türken eine „Überwindung“ dar. Besonders Frauen, die in den geçekondus großer Städte leben und in ihrer Lebensweise noch stark von ländlichen Traditionen geprägt sind, haben Probleme damit, einer Beschäftigung nachzugehen, in der sie türkische Männer als Vorgesetzte haben. Während ihres gesamten Lebens sind sie gewohnt, lediglich zwei Männern zu „geho rchen“: ihren Vätern und später

163

Günter Seufert (1997): Café Istanbul. Alltag, Religion und Politik in der modernen Türkei. München, 39. Gabriele Rasuly-Paleczek (1996): „Some Remarks on the Study of Household Composition and Intra-Family Relations in Rural and Urban Turkey.” In: Gabriele Rasuly-Paleczek (Hg.): Turkish Families in Transition. Frankfurt am Main, 1-44, 9. 165 Günter Seufert (2000): „Binnenmigration in der Türkei.“ In: Deutsch-Türkisches Symposium 1999 (2000): Ehre und Würde – Seref ve Onur. Hamburg, 16. 164

61

ihren Ehemännern. Eine dritte männliche beherrschende Person ist weder in den Vorstellungen der Männer noch in denen der Frauen existent. Keine Probleme ergeben sich allerdings, wenn es sich um eine Arbeitgeberin handelt, da eine Hierarchie ausschließlich unter Frauen durchaus bestehen kann. Deshalb ist der Beruf der Haushälterin unter Bewohnerinnen der geçekondus sehr beliebt, da hier die Arbeit von der Frau des Hauses delegiert wird. Die Arbeit einer Migrantin ist meist eine nicht-qualifizierte Arbeit auf Niedriglohnbasis und ist auf arbeitsintensive Industriezweige konzentriert, wie beispielsweise die Leichtindustrie, die eines der niedrigsten Lohnniveaus hat. Auch im inoffiziellen Sektor sind Migrantinnen häufig tätig. Diese Arbeit bringt neben der schlechten Bezahlung allerdings auch noch wenig Ansehen und eine fehlende soziale Absicherung mit sich. 166 Ähnlich sieht auch die Arbeit der Männer in den Vorstädten aus. Die Tatsache, dass einst wohlhabende Bauern, die stolz auf ihre Kenntnisse in der Landwirtschaft waren, in den geçekondus als unqualifizierte Arbeitskraft ihr Geld verdienen müssen, nagt sehr am Selbstbewusstsein jener Männer. Innerhalb der geçekondus bildeten sich den in den Dörfern ähnelnde soziale Netzwerke zwischen den Nachbarinnen und den verwandten Frauen, die meist aus denselben Dörfern stammen, heraus. Da die vorherrschende Familienform die Kernfamilie ist, ersetzen diese Kontakte die Beziehungen innerhalb einer Großfamilie. Der weibliche Bezugsrahmen begrenzt sich allerdings auf diese nachbarschaftlichen Treffen, während die Männer der geçekondus die städtischen Aktivitätsmöglichkeiten viel eher nutzen. Dies kann zu Desintegration führen; vor allem für Frauen, die ihren Lebensbereich ausschließlich zu Hause haben. Durch die Migration der von traditionellen Werten geprägten Landbevölkerung in die industrialisierten und westlich geformten Städte prallten zwei unterschiedliche Kulturen bzw. Tradition und Moderne aufeinander. Während sich nach außen hin die moderne Familie präsentiert, die beispielsweise ihren Töchtern keine Kopftücher aufsetzt, leben die geçekonduFamilie zu Hause das traditionelle Leben ihrer Vorfahren. 167 Die patriarchalische Struktur sowie die ländlichen Traditionen wurden durch die Migration nicht aufgelöst, sondern leben in den Vororten weiter.

166

Sabine Küper-Basgöl (1992): Frauen in der Türkei zwischen Feminismus und Reislamisierung. Münster/Hamburg, 187. 167 Sabine Küper-Basgöl (1992): Frauen in der Türkei zwischen Feminismus und Reislamisierung. Münster/Hamburg, 187-192.

62

3.1.4.

Zusammenfassung

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Kluft zwischen dem industrialisierten und modernen Westen und dem auf traditionellen und feudalen Werten basierenden Osten nach wie vor sehr groß ist. Die Ungleichzeitigkeit in der Türkei lässt Menschen in der Stadt nach westlichen Werten leben, während für die andere ländlich geprägte Bevölkerung ein Leben nach alten, oft im Islam wurzelnden Ideologien Alltag ist. Die Verhaftung in den kulturellen Traditionen führt zu einem sozialen West-Ost-Gefälle, das Frauen noch härter trifft als Männer. Die innerfamiliären Strukturen können sowohl am Land, als auch in der Familie in der Stadt als patriarchalisch bezeichnet werden. Die Familienform ist in der gesamten Türkei von der sozialen Schicht abhängig. Dazu kommt die starke Differenzierung der Stadtbevölkerung, die sich einerseits aus der ursprünglichen urbanen Gesellschaft und andererseits aus den BewohnerInnen der Vorstädte, die zum großen Teil aus Landflüchtlingen besteht, zusammensetzt. In jeder türkischen Familie ist eine patriarchalisch-hierarchische Ordnung erkennbar. Doch auch innerhalb der weiblichen Linie einer Familie ist eine Hierarchie gegeben, die Frauen Macht verleiht, die nach außen hin nicht sichtbar ist. Sie bezieht sich einerseits auf die Machtpositionen, die ältere Frauen, wie Großmütter, Mütter oder Schwiegermütter jüngeren Frauen gegenüber innehaben. Nicht selten besteht zusätzlich ein Abhängigkeitsverhältnis, das den jüngeren Frauen – oft Schwiegertöchtern – die Situation innerhalb der Familie erschwert. Beides gilt nicht nur für Großfamilien, denn auch außerhalb des Haushaltes kann auf die jüngere Generation Einfluss genommen werden. Andererseits ergibt sich die Macht der Frauen aus der vorgegebenen Rollenverteilung. Die Frau, die für Hausarbeit und Kindererziehung zuständig ist, lässt sich – vor allem dann, wenn sie bereits älter ist – oft auch die Entscheidungen in diesen Angelegenheiten nicht nehmen. Entscheidungen in der Kindererziehung, in der Weitergabe von Traditionen, bezüglich der Verheiratung der Kinder oder der Haushaltsangelegenheiten sind traditionelle Verantwortlichkeiten der Frauen, die meist vom weiblichen Familienverband getragen werden. Diese Darstellung zeigt, dass zwischen den Frauen, die in der Stadt leben, und jenen, die aus ländlichen Regionen stammen bzw. dort leben, teilweise noch sehr große Unterschiede in ihren Lebensweisen festzustellen sind. Während die Frauen der Stadt sich zumeist dem sie umgebenden modernen Leben, in dem die Werte der westlichen Welt gelten, geöffnet haben, leben die anderen noch nach alten Traditionen. Meist geht mit dem Leben in den urbanen Zentren für Frauen auch eine höhere Bildung einher, während sich die Bildung der 63

Bewohnerinnen der geçekondus bzw. der ländlichen Regionen lediglich auf die Grundschule beschränkt. Somit entstand eine tiefe Kluft zwischen den Frauen der Elite und denen der Unterschicht, die nicht kleiner zu werden scheint. Zusätzlich zu den patriarchalischen und rigiden Strukturen der Familie, in denen die Frau eine untergeordnete Stellung einnimmt, kommt für viele Türkinnen das starre System der islamischen Religion hinzu, aus dem nicht entkommen werden kann und das das Leben in der Gesellschaft zusätzlich regelt.

64

3.2.

Die Türkei und die Religion

Die türkische Bevölkerung besteht zu mehr als 99 Prozent aus sunnitischen Muslimen. 85 Prozent davon sehen sich als strenggläubige Moslems. Für die Hälfte der Türkinnen und Türken gehört das fünfmalige Beten zum täglichen Ritual, ebenso das Fasten während des Fastenmonats Ra madan wird von mehr als 90 Prozent der Bevölkerung ernst genommen. 168 Somit ist ersichtlich, dass neben der Familie auch die Religion die türkische Gesellschaft stark prägt. Es stellt sich die Frage nach der Entwicklung des Islams in den letzten Jahrzehnten in der türkischen Gesellschaft. Von großer Bedeutung ist dabei der Prozess der Säkularisierung, der direkte Auswirkungen auf die Türkinnen und Türken hatte. Daraus ergibt sich die zweite Frage, die die zunehmende Islamisierung der Türkei behandelt, und sich vor allem mit den Auswirkungen auf die Stellung der türkischen Frau beschä ftigt.

3.2.1. 3.2.1.1.

Die säkulare Türkei Laizismus und Säkularisierung

Die Türkei wird heute als säkularer oder laizistischer Staat bezeichnet. Unter dem Begriff „Laizismus“ versteht man die „Verwirklichung der Trennung von Staat und Kirche als auch die Neutralität des Staates“ der Religion gegenüber. 169 Der laizistische Staat ist bestrebt, den Einfluss der Religion auf das öffentliche Leben einzuschränken. Die Säkularisierung, oder auch Säkularisation, beschreibt jede Form der Verweltlichung, die einen Prozess der Aufhebung der Identität religiöser Strukturen darstellt. 170 Dies können historische Vorgänge, die geistliches Eigentum dem Staat unterstellt haben, gesamtkulturelle Prozesse, die mehr Freiheiten und eine lib eralere Weltanschauung gegenüber religiösen Strukturen mit sich brachten, oder aber eine „ideelle Transformation und das Weiterwirken ursprünglich christlicher Sinngehalte außerhalb des im engeren Sinne religiösen Bereiches“, sein. 171 An diesen drei möglichen Formen der Säkularisierung ist auch die Herkunft des Begriffes erkennbar. Die staatliche Nutzung von kirchlichen Territorien und Eigentümern ohne geistliche Erlaubnis im Laufe der europäischen Geschichte seit dem achten Jahrhundert lässt 168

Yahya Sezai Tezel (2000): „Gefangen zwischen Demokratie und Autoritarismus. Staat und Gesellschaft in der heutigen Türkei.“ Internationale Politik, 55 (11), 1-10, 8. 169 Brockhaus (2003): Enzyklopädie digital 2003 („Laizismus“). 170 Everhard Holtmann (2000): Politik-Lexikon. München, 616. 171 Brockhaus (2003): Enzyklopädie digital 2003 („Säkularisierung“).

65

mit dem Terminus Säkularisierung hauptsächlich einen Zusammenhang zum christlicheuropäischen Kulturkreis entstehen. Mittlerweile setzte der Prozess der Säkularisierung jedoch auch in anderen Religionen ein, sodass der Be griff nicht mehr nur in Bezug auf das Christentum angewandt wird. Dieser Prozess hat Auswirkungen auf zentrale gesellschaftliche Bereiche, wie das Rechtswesen, die Bildung, das Wirtschaftssystem und die soziale Gesetzgebung. Auch für den Einzelnen bringt sie Folgen mit sich, da die Macht der religiösen Institutionen, die die Gesellschaft zuvor prägten, die Weltanschauung der Menschen nicht mehr bestimmt. Durch die Verdrängung der Religion von der öffentlichen und staatlichen Ebene, kommt es zu einer Privatisierung des Religiösen. Die Religiosität wird auf den familiären Raum beschränkt. Dies kann allerdings wieder zur Folge haben, dass es zur Herausbildung

von

neuen

religiösen

Gemeinschaften

kommt,

die

in

zahlreichen

Weltreligionen zu Fundamentalismus (siehe Kapitel 5.2.2.2.) führten. 172 Aufgrund der europäischen Entstehungsgeschichte der Bedeutung des Wortes „Säkularisierung“ kommt es in der islamischen Welt häufig zu Missverständnissen. Die westliche Herkunft veranlasst zur Gleichsetzung mit „Atheismus“ und führt somit zu einem völlig anderen Verständnis. 173 Eine ähnliche Bedeutung wie dem Begriff „Laizismus“ kommt dem Wort „Säkularismus“ zu. Es bezeichnet das Ende eines Säkularisierungsprozesses und die Weltanschauung, die dieser Säkularisierung entspringt und entspricht einer völligen Trennung und Ablösung von der Religion. In der Türkei kann bereits von einem „Säkularismus“ gesprochen werden, da hier der Staat durch die Reformen von Atatürk eine definitive Lösung von der Religion zu vollziehen versuchte. Das türkische Verständnis von Laizismus bzw. Säkularismus beinhaltet dabei sogar die Gestaltung der Religion durch den Staat. 174 Das türkische Wort „lâiklik“, das das wichtigste Prinzip der Veränderungen Atatürks darstellt und so viel wie „laizistisch“ bedeutet, stellt die Vernunft und Wis senschaft als Basis für die Staats-

und Rechtsordnung vor die Religion. Eine Einmischung des Staates in

Angelegenhe iten religiösen Glaubens ist nicht vorgesehen. Das „lâiklik-Prinzip“ garantiert die Glaubensfreiheit durch den türkischen Staat und schützt die Gläubigen. 175 Dennoch lässt es

172

Brockhaus (2003): Enzyklopädie digital 2003 („Säkularisierung“). Mechthild Rumpf (2003): „Einleitung: „Islam ist eine Religion“. Einsprüche gegen Kulturalisierung, Politisierung und männliche Deutungsmacht.“ In: Mechthild Rumpf; Ute Gerhard; Mechthild M. Jansen (Hg.): Facetten islamischer Welten. Geschlechterordnung, Frauen- und Menschenrechte in der Diskussion. Bielefeld, 13-31, 24-25. 174 Bekim Agai (2004): „Islam und Kemalis mus in der Türkei.“ Aus Politik und Zeitgeschichte, B 33-34/2004, 18-24, 19. 175 Heinz Käufeler (2002): Das anatolische Dilemma. Weltliche und religiöse Kräfte in der modernen Türkei. Zürich, 285-287. 173

66

keine absolute Trennung von Staat und Religion zu, da der Staat die Kontrolle über religiöse Angelegenheiten übernimmt.176

Die folgenden Kapitel stellen die türkische Säkularisierung, ihre Auswirkungen und ihre Entwicklung von ihren Anfängen zur Zeit der Herrschaft des Hauses Osmans bis zur Gegenwart dar.

3.2.1.2.

Die Anfänge der türkischen Säkularisierung

Das Gebiet der heutigen Türkei war mehrere Jahrhunderte lang Teil des Osmanischen Reiches, das ab dem Beginn des 16. Jahrhunderts Herrschaft über Kleinasien, den Balkan und Teile Nordafrikas erlangte. Die Kultur dieses Imperiums war stark geprägt vom Islam, der nicht nur als Religion des Volkes eine Rolle spielte, sondern auch weite Teile des Staats- und Rechtswesens bestimmte. Die ersten Schritte in Richtung Säkularisierung wurden während des Tanzimat unter der Herrschaft von Mahmud II. (1808 bis 1839) gesetzt. Mit ihm begannen im Osmanischen Reich Reformen, die ein Jahrhundert später eine Basis für die Reformen in der heutigen Türkei

bildeten.

Die

Neuerungen

Mahmuds

II.

betrafen

vor

allem

die

Verwaltungsinstitutionen des Reiches und zielten darauf ab, die weltliche Administration von der religiösen zu trennen. So wurde an die Stelle des Großwesirs ein Ministerrat unter der Führung eines koordinierenden Oberhauptes eingesetzt. Der Seyhülislam, der die höchste religiöse Autorität im Osmanischen Reich darstellte, wurde in seinen Kompetenzen hinsichtlich weltlicher Angelegenheiten beschnitten

und

hatte

sich

auf

religiöse

Angelegenheiten zu beschränken. Durch diese Trennung stand einer Modernisierung und Verwestlichung des weltlichen Bereichs nichts mehr im Wege. Lediglich die ungenaue Kompetenzaufteilung zwischen Staat und religiösen Institutionen stellte ein Hindernis für Reformen dar. Dies zeigte sich darin, dass der Bereich der Bildung, der von progressiven Kräften für reformbedürftig befunden wurde, nicht der weltlichen Ordnung unterstellt war und keiner Umstrukturierung unterzogen wurde. 177 Die Ära der Umgestaltung des Landes endete keineswegs mit der Herrschaft von Mahmud II. Ausschlaggebend für so manche Reformen war dabei die Notwendigkeit, dem Druck der

176

Margot Badran (2001): „Zur Verortung von Feminismen: Die Vermischung von säkularen und religiösen Diskursen im Mashriq, der Türkei und dem Iran.“ In: Barbara Pusch (Hg.): Die neue muslimische Frau. Standpunkte & Analysen. Istanbul/Würzburg, 213-232, 220-221. 177 Heinz Käufeler (2002): Das anatolische Dilemma. Weltliche und religiöse Kräfte in der modernen Türkei. Zürich, 125-129.

67

europäischen Mächte nachzugeben. So etwa wurde die Gleichstellung von Muslimen und Nicht-Muslimen gefordert. Mit den wachsenden Kontakten zu westlichen Staaten wuchs auch der Bedarf an Wissen. Weltliche Bildung, wie beispielsweise in den Bereichen Medizin und Technik, war verlangt, und säkulare Schulen wurden notwendig. Der Widerstand der religiösen Kräfte verzögerte die Gründung einer Universität bis ins Jahr 1900. Schon 30 Jahre früher jedoch war es zur Eröffnung einer völlig laizistischen französischen Schule gekommen. In ihr konnte eine neue, am Westen orientierte Elite heranwachsen, die sich später für die Fortsetzung der Säkularisierung einsetzte. 178 Neben einer Reform der staatlichen Institutionen war für eine Säkularisierung ein weltliches Rechtssystem von Nöten, welches das Gesetz der Scharia neutralisierte. Dazu kam es 1840 zur Verabschiedung eines Strafgesetzes, sowie des Weiteren zur Einsetzung von Kriminalgerichten. Eingeführt wurden außerdem ein nach französischem Vorbild gestaltetes Handelsrecht und ein Zivilrecht. Die Folgen der Erlassung dieser weltlichen Gesetze waren abermals Kompetenzstreitigkeiten zwischen den säkularen Institutionen und der höchsten religiösen Autorität. 179 Von Bedeutung für den Prozess der Verweltlichung ist auch der kulturelle Wandel, den das Osmanische Reich zu Beginn des 19. Jahrhunderts vollzog. Die Gesellschaft entfernte sich dabei bewusst von Traditionen und öffnete sich den Ideen des Westens, was besonders in der Mode erkennbar wurde. 1829 wurde der Fez, eine ursprünglich europäische Kopfbedeckung, eingeführt. 180 All diese Reformen fanden nur wenige AnhängerInnen, dafür aber viele GegnerInnen. Die TraditionalistInnen konnten sich durchsetzen und die erste Verfassung für das Osmanische Reich erlassen. Für die einsetzende Säkularisierung war diese jedoch ein Rückschlag, da nun der Islam zur Staatsreligion und die Scharia für verbindlich erklärt wurden. Zudem besaß die oberste Autorität sowohl die geistliche als auch die weltliche Führung. Die Herrschaft unter Abdülhamid II. (1878 bis 1908) wusste geschickt die Modernisierungsversuche der von westlichen Ideen geprägten Elite zu zerschlagen, indem sie auf die Rückbesinnung auf die islamisch-osmanische Vergangenheit setzte. 181 Wenn sie auch von den revolutionären, weltlich und westlich geprägten „Jungtürken“ zu Fall gebracht wurde, war keine weitere 178

Heinz Käufeler Zürich, 133-134. 179 Heinz Käufeler Zürich, 129-134. 180 Heinz Käufeler Zürich, 126-130. 181 Heinz Käufeler Zürich, 141-153.

(2002): Das anatolische Dilemma. Weltliche und religiöse Kräfte in der modernen Türkei. (2002): Das anatolische Dilemma. Weltliche und religiöse Kräfte in der modernen Türkei. (2002): Das anatolische Dilemma. Weltliche und religiöse Kräfte in der modernen Türkei. (2002): Das anatolische Dilemma. Weltliche und religiöse Kräfte in der modernen Türkei.

68

Säkularisierung möglich. Die folgende Militärdiktatur schlitterte in Kriege und es war erst nach dem nationalen Befreiungskampf 1920 möglich den Verweltlichungsprozess fortzuführen. 3.2.1.3.

Der türkische Kemalismus

Mit der Einsetzung der Großen Türkischen Nationalversammlung am 23. April 1920 konnten die Befürworter eines modernen und säkularen Staates wieder Hoffnung schöpfen. Wenn in den ersten Jahren der Nationalversammlung auch Beschlüsse fielen, die einer Säkularisierung im Wege standen, so wurde doch schrittweise die osmanische Ordnung aufgegeben. Das Verbot von alkoholischen Getränken und der Artikel über den Islam als Staatsreligion konnten zwar als Zeichen der Islamisierung gewertet werden. 182 Gleichzeitig war es aber auch zur Schaffung grundlegender Gesetze zur Sicherung eines säkularen Staates gekommen. Als es auf weltlicher Ebene zum Ende des Sultanates kam, wurde auch das geistliche Gegenstück, das Kalifat, abgeschafft. Eine Trennung von Staat und Kirche war damit gesichert. Mit dem Beschluss der Nationalversammlung, Neuwahlen auszurichten, begann die Ära des bis dahin militärisch erfolgreichen Mustafâ Kemâl. Der Gründer der Republikanischen Volkspartei (CHF) ging als Sieger dieser Wahl hervor und konnte sich am 29. Oktober 1923 erster Präsident der Republik Türkei nennen. Durch seine militärischen Erfolge im Ersten Weltkrieg war er als Held aus den Kriegsjahren hervorgegangen. Diesen Popularitätsbonus nutzte Kemâl Atatürk geschickt aus, um in den 20er Jahren eine Reihe von Reformen durchzuführen, die beim Volk nicht immer nur auf Wohlwollen stießen. Seine Ideologie, der Kemalismus, war eine Mischung aus Nationalismus und Sozialismus, zu der eine antiklerikale und progressive, aber auch eine autoritäre Haltung kamen. Nicht umsonst wird Mustafâ Kemâl einerseits als „Diktator in der üblichen Bedeutung des Wortes“ bezeichnet und andererseits Atatürk („Vater der Türken“) genannt. 183 Oberstes Ziel Atatürks war eine umfassende Verwestlichung des Landes, die der Türkei die Tür zu Europa öffnen würde. Grundlage dafür war für ihn die völlige Verbannung des Islams aus dem politischen und gesellschaftlichen Leben. Zu den bedeutendsten Reformen Atatürks zählt die Abschaffung des Kalifats, womit die Türkei in der islamischen Welt an Gewicht verlor. Anderen religiösen Institutionen erging es ähnlich. Das Amt des Seyhülislam wurde aufgelöst, religiöse Schriftgelehrte (Ulemas) wurden pensioniert und Scharia-Gerichte sowie

182

Klaus Kreiser, Christoph K. Neumann (2003): Kleine Geschichte der Türkei. Stuttgart, 411. Heinz Käufeler (2002): Das anatolische Dilemma. Weltliche und religiöse Kräfte in der modernen Türkei. Zürich, 164. 183

69

religiöse Schulen geschlossen. Diese Maßnahmen verlangten Neuerungen im Rechts- und Bildungswesen sowie im politischen System. Ein gewagter Versuch war die Einführung des Schweizer Zivilgesetzbuches, das ohne Anpassung an die türkische Gesellschaft angewandt wurde. Ebenso wurde mit dem italienische n Strafrecht und der deutsche n Strafprozessordnung verfahren. 184 Damit war eine neue Gesellschaft sordnung geschaffen, die islamische Rechte, wie Polygamie, islamische Erbregelungen oder Religionszwang, außer Kraft setzte. Eine bedeutende Konsequenz dieser Rechtsreform war eine Aufwertung des rechtlichen Status der Frau. Um eine Säkularisierung der Türkei durchführen zu können, war eine Reform des Schulsystems

notwendig. Das gesamte Bildungswesen, das sich während der Zeit des

Osmanischen Reiches fast ausschließlich unter der Zuständigkeit des Seyhülislam befand, wurde dem Erziehungsministerium unterstellt. Dazu kam ein völliges Verbot der Imam-HatipSchulen, die für die Berufe des Vorbeters (Imam) und Predigers (Hatip) ausbilden, und des Religionsunterric htes. 185 Da die Basis der Wissensvermittlung dem Islam somit entzogen war, hatte er vorerst keine Möglichkeit, seine Lehren offiziell zu verbreiten. Die Aufhebung des Amtes des Seyhülislam machte eine staatliche Verwaltung der religiösen Einrichtungen notwendig. Ein kleines Ministerium für Religionsangelegenheiten (Diyanet) wurde mit der Überwachung der religiösen Literatur und der Administration der geistlichen Ämter betraut. Für diese Zwecke hatte der türkische Staat in den zwanziger Jahren nur wenig finanzielle Mittel übrig, was zusätzlich dazu beitrug, dass der Einfluss der Religion auf ein Minimum beschränkt wurde. Weiters kam es 1928 endgültig zur Streichung des Verfassungsartikels, der den Islam als Staatsreligion festlegt.

Für eine Säkularisierung der Türkei genügten die Reformen der Verwaltung und des Rechtsund Bildungswesens nicht. Vielmehr war eine „Kulturrevolution“ notwendig, um einen säkularen Staat zu verwirklichen. Dazu zählte vor allem die Umstellung von arabischen auf lateinische Buchstaben. Ein Grund für diese „Buchstaben-Revolution“ ist die Tatsache, dass das Arabische die Schrift und Sprache des Islams darstellt. Mit der Umstellung wurde der westlichen Welt die Bereitschaft zur Anpassung signalisiert. Sogar der Gebetsruf hatte auf Türkisch zu erklingen. Daneben wurde von Atatürk auch eine Türkisierung der Sprache beabsichtigt. Ziel war dabei das reine Türkisch, das völlig von arabischen Sprachelementen befreit werden sollte. Diese Maßnahmen förderten eine Alphabetisierung der türkischen 184

Klaus Kreiser, Christoph K. Neumann (2003): Kleine Geschichte der Türkei. Stuttgart, 414. Udo Steinbach (1996): Die Türkei im 20. Jahrhundert. Schwieriger Partner Europas. Bergisch Gladbach, 330331. 185

70

Bevölkerung, da die lateinischen Schriftzeichen eine Erleichterung beim Erlernen des Schreibens darstellten. Dies wurde genützt, um landesweite Alphabetisierungskampagnen zu starten, die zum Ziel hatten, der türkischen Bevölkerung, die zu 90 Prozent aus AnalphabetInnen bestand, bis 1935 das Lesen und Schreiben zu lehren. Tatsache war, dass bis zum Ende der Kurse lediglich 17,6 Prozent der türkischen Bevölkerung alphabetisiert waren. 186 Weitere gesellschaftsverändernde Reformen betrafen die Mode des Landes. So wurde 1925 das „Hutgesetz“ erlassen, welches das Tragen des orientalischen Fez verbot. Daneben wurde jegliche religiöse Kleidung für Nicht-Geistliche untersagt. Dazu zählte beispielsweise der Turban, nicht jedoch der Schleier bzw. das Kopftuch der Frauen. Von der kemalistischen Elite wurde jedoch ein westliches Ersche inungsbild propagiert, wozu natürlich das Bild der unverschleierten Frau gehörte. Auch durch die Einführung von Familiennamen nach europäischem Vorbild sowie des gregorianischen Kalenders und des Sonntags als Feiertag zeigte die junge Republik dem Westen ihre Anpassungsbereitschaft.

Eine Folge all dieser Reformen war eine Aufwertung der Stellung der Frau. Der rechtliche Status der Frau wurde dem des Mannes beinahe angeglichen. Diskriminierende Praktiken wie die Polygamie oder das unfaire Erbrecht wurden außer Kraft gesetzt. Die gesetzliche Schulpflicht sollte allen Kindern unentgeltlich Bildung zu Teil werden lassen. Wenn auch die Alphabetisierung aller Türkinnen und Türken auch bis heute nicht vollzogen ist, so wurde doch vielen Mädchen ein Schulbesuch ermöglicht. Durch den Kemalismus wurde es den Frauen ermöglicht, in die Öffentlichkeit zu treten und sichtbar zu werden - sei es durch Änderungen in der Kleidung, durch die verbesserte Bildung, die den Frauen mehr Chancen eröffnete, oder durch die Schaffung von gleichen politischen Rechten für Frau und Mann. Insgesamt wurde den türkischen Frauen durch die kemalistischen Reformen die Möglichkeit gegeben, aus dem privaten Bereich zu treten. Mit den neuen Rechten für Frauen entwickelte sich auch ein neues Idealbild der Frau, das Atatürk selbst stark propagierte. Durch die Öffnung der kemalistischen Elite hin zur Moderne war die Frau nicht mehr nur durch ihre Mutterrolle und das Leben als Ehefrau in der Familie charakterisiert, sondern vielmehr gehörte zur modernen Türkin auch die aktive Teilnahme am öffentlichen Leben, das Ausüben eines Berufes und eine westliche Kleidung, die von kurzen Hosen bis zum Abendkleid reichte. Diesem Ideal entsprach allerdings stets lediglich die Elite

186

Sabine Küper-Basgöl (1992): Frauen in der Türkei zwischen Feminismus und Reislamisierung. Münster/Hamburg, 139.

71

des Landes. Für die meisten Türkinnen – vor allem am Land – war der Modernismus weder erkennbar noch erstrebenswert.

Mit den Reformen durch den Kemalismus wurde nicht nur versucht wurde, Staat und Religion voneinander zu trennen, sondern auch das Individuum vom Islam und den damit verbundenen Praktiken zu lösen. Das Verbot der Pilgerfahrt nach Mekka bis 1947 187 oder die Kleidungsvorschriften zeigen dies deutlich. Säkularisiert wurde dabei nicht im Sinne von Religionsreformen, die eine Trennung von Staat und Religion begründet hätten. Es wurde lediglich eine Ideologie, die das Verbot der öffentlichen Religion beinhaltete, von „oben“ vorgeschrieben, der sich die Türkinnen und Türken zu beugen hatten. Die türkische – vor allem ländliche – Gesellschaft war allerdings auf derartige Reformen nicht vorbereitet, da die Bevölkerung fast zur Gänze aus gläubigen Muslimen besteht und diese sich durch die Säkularisierungsversuche der Politik in ihrem Recht der freien Religionsausübung beschnitten fühlten. So war die Folge eine Spaltung der Türkei in zwei „Lager“, wobei die städtische, moderne, säkulare und entwickelte Bevölkerung der ärmeren, ländlichen, traditionalistischen und unterentwickelten Schicht gegenüber stand. Für eine wahre Säkularisierung der gesamten Türkei wären zuerst gesellschaftliche Veränderungen die Bedingung gewesen. 188 So führten die Versuche, die Religion aus dem Leben der Türkinnen und Türken zu verdrängen, zu Konflikten. Eine Folge der Durchsetzung dieser radikalen Reformen war Widerstand von Seiten der traditionell islamischen Schicht. Um diesen zu unterdrücken, wurde jegliche oppositione lle Tätigkeit verboten, die Presse stark zensuriert und harte Bestrafung angedroht. 189 Auf lange Sicht brachten solche Maßnahmen allerdings nicht den gewünschten Erfolg, da tief in der türkischen Gesellschaft der Wunsch nach teilweiser Aufhebung der Reformen schlummerte. So wurde der Ruf nach Einsetzung eines religiösen Staates, der auf den Gesetzen des Islams beruht, nach und nach lauter. Während in den siebziger und achtziger Jahren „nur“ 7 Prozent der türkischen Bevölkerung sich für einen Gottesstaat aussprachen, waren es in den Jahren 1995 und 1999 20 bis 26 Prozent. Ähnlich beunruhigend für die SäkularistInnen war und ist die hohe Intoleranz der TürkInnen AtheistInnen und Andersgläubigen gegenüber. So stellt für 70 Prozent von ihnen die Heirat ihrer Kinder mit einem/r Andersreligiösen ein Problem dar. Annähernd genauso viele türkische MuslimInnen

187

Bekim Agai (2004): „Islam und Kemalismus in der Türkei.“ Aus Politik und Zeitgeschichte, B 33-34/2004, 18-24, 18. 188 Bassam Tibi (1998a): Aufbruch am Bosporus. Die Türkei zwischen Europa und dem Islamismus. München/Zürich, 88. 189 Udo Steinbach (2000): Geschichte der Türkei. München, 34.

72

unterstützen ein Verbot für von AtheistInnen verfasste literarische Werke bzw. das Untersagen von Verkauf von Alkohol während der islamischen Fastenzeit. 190 3.2.1.4.

Zusammenfassung

Nachdem die Religion nicht mehr wie zur Zeit des Osmanischen Reichs die Legitimation für den Staat darstellte, wurde es notwendig, den Einfluss der Religion auf sämtliche staatliche Institutionen auf ein Minimum zu reduzieren. Die neu geschaffenen Rahmenbedingungen erforderten aber auch Reformen in der Gesellschaft. Diese kemalistische Kulturrevolution griff in viele Bereiche des täglichen Lebens ein, um eine Anpassung an die radikal veränderten Strukturen zu erreichen. Dabei wurde auch in die Privatsphäre eingegriffen, wie beispielsweise im Bereich der Bildung, der Mode oder der Religionsausübung. Für die türkischen Frauen bedeuteten die Reformen Atatürks und das neue Zivilrecht als juristische Basis die ungehinderte Partizipation am öffentlichen Leben. Sie konnten sich nun einer für die zwanziger Jahre weit fortgeschrittenen Gleichstellung erfreuen, die so manch andere Europäerin sich nur wünschen konnte. In der Türkei handelt es sich um eine besondere Art der Säkularisierung. Der türkische Laizismus wird nicht nur durch die Trennung von Kirche und Staat charakterisiert, sondern beinhaltet auch staatliche Aufsicht über den religiösen Bereich. Dieser Kontrollmechanismus dient vor allem dazu, die Religion als einen sozialen Machtfaktor auszuschalten. 191 Bei dieser Säkularisierung „von oben“ war allerdings nicht die Gesellschaft die treibende Kraft, sondern der Staat. Eine Folge dieser Reformen war die Bildung von oppositio nellen Gruppen, die nach deren Zulassung in den fünfziger Jahren die Religion wieder zum Wahlkampfthema machten und damit bei der Bevölkerung Anklang fanden. Der türkische Säkularismus ist somit ein sehr zerbrechliches Konstrukt, der durch die instabile Verankerung in der Gesellschaft wieder leicht durch eine verstärkte Islamisierung des Landes verdrängt werden kann.

3.2.2. 3.2.2.1.

„Re-Islamisierung“ und politischer Islamismus „Re-Islamisierung“ der Türkei

Bassam Tibi ist der Ansicht, dass der Begriff „Re-Islamisierung“ im Zusammenhang mit der Türkei nicht verwendet werden kann, da es in diesem Land nie zu einer „Ent-Islamisierung“ 190

Yahya Sezai Tezel (2000): „Gefangen zwischen Demokratie und Autoritarismus. Staat und Gesellschaft in der heutigen Türkei.“ Internationale Politik, 55 (11), 1-10, 8. 191 Heinz Käufeler (2002): Das anatolische Dilemma. Weltliche und religiöse Kräfte in der modernen Türkei. Zürich, 279-280.

73

der Gesellschaft gekommen ist. 192 Wenn die Reformen Atatürks auch die Bedeutung des Islams in der türkischen Gesellschaft nicht mindern konnten und die Religion nach wie vor eine wichtige Rolle im Leben der türkischen Bevölkerung spielt, so gelang es doch, den Staat zu säkularisieren und von der Einwirkung der Religion zu befreien. Im Falle der Türkei bezeichnet der Begriff „Re-Islamisierung“ somit den zunehmenden Einfluss des Islams auf staatliche Institutionen und die Gesetzgebung. Eine „Re-Islamisierung“ der Bevölkerung kann darunter allerdings nicht verstanden werden, da die Säkularisierung des Staates dazu nicht weit genug in die Gesellschaft hineingewirkt hat. Die folgenden Kapitel gehen auf die „Rückkehr“ des Islams ein und zeigen, wie es die Religion trotz des säkularen Staates schaffte wieder einen tragenden Bestandteil des Lebens der türkischen Bevölkerung auszumachen.

3.2.2.1.1.

Politische Entwicklung

Mustafâ Kemâl Atatürk blieb mit seiner Einheitspartei, der Republikanischen Volkspartei (CHF, später CHP), bis zu seinem Tod im Jahr 1938 im Präsidentenamt. Im Laufe seiner Amtszeit kam es immer mehr zu einer „Verquickung von Staat und Partei“, 193 und die sechs Grundpfeiler und Prinzipien der CHF, nämlich Nationalismus, Laizismus, Republikanismus, Etatismus, Re formismus und Popularismus, fanden sich mehr und mehr in den abgeänderten Verfassungen wieder. Grundlage für diese Verschmelzung von Parteiprogrammatik und Staatsideologie war das Einparteiensystem. Dieses System ließ lange Zeit nur die Staatspartei CHF zu. Ansätze zu einem Parteienpluralismus, wie die Gründung der liberalen Fortschrittlichen Republikanischen Partei 1924, wurden durch Parteienverbote gestoppt. 194 Nach dem Tod Atatürks wählte die Nationalversammlung den Stellvertreter und Freund des Gründers der türkischen Republik, Ismet Inönü, zum Präsidenten. Er versuchte die Türkei im Sinne seines Vorgängers zu leiten und die kemalistischen Grundideen weiterzuführen, was ihm auch eine dreimalige Wiederwahl bescherte. Beeinflusst durch den gesamteuropäischen Aufbruch, kam es 1946 zu Kritik aus den eigenen Reihen am undemokratischen türkischen Einparteiensystem. Die Folge war die Gründung der Demokratischen Partei (DP). Um der neuen Gruppierung so wenig Zeit wie möglich zu gewähren und sich seinen Wahlsieg abermals zu sichern, setzte Inönü noch im selben Jahr Wahlen an, die er auch noch mit absoluter Mehrheit für sich entscheiden konnte. Vier Jahre später kam es zum ersten wirklich 192

Bassam Tibi (1998a): Aufbruch am Bosporus. Die Türkei zwischen Europa und dem Islamismus. München/Zürich, 76. 193 Klaus Kreiser; Christoph K. Neumann (2003): Kleine Geschichte der Türkei. Stuttgart, 389. 194 Klaus Kreiser; Christoph K. Neumann (2003): Kleine Geschichte der Türkei. Stuttgart, 388.

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freien Urnengang für die türkische Bevölkerung, die sich zu 88 Prozent auch daran beteiligte. Dieser brachte erstmals eine dramatische Niederlage für die Republikanische Volkspartei. Aufgrund des Mehrheitswahlrechts und einer klugen Wahltaktik kam die DP auf 84 Prozent der Sitze. 195 Menderes, der mit seiner Demokratischen Partei auf Marktwirtschaft setzte, konnte diese Führungsposition auch die weiteren zehn Jahre beibehalten. Da von den wirtschaftlichen Veränderungen jedoch nur ein Teil der türkischen Bevölkerung profitierte und er seine Macht in verschiedenen Bereichen zugunsten seiner Partei ausspielte, war er Ende der fünfziger Jahre starker Kritik ausgesetzt. Die Folge war der Militärputsch von 1960 und die Hinrichtung Menderes’. Innerhalb weniger Monate wurde eine neue, dem Grundgesetz Deutschlands ähnelnde Verfassung verabschiedet. Mit ihr kam es auch zur Einführung eines Zweikammernsystems sowie des Verhältniswahlrechts. Bei den folgenden Wahlen 1961 konnte Inönü mit der Volkspartei die Nachfolgeorganisation der DP, die Gerechtigkeitspartei (AP), knapp hinter sich lassen. 196 Die nächsten 20 Jahre waren von einer Instabilität des politischen Systems gekennzeichnet, in der sich die AP und CHP in ihrer Regierungsrolle abwechselten. Das Zweiparteiensystem konnte sich zwar in den sechziger Jahren noch halten, doch standen extremistische Gruppierungen der Linken und Rechten bereits in den Startlöchern. Gegen Ende des Jahrzehnts kam es zu Auseinandersetzungen zwischen diesen beiden radikalen Flügeln des politischen Spektrums, auf die die Politik keine Antwort mehr wusste. Die Folge war von 1980 bis 1982 andauernde Militärherrschaft, die versuchte, die Anarchie zu beseitigen. Während die linken Gruppierungen stark zersplittert waren und so nur wenig Wahlerfolg hatten, wusste die Rechte sich gut zu organisieren. Zwei Parteien konnten dabei hervortreten: die Partei der Nationalistischen Bewegung (MHP) und die Nationale Heilspartei (MSP), die einen islamischen Fundamentalismus vertrat. 197 Mit den Wahlen von 1973 gelang nicht nur der maroden CHP unter der Führung von Ecevit ein souveräner Wahlsieg, sondern auch den beiden rechtsgerichteten Parteien MSP und MHP der Einzug ins Parlament. Die Mandatsaufteilung machte eine Koalitionsbildung notwendig. Anstatt eine große Koalition zu bilden, bevorzugten die beiden Großparteien CHP und AP, unter der Führung von Demirel, die Zusammena rbeit mit einer der kleineren extremistischen Gruppierung, die jedoch nicht über längere Zeit andauerte. Das angespannte politische Klima sowie gesellschaftliche Probleme bescherten den Randgruppierungen einen regen Zustrom. Auf beiden Seiten kam es

195

Klaus Kreiser; Christoph K. Neumann (2003): Kleine Geschichte der Türkei. Stuttgart, 423-425. Heinz Käufeler (2002): Das anatolische Dilemma. Weltliche und religiöse Kräfte in der modernen Türkei. Zürich, 176. 197 Udo Steinbach (2000): Geschichte der Türkei. München, 47. 196

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abermals zu einer Radikalisierung, die zu Gewaltanwendung führte. Die Folge war schließlich 1980 ein bürgerkriegähnlicher Zustand, der zum dritten Mal in der Geschichte der türkischen Republik das Militär veranlasste, einzugreifen. Diesmal war der Einsatz der Armee härter. Die Verfassung wurde außer Kraft gesetzt, Parteien und das Parlament aufgelöst, und Angehörige der bürokratischen Elite sowie Intellektuelle wurden zu Tausenden inhaftiert. 198 1982 kam es zur Annahme einer neuen Verfassung, die stark die Handschrift des Militärs trug. 199 In ihr wurde die Idee Atatürks betont und vor Kommunismus, Faschismus und Islamismus gewarnt. Zusätzlich musste die Parteienlandschaft neu gestaltet werden. Zugelassen wurden zu Beginn nur drei Parteien, von denen zwei vom Militär begünstigt wurden. Die türkische Wählerschaft sprach sich allerdings nicht für eine dieser beiden Parteien aus, sondern für die Mutterlandspartei (ANAP) und den Wirtschaftsreformer Özal, der später noch Staatspräsident der Türkei werden sollte. Dies hatte das Verschwinden der beiden Militärparteien von der politischen Bildfläche zur Folge. Zudem wurden Nachfolgeorganisationen der verbotenen Parteien aufgebaut. Aus der ehemaligen Staatspartei CHP wurde die Sozialdemokratische Volkspartei (SHP) unter der Führung von Ecevit, und das Erbe der AP nahm Demirel mit der Partei des Rechten Weges (DYP) an. 200 Diese drei Parteien sollten auch die Geschicke des Landes in den nächsten Jahren le nken. Im selben Jahr kam es auch zur Gründung der national-religiösen und islamistischen Wohlfahrtspartei (Refah-Partei, RP). Schon bei ihrer ersten Wahl brachte sie es auf 7,9 Prozent der Stimmen, und elf Jahre nach ihrer Gründung konnte sie sogar den Bürgermeister in den zwei größten türkischen Städten, Istanbul und Ankara, stellen. 1995 ging sie mit 21,4 Prozent und fast 30 Prozent der Sitze als die stärkste Partei bei der Wahl der Nationalversammlung hervor. Der Anführer der RP, Erbakan, führte einen aggressiven Wahlkampf, in dem er für die Aufhebung der Zollunion mit der EU und den Austritt aus der NATO eintrat. Nach langem Hin und Her kam es doch zu einer Koalition zwischen dem Führer der islamistischen RP und der Parteivorsitzenden der konservativen DYP, Tansu Çiller. 201 Grundlage für das Zustandekommen dieser Zusammenarbeit waren unter anderem Korruptions- und Bestechungsaffären. Nicht umsonst wird in Istanbul Çillers Partei auch „Partei des korrupten Weges“ genannt. 202 Erbakan konnte als Ministerpräsident jedoch keine 198

Heinz Käufeler (2002): Das anatolische Dilemma. Weltliche und religiöse Kräfte in der modernen Türkei. Zürich, 177. 199 Heinz Käufeler (2002): Das anatolische Dilemma. Weltliche und religiöse Kräfte in der modernen Türkei. Zürich, 177; Udo Steinbach (2000): Geschichte der Türkei. München, 51-53. 200 Udo Steinbach (2000): Geschichte der Türkei. München, 54-55. 201 Udo Steinbach (2000): Geschichte der Türkei. München, 61-62. 202 Bassam Tibi (1998b): „Die postkemalistische Türkei. Zwischen EU und pantürkischem Islamismus.“ Internationale Politik, 53 (1), 1-8, 2.

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gute Figur machen. Die Koalitionspartnerin setzte ihn unter Druck, er hatte eine hohe Verschuldung des Landes zu bekämpfen und die Presse beobachtete ihn scharf. Seine Wahlversprechen, die Zollunion aufzuheben und die NATO-Mitgliedschaft zu kündigen, konnte er nicht einhalten. Auch das Ziel, die Zusammenarbeit mit den IslamistInnen des Landes zu verstärken und ihnen größeren Einfluss zu verschaffen, konnte nicht erreicht werden. Der Nationale Sicherheitsrat zwang Erbakan seine islamistische Politik zu unterlassen und unternahm Schritte die Islamisierung zu unterbinden. Die Zahl der ImamHatip-Schulen wurde reduziert, Korankurse konnten nur mehr von Jugendlichen besucht werden, Mitglieder religiöser Gruppen wurden vom Staatsdienst suspendiert und proislamische Unternehmen von Staatsaufträgen ausgeschlossen. 203 Der Druck, der auf Erbakan ausgeübt wurde, war Grund für die nur kurze Regierungszusammenarbeit zwischen der RP und der DYP. Erbakan erklärte 1997 seinen Rücktritt. 204 Das jähe Ende wurde ihm 1998 gesetzt, als seine Refah-Partei vom Verfassungsgerichtshof wegen Verstoß gegen das Laizismusprinzip verboten wurde. Vorausblickend wurde von der islamistischen Seite bereits im Vorhinein eine „Nachfolgepartei“ gegründet, die sich Tugendpartei (FP) nannte und zu der beinahe alle RP-Mitglieder übertraten. Lediglich der Parteivorsitzende war auszutauschen, da Erbakan mit einem Verbot belegt war. Der neu gegründeten FP erging es ähnlich wie ihrer Vorgängerin. Noch im selben Jahr errang sie einen Wahlsieg, doch drei Jahre später wurde auch sie verboten. 205 Die islamistischen Kräfte hatten indes Erfolg mit der schon in den siebziger Jahren aktiven MHP. Wenn sich auch ihr Name in der Zwische nzeit einige Male geändert hat, so blieb ihre Ideologie doch die gleiche. Bei den Wahlen 1999 kam sie an die zweite Stelle hinter der Demokratischen Linkspartei (DSP) von Ecevit. Zwei bemerkenswerte Geschehnisse gingen mit diesem Urnengang einher. Zum einen gelang es der ehemaligen Staatspartei CHP erstmals nicht, die Zehn-Prozent-Hürde zu überwinden, und zum anderen ließ sich die Mitte-Links-Partei DSP auf eine Koalition mit der konservativ- islamistischen MHP und der ANAP ein. Somit gelang den islamistischen Kräften abermals eine Regierungsbeteiligung. Ein Merkmal, das allen radikalen rechten Parteien - besonders den islamistischen – gemein ist, ist die Ablehnung der sechs Prinzipien, auf denen die türkische Republik begründet ist. Ganz besonders der Säkula rismus steht im Widerspruch zu ihrer Ideologie. Mit Necmettin Erbakan von der Refah-Partei kam ein Islamist an die Spitze, der jedoch auch die 203

Günter Seufert; Christopher Kubaseck (2004): Die Türkei. Politik, Geschichte, Kultur. München, 136-137. Udo Steinbach (2000): Geschichte der Türkei. München, 61-62. 205 Barbara Pusch (2003): „Neue muslimische Frauen in der Türkei. Einblicke in ihre Lebenswelt.“ In: Mechthild Rumpf; Ute Gerhard; Mechthild M. Jansen (Hg.): Facetten islamischer Welten. Geschlechterordnung, Frauenund Menschenrechte in der Diskussion. Bielefeld, 242-256, 243. 204

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Notwendigkeit des technischen und wissenschaftlichen Fortschritts für die Türkei erkannte, zugleich allerdings sich als Gegner des Westens erklärte. 206 Er stellt für die Rechtsparteien mit religiös- ideologischer Basis eine bedeutende Persönlichkeit dar, denn er war es, der bereits seit den sechziger Jahren den Islamismus im türkischen Parteiensystem vorantrieb. Seine ehrgeizigen Ziele konnte Erbakan jedoch nicht umsetzen. Die Folge war eine sehr kurze Amtszeit als Ministerpräsident von nur weniger als einem Jahr. 207 Mit dem Abdanken von Erbakan wurde ein Platz am rechten Flügel des Parteie nspektrums frei, der von Recep Ta yyip Erdogan genutzt wurde. Er gründete die Gerechtigkeits- und Entwicklungspartei (AKP), die thematisch mit der RP übereinstimmte und mit der er zur Parlamentswahl 2002 antrat. Das große Thema dieser Wahlen war der mögliche türkische Beitritt zur Europäischen Union. Mit Ausnahme der Nationalistischen Aktionspartei (MHP) und einiger anderer kleiner Parteien befürworteten alle Parteien den Beitritt. Die Europafeindlichkeit der MHP brachte die Partei aber nicht über die Zehn-Prozent-Hürde hinaus. Das Resultat war ein klarer Sieg für die AKP, die 363 der 550 Sitze in der Großen Nationalversammlung errang. 208 Obwohl Erdogan aufgrund einer Haftstrafe wegen Anstiftung zu religiöser Aufruhr kein politisches Amt bekleiden durfte, wurde er doch durch die Aufhebung dieses Verbots durch das Parlament im März 2003 zum Regierungschef einer Ein-Parteien-Regierung ernannt. Ein Charakteristikum für die Parteienlandschaft der Türkei ist die starke Zersplitterung. Diese entstand durch Parteiverbote und –neugründungen am politisch- ideologisch rechten und linken Rand. Die Zahl der Parteien, die sich den Wahlen stellten, stieg von drei im Jahr 1983 auf 18 im Jahr 2002. Davon dürfen drei dem islamistischen Milieu zugerechnet werden. 209

3.2.2.1.2.

Auswirkungen der Politik auf die säkulare Türkei

Den PolitikerInnen der Republikanischen Volkspartei war durchaus bewusst, dass sie mit ihrer teilweise einseitigen Politik, die stets die Säkularisierung des Landes zum Ziel hatte, nicht alle Bevölkerungsschichten ansprachen. Für viele WählerInnen waren religiöse Themen von zentraler Bedeutung. Unter dem Druck der neu gegründeten DP rang sich die CHP zu Lockerungen in diesen Bereichen durch. Zu neuerlichen Reformen kam es vor allem im Bildungswesen. So wurde eine Theologische Fakultät an der Universität Ankara eingerichtet, der Religionsunterricht wurde vorerst als Wahlfach für die oberen Klassen der Grundschule 206

Youssef M. Choueiri (1997): Islamic Fundamentalism. London/Washington, 60-62. Günther Lachmann (2004): Tödliche Toleranz. Die Muslime und unsere offene Gesellschaft. München/Zürich, 103. 208 Zuhal Yesilyurt Gündüz (2003): „Welches Europa für die Türkei?“ Internationale Politik, 58 (1), 25-30, 26. 209 Klaus Kreiser; Christoph K. Neumann (2003): Kleine Geschichte der Türkei. Stuttgart, 482-483. 207

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wieder erlaubt, und die Ausbildungsstätten für Vorbeter und Prediger (Imam-Hatip-Schule) durften ihre Pforten wieder öffnen. Die bis 1946 verbotene Pilgerfahrt nach Mekka konnte wieder vollzogen werden, und der Besuch von Gräbern berühmter Heiliger wurde wieder freigegeben. Alles in allem versuchte die Republikanische Volkspartei durch die Zugeständnisse an die religiöse Wählerschicht einen Wahlerfolg der DP zu verhindern. Es gelang allerdings nicht die islamische Bevölkerung abermals für den Kemalismus zu begeistern. Die Folge war ein weiteres Entgegenkommen der Politik. Radikal- islamische Bewegungen hatten unter der Regierung Menderes weniger Verfolgung zu erwarten als noch unter der Präsidentschaft Inönüs. Als es zur Widereinführung des Gebetsrufes in arabischer Sprache durch die DP kam, feierten die islamischen AnhängerInnen bereits den „Sieg des Islams“. Während der Amtszeit von Menderes erlebte die islamische Öffentlichkeit eine Reihe neuer „alter“ Freiheiten. Der Bau von Moscheen wurde angekurbelt, islamische Vereinigungen wurden gegründet, und zahlreiche religiöse Schriften wurden publiziert. 210 Die Folge war, dass die sich zwar zum Laizismus bekennende Demokratische Partei zum Auffangbecken für die islamisch-traditionalistische Bevölkerung wurde, die sich mit der CHP nicht identifizieren konnte. Dies lag zum Großteil an der politische n Führung, die bis 1950 aus ehemaligen Offizieren, Angehörigen der freien Berufe und Intellektuellen bestand. Diese konnten den Kontakt zur ländlichen Bevölkerung, die damals noch die Mehrheit der TürkInnen ausmachte, nicht herstellen. Mit der DP kamen viele VertreterInnen aus Anatolien oder der ländlichen Türkei. Sie verfügten meist über keinen Universitätsabschluss, entsprangen dafür aber dem Geschäftsleben und waren diejenigen, die die Bevölkerung ansprechen konnten. 211 Mit dem Zweiparteiensystem der fünfziger Jahre entwickelte sich auch eine „Polarisierung entlang der Rechts-links-Dichotomie“. 212 Mitte-rechts bedeutete in der Türkei die Wahrung der kemalistischen Grundzüge gepaart mit den Vorstellungen der islamisch geprägten Bevölkerung. Dabei waren die religiösen Anteile in dieser Mischung seit den fünfziger Jahren stets im Zunehmen begriffen, was erst durch die Gründung und die Wahlerfolge der islamistischen Parteien ein Ende hatte. Mit der traditionell islamischen und bürgerlichen Wählerschicht und den wirtschaftliberalen politischen FührerInne n konnte die DP dem Mitte-Rechts-Lager zugeordnet werden. Die kemalistische CHP übernahm hingegen die Rolle der Linken. Keine der beiden Großparteien kann allerdings als radikal bezeichnet werden. Mit der Koalitionsbildung mit einer der kleineren islamistisch-extremistischen 210

Heinz Käufeler (2002): Das anatolische Dilemma. Weltliche und religiöse Kräfte in der modernen Türkei. Zürich, 174-175. 211 Udo Steinbach (2000): Geschichte der Türkei. München, 44-45. 212 Heinz Käufeler (2002): Das anatolische Dilemma. Weltliche und religiöse Kräfte in der modernen Türkei. Zürich, 176.

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Parteien mussten auch Forderungen von Politikpartnern wie Erbakan übernommen wurden. Dies bildete für islamische Gruppierungen eine Möglichkeit, zumindest einen Teil ihrer politischen Vorstellungen umzusetzen. Eine dieser Zusagen von Seiten der AP war der von der MSP geforderte Ausbau der religiösen Mittel- und Oberschulen (Imam-Hatip-Schulen). Mit der Durchsetzung von Forderungen wie diesen baute das islamistische Lager an seiner zukünftigen Elite. Obwohl für die Berufe des Vorbeters und Predigers nur Männer ausgebildet werden können, nahmen die islamischen Privatschulen bald auch Mädchen auf. Für die Familien mit Töchtern waren diese Schulen attraktiv, da dort nicht nur der allgemeine Lehrstoff wie an staatlichen Schulen vermittelt wurde, sondern 40 Prozent der Unterrichtszeit für das Lehren von islamischen Grundlagen, die hauptsächlich aus dem Lesen des Korans in arabischer Sprache bestanden, aufgewendet wurden. 213 Zudem boten die Imam-Hatip-Schulen oft kostenfreie Unterkunft für die SchülerInnen. Mit dem Schritt, die Universitäten auch für AbsolventInnen von Imam-Hatip-Gymnasien zu öffnen und auch ihnen die Möglichkeit zur Ausbildung zum/r GrundschullehrerIn zu geben, waren diese Privatschulen den staatlichen Institutionen so gut wie gleichgestellt. Die Übernahme der Macht durch das Militär trug jedes Mal zur Radikalisierung der Bevölkerung bei. Die Armee selbst tolerierte gemäßigten Islamismus, um den radikalen Islamismus zu bekämpfen. Die radikalen IslamistInnen waren meist Mitglieder aktiver Organisationen, die nicht nur zur Gewalt aufriefen, sondern auch zu einem Leben nach dem Koran, zu einem is lamischen Staat, in dem die Scharia praktiziert wird, und letztlich zum bewaffneten Kampf, dem „Dschihad“. 214 Um diesen radikalen Islamismus zu bekämpfen, setzte das Militär selbst Zeichen der „Re-Islamisierung“. So wurde beispielsweise 1982 der Religionsunterricht wieder verpflichtend für alle Schularten eingeführt. 215 All diese Maßnahmen

zur

Re-Islamisierung

des

türkischen

Bildungswesen,

die

seit

der

Wiedereröffnung der Imam-Hatip-Schulen durchgesetzt wurden, stießen bei der türkischen Bevölkerung auf Zustimmung. Besonders der ländliche, meist religiöse Teil der Bevölkerung konnte sich mit der kemalistischen Bildungspolitik nicht anfreunden und begrüßte daher jeden Schritt in Richtung islamische Erziehung. 216 1996 bekam die Türkische Republik mit Erbakan den ersten is lamistischen Regierungschef. Der aus Anatolien stammende Politiker hatte seinen Wahlsieg vor allem der tief religiösen

213

Udo Steinbach (1996): Die Türkei im 20. Jahrhundert. Schwieriger Partner Europas. Bergisch Gladbach, 331. Günther Lachmann (2004): Tödliche Toleranz. Die Muslime und unsere offene Gesellschaft. München/Zürich, 103. 215 Udo Steinbach (1996): Die Türkei im 20. Jahrhundert. Schwieriger Partner Europas. Bergisch Gladbach, 329. 216 Heinz Käufeler (2002): Das anatolische Dilemma. Weltliche und religiöse Kräfte in der modernen Türkei. Zürich, 303. 214

80

Landbevölkerung seiner Heimat bzw. den „Landflüchtlingen“ in den geçekondus, die leicht für seine pro- islamischen Ideen zu überzeugen waren, zu verdanken. 217 Seine Politik war von islamistischen Ideologien geprägt. Vor allem wegen der Zusammenarbeit mit islamischen Staaten wie Pakistan, Ägypten, Nigeria, Iran, usw., die sich nicht auf wirtschaftliche Belange wie die Gründung der D-8 – einem islamischen Gegenpol zu den G-7-Staaten – beschränkte, sondern auch auf militärische Bereiche erstreckte, konnte seine Befürwortung des Laizismus angezweifelt werden. 218 Die Skepsis des militärischen Nationalen Sicherheitsrates, einer einflussreichen politischen Institution in der Türkei, war somit nicht unbegründet. Um den Einfluss der IslamistInnen auf die Jugend wenigstens zu reduzieren, wurde von Seiten des Militärs die Verlängerung der Grundschule von fünf auf acht Jahre gefordert. Ziel war es, dabei den Zustrom der Kinder, die nach der Grundschule eine private Imam-Hatip-Schule besuchten, einzudämmen. Des Weiteren wurden Koranschulen privater islamischer Einrichtungen geschlossen oder zur Gänze dem staatlichen Erziehungsministerium unterstellt. 219

Das Ziel Atatürks, der türkischen Nation westliche Werte zu initiieren, ist wohl nur zum Teil geglückt. Mit der zunehmenden Re-Islamisierung kam es auch immer mehr zu einer „Entwestlichung“220 der Türkei. Die kemalistische Elite der Anfänge der Republik konnte ihre Ansichten nicht unter der türkischen Bevölkerung verbreiten. Während Kemâl Atatürk und seine gleich gesinnten NachfolgerInnen die Annahme einer europäischen Identität propagierten, wird mittlerweile von einigen islamischen Türkinnen und Türken genau das verweigert, um die Abgrenzung vom Westen zu verdeutlichen.

Die Re-Islamisierung hatte nicht nur die Aufweichung der kemalistischen Reformen zur Folge, sondern klarerweise auch Einfluss auf die Religiosität der türkischen Bevölkerung. Mehr und mehr Türkinnen und Türken bezeichnen sich als streng gläubig; im Jahr 1999 waren es 85 Prozent. 221 Der Islam, der in einer Vielzahl von Auslegungen existiert, lässt an

217

Günther Lachmann (2004): Tödliche Toleranz. Die Muslime und unsere offene Gesellschaft. München/Zürich, 99. 218 Udo Steinbach (1997): „Islamischer Staat Türkei? Folgerungen für die europäische Politik.“ Internationale Politik, 52 (8), 51-58, 51. 219 Udo Steinbach (2000): Geschichte der Türkei. München, 61-62. 220 Bassam Tibi (1998b): „Die postkemalistische Türkei. Zwischen EU und pantürkischem Islamismus.“ Internationale Politik, 53 (1), 1-8, 2. 221 Yahya Sezai Tezel (2000): „Gefangen zwischen Demokratie und Autoritarismus. Staat und Gesellschaft in der heutigen Türkei.“ Internationale Politik, 55 (11), 1-10, 8.

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und für sich nur einen islamischen Staat gelten. 222 Der daraus resultierende hohe Anteil (etwa ein Viertel der türkischen Bevölkerung), der sich für die Einsetzung eines „Gottesstaates“, in dem der Staat auf den Gesetzen des Islams beruht, ausspricht, ist somit erklärbar. Daraus ergeben sich demokratiepolitische Probleme, da von eben dieser Seite der Gläubigen versucht wird, den Islam als die höchste Instanz einzusetzen. Wie es zu dieser Politisierung der Religion gekommen ist und worin sie sich bemerkbar macht, wird im Folgenden erklärt.

3.2.2.2.

Islamischer Fundamentalismus und politischer Islamismus

Im Zusammenhang mit der Religion des Islams wird immer öfter der Begriff „Fundamentalismus“

bzw.

„islamischer

Fundamentalismus“

verwendet.

Der

Fundamentalismus ist eine religiös begründete politische Ideologie, die seit den siebziger Jahren in allen Weltreligionen – und nicht nur im Islam – zu finden ist. Der Begriff wird hauptsächlich im religiösen Kontext verwendet und bezeichnet einen kulturellen und politischen Antimodernismus. Seinen Ursprung hat das Wort in einer US-amerikanischen Protestantenvereinigung des frühen 20. Jahrhunderts. Der Fundamentalismus in seiner Bedeutung als Gegenbewegung trat in Europa allerdings schon früher zur Zeit der Modernisierung und der Versuche der Säkularisierung der christlichen Religion im 19. Jahrhundert in Erscheinung. Ein Merkmal aller Fundamentalismen in den verschiedensten Glaubensrichtungen ist das Streben nach der Aufhebung der Trennung von Religion und Staat. 223 Bassam Tibi sieht den Fundamentalismus als eine „Politisierung der Religion“ 224 an, der allerdings keine ausschließlich islamische Erscheinung ist. 225 Für FundamentalistInnen kann nur auf politischer Ebene der Kampf gegen den Säkularismus geführt werden. Für die Menschen wird die Religion dabei zu einem politischen Lebensstil, der sie eine religiös legitimierte politische Ordnung fordern lässt. Dies gilt vor allem für den „islamischen Fundamentalismus“, der in den siebziger Jahren durch die Islamische Revolution im Iran erstmals Aufsehen erregte. Das Ziel der islamischen FundamentalistInnen ist die Errichtung eines islamischen Staates unter der bedingungslosen Einhaltung der islamischen Regeln und unter der Führung eines berufenen religiösen Führers. Rechtsgrundlage bildet die Scharia, die von islamischen Rechtsgelehrten geschaffen wurde. Ihre Grundlage bildet zwar der Koran, 222

Giacomo Luciani (2002): „Die Türkei und der Islam. Hürde auf dem Weg nach Europa?“ Internationale Politik, 57 (3), 27-31, 29. 223 Brockhaus (2003): Enzyklopädie digital 2003 („Fundamentalismus“). 224 Bassam Tibi (1998a): Aufbruch am Bosporus. Die Türkei zwischen Europa und dem Islamismus. München/Zürich, 90. 225 Bassam Tibi (2000): „Politisierung der Religion. Sicherheitspolitik im Zeichen des islamischen Fundamentalismus.“ Internationale Politik, 55 (2), 27-34, 29.

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doch wurden seiner Auslegung jegliche moderne Ansätze entzogen. Wie in anderen Religionen ist auch im Islam der Fundamentalismus von einem gewissen Antimodernismus geprägt ist. Dieser macht sich in der Ablehnung der Grundnormen der heut igen Zeit, wie Demokratie, Menschenrechte oder Toleranz, und des modernen Lebensstils bemerkbar. Gleichzeitig stehen die islamischen FundamentalistInnen jedoch den westlichen technischen Errungenschaften in Bereichen der Wissenschaft und Technik aufgeschlossen gege nüber, da sie in ihnen Vorteile und Hilfe bei der Durchsetzung ihrer Ziele sehen. 226 Der islamische Fundamentalismus wird auch als patriarchalische Protestbewegung bezeichnet, in der gewisse Aspekte der Moderne bekämpft werden. 227 Diese Auffassungen betrifft die Frau, deren Leben auf die traditionell häusliche Rolle beschränkt wird. Diese islamistische Ideologie, die die Rückkehr zum ursprünglichen Islam zum Ziel hat, wird auch als „Islamismus“ bezeichnet. Der Wirkungsbereich des Islamismus bleibt nicht auf die gesellschaftliche Ebene begrenzt. Da der Einfluss auch in den politischen Bereich reicht, wird er auch als „politischer Islamismus“ oder „politischer Islam“ bezeichnet.

Mittlerweile ist der Islamismus auch in der Türkei zu einer Ton angebenden politischen Kraft geworden, die nicht mehr übergangen werden kann. Die folgenden Kapitel zeigen die Entstehung dieses türkischen politischen Islamismus.

3.2.2.2.1.

Entstehung und Einfluss des politischen Islamismus

Eine Möglichkeit, Menschen für eine Ideologie zu begeistern, besteht darin, sie von klein auf mit ihr vertraut zu machen und sie ihnen zu indoktrinieren. Genau diesen Weg gingen die islamistischen Kräfte seit dem Beginn der Türkischen Republik. Ihr Vorhaben war groß, denn sämtliche religiöse Angelegenheiten unterstanden dem Diyanet, für das Bildungswesen war ausschließlich das Erziehungsministerium zuständig, islamische Ausbildungsstätten wurden geschlossen und es gab vorerst keine Möglichkeit, die Menschen über Korankurse zu erreichen. Da die Bildung aber der Ausgangspunkt für die Einstellung der späteren Elite ist, mussten Wege gefunden werden, die Ideologie der IslamistInnen zu verbreiten. Die islamischtraditionelle Bevö lkerung ermöglichte dies, indem sie von der Politik ein gewisses Maß an Religiosität an Schulen zurückforderte. So wurden 1949 die ersten Korankurse wieder zugelassen, eine neue theologische Fakultät gegründet und die Predigerschulen (Imam-Hatip226

Brockhaus (2003): Enzyklopädie digital 2003 („Islamischer Fundamentalismus“). Martin E. Marty; R. Scott Appleby (1996): Herausforderung Fundamentalismus. Radikale Christen, Moslems und Juden im Kampf gegen die Moderne. Frankfurt/New York, 147. 227

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Schulen) wieder eröffnet. Die Imam-Hatip-Schulen sind Privatschulen, die SchülerInnen nach der Grundschule übernehmen und ihnen dort eine islamische Erziehung verknüpft mit Allgemeinwissen angedeihen lassen. Dass diese Schulen, einerlei ob Mittel- oder Oberschulen, in der Türkei mehr und mehr Bedeutung erhielten, zeigen die steigenden SchülerInnenzahlen. So gab es im Jahr 1949 gerade einmal 50 Absolventen, im Schuljahr 1970/71 ca. 50.000 SchülerInnen (davon ca. 900 Mädchen) und im Jahr 1991/92 bereits etwa 118.000 SchülerInnen (davon 32.000 Mädchen). Zwei Jahre später stieg die Zahl der AbsolventInnen noch einmal auf 446.000 (davon 158.000 Mädchen). Im Verhältnis stieg natürlich auch die Anzahl der Lehrkräfte. 228 Dabei ist bemerkenswert, dass die Imam-Hatip-Schulen, die für religiöse Berufe ausbilden, die nur von Männern ausgeübt werden können, derart viele Mädchen unterrichten. Dies erklärt sich aus der Tatsache, dass säkulare Schulen für muslimische Eltern von kopftuchtragenden Töchtern nicht als Ausbildungsstätten in Frage kommen. In religiösen Schulen herrscht jedoch keine Kleiderordnung, weshalb diese den staatlichen Schulen von vielen religiösen Familien bevorzugt werden. 229 Mittlerweile macht der Anteil der AbsolventInnen von Imam-HatipSchulen bereits mehr als elf Prozent der gesamten türkischen SchulabgängerInnen aus. Offensichtlich ist, dass nicht alle religiös ausgebildeten Jugendlichen auch einen religiösen Beruf ergreifen konnten, da in diesem Bereich nicht derart viele Arbeitsplätze vorhanden sind und waren. Ebenso war es nicht möglich, die Anzahl der TheologiestudentInnen zu erhöhen, da auch sie später keine Anstellungen gefunden hätten. Somit drängten immer mehr ImamHatip-AbsolventInnen in andere Studiengänge, von Pharmazie über Rechtswissenschaften bis hin zu technischen Studien. Diese ausgebildeten Fachleute mit religiösem Hintergrund stellten später die Elite des Landes dar und konnten durch ihre Machtpositionen selbst zur intelligenten Verbreitung des islamistischen Denkens beitragen. Eine Unterwanderung sämtlicher Behörden durch Imam-Hatip-AbsolventInnen war und ist die Folge. Den islamistischen Kräften war klar, dass der politische Islamismus nicht über die ungebildete ländliche, aber islamische Bevölkerungsschicht zu vermitteln war. Die gut ausgebildeten Fachleute, die oft auch einen Universitätsabschluss mitbringen, sind hingegen jene, die die Ideologie des politischen Islamismus auch weiter vermitteln können und Maßnahmen setzen können, den Einfluss der IslamistInnen weiter zu stärken.

228

Udo Steinbach (1996): Die Türkei im 20. Jahrhundert. Schwieriger Partner Europas. Bergisch Gladbach, 331. Yildiz Ramazanoglu (2001): „Islamistische und feministische Frauen am Scheideweg.“ In: Barbara Pusch (Hg.): Die neue muslimische Frau. Standpunkte & Analysen. Istanbul/Würzburg, 89-110, 91-92. 229

84

Die Ausbreitung der Imam-Hatip-Schulen ist auch auf hohe finanzielle Mittel aus dem Staatshaushalt zurückzuführen. Dass diese Kostenübernahme durch den Staat möglich wurde, ist auf die Unterwanderung des Erziehungsministeriums durch Mitglieder der Refah-Partei ermöglicht worden. Sie gewährleisteten durch Finanzspritzen den Ausbau der religiösen Schulen sowie eine Steigerung ihrer Attraktivität in der Bevölkerung. Diese Imam-Hatip-Schulen bewegen sich nicht auf der Linie der kemalistischen Ideologie, die stets eine europäische Identität der Türkei anstrebte. Wenn der Lehrplan der religiösen Schulen auch zu 60 Prozent aus allgemeinbildenden Fächern besteht, so fehlt doch der Unterricht in Englisch oder Französisch, da anstelle der westlichen Sprachen Arabisch zum Verständnis des Korans gelehrt wird. 230 Mit dem Sprachunterricht wird auch Kultur vermittelt, die in diesem Falle nicht die europäische ist und somit auch nicht zu einem Gefühl der europäischen Zugehörigkeit führen wird. Stattdessen wird eine „Re-Arabisierung“ der türkischen Kultur betrieben. 231 Dadurch, dass den AbsolventInnen der Imam-Hatip-Schulen durch die fehlende Sprachkompetenz die Zusammenarbeit mit westlichen Institutionen aller Art verwehrt bleibt, wenden sie sich vermehrt dem arabischen Raum zu, was in wirtschaftlichen aber auch kulturellen Bereichen eine engere Bindung an diese Region zur Folge hat. Man könnte wohl meinen, dass in dem säkularen Staat der Türkei, in dem der Laizismus in der Verfassung verankert ist und das Rechtssystem dem eines westeuropäischen entspricht, ein Unterricht mit islamistischem oder gar fundamentalistischem Hintergrund gar nicht möglich sei. Durch die gezielte Einschleusung von RP-Mitgliedern in das türkische Erziehungsministerium wurde es allerdings möglich, die Schulpläne der Imam-Hatip-Schulen im Sinne des Islamismus zu gestalten. 232 Die Folge sind Lehrpläne, in denen westliches Wissen nur in Form von Wissenschaft und Technik vermittelt wird. Westliches Denken, wie Pluralismus in verschiedensten Bereichen oder Demokratie, wird nicht vermittelt. Betroffen war von der Einflussnahme der IslamistInnen auf die Lehrpläne allerdings nicht nur das Unterrichtsfach Religion. Beispielsweise wird im Biologieunterricht nicht mehr die Evolutionstheorie gelehrt, und der Geschichteunterricht besteht mittlerweile aus einer einseitigen Darstellung aus der osmanisch- islamischen Perspektive. 233 Kreiert werden diese Lehrvorgaben von MinisterialbeamtInnen, die meist selbst eine der religiösen Schulen besucht 230

Bassam Tibi (1998): München/Zürich, 301. 231 Bassam Tibi (1998): München/Zürich, 302. 232 Bassam Tibi (1998): München/Zürich, 311. 233 Heinz Käufeler (2002): Zürich, 303-304.

Aufbruch am Bosporus. Die Türkei zwischen Europa und dem Islamismus. Aufbruch am Bosporus. Die Türkei zwischen Europa und dem Islamismus. Aufbruch am Bosporus. Die Türkei zwischen Europa und dem Islamismus. Das anatolische Dilemma. Weltliche und religiöse Kräfte in der modernen Türkei.

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haben, in der sie mit dem Weltbild der IslamistInnen vertraut gemacht wurden. Somit schließt sich der Kreis, und das Ziel der Einwirkung des islamistischen Gedankengutes auf die Gesellschaft ist erreicht.

Das Erziehungsministerium ist nicht die einzige staatliche Institution, die mittlerweile für eine Re-Islamisierung sorgt. Eine besondere Rolle spielt dabei auch das Diyanet, das Ministerium für religiöse Angelegenheiten, das laut Verfassung nach den Regeln des laizistischen Staates handeln muss. Die Überwachung der religiösen Literatur und die Verwaltung der geistlichen Ämter haben sich inzwischen als arbeitsaufwendige Aufgaben erwiesen. Dementsprechend groß ist der MitarbeiterInnenstab, der auf etwa 100.000 Personen angewachsen ist. Weiters sind ca. 72.000 Moscheen zu betreuen, wobei jährlich 1500 bis 2000 dazu kommen. 234 Das Diyanet unterhält außerdem Vertretungen im Ausland, um Kontakte mit islamischen Organisationen zu halten. Da die Ausgaben für die Aufgaben des Diyanet nicht allein vom türkischen Staat gedeckt werden können, springen ausländische muslimische Organisationen ein. Vor allem aus Saudi- Arabien kommt Unterstützung für die Umsetzung der islamischen Ideen. Das Ministerium für Religionsangelegenheiten ist aber auch selbst im Ausland aktiv. Weltweit sind etwa 800 MitarbeiterInnen mit der Organisation von türkischen Gläubigen sowie der Unterstützung beim Bau von Moscheen beschäftigt. Zudem werden in der Türkei ausgebildete Imame vom Diyanet ins Ausland geschickt, um in den dortigen Moscheen als Prediger zu arbeiten. Ähnlich

wie

das

Erziehungsministerium

ist

auch

das

Ministerium

für

Religionsangelegenhe iten von einer Unterwanderung durch Islamisten betroffen. Auch wenn die StaatsbeamtInnen sich offiziell zur Einhaltung des Prinzips des Laizismus bekennen müssen, versuchen Angehörige islamistischer Gruppierungen, die Islamisierung des Landes „von oben“ voranzutreiben. Durch die Aufgabe der Überprüfung religiöser Schriften können durch das Diyanet Texte veröffentlicht werden, die beispielsweise die Geschlechtertrennung in der Gesellschaft fordern oder sich gegen die Trennung von Staat und Religion aussprechen. 235 In religiösen Buchhandlungen, die von verschiedensten islamistischen Gruppierungen betrieben werden, können außerdem Schriften gefunden werden, die sich gegen andere Weltreligionen richten. 236 Diese gesamte „islamistische Propagandaliteratur“

234

Bekim Agai (2004): „Islam und Kemalismus in der Türkei.“ Aus Politik und Zeitgeschichte, B 33-34/2004, 18-24, 20. 235 Ursula Spuler-Stegemann (1996): „Türkei.“ In: Werner Ende; Udo Steinbach (Hg.): Der Islam in der Gegenwart. München, 232-246, 242-243. 236 Udo Steinbach (1996): Die Türkei im 20. Jahrhundert. Schwieriger Partner Europas. Bergisch Gladbach, 332333.

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zeigt, dass die Positionen im Diyanet, das die inhaltliche Überprüfung religiöser Werke über hat, unter anderem mit fundamentalistischen Muslimen besetzt sind.

Zur Bewältigung des gewaltigen finanziellen Aufwandes der „Re-Islamisierung“ dienen Stiftungen. In der Türkei gelten Stiftungen dem Zweck der Förderung von Erziehung und Unterricht, Kunst und Kultur, Gesundheit und Sport, sozialen Angelegenheiten, Betrieben, nationaler Verteidigung und Religionsangelegenheiten. Etwa drei Viertel aller Stiftungen dienen dem religiösen Zweck. Sie unterstützen religiöse Schulen, vergeben Stipendien, bauen Moscheen, finanzieren religiöse Literatur, usw. Alles in allem bietet das vom Staat gewährte und sogar unterstützte Stiftungswesen allen religiösen Gruppierungen die Möglichkeit, ihre Lehren und Anliegen der Öffentlichkeit zukommen zu lassen. Zudem bietet das türkische Stiftungsgesetz die Möglichkeit, ausländisches Geld in die Stiftungen fließen zu lassen. Sowohl inländische, von der opferbereiten islamischen Bevölkerung stammende, als auch ausländische Spenden werden ohne staatliche Kontrolle religiösen Zwecken zugeführt. 237

In der Türkei kommt den religiösen Bruderschaften eine große Rolle in der Politisierung des Islams zu. Diese Bruderschaften sind ein Teil des traditionell türkischen Volksislams und sprachen vor allem die einfachen Gläubigen an. Durch Heiligenkult, Aberglauben und Mystik wurde versucht, Gott zu erkennen. Doch mittlerweile haben diese Orden ihre ursprünglich mystisch-religiöse fundament alistischen

Bedeutung

großteils

Vereinigungen

verloren

entwickelt.

und Zu

sich den

immer

mehr

wichtigsten

zu

dieser

Religionsgemeinschaften zä hlen die Orden der Naksibendi, Kadiri, Mevlevi und der Derwische. 238 Obwohl diese Orden im Zuge der kemalistischen Reformen verboten wurden, konnten sie unter der Oberfläche fortbestehen. Ihre Existenz ist in den verschiedensten Bereichen der türkischen Gesellschaft sichtbar. So beispielsweise bieten sie Förderkurse für SchülerInnen an, besitzen Ladenketten und sonstige Firmen, geben Tageszeitungen heraus oder verkaufen religiöse Musik. 239 Die heutigen Mitglieder dieser Gemeinschaften sehen jedoch nicht mehr nur die spirituelle Rolle des Islams, sondern auch die politische. Vor allem der Bruderschaft der Naksibendi mit Mehmet Zahid Kotku gelang es in den sechziger Jahren, politische Diskussionen innerhalb des Islams zu führen. AnsprechpartnerInnen waren damals vor allem Studierende. In den achtziger Jahren gelang es den islamischen Bruderschaften 237

Ursula Spuler-Stegemann (1996): „Türkei.“ In: Werner Ende; Udo Steinbach (Hg.): Der Islam in der Gegenwart. München, 232-246, 244. 238 Udo Steinbach (1996): Die Türkei im 20. Jahrhundert. Schwieriger Partner Europas. Bergisch Gladbach, 330. 239 Ursula Spuler-Stegemann (1996): „Türkei.“ In: Werner Ende; Udo Steinbach (Hg.): Der Islam in der Gegenwart. München, 232-246, 238.

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auch, ihren Einfluss in der offiziellen Politik geltend zu machen. „Ziehsöhne“ der Naksibendi, wie Özal oder Erbakan, übernahmen die politische Führung, womit der Einfluss des Ordens garantiert war. 240 IslamistInnen machten sich auch die wirtschaftlichen Veränderunge n in der Türkei zunutze. Vermehrte Liberalisierung im Land brachte nicht allen Türkinnen und Türken Wohlstand. Islamistische Gruppierungen konnten Einfluss über jene erhalten, die vom Staat nicht mehr die notwendige Unterstützung erhielten und zur sozialen Unterschicht gehörten. Eine Folge der liberalen Ordnung war ebenso die freie Medienwelt, die sich der staatlichen Zensur immer mehr entzog. Islamistische Zeitungen und Zeitschriften, eigene Verlage sowie Fernseh- und Radiostationen waren die Folge. 241 Einschlägig religiöse Gruppierungen, vor allem Ordensgemeinschaften, hatten so ein weiteres effektives Mittel zur Verbreitung ihrer Ideologien gefunden. 3.2.2.3.

Zusammenfassung

Die politische und gesellschaftliche Entwicklung der Türkei zeigt, dass die Grundideen Atatürks nicht auf die türkische Gesellschaft anwendbar waren. Eine gesellschaftliche Transformation war durch radikale Reformen nicht möglich. Ziel Kemâl Atatürks war unter anderem eine Säkularisierung des Landes. Dass eine völlige Ausklammerung der Religion in der Türkei allerdings nicht möglich war und ist, zeigt die Aussage des Ministerpräsidenten Özal 1998: „Der Staat in der Türkei ist laik, ich bin nicht laik, ich bin Muslim.“242 Durch den Versuch der Verbannung des Religiösen aus dem Leben der Türkinnen und Türken war es religiösen und islamistischen Gruppierungen ein Anliegen, Zugang zur Bevölkerung zu finden. Die wichtigsten Bereiche, durch die die IslamistInnen Einfluss auf die Gesellschaft gewinnen konnten, waren das Erziehungsministerium und das mächtiger gewordene Ministerium für Religionsangelegenheiten. In beiden Bereichen gelang es islamistischen Kräften, durch Unterwanderung der Institutionen mit eigenen AnhängerInnen die rechtlichen

240

Udo Steinbach (1997): „Islamischer Staat Türkei? Folgerungen für die europäische Politik.“ Internationale Politik, 52 (8), 51-58, 55; Udo Steinbach (1996): Die Türkei im 20. Jahrhundert. Schwieriger Partner Europas. Bergisch Gladbach, 334-335. 241 Udo Steinbach (2000): Geschichte der Türkei. München, 97. 242 Hein z Käufeler (2002): Das anatolische Dilemma. Weltliche und religiöse Kräfte in der modernen Türkei. Zürich, 283.

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Grundlagen zugunsten ihrer Einflussmöglichkeiten zu verändern. „Der türkische Islam schien zurückzukehren, aber er war wohl nie wirklich weg gewesen.“243 Veränderungen wurden in der gesamten Gesellschaft sichtbar. Im Folgenden wird auf die Auswirkungen des politischen Islamismus auf die türkische Frau eingegangen.

3.2.3. 3.2.3.1.

Auswirkungen des Fundamentalismus auf die türkische Frau Exkurs: Die Stellung der Frau im Islam

Wenn die Stellung der Frau in der Türkei behandelt wird, so muss auch - basierend auf der Tatsache, dass mehr als 99 Prozent der türkischen Bevölkerung Muslime sind und sich mehr als drei Viertel davon als streng gläubig bezeichnen – auf die Stellung der Frau im Islam eingegangen werden. Grundsätzlich richtet sich die Botschaft des Propheten Mohammed an beide Geschlechter. Mann und Frau haben auch die gleichen religiösen Pflichten, zu denen unter anderem das Fasten, die Pilgerfahrt und das tägliche Gebet gehören, zu erfüllen. Dennoch geht der Islam von einer prinzipiellen Überlegenheit des Mannes gegenüber der Frau aus. Diese untergeordnete Stellung der Frau in der Religion weitet sich auf das gesamte gesellschaftliche Miteinander aus, da der Islam nicht vom weltlichen Leben zu trennen ist, und greift schließlich auch in den rechtlichen Bereich ein. Das islamische Recht – die Scharia – nimmt unter anderem auch zu fa milien- und erbrechtlichen Angelegenheiten Stellung. So werden Frauen nach dem Koran bei einer Eheschließung stark benachteiligt. Sie müssen weder ihr Einverständnis zur Heirat geben, noch gibt man ihnen die gleiche Chance, sich von ihrem Ehepartner scheiden zu lassen. Während Männer für den Vollzug einer Scheidung lediglich eine Scheidungsformel drei Mal sprechen müssen, müssen Frauen vor Gericht bestimmte Verfehlungen und Unfähigkeiten des Mannes nachweisen, um nach islamischem Recht geschieden werden zu können. Ebenso stellt die polygame Tradition, die es Männern ermöglicht, bis zu vier Frauen zu ehelichen, nicht nur eine eherechtliche Ungleichbehandlung dar, sondern zeigt zugleich die untergeordnete Stellung der Frau in der Gesellschaft. Im Erbrecht sieht der Koran ähnliche benachteiligende Bestimmungen für Frauen vor. Während Töchter und Ehefrauen teilweise völlig vom Erbrecht ausgeschlossen sind, stehen den männlichen Nachkommen zumindest das Doppelte des Anteils eines weiblichen Erbens zu. Neben diesen Beispielen aus dem islamischen Recht gibt es noch weitere religiöse Vorgaben,

243

Heinz Käufeler (2002): Das anatolische Dilemma. Weltliche und religiöse Kräfte in der modernen Türkei. Zürich, 175.

89

die ein Leben als gleichberechtigte Frau nicht zulassen. Die islamischen Quellen sehen außerdem eine räumliche Trennung der Geschlechter vor, was zur Folge hat, dass Frauen aus dem öffentlichen Leben so gut wie ausgeschlossen werden können. Das Tragen eines verhüllenden Kleidungsstückes ist ebenfalls im Koran festgehalten, wenn auch bereits in vorislamischen Zeiten ein ähnlicher Schleier verwendet wurde und erst durch die Interpretationen des Korans die Verschleierung als ein verpflichtendes Symbol für eine Muslimin ausgelegt wurde. 244 Die islamische Religion unterdrückt somit die Frau in doppelter Weise. Zum einen im sozialen Bereich, in dem ihr Leben von Unterordnung unter die Autorität des Mannes charakterisiert ist, und zum anderen auf rechtlicher Ebene, da der Islam die Umsetzung der Scharia zum Ziel hat. Die Aufgaben im Leben einer Frau sind ebenso vom Islam vorgegeben. Zu ihren Verpflichtungen gehören die Führung des Haushaltes, die Erziehung der Kinder, die Wahrung der Ehre der Familie und des Ehemannes sowie die Erfüllung seiner Wünsche und der Gehorsam ihm gegenüber. Der Islam sieht diese Ungleichberechtigungen der Frau gegenüber dem Mann als gottgegeben an, da er aufgrund der körperlichen Merkmale die Geschlechter zu unterschiedlichen Aufgaben in der Gesellschaft verpflichtet. 245

3.2.3.2.

Auswirkungen des Fundamentalismus auf die türkische Frau und die neue muslimische Frau

In gewissem Sinne hatten die „Re-Islamisierung“ und die Entstehung des politischen Islamismus in der Türkei positive Auswirkungen auf den Bildungsgrad der türkischen Frauen. Von den Säkularistinnen wurde zwar die Aufnahme von Mädchen in Imam-Hatip-Schulen kritisiert, da für sie keine religiöse Beschäftigung vorgesehen war und man sich der Gefahr der zu großen Einflussnahme durch diese Bildungsstätten bewusst war. Da diese religiösen Privatschulen jedoch nach Aufhebung des Verbots meist am Land ihre Tore wieder öffneten, wurde so auch Mädchen aus traditionalistischen Familien die Möglichkeit gegeben, lesen und schreiben zu erlernen. Weltliche Schulen wären für die islamisch-traditionellen Eltern für die Bildung ihrer Töchter nicht in Frage gekommen, da sie den koedukativen Unterricht nicht gestattet hätten. 246 Die Imam-Hatip-Schulen hingegen entsprechen ihren Vorstellungen, zumal diese Einrichtungen oft auch einen kostenlosen Internatsplatz für die Schülerinnen zur

244

Ina Heine; Peter Heine (1993): O ihr Musliminnen … Frauen in islamischen Gesellschaften. Freiburg, 27-52. Binnaz Toprak (1985): „Die Religion und die türkische Frau.“ In: Nermin Abadan-Unat (Hg): Die Frau in der türkischen Gesellschaft. Frankfurt, 240-258, 253. 246 Heinz Käufeler (2002): Das anatolische Dilemma. Weltliche und religiöse Kräfte in der modernen Türkei. Zürich, 303. 245

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Verfügung stellen. 247 Wenn die Schulbildung, die diese Mädchen erhalten, auch zur Alphabetisierung der weiblichen Bevölkerung in der Türkei beiträgt, so muss man auch die negativen Folgen dieser islamischen Erziehung betrachten. Durch eine Verbreitung des islamistischen Gedankengutes und einer Islamisierung des Landes werden den Frauen sämtliche Möglichkeiten genommen, aktiv am öffentlichen Leben teilzunehmen. Die Folge wird für sie eine Zurückdrängung in die traditionelle Rolle als Mutter und Ehefrau sein. Erste Anzeichen dafür sind verschleierte Frauen.

Die Re-Islamisierung der achtzige r Jahre hat auch ein neues Frauenbild geschaffen, das zwischen Modernität und Traditionalismus eingeordnet werden kann. Die neue muslimische Frau steht zwischen dem alten System, das Traditionen und Islam verbindet, und dem säkularen Kemalismus, der sich von der Religion gelöst hat und der Modernität hingibt. Sie verknüpft beides, indem sie einerseits streng nach den islamischen Regeln lebt und andererseits auch den modernen Errungenschaften offen gegenüber steht. Ihre Religiosität wird eindeutig sichtbar durch das Tragen des is lamischen Kopftuches (türban), das allerdings sich in seiner Form von der traditionellen Kopfbedeckung (basörtülü) der ländlichen Frauen unterscheidet. Durch das Ablegen des Baumwolltuches mit Spitzenrand und der herkömmlichen Kleidung des bäuerlichen Lebens will die neue muslimische Frau sich von ihrer Herkunft und der gängigen Tradition abgrenzen. Sie kleidet sich daher mit meist in Grautönen gehaltenen Tüchern, die sowohl Kopf als auch Hals und Nacken bedecken, und einem bodenlangen Mantel. Mit dieser türkischen Form der „modernen“ Verschleierung wird die islamische Frau den Vorstellungen von Verhüllung im islamistischen Sinne gerecht. Grund für diese Bekleidung ist die persönliche, religiöse Überzeugung, die sie das strenge Kopftuch für notwendig erachten lässt, und nicht mehr die Tradition. 248 Während der türban meist von jungen gebildeten Frauen getragen wird, die ihr Kopftuch als ein Zeichen des Islams sehen, wird das basörtülü, die traditionelle Kopfbedeckung, meist von ungebildeten und ländlichen bzw. in vergleichbaren Verhältnissen in der Stadt lebenden Frauen getragen. 249 Dennoch bezeichnen türban-Frauen ihre Kopfbedeckung als basörtülü, obwohl sie sich dessen bewusst sind, dass sie nicht aus traditionellen Gründen das Tuch tragen, sondern aus 247

Christine Schirrmacher; Ursula Spuler-Stegemann (2004): Frauen und die Scharia. Die Menschenrechte im Islam. Kreuzlingen/München, 221. 248 Barbara Pusch (2003): „Neue muslimische Frauen in der Türkei. Einblicke in ihre Lebenswelt.“ In: Mechthild Rumpf; Ute Gerhard; Mechthild M. Jansen (Hg.): Facetten islamischer Welten. Geschlechterordnung, Frauenund Menschenrechte in der Diskussion. Bielefeld, 242-256, 244-246. 249 Barbara Pusch (2001): „Türkische Kopftuchpolitiken: Einstellungen von „Kopftuchstudentinnen“ und akademischem Personal im Vergleich.“ In: Barbara Pusch (Hg.): Die neue muslimische Frau. Standpunkte & Analysen. Istanbul/Würzburg, 137-166, 139-141.

91

religiösen. 250 Das Kopftuch der jungen Türkinnen ist jedoch nicht nur ein Hinweis auf Religiosität, sondern steht auch für den politischen Islam. Das Ziel der islamistischen Bewegungen ist es, sich vom Westen abzugrenzen. Diese Ablehnung und Abgrenzung wird am

Ersche inungsbild

der

Frauen

sichtbar.

Die

zunehmende

Zahl

der

„neuen“

Kopftuchträgerinnen ist somit für die IslamistInnen ein Indikator für ihren Machtgewinn innerhalb der Bevölkerung. Die Bejahung der Modernität der „neuen“ muslimischen Frauen lässt sich aber nicht nur an ihren Kleidern erkennen. Den meisten von ihnen wird eine überdurchschnittlich gute Ausbildung zu Teil. Während sich früher die intellektuelle Schicht fast ausschließlich aus KemalistInnen rekrutierte, tat sich seit den achtziger Jahren eine islamische Intellektuelle hervor. Aufbauend auf eine Imam-Hatip-Schule, in der das Tragen des Kopftuches für Schülerinnen obligatorisch ist, besuchen viele junge Frauen anschließend die Universität, wo sie als „Kopftuc hstudentinnen“ Aufmerksamkeit erregen. Diese jungen islamischen Frauen bringen das gängige Muster „fortschrittlich“ und „gebildet“ versus „reaktionär“ und „ungebildet“ durcheinander. 251 Einerseits kann ihr Hintergrund im Allgemeinen als ländlich und traditionell- muslimisch bezeichnet werden, andererseits steht die neue muslimische Frau – im Gegensatz zu anderen Frauen aus agrarisch geprägten Regionen – dem modernen Leben offen gege nüber. Diese Aktivität wird auch in der Partizipation im öffentlichen Raum sichtbar.

Die

neuen

Musliminnen

verstehen

außerdem

ihren

Glauben

nicht

als

Privatangelegenheit, wie es gläubige Kemalistinnen tun würden, sondern setzen sich für den Islam und nicht selten für einen islamischen Staat ein. Eine andere Form der Kopfbedeckung, die noch vor wenigen Jahrzehnten in der Türkei nicht anzutreffen war und nun jedoch auch Einzug gehalten hat, ist der orientalische Schleier. Nilüfer Göle sieht in ihm ein Symbol dafür, dass „die Grenzen zwischen der islamischen und der westlichen Zivilisation unüberwindbar sind“. 252 Die Verschleierung ist „eher ein Ausdruck des Konflikts mit der Moderne als einer Loyalität gegenüber der Religion des Islam“. 253 Durch ihre Bedeckung durch türban oder Schleier wollen islamistische Frauen sich vor der Moderne schützen, die Ablehnung der Verwestlichung zeigen und ihr „Anderssein“

250

Barbara Pusch (2001): „Türkische Kopftuchpolitiken: Einstellungen von „Kopftuchstudentinnen“ und akademischem Personal im Vergleich.“ In: Barbara Pusch (Hg.): Die neue muslimische Frau. Standpunkte & Analysen. Istanbul/Würzburg, 137-166, 141. 251 Nilüfer Göle (1995): Republik und Schleier. Die muslimische Frau in der modernen Türkei. Berlin, 121. 252 Nilüfer Göle (1996) zit. in: Bassam Tibi (1998b): „Die postkemalistische Türkei. Zwischen EU und pantürkischem Islamismus.“ Internationale Politik, 53 (1), 1-8, 1. 253 Nilüfer Göle (1996) zit. in: Bassam Tibi (1998b): „Die postkemalistische Türkei. Zwischen EU und pantürkischem Islamismus.“ Internationale Politik, 53 (1), 1-8, 1.

92

betonen. Verschleierte Frauen stellen ein Symbol des Islamismus dar und verkörpern die ReIslamisierung des Landes. „Der Schleier ist die Frauenuniform des Islamismus, kein Ausdruck der Selbstfindung der Frauen, geschweige denn eine islamische Form des Feminismus.“254 Bassam Tibi spricht sich stark gegen die Akzeptanz von islamischen Kopftüchern – sei sie von westlicher als auch von islamischer Seite –aus. „Islamistische Feministinnen“ sehen ihre Verhüllung als Schutz, um sich in der Öffentlichkeit zeigen zu können, und als Able nkung von ihrem Körper und ihrer Weiblichkeit. Die Aufmerksamkeit wollen sie auf ihre Persönlichkeit lenken. Als „Feministinnen“ im wahren Sinne des Wortes kann man sie freilich nicht bezeichnen, denn sie propagieren den wahren Islam als die beste Lösung für die Frau. 255 Mit der Re-Islamisierung wurde der Koran bzw. der Islam neu interpretiert. Solche Versuche betrafen unter anderem den Bereich der Menschenrechte. Von Seiten der islamistischen Frauen und Männer bemühte man sich, den Islam als frauenfreundlich und eine sich den neuen Lebensumständen anpassende Religion darzustellen. Regelungen, die eindeutig eine Benachteiligung der Frau mit sich bringen, wurden neu ausgelegt. So wird die Polygamie grundsätzlich als eine Form der Ehe für den Mann angesehen. Aus der Sicht der „islamistischen FeministInnen kann eine Mehrehe allerdings nur dann zustande kommen, wenn in der Gesellschaft ein Frauenüberschuss auftritt, der Mann die Gleichbehandlung der Frauen garantieren kann und die erste Ehefrau ihre Zustimmung zu den weiteren Heiraten gibt. Eine weitere Re-Interpretation des Korans betrifft das islamische Erbrecht, das prinzipiell Frauen benachteiligt, da sie nur die Hälfte des Anteils eines Mannes erhalten. Da allerdings die Frau bei einer Heirat nicht verpflichtet ist, ihren Teil mit in die Ehe zu bringen, sondern frei darüber verfügen kann, sehen die VertreterInnen des „neuen Islams“ keine Ungerechtigkeit darin, wenn Frauen laut Erbrecht nur die Hälfte des Anteils eines Mannes erben. 256 Die moderne Lebenswelt ist in der Türkei mittlerweile weit fortgeschritten. Dementsprechend hat sich auch die Stellung der Frau verändert. Die Türkinnen haben durch die Säkularisierung Möglichkeiten der Partizipation am öffentlichen Leben erhalten und diese auch genutzt. Dementsprechend stellen sie auch Ansprüche an ihre Vertretungen. Die islamistischen 254

Bassam Tibi (1998a): Aufbruch am Bosporus. Die Türkei zwischen Europa und dem Islamismus. München/Zürich, 326. 255 Ayse Kadioglu (2001): „Die Leugnung des Geschlechts: Die türkische Frau als Objekt in großen Gesellschaftsentwürfen.“ In: Barbara Pusch (Hg.): Die neue muslimische Frau. Standpunkte & Analysen. Istanbul/Würzburg, 31-50, 42-43. 256 Barbara Pusch (2003): „Neue muslimische Frauen in der Türkei. Einblicke in ihre Lebenswelt.“ In: Mechthild Rumpf; Ute Gerhard; Mechthild M. Jansen (Hg.): Facetten islamischer Welten. Geschlechterordnung, Frauenund Menschenrechte in der Diskussion. Bielefeld, 242-256, 251.

93

Parteien – allen voran die Refah-Partei (RP) und ihre Nachfolgerin, die Partei der Tugend (FP) – wussten geschickt die gläubigen, türkischen Frauen für ihre Interessen zu gewinnen. Durch die Scha ffung von Frauenorganisationen konnte die RP Frauen unterschiedlichster Herkunft und Stellung vereinen. So konnten sie einerseits einfache Hausfrauen anatolischer Herkunft, die keinen Bezug zu politischen Aktivitäten hatten, und andererseits Studentinnen, die für ihr Kopftuch kämpften, zusammen bringen. Die geschickte Strukturierung in Frauenkomitees und –räte hatte nicht nur die Parteiarbeit zur Funktion, sondern bildete zugleich ein Netzwerk, in dem sich Gleichgesinnte austauschen konnten. Die Partei sorgte für die notwendigen Kinderbetreuungs- und Spielplätze für die Zeit, in der die Frauen ihrer Arbeit für die RP nachgingen. Somit gab die RP Frauen die Möglichkeit, ein Leben außerhalb der Familienstrukturen zu führen, das Gelegenheit zum Austausch bietet, und zugleich im Rahmen der Traditionen, die meist anatolischen Ursprungs waren, zu bleiben. Dabei kam es nicht nur auf religiöser Ebene zu Re-Interpretationen, sondern auch im gesellschaftlichen Bereich. Es wurden von den „ne uen frauenbewussten Musliminnen“ auch Themen wie das Recht auf Berufstätigkeit und Bildung oder die Rolle des Mannes im Haushalt und bei der Kindererziehung, diskutiert. 257 Die Partei schaffte es so, innerhalb von weniger als ze hn Jahren alleine in Istanbul mehr als 370.000 weibliche Mitglieder zu rekrutieren. Durch ihre Aktivitäten stellten die Frauen der RP nicht nur eine neue und unerwartet starke politische Kraft dar, sondern es wurde auch die Entstehung des neuen Bildes der türkischen neuen muslimischen Frau unterstützt. 258 Wenn die parteipolitische Arbeit der Frauen auch maßgeblich zum Erfolg der RP beitrug, so konnte dennoch keine von ihnen eine führende Rolle innerhalb der Partei übernehmen. Erst mit der Nachfolgeorganisation FP gelang es drei Anhängerinnen dieser Partei, ins Parlament gewählt zu werden. Sie repräsentierten jedoch nicht die weibliche Parteibasis, da nur eine von ihnen das für die „neuen Musliminnen“ typische Kopftuch trug.

259

Die islamische Bewegung bemühte sich nicht nur über Parteiarbeit, Frauen ihre Botschaft zu vermitteln. Während vor 1980 Frauenfragen lediglich von den AnhängerInnen des Kemalismus behandelt wurden, versuchten in den letzten 25 Jahren auch islamistische Gruppierungen Türkinnen für ihre Position zu gewinnen. Einflussmöglichkeiten ergaben sich 257

Barbara Pusch (2003): „Neue muslimische Frauen in der Türkei. Einblicke in ihre Lebenswelt.“ In: Mechthild Rumpf; Ute Gerhard; Mechthild M. Jansen (Hg.): Facetten islamischer Welten. Geschlechterordnung, Frauenund Menschenrechte in der Diskussion. Bielefeld, 242-256, 251. 258 Sibel Eraslan (2001): „Das politische Abenteuer islamistischer Frauen in der Türkei.“ In: Barbara Pusch (Hg.): Die neue muslimische Frau. Standpunkte & Analysen. Istanbul/Würzburg, 51-66, 51-61. 259 Barbara Pusch (2003): „Neue muslimische Frauen in der Türkei. Einblicke in ihre Lebenswelt.“ In: Mechthild Rumpf; Ute Gerhard; Mechthild M. Jansen (Hg.): Facetten islamischer Welten. Geschlechterordnung, Frauenund Menschenrechte in der Diskussion. Bielefeld, 242-256, 249.

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über die Medien wie das Fernsehen und spezielle Frauenzeitschriften. Thematisiert wurden Segmente der weiblichen Rolle wie Mutterschaft und Kindererziehung oder ihre Rolle als gläubige Muslimin. In allen Bereichen wurde versucht, einerseits den Konnex zur islamischen Religion und Tradition herzustellen und andererseits auf die modernen frauenrechtlichen Fragestellungen einzugehen. So sah man höhere Bildung nicht mehr als ein Vorrecht der Männer an. Um eine gute Partnerin und Mutter sein zu können, wird den Frauen von den IslamistInnen eine gute Ausbildung empfohlen. Berufstätigkeit hingegen wird nur dann akzeptiert, wenn es die finanzielle Lage notwendig macht und die islamischen Regeln, wie beispielsweise Kleidungsvorschriften, eingehalten werden können. Ein weiteres „modernes“ Frauenthema, dessen sich IslamistInnen angenommen haben, ist die ungleiche Stellung der Geschlechter in der Gesellschaft. Das islamische Argument lautet allerdings, dass die körperlichen und psychischen Unterschiede eine Gleichberechtigung im Islam nicht möglich machen. In der islamischen Religion herrscht stattdessen Gerechtigkeit, was für Frauen mehr bedeute, da sie nur so wirklich geschützt werden könne. In der Rolle als gute Mus limin obliegt ihr außerdem die Verbreitung des Islams, was sie auch außerhalb des Hauses erledigen kann, solange sie wiederum die islamischen Vorschriften einhält. 260 Die veränderte Stellung, die nun den Frauen und Frauenthemen zukommt, bedeutet allerdings nicht zugleich mehr Freiheiten im Leben türkischer Frauen. Die Möglichkeiten, innerhalb derer sich das Leben der Türkinnen abspielen soll, werden durch Verbote oder Gebote betreffend Mode, Freizeitaktivitäten, Berufstätigkeit, Sexualität oder Verhalten in der Gesellschaft eingeengt. Die thematisierten Bereiche der IslamistInnen betreffend die Rolle der Frau sehen die Türkin auch weiterhin in einer patriarchalisch-dominierten Welt, in der sie ihren Platz im Haus hat. Die modernen Ansätze, die ihnen laizistische Bildung zugestehen, reichen allerdings nicht soweit, um auch nur annähernd von einer Aufwertung des islamischen Frauenbildes sprechen zu können. Das Kleidungsstück, das islamische Frauen in ihrer gesellschaftlichen Stellung herabsetzt, das Kopftuch, ließ in der Türkei eine sehr kontroversielle Diskussion aufkommen, weshalb im Folgenden kurz auf die türkischen „Kopftuchstudentinnen“, den weiblichen Vertretern des Islamismus, eingegangen werden soll.

260

Feride Acar (1991): „Was die islamische Bewegung für Frauen so anziehen macht. Eine Untersuchung über Frauenzeitschriften und eine Gruppe von Studentinnen.“ In: Aylâ Neusel, Sirin Tekeli, Meral Akkent (Hg.): Aufstand im Haus der Frauen. Frauenforschung aus der Türkei. Berlin, 73-92, 74-81.

95

3.2.3.2.1.

„ Die „Kopftuchstudentinnen“

Neben der Stellung der Schulen für Vorbeter und Prediger war die Kopftuchfrage, ausgehend von den IslamistInnen, in den letzten Jahrzehnten das wichtigste religionspolitische Thema in der Türkei. Vor allem die Kopftuchstudentinnen machten auf sich aufmerksam, da sie sich in ihrem Recht auf religiöse Freiheit beschnitten fühlten, weil es ihnen verboten war, die Kopfbedeckung zu tragen. In der Türkei bestehen in öffentlichen Gebäuden gewisse Kleidungs- und Erscheinungsvorschriften. Bärte, Miniröcke, zu weit ausgeschnittene Kleider und Kopftücher sind dabei verboten. Während man die Regelungen bezüglich Rocklänge und Ausschnittsgröße bei Frauen nicht so ernst nahm, blieb das strikte Kopftuchverbot bestehen. 261 Der Grund dafür lag einfach in der Bedeutung der Kopfbedeckung, die einen religiösen Hintergrund vermuten ließ. Verboten wird das Tragen des Kopftuchs Schülerinnen, Studentinnen und Staatsbeamtinnen in den Schulen, Universitäten und öffentlichen Gebäuden. Mit der zunehmenden Re-Islamisierung wird das Kopftuch wieder häufiger getragen. Die Wiedereröffnung der Imam-Hatip-Schulen war ein Schritt in diese Richtung. Da diese Schulen mittlerweile weit verbreitet sind und auch regen Zustrom erha lten, gehören nun auch Mädchen in islamischer „Schuluniform“ – dem türban – zum alltäglichen Straßenbild. Die Zulassung von Imam-Hatip-AbsolventInnen zu Universitäten brachte auch das Problem der kopftuchtragenden Studentinnen mit sich, da diese nicht bereit waren, ihre religiös begründete Bedeckung abzulegen. 1968 kam es erstmals zu einem Aufstand gegen die herrschende Kleiderordnung, der sich allerdings nicht ausweitete, zumal sich die Regelungen nicht explizit auf das Kopftuch bezogen. Erst 1981 wurde diese Art der Kopfbedeckung ausdrücklich verboten. Schon bald darauf wurde die Kopftuch-Debatte von den gläubigen und immer mehr politisierten MuslimInnen losgetreten. Sie forderten, beeinflusst von der Iranischen Revolution, auch in der öffentlichen Ordnung die Möglichkeit der Einhaltung religiöser Regeln. 262 Somit wurde die Frage des türban auf eine politische Ebene gestellt. Ende der achtziger Jahre kam es zu Regelungen, die die Auslegung des Verbotes den zuständigen Behörden überließ und nicht mehr einen Ausschluss oder die Entlassung, sondern lediglich einen Disziplinarverweis zur Folge hatte. Mit dem Erstarken der islamistischen Parteien und dem Machtgewinn der RefahPartei wurde 1996 eine Gesetzesnovelle vorgeschlagen, die das Kopftuchverbot aufheben sollte. Ein Gesetz wurde daraus allerdings nicht. Statt dessen wurden die bestehenden Gesetze 261

Heinz Käufeler (2002): Das anatolische Dilemma. Weltliche und religiöse Kräfte in der modernen Türkei. Zürich, 305. 262 Ece Göztepe (2004): „Die Kopftuchdebatte in der Türkei. Eine kritische Bestandsaufnahme für die deutsche Diskussion.“ Aus Politik und Zeitgeschichte, B 33-34/2004, 32-38, 34-35.

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und Bestimmungen vom türkischen Verwaltungsgerichtshof im Hinblick auf die Einhaltung des laizistischen Grundsatzes im Sinne eines Kopftuchverbotes interpretiert. 263 Auf Rektorenkonferenzen wurde dann die konsequente Umsetzung des Verbots des Kopftuches in Universitäten beschlossen. Während die islamistische Bewegung vor 1980 ihre SympathisantInnen eher in ländlichen Gegenden und nicht unbedingt am Universitätscampus gefunden hat, zählt sie mittlerweile sehr wohl auch Intellektuelle zu ihren Mitgliedern. Dazu gehören auch die Studentinnen, die ihr Kopftuch tragen. Sie bilden die gebildete Elite der IslamistInnen, wenn sie auch aus einfachen Verhältnissen stammen und in traditionell lebenden Familien aufgewachsen sind. 264 Meist kommen sie aus anatolischen Familien und haben zum Großteil eine Imam-HatipSchule besucht, in der sie auch eine islamische Ausbildung erhielten. Zu finden waren sie anfangs lediglich in den Großstädten, wo sie Demonstrationen und Aktionen durchführten, um auf ihr Recht der Religionsausübung aufmerksam zu machen. Von den Universitäten wurden sie mittlerweile verdrängt, sofern sie sich weigerten ihr Kopftuch abzunehmen. „Ihr habt mir mein Kopftuch genommen, aber das Kopftuch in meinem Kopf könnt ihr mir nicht nehmen.“265 Diese Aussage zeigt jedoch, dass die Überzeugungsarbeit der islamistischen Kräfte bei jungen Menschen zum Teil erfolgreich ist.

Fest steht, dass die Kopftuch-Frage die Türkinnen und Türken in ihrer Meinung gespalten hat. Die BefürworterInnen des türbans stützen sich auf das Recht der freien Religionsausübung und sehen eine Menschenrechtsverletzung im Verbot. Sie sehen die Verhüllung der Frau als ein Gebot Gottes, das einer gläubigen Muslimin nicht verwehrt bleiben darf. 266 Eine andere Rechtfertigung für die Aufhebung des Verbots ist für sie das Recht auf Bildung, das türbanSchülerinnen und –Studentinnen nicht gewährt wird. Die GegnerInnen des Kopftuches geben sich liberaler und moderner in ihrer Religionsauffassung und betonen die Rechte der Frau. Sie sehen im Kopftuch ein Zeic hen des Sexismus, das die Frau alle ine auf ihren Körper reduziert und das die Rollenverteilung zwischen Mann und Frau nur noch verstärkt. Die Kopfbedeckung, die den Mädchen und Frauen „aufgezwungen“ wird, ist ein Zeichen dafür, 263

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dass dem Mann innerhalb der Familie und der Gesellschaft eine beherrschende Stellung zugestanden wird. 267 Der Ansicht, dass das Kopftuchverbot positiv ist, sind jedoch nur 7,7 Prozent der Türkinnen und Türken. 268 Auch dies ist eine Tatsache, die zeigt, dass die Religion in der Türkei eine große Rolle spielt. 3.2.3.3.

Zusammenfassung

Die Schaffung der rechtlichen Rahmenbedingungen, die islamistische Kräfte zu mehr Einfluss verholfen haben, hatte auch Auswirkungen auf einen Teil der türkischen Frauen. Während Säkularistinnen nicht direkt vom Machtgewinn der islamistischen Gruppierungen betroffen sind, brachte der Islamismus für gläubige Türkinnen Veränderungen mit sich. Diese bezogen sich nicht auf rechtliche Einschränkungen, sondern waren sozio-kultureller Natur. Das vorhandene Potential von gläubigen Musliminnen wurde zuerst freigesetzt und dann systematisch ausgebaut. Im Ergebnis werden die Türkinnen sowohl in ihren öffentlichen als auch in ihren privaten Aktivitäten eingeschränk t. Die Folge der türkischen Re-Islamisierung ist eine Veränderung hin zu einer Gesellschaft, in der die Frau wieder vermehrt einer Kontrolle ausgesetzt ist.

267

Günther Lachmann (2004): Tödliche Toleranz. Die Muslime und unsere offene Gesellschaft. München/Zürich, 147. 268 Sabine Küper-Basgöl (1992): Frauen in der Türkei zwischen Feminismus und Reislamisierung. Münster/Hamburg, 237.

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4.

Resümee

Die Türkei hat im vergangenen Jahrzehnt durch die Unterzeichnung und Ratifizierung von internationalen Menschenrechtsabkommen und durch Gesetzesänderungen die formale Menschen- und Frauenrechtslage auf europäischen Standard gebracht. Die Möglichkeit zum Beitritt zur Europäischen Union mag dabei wohl mit ein Grund für die Reformen gewesen sein. Die Verletzung von Frauenrechten stellt jedoch bis heute ein Problem in der Türkei dar. Die Umsetzung der Gesetze lässt in den Bereichen Arbeit, Bildung, politische Beteiligung und Vermeidung von Gewalt nach wie vor zu wünschen übrig und zeigt, dass die reale Situation der türkischen Frauen nicht der formalen Gesetzesla ge der Türkei entspricht.

Was die Einhaltung der Frauenrechte betrifft, so lässt sich ein klares West-Ost-Gefälle feststellen. Die Türkei ist ein von intra- nationalen Unterschieden geprägtes Land, das zum einen aus europäisch denkenden und gebildeten Menschen besteht, die zum überwiegenden Teil in den Städten leben, und zum anderen aus der ländlicheren Bevölkerung stammt, die wenig Zugang zu Bildung hat und wirtschaftlich schlechter gestellt ist. Wenn die Bedeutung der einen Seite dieses „türkischen Dualismus“269 , der vor allem aus der ländlich-bäuerlichen Türkei besteht, auch im Abnehmen begriffen ist, so prägt diese Gegensätzlichkeit dennoch das Land und mit ihm das Denken über die Rechte von Frauen innerhalb der Bevölkerung.

Die Stadt- Land-Differenzierung macht sich im Leben der Frau noch stärker bemerkbar. Während für städtische junge Frauen meist ein Schulabschluss und eine anschließende Tätigkeit als Hausfrau, Mutter und Ehefrau vorgesehen sind, wird Mädchen aus ländlichen Regionen

oft

eine

gute

Bildung

verwehrt,

da

ihre

Arbeitskraft

im

elterlichen

Landwirtschaftsbetrieb benötigt wird. Ohne Ausbildung bleibt den jungen Frauen nur die Heirat und die Gründung einer Familie übrig. Die Familienform, in der der Großteil der städtischen und ländlichen Familien lebt, ist die der Kernfamilie. Durch die Veränderungen der Strukturen der Familie in den letzten Jahrzehnten, die den Anteil der türkischen Großfamilien reduzierte, konnten Frauen vermehrt der patriarchalischen Familienordnung entfliehen. Die Struktur der heutigen türkischen Familie lässt eine Umsetzung der Frauenrechte und gleichberechtigte Stellung von Frau und Mann durchaus zu. Das Problem liegt daher nicht in der Familienform, sondern in der patriarchalischen und im Islam verwobenen Tradition, nach der die türkische, vor allem ländliche, Bevölkerung lebt. 269

Yahya Sezai Tezel (2000): „Gefangen zwischen Demokratie und Autoritarismus. Staat und Gesellschaft in der heutigen Türkei.“ Internationale Politik, 55 (11), 1-10, 9.

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Der Islam stellt einen weiteren mächtigen gesellschaftlichen Faktor dar. Mit den Reformen Atatürks wurde versucht, eine säkulare Türkei zu schaffen, in der die Religion völlig in den privaten Bereic h verbannt ist. Mittlerweile ist vom Säkularismus der zwanziger Jahre des vorigen Jahrhunderts nicht mehr viel übrig geblieben. Mit der zunehmenden Re-Islamisierung des Landes kam es zu wachsendem Einfluss der IslamistInnen auf die Gestaltung der Politik. Die Taktik der islamistischen Bewegungen, die staatlichen Institutionen langsam zu unterwandern, war erfolgreich und geeignet, gesellschaftsprägende Institutionen wie beispielsweise das Schulwesen in ihrem Sinne zu verändern.

Die zunehmende Re-Islamisierung und der Aufstieg der IslamistInnen in der Türkei haben dazu geführt, dass sich auch das Idealbild der türkischen Frau verändert hat. Während die kemalistische Führung in einer vorbildlichen Türkin eine Frau sieht, die westliche Kleidung trägt, gut gebildet ist und einem Beruf nachgeht, wird von den IslamistInnen ein Frauenbild vertreten, das als die Hauptaufgaben einer Frau die islamische Erziehung der Kinder sowie die Rolle der Ehefrau und Muslimin sieht. Durch die Verbindung von Moderne und Tradition schafft es die islamistische Bewegung, AnhängerInnen in der Türkei zu finden. Wenn die extreme Vertretung der islamistischen Bewegung auch ihre Forderungen nicht durchsetzen kann, so darf man nicht vergessen, dass ein nicht unbeachtlicher Teil der Bevölkerung sich für die Einführung eines Gottesstaates ausspricht. Das Frauenbild der islamistischen Bewegung ist das einer kopftuchtragenden Türkin, die folgsam den Glauben des Islams lebt und sich der patriarchalischen Ordnung unterordnet. Die ihr zugestandenen Rechte sind im Sinne eines westlichen Frauenrechtsverständnisses nicht als solche zu bezeichnen. Deswegen ist auch die Umsetzung von Frauenrechten in der Türkei unter anderem vom Einfluss der Religion auf die Gesellschaft gefährdet. Die Religion ist in der Türkei nicht mehr auf den privaten Bereich beschränkt. Die IslamistInnen können ihre Ansichten zwar nicht öffentlich kundtun und ihren Einfluss auch nicht unmittelbar ausspielen. Dennoch teilt ein nicht unbeachtlicher Teil der Bevölkerung ihre Meinung.

Mit der Gründung der türkischen Republik und den kemalistischen Reformen standen den türkischen Frauen mit einem Schlag Rechte zu, für die sie zur Zeit des Osmanischen Reiches, bedingt durch die islamische Religion, hart hatten kämpfen müssen. Diese großen Schritte in Richtung formaler Gleichberechtigung überforderten die türkische Gesellschaft und tun dies 100

bis heute. Die radikale Veränderung der rechtlichen Stellung der Frau hatte nicht die gewünschten Auswirkungen auf ihre gesellschaftliche Stellung. Sei es im privaten Bereich oder in der Öffentlichkeit – die Vorherrschaft patriarchalisch geprägter Strukturen im Land und der Islam haben eine völlige Gleichberechtigung zwischen Frau und Mann bislang verhindert.

Um Menschenrechte und somit Frauenrechte in der Türkei einhalten zu können, muss sich das Wertesystem verändern, das der Diskriminierung zugrunde liegt und in dem die Ungleichbehandlung der Geschlechter vertreten wird. Die türkische Gesellschaft befindet sich mittlerweile in einem Wandel, der die alten Strukturen aufbrechen lässt und die Diskrepanzen überwinden muss. Die Möglichkeit des EU-Beitritts, der eine ständige Überprüfung der Situation der Menschenrechte in der Türkei zur Folge hat, ließ Fortschritte im Frauenrechtsbereich erkennen. Von türkischen PolitikerInnen wurde teilweise versucht, das Bewusstsein der Bevölkerung für Menschen- und Frauenrechte zu stärken. Nur so kann es längerfristig gesehen zu einer gleichberechtigten Stellung von Frau und Mann in der türkischen Gesellschaft kommen. Rein vom frauenrechtlichen Standpunkt aus, wäre es somit den Türkinnen zu wünschen, dass ihr Land den Sprung in die Europäische Union schafft.

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5.

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