120 Jahre Abfallwirtschaft in München. Von der Städtischen Hausunratanstalt zum Abfallwirtschaftsbetrieb München

November 11, 2016 | Author: Karola Thomas | Category: N/A
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120 Jahre Abfallwirtschaft in München Von der Städtischen Hausunratanstalt zum Abfallwirtschaftsbetrieb München

Impressum Idee, Texte, Bildauswahl, Redaktion: Arnulf Grundler, AWM Grafische Gestaltung: Anke Wätjen Druck: Josef M. Greska GmbH, München Alle Texte und Bilder sind urheberrechtlich geschützt. Herzlichen Dank an alle Personen und Institutionen, die freundlicherweise Bildmaterial zur Verfügung gestellt haben: Stadtarchiv München, Münchner Stadtmuseum, Stadtwerke München, Baureferat, Planungsreferat, Gerhard Groß, Münchner Stadtentwässerung, Jutta Plail, Bayerische Schlösser- und Seenverwaltung, Dipl. Kfm. Hubert Winkelhofer, Dr. Hofmann Gesellschaft für Grundstückspflege mbH, Dr. Alois Harbeck, Walter Hilger, Siedlergemeinschaft Kieferngarten e.V., Archiv Reither, Otto Samberger, Walter Abenthum, Georg Welsch, Ingrid Keiner, Bernhard Lang. Die vorliegende Broschüre basiert auf einer Ausstellung, die Herr Dipl. Biol. Arnulf Grundler anlässlich des 850. Münchner Stadtgründungsfestes im Jahr 2008 unter dem Titel „850 Jahre Münchner Müll“ für den AWM erabeitet hat. Herausgeber: Abfallwirtschaftsbetrieb München, Georg-Brauchle-Ring 29, 80992 München www.awm-muenchen.de 2. aktualisierte Auflage, AWM, April 2011

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Harritschwagen (Foto: AWM) Titelseite: Stachus 1933 und 2008 (Fotos AWM)

120 Jahre Abfallwirtschaft München

Vorwort Liebe Leserin, lieber Leser, die Entwicklung der Münchner Abfallentsorgung lässt auf eine lange Geschichte blicken. Bis es zur ersten geordneten Müllabfuhr kam, sind viele Abfälle in den heimischen Öfen verbrannt, in Gruben abgelagert oder über die Stadtbäche entsorgt worden. Erst vor 120 Jahren wurde begonnen, eine geordnete, gebührenpflichtige Entsorgungsstruktur aufzubauen. Der 14. April 1891 ist das Geburtsdatum der ersten Münchner Abfallsatzung. An diesem Tag hat der Magistrat der damaligen königlichen Haupt- und Residenzstadt München die “Ortspolizeiliche Vorschrift über Lagerung und Wegschaffung des Hausunrats” erlassen, die mit Wirkung ab 1. Juli 1891 in Kraft getreten ist. Zur Organisation der Hausmüllentsorgung wurde damals die „städtische Hausunratanstalt“ eingerichtet. Um die hygienischen Verhältnisse zu verbessern, durfte der Hausmüll ab sofort nicht mehr in Gruben abgelagert, sondern musste zwei Mal in der Woche zur Abfuhr bereitgestellt werden. Die Einsammlung des Hausmülls erfolgte mit einem einachsigen Karren, der von einem Pferd gezogen wurde – dem sogenannten Harritschwagen. Alle Wagen waren Eigentum der Stadt und wurden an private Abfuhrunternehmer für die Mülleinsammlung ausgeliehen. Bereits vor 100 Jahren wurde der Münchner Hausmüll in einer Sortieranlage in Puchheim sortiert und nahezu zu 100 Prozent verwertet. Die Anlage existierte 45 Jahre. Der Rückblick auf die Geschichte der Stadthygiene zeigt sehr deutlich, wie Wachstums- und Entwicklungsphasen, aber auch Kriege und Krankheiten Bürger und Verwaltung immer wieder vor neue und fast ausweglose Situationen gestellt haben. Die Herausforderungen haben jedoch auch Innovationen und Erfolge hervorgebracht, die heute von Delegationen aus dem In- und Ausland nachgefragt werden und welche den Abfallwirtschaftsbetrieb München

im internationalen Städtevergleich stets die ersten Plätze belegen lassen. So hat München beispielsweise bereits vor jeglicher bundesgesetzlichen Regelung Anfang der 90er Jahre ein vernünftiges Abfalltrennsystem eingeführt um den damaligen Müllnotstand zu beseitigen. Durch die getrennte Sammlung der Wertstoffe konnte die Restmüllmenge innerhalb von wenigen Jahren um über 50 Prozent reduziert werden. Der Abfallwirtschaftsbetrieb München – ein Traditionsbetrieb unserer Stadt. Durch eine Betriebsführung, die sowohl ökologische, ökonomische als auch gesellschaftliche Ziele zu vereinen weiß, werden wir auch in Zukunft nicht nur unsere Stadt sauber halten, sondern innovativ und angemessen die Bedürfnisse von Umwelt und Gesellschaft zu unserer Sache machen. Heute, im Jahr 2011, ist der AWM stolz darauf, Teil dieser Erfolgsgeschichte zu sein. Dies ist vor allem dem großen Engagement der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu verdanken. Wir freuen uns deshalb, Ihnen die Geschichte der Münchner Abfallwirtschaft in dieser Broschüre anschaulich vorzustellen und wünschen dabei viel Freude! Ihre

Ihr

Gabriele Friderich Helmut Schmidt Erste Werkleiterin des Zweiter Werkleiter des Abfallwirtschaftsbetriebs München Abfallwirtschaftsbetriebs München

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Vorgeschichte

1158 - 1806 Stadtgräben und Müllgruben Stadtgräben und Müllgruben Herzog Heinrich der Löwe gründet München um das Jahr 1158 als Marktplatz für den Salzhandel. Die Entstehung des Ortes bei den „Munichen“ (Mönchen) ist verbunden mit der gewaltsamen Verlegung des Isarübergangs von Oberföhring, das zum Bistum Freising gehört, an die Stelle der heutigen Ludwigsbrücke. Der Herzog lenkt damit die Salztransporte von Reichenhall in Richtung Augsburg und Landsberg über den neuen Handelsplatz an der Isar. Im Jahr 1180 wird über Heinrich den Löwen die Reichsacht verhängt. Das Herzogtum Bayern fällt an die Wittelsbacher, die ab 1240 auch die Marktrechte Münchens übernehmen. Zum Salzmarkt gesellt sich nun auch der Handel mit Holz, Getreide, Wein, Eisenwaren und Nutztieren. oben: München zur Zeit Heinrichs des Löwen unten: München Ende des 17. Jahrhunderts. Die Ausdehnung lässt sich heute noch ablesen an der Ost-West-Achse Isartor und Karlstor sowie der Nord-SüdAchse Sendlinger Tor und Odeonsplatz (wo früher das Schwabinger Tor stand). In dieser Gestalt vollzieht sich das Stadtleben bis zum Ende des 18. Jahrhunderts. Fernhandel und Handwerk, Kirchen, Klöster und der Wittelsbacher Hof prägen über Jahrhunderte das Gesicht Münchens. Rekonstruktionsskizzen von Karl Lang, 1940 (Stadtarchiv München)

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Das Wirtschaftsleben in München boomt derart, dass die Stadt ab 1260 erweitert werden muss. Die Verleihung der Kurwürde (Kaiserwahlrecht) an den Bayerischen Herzog im Jahr 1632 erhebt München zur kurfürstlichen Residenzstadt. Im 17. Jahrhundert entstehen die ersten Manufakturen für Porzellan, Textilien und Lederwaren. Zunehmende Bedeutung gewinnt auch das Braugewerbe.

Abfallentsorgung zur Zeit der Herzöge und Kurfürsten Handel, Handwerk und Viehverkehr verursachen vielfältige Abfälle und Abwässer. Die Arbeit der Schlachter, Färber und Ledergerber ist mit Müll und Gestank verbunden. Abfälle, Mist und Urin häufen sich immer wieder auf den Straßen. Die Gassen verwandeln sich bei Regen in Schlammpisten. Über Jahrhunderte hinweg ist bezeugt, dass die Stadt von unguten Düften durchzogen wird und Fußgänger, Reiter und Fuhrwerke bei starken Niederschlägen nur mühsam in der Stadt vorankommen.

Vorgeschichte

Stadtgräben und Müllgruben 1158 - 1806 14. Jahrhundert

15. Jahrhundert

Stadtbäche als Müllkippen

Eine Polizeiverordnung legt im 15. Jahrhundert fest, dass Abfälle generell in den Stadtbächen zu entsorgen sind. Zuwiderhandlungen werden mit Geldstrafen geahndet

Zur Beseitigung der Haushalts- und Gewerbeabfälle sind in erster Linie die Stadtbäche vorgesehen. Sie durchziehen die Stadt als verzweigtes Netz. Dorthin leiten die Anwohner Regenwasser, Abwässer und Fäkalien über Rinnen entlang der Straßen. Wegen der massiven Geruchsbelästigung werden bereits im 13. Jahrhundert abfallintensive Gewerke wie Färber, Lederer, Metzger und Fischer vom Hauptplatz an die Stadtbäche verlegt. Dort können sie direkt Brauchwasser entnehmen und Farbreste, Laugen und Schlachtabfälle zurückschütten.

In den Stadtchroniken taucht erstmals im Jahr 1310 eine Vorschrift zur Straßenreinigung auf: Wer von des Schöneckers Eckhaus bis an das Taltor hinunter „lat schormist oder andern mist oder holtz ligen viertzehn tag“, der zahlt an den Richter 12 Pf Bußgeld und an die Stadt ebensoviel.

Die Stadtbäche dienen nicht nur als Müllkippe, sondern auch als Waschplätze. Hierfür hat die Stadt eigene Stege mit Waschbänken ausgewiesen, zum Beispiel am Färbergraben, an der Roßschwemme und an der Hochbruck im Tal. Priveten und Abtrittgruben Weiter vom Bach entfernte Anwesen verfügen über Abtritte oder „Priveten“ zur Entsorgung von Fäkalien. Die stillen Örtchen sind mit hauseigenen Gruben verbunden. Je nach individueller Entsorgungsmentalität leeren die Besitzer diese Versitzgruben gelegentlich oder überlassen sie dem natürlichen Versickerungsvorgang in den Untergrund. Trinkwasserversorgung

Schrannenplatz. Der Bildausschnitt rechts zeigt im Detail die damaligen, eher ungenierten „Entsorgungssitten“. (Bild: Münchner Stadtmuseum) Westenriederstraße um 1887 – das Bild vermittelt einen Eindruck von den Straßenrinnen in den mittelalterlichen Gassen. Dort abgelegte Abfälle verursachen immer wieder Gestank und verhindern den Abfluss von Niederschlagwasser. (Bild: Münchner Stadtmuseum)

Die Münchner beziehen ihr Trinkwasser aus dem Grundwasser. Viele Anwesen haben eigene Ziehbrunnen. Oftmals bilden mehrere Häuser auch eine private Brunnengenossenschaft. Ab dem 15. Jahrhundert stehen öffentliche Brunnen zur Verfügung. Allerdings kommt es durch Sickerwasser aus nahe gelegenen Versitzgruben immer wieder zu Verunreinigungen des Brunnenwassers. Die Münchner Bauordnung vom Jahr 1480 schreibt deshalb vor, dass Abtrittgruben mit Lehm abzudichten sind.

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Vorgeschichte

1158 - 1806 Stadtgräben und Müllgruben Seuchengefahr Die unhygienischen Verhältnisse führen zum Ausbruch von Krankheiten und Seuchen. Besonders die Pest sucht die Münchner immer wieder heim. Mitunter bricht dadurch das Marktleben zusammen. So beschließt der Rat für das Jahr 1483, keine Steuer zu erheben, „ursach des grossen mangels halben, das man nit her gen Munchen gehandelt hat und auch das man die märgkt nit aufwendig gehalten hat“. „Wer Unflat vor seine Tür oder auf die Straße wirft oder schüttet und diesen nicht in den Bach trägt und zwar sowohl tags als auch nachts, und dieser Tat überführt wird, der zahlt dem Richter 24 Pfennige, der Stadtverwaltung 1 Gulden, den Stadtknechten 8 Pfennige, jedes Mal, wenn dies geschieht.”

Tierhaltung in der Stadt Hochbrücke im Tal – der Bildausschnitt zeigt den öffentlichen Waschplatz direkt neben der Rossschwemme. (Bild: Münchner Stadtmuseum)

Hauptplatz im 16. Jahrhundert. Der erste so genannte „Gemeinbrunnen“ befindet sich auf dem Haupt- oder Schrannenplatz, dem heutigen Marienplatz. Er präsentiert sich als prunkvolle Anlage mit vier Messingausläufen, geziert von mehreren Löwenköpfen. (Stich: Stadtarchiv)

Die Seuchen werden mit den Rattenplagen in Zusammenhang gebracht. Zur Bekämpfung der Nager setzt die Stadtverwaltung regelmäßig Prämien aus. Im Jahr 1525 führt ein Aufruf zu einer Ausbeute von 7.560 toten Ratten, die anschließend in die Isar geworfen werden. Die Stadt zahlt den Rattenfängern hierfür pro Ratte 1 Pfennig, insgesamt 36 Gulden.

In der Stadt gibt es etliche landwirtschaftliche Anwesen mit Viehhaltung. Speziell die Schweinehaltung ist verbreitet. Stallstreu, Kot und Urin werden in den Hinterhöfen zu Misthaufen aufgetürmt. Bis 1470 dürfen Schweine frei herumlaufen. In diesem Jahr ist ein Saueintuer bezeugt, ein Amtmann im Dienste der Stadt, der streunende Schweine einzufangen hat. Er wird Claß Sailer genannt und er „sol algeb 3d(enarii), von ainer saw einzutuon“. Im Jahr 1475 verbietet die Stadt die Schweinehaltung. Nur noch vier so genannte Antoniusschweine vom Kloster der Antoniusbrüder dürfen mit einem Glöckchen um den Hals in der Stadt herumlaufen, um sich ihr Futter zwischen den Straßenabfällen zu suchen. oben: Isarbrücke mit Wasserleitung (Bild: Münchner Stadtmuseum) rechte Seite oben: Hofbrunnhaus am Neudeck erbaut 1597 (Foto 1870, Stadtarchiv München) rechte Seite Mitte und unten: Westlicher Stadtgraben im Winter (heute Herzog-Wilhelm-Straße) Die Stadtbäche dienen nicht nur als Entsorgungsanlagen für Abfälle, sondern auch zum Antrieb von Pumpen, die Trinkwasser auf die Türme der Brunnhäuser transportieren. Der Bildausschnitt zeigt Enteisungsarbeiten zum Erhalt der Fießkraft des Stadtbachs. (Bild: Münchner Stadtmuseum)

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Vorgeschichte

Stadtgräben und Müllgruben 1158 - 1806 16. Jahrhundert Die ersten Brunnhäuser Zur Verbesserung der Trinkwassersituation entsteht Anfang des 16. Jahrhunderts auf der rechten Isarseite am Gasteig das erste Brunnhaus. Von dort wird das Wasser aus Hangquellen über Holzrohre in die Altstadt geleitet.

„Neben inbrünstigem Gebet und dem Fernhalten suspekter Menschen wie Bettler oder Vaganten, die die Krankheit in die Stadt bringen, soll darauf geachtet werden, Gassen, Häuser, Kloaken, Schwindgruben sowie Kanäle und Stadtgraben zu säubern.“

Nach und nach errichtet man in der Altstadt weitere Brunn-häuser. Um den nötigen Leitungsdruck zu erzeugen, wird das Wasser auf nahe gelegene Stadttürme gehoben. Als Antrieb für die Pumpen dienen Wasserräder, die ihrerseits von der Fließkraft der Stadtbäche in Schwung gehalten werden. Vom Wasserturm aus gelangt das Trinkwasser über hölzerne Röhren zu den Anwesen. Jedoch können sich nur wenige Häuser diese Art der Fließendwasserversorgung leisten.

Seit 1613 existiert eine städtische Anordnung zur jährlichen Bachreinigung:

Die Wasserversorgung über die Brunnhäuser ist alles andere als stabil. So steht die gesamte Anlage still, wenn die Stadtbäche in Winter zufrieren oder bei der Bachauskehr von Unrat und Kot befreit werden müssen.

Der ausgeschaufelte „Kot“ wird aus der Stadt hinaus zur Isar und ins Lehel gebracht. Zum Missfallen der Anwohner lagern dort die stinkenden Haufen, bis sie von Bauern aus der Gegend als Düngemittel für ihre Felder aufgekauft werden.

„Ein jeder soll so weit sein Haus oder Grund und Boden geht, schuldig sein die Bäche jährlich zu räumen, gleichfalls die Wühr oder Schlacht machen lassen“.

Der Wasserpreis richtet sich individuell nach der Größe des Bohrlochs in der Hauptwasserleitung, das mit einem Steften (Stift) geeicht wird. Ein Steften entspricht einer Wassermenge von drei Kubikmetern pro Tag und kostet zwischen 10 und 14 Gulden pro Jahr. Alle Brunnhäuser zusammen liefern um das Jahr 1820 rund 1500 Steften Wasser pro Minute an ca. 1000 Häuser. Die übrigen 2000 Haushalte im Stadtgebiet beziehen ihr Wasser nach wie vor aus eigenen Grundwasserbrunnen.

17. Jahrhundert Hygienemaßnahmen Die Münchner fühlen sich vor allem vom Gestank bedroht. Nach der damals gängigen medizinischen Theorie sind die üblen Ausdünstungen (Miasmen) für Krankheiten und Seuchen verantwortlich. Der Münchner Stadtarzt Malachias Geiger (1606-1671) gibt in einem Gutachten Ratschläge, wie sich die Bürger in Seuchenzeiten verhalten sollen:

Die fotografische Aufnahme (um 1950) zeigt die auch heute noch schwierige und dreckige Arbeit der Bachräumung am Kegelbach. (Foto: Baureferat)

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Vorgeschichte

1158 - 1806 Stadtgräben und Müllgruben 18. Jahrhundert

Königreich und Cholera

Die unhygienischen Zustände in den Stadtbächen und Stadtgräben führen bei der Polizeidirektion regelmäßig zu Bürgerbeschwerden. Hier zwei Beispiele:

Mit der Erhebung Bayerns zum Königreich im Jahr 1806 durch Napoleon I. bricht für München unter König Max I. Josef ein neues Zeitalter an. Die herausragende Stellung als königliche Haupt- und Residenzstadt versetzt der Stadt einen nachhaltigen Entwicklungsschub. München steigt innerhalb weniger Jahrzehnte von der Kleinstadt zum wichtigsten Handels- und Industrieort Süddeutschlands auf. Der Expansionsdrang sprengt das enge Korsett der mittelalterlichen Stadtmauern. Es entstehen neue Vorstädte, die bisher eigenständigen Städte Au und Schwabing sowie viele umliegende Dörfer werden eingemeindet. Immer mehr Menschen strömen mit der beginnenden Industrialisierung nach München. Die Stadtbevölkerung verzehnfacht sich von rund 50.000 Einwohner im Jahr 1800 auf mehr als 500.000 im Jahr 1900. Das Stadtgebiet vergrößert sich um das Zwanzigfache.

Juli 1779 „Durch Einschütten von schwerem und grobem Kot in den Färbergraben kommt es zu Aufschüttungen. Das Einschütten des Unrats in den Färbergraben ist wegen des geringen Wasserlaufs ohnehin schon gehemmt und wegen der schädlichen Ausdünstungen, die die Luft verpesten, gefährlich“. Der Stadtbaumeister von Schedel verlangt deshalb im Juli 1779 eine Bestrafung für das Einschütten von Unrat. August 1797 „Die Stadtverwaltung lässt so wenig Wasser in den Färbergraben, daß der Unrat liegen bleibt. Tote Hunde und Katzen liegen frei da und verfaulen. Man hat sogar den Eindruck, als sei es sogar erwünscht, daß möglichst viel Unrat liegen bleibe, damit man ihn als Dung verkaufen könne. Es wird gefordert, genügend Wasser in die Kanäle zu lassen, weil sonst kein Mensch mehr dort wohnen kann“.

Kurfürstliche Verordnung von 1782 zur Sauberhaltung der Straßen durch die Hausbesitzer. Trotz vieler solcher Erlasse muss die Stadtverwaltung immer wieder mit eigenem Personal den abgelagerten Müll beseitigen, insbesondere vor bestimmten Tagen, an denen die kurfürstliche Hoheit die Gassen mit Kutschen oder Schlitten passiert. (Vorlage: Hubert Winkelhofer, Dr. Hofmann Gesellschaft für Grundstückspflege mbH)

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unten: Max I. Joseph, ab 1806 König von Bayern: Unter seiner Regierung wird Bayern zu einem modernen Staat. München entwickelt sich zur Großstadt. (Bild: Bayerische Schlösserverwaltung)

Vorgeschichte

Königreich und Cholera 1806 - 1891

oben: Pläne der königlichen Residenzstadt: Die Serie zeigt das rasante Wachstum der Stadt von 1808 bis 1858. Die Einführung der Eisenbahn bestimmt zunehmend den Takt des Wirtschaftslebens. (Pläne: Münchner Stadtarchiv)

unten: Der Glaspalast im Alten Botanischen Garten um 1855 (Bilder: Münchner Stadtmuseum) Das über 200 Meter lange Gebäude wird anlässlich der Ersten Allgemeinen Deutschen Industrieausstellung 1854 errichtet und stellt eine bahnbrechende Leistung der Glas-Eisen-Architektur im gesamten deutschsprachigen Raum dar. In der Folgezeit spielt der Glaspalast als Ausstellungs- und Veranstaltungsort für München eine herausragende Rolle.

Stärkster Motor für den wirtschaftlichen Fortschritt ist die Einführung der Eisenbahn. Industriewaren wie Eisen und Kohle lassen sich nun massenweise transportieren. Damit setzen sich maschinelle Produktionsweisen durch und verdrängen die herkömmlichen Handwerksbetriebe. So zum Beispiel bei der Bierherstellung: gab es im Jahr 1819 rund 60 Kleinbrauereien, so findet bis 1842 ein Konzentrationsprozess auf 38 Großbrauereien statt, die mit einem neuen Dampfbrauverfahren arbeiten. Die größten Brauereien ziehen aus der engen Altstadt weg und bauen regelrechte Bierfabriken (zum Beispiel am Nockherberg, am Gasteig, auf dem Marsfeld, am Stiglmaier Platz). Zudem verzeichnet München die ersten Industriegrün-dungen, etwa die Lokomotivenwerke (1837) von Joseph Anton Maffei. Sie tragen ihrerseits zur Entstehung von Großbanken wie der Bayerischen Hypotheken- und Wechselbank bei. München entwickelt sich zur Gewerbe- und Messestadt, zum Wissenschaftsstandort, zur Kunstmetropole und zu einer touristischen Attraktion.

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Vorgeschichte

1806 - 1891 Königreich und Cholera ab 1836



München in Zeiten von Typhus und Cholera

Mit dem rasanten Wachstum von Wirtschaft und Bevölkerung entstehen die ersten Arbeiterviertel. Bald herrscht Wohnungsnot und Armut. Besonders in der Au, in Giesing und in Haidhausen leben die Ärmsten der Armen meist als Tagelöhner. Der Stadt fehlt es an Mitteln zur Versorgung der notleidenden Bevölkerung. Die Gemeindekasse muss immer wieder zur Mitfinanzierung der Wittelsbacher Großbauprojekte herhalten. Die hygienischen Bedingungen verschlechtern sich zusehends. Vor allem fehlt es an sauberem Trinkwasser, da die Brunnen mehr und mehr verdrecken. Die Stadtbäche verwandeln sich in stinkende Kloaken und durch das undichte Grubensystem dringen Fäkalien von Mensch und Tier in den Untergrund.

Max von Pettenkofer Auf die beiden ersten Choleraepidemiewellen reagieren sowohl Stadtrat und Regierungsbehörden als auch die Heilkundigen mit Fatalismus und Hilflosigkeit. Über die Ursachen der Seuchen wird vielfältig spekuliert. Echte ärztliche Hilfe für die Erkrankten gibt es nicht. Erst mit Max von Pettenkofer, Münchner Arzt und Apotheker, beginnt ab 1855 die systematische medizinische Erforschung der Cholera. Als Mitglied einer staatlichen Untersuchungskommission nimmt er umfangreiche Kartierungen der Krankheitsfälle in München vor. Max von Pettenkofer

Arnold von Zenetti

Die katastrophalen Hygieneverhältnisse tragen schließlich dazu bei, dass München von den europaweit grassierenden Choleraepidemien (1836/37, 1854/55 und 1873/74) besonders heftig erfasst wird. Es sind mehrere Tausend Tote zu beklagen. Hinzu kommen die wellenartig auftretenden Typhuserkrankungen. München zieht sich den Ruf als Seuchenherd zu.

(Fotos: Stadtarchiv)

oben: Bierverladung auf dem Centralbahnhof. Mit dem Bahnverkehr wächst nicht nur die Stadt, sondern auch der Bierexport. (Aquarell nach einer Zeichnung von Walther Puttner, 1890, Stadtmuseum München) Mitte: Mit Zuzug vieler Menschen aus dem Umland entstehen rechts der Isar Armenviertel (Herbergen an der Entenbachstraße 1877, Foto: Stadtmuseum München) unten: Fäkalien und Abwasser leiten die Anwohner von Stadtbächen direkt ins Wasser ein. (Hofhammerschmidbach mit Abtritten, Foto: Stadtarchiv München)

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Dr. Alois Erhardt

Vorgeschichte

Königreich und Cholera 1806 - 1891 Seine Erkenntnisse fasst er in der Schrift „Untersuchungen und Beobachtungen über die Verbreitung der Cholera, nebst Betrachtungen über Maßregeln, derselben Einhalt zu thun“ zusammen. Er kommt dabei zu dem Schluss „dass die Cholera durch die Entwicklung eines Gases, bei Zersetzung flüssiger Exkrementtheile in feuchtem, porösem Erdreich verursacht wird“. Pettenkofer entwickelt daraus die so genannte Bodentheorie, die er bis zu seinem Lebensende gegen die aufkommende Infektionstheorie hartnäckig verteidigt.

Am 5. Januar 1874 betraut der Magistrat eine Spezialkommission mit der Aufgabe, Konzepte für eine moderne Stadthygiene zu entwickeln. Das Sanierungsprogramm beinhaltet nicht nur die Wasserversorgung, sondern auch Maßnahmen zur Reinhaltung des Bodens, zur Abwasser- und Abfallbeseitigung. So entstehen Planungen für ein stadtweites Kanalnetz, für eine flächendeckende Trinkwasserversorgung und den Bau eines zentralen Schlacht- und Viehhofes.

1868 oben: Pettenkofer Brunnhaus (Foto: Stadtarchiv) rechts: Die Sammelstollen der Gotzinger Quellfassung liefern auch heute noch bestes Trinkwasser.

Robert Koch gelingt es 1883, das Cholerabakterium mikroskopisch nachzuweisen, womit sich die Infektionstheorie als richtig erweist. Pettenkofer will die Infektionstheorie nicht anerkennen. Zur Widerlegung unternimmt er einen Selbstversuch, indem er eine Bakteriensuspension trinkt, die er sich von Robert Koch hat schicken lassen. Nur mit Glück überlebt Pettenkofer das Experiment mit starken Durchfällen.

Auf Pettenkofers Ratschläge hin werden 1868 zunächst die Thalkirchener Grundwasserquellen erschlossen. Mit dem dortigen Pettenkofer-Brunnhaus können nun die Max- und Ludwigsvorstadt, das Gärtnerplatzviertel und Teile der Altstadt mit sauberem Wasser versorgt werden. Auch der königliche Hof trägt mit dem Bau des PfisterBrunnhauses zur Verbesserung der Trinkwassersituation bei.

1878

1880 Trotz seiner wissenschaftlichen Fehleinschätzung bringen Pettenkofers praktische Forschungsbeiträge zur „Assanierung“ große Fortschritte für die Stadthygiene. Mit Nachdruck fordert er die Umsetzung seiner Pläne für die systematische Entwässerung der Stadt und die Versorgung der Menschen mit sauberem Trinkwasser. Die enge Zusammenarbeit zwischen dem Forscher Pettenkofer, dem Techniker Arnold von Zenetti und dem Magistrat wird für München zum Glücksfall. Zudem bringt eine neue bayerische Gemeindeordnung im Jahr 1869 der Stadtverwaltung alle erforderlichen organisatorischen und finanziellen Kompetenzen.

Pettenkofer-Brunnhaus

Der neue städtische Schlacht- und Viehhof wird eröffnet.

Frisches Trinkwasser für alle Das Mangfallprojekt

Damit künftig alle Münchner in den Genuss von frischem Trinkwasser kommen, beauftragt die Stadt den Ingenieur Bernhard Salbach 1880 mit dem so genannten Mangfallprojekt. Bereits nach dreijähriger Bauzeit geht die neue Trinkwasserversorgung am 1. Mai 1883 am SendlingerTor-Platz mit einer Springbrunnenfontäne feierlich in Betrieb.

Der Münchner Schlacht- und Viehhof wird in den Jahren 1876 bis 1878 nach den Plänen des Stadtbaurates Arnold Zenetti errichtet. Die früheren Schlachthäuser am Viktualienmarkt und am Färbergraben werden geschlossen. Kranke Tiere, Schlachtabfälle und Abwasser hatten in der Altstadt immer wieder zu unhygienischen Verhältnissen geführt. (Bild: Markthallen München)

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Vorgeschichte

1806 - 1891 Königreich und Cholera Mit dem Bau der so genannten Gordonkanäle entsteht ab 1881 eine moderne flächendeckende Stadtentwässerung in München. Die Zeiten der Abtrittgruben gehen damit zu Ende. ( Foto: Münchner Stadtentwässerung)

Die Pläne für das neue Kanalsystem stoßen auf massiven Widerstand bei den Landwirten, die bisher die Gruben geleert hatten, um die Fäkalien als Düngemittel auf ihren Feldern auszubringen. Der Bayerische Landwirtschaftsverein unter der Schirmherrschaft des Prinzregenten Luitpold spricht sich lautstark „im Interesse der Landwirthschaft und des allgemeinen Wohls“ gegen die Einführung der Schwemmkanalisation aus. Die Bauern befürchten Produktionsausfälle von einer Million Zentner Getreide aufgrund des fehlenden Fäkaldüngers, der künftig nicht mehr aus den Versitzgruben zu Verfügung steht.

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1881

Die Gordon-Kanäle entstehen

1873 überrollt eine dritte Choleraepidemie die Planungen für die Erneuerung der Stadthygiene. Als Reaktion darauf sollen die vielen Fäkal- und Sickergruben abgeschafft und durch ein stadtweites Kanalnetz ersetzt werden. Noch im selben Jahr beauftragt die Stadt den Londoner Ingenieur Joseph Gordon mit dem Projekt. Geplant ist der Bau eines rund 170 Kilometer langen Röhrensystems, für das rund 13 Millionen Mark veranschlagt werden. Es folgen jedoch erst langwierige Dispute, bevor im Jahr 1881 mit dem Bau des neuen Kanalsystems begonnen wird. Das unterirdische Röhrennetz wächst bis 1890 auf eine Länge von 192 Kilometern. Erfolge der neuen Stadthygiene

unten: Seit 1873 können diejenigen Anwesen, die an gepflasterten Straßen liegen, den Müll zusammen mit dem Straßenkehricht von Fuhrunternehmen gegen Gebühr abfahren lassen. Dieses Verfahren bewährt sich jedoch nicht, denn die Anwohner sind nicht informiert, wann die Wagen kommen. Außerdem verlangen die Fuhrleute zusätzliche Trinkgelder. Im Übrigen sind erst 19 von 127 Straßenkilometern überhaupt gepflastert. Von einem systematischen oder gar flächendeckenden Mülleinsammelsystem ist man weit entfernt. (Holzstich: Privatbesitz Hubert Winkelhofer Dr. Hofmann Gesellschaft für Grundstückspflege mbH)

Während München in den 1850er Jahren noch als Seuchenherd gilt, rühmt man sich Ende des 19. Jahrhunderts als gesündeste Stadt Deutschlands. Als Beweis dient die Senkung der jährlichen Sterblichkeitsrate von 4 Prozent im Jahr 1871 auf 2 Prozent im Jahr 1900. Im Jahr 1914 sinkt die Rate sogar auf 1,4 Prozent (zum Vergleich: heute liegt sie bei etwa 1 Prozent). Müllprobleme bleiben Im Gegensatz zur erfolgreichen Lösung der Trinkwasserund Abwasserprobleme schiebt die Stadt eine Bewältigung des Müllproblems immer wieder hinaus. Vor allem scheuen sich die Stadträte nach der Einführung von Wasser- und Abwassergebühren vor der Umlegung weiterer Kosten auf die Bürgerschaft. Nach wie vor sind die Müllgruben direkt auf den Anwesen in Gebrauch. Eine jährliche Leerung ist zwar vorgeschrieben, bleibt aber den Hausbesitzern selbst überlassen. Von diesen Gruben gibt es 1870 etwa 2.700 über das damalige Stadtgebiet verteilt.

120 Jahre städtische Abfallwirtschaft in München Aschenmänner und Harritschwagen 1891 - 1949

1891 Das erste städtische Abfallkonzept Auf Betreiben des Magistratsrates Alois Panzer erlässt der Münchner Magistrat im Jahr 1891 eine „ortspolizeiliche Vorschrift über die Lagerung und Wegschaffung des Hausunrats“. Zur Organisation der Hausmüllentsorgung wird die „Städtische Hausunratanstalt“ eingerichtet. Der Hausmüll darf ab sofort nicht mehr in Gruben abgelagert, sondern muss zwei Mal in der Woche zur Abfuhr bereitgestellt werden. Die Müllabfuhr ist gebührenpflichtig, die jährlichen Kosten belaufen sich auf ca. 1 Reichsmark pro Kopf. Die Harritschwagen Mit der Abfuhr beauftragt die Stadt private Transportfirmen, denen sie für die Bereitstellung von so genannten Aschenmännern und Pferden eine Festsumme von 180.000 Reichsmark zahlt. Das Stadtgebiet wird in 18 Sammelbezirke eingeteilt. Die Einsammlung des Hausmülls erfolgt mit einem einachsigen Karren, der von einem Pferd gezogen wird. Für das Gefährt bürgert sich bald die Bezeichnung „Harritschwagen“ ein, die wohl auf den englischen Begriff carriage = Wagen zurückgeht. Diese Harritschwagen werden in den Werkstätten der Hausunratabfuhr gefertigt. Alle Wagen sind Eigentum der Stadt und an die privaten Abfuhrunternehmer für die Mülleinsammlung lediglich ausgeliehen. Bis 1897 werden die Abfälle zu Abladeplätzen am Rande der Stadt verbracht. Dort sorgt der Müll bald für Ärger mit den Anwohnern, die sich über den Staub und furchtbaren Gestank beschweren. Zur Kontrolle der Hausunratabfuhr stellt die Stadt fünf gemeindebedienstete Aufseher ein, die provisorische Büros in der alten Isarkaserne auf der Kohleninsel beziehen. Die Bezirksinspektoren der 24 Stadtbezirke unterstützen die Aufseher bei ihrer Aufgabe. Die Aschenmänner müssen auf der Kleidung Nummern tragen. Damit lassen sie sich bei Beschwerden identifizieren. Zu den häufigsten Vergehen gehören: Einfordern von Trinkgeldern, Trunkenheit und unanständiges Benehmen.

Harritschwagen (Foto: AWM)

Entleerung der Harritschwagen (Foto: Harbeck)

Müllverwertungsanlage in Puchheim (Foto: Harbeck)

Sortierhalle in der Hausmüllverwertungsanlage Puchheim (Foto: Harbeck)

1897 Müllverwertung im

In der Hausmüllverwertungsanlage läuft der gesamte Müll zunächst über Siebtrommeln. Damit wird der so genannte Feinmüll abgetrennt. Über ein Förderband gelangt der verbleibende Grobmüll in eine Arbeitshalle. Dort klauben Arbeiterinnen in Fließbandarbeit von Hand alle wiederverwertbaren Bestandteile aus dem Müll: Knochen für die Leimbestellung, Glas, Papier, Lumpen, Leder, Gummi, Kork, Metalle, Speisereste und Holz. Diese Materialien lassen sich gut vermarkten. Der vorher abgetrennte aschehaltige Feinmüll wird auf sauren Wiesen und unfruchtbarem Moorgrund im Umland zur Humusbildung ausgebracht. Ab 1910 erhält das Puchheimer Sortierwerk eine Müllverbrennungsanlage, die zur Energieversorgung der Fabrik dient. Dort werden das gesammelte Holz und andere brennbare Substanzen in der Dampfkesselanlage verfeuert. Die Verwertungsquote beträgt somit nahezu 100 Prozent.



Sortierwerk Puchheim

Im Jahr 1897 schließt die Stadt München einen Vertrag mit der neu gegründeten „Gesellschaft für Hausmüllverwertung München“. Das Unternehmen baut in Puchheim eine moderne Abfallverwertungsanlage. Die müllbeladenen Harritschwagen fahren in München die nächstgelegene Verladestelle am Ost- und Südbahnhof oder an der Maillinger- und der Landsberger Straße an. Über spezielle Rampen gelangen je vier Harritschwagen auf einen Bahnwaggon. Dann setzt sich ein langer Zug mit Dampfkraft zur Puchheimer Sortierfabrik in Bewegung.

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120 Jahre städtische Abfallwirtschaft in München 1891 - 1949 Aschenmänner und Harritschwagen

Die 110-Liter-Blechtonne kommt 1898 führt die Stadtverwaltung eine einheitliche Metalltonne mit 110 Litern Inhalt ein. Das Durchwülen von Mülltonnen und der Harritschwagen nach brauchbaren Sachen wird unter Verbot gestellt.

Pläne für eine städtische Müllverbrennungsanlage Ab 1910 verfolgt die Stadt konkrete Planungen für eine „Müllverbrennungsanstalt“. Treibende Kraft sind die städtischen Elektrizitätswerke. Der Standort soll in unmittelbarer Nähe des neu errichteten Deutschen Museums liegen, weil man mit dem 1,25 Millionen-Reichsmark-Projekt das Deutsche Museum und das Müllersche Volksbad mit Energie versorgen will. Als jährlichen Betriebsüberschuss stellen die Elektrizitätswerke der Stadt 60.000 Reichsmark in Aussicht. Die Hausunratabfuhranstalt verspricht sich von der Müllverbrennungsanlage mehr Unabhängigkeit von der Quasi-Monopolstellung der Puchheimer Verwertungsanlage und wesentlich kürzere Entsorgungswege. Das Projekt scheitert jedoch an zwei Hürden. Zum einen besteht die Puchheimer Müllverwertungsgesellschaft auf den vertraglich zugesicherten Müllmengen. Zum anderen formiert sich ein massiver Widerstand in der Bevölkerung Haidhausens, die starke Luftverschmutzungen befürchtet.

links oben: Geburtsstunde der städtischen Abfallentsorgung: Die „Ortspolizeiliche Vorschrift über die Lagerung und Wegschaffung des Hausunrats“ tritt am 1. Juli 1891 in Kraft. (Foto: AWM) links unten: Lageplan für die Bahn-Verladeplätze an der Landsbergerstraße und an der Maillinger Straße. Hier beginnt die Reise der Harritschwagen nach Puchheim. (Foto: AWM)

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oben: 1909 entsteht die Direktionsvilla der Hausunratabfuhranstalt in der Sachsenstraße 25 (Foto: AWM) unten: Abstellschuppen für die Harritschwagen in der Sachsenstraße 25 (Vorläufer der heutigen Halle 2) (Foto: AWM)

120 Jahre städtische Abfallwirtschaft in München Aschenmänner und Harritschwagen 1891 - 1949

Die Müllzentrale in Untergiesing entsteht

1900 - 1942

Auch nach 1900 wächst die Stadt weiter – und mit ihr der Müll. 1890 kommen Neuhausen und Schwabing zu München, 1892 wird Bogenhausen eingemeindet. Von 1890 bis 1915 steigt die Einwohnerzahl von 350.000 auf 550.000 an. Der Magistrat beschließt deshalb den Bau einer Abfallzentrale im Stadtteil Untergiesing. In der Sachsenstraße 25 entsteht ein vielfältiges Gebäudeensemble mit einer großen Wagenabstellhalle sowie Schmiede-, Wagner- und Sattlerwerkstätten. Für den Direktor der Hausunratabfuhr baut der Architekt und spätere TU-Rektor Richard Schachner eine dreistöckige Villa.

Die Stadt wächst weiter und mit ihr der Müll

München auf dem Weg zur Millionenstadt (Grafik: Arnulf Grundler)

Müllabfuhr im ersten Weltkrieg Der erste Weltkrieg reißt große Lücken in die Hausmüllentsorgung. Die meisten Müllmänner müssen den Wehrdienst antreten. Die Mülltonnen bleiben oft wochenlang in den Hinterhöfen ungeleert stehen. Bald lagern dort rund 3000 Kubikmeter stinkende Abfälle. Schließlich muss die Stadt Soldaten zur Beseitigung der Abfallberge anfordern. Im Jahr 1918 kommen auch russische Kriegsgefangene zum Einsatz. Immerhin wird der Müllsortierbetrieb in Puchheim vom Generalkommando als kriegswichtig eingestuft, „weil er aus dem gesamten Hausunrat der Stadt München wichtige Gegenstände zur weiteren Verarbeitung für militärische Zwecke abliefert.“

Neue Müllverbrennungspläne Während des Kriegs gibt es erneut Planungen für eine Müllverbrennungsanlage, diesmal nahe des Schwabinger Krankenhauses. Die Elektrizitätswerke befürworten diese Lage, „weil die Gegend wenig bebaut ist und daher weniger Einwendungen von eigentlichen Nachbarn erwartet werden mussten“. Es kommt jedoch nicht zu einer Realisierung. Vielmehr verlängert die Stadt 1917 den Vertrag mit der Puchheimer Gesellschaft weiter bis 1923.

In den 1930er Jahren erlebt München einen ersten Abfallboom. (Grafik: Jahresbericht der Münchner Hausunratabfuhr 1951)

Nach einem Rückgang im ersten Weltkrieg steigen die Müllmengen in der Nachkriegszeit stark an. Von 1923 bis 1932 erhöht sich die Menge von 178 kg auf 348 kg pro Einwohner und Jahr. Trotz der wachsenden Abfallmengen behält die Stadt München das Entsorgungssystem mit Harritschwagen und Müllverwertung in Puchheim bis 1945 bei. Alle Alternativen, etwa die Einführung motorisierter Fahrzeuge oder der Bau einer Müllverbrennungsanlage werden mangels Finanzierungsmitteln abgelehnt. Um Kosten für die Müllverwertung zu sparen, geht die Stadt zeitweise sogar dazu über, Müllgruben im Münchner Umland anzulegen.

München ist weiter auf Expansionskurs. Eingemeindet werden: 1912 Forstenried, Fürstenried, Maxhof und Unterdill 1913 die Stadt Milbertshofen, Berg am Laim, Steinhausen, Zamdorf, Moosach und Oberföhring 1922 Feldmoching 1930 Perlach, Daglfing, Denning und Englschalking 1931 Freimann, Fröttmaning und Großlappen 1932 Trudering 1937 Dornach und Haar 1938 die Stadt Pasing, Feldmoching, Lerchenau, Großhadern, Allach, Ludwigsfeld, Obermenzing, Untermenzing und Solln 1942 Aubing, Langwied, Gröbenzell, Lochhausen und Riem, wo ab 1939 der Flughafen München-Riem entsteht. Von 1900 bis 1942 steigt die Einwohnerzahl Münchens von 500.000 auf mehr als 800.000. Die jährliche Müllmenge wächst im gleichen Zeitraum von 150.000 Kubikmeter auf 350.000 Kubikmeter pro Jahr.

Altstoffsammlung in der NS-Zeit Bereits im Vierjahresplan von 1937 führt die nationalsozialistische Regierung die Sammlung von Altstoffen ein. In Propagandaschriften wird die Puchheimer Sortieranlage als Vorbild dargestellt. Über Organisationen und Schulkinder erfasst man Metalle, Papier und Textilien aber auch direkt bei den Haushalten.

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120 Jahre städtische Abfallwirtschaft in München 1891 - 1949 Aschenmänner und Harritschwagen

1939 bis 1945 Während des zweiten Weltkriegs verschlechtert sich die Situation der Abfallwirtschaft zusehends, weil immer mehr Personal zum Arbeitsdienst oder Militär eingezogen wird. Der Mülleinsammelbetrieb lässt sich nur noch mit Zwangsarbeitern aufrecht erhalten. Es entstehen immer mehr Leerungsrückstände, die sich 1941 auf rund 20.000 Kubikmeter belaufen. Auch der Transport der Harritschwagen nach Puchheim klappt nicht mehr regelmäßig, da der Bahnbetrieb immer wieder unterbrochen wird. 1942 muss die Abfallsortierung in der Puchheimer Verwertungsanlage mangels Ersatzteilen eingestellt werden. Ab jetzt wird der Hausmüll mit Lastwagen in Kiesgruben im Münchner Umland abgekippt. Bei Kriegsende sind 50 Prozent der Harritschwagen vernichtet. Der Pferdebestand ist um 70 Prozent gesunken. Im Jahr 1945 gibt es de facto keine Müllabfuhr mehr. Die Bevölkerung wird angewiesen, den Müll vorübergehend in Gärten und freien Flächen abzulagern. In der Innenstadt herrscht aufgrund einer beginnenden Rattenplage akute Seuchengefahr.

Harritschwagen vor dem brennenden Nationaltheater 1944 (Foto: Tino Walz)

Die Zerstörungen in der Sachsenstraße (Skizze: AWM)

links: Bericht über den Müllmann im Völkischen Beobachter 21. November 1936 unten links: Zwangsarbeiter bei der Müllabfuhr (Foto: Stadtarchiv München) unten rechts: „Müllabfuhr” in NS-Uniform (Foto: Samberger)

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120 Jahre städtische Abfallwirtschaft in München Aschenmänner und Harritschwagen 1891 - 1949

1946 Um nach Kriegsende die Müllabfuhr wieder in Gang zu bringen, behilft sich die Stadtverwaltung mit HolzvergaserAutos und alten Armeefahrzeugen und setzt Arbeitskräfte aus anderen städtischen Bereichen ein. Der Müll wird in Bombentrichtern, Geländemulden und Kiesgruben in München und im Umland abgelagert. In der Bevölkerung kommt es immer wieder zu Klagen, „dass die Abfuhr des Hausunrats recht willkürlich und nicht selten nur dort vorgenommen wird, wo es Brotzeiten gibt, also bei Metzgern, Bäckern usw.“. Rund 55.000 Kubikmeter Hausmüll haben sich über Monate in Hinterhöfen angehäuft. Wegen des akuten Personalmangels setzt die Stadt 1947 sogar internierte NS-Parteigenossen zur Müllbeseitigung ein.

Zerstörtes München. Die Trümmer werden zu den beiden Schuttbergen am Oberwiesenfeld und im Luitpoldpark aufgehäuft. (Foto: Stadtarchiv München)

Müllgrube bei München

Holzvergaser im Jahr 1945 (Foto: Stadtarchiv München)

Ramadama mit OB Thomas Wimmer 1948 (Foto: Stadtarchiv München)

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120 Jahre städtische Abfallwirtschaft in München 1949 - 1988 Neubeginn und Wirtschaftswunder Die ersten Müll-LKW Mit dem Wiederaufbau Münchens kommt neuer Schwung in die städtische Müllabfuhr. Anfang 1949 rollen die ersten zehn motorisierten Müllfahrzeuge durch die Straßen. Am 1. April 1949 geht der Mülleinsammelbetrieb in städtische Hand über. Innerhalb von zwei Jahren wird der Fuhrpark von Pferdebetrieb auf Lkw umgestellt. Wohin mit dem Müll? Müllnotstand in den 1950er Jahren Nun ist zwar der Abtransport des Hausmülls geregelt. Nach wie vor problematisch bleibt aber die eigentliche Entsorgung. Die jährliche Müllmenge verdoppelt sich zwischen 1946 und 1954 von 233.000 auf 470.000 Kubikmeter. Nachdem die Sortier- und Verwertungsanlage in Puchheim nicht wieder aufgebaut wird, gelangen immer mehr Abfälle in Müllgruben rings um München. Dort häufen sich die Beschwerden der Anwohner. Die Entscheidung für eine neue Entsorgungskonzeption wird jedoch immer wieder hinausgeschoben, da die wachsenden Müllmengen die Planungen mehrmals überholen.

Betriebsgelände an der Sachsenstraße um 1963 (Foto: AWM)

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links: Die letzten Harritschwagen werden ausgeschlachtet (Foto: AWM)

unten: Motorisierung der Müllabfuhr: Einsammelfahrzeuge vom Typ Opel-Streicher und Faun (Foto: AWM)

rechte Seite: Die Müllfahrzeuge rücken aus. Oftmals nimmt Oberbürgermeister Thomas Wimmer die „Parade“ ab. (Foto: AWM)

120 Jahre städtische Abfallwirtschaft in München Neubeginn und Wirtschaftswunder 1949 - 1988

Die Müllverwertungsanlage Großlappen entsteht Im Jahr 1952 gibt das Rathaus grünes Licht für eine neue Müllverwertungsanlage in Großlappen. Zwei Jahre später geht das Abfallsortierwerk mit einem privaten Betreiber, der Müllverwertungs-GmbH, in Betrieb. Die Anlage hat eine Jahreskapazität von 500.000 Kubikmetern, was ausreicht, um den gesamten Münchner Müll zu verarbeiten. Mit modernster Technik wird der Hausmüll teils maschinell, teils manuell in verwertbare Fraktionen getrennt: Eisen, Buntmetalle, Papier, Textilien, Glas, Bettfedern, Schweinefutter. Die Sortierreste bilden in unmittelbarer Nähe der Anlage einen langsam aber stetig anwachsenden Müllberg. Das Dorf Fröttmaning wird Anfang der 1950er Jahre für künftige Müllablagerungen geräumt. Nur die kleine Kirche aus dem Jahr 815 bleibt erhalten.

oben links: Bau der Müllverwertungsanlage Großlappen 1952 (Foto: AWM)

oben: Müllumladestelle Thalkirchner Straße (Foto: AWM)

links: Der Müllberg Großlappen entsteht (Foto: AWM)

unten: Müllverwertungsanlage Großlappen in Betrieb 1954 (Foto: AWM)

Müllumladestellen Das Zuladevolumen der ersten motorisierten Müllfahrzeuge ist mit 6 Kubikmetern sehr bescheiden. Auch gibt es noch keine Müllverdichtungseinrichtungen an den Fahrzeugen. Der Transport zu den weit entfernten Entsorgungsstellen gestaltet sich sehr unwirtschaftlich. Deshalb baut die Stadt im Jahr 1953 Müllumladestellen in der Soxlethstraße, in der Thalkirchner Straße (heute Wertstoffhof) und 1962 in der Truderinger Straße (heute Betriebshof Ost). Sieben Großraumlastzüge mit Anhängern nehmen in den Umladestationen den Müll auf, der von den kleineren Mülleinsammelfahrzeugen abgekippt wird.

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120 Jahre städtische Abfallwirtschaft in München 1949 - 1988 Neubeginn und Wirtschaftswunder 1964

Der Wohlstandsmüll kommt

Neue Generationen von Müllfahrzeugen haben nicht nur wesentlich höhere Zuladekapazitäten, sondern verfügen auch über moderne Müllpressen. Jetzt können die Abfälle direkt bei den neuen Kraftwerken angeliefert werden (Kraftwerk Nord: 1964, Kraftwerk Süd:1969). Die Umladestellen beenden ihren Betrieb – die „Thalkirchner Straße“ und die „Truderinger Straße“ werden nun als Sperrmüllsammelstellen weiter betrieben.

Zwischen 1954 und 1964 verdoppelt sich die Abfallmenge noch einmal. Die Müllverwertungsanlage Großlappen ist bald völlig überlastet. Immer mehr Müll muss direkt auf der Deponie entsorgt werden. Der wachsende Abfallberg sorgt für massiven Ärger. Von Schwabing über Freimann bis Garching beklagen sich die Anwohner über Lärm, Staub und Gestank. Im Jahr 1965 kommt der Sortier- und Verwertungsbetrieb aufgrund eines Großbrands in der Großlappener Anlage vollständig zum Erliegen. Jetzt landen alle Abfälle unsortiert und ungenutzt direkt auf dem Müllberg. Damit nimmt die Deponie immer größere Dimensionen an. Nicht nur Hausmüll und Gewerbeabfälle, sondern auch Chemieabfälle, Kühlgeräte und Autoreifen werden dort massenweise abgekippt.

unten: Müllflut in Zahlen (Grafik AWM)

Wohlstandsmüll (Abendzeitung vom 2./3. 12. 1961)

oben: Mülltonnen quellen über (Abendzeitung vom 30.09.1959) unten: Der Müllberg Großlappen wächst auf der grünen Wiese. (Foto: AWM)

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120 Jahre städtische Abfallwirtschaft in München Neubeginn und Wirtschaftswunder 1949 - 1988

links: Müllabfuhr 1965

Der Müllberg brennt. (Foto: AWM)

Auf dem Gipfel entsteht Anfang der 1970er Jahre ein riesiger See aus Chemikalien, der so genannte Giftsee. Durch Risse in den Hängen strömen laufend Deponiegase aus dem gärenden Berginneren. Immer wieder züngeln blaue Flammen über die Oberfläche. Mitunter gerät der gesamte Berg in Brand und Rauchschwaden verdunkeln den Münchner Norden. Trotz schärfster Proteste der Anlieger muss die Stadt im Jahr 1982 mangels Alternativen den Müllberg noch einmal nach Norden hin erweitern.

rechts: OB Kiesl und Direktor Schmiededer inspizieren eine primitive Gasfackel. (Foto: AWM)

Nach dem Großbrand in der Müllsortieranlage Großlappen im Jahr 1965 landen alle Abfälle auf dem Müllberg. (Foto: AWM)

Giftsee aus Chemieabfällen auf dem Müllberg Großlappen (Foto: AWM)

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120 Jahre städtische Abfallwirtschaft in München 1949 - 1988 Neubeginn und Wirtschaftswunder Gastarbeiter Im Jahr 1964 stellt die Stadt die ersten Gastarbeiter, 54 Türken, bei der Müllabfuhr ein. Ein Jahr später gibt es bereits 111 türkische Mitarbeiter und 1971 sind etwa die Hälfte der rund 500 Müllmänner Gastarbeiter.

Münchner Stadtanzeiger vom 21.09.1982: Andere Länder, andere Flüch A Wagen vo der Müllabfuhr Drahht in der Früah sei Morgen-Tour. De Tonnenänner san zu dritt, zwoa Türken und ois Außenseiter oa Hiesiger, ois Vorarbeiter. Auf oamoi, wia´s a Tonne nemma Und ned recht auf´n Wagen stemma – sie stelln se grad a bröckl dumm – da fallt die Tonne halbert um.

oben: Ab 1964 erhält die städtische Müllabfuhr Verstärkung durch Gastarbeiter. unten: Die neuen Müllgroßbehälter machen die Müllabfuhr wirtschaftlicher. (Foto: AWM)

Der Bayer, den´s in d´Wampn pufft Schreit auf und holt an Schnapper Luft und schimpft gleich no saugrantig drauf: „Ja Kruzitürken, paßt´s halt auf!“ Da moant der frechste Türken-Schreier: „Du passen auf, du Kruzi-Bayer!“ Höhere Wirtschaftlichkeit mit neuen Müllbehältern 1964 werden die so genannten Müllgroßbehälter mit 1100 und 770 Litern Inhalt eingeführt. Die Einsammelfahrzeuge lassen sich damit wesentlich schneller befüllen. Eine weitere Arbeitserleichterung bringen auch die neuen 110-Liter-Kunststoffbehälter mit sich, die ab 1968 die alten, schweren Blechtonnen ersetzen.

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120 Jahre städtische Abfallwirtschaft in München Neubeginn und Wirtschaftswunder 1949 - 1988

Deutschland ist heller geworden. (Abendzeitung 14.1.1960)

1964

Strom und Fernwärme aus Müll – Die Müllverbrennungsanlagen entstehen

Seit Mitte der 1950er Jahre arbeitet die Stadt an neuen Plänen für eine Müllverbrennungsanlage. Euphorisch stellt man in Aussicht, bald den gesamten Münchner Abfall in elektrischen Strom verwandeln zu können. Erst 10 Jahre später, am 16. Juni 1964 nimmt die erste Müllverbrennungsanlage in Unterföhring den Betrieb auf. Sie ist die modernste Anlage Europas. Erstmals wird Müll zur Erzeugung von Strom und Fernwärme genutzt. Die Kapazität des Verbrennungsblocks 1 liegt bei 250.000 t pro Jahr. Die Investitionskosten belaufen sich auf rund 70 Millionen Mark. Der Konsum steigt weiter – die Müllmengen auch. Neue Verbrennungsanlagen müssen gebaut werden. Im Jahr 1966 geht der zweite Block in Unterföhring in Betrieb. Das erste Münchner Müllheizkraftwerk in Unterföhring geht 1964 in Betrieb.(Foto: Stadtwerke München)

Heizkraftwerk München Süd 1969 (Foto: Stadtwerke München)

1969 entsteht an der Thalkirchner Straße das zweite Münchner Heizkraftwerk. Bereits zwei Jahre später muss die Anlage um einen weiteren Block aufgestockt werden. Die gesamte Verbrennungskapazität liegt 1971 bei rund 780.000 Jahrestonnen.

Die ersten Müllverbrennungsanlagen in den 1960er Jahren sind nur sehr unzureichend ausgerüstet, um Schadstoffe aus den Abgasen zurückzuhalten. Müll gilt als unproblematischer Brennstoff. Die Rauchgase werden zur Staubrückhaltung durch einfache Gewebefilter geleitet. Erst Ende der 1970er Jahre erkennt man die Gefahren, die von den Rauchgasen ausgehen. Wissenschaftliche Untersuchungen beweisen die schädliche Wirkung von Stickoxiden, Schwefeloxiden und der besonders gefährlichen Dioxine und Furane. In den 1980er Jahren rüstet die Stadt alle Müllverbrennungsanlagen unter sehr hohem Kostenaufwand mit modernster Abgasreinigungstechnik nach, was die Müllentsorgung verteuert. Lag 1966 der Preis für eine Gewichtstonne noch bei umgerechnet 7 Euro, so kostet sie heute (2008) 174,86 Euro.

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120 Jahre städtische Abfallwirtschaft in München 1949 - 1988 Neubeginn und Wirtschaftswunder Abfallbeseitigungskonzept von 1975 Die Kapazitäten der beiden Münchner Müllverbrennungsanlagen reichen trotz ständiger Erweiterungen nicht mehr aus, und man denkt bereits an ein drittes Kraftwerk. Zur Verringerung der Deponiemengen macht die Stadt ab Mitte der 1970er Jahre erste Ansätze für eine getrennte Papier- und Glaserfassung. Doch die damalige Bündelsammlung von Zeitungen ist nicht systematisch und die Sammelmengen der Glascontainer sind nur ein Tropfen auf den heißen Stein.

1980er Jahre



Müllkrise auf dem Höhepunkt

Im Verlauf der 1980er Jahre steuert München auf einen Müllnotstand zu. Wie in ganz Deutschland, so beherrscht das Thema Müll die Umweltdiskussion auch in München. In allen Münchner Stadtteilen gründen sich Müllinitiativen, die sich für die Vermeidung von Abfällen stark machen. Auch die Stadt München selbst veranstaltet Ende der 1980er Jahre Kundgebungen zur Müllproblematik und fordert Verbraucher und Handel zum Umdenken auf. Als Reaktion auf die Mülllawine und die massiven Umweltverschmutzungen formiert sich die Aktion „Rettet den Münchner Norden“. Auf Bayerischer Ebene wird ein Volksentscheid zur Änderung der Abfallpolitik erzwungen.

Auf dem Odeonsplatz finden 1990 städtische Kundgebungen zum Müllproblem statt. (Foto: AWM)

Demonstration für das Volksbegehren DAS BESSERE MÜLLKONZEPT (Foto: Ingrid Keiner)

Wohlstandsmüll türmt sich (Foto: AWM)

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120 Jahre städtische Abfallwirtschaft in München Neubeginn und Wirtschaftswunder 1949 - 1988

Abfallbeseitigungskonzept 1982

Schließung des Müllbergs Großlappen

Im Jahr 1982 beschließt der Stadtrat ein Abfallbeseitigungs-konzept. Hier werden die Grundsteine zur systematischen Wertstoffsammlung und zur Giftmüllentsorgung gelegt. Geplant ist ein Modellversuch mit der „Grünen Tonne“ für trockene Wertstoffe und die Verdichtung des Containersystems für Altglas. Um Deponievolumen einzusparen, darf künftig kein Bauschutt mehr auf den Müllberg Großlappen abgekippt werden. Sperrmüll soll einem Müllverwertungsunternehmen in Garching zugeführt werden.

Im Jahr 1987 wird der Müllberg Großlappen endgültig geschlossen. Gleichzeitig nimmt die neue Deponie NordWest den Betrieb auf. Die neue Deponie zeichnet sich durch umwelttechnische Neuerungen aus:

Einführung von „Universal-Kippeinrichtungen“

• der Untergrund ist durch mehrere Schichten abgedichtet, • das Sickerwasser wird vollständig erfasst und in die Kläranlage geleitet, • das Deponiegas wird aus dem Berg abgesaugt und in einem Blockheizkraftwerk in elektrische Energie umgewandelt.

Die Technik an den Müllfahrzeugen wird weiter verbessert. Mitte 1982 testet die Stadt die ersten „UniversalKippeinrichtungen“. Mit dieser Schüttung lassen sich sowohl kleine 110-Liter-Kunststofftonnen als auch 1,1-Kubikmeter-Metallgroßbehälter leeren. Zugleich werden die ersten rollbaren 120-Liter-Tonnen getestet.

oben: OB Georg Kronawitter besucht die Müllsortieranlage am Georg-Brauchle-Ring. Hier wird der Inhalt der neuen grünen Wertstofftonnen sortiert. (Foto: AWM)

1985 richtet die Stadt 270 Container-Standplätze zur Erfassung von Altpapier und Glas ein. Die Verantwortung für diese Sammelcontainer geht im Mai 1985 vom Umweltschutzreferat auf das Kommunalreferat über.

Mitte und unten: Die Nachfolgedeponie in Freimann gilt 1987 als die modernste Europas. Sie verfügt über eine Sickerwassererfassung und eine aktive Entgasung. (Foto: AWM)

Im Jahr 1987 startet der Modellversuch mit der grünen Wertstofftonne für gemischte trockene Altstoffe. Das Experiment bringt jedoch keine brauchbaren Ergebnisse und wird zwei Jahre später wieder eingestellt. Zu stark sind die Altstoffe mit Restmüll vermischt. Die Stadt führt zwei Giftmobile ein und stellt 300 Batteriesammelbehälter in Schulen und Verwaltungsgebäuden auf.

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120 Jahre städtische Abfallwirtschaft in München 1988 - 2011 Ökologie und Hightech 1988

Neues Abfallwirtschaftskonzept

Der Münchner Stadtrat vollzieht 1988 eine radikale Kehrtwende in der Abfallpolitik. Kommunalreferent Georg Welsch arbeitet ein neues, ökologisch ausgerichtetes Abfallwirtschaftskonzept aus, das der Stadtrat einstimmig verabschiedet. Ziel des Programms ist die konsequente Abfallvermeidung und Mülltrennung bei Privathaushalten, Gewerbebetrieben und im öffentlichen Bereich. Die drei wichtigsten Grundsätze des Abfallkonzeptes von 1988 lauten: • Abfallvermeidung geht vor Wiederverwertung • Wiederverwertung von Abfällen geht vor Müllverbrennung • Verbrennung geht vor Deponierung

Der Münchner Stadtrat informiert sich in Göttingen über die Biotonne. (Foto: Georg Welsch)

Städtische Müllabfuhr wird zum Amt für Abfallwirtschaft Zur Bündelung aller notwendigen Kompetenzen werden 1989 die Bereiche „städtische Müllbeseitigung“ und „Sondersachgebiet Abfall“ des Kommunalreferats zusammengelegt. Das neue „Amt für Abfallwirtschaft“ verfügt über eigene Abteilungen für Finanzen, Personal, Beschaffung, EDV und Betrieb. Zusätzlich entstehen Stabsstellen für Planung und Recht sowie für Öffentlichkeitsarbeit und Abfall-beratung.

oben: Die Müllprognose 1988 zeigt, dass noch viel zu tun ist. (Grafik AWM)

links: Abfallkonzept 1988-89 (Grafik AWM)

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Ab 1990 gibt es auf dem Oktoberfest keinen Einwegmüll mehr. (Foto: Arnulf Grundler)

„Husch, husch, ins Körbchen“ – Postkartenaktion der Stadt München gegen Einweg und für Mehrweg (Postkarten AWM)

120 Jahre städtische Abfallwirtschaft in München Ökologie und Hightech 1988 - 2011

Das neue Konzept beginnt zu greifen Als Sofortmaßnahme zur Reduzierung des Restmülls führt die Stadt eine Mülltrennpflicht für Gewerbebetriebe ein. Für Privathaushalte arbeitet das Amt für Abfallwirtschaft Pläne für ein stadtweites Drei-Tonnen-System und für den Bau moderner Wertstoffhöfe aus. Mit Aktionstagen in zehn Stadtteilen werden die Münchnerinnen und Münchner 1990 über das bayerische Volksbegehren „das bessere Müllkonzept“ informiert, das von der Stadtverwaltung befürwortet wird. Kampf gegen Einwegverpackungen Auf öffentlichem Grund dürfen seit 1991 per Satzung weder Einweggeschirr noch Einweggetränkeverpackungen eingesetzt oder verkauft werden. Diese MehrwegVerpflichtung gilt auch für alle städtischen Einrichtungen und Veranstaltungen, so zum Beispiel auf den Münchner Wochenmärkten, im Olympiastadion und auf dem Münchner Oktoberfest. Das Restmüllaufkommen dieser Veranstaltungen reduziert sich dadurch um mehr als 50 Prozent. 1992 Hightech für die Heizkraftwerke Mit neuer Feuerungstechnik und aufwändigen Rauchgasreinigungsanlagen verwandeln sich die Münchner Müllverbrennungsanlagen zu den modernsten Europas. Die Schadstoffemissionen liegen weit unter den gesetzlich vorgeschriebenen Werten.

links: Die Münchner Heizkraftwerke werden mit einer effektiven Rauchgasreinigung ausgestattet. Der Schadstoffausstoß sinkt dadurch weit unter die gesetzlich zugelassenen Grenzen. Die neuen Anlagen gelten weltweit als vorbildlich. (SWM-Kurier 1992)

Maßnahmen für ein neues Abfallbewusstsein Ab den 1990er Jahren startet die Stadt eine Reihe spektakulärer PR-Aktionen, die weit über München hinaus bekannt werden. 1990 „München erstickt im Müll” 1992/93 „München jagt die Müllsau“ 1995 „Müll oder Refill“ 1996 „Weniger Müll im Beutel“ 1997 „Münchner Mehrwegwochen“ 2007 „Müll besser trennen”

Abfallberatung

Müllanlieferung beim Heizkraftwerk München Nord (Foto: AWM)

Seit 1991 stehen Abfallberaterinnen und Abfallberater für alle Fragen rund um das Thema Müll zur Verfügung. Das Team wird durch ehrenamtliche Münchnerinnen und Münchner verstärkt, die sich in einem Ausbildungsprogramm an der Münchner Volkshochschule zu Beratungsfachkräften qualifizieren. Die Kundenberatung am „Abfalltelefon“ wird zum Renner und entwickelt sich in den Folgejahren zu einem modernen Info-Center.

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120 Jahre städtische Abfallwirtschaft in München 1988 - 2011 Ökologie und Hightech

oben: Städtische Kampagnen für Müllvermeidung und Mülltrennung 1992 „München jagt die Müllsau“ 2008 „Müll besser trennen“ (Fotos: AWM) links: Das Info-Center des AWM (Foto: AWM) 1994: Pressekonferenz zur Einführung des Drei-Tonnen-Systems mit Bürgermeisterin Dr. Gertraud Burkert und Kommunalreferent Georg Welsch (Foto: AWM)

Förderprogramme zur Abfallvermeidung

12 Wertstoffhöfe entstehen. Hier der Wertstoffhof an der Mauerseglerstraße. (Foto: AWM)

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Im Jahr 1999 ist das Münchner Drei-Tonnen-System komplett. (Foto: Arnulf Grundler)

Der Abfallvermeidungsgedanke wird über Informations- und Motivationskampagnen und durch Förderprogramme mit Leben gefüllt. Das Amt für Abfallwirtschaft veranstaltet Aktionen für Kinder und Jugendliche und ist bei Stadtteilfesten mit Infoständen präsent. Die Stadt gewährt Zuschüsse für den Häckseldienst. Für Wohnanlagen ab 50 Bewohner gibt es einen kostenlosen Kompostierservice. Das Amt für Abfallwirtschaft organisiert einen Verleih von Spülmobilen und Mehrweggeschirr.

120 Jahre städtische Abfallwirtschaft in München Ökologie und Hightech 1988 - 2011

links und rechts: Im Jahr 1999 geht die neue Abfallzentrale am GeorgBrauchle-Ring in Betrieb. (Fotos: Arnulf Grundler)

Das Münchner Wertstoffhof-Modell Im Zeitraum von 1990 bis 1997 entstehen zwölf hochwertige Anlagen zur Abgabe von Sperrmüll, Wertstoffen und Problemabfällen. Sie lösen die alten Sperrmüllsammelstellen ab.

1994

Der neue Betriebshof Ost an der Truderinger Straße ist 2002 fertig. (Fotos: AWM)

Das Drei-Tonnen-System kommt

Der Stadtrat spricht sich 1994 für die Einführung des Drei-Tonnen-Systems für Restmüll, Papier- und Bioabfälle aus. Damit werden die mengenmäßig bedeutendsten Wertstoff-Fraktionen haushaltsnah erfasst.1999 ist das „3-ToSy“ im ganzen Stadtgebiet komplett. Als erste deutsche Großstadt hat München damit eine flächendeckende haushaltsnahe Papier- und Bioabfallerfassung.

Das neue Abfallwirtschafts konzept beginnt zu greifen. Ab 1990 sinken die Müllmegen. (Grafik: AWM)

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120 Jahre städtische Abfallwirtschaft in München 1988 - 2011 Ökologie und Hightech

Der ehemalige Müllberg Großlappen ist 2000 vollständig renaturiert. (Fotos: Arnulf Grundler)

Moderne Infrastruktur Die alte Müllzentrale an der Sachsenstraße ist in den letzten Jahren zu klein geworden. Seit einigen Jahren plant die Stadt deshalb ein neues Standortkonzept. Im Oktober 1999 kann das Amt für Abfallwirtschaft die neue Zentrale am Georg-Brauchle-Ring beziehen. Der neue Betriebshof Ost an der Truderinger Straße nimmt im Jahr 2002 den Betrieb auf. Die Sanierung des Betriebshofes Süd an der Sachsenstraße ist im Jahr 2006 abgeschlossen. Der AWM verfügt somit über moderne und funktionale Betriebseinrichtungen an logistisch optimalen Standorten.

1997

Schließung der Müllverbrennungsanlage Süd

Das Abfallaufkommen ist in München nach Jahrzehnten des Müllwachstums erstmals rückläufig. Deshalb wird die Müllverbrennungsanlage im Heizkraftwerk Süd im Dezember 1997 abgeschaltet.

2000 Der Müllberg Großlappen ist 2000 vollständig renaturiert und steht nun als neues Naherholungsgebiet zur Verfügung.

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oben: Die Halle 2, das städtische Gebrauchtwarenkaufhaus des AWM (Foto: AWM) Mitte: Gabriele Friderich stellt die neuen KunststoffGroßbehälter vor. (Foto: Arnulf Grundler) unten: Logo AWM (Foto: AWM)

120 Jahre städtische Abfallwirtschaft in München Ökologie und Hightech 1988 - 2011

2001



2008 Die Trockenfermentationsanlage –

Die Halle 2 – das städtische Gebrauchtwaren- kaufhaus

Strom aus Münchner Biomüll

Mit der Inbetriebnahme der Trockenfermentationsanlage auf dem Gelände der ehemaligen Deponie Nord-West in Freimann im Jahr 2008 beschreitet der AWM neue Wege bei der Verwertung der Münchner Bioabfälle: Die innovative und effiziente Umwelttechnologie der Trockenfermentation entspricht den Grundsätzen einer modernen und nachhaltigen Abfallwirtschaft. Erst wird der Energiegehalt des Biomülls über Vergärung genutzt, anschließend wird der Gärrest nachkompostiert und stofflich hochwertig verwertet. Die hier produzierte Blumenerde wird bevorzugt im Münchner Raum vertrieben, ein Beispiel für eine echte, auch regional ausgerichtete Kreislaufwirtschaft. Die Anlage ist für bis zu 25.000 Megagramm Küchen- und Gartenabfälle aus der braunen Biotonne genehmigt. Im Jahr 2009 wurden 2.400.000 KWh Strom in das Netz eingespeist. Diese Strommenge deckt in etwa den Bedarf von 1000 Münchner Haushalten und ersetzt rund 298.000 Liter Heizöl.

Im Jahr 2001 eröffnet das erste städtische Gebrauchtwarenkaufhaus – die Halle 2. Ganz im Sinne der Abfallvermeidung kommen dort alle intakten Gegenstände, die auf den Wertstoffhöfen erfasst werden, zum Verkauf.

2002

Vom Amt zum Eigenbetrieb

Das Amt für Abfallwirtschaft wird städtischer Eigenbetrieb und heißt jetzt Abfallwirtschaftsbetrieb München (AWM). Erste Werkleiterin ist Kommunalreferentin Gabriele Friderich. Zweiter Werkleiter ist Helmut Schmidt.

2004



Großbehälter aus Kunststoff werden eingeführt

Die neuen Kunststoffbehälter sind nicht nur leichter, sie verursachen auch beim Bereitstellen und Leeren weniger Lärm.

Bilanz Nach 120 Jahren städtischer Abfallwirtschaft und nach 23 Jahren ökologischer Abfallwirtschaftspolitik kann die Stadt München eine durchwegs positive Bilanz vorweisen. Der Münchner Abfall stellt heute weder für die Bürger noch für die Verwaltung eine Bedrohung dar. Das Abfallwirtschaftskonzept setzt auf Nachhaltigkeit und garantiert eine langfristige Entsorgungssicherheit. Eine Studie des bifa -Umweltinstituts Augsburg zeigt überdies, dass die Münchner Abfallwirt-schaft aktiv zum Klimaschutz beiträgt.

oben und Mitte: Die neue Trockenfermentationsanlage im Entsorgungspark Freimann. (Fotos und Grafik: AWM)

Das Zielsystem des AWM im Überblick Eigentümer

Gemeinwohl

Kunden

E K

P

Prozesse

E M

K

P

Mitarbeiter

E M

K

P

E M

K

P

Nachhaltige Abfallwirtschaft

M

Wirtschaftlich

Geringe und stabile Gesamtkosten

Attraktives Preis-LeistungsVerhältnis bei hoher Qualität

Wettbewerbsfähiges Leistungsniveau

Kompetente und leistungsfähige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter

Ökologisch

Ökologische Entsorgung der Abfälle

Förderung von Abfallvermeidung, -trennung

Ressourcenschonende Prozesse

Ökologischabfalltechnische Kompetenz

Gesellschaftlich

Beitrag zur Qualität des Standorts München

Partnerschaftlicher Umgang mit Kunden

Schutz, Entwicklung der Ressource Arbeit

Zufriedene und motivierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter

Im Zentrum der Arbeit des Abfallwirtschaftsbetriebs München steht der Beitrag zum Gemeinwohl. So verfolgt der AWM in seiner Unternehmensstrategie sowohl wirtschaftliche, als auch ökologische und gesellschaftliche Ziele. Eine geringe finanzielle Belastung der Münchner Bürgerinnen und Bürger durch effektive, serviceorientierte und zugleich sozialverträgliche Unternehmensführung mit dem Fokus auf eine umweltgerechte Sammlung und Entsorgung der Abfälle sind dabei zentrale Ziele des AWM.

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120 Jahre städtische Abfallwirtschaft in München 1988 - 2011 Ökologie und Hightech

Umweltgerechte Müllverwertung Aufgrund aktiver Abfallvermeidung und konsequenter Mülltrennung ist es dem Abfallwirtschaftsbetrieb München in den vergangenen Jahren gelungen, die Restmüllmenge vom historischen Höchststand von 1,2 Millionen Megagramm im Jahr 1990 um 55 Prozent zu senken. Heute werden rund 60 Prozent der Abfälle aus Münchner Haushalten stofflich verwertet. Der Restmüll wird im Heizkraftwerk München Nord unter höchsten Umweltstandards zur Strom- und Fernwärmeerzeugung genutzt. Der Abfallwirtschaftsbetrieb München setzt auf Nachhaltigkeit. Papierabfälle sind ein wertvoller Rohstoff zur Herstellung hochwertiger Recyclingprodukte. (Foto: Arnulf Grundler)

Plakat aus der Trennkampagne des AWM 2010

Sinkende Müllgebühren Zum Erfolg des Münchner Abfallkonzeptes gehört auch die langfristige Stabilität der Müllgebühren. Durch konsequentes Kostenmanagement des AWM in Form von kontinuierlichen Optimierungen in Verwaltung und Logistik, guter Verwertungserlöse bei den getrennt gesammelten Wertstoffen, der Auslastung der Müllverbrennungsanlage und der guten Mülltrennung der Münchner Bürgerinnen und Bürger konnten die Gebühren zum 01.01.2011 sogar zum dritten mal in Folge gesenkt werden. Sie liegen damit im bundesweiten Großstadtvergleich im unteren Drittel. Hier wird der Vorteil der Abfallwirtschaft in kommunaler Hand deutlich. Denn der AWM arbeitet als kommunaler Betrieb kostendeckend und nicht gewinnorientiert. Die Münchner Bürgerinnen und Bürger profitieren deshalb direkt von der effizienten Arbeitsweise des Betriebs. Moderne Infrastruktur

Die Tonnenwaschanlage auf dem Gelände des Betriebshofs Ost (Foto: AWM)

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Der AWM verfügt über moderne und funktionsgerechte Gebäude und Anlagen. Dazu zählen die Zentrale, die beiden Betriebshöfe Süd und Ost, die 12 Wertstoffhöfe, der Entsorgungspark Freimann, die Trockenfermentationsanlage auf dem Gelände der ehemaligen Deponie Nord-West in Freimann, die mit Brauchwasser betriebene Tonnenwaschanlage am Betriebshof Ost und die Müllverbrennungsanlage im Heizkraftwerk München Nord. Die Fahrzeugflotte ist auf dem neuesten Stand der Technik. Die Müllfahrzeuge fahren leise und umweltfreundlich durch die Stadt. Die Verwaltung des AWM arbeitet mit einer modernen branchenspezifischen Software.

120 Jahre städtische Abfallwirtschaft in München Ökologie und Hightech 1988 - 2011 Kompetente Mitarbeiter

Abfälle in guten Händen: über 1300 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sorgen tagtäglich dafür, dass der Münchner Müll pünktlich entsorgt und zuverlässig verwertet wird. (Foto: AWM)

Etwa 1350 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus 23 Nationen in Verwaltung und Außendienst engagieren sich beim AWM für ein verantwortungsvolles und serviceorientiertes Abfallmanagement unserer Stadt. Funktional und gut ausgestattete Arbeitsplätze, hochwertige Arbeitskleidung und ein moderner Fuhrpark gehören zu den etablierten Standards des AWM. Programme zum Arbeitsund Gesundheitsschutz sowie Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen für alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind mittlerweile feste Bestandteile im betrieblichen Angebot. Auch sorgt der AWM für eine gute Information seiner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Form von Printmedien und Intranet. Herausforderungen der Zukunft

Zweiter Werkleiter des AWM, Helmut Schmidt,Oberbürgermeister Christian Ude und Kommunalreferentin und Erste Werkleiterin des AWM Gabriele Friderich setzen sich für die kommunale Abfallwirtschaft ein (Foto: AWM)

Auf europäischer Ebene gibt es seit einigen Jahren starke Bestrebungen, kommunale Dienstleistungen einem Zwang zur Privatisierung zu unterwerfen. Davon sind auch die städtische Abfallwirtschaft, die Trinkwasserversorgung und die Abwasserreinigung bedroht, also große Teile der kommunalen Daseinsvorsorge. Eine breite Mehrheit im Münchner Stadtrat spricht sich jedoch klar für den Erhalt dieser wichtigen Aufgaben in städtischer Hand aus. Denn die Privatisierung ist beileibe kein Patentrezept. So zeigen die Erfahrungen im britischen Transportwesen oder auf dem französischen Wassermarkt, dass die Privatisierung öffentlicher Infrastruktur und Dienstleistungen sehr negative Auswirkungen haben kann. Nachhaltigkeit und Gemeinwohl

Aktionstag “Da sein für München” auf dem Marienplatz (Foto: AWM)

Kommunale Unternehmen orientieren sich nicht an kurzfristigen Renditeerwartungen, sondern stehen für langfristige Investitionen und für Werterhaltung über Generationen hinweg. Sie sorgen für flächendeckenden Service, garantieren hohe Umweltstandards und tragen so Mitverantwortung für unsere Stadtgesellschaft. Es gilt, die Strukturen zu erhalten, die in vielen Jahrzehnten der Stadtgeschichte von den Bürgern der Stadt finanziert und aufgebaut wurden. Jährlich veranstaltet die Stadt München den Aktionstag „Da sein für München“. Hier können sich Münchens Bürgerinnen und Bürger über „ihre“ städtischen Unternehmen informieren. Näheres hierzu auch unter www.muenchen.de/daseinsvorsorge.

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Müllwerker erzählen

Johann Reiter, Harritschfahrer bei der Hausunratabfuhr erzählt über die Zeit als Aschenfahrer 1948/1949 Ich hab mein Stammpferdl ghabt. Der Silus, das war ein ganz ein schönes und rassiges Pferd, des hätt man praktisch als Traber hernehmen können. Für mich war das viel zu schad für den Harritsch. Am Anfang hams zu mir gsagt: „jo, jo, brauchst net genga, hock di nauf, brauchst nur „hüa“ sogn. Der find´t scho naus“. Da hob i nix mehr sagen brauchen, der hat gwußt, jetzt geht’s naus oder jetzt geht’s hoam. Zu Schluss, beim Hemeter in der Türkenstrass, samma vorbei, hamma a Stamperl kriagt. Der Hemeter, der hat da sei Fabrik ghabt. Wenn´s an Enzian brennt haben, des hamma ois schwarz mitgnomma. Der Silus, mit dem hab i immer schräg über ´d Trambahnschienen müssen, net grad, sondern schräg, bsonders in der Nymphenburger Straß. Es hat immer wieder die Hufeisen an der Trambahnschiene eingehackelt und dann herausgerissen. Er hat genau gewusst, dass er dann nach Puchheim zur Erholung gekommen ist. Im Jahr 1949 san nacha de Harritsch zwammghaut worden. Die Spoacha hama von de Felgn rausgschlogn, da hammas demoliert. Da hat a jeder Holz mitnehmen können, wia mögn hat. Wenn i nacha hoam gfahrn bin, hob i oiwei a Kistn voll Spoachan mitgnomma. De hab i zammagsagelt, in a Kistn nei und dahom verbrennt. Des hat guat brennt. - Schad um de Wägn. Auszug aus einem Interview mit Arnulf Grundler 2003

Walter Abenthum erzählt über die Müllverwertungsanlage Großlappen im Jahr 1954

Sakho Demba erzählt über seine Arbeit als Müllwerker beim AWM 2005

An mein ersten Tog konn i mi no erinnern. Des war da kaetaste Tog, da aefte Januar Neuzehnhundertsechzge, des wor wirkle da kaeteste Tog in dem Winta. Und da bin i mimm Radl, bin i in´d Arbad gfahrn. In da Fruah von Freimann hintn´abe übas Guat. Und dann hams ma de des ois zoagt – schuid wor i ja seiba, gei -

Ich bin seit 1999 bei Müllabfuhr, Tonne leeren von Anfang an. Ich bin Rollierer. Leute da lange, acht Jahre rollieren. Neue Leute nicht feste Partie, aber egal. Die Leute lange da, fest. Finde nichts schlimm. Alles Leute nett, alles gute Leute, der Ude. Ude zu mir schon kennen. Einmal der Französische Präsident nach München kommen, die Leute versammeln, ich finde Ude da, ich habe mit Ude reden französisch zusammen und mit seiner Frau auch reden ein bisschen reden zusammen französisch. Ja, Ude gute nett. Gute Mann.

I hab jo damois zerscht am Band garbat, und dann is der Raupnfahrer, wo gfahrn is drom (Anm: gemeint ist auf dem Müllberg), der is ausgfoin durch´n Schlogonfoi. Der hod an Schlogonfoi ghabt, jetz ham´s koan ghabt für Berg. Durch des, dass mi vui scho kennt ham, wei i zuvor am Bau war, ham ebn gsogt, „Woita, probiers“. – Oiso guad, bin i da naufgstiegn, und da bin i hoid da drobn bliebn, fünferzwanzg Johr lang. Des war damois a große Raupn, a neinsimmazibgz (977) Caterpiller. Und da bin da gfahrn damit, gei. Und eines Tages schiab i da a - entweder hob i d´Zigarettn nausgschmissn oder a Zindhoizl nausgschmissn - jednfois hod´s a´s Brenna ogfangt. An da Depponie hod´s einglich oiwei oi Augnblick brennt da drom, den Grund hod ma net kennt. Aber do wars ebn so, offensichtlich is ma des aufgfoin do, dass do jetz brennt, ganz blau – jo um Godds wuin. Aba gstunga hod nochad nimma, des war des scheene, gei. Aber des is domois neiganga bis zum Direktor Herz, hoda der domois kheißn, bis zu denen ist des neiganga, dass i an Berg ozundtn hob. Und da hob i a fürchterliche Rüge kriagt, gei, wei i ja an Berg ozundtn hob. Und a dreiviertl Johr später, hod da sejbe Direktor Zindhoizl rausgschickt, dass i as Gas ozindt, dass nimma so stinkt. (mit gesenkter Stimme): Hod ja koana wos gwusst von dem Zeigl, gei... Auszug aus einem Interview mit Arnulf Grundler 2005

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Und unsere Chef und Chefin, alle nett, Frau Esrum, Eibel und Brade, alle nett. Wenn jemand arbeiten, richtig arbeiten, dann keine Problem. Wenn schlimm, kriegst du das Problem mit Chef und du, das ist nix gut. 1991 ich bin hier und nie einmal Arbeit schluss. Ich immer arbeiten. Ja. Deutsch gelernt einfach so, einfach so... (lacht). Grammatik sehr schwer, sehr schwer. Aber Afrika Grammatik auch schwer, wenn dorthin kommen, für mich is nix so schwer. Arbeit nicht so schwer. Wenn du diese Arbeit drin (deutet auf den Kopf), wie geht diese Arbeit, must Tonne schieben, ist diese Tonne schwer, ist andere leicht, egal. Ich komme diese Arbeit rein, ah, Scheiße, diese Tonne schwer, Behälter (Großbehälter) schwer, oder kleine Tonne schwer. Ich denken, kommen früh arbeiten, muss diese Arbeit heute, muss fertig. Morgen gesund, muss morgen auch fertig sein. Also so denken ich. Laim, Pasing, Aubing arbeiten. Jeder habe sein Glück, Schwabing arbeit oder Laim Arbeit. Jeder

Müllwerker erzählen haben sein Glück, Gott geben jede sein Glück, ja ... (lacht). Nicht die Leute geben selber sein Glück. Aber wenn nur schlafen, Glück nix kommen. Muss Glück auch suchen. Muss immer suchen, Glück auch kommen. Wenn Gott mir geben gesund, ich bin hier. Wenn Gott mir nix geben mir gesund, mich schneller tot machen, fertig alles... (lacht). Ich beten so. In Cami (Moschee) Freimann, oder Hauptbahnhof. Auszug aus einem Interview mit Arnulf Grundler 2005

Lothar Mann (48) und Helmut Kampa (48) erzählen über Ihre Anfänge beim Abfallwirtschaftsbetrieb München Lothar Mann Ich bin seit 1986 beim AWM. Damals war es noch die Städtische Müllbeseitigung. Es hat zu der Zeit zwei verschiedene MüllwagenTypen gegeben: einer hat nur Kleintonnen laden können, der andere nur Großbehälter. Bei den Kleintonnen hat es runde Tonnen aus Kunststoff gegeben und quadratische aus Blech. Die waren extrem schwer – bestimmt ein Leergewicht von 40 kg – und wir haben uns sehr geschunden um die blechernen Tonnen aus den entlegensten Winkeln der Häuser zu holen. Nach zwei Jahren Einarbeitungszeit – erst auf einer Kleintonnen-, dann auf einer Großbehälterpartie, bin ich dann fest in einen Bezirk nach Schwabing eingeteilt worden. Ich kann mich noch gut an die Winterzeiten erinnern. Da haben uns die Hausmeister oft heißen Tee oder Glühwein auf die Fensterbänke gestellt – im Sommer stand dann da oft Limonade, Wasser oder Bier. Ich war damals ein junger Bursch mit 23 Jahren. Oft haben mich gerade die älteren Hausmeister auf einen Kaffee eingeladen und ich habe ihnen Tipps gegeben, wenn es Probleme mit den Mülltonnen gab. Da war noch ein sehr guter Kontakt zu den jeweiligen Hausmeistern da. Mittlerweile gibt es das nicht mehr. Viele Hausverwaltungen haben jetzt externe Hausmeisterfirmen engagiert. Die kommen nur zu speziellen Zeiten und man trifft die Leute nicht mehr persönlich an. Zu der Zeit ist auch alles noch in eine Tonne geworfen worden. Nur vereinzelt sind schon Papiertonnen aufgestellt worden – an zentralen Plätzen in den Bezirken. Die sind dann von einem separaten Müllwagen abgeholt worden. Mein Bezirk hat Anfang der 90er Jahre zu aller erst die Biotonne getestet. Das waren am Anfang ungefähr 15 oder 16 Biotonnen und die sind wir zur Probe gefahren. Später ist dann auch die Papiertonne für jedes Haus dazugekommen und Ende der 90er Jahre war dann das 3-Tonnen-System mit Restmüll, Papier und Bio am Haus flächendeckend im ganzen Stadtgebiet eingeführt.

Helmut Kampa Ich bin seit 1989 beim AWM und kann mich noch sehr gut an meinen ersten Tag erinnern. Da hab ich gedacht „da hör ich wieder auf“. Ich bin in der früh auf eine Kleintonnenpartie eingeteilt worden und es war mir ein Rätsel, wie es meine Kollegen geschafft haben, die unhandlichen, schweren Tonnen aus den verstecktesten Ecken der Wohnhäuser zu tragen. Ein echter Knochenjob. Ich wusste am Anfang nicht einmal, wie ich die Tonne richtig anfassen muss, damit ich sie ordentlich zum Müllfahrzeug tragen kann. Das war ein echt harter Einstieg für mich. Die Tonnen waren rund und nicht griffig. Wir haben viele Tonnen aus den Hinterhöfen durch die Treppenhäuser bereitstellen müssen. Ich war damals in einem Bezirk in Bogenhausen. Ich erinnere mich auch noch sehr gut an ein Haus, da hat eine kleine Wendeltreppe zum Tonnenraum in den Keller geführt. Ich hab nicht gewusst, wie ich die Tonnen da jemals raufbringen sollte. Ich glaube, die Wendeltreppe gibt es sogar heute noch. Ein anderer Tonnenraum war in einer Art Kohlekeller. Wir haben erst eine niedrige, enge Treppe hinunterklettern müssen und dann die Tonnen vom Keller nach oben gereicht. Das ist heute unvorstellbar.

Lothar Mann (links) und Helmut Kampa. Im Laufe der Zeit hab ich mir natürlich die Handgriffe und Techniken angeeignet, wie man die Behälter gut bewegen kann und mir einen breiten Ledergürtel umgebunden, an dem ich die Tonnen habe abstützen können. Routine kommt natürlich auch dazu. Aber zu der Zeit hat man als Mülllader wirklich körperliche Höchstleistungen vollbracht. Gesundheits- und Arbeitsschutz war damals noch ein Fremdwort. Wenn die Kollegen damals in Rente gegangen sind, waren die körperlich völlig fertig und ausgemergelt und haben leider meist auch nicht mehr lange gelebt. Da hat sich heute schon vieles zum Positiven verändert. Heute bekommen wir Schulungen zum richtigen Tragen und Heben und haben komfortable Arbeitsschutzkleidung und gutes Schuhwerk – und das ist schon notwendig. Denn jetzt arbeite ich nicht mehr im Innenstadtbereich sondern seit 12 Jahren in einem Außenbezirk in Moosach. Da gibt es zwar weniger Tonnenhäuser in Kellern oder Hinterhöfen, dafür sind die Wege insgesamt länger. Wir legen teilweise 15 km Strecke am Tag zurück. Mein Kollege, der die Tonnen immer bereitstellt, braucht im Jahr deshalb drei Paar Schuhe. Interviews mit Bettina Fischer 2011

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