Die Demokratisierung des Geigerzählers Strahlenmessgeräte in privater Hand*

August 26, 2016 | Author: Insa Beutel | Category: N/A
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1 1 Die Demokratisierung des Geigerzählers Strahlenmessgeräte in privater Hand* Dipl.Phys. Jürgen Putzger...

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Die Demokratisierung des Geigerzählers – Strahlenmessgeräte in privater Hand* Dipl.Phys. Jürgen Putzger, Fakultät Physik, Universität Regensburg**

1.Warum private Strahlenmessgeräte ? Besitzer von privaten Strahlenmessgeräten lassen sich in zwei Gruppen unterteilen: a) Besorgte Bürger: Schutz der eigenen Gesundheit, Misstrauen gegenüber amtlichen Messwerten. Auch Mineraliensammler wollen ihre Stücke auf Radioaktivität überprüfen. b) Bastler: Das Unsichtbare sichtbar machen. Interesse an der Messtechnik und dem Selbstbau wobei natürlich auch jemand sich ein Gerät bauen kann, um sich damit zu schützen.

2. Kommerzielle Geräte 2.1 Der Volksgeigerzähler Die Sorge um radioaktive Belastung von Umwelt und Nahrungsmitteln entstand erstmals mit dem Fallout der Kernwaffentests der 50er Jahre. Zudem wurde eine Bedrohung mit einem möglichen Atomkrieg der Supermächte empfunden. Die Bundesrepublik Deutschland reagierte mit der Einrichtung des Strahlenschutzes im Zivilschutz. Ein Teil der Politiker forderte die Ausrüstung der Bevölkerung mit Strahlenmessgeräten zum persönlichen Gebrauch, der „Volksgeigerzähler“ war im Gespräch [1, S.190].

Entsprechende Geräte waren in der Entwicklung. Sie sollten preisgünstig,

einfach in der Bedienung und sicher gegen Fehlinterpretationen sein. Ein Beispiel, wie so ein Gerät hätte aussehen können, ist das „ATOMETER TOTAL 6122“ (Abb. 1). Es ist auf einfache Bedienbarkeit und Robustheit ausgelegt. Die Empfindlichkeit des Gerätes ist gering aber ausreichend, um eine hohe Gammastrahlungsintensität zu erkennen, die zu Gesundheitsschäden führen könnte. Zur Prüfung von Nahrungsmitteln auf Kontamination ist ein derartiges Gerät nicht geeignet. Besonders sinnvoll erscheint auch eine damals entwickelte Kombination aus Transistorradio und Geigerzähler, man hätte im Fall einer atomaren Katastrophe zugleich die Nachrichten verfolgen können. In den USA wurde eine ähnliche Kombination aus Röhrenkofferradio und Geigerzähler von 1956 bis 1960 unter dem Namen Prospector U235 [2] vom Hersteller Sylvania vertrieben. Der Name weist aber auf eine ganz andere Einstellung dem „Atom“ gegenüber hin: Nicht der Strahlenschutz, sondern die Prospektion auf Uranlagerstätten durch Amateure war die propagierte Anwendung. Dies schließt aber die Verwendung im nuklearen Katastrophenfall nicht aus. * Vortrag auf dem 62. Radiometrischen Seminar Theuern, ** [email protected]

2 Abb. 1

Das „ATOMETER 6122“ der Firma TOTAL,

Ladenburg,

entsprach

den

Vorstellungen

von

einem

„Volksgeigerzähler“: Bereiche 0-150mR/h (=1,5 mSv/h) und 0-15 r/h (=0,15Sv/h). Einfache Bedienung, Markierung der Skala in grün/gelb/rot als Interpretationshilfe. Der Hersteller empfahl, sich nicht zu lange im verstrahlten Gebiet aufzuhalten, wenn sich der Zeiger im gelben Bereich befindet

und

beim

schnellstmöglich

roten

zu

Bereich

das

verlassen.

Gelände

Eine

kurze

Bedienungsanleitung ist unverlierbar auf der Rückseite des Geräts aufgeklebt. Die Stromversorgung mit einer einzigen gängigen Babyzelle erleichtert die Aufrechterhaltung der Einsatzbereitschaft.

Das

Gerät

hat

ein

kleines

energiekompensiertes Zählrohr mit einem Nulleffekt von zwei

Impulsen

angeschlossen

pro werden

Minute. zur

Ein

Kopfhörer

Abschätzung

kann

geringer

Strahlungsintensitäten.

Der Volksgeigerzähler war umstritten. Strahlenschutzexperten warnten vor einer möglichen Panik bei der Interpretation der Werte durch Laien. Strahlenschutzphysiker des Kernforschungszentrums Karlsruhe antworteten auf einen Zeitungsbericht über

den Volksgeigerzähler: „Selbst so seriöse

Zeitschriften wie die FAZ bringen manchmal Nachrichten über „Volksgeigerzähler“, bei deren Lesen es dem Strahlenschutzfachmann mehr graust als vor der Radioaktivität. Um alles zuverlässig zu messen, was hier durch einfaches „abhorchen“ mit dem Volksgeigerzähler erfasst werden soll, … dafür benötigt die Strahlenmessabteilung des Kernforschungszentrums Karlsruhe mehrere Labors…“ [1, S. 195]. Die Furcht vor einer Panik führte dazu, dass man zum Beispiel 1953

in einer Sitzung im

Innenministerium beschloss, nicht die gesamte Bevölkerung sondern nur Luftschutzeinsatzkräfte mit Dosimetern auszustatten, die der Träger aber nicht selbst ablesen konnte [1, S. 120]. Dies erweckte den Eindruck, dass es unerwünscht sei, wenn der Bürger seine Strahlenbelastung selbst in Erfahrung bringen kann. Der Besitz eines Geigerzählers war aber nie verboten. Per Gesetz ACC25 untersagte der alliierte Kontrollrat 1946 den Deutschen zwar Forschung auf dem Gebiet der „angewandten Kernphysik“,

reine Forschung und Anwendungen in der Medizin waren aber gestattet. Das Verbot

wurde im Rahmen des „Deutschlandvertrags“ am 26. Mai 1952 aufgehoben, mit der Wiedererlangung der Souveränität Deutschlands 1955 wurde die Nutzung der Kernenergie sogleich in Angriff genommen. Bereits 1957 wurden von der westdeutschen Industrie rund 50 Zählrohrtypen produzierte [3, S. 86]. Nur waren die kompletten Geräte für den Privatmann eine erhebliche Investition, ein Geigerzähler kostete 1957 in etwa ein Monatsgehalt [4] das nur wenige dafür auszugeben bereit waren. Staatlich subventionierte „Volksgeigerzähler“ kamen letztendlich nicht auf den Markt, so dass die Verbreitung von Geigerzählern in der Bevölkerung gering blieb.

3 2.2 Geräte im Handel Mit dem Stop der oberirdischen Kernwaffentests 1963 erlahmte das Interesse an privaten Geigerzählern wieder. Nach jeder Reaktorhavarie schnellt es jedoch in die Höhe. Ich hatte mir im Jahr 1980 als Zwanzigjähriger selbst einen einfachen Geigerzähler mit einem kleinen Zählrohr ZP1310 nach einer Anleitung der Zeitschrift „ELO“ [5] gebaut, aus Interesse an der Messtechnik und um Mineralien zu prüfen. Mit wenig Hoffnung etwas Ungewöhnliches zu messen, ging ich 1986 nach der Reaktorkatastrophe von Chernobyl in den Garten und staunte nicht schlecht, als die Zählrate ein Vielfaches vom gewohnten Untergrund war. Vor allem wo sich Regenwasser gesammelt hatte, war ein heftiges Ticken zu vernehmen.

Im Besitz eines Messgerätes befanden sich damals nur wenige

Privatleute, die enorme Nachfrage war nicht zu befriedigen. Dies ging so weit, dass der Geigerzähler aus dem physikalischen Praktikum an der Universität Regensburg entwendet wurde. Der Handel reagierte mit einiger Verzögerung auf die gestiegene Nachfrage. Es kamen viele ausgemusterte Geräte aus militärischen Beständen wie das FH40T auf den Markt (Abb. 2). Entsprechend ihrem Verwendungszweck war die Empfindlichkeit jedoch zu gering, um damit sinnvoll zum Beispiel Nahrungsmittel zu prüfen. Interessanterweise kamen ausgerechnet aus Russland fortschrittlichere preiswerte Geräte wie das Belvar RKSB-104 "Radian“ zu uns (Abb. 3), und wurden über die HobbyElektronikläden vertrieben. So wie die Radioaktivität abklingt, klingt im Anschluss an jeden Störfall dann aber auch das Interesse an Messgeräten wieder ab. Zuletzt schnellte die Nachfrage 2011 in Folge des Fukushima-Unglücks wieder in die Höhe, ein Hersteller berichtete über 700 Gerätebestellungen pro Tag [6], eine Verzwanzigfachung der Nachfrage.

Abb. 2

Das FH40T wurde von Frieseke und Höpfner ab

1962 für die Bundeswehr Chernobyl

in

den

gebaut und kam nach

Gebrauchtgeräte-Handel.

Die

Abb. 3

Das

RKSB-104,

Chernobyl-Unfall

für

ca.

Hobbyelektronik-Handel. und

kam 100 Es

ein

nach DM besitzt

in

dem den zwei

Gerätesätze mit Zubehör im Koffer wurden für ca. 100

Zählrohre

DM abgegeben.

Das Gerät hat die Betriebsarten

Energiekompensationsfilter (rechts neben dem

abnehmbares

Beta+Gamma-Nachweis und Gamma-Ortsdosisleistung

Gerät). Das Gerät misst Ortsdosisleistung mit

wobei gekoppelt mit dem Messbereichsumschalter ein

zwei festen Messzeiten oder addiert fortlaufend

Energiefilter vorgeschaltet wird.

die Dosis auf.

4 Einen wesentlichen Wandel in der Versorgung mit Geräten brachte das Internet. Im Internethandel ist ein breites Angebot an neuen und gebrauchten Strahlenmessgeräte zu finden. Allerdings können die Erwartungen der Käufer nicht immer erfüllt werden. Die Untersuchung von Nahrungsmitteln mit einem einfachen Geigerzähler ist mangels Empfindlichkeit und Kalibrierung kaum möglich.

2.3 Die Kalibrierung Von offiziellen Stellen werden Angaben der Ortsdosisleistung in Mikrosievert pro Stunde (µSv/h) oder Aktivitäten von Nahrungsmitteln in Bequerel pro Kilogramm (Bq/Kg) veröffentlicht. Der Besitzer eines privaten Gerätes möchte natürlich seine Messwerte damit vergleichen, das ist aber meist nicht möglich. Zunächst einmal muss berücksichtigt werden, auf welche Strahlenarten (Alpha/Beta/Gamma) die Geräte überhaupt reagieren. Die meisten Geräte reagieren auf Beta- plus Gammastrahlung, manche mit Endfensterzählrohr auch auf Alphastrahlung. Um die Gamma- Ortsdosisleistung in µSv/h anzeigen zu können, ist eine Energiekompensation durch ein Filter nötig. Niederenergetische Strahlung löst mit höherer Wahrscheinlichkeit Impulse im Zählrohr aus, als die durchdringende hochenergetische Gammastrahlung. Daher muss die niederenergetische Gammastrahlung durch ein Filter abgeschwächt werden, damit sie für die Dosis nicht überbewertet wird. Militärische Geräte haben in der Regel eine solche Energiekompensation. Auch das RKSB-104 hat ein abnehmbares Energiefilter in der Rückwand. Aber viele Geräte haben dieses nicht. Die Folge ist eine viel zu hohe Sensitivität für niederenergetische Strahlung wie Tabelle 1 zeigt: Gerät

a) Untergrund

b) Am-241

c) Quotient b/a

µSv/h

µSv/h

normiert auf 1.)

1. Automess 6150 AD 6/E

0,35

0,45

1,0

2. Thermoscientific RadEye PRD

0,3

0,35

0,9

3. Belvar RKSB-104

0,5

0,65

1,0

4. GMC 300E plus

0,3

1,8

4,7

Tab.1 Messwerte verschiedener Geräte in Abhängigkeit von der Gamma-Energie. Bei der erhöhten Ortsdosisleistung a) in einer Mineraliensammlung differieren die „Hobbygeräte“ 3 und 4 erfreulich wenig von den „Profigeräten“ 1 und 2. Im Fall b) der niederenergetischen Gammastrahlung eines Am241 Präparates zeigt sich die fehlende Energiekompensation des GMC-300E durch einen rund 5-fach überhöhten Wert der Ortsdosisleistung. Abb. 4 Das GMC-300E Plus ist ein Gerät am unteren

Ende

Schnittstelle.

der

Preisskala

mit

USB-

Seine

Software

bietet

viele

Möglichkeiten wie freie Wahl der Messzeit und Datalogging. Das Zählrohr ist jedoch wie bei vielen Hobbygeräten nicht energiekompensiert.

5 Als Kompromiss werden die preisgünstigen Geräte ohne Energiekompensation in der Regel für das bei Reaktorkatastrophen typische Cs-137 kalibriert und hier auch nur Muster der Serie. Man nimmt an, dass der Kalibrierfaktor dann für die ganze Serie anwendbar ist. Für deutlich von der 662 keV-Linie des Cs-137 abweichende Gammaenergien muss mit größeren Messfehlern gerechnet werden. Praktisch unmöglich ist es, mit einem Handgerät die Bequerel pro Kilogramm in Nahrungsmitteln anzugeben. Hierzu ist eine Kalibrierung in einer definierten räumlichen Anordnung zwischen Probe und Messgerät für ein bestimmtes Isotop nötig. Eine Beschriftung einer Anzeige, die Impulse pro Sekunde zeigt, in Bequerel, wie schon vorgekommen, ist völlig irreführend. Der Anspruch in den offiziellen Einheiten messen zu können, ist bei Hobbygeräten vielleicht zu hoch gegriffen. Um feststellen zu können, ob eine erhöhte Aktivität in der Umwelt vorliegt, genügen Relativmessungen. Man misst an einigen Stellen seiner Umgebung und notiert sich die Messwerte um sie im Zweifelsfall vergleichen zu können. Wichtiger als der absolute Zahlenwert ist die Reproduzierbarkeit. Selbst wenn das Gerät eine korrekte Kalibrierung besitzt, ist deren regelmäßige Kontrolle mit einem Prüfstrahler erforderlich. Es genügt ein umgangsgenehmigungsfreier Strahler, zum Beispiel ein Stück Uranglas oder Keramik mit Uranglasur. Dieser muss vor Aufnahme des Messbetriebs immer an die gleiche Stelle des Gerätes gehalten werden, und stets die gleiche Anzeige reproduzieren, damit man sicher sein kann, dass das Gerät in Ordnung ist. Abzuraten ist von Mineralien, da sie Radioaktivität in Form von Abrieb oder Radonemanation freigeben.

2.4 Ratschläge für den Kauf Worauf sollte man nun beim Kauf eines Gerätes achten ?

Das richtet sich nach dem

Verwendungszweck und dem Geldbeutel. Will man eher ein Ortsdosisleistungsmessgerät oder einen Kontaminationsmonitor für Nahrungsmittel und Oberflächen? Im ersteren Fall ist ein Energiefilter und Kalibrierung wichtig,

im zweiten Fall eine hohe Nachweisempfindlichkeit und möglichst auch

Alphaempfindlichkeit. Einen Vergleich zweier typischer Vertreter dieser Geräteklassen bietet der Report „Gammascout versus Inspector“ von Bernd Laquai [7]. Die

Messzeit

sollte

nicht

fest

vorgegeben

sondern

frei

vorwählbar

sein,

denn

die

Nachweisempfindlichkeit lässt sich über eine längere Messzeit (geringere statistische Schwankung) eigentlich beliebig steigern (siehe Beispiel in 3.2). Moderne Geräte haben häufig Zusatzfunktionen wie Datenlogger zur Aufzeichnung von Langzeitmessungen und Computerkopplung zum Auslesen der unterwegs gespeicherten Werte. Daneben ist aber nach wie vor ein Ausgang für die Zählimpulse als universeller Datenausgang wünschenswert, die Kopfhörerbuchse kann in der Regel dafür verwendet werden.

6

3. Der Selbstbau 3.1 Die Anfänge, Zeit des Mangels Unabhängig von der Sorge um die eigene Gesundheit ist der Selbstbau von Strahlenmessgeräten ein interessantes Hobby. Das klassische Gerät für den Selbstbau ist der Geigerzähler, dessen Knattern geradezu als der typische „Sound“ des Atomzeitalters empfunden wird. Gerade in der Zeit des Kernwaffen-Fallouts

waren

kommerzielle

Geräte

für

den

Privatmann

unerschwinglich,

Gebrauchtgeräte noch nicht auf dem Markt, so dass der Selbstbau oft die einzige Option war. Bereits 1957

erschien

das

Buch

„Atomstrahlen

und

Geigerzähler,

Messen

mit

Industrie-

und

Selbstbaugeräten“ von Heinz Richter [3]. Im Jahr 1962 veröffentlichte die Zeitschrift „Hobby“ eine Bauanleitung für einen „Geigerzähler im Knopfloch“ [8]. Ein Blick auf dessen Schaltung (Abb. 5) verrät uns, wie hier mit einfachsten Mitteln ein Maximum an Effekt erzielt wurde.

Ein kleines Zählrohr

kostete 1957 mindestens DM 50,- [2, S. 203] , ein Transistor kostete ca. DM 30,- Also war man bestrebt die Zahl der Transistoren auf ein Minimum zu beschränken. Der einzige Transistor der Schaltung arbeitet im Hochspannungserzeuger. Damit war eine erstaunliche Miniaturisierung des Gerätes möglich.

Abb. 5

Der „Geigerzähler im Knopfloch“ hatte

eine

einfache

Germaniumtransistor

Schaltung im

mit

einem

Sperrschwinger

zur

Erzeugung der Hochspannung. Einen Verstärker für die Zählrohrpulse gab es nicht. Sie brachten eine Glimmlampe La1 zum Aufblitzen und den Kristallohrhörer Hü1 zum Knacken. Was die besorgte Bürgerin auf dem Titelbild des Artikels wohl gerade hört ?

7

In der Folge erschienen immer wieder Geigerzählerbauanleitungen in den Zeitschriften für Elektronikbastler. Während es bis in die 90er Jahre schwierig war, spezifische Komponenten für Strahlenmessgeräte wie Zählrohre oder Szintillationskristalle und Photomultiplier zu bekommen, bietet heute der Internethandel alles, was früher aufgrund des Preises dem Profi vorbehalten war. Gerade aus den ehemaligen Sowjetrepubliken und Ostblockstaaten ist zu günstigen Preisen ungebrauchter alter Lagerbestand an Detektoren zu bekommen. Aber auch gebrauchte Strahlenmessgeräte aus militärischen Beständen oder aus Laboratorien sind erhältlich. Hinzu kommt die Popularisierung des Microcomputers.

3.2 Der Aufschwung: Microcomputer und Internet Die

Kombination

aus

Microcomputer

und

Strahlungsdetektor

hat

eine

neue

Welle

von

Selbstbauprojekten bei Strahlenmessgeräten hervorgerufen. Über das Medium Internet tauschen die Bastler ihre Schaltpläne und Erfahrungen aus. Besonders populär sind derzeit Geigerzähler auf der Basis des ARDUINO Microcontrollerboards (www.arduino.org). Hierbei handelt es sich um ein modulares System aus Grundplatine und Aufsteckboards, sogenannten „Shields“ für verschiedene Sensoren. Unter anderem kann man ein Geigerzähler-Shield mit einem GPS-Shield kombinieren um die Strahlungsmesswerte der geografischen Position zuzuordnen. Für die Sensoren sind fertige Softwaremodule verfügbar, so dass auch weniger erfahrene Programmierer schnell zum Erfolg kommen. Abb.

6

Arduino

Microcontrollerboard

(unten) und Geigerzähler-Shield der Firma LIBELIUM. Das Geigerzählermodul wird auf die Microcontrollerplatine aufgesteckt. Eine ausführliche Beschreibung wie man damit einen Geigerzähler mit Display realisiert wurde von Bernd Laquai verfasst [9]. Mittlerweile ist eine ganze Reihe von Geigerzähler-Shields auf dem Markt. Private kontinuierlich arbeitende Messstationen können ihre Daten online im Internet veröffentlichen. Zum Beispiel über die Datenbank von www.radmon.org, die sie in einer weltweiten Karte verzeichnet. Auf diese Weise entsteht ein Bürgermessnetz. Der Microcomputer ermöglicht eine qualifizierte Auswertung der Signale mit langer Integrationszeit und mit statistischer Auswertung. Hält man eine Tüte mit 30 g getrockneten Waldpilzen mit 500 Bq/kg Cs-137 (Grenzwert für den Handel: 600 Bq/kg) an den militärischen Geigerzähler FH40T (Abb. 2), so ist weder am gelegentlichen Ausschlag des Zeigers auf der analogen Anzeige noch am Knacken im

8 Ohrhörer

eine

Steigerung

gegenüber

dem

Untergrund

zu

erkennen.

Koppelt

man

den

Ohrhörerausgang über ein Interface mit einem Computer, so lässt sich die Radioaktivität der Pilze eindeutig qualitativ nachweisen:

Anzahl der Impulse von Untergrund und Probe im zeitlichen Verlauf. Der Mittelwert der Probe liegt um 23% über dem Untergrund.

Zeit Unter[Min.] grund 5 21 10 26 15 17 20 22 25 26 30 26 35 24 40 22 45 34 50 18 55 16 60 19 Mittelw. 23 5 σ

Zeit [Min.] 10 15 20 25 30 35 40 45 50 55 60

Probe 29 22 31 32 20 33 27 31 28 42 35 27 30 6

P[%] 63,9 89,5 96,9 90,9 94,4 96,3 89,7 95,3 98,6 99,6 99,8

Wahrscheinlichkeit P für die Hypothese „Probe ist radioaktiv“ als Funktion der Messzeit ermittelt mit dem t-Test für unabhängige Stichproben. Abb. 7 Der Ohrhörerausgang des FH 40T bestückt mit dem Zählrohr FHZ76 (0-1r/h) wurde mit einem dafür angefertigten Kabel über ein USB-Zählerinterface PASPort USB-Link [10], [11] an einen PC gekoppelt. Die Zahl der Impulse wurde in Intervallen von fünf Minuten mit der zugehörigen Software Datastudio aufgezeichnet. Mit den Werten der Umgebungsstrahlung und der Probe wurde ein t-Test nach Student durchgeführt. Er gibt an, mit welcher Wahrscheinlichkeit P sich die beiden Messreihen unterscheiden, die Probe also radioaktiv ist. Für eine Aussage mit hoher statistischer Signifikanz von mindestens 95 Prozent ist eine Messzeit von einer halben Stunde jeweils für Untergrund und Probe nötig.

Dies zeigt, dass auch mit einem unempfindlichen Gerät bei langer Messzeit gesicherte

Aussagen möglich sind.

9 3.3 Über den Geigerzähler hinaus Über den Geigerzähler hinaus ermöglicht die Verfügbarkeit von Szintillationskristallen und Photomultipliern den Bau von Szintillationsdetektoren bis hin zum Gammaspektrometer. Dabei werden gerade von Amateuren fortschrittliche Prinzipien angewendet. Die mittlerweile sehr leistungsfähigen Soundkarten der Computer erlauben es, die Szintillationspulse zu integrieren und die Fläche unter dem Impuls als Maß für die Energie des Teilchens zu werten. Eine teure Multi Channel Analyzer Hardware mit Peakhold-Schaltung ist nicht mehr notwendig. Die als Freeware im Internet erhältliche Software „Theremino MCA“ [12] arbeitet auf diese Weise.

Abb. 8

Die Software „Theremino MCA“ nimmt den

Verlauf der Detektorspannung fortlaufend mit der PCSoundkarte auf. Der Zeitverlauf des Detektorsignals erscheint in der Software in einer Art Oszillogramm. Impulse werden darin erkannt, wenn sie sich um ein einstellbares Maß von der Basislinie (vom Rauschen) abheben. Die Energie des Pulses wird durch Integrieren des Spannungsverlaufs über die Pulsdauer ermittelt. Für eine gute Auflösung des Signals ist eine Soundkarte mit 192 kHz Samplingrate empfehlenswert. Szintillator-Pulse von typisch 10 µs Breite sollten mit einem Pulsformer auf 100 µs verlängert werden.

In Verbindung mit Natriumjodid-Szintillatoren, die gebraucht oder als ungenutzter Lagerbestand erhältlich sind, lässt sich so ein Gammaspektrometer aufbauen, das auch dem Amateur qualifizierte Messungen an Nahrungsmitteln ermöglicht.: Abb. 9 Gammaspektrum der gleichen Pilzprobe wie im Experiment zu Abb.7 aufgenommen

mit

einem

2

Zoll

Natriumjodid-Szintillator in 25 mm Bleiabschirmung.

Das Programm

Theremino MCA ist leistungsfähig, erfordert

aber

sorgfältige

Einstellungen um gute Ergebnisse zu erzielen.

Es

orientiert

sich

an

professioneller Software mit Features wie

zum

Beispiel

einer

Nukliddatenbank. Das Spektrum der Umgebungsstrahlung

ohne

Probe

wurde zuerst gemessen und dann subtrahiert.

10 Neben den die Strahlungsintensität und Energie messenden Geräten sind Detektoren mit Ortsauflösung lohnende Selbstbauprojekte. Von Nebelkammern oder Funkenkammern geht eine Faszination aus, weil sie direkt die uns umgebende allgegenwärtige Strahlung als Teilchenspur sichtbar machen [13]. Große Nebelkammern sind beeindruckende Ausstellungsstücke:

Abb. 10 Teilchenspuren (Negativaufnahme) in einer kontinuierlichen Diffusionsnebelkammer. Eigenbau für die physikalische Vorlesungssammlung der Universität Regensburg. Größe der gekühlten aktiven Fläche 80x80cm. Die kurzen kräftigen Spuren stammen von Alphateilchen aus dem Zerfall von zerfällt mit einer Halbwertszeit von 55,6 s zu 212

216

Po, das seinerseits

mit

eingeblasenem

220

Rn.

Dieses

einer Halbwertszeit von 0,15 s zu

Pb zerfällt. Aus diesen beiden kurz aufeinander folgenden Alphazerfällen resultieren die V-förmige Spuren.

Die dünnen gekrümmten Spuren stammen von Betateilchen.

Auch heute noch werden von Amateuren gerne preiswerte elektronische Bauteile, die eigentlich einem anderen Zweck dienen, als Kernstrahlungsdetektoren zweckentfremdet. Aufgrund der Ähnlichkeit im Aufbau liegt es nahe, Glimmlampen als Zählrohre zu verwenden [14]. Der Erfolg ist mäßig, nur bestimmte Glimmlampen sind geeignet. Seit längerem ist bekannt, dass sich PIN-Fotodioden, zum Beispiel der Typ BPW 34, als Beta-und Gammadetektoren [15], [16], [17] eignen. Sie benötigen keine Hochspannung

und

Schutzbeschichtung

sind sind

daher auch

für

ideal

für

Schüler-Bastelprojekte.

Alphastrahlung

empfindlich

und

Diodenchips

ohne

ermöglichen

sogar

Alphaspektroskopie. Auch Leistungstransistoren, bei denen man den Halbleiterchip freilegen kann, zeigen Alphaempfindlichkeit [22].

11 3.4 Strahlungsmessung mit dem Handy Nach dem Unglück im Kernkraftwerk Fukushima Daiichi war der Wunsch nach eigenen Messungen in der Bevölkerung hoch, weil man den staatlich verkündeten Messwerten misstraute. Geigerzähler waren aber wieder einmal weltweit ausverkauft. Daher wurde in Japan ein Zusatzsensor (Abb. 11) für Mobiltelefone auf der Basis von Fotodioden entwickelt [18]. Das Projekt, genannt POKEGA (Pocket Geiger) wurde von Anfang an als open source Projekt durchgeführt. Es gab einen Kern an Entwicklern an japanischen Universitäten, aber jedermann kann über das Internet in den Facebook-Gruppen radiation-watch.org (engl.) und R&D.PocketGeiger (japan.) an der Entwicklung und Erprobung teilnehmen. Bausätze und Fertiggeräte sind preiswert über die Website

www.radiation-watch.org

erhältlich. Bis zum Mai 2015 wurden rund 50.000 dieser Geräte verkauft. In der Folge kamen weitere ähnliche Strahlendetektoren fürs Handy auf den Markt [19], [20]. Abb. 11 Der Pocket Geiger, das Kästchen rechts unten im Bild,

ist ein kleines Zusatzgerät für

Smartphones. Es beinhaltet in der ursprünglichen Version 3 acht Fotodioden des Typs BPW34. Die neuere

Version

5

benutzt

eine

empfindlichere

10x10mm Fotodiode. Die Impulse werden dem Mikrofoneingang des Telefons zugeführt, von einer Software gezählt und ausgewertet. Für das Gerät wurde eine Kalibrierung mit Cs-137 durchgeführt.

Quelle:www.radiation-watch.org

Es gibt Filme vom Inneren des Unglücksreaktors von Chernobyl, auf denen man immer wieder weiße Punkte wie Schneeflocken aufblitzen sieht. Ionisierende Strahlung ist in der Lage, die einzelnen Pixel einer Videokamera mit CCD- oder CMOS-Sensor zu „belichten“. Der Kamerachip einer Webcam, vom Deckglas befreit (Abb.12), zeigt eine ausgezeichnete Alphaempfindlichkeit und ergibt so die moderne Version eines Spinthariskops (Abb. 13).

12

Abb. 12 Das Deckglas des Kamerachips einer CMOS-Webcam wurde durch Erhitzen mit einem Lötkolben entfernt. Der Kleber erweicht dabei. Die Platine wurde zum Lichtschutz in eine Blechdose eingebaut.

Abb.13 Nun reagiert die Kamera auf Alphastrahlung, Jeder helle Punkt ist ein Treffer eines Alphateilchens, das Ladungsträger im Halbleitermaterial freisetzt. Die Größe des Gesichtsfelds beträgt rund 4x3 mm.

Auch die Kameras der Mobiltelefone sind mehr oder minder strahlungsempfindlich. Mit einer entsprechenden Software wie „radioactivity counter“ [21] wird das Smartphone zum Dosimeter. Allerdings geht dabei die Kamerafunktion für die Zeit der Strahlungsmessung verloren, weil man das Objektiv verdunkeln muss. Zudem zeigt der Vergleich verschiedener Handymodelle, dass deren Kameras sehr unterschiedliche Empfindlichkeit besitzen (bis zu Faktor einhundert Unterschied). Auch besitzen die Kamerachips eine starke Richtungsempfindlichkeit. Ein dedizierter Strahlungsdetektor im „Handy“ wäre wünschenswert. Ein

spezielles

Mobiltelefon

(Pantone

5

107SH)

mit

eingebautem

Strahlungsdetektor

auf

Halbleiterbasis wurde nach der Fukushima-Katastrophe in Japan vom dortigen Mobilfunkanbieter SoftBank auf den Markt gebracht. Smartphones enthalten heute bereits eine Fülle von Sensoren für Lage, Temperatur, Erdmagnetfeld, Luftdruck etc. Der Strahlungsdetektor sollte ebenfalls Standard werden. Da Smartphones in aller Regel auch über GPS verfügen, kann unter Mitwirkung aller Handybesitzer im Fall einer Freisetzung radioaktiver Stoffe

innerhalb kurzer Zeit eine Karte der

Ortsdosisleistung landesweit erstellt werden. Damit schließt sich der Kreis zum Anfang: Das Smartphone von heute ist der ideale „Volksgeigerzähler“.

13 4. Quellenverzeichnis [1]

Johannes Abele, Wachhund des Atomzeitalters, Geigerzähler in der Geschichte des Strahlenschutzes, Deutsches Museum, 2002

[2]

http://www.orau.org/ptp/collection/surveymeters/sylvaniau235.htm

[3]

Heinz Richter, Atomstrahlen Geigerzähler, Messen mit Industrie- und Selbstbaugeräten, Franckh´sche Verlagshandlung Stuttgart, 1957

[4]

Der Spiegel, 23/1959 S.80

[5]

Christian Rockrohr, Radioaktivität hörbar und sichtbar gemacht, Zeitschrift ELO 6/1979, S.62

[6]

http://www.stimme.de/suedwesten/wirtschaft/wi/Geigerzaehler-in-Deutschland-derzeitMangelware;art19071,2091864

[7]

Bernd Laquai, Gammascout versus Inspector http://www.opengeiger.de/VergleichInspectorGammascout.pdf

[8]

Werner Scheller, Zeitschrift „hobby“ Nr.7/1962, EHAPA Verlag GmbH Nr.7/1962, S.105

[9]

http://www.opengeiger.de/LibeliumDoku.pdf

[10]

PASCO scientific, 19191 Foothils Blvd. Roseville California 95747-100 USA, www.pasco.com

[11]

Jürgen Putzger, Henning von Philipsborn, Aufwertung älterer Strahlenmessgeräte durch Rechnerkopplung, Strahlenschutzpraxis 4/2014 S,62

[12]

http://www.theremino.com/blog/gamma-spectrometry

[13]

Thomas Rapp, Experimente mit selbst gebauten Geigerzählern, Funken- und Nebelkammern Franzis Verlag

[14]

Wolfgang Sodtke, Geigerzähler mit Glimmröhre, Elektor 2005, S.54

[15]

Jo Becker, Radioaktivitätsmesser im Miniformat, Funkschau 21/1986, S.63

[16]

Bernd Laquai, Stuttgarter Geigerle, http://www.opengeiger.de

[17]

Burkhard Kainka, Fotodiode misst Gammastrahlung, Elektor 06/2011, S.22

[18]

Ishigaki et al. Participatory Radiation Information Monitoring with SNS after Fukushima, Proceedings of the ISCRAM 2015 Conference - Kristiansand, May 24-27

[19]

Smart Geiger Stick FSG-001, http://allsmartlab.com/ko/Intro.php

[20]

OPTIVELOX SS05 http://optivelox.50webs.com/app_en/radmeterfaq.htm

[21]

Klein, Rolf-Dieter , Radioactivity Counter, http://www.hotray-info.de/

[22]

Burkhard Kainka, http://www.elektronik-labor.de/Projekte/Alpha7.html

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