Camille Claudel ein Künstlerleben zwischen Wahn und Leidenschaft

September 2, 2017 | Author: Juliane Falk | Category: N/A
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Camille Claudel – ein Künstlerleben zwischen Wahn und Leidenschaft

Leben zwischen Wahn und Leidenschaft – Camille Claudel, eine schizophrene Künstlerin um die Jahrhundertwende Camille Claudel zählt unbestritten zu den wenigen großen Bildhauerinnen unserer Zeit, dennoch blieb ihr Leben eher ein Rätsel. war sie als Person und als Künstlerin eher unbekannt. Sie war eine sehr eigenwillige Künstlerin, sie war die Geliebte Auguste Rodins. Ihr Leben endete in Armut. Sie starb nach 30-jährigem Aufenthalt in einer Heilanstalt. Wie kam es zu diesem tragischen Schicksal, wo doch alles so verheißungsvoll begann? In meinem Vortrag möchte ich nicht die Biographie von Camille Claudel beleuchten, sondern mich eher auf jene Aspekte ihres Lebens konzentrieren, welche die psychische Erkrankung von Camille Claudel betreffen. Das Bild der beeindruckenden Frau und Künstlerin wird dadurch keineswegs beeinträchtigt – im Gegenteil. Camille Claudels Persönlichkeit, ihre paranoiden Wahnvorstellungen und ihr künstlerisches Genie sind letztlich untrennbar miteinander verflochten. Überblickt man die Entwicklung von Camille Claudel unter dem Aspekt der Erkrankung würde man unter heutigen Bedingungen die Diagnose einer paranoiden Psychose bzw. einer paranoiden Schizophrenie stellen. Ein derartiges Krankheitsbild lässt sich heute sehr gut behandeln, jedoch immer vorausgesetzt, dass der Patient auch kooperativ, d. h. krankheits- und behandlungseinsichtig ist. Und nicht nur das – auch die sozialen Begleitumstände müssen unter heutigen Umständen ideal sein, d. h. die Familie muss in die Behandlung integriert werden und auch lernen, mit der Erkrankung umzugehen. Wenn möglich, sollte noch Einbindung in ein soziales Netz bestehen. Auch unter unseren heutigen idealen Umständen ist es bei diesem Krankheitsbild immer wieder möglich, dass sich die Patienten auf Grund ihres Wahns zurückziehen und letztlich nicht behandeln lassen. Allerdings bestehen doch viele Möglichkeiten und Chancen für eine bessere Behandlung, als dies zu Zeiten Camille Claudels der Fall war. Damals erfolgte im Endeffekt nur eine langjährige Aufbewahrung der Patienten, ohne dass sich therapeutische Konsequenzen daraus ergeben konnten. Versetzen wir uns also in die Zeit von Camille Claudel und nehmen wir den Zeitraum der 1. Störungen, als sie etwa 25 Jahre alt war bis zu ihrer Aufnahme in die Nervenheilanstalt im Alter von 49 Jahren. Wäre es möglich gewesen, sie zu überreden auf Grund der ersten Symptome einen Arzt zu konsultieren? Als sie 34 Jahre alt war, musste der Kreis ihrer engsten, am meisten begeisterten und vermutlich bedingungslosesten Anhänger ohnmächtig zusehen, wie sie scheiterte. Den Rat, sich behandeln zu lassen, nahm sie weder von ihren Verwandten noch von ihren Freunden an. Schon früh hat sie mit ihrer Familie gebrochen, geriet sie in Konflikt mit ihrem beruflichen Umfeld und bald war sie abgeschnitten von jeglicher Beziehung, die sich hätte wohltuend auswirken können. Darin unterscheidet sich ihr

Krankheitsverlauf keineswegs von einem Krankheitsverlauf zur heutigen Zeit. Camilles gesamtes Leben war geprägt von affektiven Verhaltensweisen und Ereignissen, die der Entwicklung einer harmonischen und der damaligen Gesellschaft angepassten Persön-lichkeit unbestreitbar abträglich waren. Dies begann bereits mit ihrer Geburt. Nachdem Camille Claudels Mutter 16 Monate vor deren Geburt den kleinen Sohn Charles-Henry verloren hatte und überhaupt lieber einen Jungen zur Welt gebracht hätte, musste sich die Mutter von Camille Claudel mit ihrer Geburt erst abfinden. Camille wurde zum Spielball im elterlichen Konflikt. Ihr Vater protegierte, privilegierte und vergötterte sie. In gleichem Maße verwarf die Mutter Camille. Die später geborene Schwester Louise wurde zum Lieblingskind der Mutter und daraus erwuchs eine unvermeidliche affektive Rivalität zwischen den Schwestern. Die Kinder wurden in die elterlichen Konflikte, die in Geschrei und Beschimpfungen ausuferten, mit einbezogen. Daher rückte Camille zwangsläufig mehr mit ihrem Bruder Paul zusammen. Damals schon spielte Camille Paul gegenüber ihre magische Anziehungskraft aus. Sie versuchte ihn zu beherrschen, doch dahinter stand die Sehnsucht, all seine Liebe auf sich zu konzentrieren. Man hat darüber gegrübelt, welche Rolle Paul Claudel in dem Drama seiner Schwester spielte. Sie erscheint begründet – zwiespältig. Sehr früh, wie manche später berühmte Künstler, hat Camille Claudel ihre Begabung für das Modellieren entdeckt. Ganz ähnlich mit dem Genie des Modellierens jener Zeit – Auguste Rodin – teilte Camille diese frühe Neigung zum Bilden der weichen Masse des Tons, einer psychisch tief verankerten Manie im Umgang mit der lehmigen Urmaterie – tiefenpsychologisch öfter als die Aneignung der Welt durch den Tastsinn beschrieben. Allein diese Parallelität sollte bewirken, dass die beiden, Camille und Rodin, schicksalhaft zusammengebracht wurden. 1881 richtet Camilles Vater der Familie zur besseren Unterrichtung der Kinder und auf Wunsch Camilles eine Wohnung am Boulevard Mont Parnasse in Paris ein. Als noch nicht 17-jährige tritt Camille 1881 in die Akademie Cola Rossi ein und findet bald einen Kreis von jungen Bildhauerinnen, die sich ein Atelier in der Rue Notre Dame des Champs mieten, wo sie gemeinsam arbeiten und sich allwöchentlich einmal von Alfred Boucher belehren und korrigieren lassen. Aus den Jahren 1881 und 1882 sind die ersten Arbeiten ihrer Hand erhalten – 2 Büsten: Die Bronzebüste des 13-jährigen Bruders als Römer und die „alte Helene“. Alfred Boucher ging 1883 nach Rom. Als seinen Vertreter verpflichtete er Auguste Rodin. Auf diese Weise trafen sich die beiden im losen LehrerSchüler-Verhältnis. Es entwickelte sich eine 15 Jahre währende Liebesbeziehung zwischen beiden, in deren Spannungsfeld großartige Kunst entstand. Zu dieser Zeit lebte Rodin mit Rose Beuret – seiner langjährigen Lebensgefährtin – zusammen, welche jedoch von dieser Affäre nichts ahnte. In dieser Zeit einer sehr intensiven Liebesbeziehung entstehen Werke, wie z.

B. „das ewige Idol“, dessen Modell – wie es heißt – Camille gewesen sein soll. Das Gesicht der Geliebten fesselte ihn ebenso wie ihr Körper, was man wunderbar im Werk „der Gedanke“ sieht. Verblüffend ist die außerordentliche Reife der jungen Künstlerin, deren Lehrzeit eigentlich schon mit dem Eintritt in das Atelier Rodins abgeschlossen war. Bekannt war, dass Rodin seit 1864/65 mit Rose Beuret liiert war. Die aus der Ostchampagne stammende, hübsche Medinette hielt treu zu ihm, auch in der ärgsten Notzeit. Sie verdiente durch Nähen zum gemeinsamen Lebensunterhalt dazu, diente ihm in jungen Jahren als Modell, versorgte den kleinen Atelierhaushalt und gebar Rodins 1. Sohn Auguste Beuret, der zum Leidwesen des Vaters wenig taugte. Rose wusste, dass so ein dynamischer Künstler, wie Rodin, dessen Hauptthemen weibliche Motive waren, wozu er Modelle und Inspirationen benötigte, nicht im bürgerlichen Sinne treu sein konnte. Sie hat, wenn auch immer wieder murrend und später gelegentlich aufbegehrend ertragen, dass er die Frage einer eventuellen Heirat gar nicht erst aufkommen ließ. (Allerdings heirateten sie in beider Todesjahr 1917.) Man wusste in Pariser Intellektuellenkreisen um das Verhältnis Rodins zu Rose Beuret. Es dürfte auch Camille Claudel spätestens seit sie Ende 1885 mit ihrer englischen Freundin Jessie Lipscomp als Gehilfinnen des Meisters in seinem Atelierbetrieb aufgenommen worden waren, bekannt geworden sein. Vielleicht glaubte sie anfangs und gelegentlich auch später noch, dass Rose Beuret als alternde Frau, sie war nur 4 Jahre jünger als Rodin, also 1885 bereits 41 Jahre alt, gemessen an ihrer Jugend bei einem Altersunterschied von 20 Jahren keine echte Konkurrentin sein könnte. Auch hielt sie die sehr zurückgezogene Rose mehr für eine Art Wirtschafterin. Tatsächlich hatte Rose keine wirklichen geistlichen oder künstlerischen Interessen. Eine Unterhaltung auf dem Niveau ästhetisch argumentierender Freunde, aus Künstlerakademie und gar Universitätskreisen konnte sie gar nicht führen. Sie stand in dieser Beziehung außerhalb des beruflich kritisch diskutierenden Zirkels um Rodin mit seinen literarischen Neigungen und lebensphilosophischen Ambitionen. Das gab Camille Claudel vermutlich Hoffnung auf eine weitere Ausgrenzung von Rose aus dem sich immer enger ziehenden Verhältnis zwischen ihr und Rodin. In den folgenden Jahren muss es für beide Partner, Camille Claudel und Auguste Rodin, stürmische und enthusiasmierende Phasen sowohl der künstlerischen Zusammenarbeit als auch des erotischen Erlebens und der Erfahrungen gegeben haben. Das Jahr 1886 dürfte einen ersten Höhepunkt markieren, zugleich aber auch frühe Schatten auf die sich mehr oder weniger heimlich Liebenden geworfen haben. Im Jahr 1886 schuf Rodin sein 3. Bildnis der Camille Claudel, den später in Marmor ausgeführten Büstenblock der unter dem Namen „La Pense (Der Gedanke)“ berühmt wurde und zu seinen poetischsten, symbolistischsten Darstellungen junger Frauen zählt.

Dieses Werk markiert die Zwiespältigkeit in den Empfindungen Rodins gegenüber Camille Claudel, deren Charakter ihm bis zuletzt Rätsel aufgegeben hat. Es könnte erwogen werden, dass diese Skulptur nach der Flucht Camilles nach England im Sommer 1886 aus der Stimmung Rodins heraus entstand, welche ihn zeitweilig lähmte. Beide Partner dürften über ihre erotische Existenz nachgegrübelt haben und wir wissen nicht, auf welche Zeit sich die Andeutung im schriftlichen Nachlass der Freundin Jessie Lipscomp bezieht, in denen von 2 unehelichen Kindern als Frucht der Liebesbeziehung zwischen Camille und Auguste Rodin die Rede ist. Auch die materiellen und gesellschaftlichen Umstände für ein zügelloses Ausleben ihrer langjährigen Leidenschaft waren für Rodin denkbar ungünstig. Camille lebte teilweise noch bei ihren Eltern und führte diese hinters Licht. Dass ein junges Mädchen aus bürgerlichem Hause die offizielle Mätresse eines Mannes wurde, der über 40 und zudem in festen Händen war, galt damals als unvorstellbar. Das war der Inbegriff der Liederlichkeit und wie aus den späten Briefen von Madame Claudel an die geistig umnachtete Tochter hervorgeht, hat Camille diese Liederlichkeit lange Zeit mit wohlorganisierter Scheinheiligkeit übertüncht. Es stimmt allerdings, dass Rodin Camille in die angesehensten Kreise einführte und sich unter all diesen Freigeistern kein einziger über das Verhältnis der beiden Illusionen machte. Jeder billigte es sogar. Zwischen Rodin und Camille hatte sich, was das schöpferische Tun anbelangte, eine Art universelle Gütergemeinschaft herausgebildet, was im Augenblick der Trennung dann heftige Streitfragen aufwarf. Welche Tragweite dies hatte, begannen beide erst zu ermessen, als es zu Spannungen kam. Es ist eindeutig, dass zahlreiche Werke Rodins durch Camilles Hände gegangen sind. So entstanden auch hier Überschneidungen, die in den großen Malerateliers früherer Zeiten gang und gäbe waren und den Kunsthistorikern immer schon Rätsel aufgaben, so z. B. angesichts des „Höllentors“. Hier identifiziert der Camille Claudel-Spezialist etliche Details, wie ein Bein, ein Arm oder einen Torso, welcher mit Sicherheit von Camille Claudel bearbeitet wurde. Waren doch beide Künstler etliche Jahre lang aufs engste stilverwandt, so auch in den Werken: „Mädchen mit Garbe“ von Camille Claudel sowie „Gallatea“ von Rodin. Das Mädchen mit Garbe ist die Zwillingsschwester von Rodins Gallatea – ein Meisterwerk, das etliche Metamorphosen durchgemacht hat. Was könnte deutlicher für Camille Claudel sprechen, als diese fast naturalistische Anmut des Mädchens, in dem nicht einer der für Rodin typischen Spannungsbögen zu finden ist. Außerdem weiß man, dass Rodin selbst nicht in Marmor meißelte, eine Kunst, die Camille meisterlich beherrschte. Wer also hat die Gallatea inspiriert und ausgeführt, wenn nicht Camille. Was hier latent als Tragik spürbar wird, ist eine Geistesgemeinschaft, die logischerweise zu einer Lebensgemeinschaft hätte führen müssen, welche indes auf Grund zweier so gegensätzlicher Temperamente unmöglich war, da sie beider Kreativität lahmgelegt hätte. Darin liegt das Paradoxe ihrer

Beziehung. Camille musste mit der Zeit jedoch begreifen, dass Rodin sich nicht für immer von Rose Beuret trennen würde. Camille wollte erreichen, dass der Meister seine arme alte Rose, die die Gefährtin seiner frühen Jahre war und die Armut mit ihm geteilt hatte, verstoßen sollte. Das konnte er nicht übers Herz bringen, obwohl er Camille als Mann und Künstler leidenschaftlich liebte. Camille war jedoch nicht willens, diese Haltung hinzunehmen. Immer wieder kam es zu Gerüchten über Zusammenstöße und sogar tätliche Auseinandersetzungen zwischen Camille und Rose. Das gespannte Dreiecksverhältnis zerrte an den Nerven aller Beteiligten. Je höher Rodins Stern gerade in den 90er Jahren stieg, um so schwieriger wurde die Situation und Camille ließ sich apathisch fallen, begann ihn zu meiden und zog sich zurück, ohne völlig mit ihm zu brechen. Wieder geht sie zu ihm. 1892 verlässt sie aber doch das gemeinsame Atelier. Wer immer Rodin in der endlosen Zeit des Auseinandergehens begegnete, berichtet von einem zutiefst und unheilbar verletzten Mann, der die Wundmale, die ihn bis zu seinem Tode quälten sollten, nicht verhehlte. Ahnte Rodin bei bestimmten Verhaltensweisen oder Worten Camilles, dass sie auf die totale Katastrophe zusteuerte, wogegen ihn der in jedem Menschen schlummernde Selbsterhaltungstrieb abschottete? Rodin hatte sich immer für Camille verwendet, so bei der nationalen Gesellschaft der bildenden Künste. Er überschüttete die Zeitungen mit Empfehlungsschreiben und hat insgesamt gesehen viel für Camille Claudel getan. Wäre sie in ihrem Ehrgeiz weniger verworren gewesen, hätte sie mit seiner Hilfe in Paris Fuß fassen können. Diese Dinge waren jedoch für Camille Claudel nebensächlich geworden. Sie erstrebte eine engere Bindung zu Rodin – eine Ehe. Dass aus der Ehe nichts wurde, musste Camille Claudel sehr treffen. Sie war in ihrem Gefühlsleben gescheitert. Doch dies bedeutete zeitgleich für Camille auch ein Scheitern in ihrer künstlerischen Entwicklung. Und so machte sich in ihr allmählich das Gefühl von Nutzlosigkeit und Ohnmacht breit. Von 1893 an trennt Camille Beruf und Alltag ganz von Rodin. Nun wohnt und arbeitet sie ständig im Haus 113 am Boulevard d’Italie. 1895 beglückwünscht sie ihn noch brieflich zu seinem Balzac doch dann ist Schluss. In diesen Zeitraum schiebt sich eine Episode, welche die Gemüter immer wieder bewegt hat, das Zusammentreffen zweier sich ergänzender Genies. Die Liebe eines großen Tonsetzers zu einer großen Formbildnerin. Jung und schön - der eine wie die andere, welch ideale Konstellation für Biographen. Es geht um die Liaison Claude Debussy und Camille Claudel. Es war ein eher kurzfristiges Abenteuer, welches zwar Debussy aus dem Gleichgewicht brachte, aber Camille – noch zu sehr in den Auseinandersetzungen mit Rodin befangen – innerlich nicht wirklich berührte. Die Begegnung zwischen Camille Claudel und Debussy fand um 1888/89 statt, noch vor dem Bruch mit dem alten Faun Rodin.

Bereits 1891 jedoch sahen Camille Claudel und Claude Debussy einander nicht mehr. Die Musik ist in den Themen des bildnerischen Werkes von Camille Claudel durchaus vertreten, z. B. in „Der Walzer“, „Die Flötenspielerin“, „Der Geiger“. Ebenso setzte sich Camille Claudel für Mussorgski ein – ein Indiz, dass für ihre Musikalität spricht. In der Folgezeit verschanzt sich Camille Claudel in ihrem Atelier am Boulevard d’Italie – in einer Unordnung, die auf ihre Besucher abschreckend wirkt. Für die im späteren als Schizophrenie zu bezeichnende Erkrankung sind dies bereits typische Symptome. Camille ist knapp 30 Jahre alt – jung genug, um ein, wie sie es von nun an plant, absolut eigenständiges Werk zu beginnen. Doch jetzt zieht sich Camille immer stärker von allem zurück. Nun meidet sie die Gesellschaft mehr und mehr, selbst Freunde werden selten. Camille Claudel verbrachte die letzten Jahre ihres Lebens vor Krankenhausaufnahme fast im Elend. In ihren Briefen wimmelt es von Hilferufen, von Bitten um Vorschuss. Der Bildhauerberuf verschlang Unsummen. Zu Ateliermiete und Materialkosten kamen Steinhauer und Gießerhonorare hinzu. Sie macht Schulden, wird angezeigt und vors Arbeitsgericht zitiert. Gesichert ist, dass Vater und Bruder sie regelmäßig unterstützen, was den beiden Louisen (Mutter und Tochter) verheimlicht wurde. Es ist auch nicht auszuschließen, dass sie, um überleben zu können, nach Auftrag Modelle für Gebrauchsgegenstände, wie Lampen und Aschenbecher lieferte, wodurch ihre Tätigkeit materiell gesehen in den Jugendstil hineinreichen würde. Es wäre falsch zu behaupten, sie wäre unbekannt geblieben, ihr Ansehen wuchs sogar. Fast Jahr für Jahr stellte sie aus, nicht nur in Paris, auch im Ausland. Selbst auf der Weltausstellung war sie vertreten. 1898 verlässt Camille Claudel den Boulevard d’Italie und lässt sich für 1 Jahr in der Rue de Turenne 63 nieder. 1899 übersiedelt sie an den Quai Bourbon 19, wo sie bis 1913 in einer düsteren, ebenso unordentlichen, vollgestopften Zwei-Zimmer-Wohnung – Abbild ihrer Wahnvorstellungen – hauste. Aus der noch jugendlich wirkenden, schönen und schlanken Frau war 1899 eine aufgedunsene und viel viel älter wirkende Frau geworden. Für ihre Umwelt schien sie schlagartig um 10 Jahre gealtert. Das Fehlen biographischer Daten für den Zeitraum 1899 – 1904 machte es unmöglich, die schleichenden Veränderungen von Camilles Denkabläufen nachzuvollziehen und die allerersten Anzeichen, aus denen sich ablesen ließ, wie ihr Verstand allmählich zum Wahn hin abglitt, punktuell zu erfassen. Hinzu kamen noch die Probleme und Qualen mit der hasserfüllten familiären Atmosphäre. Sie war inzwischen im Familienkreis zu einer Persona nongrata geworden. Ihre Mutter, die allmählich zu ahnen begann, was sie mit ihrer freudlosen Erziehungsmethode angerichtet hatte, fand nurmehr niederschmetternde und verurteilende Worte. Der einzige Mensch, der ihr nahe stand, der sie verstanden, geliebt und nie beneidet hat, da er um ihre

Begabung wusste, war ihr Bruder Paul. Doch dieser befand sich zwischen 1895 und 1909 - von 2 kurzen Urlaubsaufenthalten in der Heimat abgesehen – fast permanent weit weg von Europa. Dieser Trennung vom Bruder während der schmerzlichsten Lebensphase Camilles kommt entscheidende Bedeutung zu. In dem Augenblick, da sie - in Ermangelung von Liebe – Zärtlichkeit am nötigsten gebraucht hätte, fehlte ihr gerade dieser Mensch, bei dem sie neue Lebenskraft hätte finden können. Nur der alte Louis Prosper – ihr Vater – wacht über sie und schickt ihr heimlich etwas Geld. Und nun in den Zustand peinlicher Abhängigkeit geraten, entdeckt Camille Claudel das „Rodin-Komplott“. Camille fühlt sich von Rodin verfolgt, bezichtigte ihn des Plagiats. Der Verfolgungswahn, der sich langsam und grausam in sie hineinfraß und sie von innen her aushöhlte, nahm beängstigende Ausmaße an. Von 1905 an zertrümmerte Camille jeden Sommer systematisch mit gezielten Hammerschlägen alles, was sie im Laufe des Jahres geschaffen hatte. Ihre beiden Atelierräume boten einen beklagenswerten Anblick, nichts als Trümmer und Verwüstung. Die Mieter des alten Hauses am Quai Bourbon beschwerten sich. Was war das für eine Wohnung im Erdgeschoss, deren Fensterläden ständig geschlossen blieben und drinnen waren – wie man sagt – Unordnung und Schmutz unbeschreiblich. Als Paul Claudel sie bei einem seiner Heimaturlaube in ihrem kleinen Atelier besuchte, fand er schreckliche Zustände vor. In seinem Tagebuch notiert er: „In Paris. Camille verrückt, die Tapeten in langen Streifen von den Wänden gerissen, ein einziger und kaputter Sessel, furchtbarer Schmutz. Sie selbst ist fett und schmutzig und redet ununterbrochen mit monotoner und metallischer Stimme.“ Camille fühlte sich inzwischen nicht nur von Rodin verfolgt, sondern von ihrer gesamten Umgebung, speziell von ihrer Mutter und ihrer Schwester. Ihrem Cousin berichtet sie über ihren Zustand, sie habe ihre Rechnung bekommen, sie sei von dem Gift, was sie in ihrem Blut habe, andauernd krank. Ihr Körper sei verbrannt. Das sei der Hugenotte Rodin, der ihr die Dosis verpasst habe, weil er ihr Atelier mit Hilfe seiner guten Freundin, Madame de Massary – das war der Familienname ihrer Schwester – erben wollte. Sie schrieb auch an ihre Mutter und die Schwester ähnlich verworrene Briefe voll bitterer Vorwürfe und unverständlicher Anklagen, und ihr Zustand verschlimmerte sich immer mehr. Ihre Atelierwohnung baute sie immer mehr zu einer Festung aus. Sie verschloss die Türen mit Ketten und Sicherheitsschlössern, die Fensterläden wurden nicht mehr geöffnet. Dadurch, dass sie die Außenwelt von sich abschloss, wurde sie zugleich Gefangene ihres Wahns, denn sie traute sich kaum noch aus ihrer eigenen Festung heraus. Camille Claudel bot 1913 das Vollbild einer paranoid-halluzinatorischen Psychose. Auch zu heutigen Zeiten hätte es in diesem Stadium der Erkrankung nur eine Alternative gegeben: Eine Klinikbehand-lung. Und auch heute noch muss diese oft gegen den Willen des Patienten in Form einer sogenannten Zwangseinweisung stattfinden, welche immer dann angebracht ist, wenn sich der Patient selbst oder andere akut gefährdet.

Bei Camille Claudel war dieses Stadium erreicht. Sie ernährte sich, da sie auch einen Vergiftungswahn hatte, nicht mehr ausreichend und war in einem depressiven Zustand mit Suizidgefährdung. Heutzutage wäre nach 6 Wochen Behandlung bereits eine Entlassung möglich gewesen. Bei Camille Claudel dauerte der Krankenhausaufenthalt 30 Jahre bis zu ihrem Tode 1943. Bezeichnend ist, dass die Zwangseinweisung in die psychiatrische Klinik erst erfolgte, nachdem der Vater von Camille Claudel verstorben war. Am 2. März 1913 stirbt er, am 4. März findet die Beisetzung des Vaters statt, zu welcher Camille nicht verständigt wurde. Sie fehlt. Am 5. März des Jahres 1913 trifft sich Paul Claudel mit Dr. Mischaux, dessen Praxis sich am Quai Bourbon Nr. 19 befindet. Dieser stellt ihm ein ärztliches Attest aus, das entsprechend dem Gesetz von 1838 zur Einweisung in eine Anstalt befugt. Am Montag, dem 10. März 1913, wird Camille interniert. 2 kräftige Krankenwärter dringen gewaltsam in das Atelier Quai Bourbon ein und bemächtigen sich ihrer Person. Auch heutzutage gestalten sich Einweisungen meist spektakulär. Die gewaltsame Einlieferung von Camille Claudel in die Klinik geriet auch 1913 schon in die Kritik. Im Nachhinein muss jedoch gesagt werden, dass zum damaligen Zeitpunkt eigentlich keine andere Möglichkeit bestand, als Camille Claudel in die Klinik einzuliefern, auch wenn die Vorgehensweise damals – wie es auch heute sein würde – brutal erscheint. Camille Claudel war 48 Jahre alt, als sie für immer hinter Anstaltsmauern verschwand. Sie wurde letztlich unter Wahrung der gesetzlichen Bestimmungen in die Anstalt eingeliefert. Auch dort – dies war schon damals der Fall – musste nochmals untersucht werden, ob die Aufnahme medizinisch auch wirklich begründet war. Dieses Attest wurde am 10. März 1913 von Dr. Truelle, dem für das Heim Ville Evrard zuständigen Arzt, ausgestellt. Er konstatierte dieselben mentalen Störungen, die Dr. Mischaux aufgeführt hatte. Es folgten weitere offizielle Gutachten, die stets den Verfolgungswahn hervorhoben und unabhängig von der medizinischen Begutachtung, die in der im Heimarchiv unter Verschluss gehaltenen Krankenakte abgeheftet ist. Wer Einblick in diese Akte nimmt, kann sich überzeugen, dass sie 32 Jahre lang gewissenhaft geführt wurde, was normal ist und auch für die Ärzte spricht. Im September 1914 wurde Camille nach Montdeverque – unweit von Avignon – verlegt auf Grund der Kriegsereignisse. Auf Grund dieser Übernahme musste auch der dort zuständige Arzt die neue Insassin aufnehmen und er hatte auch die Pflicht, die Berechtigung der Anstaltswahrung erneut festzustellen, daher das vom 22. September 1914 datierte Gutachten, in welchem Dr. Broquère attestierte, dass Camille unter systematischem Verfolgungswahn, basierend in erster Linie auf falschen Deutungen und Einbildungen, leide. 16 Jahre war es her, dass Camille Rodin zum letzten Mal gesehen hatte. Trotz des Schutzes, den das Heim gewährte, fürchtete sie eines ganz

besonders: Von Rodins Bande vergiftet zu werden. Sie beschuldigte die Pflegerinnen, Komplizinnen zu sein. Sie verlangte, ihre Mahlzeiten selbst zu bereiten. Die dauernde Bedrohung durch Vergiftung ist der eindeutige Beweis für Verfolgungswahn, sofern eine solche Möglichkeit in ihrer konkreten Realisierung strikt undenkbar ist. Schon gleich nach ihrer Einlieferung begreift Camille, dass Rodins Bande sie nicht mehr direkt anzugreifen vermag. Daher fügt sie in ihren Wahn folgerichtig das Motiv der Nahrung ein, er könnte sie ja vergiften, um sie zu beseitigen. Die Unterbringung in einer staatlichen Anstalt, die damit verbundene Anwesenheit von Ärzten und Pflegepersonal, das Vorhandensein einer Kantine und die hausinterne Essensausgabe – all diese weit weg von Rodin und seinen Gehilfen – hätten ja eigentlich Schutz suggerieren müssen. Camille verweigert jedoch eine Erste-Klasse-Behandlung, die man ihr zukommen lassen möchte. Sie will ihre Nahrung selbst zubereiten, verlangt ausschließlich rohe Eier und ungeschälte Kartoffeln. Sie überträgt ihren Wahn auf das neue Krankenhauspersonal. Ihr Leben ist umso tragischer, als sie sich den lieben langen Tag mit rein gar nichts beschäftigt. Allerdings beginnt sie den Wunsch zu äußern, ihre Familie wiederzusehen. Ihr körperliches Befinden ist nach wie vor gut. Wenn sie auch manchmal aufbraust, gewöhnt sie sich doch langsam an das Leben in der Abgeschiedenheit. 1920 ebbt der Wahn leicht ab. Camille ist eher ruhig, frei von Aggressivität. Die behandelnden Ärzte ziehen sogar eine Entlassung der Patn. in Erwägung. Die Familie lehnt jedoch dieses Ansinnen ab. Camille altert. Sie wird bald 65, ihre Mutter ist inzwischen gestorben. Ihr Zustand, der schon seit langem als chronisch gewertet wird, bleibt unverändert. Der auf falschen Deutungen basierende Inhalt des Verfolgungswahns ist eine Achse, die auch die Zeit nicht verbiegt. Dass Rodin seit Jahren tot ist und das ärztliche und pflegerische Personal bereits mehrfach gewechselt hat, ist ohne Einfluss geblieben. Camille wird – wie immer – von denselben Personen oder nachfolgenden Generationen oder von anderen oder ihrer neuen Umgebung verfolgt. 1942 dann rückt der Tod näher. Ihr körperliches Befinden verschlechtert sich. In den ersten Monaten des Jahres 1943 verfallen ihre geistigen Kräfte immer mehr. Am 19. Oktober 1943 stirbt Camille Claudel als armselige alte Frau, die von Amtswegen in einem Anstaltsgrab beerdigt wurde. Das Grab wurde schon wenige Jahre später eingeebnet und war nach dem Krieg nicht mehr ausfindig zu machen. Ein Stern, der strahlend aufgegangen war, war leise untergegangen. Es sollte 3 Jahrzehnte dauern, bis eine Generation heranwuchs, die sich für weibliche Vorbilder aus der Vergangenheit interessierte. Diese Frauen und Männer entdeckten Camille Claudels Werk neu für sich und bemühten sich, das Leben der außergewöhnlichen Künstlerin zu rekonstruieren. Ein Theaterstück, ein Roman und danach ein Film, der internationales Interesse auf sich zog sorgen für die Verbreitung ihres Namens. Darauf erst folgten eine große Ausstellung Camille Claudels, die erfolgreich in

verschiedenen Hauptstädten der Welt gezeigt wurde und zahlreiche kunsthistorische Würdigungen ihrer Plastiken. Dies alles sorgte endlich – viel zu spät – für jenen Ruhm, den die Künstlerin sich zu Lebzeiten so sehr gewünscht hatte und weckte erneut das Interesse für das Leben dieser erstaunlichen Künstlerin.

Quellen Reine-Marie Paris: „Camille Claudel“, S. Fischer Verlag 1989; 8. Auflage 1999; 1984 französiche Originalausgabe; Verlag Gallimard Barbara Leisner: „Ich mache keine Kompromisse“ – Camille Claudel -; List Taschenbuch 2001 (Ullstein) J. A. Schmoll: „Auguste Rodin und Camille Claudell“; Prestel Verlag München (Pegasus) 1994; 2000 Anne Delbèe

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