Der Checkpoint Gilo in Bethlehem Mein dritter Bericht

April 12, 2018 | Author: Berndt Möller | Category: N/A
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1 1 von 10 Der Checkpoint Gilo in Bethlehem Mein dritter Bericht Für zwei Tage gehe ich nach Bethlehem, um meine Ko...

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1 von 10 Der Checkpoint Gilo in Bethlehem Mein dritter Bericht

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Für zwei Tage gehe ich nach Bethlehem, um meine Kolleginnen und Kollegen dort bei ihrer Arbeit zu begleiten. Die Stadt Bethlehem liegt in Zone A (s. mein erster Bericht) der Westbank, ist also „offiziell“ autonomes palästinensisches Gebiet, die gesamte Umgebung Bethlehems befindet sich zu 85% in Zone C, also in vollständiger israelischer Kontrolle.

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Um die Westbank - damit auch die Stadt Bethlehem - von Israel und Jerusalem abzutrennen, wird laut Beschluss der israelischen Regierung seit 2002 eine Trennungsmauer gebaut. Attentate von militanten Palästinensern innerhalb Israels sollten damit verhindert werden. Diese Mauer ist über eine Länge von 708 km hinweg durch das ganze Land geplant. Sie ist in der Regel zwischen acht und neun Meter hoch, 62% der Anlage sind fertiggestellt, 10% sind im Bau, der Rest in Planung. 85% der Mauer verlaufen auf palästinensischem Land.1

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Die „Separation wall“/Trennungsmauer kann aus einer Betonmauer - wie im Bild - bestehen oder aus dreifachen Sicherheitszäunen mit Trenngraben und Straßen für Militärfahrzeuge, in einer Breite von ca. 50 Metern. Wenn die „Separation wall“ wie geplant fertiggestellt werden sollte, dann wird sie fast 10% der Westbank incl. Ost-Jerusalems vollständig abgetrennt haben. - Der internationale Gerichtshof hat im Jahr 2004 festgestellt, dass die Mauer, die sich auf palästinensischem Gebiet befindet, gegen internationales Recht verstößt. Er hat Israel aufgefordert, den Bau einzustellen und die fertiggestellten Sektionen abzumontieren. Die Bauarbeiten wurden fortgesetzt.

2 von 10 Die Mauer schränkt die Bewegungsfreiheit in der Westbank und zwischen einzelnen Städten und Gemeinden in erheblichem Umfang ein. Ehemals zusammenhängende Gebiete werden zerstört, isoliert bzw. vollständig abgeriegelt. Als Konsequenz können sie von ihren zuständigen Gemeindeverwaltungen nicht mehr betreut werden (z.B. Zugang zu Bildungseinrichtungen, Müllabfuhr, medizinische Versorgung usw.), und die Bauern können ihre Felder nicht mehr bzw. nur noch sehr eingeschränkt bewirtschaften.

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Die Mauer bietet aber auch Fläche für Graffiti-Künstler.

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Teil der Trennungsmauer bei Bethlehem

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Und sie soll die immer stärker in die Zone C hinein wuchernden illegalen israelischen Settlements („Siedlungen“) - hier nicht weit entfernt von Jerusalem - abgrenzen von ihrer palästinensischen Umgebung.

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In der Nähe Jerusalems existieren gerade einmal vier Kontrollpunkte, durch die Menschen aus der gesamten Westbank in das Jerusalemer Gebiet bzw. nach Israel gelangen können. Es muss dafür ein „permit“ (Einreiseerlaubnis) beantragt werden. Es ist in der Regel sechs Monate gültig, sehr schwer zu bekommen und kann jederzeit entzogen werden. Einer dieser großen Kontrollpunkte ist der Gilo-Checkpoint in Bethlehem, auch Checkpoint 300 genannt. Er ist d e r Übergang für Palästinenser der Westbank, die zu Fuß oder mit öffentlichen Verkehrsmitteln aus den südlichen Gebieten kommen und eine Arbeitserlaubnis in Israel besitzen. Auch wenn sie aus religiösen (z.B. Besuch des Freitagsgebets in der Al-Aqsa-Moschee), familiären oder krankheitsbedingten Gründen in das israelische Gebiet gelangen möchten, ist eine Erlaubnis erforderlich. Sie wird eher an ältere und verheiratete Menschen vergeben als z.B. an unverheiratete junge Männer.

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Um 3.30 Uhr morgens machen wir uns auf zum Checkpoint. Um diese Zeit ist es eisig kalt. Die Soldaten öffnen um 4.00 Uhr. Wir sind hier eingesetzt, um zu beobachten und zu dokumentieren, wir greifen bei eventuellen Vorkommnissen zwischen Soldaten und Wartenden nicht ein, sondern haben Notruf-Nummern in der Tasche, um Hilfe zu erbeten. Unsere konkreten Aufgaben sind vor allem: Prüfung, ob der Checkpoint tatsächlich um 4.00 Uhr aufmacht; Zählen der Menschen, die durch diesen Kontrollpunkt gehen müssen;

4 von 10 Feststellung der Zeit, die sie brauchen, um auf die andere - ca. 150 Meter entfernte, israelische - Seite zu gelangen; Feststellung, wie lange und wie oft der Eingang von den Soldaten temporär geschlossen wird; Dokumentation von Übergriffen seitens der Soldaten; Prüfung, ob die „Humanitarian Line“ (Eingang für alte und kranke Menschen, Frauen und Kinder) tatsächlich geöffnet ist. (Oft wird die „Humanitarian Line“ nur auf Drängen aufgeschlossen.) Unsere Beobachtungen und Ergebnisse werden an UNOrganisationen weitergegeben.2

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Die kleinen Servis (Kleinbusse) aus dem Umland spucken die Arbeiter in der Dunkelheit aus. Um 4.00 Uhr ist es noch einigermaßen ruhig. Die Menschen bewegen sich schnell durch die Sperranlagen. Innerhalb dürfen wir nicht fotografieren, es ist militärisches Gebiet. Jede Bewegung wird mit Kameras festgehalten.

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Die Situation in den besetzten palästinensischen Gebieten ist eine der am besten dokumentierten weltweit. Grundsätzlich tragen die vor Ort gesammelten Informationen dazu bei, dass die UN/OCHA - s. die Fußnoten meiner früheren Berichte - erkennen kann, ob und in welchem Ausmaß z.B. die Bewegungsfreiheit für die palästinensische Bevölkerung weiter eingeschränkt wurde und welcher Art die Übergriffe der Soldaten auf die wartenden Menschen sind. "

5 von 10 Die Arbeiter stehen vor dem mehr als mannshohen Drehkreuz3 an. Das dauernde Klicken, wenn wieder ein Arbeiter in den nächsten „Sicherheitsbereich“ entlassen wird, werden wir so schnell nicht mehr vergessen. Nach dem Verlassen des Drehkreuzes wird das „permit“ von einem Soldaten geprüft, dann beginnt der Weg durch die Metalldetektoren, danach erfolgt die Kontrolle über die Fingerabdrücke.

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Eineinhalb Stunden später, ab 5.30 Uhr: Der Ablauf ist derselbe, doch nun drängen sich Tausende von Arbeitern in den Checkpoint, um pünktlich zur Arbeitsstelle zu gelangen. Es ist sehr laut, große Nervosität ist zu spüren. Niemand weiß, wie lange es dauern wird, auf die andere Seite zu kommen. Niemand weiß, ob das Betreten des israelischen Gebietes heute erlaubt oder verweigert wird.4

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Die Anspannung ist für uns mit Händen zu greifen. Einige der jüngeren Arbeiter versuchen Alles, um ihre Warteposition in der Schlange zu verbessern. Die Furcht, dass sie nicht 3 4

Sie nennen es Ma’tah (Maschine zum automatischen Rupfen eines Huhns).

So gibt es nach Angaben von MachsomWatch (MachsomWatch ist eine Organisation israelischer Frauen, die sich gegen die Besetzung der Westbank und die Missachtung der Menschenrechte gegenüber Palästinensern engagiert; mehr dazu auf der Website: http://www.machsomwatch.org) eine „Blacklist“ (schwarze Liste) bei den israelischen Militärbehörden. Auf dieser Liste stehen Menschen, die sich angeblich etwas zuschulden kommen ließen. MachsomWatch versucht zum Einen herauszubekommen, welche Gründe zum Eintrag auf der Liste geführt haben und dann eine Namenslöschung zu erreichen. Nach Angaben von Hannah Barag von MachsomWatch ist es bislang gelungen, 1.700 Menschen von der „Blacklist“ entfernen zu lassen. Das bedeutet, dass diese Menschen wieder die Möglichkeit erhalten können, nach Jerusalem bzw. Israel zu gelangen.

6 von 10 rechtzeitig auf der „richtigen“ Seite sind, die öffentlichen Busse oder die Busse der Arbeitgeber verpassen, also die Arbeitsstelle nicht pünktlich erreichen, ist mit Händen zu greifen. Sie klettern an den Innenseiten der „Käfige“ hoch - über die Köpfe der Wartenden hinweg. „Affen“ werden sie genannt, sie haben eine gewisse Geschicklichkeit im Klettern entwickelt. Ihre Aktionen werden von den in der Schlange Wartenden meist - allerdings nicht immer - geduldet. Es gibt - auch an anderen Checkpoints - des öfteren schwere Verletzungen, wenn sich einer der Kletterer nicht mehr halten kann oder beim Abspringen keinen Raum zwischen den wartenden Menschen findet.

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Wir, die Beobachtenden, fragen uns, was denn die wirklichen Gründe sind, um Menschen, auf die die israelische Wirtschaft dringend angewiesen ist5, zu einem solchen Verhalten zu veranlassen und in dieser Art und Weise in die Checkpoints zu zwingen. Aufgrund unserer bisherigen Erfahrungen in der Westbank müssen wir davon ausgehen, dass es auch an dieser Stelle darum geht, die Menschen zu demütigen.6

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Einer der Arbeiter spricht uns an. Er kann ein paar Worte englisch. Er fragt uns, warum denn die internationale Gemeinschaft nichts tun würde. Wie Tausende andere auch würde er nun schon seit 12 Jahren auf diese Weise erniedrigt zur Arbeit gehen müssen. „Sollen sie (die Israelis) doch alle Checkpoints schließen. Sollen sie es doch tun! Sie werden sehen, wie ihre Wirtschaft darniederliegen wird, weil sie niemanden finden werden, der so willig und billig wie wir arbeitet…“. 5Nach

Angaben von Hannah Barag von MachsomWatch (s. Fußnote 4) sind z.B. 99% der Settlements von palästinensischen Arbeitern gebaut. 6

Situation an einem kleinen Checkpoint (Hamra) im Jordantal: Der Taxifahrer hat eine winzige palästinensische Fahne im Auto angebracht. Der schwer bewaffnete Soldat fragt das Team und den Fahrer nach den Dokumenten. Der Soldat lässt sich die Fahne geben, konfisziert sie. Auf die Frage warum, antwortet er: „There is no state of Palestine.“ (Es gibt keinen palästinensischen Staat.). - Ein ehemaliger Soldat, der für die Organisation „Breaking the Silence“ tätig ist, die ich in meinem 2. Bericht erwähnt habe, berichtet uns (Gespräch am 16.02.), dass die israelischen Soldaten drei Grundsätze für ihr Verhalten gegenüber den Palästinensern verinnerlichen müssen: 1. „Making our presence felt!“ (Lasst sie unsere Präsenz fühlen!); 2. „Trying out“ (Testet, wie weit Ihr gehen könnt!); 3. „Keep them afraid!“ (Lasst sie vor Euch Angst haben!)

8 von 10 Innerhalb von 3 1/2 Stunden werden sich knapp 6.000 Menschen durch die Sperranlagen gepresst haben, sie werden zwischen 25 Minuten am ganz frühen Morgen und ca. eine Stunde und zehn Minuten bis 1 1/2 Stunden zur Stoßzeit gebraucht haben. Sie werden dann etwa 150 Meter bis zur anderen - israelischen - Seite überwunden haben. Sie sind an diesem Tag u.a. auf einen älteren Soldaten gestoßen, der mit ihnen gesprochen und sie auch angeschaut hat: „The friendly one“ („Der freundliche“…), erklären uns einige Arbeiter. In der Regel werden sie von den sehr jungen Soldaten, gerade mal 18/19 Jahre alt, schlecht behandelt. So wird z.B. an diesem Morgen das Drehkreuz mehrmals angehalten, obwohl sich ein Mensch darin befindet. Der direkt daneben sitzende junge Soldat hat es in der Hand, das Drehkreuz noch ein paar Zentimeter zu bewegen, damit der Arbeiter nicht im Kreuz gefangen bleibt. Er tut es nicht, kein einziges Mal. Er lässt ihn warten, manchmal 5 Minuten, manchmal mehr.

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Die Palästinenser sind meistens im Baugewerbe tätig, sie sind Hilfsarbeiter, Maurer usw.. Die Arbeitserlaubnis ist nicht auf die individuelle Person ausgestellt, sondern „gehört“ dem israelischen Arbeitgeber, der sie jederzeit wieder auf eine andere Person übertragen kann. Der Druck für die palästinensischen Arbeiter ist daher groß. Man will die Arbeit nicht verlieren, man will sich nichts zuschulden kommen lassen, will pünktlich sein, sich wohl verhalten. Etwa 110.000 palästinensische Arbeiter verdienen ihr Brot in Israel, in Jerusalem und in den illegalen „settlements“. Mehr als 60% davon sind im Bausektor tätig. Sie verdienen mehr als die Arbeiter im Westjordanland, etwa 40 Euro/Tag (Westjordanland ca. 20-22 Euro).7

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Der Druck, eine dieser begehrten Arbeitsstellen auf den israelischen Baustellen zu erhalten, ist daher unermesslich groß. Zudem liegt die Arbeitslosigkeitsrate in der Westbank bei ca. 26%. Am stärksten betroffen davon sind junge Menschen zwischen 20 und 24 Jahren, die meisten von ihnen junge Frauen (mehr als 53 %).

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s. zu den Angaben bezüglich der Arbeitssituation GIZ (Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH, Website Palästinensische Gebiete, aufgerufen am 13. und 14.02.2015, www.http://liportal.giz.de/ palaestinensische-gebiete/wirtschaft-entwicklung). Die Zahlenangaben beziehen sich auf das Jahr 2014. Zu den folgenden Hinweisen bezüglich der Mobilitätsbeschränkungen s. United Nations/Office for the Coordination of Humanitarian Affairs occupied Palestinian territory, OCHA, The monthly humanitarian Monitor, July 2012"

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Wenn diese Arbeiter durch den Checkpoint Gilo zurück nach Bethlehem kommen, werden sie mehr als 12 Stunden unterwegs gewesen sein.

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Sie würden in der Westbank, in ihrer näheren Umgebung, arbeiten können, wenn die private Wirtschaft und damit auch der Bausektor dort eine Entwicklungschance hätten. Das ist nicht der Fall. Grund dafür sind die umfassenden Einschränkungen der Besatzer vor allem in den palästinensischen Gebieten der Zone C: im Personen- und Güterverkehr, in der Mobilität8, im Export und im Import, die Zerstörung der palästinensischen Infrastruktur (s. mein 2. Bericht), die Aneignung von Land für den Bau und die Erweiterung der illegalen israelischen Siedlungen.

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Nach UN/OCHA-Angaben gab es im Westjordanland im Juli 2012 540 Hindernisse und Kontrollpunkte: 59 dauerhafte und 26 temporäre „Checkpoints“, zeitweise 455 Hindernisse - ohne Soldaten - wie Erdwälle, Aufschüttungen, Absperrungen, Straßenblockaden und Gräben, hinzu kamen „flying checkpoints“ („fliegende Kontrollpunkte“). Diese werden - je nach „Sicherheitslage“ - ganz kurzfristig errichtet und wieder abgebaut.

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Sperrung eines Feldweges, um das Befahren mit landwirtschaftlichen Fahrzeugen unmöglich zu machen (Zone C um Bethlehem)

Copyright: Dr. Angelika Baumann Ich nehme mit pax christi, Deutsche Sektion, als Ökumenische Begleitperson am Ecumenical Accompaniment Programme in Palestine and Israel (EAPPI), einem Programm des World Council of Churches, teil. Dieser Bericht gibt meine persönlichen Ansichten wieder, die nicht unbedingt die Meinungen meiner Entsendeorganisation pax christi oder des WCC sind. Wenn Sie die hier enthaltenen Informationen gerne veröffentlichen möchten, kontaktieren Sie bitte vorher [email protected] oder den EAPPI Advocacy Officer ([email protected]), um die Erlaubnis dafür zu erhalten. Vielen Dank!

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